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Süchte — woher sie kommen, wohin sie führen

Yolo-Team

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In Österreich gibt es etwa 1,5 Millionen RaucherInnen, 330.000 Menschen sind alkoholabhängig drei Viertel davon sind männlich - zirka 120.000 sind medikamentenabhängig und etwa 50.000 Menschen spielen regelmäßig Glücksspiele. Nur 5 % aller Alkoholabhängigen in Österreich kommen in fachgerechte Behandlung.

Was ist Sucht?

Sucht ist eine krankhafte Abhängigkeit von stofflichen oder nicht stofflichen Substanzen. Das Gehirn ist stark eingebunden, weil das Belohnungssystem im Mittelhirn sitzt. Bei positiven Erlebnissen und Erfahrungen schüttet es Dopamin aus, das dem Gehirn einen positiven Reiz - z.B. gutes Essen, Freude usw. signalisiert. Bestimmte Substanzen wie Nikotin, Alkohol oder andere Drogen können diesen Dopaminschub künstlich hervorrufen. Gleichzeitig verringert sich bei laufendem Konsum die körpereigene Dopaminproduktion, der Körper braucht immer mehr künstlichen »Stoff«, man spricht von Abhängigkeit. Sie charakterisiert sich außerdem durch den starken Zwang, genau jene Substanz zu benötigen (Alkohol, Nikotin usw.). Von den substanzgebundenen Süchten unterscheiden sich die nicht substanzgebundenen Süchte, wie Spiel-, Kauf- oder Sexsucht, die ähnlichen biochemischen Mechanismen unterworfen sind. Typisch für die Sucht sind unter anderem auch eine mangelnde Kontrollfähigkeit beim Konsumieren, der Drang die Dosis immer weiter zu erhöhen, körperliche Entzugserscheinungen, Isolation und sozialer Rückzug.

Wie erkenne ich eine Abhängigkeitserkrankung?

Abhängigkeit ist eine Erkrankung, die mehrere psychische und körperliche Probleme umfassen kann. Diese entstehen, wenn ein Suchtmittel wiederholt konsumiert wird. In dem Klassifikationssystem der Psychiatrie (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – DSM-5, American Psychiatric Association, 2015) werden 11 Kriterien für eine »Substanzgebrauchsstörung« aufgelistet:

 Wiederholter Konsum, der zum Versagen bei Verpflichtungen in der Schule, bei der

Arbeit oder zu Hause führt.

 Wiederholter Konsum der Substanz in Situationen, obwohl es gefährlich sein

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kann (z.B. Alkohol am Steuer, Bedienen von Maschinen).  Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger sozialer Probleme.  Toleranzentwicklung: Es wird immer mehr konsumiert oder die Wirkung einer gewissen Menge lässt nach.  Entzugssymptome beim Absetzen (z.B.

Schwitzen, Unruhe, Zittern) oder der

Versuch, diese durch den Konsum der

Substanz abzuschwächen oder zu verhindern.

 Konsum in großen Mengen oder länger als geplant.  Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren.  Hoher Zeitaufwand für die Beschaffung und Einnahme oder um sich von der Wirkung zu erholen.  Vernachlässigen und Aufgabe wichtiger

Aktivitäten aufgrund des Substanzkonsums (z.B. familiäre, berufliche oder soziale Aktivitäten).  Fortsetzen des Konsums trotz körperlicher und/oder psychischer Probleme.  »Craving«: das starke Verlangen nach der

Substanz.

Die Erfüllung von mindestens zwei Punkten spricht bereits für einen problematischen Konsum.

Fotos: Yolo-Team

Herr Geishofer vom Verein b.a.s. beim Interview

Der Geschäftsführer vom Verein b.a.s., Herr Geishofer, hat unsere Fragen rund ums Thema Süchte beantwortet.

Bitte stellen Sie sich und Ihren Verein vor.

