WINGbusiness Heft 04 2016

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ISSN 0256-7830; 49. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M

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WING

business

Supply Management

Beschaffung ist nicht Shopping

Industrie 4.0 in der Beschaffung 11

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Was von technischen Einkäufern verlangt wird 23


Stand 10.2016, Änderungen vorbehalten

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Editorial

Supply Management

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Siegfried Vössner Liebe Leserin, lieber Leser, draußen wird es langsam Winter. Das Laub ist schon von den Bäumen gefallen und immer öfter senkt sich Nebel auf die Landschaft, die dadurch eine eigentümliche Ruhe und Vertrautheit ausstrahlt. Die ersten Schneeflocken fallen vom Himmel und bald wird die Landschaft ganz weiß sein und aussehen, als wäre sie in Watte gehüllt. Es ist ganz still draußen. Manchmal, wenn es richtig kalt ist, knirscht der Schnee unter den Stiefeln. Nur mehr wenige Wochen bis Weihnachten - Advent ist meine Lieblingszeit. Dazu gehört auch die Vorfreude auf Weihnachten. Als Kind habe ich natürlich auch meinen Wunschzettel geschrieben und ihn aufs Fensterbrett gelegt und jeden Morgen nachgeschaut, ob er schon weg ist. Die unerträglich lange Zeit bis zum Heiligen Abend wurde durch Strohsternbasteln, Assistenzeinsätze bei der Weihnachtsbäckerei meiner Mutter und andere Vorbereitungen verkürzt. Am 24. Dezember bewachte ich gespannt die verschlossene Tür zum Wohnzimmer. „Vielleicht kann ich ja doch das Christkind sehen, wenn es bei uns vorbeikommt!“ Als dann am Abend ein Glöcklein läutete, ließ sich auf einmal die Tür wieder öffnen. Drinnen erstrahlte ein Christbaum in hellem Kerzenschein. Ich stürmte immer als Erstes zum Fenster, um das Christkind vielleicht doch noch zu sehen. Wie viele Kinder glaubte ich mit großer Überzeugung an das Christkind. Doch eines wollte mir damals nicht aus dem Kopf gehen: „Wie schafft es das Christkind, allen Kindern auf der Welt fast gleichzeitig Geschenke zu bringen? Das müssen ja Millionen von Geschenken sein! Wie kann so ein kleines Wesen so viel tragen?“ „Es hat einen Logistics Service Provider“, meinte meine Mutter sinngemäß: „Knecht Ruprecht“. Doch auch diese Erklärung hat mich damals nicht überzeugt: „Na gut, dann sind sie halt zu zweit. Aber es ist trotzdem sehr viel zu tragen!“. Heute, viele Jahre später, habe ich das Rätsel gelöst. Ich glaube zwar immer noch an das Christkind, weiß aber, dass damals wie heute Eltern Unterstützung von einer ausgeklügelten Kette aus Herstellern, Händlern und Lieferanten hatten. Das war wie gesagt immer so, seit Menschen mit Waren handeln. Auch ist das Wetter im Dezember, bis auf einige wärmere Winter in letzter Zeit, gleich geblieben. Das sind doch gute Nachrichten. Wenn sich jemand nach der eingangs beschriebenen Weihnachtsstimmung aus der Kinderzeit sehnt, so lässt sie sich heute genauso wieder erle-

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ben. Vorausgesetzt man kann sich dem Konsumrausch und der Alltagshektik entziehen. Was sich seit damals aber dramatisch verändert hat, ist die Professionalität und die Geschwindigkeit mit welcher der rasant gestiegene Bedarf an Gütern erfüllt wird. Die allgegenwärtigen Informationssysteme verbinden in Echtzeit jedes Element der globalen Herstellungskette von Produkten. Transaktionen wie Kauf, Verkauf, Bestandsmanagement, Logistikabrufe und vieles mehr werden nunmehr elektronisch abgewickelt und optimiert. Ich wäre damals als Kind völlig erstaunt gewesen, wie komplex sich so ein „Wish-To-Delivery“ Prozess für ein Geschenk auf meiner Wunschliste gestaltet bzw. in der Zukunft gestalten wird. Heute geht man aber noch einen Schritt weiter. Um die Nachfrage zeitgerecht und in entsprechenden Stückzahlen zu befriedigen, beobachtet (eigentlich müsste es „überwacht“ heißen) man Kunden bei ihren Bestellvorgängen und versucht, daraus ihre zukünftigen Entscheidungen besser vorhersagen zu können und dementsprechend die Lieferkette zu optimieren. Eine andere Möglichkeit, die mit immer ausgeklügelteren Verfahren angewandt wird, ist die direkte Beeinflussung der Kundenwünsche, indem man den Kunden personalisierte Werbung schickt und ebensolche Angebote macht. Das hätte mich wiederum damals nicht beeindruckt, denn: „Das Christkind weiß alles und sieht alles!“ Die vielen, interessanten Neuigkeiten und Konzepte im Bereich des Beschaffungsmanagements haben uns, unabhängig von Weihnachten und Wunschlisten, dazu bewogen, dieses Thema im aktuellen Wing Business zu beleuchten. Einer alten Tradition folgend, haben wir dafür einen englischen Titel gesucht, und diesen mit „Supply Management“ auch gefunden. Wir haben wieder Experten aus Wissenschaft und Praxis um Beiträge zu diesem Thema gebeten und diese für Sie auf den folgenden Seiten zusammengestellt. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Kollegen Prof. Dr. Ulrich Bauer und seinem Team für die Unterstützung bei der Zusammenstellung dieses Heftes bedanken. Wir hoffen, dass es uns auch diesmal gelungen ist, interessante Artikel für Sie in diesem Heft zusammenzustellen. Ich verbleibe im Namen des Redaktionsteams mit freundlichen Grüßen und wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest! Ihr Sieg fried Vössner

Bildquelle: fineartpictures

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Top-Thema: Supply Management Gerhard Steiner

Beschaffung ist nicht Shopping

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Eine persönliche Perspektive auf Herausforderungen an die Beschaffung im internationalen industriellen Umfeld

Holger Schiele

Industrie 4.0 in der Beschaffung

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Zwischenbetriebliche Maschine-zu-Maschine Kommunikation in cyber-physikalischen Systemen

Martin Marchner

Steigerung der Kundenattraktivität bei der Beschaffung knapper Rohstoffe Volker Koch

Was von technischen Einkäufern verlangt wird Manuela Reinisch

Kritische Versorgungsnetzwerke

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Die Wichtigkeit von kritischen Sublieferanten

Martin Tschandl, Peter Schentler, Christian Bischof

Digitalisierung im Einkauf – Technologien und Anwendungsbeispiele 29 Christian Theuermann

Risikomanagement in der Beschaffung

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Erfolgreiches Supplier Risk Management schafft Wettbewerbsvorteile

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Inhaltsverzeichnis EDITORIAL

Supply Management

FÜHRUNG/PROFESSION Kurt Herler Leadership für die Zukunft Wie sich HEINEKEN dieser Herausforderung stellt

INTERVIEW

Interview mit Herrn Dipl.-Ing. Christoph Hinteregger, Doppelmayr Interview mit Dr. Jan-Henning Fabian, ABB

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CALL FOR PAPERS Themenschwerpunkt: „Social Entrepreneurship“ in WINGbusiness 02/2017

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FACHARTIKEL Stefan O. Grbenic Die Bedeutung von Technologieunternehmen im M&A-Geschehen

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LEUTE/KÖPFE Dipl.-Ing. Dr.techn. Bernd Schlegl

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Dipl.-Ing. (FH) Dr. Jörg Schweiger

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WING-REGIONAL

Alexander Haider, Manuel Happacher

WING Forum Kärnten

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WINGNET

Alexander Haider

WINGnet Villach zu Besuch bei w&p

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UNINACHRICHTEN

7. SMI-Kongress „Transformationen - Neue Wege zu industrieller Nachhaltigkeit“

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Einladung „Roundtable Industrie 4.0“ Announcement „Cross-Industry Conference on Agile Operations“

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Ulrich Bauer

Das techno-ökonomische Arbeitsgebiet „Industrial Marketing, Purchasing and Supply Management“ an der Technischen Universität Graz

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IMPRESSUM

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Führung/Profession

Foto: Braumeister Günther Seeleitner in der Spezialitäten-Manufaktur Hofbräu Kaltenhausen; Copyright Brau Union Österreich

Kurt Herler

Leadership für die Zukunft Wie sich HEINEKEN dieser Herausforderung stellt Leadership für heute und morgen sicherzustellen bleibt auch für HEINEKEN, „the world‘s most international brewer“ mit Brauereien in mehr als 70 Ländern, eine große Herausforderung. Der folgende Beitrag befasst sich mit wichtigen Elementen der Personalstrategie die diesem Ziel dienen. Firmenkultur, Leadership-Kompetenzen, Organisationsstruktur, Talente-Management sowie die Rekrutierung und der Einsatz von Führungskräften im internationalen Rahmen bilden den Schwerpunkt der Ausführungen.

Von Amsterdam in die Welt Jeder kennt Heineken®, die weltweit führende Biermarke im Premiumsegment. Doch HEINEKEN ist Firmenname, flagship brand und Familienname des Gründers in einem. Noch heute, rund 150 Jahre nach der Firmengründung in Amsterdam, wird die Gruppe von der HEINEKEN Familie durch eine Holdingkonstruktion aktienrechtlich kontrolliert, auch wenn sich die durchgerechnete Mehrheit der Aktien nicht mehr im Familienbesitz befindet. Dieser Familienhintergrund ermöglicht dem Unternehmen längerfristig zu planen und danach zu handeln. Dazu passt, dass der derzeitige CEO seine Karriere im Unternehmen als Management Trainee begann. In Österreich gehört die Brau Union Österreich AG zur HEINEKEN Gruppe. „Social networking since 1864“ umschreibt nicht nur die Positionierung

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der Biermarke Heineken®, sondern auch die Führungskultur des Unternehmens. HEINEKEN ist kein zentralistisch geführter Konzern. Seit der Jahrtausendwende ist HEINEKEN durch Akquisitionen in Europa, Afrika, Lateinamerika und Süd-Ost Asien stark gewachsen. Die erworbenen Brauereien, deren Geschichte und Markenvielfalt, blieben, bei allem Bekenntnis zum Gesamtunternehmen, wesentlich. Lokale Konsumenten bevorzugen meist „ihre“ lokalen Biermarken aus dem Portfolio von HEINEKEN. „Freedom in a Framework„ nennt HEINEKEN sein angestrebtes Organisationsprinzip. Dies wird von MitarbeiterInnen und vielen Jobsuchenden geschätzt. Firmenkultur: Qualität und Lebensfreude Der Firmenkultur kommt für den Erfolg eines Unternehmens große Bedeutung zu. Zu den „HEINEKEN Values“

gehört, neben „Respect for People and the Planet“ auch „Passion for Quality“ als Ausdruck des stark verankerten Qualitätsbewusstseins, nicht nur in der Produktqualität sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ein vielleicht überraschender „Value“ ist „Enjoyment of Life“. Dass dies mehr als ein Schlagwort ist, kann man im Unternehmensalltag erleben. Lebensfreude passt auch zu einem Brauereiunternehmen, denn Bierkultur ist vielfach Festkultur. Diese Lebensfreude spürt man auch beim Kurzfilm „The Candidate“, einem gar nicht alltäglichen Interview für einen Job in HEINEKEN. Mehr als 3 Millionen Mal wurde der Kurzfilm auf YouTube angesehen. Er gilt als Best Practice für Employer Branding. „Enjoyment“ wurde zu einem willkommenen Unterscheidungsmerkmal auf den internationalen Arbeitsmärkten. Kontinuierlich gute Geschäftsergebnisse, niedrige Fluktuationsraten und

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Führung/Profession hohes Mitarbeiterengagement (globaler Engagement Wert 75 %), scheinen den Kurs zu bestätigen. Im Spannungsfeld von lokal und global: Von „Think Globally“ zu „Act as an Entrepreneur“ Die Entwicklung der Leadership Kompetenzen in HEINEKEN spiegelt den Weg vom regionalen zum globalen Unternehmen und das daraus resultierende Spannungsfeld zwischen lokal und global wider. Am Beginn der Zehnerjahre dieses Jahrhunderts, geprägt vom vorangegangenen starken Firmenwachstum, stand das Bemühen um mehr globale Kooperation im Vordergrund. „One HEINEKEN“ lautete das Motto. Es galt Synergien zu heben, neue Management-Strukturen mit mehr zentralen Kompetenzen zu schaffen. „Thinks Globally“ stand zu dieser Zeit ganz oben auf der Liste der Anforderung an HEINEKEN Leader. Standardisierung von Prozessen, das „Ausrollen“ von zentralen Programmen war wichtig, auch im Personalbereich, insbesondere bei Talent- und Performance Management. Die Bedeutung der Konzernzentrale wuchs und mit ihr auch deren Personalstand. Das dadurch erworbene bessere Knowhow wurde anerkannt, aber der Vorwurf der Bürokratisierung war unüberhörbar. Ein besseres Ausbalancieren wurde notwendig. Im Rahmen einer Weiterentwicklung der Strategie wird daher in den letzten Jahren in punkto Führungskultur mehr Gewicht auf die Verantwortung der einzelnen Landesgesellschaften gelegt. Synergien zu heben bleibt wichtig, global getriebene Prozesse wird es weiterhin geben, aber nicht überall, sondern in genau definierten Bereichen. „Act as an Entrepreneur“, „Collaborate through Trust“ und das gute alte „Keep it Simple“ wurden zu Kernstücken der neuen, bewusst kurz gefassten, „HEINEKEN Behaviours“. Diese Entwicklung passt gut zum „genetischen Code“ des Unternehmens. Bei HEINEKEN haben General Manager auf Länderebene volle P&L Verantwortung einschließlich für die Produktion - was heutzutage schon eher eine Rarität in internationalen Konzernen ist. Andererseits wird im Verwaltungs-, Finanz-, Einkauf- und IT-Bereich sowie bei der Markenführung globaler Marken und

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in der Qualitätssicherung, vieles zentral gesteuert. Leader Led Talent Management: Zeig mir deine Talente! „Leader Led Talent Management“ ist eine der Säulen der Personalstrategie in HEINEKEN. Mit ihr soll ein Paradigmenwechsels, weg vom TalenteManagement geführt durch den Personalbereich, hin zur Verantwortung der Führungskräfte für die TalenteEntwicklung, erreicht werden. Bei der Evaluierung von Talenten wird besonders auf deren „Learning Agility“ großen Wert gelegt. Dabei geht es vor allem um die Fähigkeit mit komplexen und neuartigen Herausforderungen kreativ umzugehen, wobei gute Selbstwahrnehmung und die Kenntnis der eigenen Stärken und Schwächen, den Ausgangspunkt bilden. Zur Implementierung dient der „People Plan“. Er führt nach einheitlicher Struktur jedes Jahr die wesentlichen Themen und Messgrößen in den Bereichen „Performance Culture“, „Organisation“, „Leadership“ und „Talent“ zusammen, und wird in allen Landesgesellschaften erstellt. Eine Konsolidierung auf globaler Ebene ermöglicht einen Überblick und darauf abgestimmte unternehmensweite Initiativen. Der Schwerpunkt der weiterführenden Entwicklung soll und muss aber „on the job“, und damit in den Ländergesellschaften, erfolgen. Diese Bedeutung der Führungskräfte als Talente-Entwickler spiegelt sich auch in der neustrukturierten Beurteilung von Führungskräften. Das Signal ist klar: Nicht nur die Betriebsergebnisse müssen stimmen, sondern auch Quantität und Qualität des Talente-Pools. Nur wer die Marktherausforderungen von heute meistert und zugleich für die Erfolge von morgen vorsorgt, soll künftig Karriere machen. Hier steht der Belastungstest noch aus, denn allzu oft wurde in der Vergangenheit dem ausschließlich auf den operativen Erfolg fixierten „Machern“ der Vorzug gegeben. Besondere Beachtung wird beim „People Plan“ strategisch wichtigen, erfolgskritischen Positionen und dem Pool zur Nachfolge in diesen Positionen geschenkt. Auch diese bewusste Fokussierung dient der Sicherstellung der Leadership-Kompetenz der Zu-

kunft, besonders dort, wo es für den Unternehmenserfolg den größten Unterschied macht. Lokale versus internationale Karrierewege Jedes Unternehmen braucht Talente um erfolgreich zu sein. Talente für lokale Karrierewege zu entwickeln, bleibt wichtig. Nicht jede/r muss international mobil sein. Wer sich jedoch für eine internationale Karriere interessiert und dafür befähigt ist, dem stehen viele Wege offen. Beim Entwicklungsgespräch mit dem/der Vorgesetzten helfen dabei fachbereichsspezifische „Karriere-Prinzipien“ und dokumentierte unternehmenseigene Erfolgsgeschichten. Für ein global agierendes Unternehmen ist es auch bedeutend, Top-Talente zu rekrutieren, deren Ziel eine internationale Karriere ist. Das „HEINEKEN International Graduate Programme“ dient diesem Zweck. Nach einem anspruchsvollen Auswahlverfahren erhalten die TeilnehmerInnen die Chance, in eineinhalb Jahren auf drei „Assignments“ wichtige Erfahrungen weltweit zu sammeln. Universitätsabsolventen aus vielen Ländern, vor allem aus Europa, Amerika und im zunehmenden Maße aus Asien, schaffen es in dieses Programm. Internationale Karrierewege zu managen, bleibt eine große Herausforderung, insbesondere, aber nicht nur, bei Doppelkarrieren von Paaren. Arbeitsbeschränkungen in vielen Ländern machen es für den/die PartnerIn oft nicht leicht Fuß zu fassen. HEINEKEN versucht Partner von Expats durch ein „Partner Support Programme“ zu unterstützen. Da ist Kreativität gefragt, doch man sollte die mit Auslandsentsendungen verbundenen Belastungen der Familien und Partnerschaften nicht unterschätzen. Führungskultur beginnt an der Spitze Führungsverhalten muss vorgelebt werden. Der Praxistest entscheidet. Aber zugleich ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis für den künftigen Weg zu schaffen. HEINEKEN investierte in den letzten Jahren erhebliche Mittel in die Entwicklung eines einheitlichen Führungsverständnisses.

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Führung/Profession Dabei wurde darauf Wert gelegt, die wirklich heißen Themen anzusprechen und Führungskräften auch eine führende Rolle in der Erarbeitung der Lösungen zu geben. Vom Konzernvorstand und dessen Executive Team beginnend, nahmen alle globalen Leadership Teams der Fachbereiche und General Manager der Landesgesellschaften an Leadership Programmen teil, die in Zusammenarbeit mit der Harvard Business School, maßgeschneidert für HEINEKEN, entwickelt wurden. Der richtige Mix entscheidet

Unternehmen gibt es nicht. Ausgangspunkt wird die Strategie des jeweiligen Unternehmens, der angepeilte Wettbewerbsvorteil sein. In einer dynamischen Welt sind Lösungen zudem immer nur Zwischenlösungen, mit denen den derzeitigen und absehbaren Herausforderungen begegnet wird. Das Thema Leadership-Entwicklung bedarf daher der fortlaufenden Evaluierung und Nachschärfung. Es bleibt also spannend. Autor:

Dr. Kurt Herler studierte Rechtswissenschaften an der Universität Graz. Erfolgreiche Leadership-Entwicklung Nach einer Rechtsanwaltsausbildung bedarf eines Bündels abgestimmter wirkte er rund 30 Jahre in leitenden Maßnahmen, die konsequent umFunktionen im Rechtsbereich und gesetzt werden müssen. Einzelne, danach im Personalmanagement der isolierte Aktivitäten sind nicht zielBrauereiindustrie auf nationaler, führend. Ein Erfolgsrezept für alle internationaler und globaler Ebene (Steirerbrau AG, Brau Union Österreich, BBAG-Gruppe, HEINEKENKonzern). Zuletzt zeichnete Dr. Herler in der Konzernzentrale von Dr. HEINEKEN in Amsterdam für die Kurt Herler globalen Prozesse im Performanceund Talente-Ma-

nagement, sowie für Leadership- und Organisationsentwicklung, Veränderungsmanagement und MitarbeiterEngagement verantwortlich. Derzeit ist er als Unternehmensberater und Lektor für Fragen des Personalmanagements tätig. HEINEKEN in Zahlen: Position am Biermarkt: Nr. 1 in Europa, Nr. 3 weltweit Mehr als 160 Brauereien in 70 Ländern, rund 250 Biermarken. Heineken® ist in 179 Ländern erhältlich. Finanzkennzahlen des Gesamtkonzerns 2015: Umsatz: 20,5 Milliarden Euro Biervolumen: 188,3 Millionen Hektoliter Net profit (beia): rd. 2 Milliarden Euro MitarbeiterInnen: rd. 74.000 HEINEKEN in Österreich: Brau Union Österreich AG: 2.230 MitarbeiterInnen, Umsatz (2015): rd. 690 Mio. Euro Brauereien in Graz-Puntigam, Leoben-Göß, Schladming, Klagenfurt, Villach, Lienz, Kaltenhausen, Zipf, Wieselburg und Schwechat. Biermarken u.a.: Puntigamer, Gösser, Zipfer, Kaiser, Schwechater, Villacher, Reininghaus, Schladminger, Schleppe, Wieselburger, Edelweiß, Schlossgold, Heineken®, Desperados, Affligen

LEUTE/KÖPFE

Dipl.-Ing. Dr.techn. Bernd Schlegl Dipl.-Ing. Dr.techn. Bernd Schlegl ist bei A.T. Kearney in der Operations & Performance Transformations Practice tätig wo er Klienten bei Restrukturierungen und Reorganisationen sowie M&A- Projekten unterstützt. Zuvor war er im Mining Bereich der Semperit AG Holding im Global Operations für Transformationsprojekte in Europa und Asien verantwortlich. Von 2007 bis 2014 war Herr Schlegl in verschiedenen Funktionen für ANDRITZ Hydro tätig. Er promovierte in enger Kooperation mit ANDRITZ Hydro am Institut für Thermische Turbomaschinen und Maschinendynamik und ist Wirtschaftsingenieur der TU Graz.

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Interview

WINGbusiness Interview

Dipl.-Ing. Christoph Hinteregger Bereichsleiter Technik Doppelmayr Seilbahnen GmbH Wirtschaftsingenieur

Als Qualitäts-, Technologie- und Marktführer im Seilbahnbau realisierte Doppelmayr/Garaventa bis heute über 14.700 Seilbahnsysteme in Tourismusgebieten und im urbanen Personenverkehr. Das Unternehmen beschäftigt rund 2.700 Mitarbeiter und ist in 92 Ländern durch eigene Niederlassungen bzw. Partner vertreten. Herr Dipl.-Ing. Hinteregger, Sie sind nun über 15 Jahre in der Geschäftsleitung der Doppelmayr-Gruppe. Welche wirtschaftlichen Rahmenbedingungen finden Sie derzeit vor? Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für unser Unternehmen sind sehr gut. Vor allem in Europa erfolgt die Nachrüstung und Modernisierung der Anlagen in Frankreich, Schweiz, Österreich und auch in Deutschland. Gerade in Deutschland wird der Modernisierungsrückstau, der durch die Grünen in den 80er Jahren entstand, derzeit aufgelöst. Hat sich Ihr Marktumfeld in den letzten Jahren stark verändert? Ja. Einerseits haben wir zwei neue Mitbewerber aus der Schweiz und Frankreich im Kuppelbahngeschäft, welches das ertragreiche Geschäft ist, andererseits kommen ganz kräftige Lebenszeichen aus den Märkten Asien und Russland. Dazu entwickelte sich in Südamerika ein vollkommen neues Geschäftsfeld, „die Seilbahn in der Stadt“, z.B. in Venezuela, Kolumbien, Brasilien und Bolivien.

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Welche sind die wichtigsten Maßnahmen, die Sie im Unternehmen vorangetrieben haben? Hier möchte ich drei große Kategorien nennen: das Produkt Seilbahn, die Digitalisierung und die Mitarbeiterausbildung. Wir haben die Seilbahn immer leistungsfähiger, komfortabler, montagefreundlicher und kostengünstiger im Unterhalt gemacht. Im Zuge der Digitalisierung führte ich in den 80er Jahren das 2D-CAD System, in den 90er Jahren unser PPS-System und Anfang 2000 das 3D-CAD System ein. Wir arbeiten weltweit auf über 200 3D-CAD Seats mit einem einheitlichen CADSystem, dadurch können wir Techniker flexibel an unterschiedlichen Engineering-Standorten zum Kapazitätsausgleich einsetzen. Im seilbahntechnischen Bereich bilden wir unsere Mitarbeiter auch vertieft selber aus und geben ihnen nach ihrer Grundausbildung in Lehre, HTL, FH und TU das Rüstzeug für die Champions League. Gibt es technologische Treiber bzw. Meilensteine für Ihre Branche?

Der ganz große Meilenstein war sicher die kuppelbare Technologie. Mit ihr wird zum Einsteigen das Fahrzeug verzögert, mit geringerer Fahrgeschwindigkeit be- und entladen und dann wieder beschleunigt. Alles was diesem Prinzip zuspielt, ist in unserem Entwicklungsfokus. Wir haben mit der kuppelbaren Technologie angestammte Systeme wie z.B. Pendelbahnen zurückgedrängt. Der große Vorteil ist der kontinuierliche Transport. Der Gast muss nicht warten, denn wenn eine Kabine abgefahren ist, kommt in 15 Sekunden die nächste und es entsteht nie das Gefühl man hätte den Bus versäumt. Dieses Faktum ist auch wesentlich für die Seilbahn in der Stadt, mit der wir große Erfolge in den Ländern Südamerikas haben. Wie wird sich Ihr Unternehmen in den nächsten Jahren weiterentwickeln? Es wird im Produkt noch sehr viel mehr Elektronik und digitale Anwendungen geben, insbesondere zur Online-Überwachung des Betriebszustandes und des Verschleißes. Wir werden in der Stadt das Produkt noch stärker auf leisen Lauf und Umweltverträglichkeit

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Interview optimieren, auch bei der Förderleistung soll es Zuwachs geben. Ein großes Thema für die Weiterentwicklung ist auch das Kurvenfahren einer Seilbahn, vor allem für ihren Einsatz in der Stadt. Wird das Segment der urbanen Transportsysteme schneller wachsen als jenes im touristischen Bereich? Ja. Die Anwendung in der Stadt wächst derzeit sehr stark, aber auch die sommertouristische Anwendung entwickelt sich vor allem in Asien sehr gut. Ich nenne hier als Beispiel ein Projekt in Vietnam, wo wir die längste Bahn der Welt mit über 6 km Länge mit der höchsten Stütze von über 188 m fertiggestellt haben. Was sind Ihre Erfolgsrezepte im Management? Ein wesentliches Erfolgsrezept ist: Verlange nicht von deinen Mitarbeitern, was du selber nicht vorlebst. Der persönliche Einsatz und das Verfolgen bis ins Detail, damit das Produkt dem Kunden entspricht, sind entscheidend. Wir müssen das Kind, die Mama, den Vater, den Skilehrer happy machen, wenn sie in unseren Sesseln und Kabinen fahren. Daher heißt es, das Produkt selber testen, mit Skilehrern reden und vor allem mit Frauen, mit Müttern, das Gespräch suchen. Das Hinhören ist unabdingbar, um ein Pflichtenheft schrei-

ben zu können und schließlich die Freigabe für ein Produkt oder einen Bauteil geben zu können. Haben Sie persönliche Führungsgrundsätze? Für mich ist das Leben der Vorbildfunktion ein wichtiger Grundsatz und auch die zielorientierte Führung. Unsere Herausforderung ist es zwei Kunden zufrieden zu stellen. Wir müssen dem Betreiber eine kostengünstige Seilbahn liefern und dem Fahrgast Freude und Komfort bei der Nutzung unserer Seilbahn bereiten. Werden in Ihrem Unternehmen Wirtschaftsingenieure eingesetzt? Wir haben mehrere Wirtschaftsingenieure im Engineering, in der Logistik und auch im Kundendienst eingesetzt. Der Wirtschaftsingenieur ist ein optimaler Ausbildungstyp für unsere Anforderungen und hat sich stets bewährt. Auch unser Seniorchef Artur Doppelmayr ist ein Wirtschaftsingenieur und mein Nachfolger wird auch ein solcher sein. Welche Anforderungen stellen Sie an junge Wirtschaftsingenieure? Wichtig sind die technische Kompetenz, die Bereitschaft, sich mit dem Thema Seilbahn im Detail auseinander zu setzen, sowie das kostenmäßig wirtschaftliche Verständnis für jede

Handlung, die gesetzt wird, sei es in der Produktentwicklung oder in der Projektabwicklung am Berg und in der Stadt. Ebenso erwarte ich vom jungen Wirtschaftsingenieur Neugierde, Bereitschaft zu lernen und Flexibilität, sich auf verschiedene Situationen rasch einzustellen. Die Bereitschaft in den Exportmärkten aktiv zu sein setze ich voraus. Wie finden Sie Entspannung vom Beruf? Entspannung finde ich vor allem in meiner Familie, beim Sport und beim Spiel mit dem Saxophon und der Klarinette. Auch wenn Projekte in der Firma und in der Interessensvertretung erfolgreich umgesetzt worden sind, erfahre ich Entspannung und Genugtuung. Ich bekomme meinen Kopf wieder frei und die Batterie wird aufgeladen. Dipl.-Ing. Christoph Hinteregger, Wirtschaftsingenieur, 61 1975 - 1981 Studium Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau, TU Graz 1981 - heute Doppelmayr Seilbahnen GmbH 1981 Technischer Koordinator 1987 Prokura 1992 Bereichsleiter Technik 2001 Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung ab 1985 Funktionen in Industrieverbänden und Interessensvertretungen, 14 Jahre Arbeitgebervertreter in den Kollektivvertragsverhandlungen

Call for Papers Themenschwerpunkt: „Social Entrepreneurship“ in WINGbusiness 02/2017 Beschreibung: Dass erfolgreiches und nachhaltiges unternehmerisches Handeln auch wirkungsvolle Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen in Bereichen wie Umwelt, Bildung oder soziale Inklusion liefert, stellt „Social Entrepreneurship“ seit vielen Jahren eindrucksvoll unter Beweis. Immer mehr übernehmen auch moderne For-Profit Unternehmen gesellschaftliche Verantwor-

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tung und messen ihren Erfolg dabei nebst finanzieller Kenngrößen auch am gesellschaftlichen Nutzen. Dieses sozio-ökonomische Phänomen wird im Zentrum unsers WINGbusiness Heftes 2/2017 stehen. Wir laden Sie herzlich ein, Beiträge zu diesem Themenschwerpunkt einzureichen. Beiträge können entweder als Praxisbericht oder in Form eines wissenschaftlichen Papers mit Reviewverfahren (Ergebnisse des Reviews erhalten

Sie 4-8 Wochen nach Ende der Einreichfrist) übermittelt werden. Hinweise für AutorInnen: Autorenrichtlinien sind unter http:// www.wing-online.at/de/wingbusiness/medienfolder-anzeigenpreise/ abrufbar. Bitte senden Sie Ihre Beiträge als PDF-Datei an office@wing-online. at. Einreichfrist 30.03.2017

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Top-Thema

Fotos: Fotolia/Andritz Gruppe

Gerhard Steiner

Beschaffung ist nicht Shopping Eine persönliche Perspektive auf Herausforderungen an die Beschaffung im internationalen industriellen Umfeld Die Beschaffung in Industrieunternehmen wird – auch heute noch – in vielen Fällen unterschätzt. Man hat oft das Gefühl, dass der flapsige Spruch „Einkaufen kann jeder – Sie gehen doch auch gerne in Supermärkten shoppen?“ als Grundprinzip angewandt wird und damit die Rolle einer Einkaufsabteilung auf ein „Bestellschreibbüro“ reduziert wird, weil die relevanten Einkaufsentscheidungen anderswo getroffen werden. Es ist immer wieder überraschend, wie wenig Aufmerksamkeit der Beschaffung gegeben wird, obwohl – je nach Unternehmensstruktur – das Beschaffungsvolumen oft 50, 70 oder mehr Prozent des Umsatzes ausmacht. Dieser Beitrag stellt einen sehr persönlich-exemplarischen Überblick meiner über 20-jährigen Tätigkeit in der Beschaffung in verschiedenen Industrieunternehmen sowohl im Maschinen- und Anlagenbau, wie auch in der Automobilzulieferbranche dar. Fazit: „Beschaffung ist nicht Shopping“. Einleitung Die Entwicklung der Beschaffung kann nicht losgelöst von der allgemeinen Entwicklung in der industriellen Landschaft gesehen werden, natürlich haben die Veränderungen der letzten Jahrzehnte auch Auswirkungen auf die Anforderungen und Aufgaben der Beschaffung zur Folge gehabt. Als ersten Aspekt möchte ich beispielhaft den Trend zur Reduktion der Fertigungstiefe, Konzentration auf die Eigenproduktion der Kernkomponenten und der damit erforderlichen Fremdvergabe von Komponenten, aber auch Komplettaggregaten, das mittlerweile sehr gängige „Outsourcing“ ansprechen. Damit haben sich die Anforderungen an die Beschaffung als Organisation, aber vor allem an den

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Einkaufsmitarbeiter stark verändert. Stand früher die Versorgung der eigenen Fertigung mit Rohmaterialien, Hilfs- und Betriebsstoffen, meist von renommierten und bekannten Lieferanten aus dem engeren Umfeld im Vordergrund, wird nun die Lieferantensuche und -auditierung, Risikobetrachtung, Vertragsgestaltung und nicht zuletzt die Durchführung von Fortschrittskontrollen und Qualitätsabnahmen in den Mittelpunkt gerückt. Schon allein damit ergibt sich ein anderes Berufsbild des Einkäufers. „Nur“ Grundkenntnisse im kommerziellen Bereich, wie es früher oft ausreichend war, ist nun definitiv zu wenig. Es sind fundierte Kenntnisse in kommerziellrechtlichen Belangen, z.B. Vertragsrecht und ein gutes technischen Wissen und Verständnis gefragt. Ganz wesent-

lich für einen professionellen Einkäufer ist heutzutage jedenfalls unternehmerisches Geschick und Verständnis sowie dementsprechendes Handeln. Der zweite wesentliche Aspekt ist die Internationalisierung und Globalisierung der Beschaffung. Früher ist man gerne der „Kirchturm Strategie“ im klassischen Einkauf gefolgt – der Lieferant sollte so nahe im Umkreis angesiedelt sein, dass man seinen Betrieb vom eigenen Kirchturm aus noch sehen kann. Manche Stimmen behaupten, dass dies auch heute noch in manchen Unternehmen angewandt wird. Im Regelfall ist aber häufig mit dem Outsourcing die Forderung nach Nutzung der berühmten „Low Cost Countries“ parallel gegangen. Plötzlich waren Fremdsprachenkenntnisse (Anm. vor allem Englisch-Kenntnisse) gefragt

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Top-Thema und die Einkäufer sollten sich zudem in „fremdartigen Geschäftswelten“ sicher bewegen können. Dazu kam noch die Erwartung, dass eine Beschaffung z.B. in China die schnelle Lösung vieler Probleme bedeutet und sehr rasch große Kosteneinsparungen generiert. Diese Anforderungen haben viele „biedere“ Einkäufer der alten Schule überfordert, und somit wurde das Vorurteil bestätigt, dass der Einkauf wirklich nur zur Bestellschreibung fähig wäre. Der Leser / die Leserin dieses Beitrags mag sich jetzt denken, dass dies ein eher negativer Artikel über die Beschaffung ist und vielleicht etwas anderes erwartet haben. Keine Sorge – die professionelle Beschaffung auf der Höhe der heutigen Zeit fällt nicht unter den Tisch.

Anlagenbauunternehmen zu übernehmen. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich dieses „Ansinnen“ zunächst als geradezu absurd ablehnte, als Projektleiter konnte ich mich unter den „Bürokraten“ des Einkaufs überhaupt nicht vorstellen. Doch der Vorstand dieses Unternehmens gab nicht auf und konnte mich dann doch überzeugen, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich habe diese Entscheidung von damals, vor mehr als 20 Jahren, bis heute nicht bereut. Beschaffung ist nicht Shopping, sondern eine spannende, vielschichtige und auch fordernde Aufgabe! Das Unternehmen war damals gerade in der voranstehend beschriebenen Phase des Beginns des Outsourcings, dann ganz stark forcierend, da innerhalb relativ kurzer Zeit die gesamte

Warum industrielle Beschaffung nicht „Shopping“ ist… gezeigt an der persönlichen Berufslaufbahn

Eigenfertigung aufgegeben wurde. Der Einkauf war dafür kaum gerüstet: Organisation, Prozesse und auch Expertise der Einkäufer waren darauf nicht vorbereitet. So war die Organisation innerhalb der Abteilung strikt und eindimensional nach Materialien aufgeteilt; es gab dazu eine viele Seiten umfassende Aufstellung, die festlegte, welcher Einkäufer für welches Material zuständig war. Ich hatte es immer pointiert so kommentiert, dass ein Projektleiter genau prüfen müsste, ob er ein gehobeltes oder ein ungehobeltes Brett auf einer Baustelle benötigt, da hierfür verschiedene Einkäufer zuständig waren. Neben den hier notwendigen Änderungen in der Einkaufsorganisation war es mir ein besonderes Anliegen, das Verständnis für das unbedingt erforderliche bereichsübergreifende, unternehmerische Denken zu wecken. Das bisherige „Schrebergartendenken“ nur bis hin zum eng gesetzten Zaun des eigenen Aufgabenbereiches hatte keinen Platz mehr. In Abstimmung mit dem Vorstand hatten wir ein Projekt in Zypern als

Ich möchte die angesprochene Entwicklung der Beschaffung anhand meiner persönlichen Berufslaufbahn in diesem Bereich nachzeichnen, um den direkten Bezug zur unternehmerischen Situation und Praxis sicher zu stellen. Mein Einstieg in diese Disziplin war letztendlich für mich selbst überraschend. Nach meinem Studienabschluss und einigen „Lehrjahren“ in verschiedenen Aufgabenbereichen und auf Baustellen hatte ich klar mein Interesse an der Projektleitung im Anlagenbau erkannt und war darin für verschiedenste Projekte in verschiedenen Ländern Europas, aber auch in Russland und Indien durchaus erfolgreich tätig und war auch persönlich sehr zufrieden damit. Im Rahmen einer von mir geplanten Neuorientierung, allerdings eigentlich nur hinsichtlich meines Arbeitgebers, erhielt ich das Angebot, die Einkaufsleitung in einem

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Pilot für globale Beschaffung ausgewählt. Da wir von Kundenseite wenige Einschränkungen hatten, konnte der Projekteinkäufer im Zuge der Neueinführung seine eigenen Kollegen als Fachexperten sowie viele neue Lieferanten aus den verschiedensten Ländern einsetzen. Es waren Unternehmen aus USA, Australien, Indien, Israel, Polen, Bulgarien usw. beteiligt – eine sehr spannende Sache! Wir, aber auch unsere Lieferanten, mussten einiges für solche Zusammenarbeiten lernen; aber trotz einiger „Turbulenzen“ konnte das Projekt letztendlich positiv für unser Unternehmen abgewickelt werden. Ganz wesentlich war die massive, aktive Unterstützung des Vorstandes gegen die internen „Bedenkenträger“, die uns lange ein Scheitern dieser Strategie vorausgesagt hatten. Wie generell im Anlagenbau gibt es in der Beschaffung dazu kaum einmal Routine und Wiederholungen, jedes Projekt stellt seine eigenen Herausforderungen. Ein weiteres spannendes Projekt war die Lieferung einer Dampfkesselanlage in den südindischen Bundestaat Tamil Nadu. Hier waren wir mit einigen besonderen Parametern konfrontiert – ein recht hoher nachzuweisender indischer Lokalanteil, relativ kurze Lieferzeiten und ein herausforderndes Budget; und ganz wesentlich: die legislativen und steuerlichen Verhältnisse in Indien. So mussten wir zum Beispiel feststellen, dass die von uns als lokal vorgesehene Beschaffung mehrerer tausend Tonnen Stahlbau bei örtlicher Beschaffung in Tamil Nadu am teuersten gewesen wäre, da diverse lokale Steuern fällig gewesen wären. Besser wäre schon ein innerindischer Import aus West-Bengalen gewesen. Hier hätte es „Exportförderungen“ gegeben. Für uns die gesamtkostengünstigste Lösung war jedoch der Import aus China. Da unser Projekt als „wesentliches Projekt für die indische Energieversorgung“ eingestuft war, mussten wir hier weder Steuern noch Zölle entrichten. Der Kostenvorteil daraus war so hoch, dass wir unsere Projekt-Beschaffungsstrategie änderten und andere Bauteile lokal beschafften, um den Lokalanteil zu halten (Anm. Die aktuelle indische Regierung unter Ministerpräsident Modi hat eine Steuervereinheitlichung und die Einführung der Mehrwertsteuer als ein Hauptziel für Indien definiert und scheint auch auf einem guten Weg