Mein Name ist Manfred Geishofer, ich bin der Geschäftsführer vom Verein b.a.s. Das steht für »Betrifft Abhängigkeit und Sucht« Steirische Gesellschaft für Suchtfragen. Unsere Haupttätigkeit ist der Betrieb von derzeit zwölf Beratungsstellen in der Steiermark. Derzeit haben wir 29 MitarbeiterInnen beschäftigt.

Wie viele KlientInnen betreuen Sie jährlich?

Im Vorjahr waren bei uns insgesamt 1781 Menschen, die laufende Fälle in der Dokumentation waren, davon waren 1502 unmittelbar selbst betroffen und 279 waren Angehörige von Suchtkranken, eine dritte Zielgruppe sind Menschen, die beruflich mit Suchtkranken zu tun haben, etwa Ärzte oder LehrerInnen, SozialarbeiterInnen usw. Von den 1781 Menschen sind 915 Neuaufnahmen, das heißt doch deutlich mehr als

die Hälfte wird jährlich neu aufgenommen und kommt zum ersten Mal zu uns, oder wieder zu uns nachdem das vorher schon einmal abgeschlossen war.

Wie ist Ihr Zugang zum Thema Sucht?

Als ich angefangen habe und gelernt habe, wie man mit Suchtkranken arbeitet, war es so, dass sie fest entschlossen sein mussten völlig zum Beispiel alkoholabstinent zu sein. Sie mussten das tun, was man ihnen vorgegeben hat. Wenn man zum Beispiel empfiehlt ins Krankenhaus zu gehen und man wollte das nicht, hat man gesagt: Dann kommen sie wieder, wenn sie ausreichend motiviert sind. Wenn es einem schlecht genug geht - das war so ein ständiger Spruch - sind sie ausreichend motiviert und dann tun sie das, was wir ihnen sagen. Das hat sich allgemein sehr verändert. Wir haben zunehmend Menschen, die nicht abhängig sind, nicht suchtkrank, aber die merken, dass sie z. B. viel trinken nach einer Krise und merken sie können das schlecht verändern. Aber sie sind eigentlich nicht süchtig nach den gängigen Richtlinien. Uns ist wichtig zu schauen, was die Menschen die zu uns kommen, befürchten. Die meisten schämen sich sehr. Wir schauen, welche Ziele sie haben. Da geht es nicht um Abstinenz. Früher haben alle sagen müssen, ja ich bin entschlossen mein Leben lang keinen Alkohol mehr zu trinken, obwohl man den Entschluss eigentlich gar nicht fassen kann. Jetzt geht es um Partnerschaft oder um den Beruf oder um die berufliche Tätigkeit, die die Leute haben und wir versuchen gemeinsame Ziele zu finden. Es ist klar, dass wenn es Probleme bei der beruflichen Tätigkeit oder in der Partnerschaft gibt, eine Veränderung des Trinkverhaltens natürlich ein wichtiger Punkt sein kann. Wir sind geduldig, wir verlangen nicht solche lebenslangen Entschlüsse. Wenn jemand sagt, ich möchte nicht ins Krankenhaus, dann fragen wir: `Was möchten sie erreichen?´ Dann probieren wir es auch so. Aber wenn das nicht funktioniert, dann sind die Menschen auch selber überzeugt, dass zum Beispiel eine Entzugsbehandlung vorher doch gut und wichtig ist. Wesentlich ist auch, dass man heute der Meinung ist, man wird nicht aus Jux und Tollerei süchtig, sondern viele Menschen sind vorbelastet. Sie haben Probleme, Angststörungen, Depressionen und greifen dann zur Droge - wo ich Alkohol immer mit einschließe - um sich selbst zu behandeln und um das Leben bewältigen zu können. Aus dem heraus entsteht die Sucht. Auf Suchtmittel zu verzichten ist nicht die Genesung allein. Menschen brauchen nach der »Droge« mehr um im Idealfall ein glückliches und erfülltes Leben führen zu können.

Die Angebote von b.a.s. sind vielfältig

Wie beginnt eine Sucht und wie ist ihr Verlauf?

Die häufigste Abhängigkeit in Österreich ist die von Alkohol. Es gibt sehr große Unter-

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Fotos: Yolo-Team Ein kurzer Einblick in die Geschichte von b.a.s.

schiede zwischen den einzelnen Menschen, aber ein typischer Verlauf wäre zum Beispiel: Jemand ist schüchtern und tut sich in der Gesellschaft anderer Menschen schwer. Wenn er ab dem jugendlichen Alter merkt, wenn er etwas trinkt, dann fällt es ihm leichter mit Menschen in Kontakt zu treten. Dann sind es irgendwann fünf kleine Bier am Tag und später sind es sieben kleine Bier oder schon fünf große Bier usw. Dann steigt er auf Wodka um, weil er nicht so viel trinken kann. Da entwickelt sich eine körperliche Abhängigkeit. Wenn man tagtäglich eine gewisse Menge trinkt, braucht man das, um halbwegs normal sein zu können. Das wäre so ein typischer Einstieg. Es ist auch bei anderen Drogen nicht so, dass man einmal probiert und man restlos süchtig ist für den Rest seines Lebens. Das dauert relativ lange bis sich das entwickelt. Es gibt natürlich die verschiedensten Verläufe. Es gibt auch bei Alkohol Menschen, die nicht körperlich abhängig werden, aber wenn sie Alkohol trinken können sie nicht mehr aufhören. Was auch eine Sucht stark ausmacht, ist eine Wesensveränderung. Indem dem Menschen langsam dämmert, dass er ein Problem hat, zum Beispiel mit Alkohol, geht es darum das zu verbergen. Man muss es verleugnen, verdrängen, es darf keiner drauf kommen. Ein anderes Beispiel sind Glücksspieler, die krankhaft spielen und einen Haufen Geld verspielen. Das wird vor ihren engsten Angehörigen verborgen, oft über viele Jahre. Keiner darf wissen wieviel Schulden sie haben. Sie sind dadurch in so einem Stress, dass sie zusätzliche Probleme bekommen und das hält die Abhängigkeit am Laufen. Man weiß nicht mehr, wie man sich ohne Suchtmittel wohl fühlen kann, man braucht es, um überhaupt irgendwie zurecht zu kommen. Wenn man den Alkohol, die Drogen, nicht zur Verfügung hat, geht es einem noch viel schlechter als vorher. Das ist das, was man Suchtdynamik nennt.

Was sind Ihre Beratungsangebote?

Man kann bei uns einfach nachfragen wenn einem was zu dem Thema interessiert. Es kann ein Schüler für ein Referat sein, oder eine Studentin für eine Seminararbeit. Der größte Teil sind Menschen, die persönlich oder in ihrem Umfeld ein Problem haben. Von der ersten Information über Behandlungsmöglichkeit, ist das so im weitesten Sinn der psychologische oder psychotherapeutische Bereich, den wir abdecken. Die medizinische Behandlung findet woanders statt. Die ganze Bandbreite von Behandlungsplanung über ambulante Suchttherapie oder eine Art Betreuung. Es gibt Menschen, die viermal im Jahr kommen, sich einfach anschauen lassen und sagen wie es ihnen geht. Und falls was passiert, z.B. ein Rückfall, tun sie sich nicht schwer, schnell wieder anzudocken und in Behandlung zu

gehen. Unsere Zielgruppe: Wir haben 50 %, die Probleme mit Alkohol haben, an nächster Stelle sind Menschen, die Probleme mit illegalen Drogen haben. Da sind viele dabei, die eine Auflage haben, vom Suchtmittelgesetz zum Beispiel, also kommen müssen und nicht unbedingt kommen wollen. Im vorigen Jahr waren es 27,4 %. Glücksspiel war einmal ein hoher Anteil, das ist zurückgegangen, es sind knapp 10 %. Dann gibt es 5 %, die Probleme mit Computer/ Internet haben. Manchmal kommen Eltern und meinen, ihre Tochter sei Handy süchtig. Das gibt es nicht als Krankheit, aber meistens stellt sich heraus, sie telefoniert ganz viel, das hat mit Sucht eigentlich nichts zu tun. Wir beraten oder coachen Menschen, die in ihrem Berufsfeld mit Sucht im weitesten Sinn in Berührung kommen. Das können Führungskräfte sein, es könnte ein Psychotherapeut sein, der sich beraten lässt, weil er merkt sein Patient hat offensichtlich ein Suchtproblem.