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Top-Thema zu sein, diese Pläne in den nächsten Jahren verwirklichen zu können). Für mich ist das ein schönes Beispiel, dass eine Gesamtkostenbetrachtung (im Sinne von „TCO – Total Cost of Ownership“) auch unter Berücksichtigung von Steuern, Zöllen etc. unbedingt erforderlich ist, da man sonst leicht eine suboptimale bzw. schlichtweg falsche Lieferantenauswahl trifft. Noch etwas lernte ich persönlich bei diesem Projekt: Unser Vertrag hatte eine Lieferung „frei Baustelle“ vorgesehen. Um den Materialzulauf aus Europa, Asien und Amerika optimal abzuwickeln, wurde beschlossen – wie bei so einem Projekt üblich – einen Gesamt-Projektspediteur einzusetzen. Wir entschieden uns für ein renommiertes globales Unternehmen, dem wir alle Transporte – auch den Nachlauf ab dem Hafen Chennai – übertragen hatten. Dies geschah gegen den dringenden Rat unseres Resident Engineers, eines europäischen Kollegen, der viele Jahre in Indien zugebracht hatte. Er hatte uns für die Entladung und den Nachlauf unbedingt zur Beauftragung eines lokalen Unternehmens geraten, wir wollten hingegen keine Schnittstelle in der Verantwortungskette akzeptieren. Er hat recht behalten: unser globaler Kontraktor hatte kein lokales Büro in Chennai und entsandte einen – wahrscheinlich sehr guten – Experten aus Mumbai nach Tamil Nadu. Schon nach Ankunft der ersten Schiffe mit Stahlbau aus China erhielten wir massive Beschwerden von der Baustelle und dann auch vom Kunden hinsichtlich langer Liegezeiten der Schiffe im Hafen vor Entladung, Beschädigungen der Bauteile und verspätetes Eintreffen auf der Baustelle. Ein persönlicher Lokalaugenschein vor Ort brachte das Problem auf einen einfachen Nenner – der Experte aus Mumbai konnte sich nicht in der lokalen Sprache Tamilisch verständlich machen, Hindi ist in Südindien „sehr unbeliebt“ und anscheinend wollten die Vertreter der Hafenbehörde und sonstigen beteiligten Ämter nicht in Englisch mit einem Inder kommunizieren. Der Wechsel zu einem lokalen Unternehmen für Entladung und Nachlauf löste schlagartig alle diese Probleme. Für mich ist dies die klare Lehre, dass man die lokale Expertise unbedingt auch berücksichtigen muss. Man kann daraus gut erken-

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nen, dass die Herausforderungen in der Beschaffung in einem globalen Umfeld sehr vielschichtig und herausfordernd sind und dass es dazu entsprechend geeigneter Mitarbeiter in diesem Bereich bedarf. Unter anderem muss man offen für andere Geschäftskulturen sein, Verständnis für andere Zugänge in anderen Ländern haben und immer insofern unternehmerisch denken, dass eine Lieferantenbeziehung im Regelfall etwas Längerfristiges sein soll, da man, speziell im Projektgeschäft während einer Auftragsabwicklung, sicher auch auf ein Entgegenkommen des Lieferanten angewiesen sein wird. Dieses Entgegenkommen kann man aber nicht erwarten, wenn man zum Beispiel bei der Vergabe unfair zum Lieferanten war. Zu dieser Zeit war der „Lopez Effekt“ noch positiv besetzt. Jose Ignacio Lopez war, seit 1987 bei General Motors - GM / Opel und von 1993 bis 1996 bei Volkswagen, mit seinem Team (Anm. von ihm „Krieger“ genannt) berüchtigt für seinen extrem harten, kompromisslosen Zugang zu Lieferanten, was ihm den schönen Beinamen „der Würger von Wolfsburg“ einbrachte. Damals war zunächst nur die vermeintlich positive Seite seines Wirkens (oder besser „Wütens“) erkennbar: nämlich Preisnachlässe der Lieferanten im erzwungenen zweistelligen Prozentbereich, die sich kurzfristig in entsprechenden Kostenvorteilen für die OEMs darstellten. Neben seinem dubiosen Wechsel von Opel zu Volkswagen kamen dann auch recht schnell die langfristigen Folgen dieses Preisdrucks zu Tage – extreme Qualitätsprobleme sowohl bei Opel wie später auch bei Volkswagen. Die Zulieferer mussten unter diesem Druck von Herrn Lopez Einsparungsmaßnahmen setzen, die letztendlich zu Lasten der Qualität gingen.

Für mich ergab sich einige Zeit danach die Möglichkeit, die Leitung des strategischen Einkaufs einer mittelständischen Automobilzulieferer-Gruppe zu übernehmen. Was mich einfach interessierte, war, ob die Automobilisten wirklich so viel besser beschaffen könnten. Einerseits tat sich für mich in der Serienfertigung wirklich eine andere Beschaffungswelt auf: das Feilschen um 10 Cent-Beträge bei den Kosten (allerdings stückzahlgetrieben hunderttausend oder millionenfach wirksam pro Jahr) oder der ständige Lieferdruck durch die durchgängigen Just-in-Time - Lieferketten, in die natürlich auch unsere Zulieferer eingebunden waren. Auch die Lieferantenbeziehung lernte ich anders kennen: bei manchen Kunden, vor allem den OEMs aus Bayern, mit kurzen Worten zu beschreiben: hart, aber weitgehend fair und auf Langfristigkeit ausgelegt. Andere Kunden waren noch eher in der „LopezSchiene“ und man hatte ständig mit deren preismäßigen „Würgeversuchen“ und auch teilweise – aus meiner Sicht – unfairen Geschäftsgebarungen zu kämpfen. Positiv habe ich hieraus den Ansatz der langfristigen Kunden-Lieferantenbeziehungen mitgenommen. Dies ist gerade in der Automobilindustrie essentiell. Hier beträgt der Anteil der Zulieferer bis zu 80%. Gemeinsame Entwicklungen im Vorserienstadium sind die Regel und auch die kontinuierliche Weiterentwicklung zur Kostenaber auch Qualitätsoptimierung während der laufenden Serien ist Standard. Ein kluger Kunde achtet aber dabei immer darauf, dass ein guter Lieferant die Möglichkeit hat einen vernünftigen Profit aus dem Geschäft zu ziehen, da er sonst keinen finanziellen Spielraum für Investitionen, Weiterentwicklungen etc. hat und somit zumindest mittelfristig wahrscheinlich als bevorzugter Lieferant ausfallen wird.

Die Folgen dieses Qualitätsabsturzes hatten und haben lange Zeit Nachwirkungen z.B. auf das Image der Marke Opel gehabt. „Seinerzeit“ wurden diese Praktiken in der Autoindustrie – und vor allem die Preissenkungen der Zulieferer – den Einkäufern im Maschinen- und Anlagenbau immer wieder irgendwie mit dem bestimmten Hinweis vorgehalten, dass diese Einkaufsabteilungen offensichtlich einfach professioneller und effizienter arbeiten würden.

Andererseits hatte ich doch Analogien zu meiner vorherigen Einkaufstätigkeit in der Maschinen- und Anlagenbranche gefunden. Der Hauptunternehmensbereich produzierte Druckgusskomponenten. Die dazu benötigten Maschinen wurden seit Jahren auf Basis eines sehr einfach gehaltenen, zwei oder dreiseitigen Rahmenvertrags, in dem vor allem ein fixer Rabattsatz auf die jeweils aktuell gültige Preisliste festgeschrieben war, beschafft. Gegen

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Top-Thema den Widerstand des Werksleiters wurde ich vom CEO beauftragt, mich des Themas anzunehmen. In Zusammenarbeit mit einem aufgeschlossenen Techniker aus der Produktion erstellten wir ein Lastenheft und holten Angebote von renommierten, ohnehin nur europäischen Herstellern, ein. In der Anfrage war auch für uns wesentlich, dass bessere Zahlungskonditionen, Pflichten zum Vorhalt von Ersatzteilen beim Lieferanten etc. enthalten sind. Nach Reihung und erster Durchsprache der Angebote lag unser bis dato bevorzugter Lieferant mit weitem Abstand nur im Mittelfeld der Anbieter, was ihm auch kommuniziert wurde. Daraufhin wurde ich zu meinem CEO gerufen, der mich mit den Worten begrüßte: „Unser Hauptlieferant hat sich bei mir über Sie beschwert…“ – bedeutungsvolle Pause und Nachsatz: „Ich gratuliere Ihnen dazu!“ Letztendlich gelang es, den bisherigen, von der Produktion stark präferierten Hersteller auf die ebenfalls verhandelten Preise und Konditionen des Bestbieters zu bringen, jedoch mit einem Kostenvorteil für das Unternehmen im zweistelligen Prozentbereich. Die ganz einfache Lehre daraus: Erfolg im Einkauf kommt vor allem durch Konkurrenz unter den Lieferanten, weswegen auch eine vorzeitige Kommunikation von Präferenzen an potentielle Lieferanten zum Beispiel aus der Technik sehr schädlich für den Einkaufserfolg sein kann. Welche Herausforderungen werden sich der Beschaffung und ihren Mitarbeitern in Zukunft stellen? Die „Digitalisierung“ und das „Internet of Things“ bzw. „Industrie 4.0“ ist in aller Munde. Natürlich betrifft das auch unsere Disziplin. Abgesehen von den vermehrten technischen Möglichkeiten der Analyse, Informationsbeschaffung und -übermittlung, automatisierten Abläufen etc. sehe ich die große Herausforderung in der Gestaltung von durchgängigen Prozessen

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und deren Vernetzung in der Supply Chain. So ist es für ein „Smart Service“ z.B. notwendig, bereits in der Engineering Phase der Maschine die Erfordernisse dafür zu berücksichtigen, Datentransparenz und -nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, exakte Definitionen zur automatisierten Ersatzteilbeschaffung bereitzustellen, für den Einkauf auch die Beschäftigung mit Modellen für die Ersatzteilvorhaltung vorzusehen, vordefinierte „Emergency Supply Chains“ zu etablieren. Auf Basis meiner beruflichen Erfahrungen im industriellen Einkauf bildet die Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur mit dem dualen Fokus auf Technik und Wirtschaft die ideale Voraussetzung, um im Bereich des Einkaufs/der Beschaffung/des Supply Managements eine erfolgreiche Karriere als „Procurement Engineer“ zu starten und langfristig die persönliche „Employability“ sicherzustellen. Wünschenswert wäre somit aus persönlicher Sicht und aus Sicht der Unternehmenspraxis ein eigener (internationaler) Master-Regelstudiengang an einer der renommierten technischen Universitäten in Österreich, der sich gezielt u.a. mit Tools und Strategien im modernen Supply Management beschäftigt. Autor: Dipl.-Ing. Gerhard Steiner Leitet seit 2013 die Querschnittsfunktion „Group Procurement Management“ der ANDRITZ Gruppe. Zuvor war er im ANDRITZ Geschäftsbereich HYDRO 6 Jahre lang ebenfalls Leiter der Gruppenfunktion „Global Procurement & Logistics“. Nach dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens / Maschinenbau an der

Dipl.-Ing. Gerhard Steiner Group Procurement Management der ANDRITZ Gruppe

TU Graz war er zunächst insgesamt 20 Jahre im Maschinen- und Anlagenbau in verschiedenen Funktionen und Unternehmen weltweit tätig – Schwerpunkte waren ein 3-jähriger Auslandsaufenthalt als Inbetriebnahmeleiter & Resident Engineer in Abu Dhabi / UAE und danach etwa 10 Jahre als Projektleiter für verschiedene Industrieanlagen in Europa, Russland und Indien. 1996 erfolgte der Wechsel in den Bereich Beschaffung im Maschinenund Anlagenbau, gefolgt von einer ca. 6-jährigen Tätigkeit als Leiter des strategischen Einkaufs in einer mittelständischen, zentraleuropäischen Automobilzulieferergruppe, bzw. als Geschäftsführer eines Tochterunternehmens dieser Gruppe. 2007 folgt die Rückkehr in den Maschinen- und Anlagenbau und der Wechsel in die ANDRITZ Gruppe. Die ANDRITZ-GRUPPE ANDRITZ ist einer der weltweit führenden Lieferanten von Anlagen, Ausrüstungen und Serviceleistungen für Wasserkraftwerke, die Zellstoff- und Papierindustrie, die metallverarbeitende Industrie und Stahlindustrie sowie die kommunale und industrielle Fest-Flüssig-Trennung. Der Hauptsitz des börsennotierten Technologiekonzerns, der weltweit rund 25.500 Mitarbeiter beschäftigt, befindet sich in Graz, Österreich. ANDRITZ betreibt mehr als 250 Standorte weltweit.

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Top-Thema

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Holger Schiele

Industrie 4.0 in der Beschaffung Zwischenbetriebliche Maschine-zu-Maschine Kommunikation in cyberphysikalischen Systemen Auch die Beschaffung muss die vierte industriellen Revolution (Industrie 4.0) mitgestalten, die getrieben ist durch die Kombination aus (1.) Maschine-zu-Maschine Kommunikation in (2.) cyber-physikalischen Systemen, also solchen, die die physikalische Welt mit der digitalen Datenwelt verknüpfen. Für den Einkauf lassen sich mindestens zwei I4.0 Szenarien ableiten: locker gekoppelte Systeme (autonomer Abruf von Materialien) und eng gekoppelte Systeme (Revival elektronischer Märkte mit autonomen Verhandlungen zwischen mehreren Anbietern). Eine Roadmap zur Entwicklung solcher Systeme kann vorgeschlagen werden, deren Kernstück autonome Verhandlungen sind.

Vier industrielle Revolutionen: Auf die Veränderung des Produktionssystems kommt es an Wohl bekannt ist die erste industrielle Revolution, die Mitte des 18. Jahrhunderts die Weichen der Weltentwicklung neu stellte. Durch die kohlengetriebene Dampfmaschine wurde es erstmalig möglich, in großem Umfang auf fossile Brennstoffe zurückzugreifen und diese in nutzbare Energie umzuwandeln. Die Folgen sind bekannt: durch umfangreiche Industrialisierung stieg der Lebensstandard sukzessive an. Das Kohlezeitalter brach an. Allerdings gab es auch bald Warnungen, z.B. vom später aus anderen Gründen bekannt gewordenen Ökonomen Jevons, dass die Kohle ausgehen würde. Er prophezeite vor gut hundert Jahren, dass die Wirtschaft

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Englands aufgrund von Kohleknappheit vor einem Kollaps stünde. Dass dieser Kollaps nicht eingetreten ist, ist nicht nur seiner Fehleinschätzung bezüglich des Umfangs der Kohlevorräte zu verdanken, sondern auch dem Phänomen, das man heute als „zweite Industrielle“ Revolution bezeichnet. In der zweiten industriellen Revolution wurde um die Jahrhundertwende die Dampfmaschine als zentrale Kraftquelle durch den Elektromotor ersetzt und weitere Primärenergieträger erschlossen. Das weitaus Bedeutendere: die alleinige Ersetzung der einen Kraftquelle durch eine andere führte noch nicht zu durchschlagenden Produktivitätssteigerungen. Diese traten erst dann ein, als man erkannte, dass die Produktionsweise geändert werden konnte. Ein Fabriklayout einer dampfgetriebenen Fertigung musste den Prinzipien der

Kraftübertragung folgen. Durch den Elektromotor war es aber nun möglich geworden, genau da eine Kraftquelle in der benötigten Stärke zu haben, wo sie vom Produktionsablauf her erforderlich war. Dadurch wurde die Fließbandproduktion möglich, die dann die eigentliche Produktivitätsrevolution darstellte. War für die erste industrielle Revolution die Dampfmaschine verantwortlich und für die zweite der Elektromotor, so gelten die Leiterplatte und der Mikroprozessor als Motoren der dritten industriellen Revolution. Kennzeichen der dritten industriellen Revolution sind Automatisierung und Digitalisierung. Durch effiziente Robotik wurde es möglich, die Produktionsleistung zu steigern, ohne proportional mehr Fertigungsmitarbeiter zu beschäftigen. Ferner ermöglichte gerade die Digitali-

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Top-Thema sierung, z.B. in Form der Einführung von Ressourcenplanungssoftware wie SAP, Produktivitätsgewinne auch im Verwaltungsbereich zu erzielen. Entscheidendes Merkmal der aufeinanderfolgenden industriellen Revolutionen ist, dass sie jeweils durch eine technologische Veränderung gestartet wurden, aber insbesondere mit einer Veränderung des Produktionssystems einher gingen (Vgl. Schuh, Potente, Varandani, Hausberg, & Fränken, 2014). Die Frage, ob die vierte industrielle Veränderung eine Revolution wird oder doch eher eine Evolution im Sinne einer graduellen Weiterentwicklung der dritten industriellen Revolution („Digitalisierung“), wird demnach genau mit der Frage beantwortet werden, ob ebenfalls eine grundlegende Veränderung der Produktionssysteme damit anheim geht. Wenn man bedenkt, dass bei einem typischen Industrieunternehmen in Mitteleuropa etwa 2/3 seines Umsatzes direkt an die Lieferanten geht und der Anteil der Produktionskosten oft kaum über 10 % hinaus reicht, wird klar, dass Industrie 4.0 nicht allein in der Fertigungshalle entscheiden wird, sondern vor allem entlang der Wertschöpfungskette.

Industrie 4.0: Maschine-zu-Maschine Kommunikation in cyber-physikalischen Systemen Was nun ist die postulierte vierte industrielle Revolution? Der Unterschied zwischen der dritten und der vierten industriellen Revolution ist nicht in der Digitalisierung zu sehen

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– die Merkmal der dritten Revolution ist – sondern in den zwei wesentlichen neuen Merkmalen bzw. Schrittmachertechnologien: a) Maschine-zu-Maschine Kommunikation und b) cyberphysikalische Systeme. Der zuweilen auch benutzte Begriff „internet of things“ scheint im Zusammenhang mit I4.0 eher fehlleitend zu sein, wenn man eine Wertschöpfungskettenperspektive einnimmt. Der dazu notwendige zwischenbetriebliche Austausch sensibler Daten wird kaum über das weitgehend offene Internet erfolgen, sondern in sicheren Verbindungen. Die neuen Technologien der vierten industriellen Revolution erlauben es, Geräte und Bauteile / Komponenten untereinander sowie mit Nutzern zu vernetzen. Dadurch wird angestrebt, dass die Elemente sich untereinander austauschen und sich autonom optimieren, ohne dass dazu ein zentraler menschlicher Planer nötig wäre. Betrachtet man mögliche Ausprägungen der vierten industriellen Revolution auf den Bereich des Einkaufs, so kristallisieren sich zwei denkbare Szenarien heraus, die wir im Rahmen einer Reihe von Workshops mit Einkäufern entwickelt haben. Die Szenari-

neue Lieferanten gesucht und Angebote automatisch verhandelt werden.

Quelle: Wikipedia, h&z

Szenario 2: Locker gekoppelte Systeme (Rückkehr elektronischer Marktplätze durch Cybernegotiation)

en können als eng bzw. lose gekoppelte Systeme charakterisiert werden. Bei den eng gekoppelten Systemen erfolgt die Maschine-zu-Maschine Kommunikation im Wesentlichen entlang zuvor bestimmter Pfade innerhalb fester Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Bei den lose gekoppelten Systemen, hingegen, geht es gerade darum, dass jeweils

Szenario 1: Eng gekoppelte Systeme (verbundene elektronische Kataloge) Im Rahmen eng gekoppelter Systeme kann man sich Anwendungen wie selbst auffüllende Schränke vorstellen, die per Sensorik erkennen, dass die jeweilige Befüllung zur Neige geht und die dann selbständig Nachschub ordern und geliefert bekommen – ohne unmittelbarer menschlicher Intervention, z.B. Medizinschränke, Büromaterialdepots in der Verwaltung, aber auch Verbrauchsgüter im Produktionsbereich (beispielsweise statt Kanban-Systemen). Das cyber-physische Element kommt an zwei Stellen zum Tragen: zunächst bei der Bedarfsgenerierung. In der dritten industriellen Revolution gab es noch die Notwendigkeit, dass ein Mitarbeiter den Füllstand des jeweiligen Materials prüfen musste, um dann vielleicht aus einem elektronischen Katalog Nachschub zu bestellen. Im Szenario 1 erfolgt die Bedarfserfassung und die Bestell- bzw. Abrufgenerierung automatisch. Die Identifikation des Bedarfs ist eine physische Aktion, die Erstellung einer Bestellung und deren Weitergabe an den vordefinierten Lieferanten ist eine cyber-Aufgabe im Rahmen einer Maschine-zu-Maschine Kommunikation. Somit haben wir es mit cyber-physikalischen Systemen mit Maschine-zu-Maschine Kommunikation zu tun, also einer typischen I4.0 Anwendung. Der zweite Punkt, wo der cyber-physikalische Charakter deutlich wird, ist in der Auslieferung zu sehen, die durch Roboter erfolgen könnte, z.B. in Form autonom fahrender Verkehrsträger zwischen Unternehmen und automated guided vehicles (AGV) innerbetrieblich, also autonom verkehrenden Staplern.

Das locker gekoppelte System kennzeichnet sich im Gegensatz zu den eng gekoppelten Systemen dadurch, dass zum Zeitpunkt der Angebotsanforderung noch kein Lieferant ausgewählt ist, dieser also noch gesucht werden muss und auch die Preise und

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Top-Thema Katalog hinterlegter Teile, sondern um den Einbezug neuer Teile oder solcher, die jeweils unterschiedliche Parameter umfassen, wie etwa die zu unterschiedlichen Zielen gehenden Transporte. Roadmap 4.0: Von bestehenden Katalogsystemen schrittweise zu Verhandlungsavataren

Quelle: Schiele; AGV = Automated guided vehicle

Konditionen noch verhandelt werden müssen. Hier könnte die Idee der elektronischen Marktplätze, die während der ersten „dot.com“ Krise fast alle scheiterten, eine Wiedergeburt finden. Auf elektronischen Marktplätzen bieten verschiedene Lieferanten ihre Waren an; üblicherweise indem sie ihre Kataloge hochluden. Gegenüber einem Papierkatalog waren die Vorteile aber meist zu gering, als dass sich das Modell breit durchgesetzt hätte. Wenn nun eine Maschine-zu-Maschine Kommunikation hinzu kommt, dann könnte die Anzahl der überprüften Optionen signifikant steigen; mit einer elektronischen Verhandlung, schließlich, wird mehr als nur ein einfacher Katalogpreisvergleich hinzu kommen. Erste denkbare Beispiele könnten etwa Marktplätze für Transportdienstleistungen sein. Es handelt sich um ein relativ gut beschreibbares Gut in einem polypolistischen Markt, wo aufgrund unterschiedlicher Kapazitätsauslastungen ständig neue Angebote entstehen. Dennoch wird gegenwärtig häufig mit Rahmenverträgen gearbeitet, just weil es nicht möglich ist mit menschlichen Einkäufern für jeden einzelnen Transportauftrag eine optimale Lösung zu suchen. Elektronische Verhandlungsavatare hingegen könnten jährlich hunderte und tausende Such- und Verhandlungsprozesse durchführen. Somit könnten wie im Beispiel der Transportdienstleistung business cases vorliegen, die ein I4.0 Anwendung fordern.

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Die Idee hierbei ist folgende: Das kaufende Unternehmen generiert automatisch eine Nachfrage, die auf einem Marktplatz mit potenziellen Anbietern gematcht wird. Nun könnte von dort ein mögliches Angebot kommen, das der Einkäufer prüfen würde. Damit wären wir aber noch in der dritten industriellen Revolution. I4.0 erfordert nun aber definitionsgemäß die Maschinezu-Maschine Kommunikation. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Verhandlungsprozess und Auswahlprozess elektronisch erfolgen muss, durch Cybernegotiation. Eine „Cybernegotiation“ erfordert, dass für eine elektronische Verhandlung die Präferenzen bezüglich einzelner Verhandlungsparamenter vorab definiert sein müssen. Sodann muss es einen iterativen Algorithmus geben, der die einzelnen Parameter aufgreift, miteinander vergleicht und wertend verdichtet und dann – das ist die besondere Herausforderung – gemäß einer vorab definierten Verhandlungsstrategie in Interaktion mit den Anbietern das bestmögliche Nutzenergebnis erzielt. Um das Szenario locker gekoppelter Systeme wahr werden zu lassen, gilt es also, als Schlüsseltechnologie „virtuelle Verhandlungen“ zu realisieren. Dann wird es möglich sein, dass sich als I4.0 Applikation Maschinen selbständig die benötigten Komponenten zu bestmöglichen Preisen besorgen. Anders als im Szenario eng gekoppelter Systeme geht es dabei nicht nur um den Abruf zuvor verhandelter und in einem

Es bleibt festzuhalten, dass uns die strikte Anwendung der Definition von I4.0 als Maschine-zu-Maschine Kommunikation in cyber-physikalischen Systemen ertüchtigt, unterschiedliche Szenarien für die Beschaffung zu entwickeln. Abschließend bleibt die Frage, wie wir von der Gegenwart in Richtung eines der beiden eng oder locker gekoppelten Szenarien oder gar beider gelangen? Dieser Weg ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie man zunächst annehmen möchte. Als Ausgangspunkt für eine I4.0 Roadmap im Einkauf dienen bestehende eProcurement-Katalogsysteme. Innerhalb dieser sind verschiedene Lieferanteneinbindungsmodelle bereits realisiert, darunter die Punchout Kataloge, bei denen der Käufer auf den Katalog des Lieferanten geleitet wird. Sodann der klassische inhouseKatalog, wo die verhandelten Lieferantenangebote in das System des Kunden geladen werden. Eine weitere Spielart sind parametrische Kataloge, die es z.B. im Dienstleistungseinkauf erlauben, bestimmte Produkteigenschaften zu definieren, beispielsweise die Anzahl der zu leistenden Stunden und das Qualifikationsniveau des entsprechenden Mitarbeiters, dessen Stundensatz dann verhandelt hinterlegt ist. Die Parametrisierung ist bereits ein erster Schritt in Richtung der oben beschriebenen mehrdimensionalen Verhandlung. Schließlich wird als nächster Entwicklungsschritt die Möglichkeit implementiert, dass ein Nutzer im Rahmen eines Sourcingvorgangs mehrere Angebote zur Auswahl erhält. Von dort aus sind noch zwei Schritte zu realisieren: erstens, das Auswahlverfahren für die Angebote, die eben über nicht schon verhandelte Katalogware hinausgehen muss. Und zweitens deren elektronische Verhandlung. Damit ist aber ein Pfad vorgegeben, an dessen Ende nicht nur die operative Abwicklung, sondern auch die Bedarfsgenerierung und die Verhandlung elektronisch er-

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Top-Thema folgen. Nach dieser Roadmapvorstellung baut I4.0 im Einkauf sukzessive auf bestehenden Systemen auf. Dies bedeutet für Unternehmen, dass sie zunächst ihre „Hausaufgaben“ der dritten Revolution machen müssen (Digitalisierung). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu entwickeln sind insbesondere die cyber-physikalischen Systeme zur automatischen Bedarfsgenerierung, also Beispielsweise „smart bins“; Behälter die ihren Füllstand erkennen und über einen Abruf für Nachschub den Weg aus der physikalischen in die cyberWelt vollziehen (Szenario 1). Die zweite große Herausforderung liegt in der elektronischen Verhandlung (Szenario 2). Hierzu sind einerseits Algorithmen zu entwickeln, die auf Veränderungen des Angebots der anderen Verhandlungsseite reagieren und ihrerseits neue Vorschläge erbringen. Diese Verhandlungssysteme müssen mit menschlichen Verhandlungsergebnissen kalibriert werden, um beherrschbar zu bleiben und vorhersehbare Ergebnisse zu liefern. Verhandlungsavatare könnten das Handwerkszeug des Einkäufers der Zukunft werden, insbesondere dann, wenn sie nicht nur für die Verhandlung von relativ standardisierten C-Teilen eingesetzt werden, sondern auch in komplexeren Beschaffungsvorgängen unterstützen. Als dritte und ergänzende größere Herausforderung, um den in der obigen Abbildung beschriebenen cyber-physikalischen Kreislauf in der Beschaffung zu schließen, wäre schließlich die automatisierte Verteilung der bestellten Güter zu sehen. Diese drei Schritte können parallel entwickelt werden. Implikationen: Veränderte Rolle des strategischen Einkäufers als Verhandlungsavatarprogrammierer Findet die skizzierten Entwicklung so oder ähnlich statt, ist eine Veränderung in den Rollenanforderungen für Einkäufer zu erwarten. Dworschak und Zaiser (2014) unterscheiden zwischen „CPS [cyber-physical systems] guides skilled workers“ und umgekehrt „skilled workers guide the CPS“. Es geht also um die Frage, wer die Führungsrolle im Prozess übernimmt. Auf Basis der oben entwickelten Szenarien wohnt folgendem Modell Plausibilität inne: Operative Aufgaben, nament-

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lich im C-Teile Bereich, also bei ge r i n g we r t igen üblicherweise relativ standardisierter Materialien und Dienste, werden durch weitgehend autonom agierende cyber-physikalische Systeme erledigt. Der schon im Rahmen der Digitalisierung in der dritten industriellen Revolution begonnene Weg der Substitution von Arbeit (Bestellsachbearbeiter) durch Kapital (Maschinen) würde sich danach weiter fortsetzen. Durch mit neuen elektronischen Marktplätzen verbundenen Such- und Verhandlungsalgorithmen könnte der automatisierte Bereich weiter als die aktuellen Katalogwaren hinaus ausgedehnt werden. Betrachten wir nun den Bereich komplexerer sourcing-Vorgänge, so lohnt ein Blick auf das Vorgehen bei heutigen Einkaufsprozessen. Ein Großteil der Arbeit des Einkäufers liegt darin, für komplexere Beschaffungsgüter (1.) geeignete Lieferanten zu identifizieren, (2.) von diesen Angebote einzuholen, (3.) die diversen Angebote im Rahmen eines umfangreichen Abstimmungsprozesses entlang zahlreicher Parameter wie Qualität, Lieferbedingungen, Zahlungsmodellen, Garantien usw. zu homogenisieren, so dass (4.) am Ende mit einer kleinen Anzahl an Lieferanten eine Verhandlung primär um den Preis stattfinden kann. Die arbeitsintensiven Schritte 1 bis 3 werden durch die oben skizzierten System nur teilweise tangiert. Eine große Veränderung könnte jedoch im Schritt 4 stattfinden, der eigentlichen Verhandlung. Hier könnten elektronische Verhandlungen zum Einsatz kommen, die in hunderten von Iterationsschritten stattfinden, die menschliche Verhandler aus Zeit- (und Nerven-) Gründen nicht realisieren vermögen. Dadurch wird es möglich, viel mehr Parameter als bislang zu vergleichen und aus mehreren komplexen Angebotsbündel nicht wie bisher einen Kompromiss zu finden, sondern ein Optimum zu erreichen. Auch hier liegt also ein business case vor, weil für alle beteiligte Parteien bessere Lösungen gefunden werden kön-

Prof. Dr. habil. Holger Schiele Universität Twente in Enschede (NL) nen. Die neue Aufgabe des Einkäufers (und analog des Verkäufers) würde in einem solchen System darin bestehen, seinen Verhandlungsavatar so zu programmieren, dass er einerseits die eigenen, vorab klar zu definierenden Präferenzen kennt und andererseits eine vorgegebene Verhandlungstaktik folgt. Der strategische Einkäufer wird demnach also einen anderen Schwerpunkt haben und neue Kompetenzen brauchen, z.B. spieletheoretischer Natur, um seine Verhandlungsmaschinen benutzen zu können. Anders als der operative Besteller würde sich seine Rolle jedoch nur verändern, nicht verschwinden. Auf diese Weise leistet die Beschaffung einen Beitrag zur Umsetzung der vierten industriellen Revolution. Referenzen: Dworschak, B., & Zaiser, H. (2014). Competences for cyber-physical systems in manufacturing–first findings and scenarios. Procedia CIRP, 25, 345350. Schuh, G., Potente, T., Varandani, R., Hausberg, C., & Fränken, B. (2014). Collaboration moves productivity to the next level. Procedia CIRP, 17, 3-8. Autor: Prof. Dr. habil. Holger Schiele ist Inhaber des Lehrstuhls für Technologiemanagement – Innovation in Einkauf, Produktion und Logistik an der Universität Twente in Enschede (NL). Twente ist eine der wenigen Universitäten, die sowohl im Bachelor als auch im Master ein Vertiefungsfach „Einkauf“ anbieten. Prof. Schiele ist einer der meistpubliziertesten Wissenschaftler seines Fachgebiets, der Praxis jedoch gleichsam eng verbunden, da er 10 Jahre in Industrie (Preussag AG) und Beratung (h&z) tätig war.

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Top-Thema

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Martin Marchner

Steigerung der Kundenattraktivität bei der Beschaffung knapper Rohstoffe Unternehmen sind von unterschiedlichen Ressourcen abhängig, um ihrem Unternehmenszweck nachzukommen. Zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verhelfen jedoch nicht alle Ressourcen, lediglich strategisch wichtige sind dafür verantwortlich. Die Rohstoffbeschaffung wird allerdings dann kritisch, wenn Unternehmen auf einem von Knappheit geprägten Beschaffungsmarkt zu Konkurrenten werden. Zweifellos genießt der einen Wettbewerbsvorteil, dem es gelingt, einen privilegierten Zugang zu seinen Lieferanten zu finden. Die Eigenschaften, die eine Ressource besitzen muss, um für ein Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, definiert BARNEY als wertvoll, einzigartig, nicht imitierbar und nicht substituierbar (BARNEY, 1991). Immer mehr Unternehmen sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, den Bedarf an strategisch relevanten Ressourcen zu decken. Gelegentlich weist Ressourcenknappheit allerdings auch positive Effekte auf, wie eine Studie der Unternehmensberatung KPMG zeigt. Demnach versucht ein Großteil der befragten Unternehmen, der mit Ressourcenknappheit konfrontiert ist, diese durch Neuentwicklungen zu substituieren (KPMG, 2012). In diesem Fall wird Ressourcenknappheit zum Innovationstreiber (BAUER, 2008). Diese substituierbaren Ressourcen werden aber im Zusammenhang mit den vier Eigenschaften von BARNEY bewusst ausgeklammert. Ein Beispiel für eine strategische Ressource ist der Rohstoff Holz für die Holzindustrie. Die Sägeindustrie, als eine Teilbranche der

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Holzindustrie, ist von der Versorgung mit ausreichend Rundholz abhängig, um ihrem Unternehmenszweck, der Herstellung von Halbfertigprodukten, wie Bretter, Latten, Pfosten, etc., nachzukommen. Die Holzindustrie verarbeitet diese weiter zu Fertigprodukten, wie Fenstern, Parkettböden, Platten, etc. Diesem Industriezweig ist es nicht möglich, auf einen anderen Rohstoff umzusteigen. Die Holzindustrie ist, gemessen an der Beschäftigtenanzahl, der größte Industriesektor in der Steiermark. Aufgrund zahlreicher Wirbelstürme in den Jahren 2006 bis 2008 und den damit verbundenen großen Mengen an plötzlich verfügbarem Holz investierten viele der rund 200 steirischen Sägewerke in die Erweiterung ihrer Kapazitäten. Im Jahr 2013 sah sich die Holzindustrie aber mit zwei Problemen konfrontiert: Die internationalen Absatzmärkte sind immer stärker umkämpft. Heimische Produzenten sehen sich gezwungen, mit Konkurrenten aus Niedriglohnländern zu konkurrieren.

Die Sägeindustrie hat Schwierigkeiten, ihren Rundholzbedarf zu decken, um ihre Kapazitäten auszulasten. So musste zum Beispiel in jenem Jahr der größte österreichische Rundholzverarbeiter eine Kapazitätsanpassung vornehmen, von der rund ein Viertel der Mitarbeiter betroffen war. Die Kapazität am betroffenen Standort wurde reduziert, da es aufgrund der vorherrschenden mangelhaften Versorgung mit Rundholz zu auskömmlichen Preisen nicht mehr möglich war, das Werk auszulasten (SCHÖBERL, 2013). Die Problematik der mangelhaften Rundholzversorgung ist insofern interessant, als dass Österreich über ein äußerst großes Waldvorkommen verfügt. Alleine die Steiermark nimmt ein Viertel der gesamten österreichischen Waldfläche ein. Nahezu kein anderes Land hat gleichermaßen hohe Waldbestände (FAO, 2012). Die im Folgenden angeführten Aspekte sind unter anderem für die mangelhafte Versorgung mit dem Rohstoff Rundholz verantwortlich:

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Top-Thema 98 % der österreichischen Waldbesitzer besitzen 56 % der österreichischen Waldfläche. Diese Besitzungen bestehen aus Grundstücken mit einer Gesamtfläche von weniger als 200 Hektar. Diese Kleinwaldbesitzer sehen oft nicht den wirtschaftlichen Vorteil in der Waldnutzung. (STATISTIK AUSTRIA, 2013) Die Wirbelstürme Kyrill, Emma und Paula haben große Waldflächen zerstört. Von diesen Stürmen müssen sich die Forstbetriebe zum Teil erst „erholen“ und sind daher nicht in der Lage, ausreichend Rundholz zu liefern. Neue Konkurrenten kämpfen im Einkauf um den begehrten Rohstoff Holz. Neben der Holzindustrie ist Holz auch für die Papierindustrie und vermehrt für die energetische Nutzung in Form von Pellets und Hackgut von Interesse. Hierbei muss allerdings gesagt werden, dass der Biomassesektor in diesem Fall aufgrund der geltenden Förderlandschaft leichte Wettbewerbsvorteile genießt. (Kleine Zeitung, 2014) Angesichts der umkämpften internationalen Absatzmärkte können teurere Einkaufspreise nicht mehr an Abnehmer weitergegeben werden. Dies führt dazu, dass im Holzeinkauf ein gewisser Bezugsradius nicht überschritten werden darf, um den Einkaufspreis mit höheren Transportkosten nicht unnötig zu belasten. Das aktuell geringe Zinsniveau ist ein weiterer Aspekt, der viele Waldbesitzer davon abhält, Holz zu ernten. Momentan wird Holz dem Wald vorwiegend nur dann entnommen, wenn die dadurch lukrierten finanziellen Mittel einer Investition zugeführt werden können. Das Phänomen, dass Unternehmen nicht im Stande sind, ihren Rohstoffbedarf zu decken, ist allerdings nicht nur in der Holzindustrie vorhanden. Auch andere Branchen sehen sich mit dem Problem konfrontiert, einzelne Rohstoffe, wie beispielsweise Nickel, Kupfer, Stahl, Aluminium, Phosphor oder seltene Erden (ZIRM, 2013), in ausreichenden Mengen und zu zufriedenstellenden Preisen zu beschaffen. Unternehmen, denen es gelingt, ihren Bedarf an für sie wertvollen Rohstoffen zu decken, werden im Ver-