Wie würden sie Ihre Online-Beratung beschreiben?

Wir machen das schon relativ lange über EMail. Es gibt auch andere Methoden, über Chat oder über Programme mit zum Teil automatischen Antworten. Das läuft über einen eigenen Beratungsserver, d.h. es ist völlig geschützt. Über den eigenen Beratungsserver gibt es Leitlinien, wie verständliche Sprache, oder dass man in absehbarer Zeit Antwort bekommt. 2017 waren von über 6000 persönlichen Gesprächen 234 online-Beratungen. Was wir festgestellt haben, dass Menschen in online-Beratung tatsächlich auch persönlich kommen. Ganz interessant ist, die meisten sind Angehörige, die im Umfeld ein Suchtproblem haben und weniger Menschen, die selbst ein Problem haben.

Bieten Sie Beratungen in Gruppensettings an und sind diese kostenlos?

Ja, wir bieten ganz verschiedene Gruppen an und das kostenlos. Wer es sich nicht leisten kann, kann natürlich auch Teil nehmen. Aber bei Gruppen nehmen wir einen kleinen Kostenbeitrag ein, weil die Leute sich dann eher an die Gruppe gebunden fühlen. Wir bieten auch Gruppen für Angehörige an. Es gibt eine Großgruppe in Graz. Die ist für die Nachbetreuung für Menschen, die eine Entwöhnung gemacht haben und wirklich entschlossen sind, keinen Alkohol mehr zu trinken. Wir bieten aber auch Gruppen an zum Selbstkontrolltraining, wo es darum geht Konsum zu reduzieren, kontrolliert zu trinken. Auch eine Gruppe für Spieler hat es gegeben. Wenn die Nachfrage steigt machen wir die auch wieder.

Welche Entwöhnungsratschläge geben Sie Ihren KlientInnen?

Das ist individuell. Ganz allgemein soll man sich bewusst machen wie man mit sich selbst umgeht. Man weiß ja zunehmend, dass Alkohol kein Nahrungsmittel ist, sondern eigentlich eine Droge, die ab einer gewissen Menge auch Schäden hervorrufen kann. Einmal zu schauen wie häufig setze ich es ein, wie viel oder aus welcher Motivation heraus. Es gibt Menschen, bei denen einmal vorläufig Abstinenz das wichtigste Ziel ist. Ein wichtiger Ratschlag ist, dass sie ihr Leben verbessern. Wie kann ich dieses Loch füllen, wenn ich keinen Alkohol mehr trinken darf? Was hat sie früher interes-

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Foto: CC von Pixabay

Die Gruppe der medikamentenabhängigen Menschen in Österreich ist die drittgrößte

siert? Was hat ihnen Spaß gemacht? Für manche war es sportliche Betätigung oder etwas Kreatives, oder irgendeine Form von Vereinsengagement. Wir ermutigen die Leute das wieder aufzunehmen. Ich denke es wird besser, weil die Leute mehr Gesundheitsbewusstsein haben. Ratschläge für KonsumentInnen sind z.B., zwei Tage in der Woche sollte man alkoholfrei sein, damit der Organismus wirklich einmal alles los wird und dass man gewisse Wochenmengen an Alkohol nicht überschreiten soll. Alkohol ist nach Tabak die zweithäufigste Substanz, die die Lebenserwartung verkürzt und für das Entstehen von Krankheiten aller möglichen Arten verantwortlich ist.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Foto: Yolo-Team

b.a.s. informiert schon vor dem Eingang übers Angebot

Infobox b.a.s. Graz

Kontakt: Dreihackengasse 1, 8020 Graz Tel.: 0316 / 82 11 99 E-Mail: office@bas.at Homepage: www.suchtfragen.at

online-Beratung:

https://bas-suchtfragen.beranet.info/

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