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gleich zu ihren Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil haben (MARCHNER, 2014). Die Thematik der erschwerten Rohstoffbeschaffung ist nicht nur in der Praxis spürbar, sondern auch bereits in der facheinschlägigen wissenschaftlichen Literatur aufgegriffen worden. Eine Vielzahl von Autoren hat sich diesem Thema bereits angenommen (CROOK & ESPER, 2013; CAO & ZHANG, 2011; CHOI & KRAUSE, 2006). SCHIELE et al. sehen darin sogar einen von fünf Megatrends mit denen sich Unternehmen und deren Beschaffungsabteilungen in den nächsten Jahrzehnten verstärkt auseinandersetzen werden müssen. Dieser Megatrend markiert eine wachsende Veränderung in der politischen und makroökonomischen Umgebung, die zu häufigeren, grundlegenden Marktinstabilitäten führt und die Verfügbarkeit einzelner Rohstoffe erschwert. Aus der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur ist erkennbar, dass es zwei unterschiedliche, grundlegende Lager bei den Autoren gibt. Die einen empfehlen, „product substitution or changing suppliers if a supplier’s power is higher than the purchaser’s“ (LINDWALL et al., 2010). Andere wiederum sind der Meinung, “it is a better avenue when the dependence level on a certain supplier is high in developing long-term relationships with this existing supplier” (CANIELS & GELDERMAN, 2005). Diese zweite Meinung macht nach Ansicht der Autoren dieser Forschungsarbeit insofern mehr Sinn, als es sich in einem oligopolistischen Marktumfeld äußerst schwierig gestalten würde, den Lieferanten zu wechseln, wenn es ohnedies bereits herausfordernd ist, überhaupt im ausreichenden Maße beliefert zu werden. MÖLLERING et al. teilen diese Ansicht, sie konstatieren, dass Leistungen mit hoher Versorgungssicherheit durch gute Beziehungen zu Lieferanten auch längerfristig erworben werden können und dass effektives Kostenmanagement zu einem besseren Preis-Leistungsverhältnis beiträgt, woraus sich wiederum Wettbewerbsvorteile entwickeln können (MÖLLERING, 2005; BAUER, 2003). CARR et al., SCHIELE und ZUNK et al. vertreten ähnliche Standpunkte, denn auch sie sind davon überzeugt, dass strategisch gemanagte, langfristige Lieferan-

tenbeziehungen positive Effekte auf die Versorgung durch den Lieferanten ausüben (CARR et al., 1999; SCHIELE, 2012; ZUNK et al. 2011). Üblicherweise vertreten Wissenschaftler und Praktiker bei KundenLieferanten-Beziehungen den Ansatz, dass Lieferanten versuchen, so attraktiv wie möglich für ihre (potentiellen) Kunden zu sein, um ihre Produkte oder Dienstleistungen erfolgreich am Markt abzusetzen (SCHIELE, 2012). Diese Sichtweise vernachlässigt allerdings Märkte, die durch eine Engpasssituation auf der Zulieferseite geprägt sind, wie es sich etwa seit dem Jahr 2013 in der Holzindustrie ereignet. In diesem Fall versuchen Kunden, möglichst attraktiv für ihre Lieferanten zu sein, um von diesen bevorzugt behandelt zu werden (MARCHNER, 2015). Diese Entwicklung wurde bereits in der Literatur aufgegriffen und ist hier als Preferred Customer Status bekannt (MARCHNER & ZUNK, 2015). Ein Unternehmen ist ein bevorzugter Kunde eines Lieferanten, wenn der Lieferant dem Kunden eine bevorzugte Ressourcenzuteilung zukommen lässt (STEINLE & SCHIELE, 2008). Um allerdings in den Genuss des Preferred Customer Status zu gelangen, muss ein Unternehmen vom Lieferanten als attraktiv eingestuft werden (SCHIELE et al., 2012). Die Literatur zu Customer Attractivness ist bis dato jedoch sehr theoretisch und basiert zum Großteil auf Fallstudien. Das Thema könnte stark von einer quantitativen, empirischen Untersuchung profitieren, mit dem Ziel herauszufinden, welche Attraktivitätstreiber, die in der Literatur bereits identifiziert wurden, tatsächlich Wirkung zeigen HÜTTINGER et al., 2012). Ziel dieser Forschungsarbeit war es, Perspektiven innerhalb von KundenLieferanten-Beziehungen für die Beschaffung knapper Rohstoffe abzuleiten, die eine wertvolle Hilfestellung für den Praxiseinsatz liefern sollen. Somit bildeten die folgenden zwei forschungsleitenden Fragestellungen den Untersuchungsrahmen für diese Arbeit: Welche Faktoren haben Einfluss auf die Customer Attractiveness? Wie groß ist der Einfluss der einzelnen identifizierten Faktoren im gewählten Umfeld?

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Top-Thema Welche Faktoren haben Einfluss auf die Customer Attractiveness? Diese Fragestellung wurde mit Hilfe einer detaillierten Literarturstudie unter besonderer Berücksichtigung von Rigorosität, Nachvollziehbarkeit und Relevanz für die Praxis bearbeitet. Den Ausgangspunkt für die Literatursuche bildete der Begriff Customer Attractiveness, der im Zuge der Untersuchung durch Schlagwörter mit synonymer Bedeutung, wie Customer Value, Sources of Supplier Value oder Buyer Attractiveness, erweitert wurde. Im Gegensatz zur allgemeinen Marketingliteratur, in der Customer Attractiveness als die Attraktivität des Lieferanten für einen Kunden verstanden wird, wird sie in dieser Forschungsarbeit als die Attraktivität eines Kunden für einen Dritten aufgefasst, d.h. Customer Attractiveness bezieht sich auf die attraktiven Eigenschaften einer einkaufenden Organisation aus Sicht des Lieferanten. Zusammenfassend kann über diese Literaturrecherche gesagt werden, dass 105 attraktivitätsbeeinflussende Faktoren in 35 Publika-

tionen ausgemacht wurden, die detailliert analysiert und in weiterer Folge zusammengefasst wurden. Für die Zusammenfassung ergab sich die Notwendigkeit, da einzelne Faktoren unter verschiedenen Bezeichnungen mehrmals genannt bzw. einzelne Faktoren identifiziert wurden, die eine ähnliche Bedeutung aufweisen. Das Ergebnis bilden 28 Faktoren, die laut aktueller Literatur geeignet sind, die Attraktivität eines Kunden zu beeinflussen. Anhand dieser konnten, unter Berücksichtigung der Social Exchange Theory, 28 Thesen formuliert werden, die in der Lage sind, für einen Käufer den Weg zur gesteigerten Customer Attractiveness zu ebnen. (siehe Abb. 1) Wie groß ist der Einfluss der einzelnen identifizierten Faktoren im gewählten Umfeld? Auf Basis der 28 attraktivitätsbeeinflussenden Faktoren wurde eine quantitative empirische Erhebung innerhalb der steirischen Holzindustrie durchgeführt. Ziel dieser Umfrage

Abb. 1: Thesen zur Steigerung der Customer Attractiveness WINGbusiness 4/2016

war es, herauszufinden, welche Faktoren im gewählten Umfeld eine besonders starke attraktivitätssteigernde Wirkung aufweisen und welche Rolle Customer Attractiveness in der steirischen Holzindustrie einnimmt. Ergebnis der empirischen Untersuchung ist, dass es im Fall der steirischen Holzindustrie als bestätigt gilt, dass es attraktiven Kunden eher gelingt, ihren Bedarf an dem knappen Rohstoff Rundholz zu decken als jenen, die im Vorfeld bereits als weniger attraktiv wahrgenommen wurden. Zudem sehen die Befragten den Großteil der in der Literatur identifizierten attraktivitätsbeeinflussenden Faktoren als wirksam an, sie bestätigen damit die Mehrheit der abgeleiteten Thesen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die geringer bewerteten Thesen keine attraktivitätssteigernde Wirkung aufweisen, sondern lediglich, dass diese Branche den Fokus auf andere Attraktivitätsmerkmale richtet. Geht es darum, über die Customer Attractiveness eines Kunden zu urteilen, zeigt sich bei den Lieferanten der steirischen Holzindustrie ein sehr deutliches Bild: Sie empfinden jene Kunden als attraktiver, die ihre Rechnungen in der vereinbarten Form und zum vereinbarten Zeitpunkt bezahlen, in Geschäftsbeziehungen als verlässlich und unkompliziert gelten, an langfristigen Geschäftsbeziehungen interessiert sind, ein geringes Ausfallsrisiko und Finanzstärke aufweisen, für einen reibungslosen Informationsaustausch stehen sowie beim Lieferanten über eine stabile Nachfrage verfügen. Diesen Faktoren wurde von den Befragungsteilnehmern die stärkste attraktivitätsbeeinflussende Wirkung zugesprochen. Alle 28 attraktivitätsbeeinflussenden Faktoren wurden auch dahingehend untersucht, ob Parameter wie Alter, Geschlecht, Unternehmensgröße beziehungsweise Besitzverhältnis einen Einfluss auf deren Auswirkung hat. Es wurden lediglich geringe Abweichungen bei der Auswertung anhand der vier erwähnten Einflussgrößen festgestellt - deren Einfluss ist also vernachlässigbar. Einschränkend muss erwähnt werden, dass diese Faktoren grundsätzlich einem kulturellen Einfluss unterliegen und daher nicht als weltweit und branchenübergreifend gültig betrachtet werden können.

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Top-Thema Referenzen: BARNEY, J.: Firm Resources and Sustained Competitive Advantage, in: Journal of Management, Vol. 17, Nr.1, 1991, 99-120. BAUER, U.: Erfolgsfaktor Supplier Relationship Management. - in: Supplier Relationship Management. Steyr am: 05.06.2003. BAUER, U.; GANGL, B.; MARCHNER, A.: Die Rolle der Beschaffung im Innovationsprozess. - in: Supply Chain Performance, 2008, S. 33 - 53. CANIELS, M.C.J.; GELDERMAN, C.J.: Purchasing strategies in the Kraljic matrix—A power and dependence perspective, Journal of Purchasing and Supply Management 11 (2), 141-155, 2005. CAO, M.; ZHANG, Q.: Supply chain collaboration: Impact on collaborative advantage and firm performance. Journal of Operations Management, 29(3), 163-180, 2011. CHOI, T.; KRAUSE, D.: The supply base and its complexity: Implications for transaction costs, risks, responsiveness, and innovation. Journal of Operations Management, 24(5), 435-450, 2006. CROOK, R.; ESPER, T.: Special Topic Forum on Resources and Supply Chain Management, International Journal of Purchasing and Supply Managent, 2013. Food and Agricultural Organization of the United Nations: Global Forest Resources Assessment, Main report, Rom, 2010. HÜTTINGER, L.; SCHIELE, H.; VELDMAN, J.: The drivers of customer attractiveness, supplier satisfaction and preferred customer status: A literature review, in: Industrial Marketing Management, Vol. 41, 2012, pp. 1194-1205. KPMG: Raw material scarcity and its impact on business, 2012. LINDWALL, C.; ELLMO, A.; RHEME, C.; KOWALLKOWSKI, C.: Increasing

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Dipl.-Ing. Dr.techn. Martin Marchner Universitätsassistent am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie, TU Graz Marketing Management, Elsevier, 41 (8), pp.1178-1185, 2012. SCHÖBERL, A.: Mayr-Melnhof Holz: Kündigungen sind geplant, Kleine Zeitung 18.4.2013. STEINLE, C.; SCHIELE, H.: Limits to global sourcing? Strategic consequences of dependency on international suppliers: Cluster theory, resource based view and case studies. Journal of Purchasing and Supply Management, 14 (1), pp. 3-14, 2008. ZIRM, J.: Der große Kampf ums Holz, Die Presse, 02.11.2013. ZUNK, B.M.; SCHIELE, H.: Preisstabilität durch „Preferred Customer Status“: Einflussfaktoren auf Innovationsleistung und Preisgestaltung von Lieferanten. - in: Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb 106, 12, S. 974 - 97, 2011. Autor: Dipl.-Ing. Dr.techn. Martin Marchner studierte WirtschaftsingenieurwesenMaschinenbau an der Technischen Universität Graz. Im Anschluss war er als Universitätsassistent am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie in Lehre und Forschung tätig und dissertierte ebendort in der Arbeitsgruppe „Industrial Marketing, Purchasing and Supply Management“ zum Thema „Beschaffung knapper Rohstoffe“.

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Top-Thema

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Volker Koch

Was von technischen Einkäufern verlangt wird Beschaffungsmanagement leistet in Unternehmen einen wesentlichen Beitrag im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und wird durch die zunehmende Globalisierung immer komplexer. Neue Herausforderungen werden auf die im Einkauf agierenden Personen in Technologieunternehmen zukommen. Doch welche Kompetenzen werden gefordert? 1. Einleitung Wenn für Unternehmen wirtschaftlich schwierige Zeiten aufkommen, rückt die Einkaufsfunktion stärker in den Fokus des Managements. Es ist nichts Neues, dass Einsparungen, die im Einkauf erzielt werden, sich direkt auf das Unternehmensergebnis auswirken (Arnolds et al., 2010). Einkaufstätigkeiten können auch auf der Ebene der Prozessoptimierung direkt zu Einsparungen führen. Ein Beispiel dafür kann die strategische Ausrichtung auf eine geringe Anzahl an Lieferanten sein. Die Zusammenarbeit mit diesen bringt Vorteile bei Innovationen oder in der Forschung und Entwicklung (Chen et al., 2004). Aus finanzieller Sicht gesehen besteht die Möglichkeit, Einsparungen durch den Einkauf zu erzielen, indem Bestellungen gebündelt, Skaleneffekte durch erhöhte Bestellvolumina erzielt oder eine Ressourcenbündelung mit anderen Unternehmen erarbeitet wird (Eßig et al., 2013; Hartmann et al., 2012). Neben der Herausforderung für Einkäufer, Einsparungen zu erzielen, stellt auch die immer rascher zunehmende

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Globalisierung neue Anforderungen an den Einkauf. In rohstoffarmen Volkswirtschaften, zu denen auch Österreich gehört, ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit für produzierende Unternehmen nur dann gegeben, wenn alle relativen Kostenvorteile, die derzeit zur Verfügung stehen, genutzt und die besten Wertschöpfungsketten erreicht werden (Stollenwerk, 2012). Nach Grochla ist es Ziel des Einkaufs, ein materialwirtschaftliches Optimum zu erreichen, das die Versorgung der Produktion unter den Gesichtspunkten Menge, Zeit, Ort und Qualität vorsieht (Grochla, 1978). Diese Sicht des Einkaufs hat sich jedoch durch Lohnkostenvorteile der fernöstlichen Standorte, Ressourcenknappheit, Klimaveränderung, die damit verbundenen politischen Umbrüche und weitere Gesichtspunkte zu einem immer komplexeren Bild entwickelt. Mehr denn je ist der Einkauf gefordert, relevantes Know-how der Lieferanten zu erkennen und in die eigene Wertschöpfungskette des Unternehmens zu integrieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Somit bekommt der Einkauf im Unternehmen immer mehr die Rolle eines Wertschöpfungsmanagers (Stollenwerk, 2012;

Die kompetente Person Nach Hurrelmann übernimmt die kompetente Person für sich selbst und auch für andere die Verantwortung und verfügt dabei über ein gutes Kontrollbewusstsein ihrer eigenen Stärken und Schwächen. Die kompetente Person kann fokussiert an einer Absicht oder einem Ziel arbeiten bis der gewünschte Zustand eingetreten ist. Dabei werden die Handlungen von Prinzipien, Werten, Normen und Regeln begleitet (Hurrelmann, 2006). Kompetenzen können nach Gnahs durch fünf unterschiedliche Aneignungsweisen entstehen (abgesehen von genetischen Aspekten). Ein ständiger Begleiter ist die Sozialisation durch Familie, Schule, Gruppen oder Vereine, des Weiteren durch das formale Lernen (Abschlüsse erwerben) oder durch das nichtformale Lernen (Kenntnisse und Fähigkeiten). Und zu guter Letzt können Kompetenzen entweder durch informelles Lernen oder Lernen „en passant“ angeeignet werden(Gnahs, 2010). Javalgi et al., 2009). Diese und weitere zukünftige Wandlungen des Einkaufs

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Top-Thema stellen die dort agierenden Personen vor neue Aufgaben und damit müssen in Zukunft auch die Kompetenzanforderungen an diese Personen angepasst werden. Doch was bedeutet dies für die zukünftig benötigten Kompetenzen? 2. Kompetenz Der US-amerikanische Ökonom österreichischer Herkunft, Peter F. Drucker, hat die Wichtigkeit der Kompetenz folgendermaßen hervorgehoben: „Was man zur Effektivität braucht, ist eine durch Übung gewonnene Kompetenz.“ Dass der Begriff der Kompetenz ein Begriff der Gegenwart ist, kann man an den Erscheinungszahlen der Bücher, die im Titel „Kompetenz*“ beinhalten, erkennen (Huber, 2004). Sucht man nach Veröffentlichungen der Titel, die nach dem 2. Weltkrieg erschienen sind, sind rund 85 % nach 1995 und mehr als die Hälfte in den letzten zehn Jahren erschienen. In Deutschland sind sogar zwei Drittel der Werke in den letzten zehn Jahren auf den Markt gekommen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Anzahl der erschienenen Bücher, die im Titel „kompetenz*“ beinhalten Der Begriff Kompetenz wird in den unterschiedlichsten Disziplinen und Branchen verwendet und hat zahlreiche Bedeutungen. Entsteht im Alltag ein Problem, wird eine kompetente Person mit der Lösungsfindung beauftragt (Bunk, 1994). Aus juristischer Sicht wird meist eine Handlungsermächtigung wie zum Beispiel die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) oder die Festlegung der Verantwort-

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lichkeiten von Gerichten darunter verstanden (Adamovich et al., 2011). Aus Sicht eines Managers wird beim Begriff „Kompetenz“ einerseits an die Stärken des Unternehmens und andererseits an die Zuständigkeiten, einschließlich der Durchführungs- und

und ob die Entlohnung Hand in Hand mit den Kompetenzanforderungen steigt. Um einen ersten Blick darauf zu werfen wurde eine Querschnittsanalyse von 100 Stellenanzeigen für technische Einkäufer in Österreich untersucht. Die Anzeigen wurden von diversen Personalberatern und HR-Abteilungen im Mai 2016 geschaltet. Im Bereich des Einkaufs sind zwei Ausbildungsrichtungen besonders gefragt: eine technische Ausbildung, so dass technische Prozesse und Technologieprodukte besser verstanden werden und eine wirtschaftliche, die einen besseren Blick auf die Kostenzusammenhänge gewährt. In 47 Stellenanzeigen wird strikt nach Abbildung 1: Interaktion von Persönlich- einer technischen Ausbildung keitseigenschaften, Kompetenzen und verlangt, in 44 Stellenanzeigen Handlungsergebnissen (in Anlehnung an ist eine technische oder eine Heyse, 2010) wirtschaftliche Ausbildungen Voraussetzung.Lediglich neun Entscheidungsbefugnisse seiner Mit- Annoncen fragen explizit nach einer arbeiter, gedacht (Kauffeld, 2006). wirtschaftlichen Ausbildung. Vom BilDie unterschiedliche Sichtweise auf dungsniveau ist bei 68 Stellen ein Fachden handelnden Menschen fokussiert hochschulabschluss und bei 58 Stellen in der Literatur entweder auf Kompe- ein technischer Universitätsabschluss tenzen oder auf Persönlichkeitseigen- empfohlen, für relativ viele Stellen (59) schaften. Als Folge dessen kann man ist aber auch eine HTL-Matura ausreivon Persönlichkeitseigenschaften und chend. 72 Unternehmen wollen eine/n Kompetenzen auf ein künftiges Hand- Bewerber/in, der/die schon im Einkauf lungsergebnis schließen oder von meh- gearbeitet hat, und von diesen geben reren beobachteten Handlungsergeb- 44 an, dass Bewerber/innen mindenissen auf bestimmte Kompetenzen stens fünf Jahre Erfahrung nachweisen (siehe Abbildung 1). Nach Heyse wird müssen. unter dem Begriff der Kompetenz die Im Bereich der Kompetenzen wird Fähigkeit verstanden, in konkreten Si- vor allem nach Verhandlungsfähigkeit, tuationen selbstorganisiert erfolgreich Durchsetzungsvermögen und Teamfähandeln zu können (Heyse, 2010). higkeit gefragt. Auch Kommunikationsfähigkeit und juristische Kenntnisse 3. Kompetenzen und Gehälter bei haben einen hohen Stellenwert (siehe technischen Einkäufern Abbildung 2). Das Mittel bei den gesamten StelInteressant wird die Betrachtung, lenanzeigen liegt beim jährlichen welche Kompetenzen ein zukünftiger Einstiegsgehalt für technische Eintechnischer Einkäufer vorweisen soll käufer bei € 43.368. Die niedrigste

Abbildung 2: Anzahl der Kompetenznennungen (kumuliert)

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Top-Thema

Tabelle2: Gehaltsprofile für technische Einkäufer in den Anzeigen angegebene Bezahlung beläuft sich auf € 24.323 und die höchste auf € 85.000. Sieht man sich die Einkaufsleiter getrennt an, liegt die Mindestentlohnung bei € 30.800 und auch der Mittelwert ist mit € 54.510 etwas höher. Tabelle 2 zeigt drei unterschiedliche Gehaltsprofile. Für diese Auswertung wurden die Stellenanzeigen in drei Klassen abhängig vom Gehalt zusammengefasst und in die Profile Mindest-, Durchschnitts- und Höchstgehalt sortiert. In der Klasse der Mindestgehälter wird in keiner der Stellenbeschreibungen eine wirtschaftliche Ausbildung verlangt, lediglich eine technische Ausbildung wie HTL oder FH ist gewünscht. In der Klasse der Höchstgehälter wird zumindest ein FHAbschluss erwünscht. Bei den Kompetenzanforderungen ist klar ersichtlich, dass in der Klasse der Höchstgehälter Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und ein verhandlungssicheres Englisch vorausgesetzt werden. Auf diese Kompetenzen wurde bei den anderen beiden Profilen kein Wert gelegt. Zusammenfassend ist zu erwähnen, dass die in der Einleitung aus der Literatur geschilderten Herausforderungen an technische Einkäufer sich (noch) nicht direkt in den analysierten Stellenanzeigen als Kompetenzanforderungen wiederfinden. Referenzen: Adamovich, Ludwig K.; Funk, BerndChristian; Holzinger, Gerhart; Frank,

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Stefan L. (2011): Österreichisches Staatsrecht. Band 1: Grundlagen. 2. aktualisierte Aufl. Wien: Springer Arnolds, Hans; Heege, Franz; Röh, Carsten; Tussing, Werner (2010): Materialwirtschaft und Einkauf. Grundlagen - Spezialthemen - Übungen. 11., vollständig überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Gabler Verlag / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden. Bunk, Gerhard P. (1994): Kompetenzvermittlung in der beruflichen aus- und Weiterbildung in Deutschland. In Europäische Zeitschrift für Berufsbildung (1), pp. 9–15. Chen, I.; Pauraj, A.; Lado, A. (2004): Strategic purchasing, supply management, and firm performance. In Journal of Operations Management 22 (5), pp. 505–523. Eßig, Michael; Hofmann, Erik; Stölzle, Wolfgang (2013): Management von Supply Chains. 1. Aufl. München: Vahlen Gnahs, Dieter (2010): Kompetenzen - Erwerb, Erfassung, Instrumente. Bielefeld: Bertelsmann Grochla, Erwin (1978): Grundlagen der Materialwirtschaft. Das materialwirtschaftliche Optimum im Betrieb. 3., gründlich durchges. Aufl. Wiesbaden: Gabler Hartmann, Evi; Kerkfeld, Dieter; Henke, Michael (2012): Top and bottom line relevance of purchasing and supply management.

In Journal of Purchasing and Supply Management 18 (1), pp. 22–34. Heyse, Volker (Ed.) (2010): Grundstrukturen menschlicher Kompetenzen. Praxiserprobte Konzepte und Instrumente. Münster [u.a.]: Waxmann (Kompetenzmanagement in der Praxis, 5). Huber, Hans D. (2004): Im Netz der Kompetenzen. In Hans Dieter Huber, Bettina Lockemann, Michael Scheibel (Eds.): Visuelle Netze. Wissensräume in der Kunst. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, pp. 15–30. Hurrelmann, Klaus (2006): Einführung in die Sozialisationstheorie. 9., unveränd. Aufl. Weinheim [u.a.]: Beltz Javalgi, Rajshekhar G.; Dixit, Ashutosh; Scherer, Robert F. (2009): Outsourcing to emerging markets. Theoretical perspectives and policy implications. In Journal of International Management 15 (2), pp. 156–168. Kauffeld, Simone (2006): Kompetenzen messen, bewerten, entwickeln. Ein prozessanalytischer Ansatz für Gruppen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag Stollenwerk, Andreas (2012): Wertschöpfungsmanagement im Einkauf. Analysen - Strategien - Methoden - Kennzahlen. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler.

Autor: Dipl.-Ing. Volker Koch studierte Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau an der Technischen Universität Graz, im Anschluss daran arbeitete er bei der AVL List GmbH. Derzeit ist er als Universitätsassistent am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie in Lehre und Forschung tätig und dissertiert ebendort in der Arbeitsgruppe „Industrial Marketing, Purchasing and Supply Management“ zum Thema „Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften von technologieorientierten Einkäufern“.

Dipl.-Ing. Volker Koch Universitätsassistent am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie, TU Graz

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Top-Thema

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Manuela Reinisch

Kritische Versorgungsnetzwerke Die Wichtigkeit von kritischen Sublieferanten Globalisierung, volatile Märkte, komplexe sich rasch verändernden Technologien sowie die vielschichtigen Erwartungshaltungen der Kunden zwingen Lieferanten, Hersteller und Distributoren effizient miteinander zu kollaborieren. Liefer- und Versorgungsnetzwerke entwickelten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verstärkt zu komplexen und dynamischen Strukturen. Das Wachstum der globalen Versorgungsalternativen sowie die Tendenz verstärktes strategisches Outsourcing zu betreiben, hat das Risiko rund um Liefer- und Versorgungsnetzwerke stark zunehmen lassen. Folglich stehen nicht nur mehr kurzfristige Einsparungen von Kosten im Vordergrund, sondern langfristig die Netzwerkstabilität kontinuierlich zu verbessern.

Einleitung Aus der wachsenden Komplexität von Liefer- und Versorgungsnetzwerken resultiert, dass viele Lieferanten in unterschiedlichen Prozessabläufen bei der Erstellung eines Produktes beteiligt sind (Abbildung 1). Das SupplierRelationship-Management hat sich in den letzten drei Jahrzehnten damit beschäftigt, dessen Interaktionen zu bewältigen und neue Ansätze dafür zur Verfügung zu stellen. Die meisten dieser Forschungen beschränken sich allerdings nur auf direkte Lieferanten (Harland, et al., 2003). Nachfolgendes Beispiel eines kritischen, nicht wahrgenommenen Sublieferanten zeigt auf, dass es wichtig geworden ist, die Zusammenarbeit und Transparenz mit und von Lieferanten nicht nur auf die direkten Lieferanten

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zu beschränken, vor allem da wichtige und kritische Komponenten von Sublieferanten kommen können (Becks, 2010). Herausforderung in der Praxis Evonik Industries ist ein in über 100 Ländern der Welt agierendes Unternehmen im Bereich Spezialchemie mit Sitz in Deutschland. Evonik Industries produziert Cyclododecatrien (CDT), welcher als Ausgangsstoff für die Kunststoffherstellung dient. Kunststoffteile, welche aus Polyamid 12 (PA12) hergestellt werden, sind wichtige Zulieferteile im Automobilbau, der Photovoltaikindustrie, in Offshore-Leitungen, Sportartikel- und Haushaltswarenindustrie. In der Produktion von PA12 ist Evonik Industries einer der führenden Industrieunternehmen weltweit. Am 31. März 2012

kam es in der CDT Fabrik von Evonik Industries zu einer Explosion inklusive Brand, welcher die Autoindustrie erstarren ließ. PA12 wird verwendet, um Plastikteile für Brems- und Tankleitungen in Autos zu produzieren. Evonik Industries ist für ca. 50 Prozent der PA12 Produktion weltweit verantwortlich. Namhafte Firmen wie Ford Motor, Chrysler Group oder General Motors waren in ihrem Liefer- und Versorgungsnetzwerk betroffen und die Produktion war über Wochen hinweg behindert. Es gab wenige Unternehmen mit Substitutsprodukten und diese wenigen waren nicht ausreichend getestet, um die Produktion nahtlos fortzusetzen. Den Autofirmen war es nicht bewusst, welche kritische Position Evonik Industries als Sublieferant in deren Liefer- und Versorgungsnetzwerken ein-

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Top-Thema

Abbildung 1: Kritisches Liefer- und Versorgungsnetzwerk nahm sowie die Schwierigkeiten mit Substitutsprodukten bzw. Ersatzlieferanten (Yan et al., 2015; Evonik Industries, 2012). Ein kritischer Sublieferant als Theorie Yan, et al., (2015) entwickelten einen neuen theoretischen Typen eines kritischen Sublieferanten in einem interorganisationalen Liefer- und Versorgungsnetzwerk, einen Nexus Lieferanten. Ein Nexus Lieferant ist in einem Lieferantennetzwerk verankert, weist keine direkte Beziehung zum fokalen Unternehmen auf und nimmt über indirekte Beziehungen im interorganisationalen Netzwerk eine kritische Funktion und Position ein. Ein Nexus Lieferant hat zusätzlich ein Potential, fokale Unternehmen mit strategischen Informationen zu beliefern, welche es sonst nicht erhalten würde. Zusätzlich kann der Nexus Lieferant helfen, die geplanten Arbeitsabläufe des fokalen Unternehmens zu verbessern. Dieses Potential auszuschöpfen ist allerdings nur dann möglich, wenn das fokale Unternehmen seine Nexus Lieferanten kennt und sie entsprechend steuert bzw. führt. Nexus Lieferanten unterscheiden sich von anderen Lieferanten im Netzwerk beispielsweise in der Form, wie sie in das interorganisationale Netzwerk eingebettet sind. Ein Nexus Lieferant weist nicht zwangsweise Fähigkeiten wie finanzielle Stabilität, Technologieführerschaft oder eine strategische, infrastrukturelle oder kulturelle Übereinstimmung mit dem fokalen Unternehmen auf. Nexus

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Lieferanten werden in größeren Unternehmensnetzwerken identifiziert und kooperieren nicht nur im engeren Liefer- und Versorgungsetzwerk des fokalen Unternehmens, sondern auch mit Firmen außerhalb dieses Netzwerkes in anderen verwandten Industriezweigen. Der Nexus Lieferant ergänzt die traditionelle Sichtweise eines direkten Lieferanten (Tabelle 1). Dieser neue Typus eines kritischen Sublieferanten kann fokalen Unternehmen helfen diese zu identifizieren und die traditionelle Perspektive zu ergänzen (Yan, et al., 2015; Choi & Linton, 2011). Zusammenfassung Der Begriff des kritischen Sublieferanten ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig definiert. Der Status „kritisch“ stellt für jedes

Unternehmen je nach strategischer Ausrichtung eine individuelle Definition dar. Wenn Firmen eine große Anzahl an Sublieferanten besitzen bzw. ein tief verzweigtes Liefer- und Versorgungsnetzwerk ist es unmöglich, sämtliche Sublieferanten individuell zu managen. Beispielsweise besitzt die Möbelkette IKEA 1026 Lieferanten in 53 Ländern weltweit oder Philips trotz zentralisiertem Sourcing rund 2000 Lieferanten (Rezaei, et al., 2015). Um diese effektiv und effizient managen zu können, kategorisieren bzw. segmentieren Firmen ihre Lieferanten nach unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise nach Produktcharakteristika, strategischen Firmenzielen oder wirtschaftliches Umfeld. Schlussendlich werden unterschiedliche Strategien für jedes Segment bzw. jeden Lieferanten entwickelt, mit dem Ziel einen Wettbewerbsvorteil erlangen zu können (vgl. Dyer, et al., 1998; Fan, et al., 2013; Rezaei, et al., 2015). Referenzen Becks, R., 2010. The Next Big Thing: Multi-Tier Supply Chain Management. Benefits of Multi-tier Visibility and Collaboration Extend Across the Entire Product Life Cycle. Choi, T. Y. & Linton, T., 2011. Don‘t Let Your Supply Chain Control Your Business. Harvard Business Review, Band Dezember, pp. 1-7. Dyer, J. H., Cho, D. S. & Chu, W., 1998. Strategic Supplier Segmentation: The next

Tabelle 1: Unterscheidung Strategischer Lieferant – Nexus Lieferant (in Anlehnung an Yan, et al., 2015)

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Top-Thema best Practice in Supply Chain Management. California Management Review, 40(2), pp. 57-77. Evonik Industries 2012. Brand in der CDTAnlage im Chemiepark Marl. http://corporate.evonik.com/de/presse/suche/Pages/ newsdetails.aspx?newsid=26360, Abgerufen: 2015-08-12. Fan, C., Olorunniwo, F. O., Jolayemi, J. & Li, X., 2013. A characterization of lowertier supplier visibility practices in supplier relationship management. Supply Chain Forum. An International Journal, 14(1), pp. 2-14. Harland, C., Brenchley, R. & Walkera, H., 2003. Risk in supply networks. Journal of Purchasing and Supply Management, 9(2003), pp. 51-62. Rezaei, J., Wang, J. & Tavasszy, L., 2015. Linking supplier development to supplier segmentation using Best Worst Method.

Expert Systems With Applications, 42(23), pp. 9152-9164. Yan, T., Choi, T. Y., Kim, Y. & Yang, Y., 2015. A Theory of the Nexus Supplier: A Critical Supplier from a Network Perspective. Journal of Supply Chain Management, Jänner, 51(1), pp. 52-66.

Dipl.-Ing. Manuela Reinisch Universitätsassistentin am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie, TU Graz

Autorin:

schaftslehre und Betriebssoziologie in Lehre und Forschung tätig und dissertiert ebendort in der Arbeitsgruppe „Industrial Marketing, Purchasing and Supply Management“ zum Thema „Kritische Sublieferanten in Liefer- und Versorgungsnetzwerken“.

Dipl.-Ing. Manuela Reinisch studierte Softwareentwicklung-Wirtschaft an der Technischen Universität Graz. Im Anschluss war sie als Universitätsassistentin am Institut für Betriebswirt-

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Top-Thema

Foto: „Smart Production & Purchasing“; IV-Steiermark / Mathias Kniepeiss

Martin Tschandl, Peter Schentler, Christian Bischof

Digitalisierung im Einkauf – Technologien und Anwendungsbeispiele Die seit Jahren andauernde Diskussion um Industrie 4.0 zeigt, dass die Digitalisierung alle betrieblichen Funktionsbereiche und speziell auch den Einkauf wandeln wird. Viele Technologien und Anwendungsbeispiele liegen bereits vor und bieten Hinweise, wie sich der Einkauf operativ automatisieren und strategisch methodisch aufladen wird. Handlungsempfehlungen weisen den möglichen strategischen Pfad zum „Einkauf 4.0“. 1. Einleitung Digitalisierung wird heute zumeist im Zusammenhang mit Industrie 4.0 diskutiert und inkludiert infolge einerseits die technische Integration von cyberphysischen Systemen in Produktion und Supply Chain sowie deren Vernetzung über das Internet der Dinge und Dienste. Andererseits beinhaltet es Implikationen auf Wertschöpfung, Geschäftsmodelle, Arbeitsorganisation und nachgelagerte Dienstleistungen. Solcherart steht Digitalisierung für „...reshape the value chain yet again, by changing product design, marketing, manufacturing, and after-sale service and by creating the need for new activities such as product data analytics and security. This will drive yet another wave of valuechain-based productivity improvement.” (Porter & Heppelmann 2014). In der Wertschöpfungskette der Industrie spielt der Einkauf mit seinem Einfluss auf durchschnittlich 60 % der Gesamtkosten und der Position an der Schnittstelle zwischen Lieferanten

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und internen Bedarfsträgern eine wesentliche Rolle. Deshalb liegen speziell in der horizontalen Integration der digitalisierten Systeme vom Lieferanten des Lieferanten zum Kunden des Kunden erhebliche Potenziale. Im vorliegenden Beitrag werden – ausgehend von Nutzen und Hemmnissen der Digitalisierung – wichtige Technologien für die Digitalisierung des Einkaufs beschrieben und Anwendungsbeispiele in fünf Themenbereichen diskutiert. Den Abschluss bzw. das Fazit bilden Handlungsempfehlungen für einen digitalisierten Einkauf im Umfeld von Industrie 4.0. 2. Nutzen und Hemmnisse Der Nutzen einer Digitalisierung bzw. von Industrie 4.0 liegt in mehr Effizienz (gemessen an Kosten/Stück), mehr Flexibilität (kundenindividuelle Produkte/Leistungen „ohne“ Mehrkosten) und neuen Geschäftsmodellen (z. B. Produkt-als-DienstleistungsModell, pay per use) (Tschandl & Mallaschitz 2016). Die Dynamik der

technologischen Entwicklung macht aus Industrie 4.0 jedoch keinen definierten Endzustand in einem Unternehmen, und auch der Nutzen ist branchen- und unternehmensspezifisch unterschiedlich. Jedes Unternehmen benötigt daher seinen eigenen Pfad zu Industrie 4.0, der zu seinen Möglichkeiten und Notwendigkeiten passt. Der Einkauf ist vor allem hinsichtlich Effizienz des gesamten Unternehmens und der eigenen Einkaufsprozesse sowie bei neuen Geschäftsmodellen gefordert. Obwohl eines der meistdiskutierten Themen in Tagungen und praxisnahen Publikationen der letzten Jahre, können 53 % der 201 befragten heimischen Führungskräfte einer Gallup/Festo-Studie nichts mit dem Begriff Industrie 4.0 anfangen (Pannagl 2015). Und nur ein kleiner Teil der Unternehmen verfügt bisher über eine explizite Industrie4.0-Strategie oder baut gar Industrie4.0-Fähigkeiten systematisch auf. So gaben nur rund 11 % der 207 Teilnehmer einer Studie des Internationalen Controllervereins an, dass ihr Unter-

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Top-Thema nehmen bereits eine I4.0-Strategie entwickelt hat, 45 % haben sich mit I4.0 noch gar nicht beschäftigt (ICV Ideenwerkstatt 2015). Auch wenn in großen Unternehmen der Durchdringungsgrad der Digitalisierung deutlich höher ist, laut einer aktuellen Studie hat in 82 % der Unternehmen mit >250 Mio. Euro Umsatz die Digitalisierung stark oder sehr stark Einzug gehalten (Horváth & Partners 2016), gibt es Defizite vor allem im Grad der Digitalisierung der vertikalen (unternehmenseigenen) Wertschöpfung und der horizontalen Wertschöpfungsketten (zwischen Unternehmen der Supply Chain) und hier speziell im Mittelstand. Zusätzlich bremsen die mangelnde Industrie-4.0-Tauglichkeit der bestehenden Infrastruktur, die subjektiv fehlende Quantifizierbarkeit des Nutzens, die mangelnde organisatorische Veränderungsfähigkeit in den Unternehmen und (IT-)Sicherheitsbedenken. Unternehmen sollten frühzeitig das Potenzial der Digitalisierung erkennen und in eine konkrete Digitalisierungsstrategie transformieren. Nur dadurch kann das gesamte Potenzial digitalisierter Prozesse konsequent genutzt werden. Dies betrifft nahezu alle betrieblichen Prozesse und damit auch – oder sogar insbesondere – den Einkauf (Horváth & Partners 2016), der sich in den letzten Jahren in vielen Unternehmen von einer operativen Bestellabwicklung zu einer strategisch relevanten Funktion gewandelt hat. Die nun mit der Digitalisierung anstehende nächste große Veränderung betrifft den Einkauf im besonderen Maße, da er als Schnittstelle zum Lieferanten sowohl marktseitige

Gegebenheiten als auch unternehmensinterne Anforderungen ausbalancieren muss und hierbei auf zahlreiche Informationen angewiesen ist. Der operative Einkauf wird langfristig tendenziell digitalisiert, „autonomisiert“ und automatisiert, während der strategische Einkauf für die Planung, Überwachung und Steuerung der Einkaufsprozesse und -ziele sowie die Beschaffungsmarktforschung und -erschließung anhand (vieler) Daten verantwortlich zeichnet. Data Analytics und Innovationssuche für das gesamte Unternehmen werden diese Funktion erweitern. 3. Die wesentlichen Technologien Wenn im und für den Einkauf Prozesse digitalisiert und große Datenmengen aufbereitet werden sollen, rücken folgende Technologien in das Zentrum des Geschehens (siehe Abbildung 1): (1) Big Data & Prediction: Big Data Analytics schaffen die notwendige Grundlage für Zukunftsprognosen im Rahmen der digitalen Einkaufsstrategie. Damit können u. a. die Nachfrage, optimale (Liefer-)Kapazitäten, Risiken oder beste Markteintrittszeitpunkte besser vorhergesagt werden. Damit werden die strategische Planung unterstützt und Kostenersparnisse erzielt. (2) Digital Reporting 2.0: Die Digitalisierung von Produktionsprozessen sowie die Verknüpfung bestehender Daten verschiedener Unternehmensbereiche ermöglicht nicht nur die schnelle und einfache Durchführung

Abbildung 1: Sechs wesentliche Technologien für die Digitalisierung des Einkaufs (Schlünsen & Schentler 2016)

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von Ad-hoc-Analysen. Vielmehr lassen sich Reaktionszeiten auf Planabweichungen minimieren und eine bessere Qualität von Forecasts herbeiführen. Ebenfalls lassen sich bereichsübergreifende Reports erstellen, durch die eine strategischere Ausrichtung des Einkaufs und weiterer Einheiten auf Grundlage von Daten aus unterschiedlichen Bereichen möglich ist. (3) Cloud-basierte IT-Lösungen: Gegenüber klassischen Inhouse-Lösungen bieten cloud-basierte IT-Systeme den Vorteil einer sehr kurzen Implementierungsdauer. Damit bieten sich Unternehmen nicht nur Geschwindigkeitsvorteile, da keine langwierigen Implementierungsprojekte durchlaufen werden, sondern auch eine größere Flexibilität durch die einfache Integration zusätzlicher Funktionen über weitere Apps und Module. (4) Self-Service-Portale: Durch die Nutzung von Self-Service-Portalen an der Schnittstelle zu Lieferanten und unternehmensinternen Kunden werden operative Standardprozesse verschlankt, indem Aufwände von der Einkaufsfunktion zum Lieferanten (z. B. für die Sammlung von Anforderungen im Rahmen der Vorqualifikation) oder zum internen Kunden (z. B. für die Auslösung von standardisierten Beschaffungsanfragen im indirekten Bereich) verlagert werden. So kann ein Großteil des indirekten Einkaufs mithilfe automatisierter Genehmigungsprozesse und eines Echtzeit-Reportings autonom bearbeitet werden. Dies ermöglicht die notwendige Verlagerung von Aufwänden für operative Beschaffungsaufgaben hin zu der Bearbeitung strategischer Fragestellungen. (5) Mobile Technologien: Die Zugriffszeit auf Informationen lässt sich durch den Einsatz mobiler Technologien weiter minimieren. Während beispielsweise Tablets im Vertrieb mittlerweile sehr häufig eingesetzt werden, ist die Nutzung im Einkauf nur schwach ausgeprägt. Insbesondere die Kombination mit revisionssicheren digitalen Freigabeverfahren (z. B. E-Sign) ermöglicht die Bearbeitung von Beschaffungsanfragen während der Dienstreise. (6) Social Media: Auf Basis von Cloudund mobilen Technologien können soziale Netzwerke als Kommunikationsmittel mit dem Beschaffungs-

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Top-Thema markt dienen. So können beispielsweise Blogs und Chat-Anwendungen die Kommunikation sowohl zwischen bestehenden als auch potenziellen Lieferanten im Rahmen eines Ausschreibungsprozesses vereinfachen sowie auch Meinungen und Vorschläge von Experten und Kunden/Produktnutzern mit aufgreifen. 4. Anwendungsbeispiele für die Digitalisierung im Einkauf Insbesondere die Kombination der verschiedenen Technologien sowie die Adaption mit einer konkreten Fragestellung ermöglicht es, Nutzen aus der Digitalisierung im Einkauf zu ziehen. Abbildung 2 gibt eine Übersicht und bündelt die Anwendungsfälle in fünf Bereiche: Risk and Savings Predictions Operational Sourcing Process & Workflow Efficiency Supply Network Management Procurement Controlling & Realtime Reporting.

spielsweise zur Erstellung von Trends und Prognosen im Rahmen der strategischen Chancen- und Risikoanalyse eingesetzt werden. So können durch die Integration unterschiedlicher Datenquellen rechtzeitig Informationen über ein potenzielles Ausfallsrisiko des Lieferanten unter Berücksichtigung interner und externer Faktoren bereitgestellt werden. Ein weiteres beispielhaftes Anwendungsfeld ist die Savings Prediction. Dabei werden ebenfalls Daten aus internen und externen Quellen gesammelt, aggregiert und in einen Zusammenhang zur historischen Preisentwicklung gebracht. Auf dieser Basis können mithilfe von Optimierungsverfahren Szenarien für Preisschwankungen und deren ökonomische Auswirkungen abgeleitet werden. In beiden Fällen unterstützt Predictive Analytics den strategischen Einkauf dabei, langfristige Absicherungsstrategien zu entwickeln. Operational Sourcing: Im operativen Einkauf ermöglichen Technologien

Abbildung 2: Anwendungsfälle im Einkauf (Schlünsen & Schentler 2016, erweitert) Um die Potenziale greifbar zu machen, wird nachfolgend ein Beispiel für jeden der Bereiche vorgestellt. Damit werden die Anwendungsfälle neuer Technologien für klassische Fragestellungen im Einkauf illustriert. Risk and Savings Predictions: Im Bereich des strategischen Einkaufs bieten Technologien im Umfeld der Digitalisierung eine Reihe von Vorteilen, indem smarte Anwendungen bei-

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wie Algorithmen und Big Data eine weitgehende Automatisierung von Aktivitäten wie der Beschaffungsplanung und der Bestellabwicklung. So verwendet beispielsweise IBM Predictive Analytics und Szenario-Planung zur Vorhersage von Versorgungsengpässen, um frühzeitig Maßnahmen zu setzen und dadurch eine Unterbrechung in der Lieferkette zu verhindern. Auch das Handelsunternehmen OTTO setzt Predictive Analytics ein,

um Überbestände zu vermeiden und trotzdem die Lieferbereitschaft im Online-Handel zu erhöhen (Lehmacher 2016, Sanders 2014). Darüber hinaus sind Algorithmen mittlerweile in der Lage, aus einer Vielzahl von Lieferanten- und Preisinformationen mithilfe mathematischer Optimierungsmodelle das beste Angebot zu extrahieren und automatisiert eine Bestellung abzusetzen. Dadurch werden nicht nur die Einkäufer von transaktionalen Aufgaben entlastet, auch erfahren interne Kunden einen schnelleren Service. Process & Workflow Efficiency: Neben der Automatisierung durch Algorithmen bieten sich weitere Ansätze zur Steigerung der Performance im Einkauf. Eine Möglichkeit besteht im Einsatz von (mobilen) Apps, die direkt in den Einkaufsprozess und das ERP-System integriert sind. Auf diese Weise können einzelne Prozessschritte oder Teilprozesse im Einkauf im Rahmen von Self-Service-Szenarien, beispielsweise für die Freigabe von Bestellanforderungen oder Eingangsrechnungen, beschleunigt und vereinfacht werden. Zudem finden App-basierte Szenarien aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Apps im betrieblichen und privaten Umfeld und der Benutzerfreundlichkeit eine tendenziell höhere Akzeptanz als klassische workflow-basierte Verfahren. Supply Network Management: Das Management von Lieferantennetzwerken wird bisher durch IT-Systeme hauptsächlich auf transaktionaler Ebene, beispielsweise durch den elektronischen Datenaustausch zwischen ERP-Systemen, unterstützt. Hier ist eine weitere Optimierung und Vereinfachung der Zusammenarbeit mithilfe moderner Supply-Network-Collaboration-Tools möglich. Diese Tools ermöglichen einen synchronen Informationsaustausch und erlauben so dem Einkauf, die Bedarfsplanung durch Daten von den Netzwerkpartnern zu verbessern. Für das Management der Beziehungsebene finden zwar zunehmend Social-MediaSysteme Einzug in die Unternehmen, jedoch fehlte diesen Systemen bisher häufig der Geschäftsbezug. Im Kontext von Industrie 4.0 erfolgt eine Integration von strukturierten Informationen

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Top-Thema in interaktive Systeme. So können beispielsweise aktuelle Daten aus ERPoder SRM-Systemen wie Angebote, Bestellungen oder Reklamationen in Chats oder Social-Media-Anwendungen eingebunden und so kollaborative Geschäftsprozesse etabliert werden, die eine flexible zielorientierte Zusammenarbeit im Netzwerk ermöglichen. Procurement Controlling & Realtime Reporting: Im Bereich des Einkaufscontrollings ermöglicht die technologische Entwicklung von InMemory-Systemen das Reporting von einkaufsrelevanten Informationen in Echtzeit. Auf dieser Grundlage kann ein einheitliches hierarchisches System von Einkaufskennzahlen definiert werden, welches kontinuierlich aus den vorgelagerten Modulen des ERP-Systems wie Produktion, Logistik oder WarehouseManagement aktualisiert und über verschiedene mobile Endgeräte online abgerufen wird. Im Bedarfsfall ist zudem ein Drilldown auf einzelne Länder oder Produktgruppen oder sogar auf Einzelpostenebene möglich, um entsprechende Abweichungs- oder Detailanalysen ebenfalls online durchführen zu können (siehe Abbildung 3 mit einem Beispiel für einen kennzahlenbasierten Bericht). 5. Handlungsempfehlungen Industrie 4.0 führt zur Digitalisierung der Unternehmen und Geschäftsmodelle und verlangt speziell einen digitalisierten „Einkauf 4.0“ zur Optimie-

rung in der horizontalen Integration der Supply bzw. Value Chain. Manche Länder und Branchen investieren – bereits seit Jahren – massiv in diese Entwicklung, viele Unternehmen und deren Einkaufsabteilungen stehen aber erst am Anfang. Damit Unternehmen die in diesem Beitrag angeführten Technologien für „ihre“ (unternehmensspezifischen) Anwendungsfälle nutzen können, gilt es aus strategischer Sicht, eine Roadmap festzulegen. Dabei sind folgende Punkte empfehlenswert: Da die sechs Handlungsfelder von Industrie 4.0 – Automatisierung, Supply Chain Management, Lean Management, Digitalisierung, Geschäftsmodelle und Human Resources – aus Markterfordernissen und Ressourcenmöglichkeiten unterschiedlich ausgeprägt sind, benötigt jedes Unternehmen eine individuelle Roadmap zu seinem Einkauf 4.0. Zuerst schlanke Prozesse im Einkauf einzuführen ist die Voraussetzung für eine effizient implementierte Digitalisierung. Anschließend sind Investitionen in die Digitalisierung aller Unternehmensbereiche erforderlich, speziell aber auch im Einkauf. Parallel dazu ist das notwendige Know-how aller Einkaufsmitarbeiter systematisch zu steigern („ausgebildete und überzeugte Mitarbeiter als Enabler“). Auch im Einkauf sind neue, digitalisierungsorientierte „Geschäftsmodelle“ zu entwickeln, aufbauend auf bisherigen e-Procurement-Lösungen, aber auch in Richtung kollaborativer

Partnerschaften und InnovationsScouting. Referenzen: Horváth & Partners (2016). Digitalisierung – Der Realitäts-Check. Geschäftsmodelle, Prozesse, Steuerung – Der Status Quo der Transformation in deutschen Unternehmen. ICV Ideenwerkstatt (2015). Industrie 4.0: Controlling im Zeitalter der intelligenten Vernetzung. Lehmacher, W. (2016). Globale Supply Chain: Technischer Fortschritt, Transformation und Circular Economy, Wiesbaden. Pannagl, S. (2015). Digitalisierung der Wirtschaft – Bedeutung, Chancen und Herausforderungen, Dossier Wirtschaftspolitik 05. Porter M. E. & Heppelmann J. E. (2014). How smart, connected products are transforming competition. Harvard Business Review, 11, 92. Jg., S. 64-88. Sanders, N. R. (2014). Big data driven supply chain management: A framework for implementing analytics and turning information into intelligence, New Jersey. Steinhauser T. & Nadilo T. (2016). Strategische Einkaufssteuerung: Ziele, Kennzahlen, Erfolgsmessung und Reporting. In A. Klein & P. Schentler (Hrsg.), Einkaufscontrolling, (S. 45-62), München. Schlünsen H. & Schentler, P. (2016). Digitalisierung im Einkauf. In A. Klein & P. Schentler (Hrsg.), Einkaufscontrolling, (S. 83-98), München. Tschandl M. & Mallaschitz C. (2016): Industrie 4.0: Controller als Treiber einer strategischen Neuausrichtung. Der Controlling-Berater, 43, S. 85-106. Autoren: FH-Prof. Dr. Martin Tschandl ist Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management an der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Controlling, strategische Unternehmensentwicklung und Industrie 4.0.

Abbildung 3: Beispielbericht „Überblick Einkauf“ (Steinhauser & Nadilo 2016)

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Dr. Peter Schentler ist Principal und Prokurist im Competence Center Controlling & Finanzen bei Horváth & Partners Management Consultants in Wien.

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Top-Thema Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Controlling und Einkauf, insbesondere Planung, Kostenrechnung und Einkaufscontrolling. Dr. Christian Bischof ist Leiter des berufsbegleitenden Masterstudiums International Supply Management an

der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Seine Forschungsund Lehrschwerpunkte: Internes Rechnungswesen, Enterprise Resource Planning, Big Data und Einkauf.

FH-Prof. Dr. Martin Tschandl Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Managment, FH JOANNEUM Kapfenberg

Dr. Peter Schentler

Dr. Christian Bischof

Principal und Prokurist Competence Center Controlling & Finanzen, Horváth & Partners Management Consultants,Wien

Leiter des berufsbegleitenden Masterstudiums International Supply Management an der FH JOANNEUM Kapfenberg

BACHELOR

TECHNIK STUDIEREN – ZUKUNFT SICHERN an der Fachhochschule Kärnten

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• Geoinformation und Umwelttechnologien • Maschinenbau • Medizintechnik • Netzwerk- und Kommunikationstechnik • Systems Engineering • Wirtschaftsingenieurwesen

MASTER

• Communication Engineering • Electrical Energy & Mobility Systems • Health Care IT • Industrial Engineering & Management • Integrated Systems & Circuits Design • Maschinenbau / Leichtbau • Spatial Information Management • Systems Design fh-kaernten.at/engit | #fhkaernten

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Top-Thema

Foto: Fotolia

Christian Theuermann

Risikomanagement in der Beschaffung Erfolgreiches Supplier Risk Management schafft Wettbewerbsvorteile Der Beschaffung kommt im betrieblichen Wertschöpfungsprozess eine Schlüsselrolle zu. Demzufolge sind die Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg erheblich und ist es zielführend, den Einkauf als vielfältige und strategische Unternehmensfunktion zu verstehen. Dazu ist es erforderlich, das Beschaffungsmanagement um ein proaktives Risikomanagement zu erweitern, um eine gesamthafte Risikobetrachtung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erreichen.

Risikomanagement im Einkauf Ein Risiko ist jede auftretende Abweichung zu den Planzielen – Streuung um Zielwerte –, ob positiv als zusätzliche Chance oder auch als Gefahr bzw. Bedrohung als Risiko (Vgl. Romeike, F. & Hager, P. 2009, S. 510; Theuermann, C. & Forstinger, M. 2015a, S. 129). Im Sinne einer Bedrohung kann das Beschaffungsrisiko als Summe der Verlustgefahren verstanden werden, welche bis zum Einsatz der Beschaffungsgüter und -dienstleistungen (Produktionsfaktoren) auftreten können – somit ist die Lagerung, bis zum Einsatz der Produktionsfaktoren, in die Risikoüberlegungen zu inkludieren (Vgl. Rogler, S. 2002, S. 34). Die Bedeutung, die Notwendigkeit und gesetzlichen (UGB, AktG, IFRS, KonTraG, SOX, etc.) sowie normenspezifischen (ISO 9001:2015, ISO 28000:2007 Supply Chain Security, ONR 49001, COSO usw.) Anforde-

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rungen hinsichtlich des Beschaffungsrisikomanagements steigen zunehmend. Hier sollen nachhaltig orientierte Unternehmen den Hebel ansetzen, da eine gezielte Verbindung des Risiko- und Beschaffungsmanagements proaktives Erkennen von Potenzialen ermöglicht. Dies sorgt für Sicherheit und unterstützt den Einkauf seinen wertschaffenden Beitrag in der Unternehmensorganisation zu leisten. Das Risikomanagement hat im Beschaffungsbereich in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen (Krampf, P. 2014, S. 162). Dabei wird es als ein dynamischer und sich ständig weiterentwickelnder Vorgang definiert. Aus diesem Grund findet das Risikomanagement in der Beschaffungsorganisation seine unternehmensindividuelle Anwendung. Eine solche Sichtweise soll zur Optimierung der Risikosituation in der Unternehmung beitragen. Der Risikomanagementprozess (Abbildung 1) umfasst sämtliche Tätigkeiten, die darauf ausgerichtet sind,

eine Organisation aber auch eine Organisationseinheit bezüglich der Risiken zu steuern und zu überwachen, um in weiterer Folge die risikorelevanten Informationen systematisiert und geordnet an Entscheidungsträger weiterzuleiten, damit rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden können, zur Optimierung des Risiko-Exposure. Im Mittelpunkt stehen dabei nachfolgende zentralen Prozessphasen (Vgl. ONR 49001:2010, S. 5; Denk, R. et al. 2008, S. 82; Beinert, C. 2003, S. 21 ff.): Risikoidentifikation und -analyse Risikobewertung Risikosteuerung Risikoreporting und Risikokommunikation Monitoring und Dokumentation Eine wesentliche und zentrale Zielsetzung des Risikomanagements ist es, zukünftige risikobehaftete und Chancen bietende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu beurteilen, zu

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Top-Thema deren Umgang mit den Lieferantenrisiken, als wesentliche Bestandteile der unternehmerischen Risikolandkarte. Anhand zahlreicher und ständig steigender Unternehmenskrisen und Insolvenzen wird verdeutlicht, dass viele Unternehmen nicht in der Lage sind, den bestehenden Lieferantenrisiken adäquat zu begegnen (Schenck, O. 2010, S. 18). Abbildung 1: Kernelemente eines effizienten und effektiven Risikomanagementprozesses steuern und fortlaufend zu überwachen. Dies soll die Anpassung des Unternehmens an sich verändernde Umfeldbedingungen, sowie die Sicherung der Existenz gewährleisten (Denk, R. et al. 2008, S. 75 f.) und zu einer Reduzierung bzw. Abschwächung der Risikosituation führen. Welche zentralen und essentiellen Beschaffungsrisiken tatsächlich vorliegen ist häufig nicht bekannt. Trotz einer starken Gefährdungseinschätzung durch Risiken und hohem Bewusstsein zur Bedeutung des Risikomanagements, sind lediglich bei ca. 48 % der TOP-Unternehmen in Österreich gezielte Risikomanagementmaßnahmen in den Beschaffungsabteilungen vorhanden. Eine Erfolgsmessung der gesetzten Risikomanagementaktivitäten und der abgeleiteten Maßnahmen erfolgt jedoch kaum – nur bei 5 % der Unternehmen. Hier fehlt eindeutig die ganzheitliche Betrachtungsweise und der Nachholbedarf zum Risikomanagement im Einkauf wird hier klar verdeutlicht (Theuermann, C. & Forstinger, M., 2015b, S. 22). Lediglich 34 % der mittelständischen Unternehmungen betreiben aktiv ein Risikomanagement im Beschaffungsbereich. Die am häufigsten eingesetzten Tools sind Lieferantenaudits, sowie firmeneigene Qualitätsbewertungskriterien und -systeme (Theuermann, C. & Forstinger, M. 2014a, S. 31 f.). Es geht hierbei auch darum, entsprechende Transparenz aufzubauen, denn nur jene Aktivitäten und Maßnahmen, die auch gemessen werden, können im Sinne des ControllingGedankens auch gesteuert werden. Die Bedeutung des Risikocontrollings in den Beschaffungsorganisationen wird zukünftig noch weiter ansteigen. Eine Erfolgsmessung der Risikomanagementaktivitäten – Risikosteuerung,

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Umsetzung von Risikomaßnahmen etc. – ist für ein funktionierendes und nutzenstiftendes Risikomanagement unumgänglich (Theuermann, C. & Forstinger, M. 2015b, S. 22). Oberste Zielsetzung muss demnach eine gesamthafte Optimierung des Risikoprofils in Unternehmen sein, unter Einbeziehung eines ganzheitlichen Risikomanagementansatzes. Für nachhaltig orientierte Unternehmen ist ein strategisches Beschaffungsmanagement mit präventiver Risikoanalyse unabdingbar. Aufgabe und Inhalt des Risikomanagements in der Beschaffung ist die Bewältigung der folgenden Risikoarten (Vgl. Gabath, C. 2014, S. 44): Insolvenzrisiko von Lieferanten als Gefahr, dass die Bedarfsgüter durch den Ausfall des Lieferanten für den Produktionsprozess nicht mehr zur Verfügung stehen, Qualitätsrisiko als Gefahr, dass fehlerhafte Bedarfsgüter geliefert werden, Lieferkettenrisiko als Gefahr, dass sich der Transport- und Lagerprozess negativ auf Menge, Liefertermin und Qualitätsmerkmale der Bedarfsgüter auswirkt, Rohstoffpreisrisiko als Ungewissheit über die künftige Kostenentwicklung der in den Bedarfsgütern eingesetzten Rohstoffe. Supplier Risk Management im Zentrum der Risikomanagementaktivitäten in der Beschaffungsorganisation Die sich in den letzten Jahren massiv verschärfte Risikosituation im Beschaffungsbereich stellt nun erhöhte Anforderungen an die Verantwortlichen in den Einkaufsorganisationen und

So reduziert zwar Global Sourcing die Einkaufskosten, jedoch steigt beispielsweise die Gefahr von Versorgungsengpässen und -unsicherheiten. Um mit derartigen Risiken adäquat umgehen zu können, bedarf es auch in der Beschaffung eines funktionierendem Risikomanagements, das die Beschaffungsrisiken frühzeitig erkennt, Handlungsalternativen erarbeitet und das Unternehmensumfeld kontinuierlich überwacht. Bei den Risiken, die im Beschaffungsbereich proaktiv verfolgt werden sollten, können drei Hauptgruppen unterscheiden werden. So gibt es Risiken, die im Zusammenhang mit den Lieferanten entstehen, welche von besonderer Bedeutung sind. Darüber hinaus finden sich Risiken, die den Bedarf betreffen und solche, die über Marktveränderung exogen auf die Beschaffung einwirken (Krampf, P. 2014, S. 163). Den stärksten Einfluss haben dabei das Insolvenz-, das Qualitäts- und das Abhängigkeitsrisiko (Lieferantenrisiken) sowie Preisrisiken bei Rohstoffen und Währungsrisiken (Marktrisiken). Der Wertbeitrag des Lieferantenrisikomanagements Jede unternehmerische Handlung ist mit Chancen und Risiken verbunden. Unternehmungen und Institutionen sind somit auch laufend der Gefahr ausgesetzt, dass durch interne oder externe Einflussfaktoren die Zielerreichung negativ beeinflusst oder sogar die unternehmerische Existenz bedroht wird. Das gezielte Management und die Vermeidung von Lieferantenausfällen werden zum zukünftigen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, da ein Lieferantenausfall massive Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen hat. Insbesondere im Bereich des Lieferantenmanagements leistet das Ri-

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Top-Thema sikomanagement aktuell einen wertvollen Beitrag. Ausgehend von diesen Kompetenzen sollte das vorhandene Know how eingebracht werden, um im Bereich des Lieferantenrisikomanagements positive Synergieeffekte zu nutzen. Hier wäre es erstrebenswert, wenn das Risikomanagement im Bereich der Lieferantenbewertung, mit besonderem Fokus auf die finanzwirtschaftliche Lieferantenbewertung und -analyse, die Einkaufsabteilung begleitend unterstützt. Dadurch könnte sich eine Verbesserung im gesamten Suplply Chain Risk Management in den Unternehmen einstellen. Dies bedingt durch die Tätigkeiten im Bereich der (Theuermann, C. 2015. S. 4) finanzwirtschaftlichen Lieferantenanalyse und -bewertung, Entwicklung und Begleitung eines aussagekräftigen Lieferanten-Ratingprozesses, Festlegen von möglichen Beschaffungslimits bei einzelnen Lieferanten und erhöhte Informationstransparenz. Somit trägt das Risikomanagement in dieser Ausgestaltung auch dazu bei, dass ein positiver Effekt auf das Unternehmensergebnis, die Eigenkapitalquote als Risikopuffer bis hin zur Steigerung des Unternehmenswertes (zB. EVA) – im Sinne einer wertorientierten Steuerung – entsteht. Besonderer Fokus auf das Financial Supplier Risk Management Um finanzwirtschaftlich verursachte Lieferantenausfälle frühzeitig erkennen zu können und in weitere Folge zu vermeiden, sind regelmäßig finan-

zielle Analysen – sogenannte Financial Supplier Analysis – bei den Kernlieferanten durchzuführen, da eine revolvierende und strukturierte finanzielle Lieferantenbewertung der zentrale Eckpfeiler zur Vermeidung von Lieferantenausfällen ist. Dies insbesondere unter dem Aspekt eines risikoorientierten Beschaffungsmanagements in der unternehmerischen Praxis. Nur wer zukünftig den ständig steigenden Anzahlen an Lieferantenausfällen positiv entgegenwirken kann, wird von der Gefahr „close or sell“ verschont bleiben (Vgl. Theuermann, C. & Forstinger, M., 2014a, S. 27). Das gezielte Management und die Vermeidung von Lieferantenausfällen werden zum zukünftigen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, da diese die gesamte Supply Chain beeinflussen. Das Ergebnis der Analyse (Abbildung 2) stellt eine finanzorientierte Bewertung der Lieferanten dar, wobei der Fokus auf Kennzahlen gelegt wird, welche der Insolvenzprofilaxe dienen und somit für Transparenz hinsichtlich der finanziellen Stabilität sorgen. Hierbei kann im Besonderen die Eigenkapitalquote und die Schuldentilgungsdauer genannt werden. Ein kontinuierliches Monitoring dieser Kennzahlensystematik sorgt für eine nachhaltige Lieferantenbasis in den Beschaffungsorganisationen. Zusätzlich kann dadurch das klassische Supplier Rating – Fokus auf nichtfinanzielle Kriterien wie Qualität, On-time performance, Kosten, Innovation, Compliance etc. – komplementiert werden, wodurch eine erweiterte Betrachtung der Lieferanten erfolgt.

Abbildung 2: Kennzahlencockpit – Finanzwirtschaftliche Lieferantenanalyse 36

Hier existiert in der Unternehmenspraxis erhebliches Verbesserungspotenzial. Obwohl Unternehmen ständig mit Lieferanteninsolvenzen konfrontiert sind, ist eine strukturierte und kontinuierliche Financial Supplier Analysis, als zentrales Instrumentarium zur Vermeidung von Lieferanteninsolvenzen, in den Unternehmen in Österreich noch immer nicht state oft the art. In lediglich 20 % der mittelständischen Unternehmen und ca. 39 % der TOP-500 Unternehmen in Österreich kommt eine systematisierte finanzorientierte Lieferantenbewertung zum Einsatz und hat Auswirkungen auf den Lieferantenauswahlprozess (Theuermann, C. & Forstinger, M. 2014a, S. 27; Theuermann, C. & Forstinger, M. 2014b, S. 28 f.). Nur eine finanzwirtschaftliche Analyse der Lieferantensituation, kann zu einer Verringerung bzw. zur Vermeidung von Lieferanteninsolvenzen führen und die dabei durchgeführte Risikobewertung ist die Basis für aktive und passive RisikoSteuerungsmaßnahmen. Schlussbetrachtung Die Verbindung des Risiko- und Beschaffungsmanagements bringt proaktives Erkennen von Potenzialen, sorgt für Sicherheit und unterstützt den Einkauf, seinen wertschaffenden Beitrag zu leisten. Der Ansatz und auch die Forderung nach einem risikoorientiertem Lieferantenmanagement werden zukünftig wesentlich die Aktivitäten und Aufgaben in der Beschaffungsorganisation prägen. Ein risikobasiertes Beschaffungsmanagement trägt wesentlich zur Steigerung des Unternehmenswertes und nachhaltigen Existenzsicherung bei. Es unterstützt die Unternehmenssteuerung. Für eine erfolgreiche Umsetzung muss das Beschaffungs- und Risikomanagement entsprechend verknüpft sein sowie in das betriebliche Managementsystem eingebettet werden (Theuermann, C. & Forstinger, M. 2015a, S. 129). Viele Potenziale liegen in diesem Bereich im Einkauf noch brach und sind noch nicht voll ausgeschöpft. Hier gilt es zu reagieren und den Risikogedanken gezielt in die Bereiche des taktischen und strategischen Beschaffungsmanagement, der Financial Supplier Analysis, der Lieferantenbewer-

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Top-Thema tung und dem effizientem Umgang bzw. Aufbau von Lieferantenpartnerschaften zu integrieren. Referenzen: BEINERT, C. (2003): Bestandsaufnahme Risikomanagement, in: Risikomanagement und Rating: Grundlagen, Konzepte, Fallstudien, Hrsg. von REICHLING, P.(2003), Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, 2003, S. 21-42 DENK, R.; EXNER-MERKELT, K.; RUTHNER, R. (2008): Corporate Risk Management: Unternehmensweites Risikomanagement als Führungsaufgabe, 2., überarbeitet und erweiterte Auflage, Linde Verlag, Wien GABATH, C. (2010): Risiko- und Krisenmanagement im Einkauf, 1. Auflage, Gabler|GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, KRAMPF, P. (2014): Beschaffungsmanagement – Eine praxisorientierte Einführung in Materialwirtschaft und Einkauf, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Franz Vahlen, München ONR 49001:2010 Rogler, Silvia (2002): Risikomanagement im Industriebetrieb – Analyse von Beschaffungs-, Produktions- und Absatzrisiken, Dt. Universitäts-Verlag, Wiesbaden ONR 49001:2010 ROMEIKE, F.; HAGER, P. (2009): Erfolgsfaktor Risiko-Management 2.0: Methoden, Beispiele, Checklisten, Praxishandbuch für Industrie und Handel, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden SCHNECK, O. (2010): Risikomanagement – Grundlagen, Instrumente, Fallbeispiele, Wiley-VCH Verlag &

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Co. KGaA, Weinheim THEUERMANN, C. (2015): Risikom in im ier ung durch das Credit - Management im österreichischen Mittelstand mit besonderem Fokus auf das Kundenund Lieferantenrisiko, in Credit Management in der Praxis – Die digitale Transformation und das Credit Management, Bundeskongress 2015, Bundesverband Credit Management e.V. (Hrsg.), Kommissionsverlag Credit & Finance Verlag, Deutschland 2015, S. 1-9 THEUERMANN, C.; FORSTINGER, M. (2015a): Einkaufs- und Beschaffungsmanagement unter Einbeziehung des Risikomanagements in den Top-500-Unternehmen in Österreich – Man ist sich der Risiken bewusst, handelt jedoch nicht danach, in: CFOaktuell Mai 2015/Nr. 3, S. 129-131 THEUERMANN, C.; FORSTINGER, M. (2015b): Risikomanagement im Einkauf in den TOP-500 Unternehmen in Österreich; in: industrie aktuell, 2015. 4/4, S. 21-23 THEUERMANN, C.; FORSTINGER, M. (2014a): Beschaffungs- und Risikomanagement im Österreichischen Mittelstand – Aktueller Stand, Bedeutung und zukünftige Entwicklungen, Graz 2014, FH CAMPUS 02, Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling, Körblergasse 126, 8020 Graz THEUERMANN, C.; FORSTINGER, M. (2014b): Potenziale, Bedeutung und zukünftige Entwicklungen des Beschaffungsmanagements – Bestandserhebung zum Risikomanagement in

Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dr. Christian Theuermann Professor an der Fachhochschule CAMPUS 02, Graz den TOP-500 Unternehmen in Österreich, Graz 2014, FH CAMPUS 02, Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling, Körblergasse 126, 8020 Graz Autor: Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dr. Christian Theuermann ist Professor an der Fachhochschule CAMPUS 02 in Graz und Fachbereichskoordinator für Transferkompetenz an der Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling mit langjähriger Industrieerfahrung in leitender Position und Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen. Weiters ist er geschäftsführender Gesellschafter einer Beratungsunternehmung, mit den Dienstleistungsschwerpunkten: Beschaffung und Sourcing, Suppy Chain Risk Management, Corporate-Riskmanagement, Digitalisierung und Transformationsmanagement. Darüber hinaus ist er Trainer und Vortragender an namhaften Weiterbildungs- und Schulungseinrichtungen im In- und Ausland. E-Mail: christian.theuermann@campus02.at

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Fachartikel

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Stefan O. Grbenic

Die Bedeutung von Technologieunternehmen im M&A-Geschehen Historische Betrachtung und aktuelle Entwicklungen Mergers & Acquisitions spielen eine bedeutende Rolle für das Unternehmenswachstum. Hinter ihnen stehen strategische, finanzwirtschaftliche sowie irrationale Motive. Unternehmensübernahmen treten komprimiert in Wellen auf; aktuell befinden wir uns in der siebenten Merger-Welle. Den Technologiebranchen kommt dabei seit jeher eine besondere Bedeutung zu. 1. Einleitung Große „deals“ (Unternehmenstransaktionen, Unternehmensübernahmen) stehen ganz oben in den Schlagzeilen der Wirtschaftspresse und werden in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Aktuelle Beispiele hierfür sind die Übernahme des US-Medienkonzerns Time Warner (zu diesem gehören z. B. das Filmstudio Warner Bros. und der Nachrichtenkanal CNN) durch den Telekom-Dienstleister AT&T um kolportierte 78 Mrd. Euro oder die Übernahme des US-Saatgutherstellers Monsanto durch den deutschen Chemie- und Pharmakonzern Bayer um kolportierte 58,8 Mrd. Euro. Eine bedeutende Rolle im M&A-Geschehen spielt die Technologiebranche; so übernahm beispielsweise im Jahr 2015 der Computerkonzern Dell im bis dato größten Technologie-Deal den Datenspeicher-Spezialisten EMC um kolportierte 67 Mrd. US-Dollar oder

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der in Singapur beheimatete Halbleiterhersteller Avago Technologies den US-Spezialisten für Drahtlos-Chips Broadcom um kolportierte 37 Mrd. US-Dollar. 2. Motive für Mergers & Acquisitions Mergers & Acquisitions (M&A) sind ein wichtiges Instrument zur Generierung von externem Unternehmenswachstum. Die hinter den Unternehmensübernahmen stehenden betriebswirtschaftlichen Motive sind dabei vielfältiger Natur; eine gängige Systematisierung gliedert diese in strategische, finanzwirtschaftliche sowie irrationale Motive.1 Zentrale strategische Motive sind (wobei insbesondere die ersten drei Motive eine große Rolle im Technologiebereich spielen dürften): 1 Die dargestellte Systematisierung folgt im Wesentlichen Behringer, S. (2013), S. 43 ff.

Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse im Sinne einer Erhöhung des Marktanteils (und damit der relativen Größe) des Unternehmens sowie die Erhöhung der Marktmacht. Erschließung neuer Märkte sowohl in sachlicher als auch in geographischer Richtung; eine besondere Bedeutung haben dabei Cross Border Transaktionen, welche die Möglichkeit zur rascheren Erschließung ausländischer Märkte im Sinne eines „Brownfield Investment“ gegenüber der Neugründung einer eigenen Tochtergesellschaft („Greenfield Investment“) bieten. Schnellerer Zugang zu Fähigkeiten (Technologien etc.) und knappen Ressourcen. Ausnutzung der Economies of Scale: Diese Größeneffekte ermöglichen aufgrund der Fixkostendegression mit einem wachsenden Output geringere Durchschnittskosten, den Einsatz leistungsfähigerer und effi-

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Fachartikel zienterer Produktionsanlagen sowie spezialisierter Mitarbeiter und die Ausnutzung von Erfahrungskurveneffekten. Ausnutzung der Economies of Scope: Diese entstehen durch die Kosteneinsparungen, welche bei der integrierten Erstellung verschiedener Produkte aus der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen (insbesondere Inputs wie Einkauf, Läger, Qualitätssicherung etc., Produktionsanlagen oder Aktivitäten in Vertrieb und Marketing) resultieren. Verringerung der Transaktionskosten: Transaktionskosten entstehen bei der Anbahnung, Vereinbarung, Abwicklung und Kontrolle des Austausches von Produkten und Dienstleistungen.

(tax shield) möglich, die in den einzelnen Unternehmensbereichen erwirtschafteten Cashflows so zu konsolidieren, dass damit das Insolvenzrisiko des Gesamtunternehmens reduziert und damit ceteris paribus ein höherer Fremdkapitalanteil ermöglicht wird. Andererseits können Unternehmen durch die Akquisition in den Besitz von steuerlichen Verlustvorträgen gelangen. Unterbewertung von Unternehmen: Eine Unterbewertung am Kapitalmarkt kann u. a. darauf zurückzuführen sein, dass das derzeitige Management das volle Potenzial des Unternehmens nicht ausnutzt und das Unternehmen mit einer veränderten strategischen Ausrichtung erfolgreicher sein könnte.

Zentrale finanzwirtschaftliche Motive sind: Bildung eines internen Kapitalmarkts zum Ausgleich der Unvollkommenheiten des (externen) Kapitalmarkts. Diversifikation: In Anlehnung an die Erkenntnisse aus der Kapitalmarktforschung, dass im Regelfall die Gesamtvarianz eines Wertpapierportfolios und damit das Risiko des Investors durch die Anlage in verschiedene Wertpapiere (Diversifikation) reduziert werden kann, wird angenommen, dass in gleicher Weise das Risiko des Investors auch durch eine entsprechende Diversifikation der Tätigkeitsfelder eines Unternehmens im Sinne eines Konglomerates verringert werden kann (ob mit dieser Risikoverminderung zugleich auch ein werterhöhender Effekt entsteht, ist hingegen wissenschaftlich sehr umstritten).2 Steuerliche Vorteile: Einerseits ist es diversifizierten Unternehmen vor dem Hintergrund der gewinnmindernden Wirkung von Fremdkapitalzinsen und dem daraus resultierenden steuerlichen Vorteil

Zentrale irrationale Motive schließlich sind: Empire Building: Manager neigen dazu, ihren Einflussbereich und damit „ihre“ Unternehmen zu vergrößern, um dadurch einerseits ihr Ansehen, Prestige sowie ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu steigern und andererseits um ihre Bezüge zu erhöhen (die positive Korrelation zwischen der Unternehmensgröße und der Höhe der Vergütung für das Management ist wissenschaftlich gut dokumentiert).3 Arbeitsplatzsicherung: Das Humankapital der Manager ist im betreffenden Unternehmen gebunden. Sie sind daher zwecks Sicherung ihres eigenen Arbeitsplatzes bemüht, die Cashflows zu stabilisieren und damit die Insolvenzgefahr für das Unternehmen zu verringern. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die Investition in Diversifikation. Darüber hinaus diszipliniert die latente Gefahr einer Übernahme die Manager auch dahingehend, ihre Ziele mit jenen der Eigentümer gleichzuschalten, da andernfalls die Unternehmensstrategie durch das Ersetzen des bisherigen Managements im Anschluss an die Übernahme neu ausgerichtet werden könnte. Hybris-Effekt (Overconfidence Bias): Der Hybris-Effekt bezeichnet grundsätzlich die Selbstüberschätzung von

2 Für einen werterhöhenden Effekt der Konglomerate siehe z. B. die Untersuchung von Hubbard, R. G./Palia, D. A. (1999), S. 1131 ff; für einen wertvernichtenden Effekt siehe z. B. die Untersuchung von Berger, P./Ofek, E. (1995), S. 39 ff; zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen hingegen z. B. Rustige, M./Grote, M. H. (2009), S. 470 ff. Generell zu den Schwierigkeiten bei der empirischen Messung des Diversifikationseffekts siehe z. B. Villalonga, B. (2004), S. 5 ff. WINGbusiness 4/2016

3 Für Deutschland haben beispielsweise Graßhoff/Schwalbach eine empirische Untersuchung durchgeführt, die diesen Zusammenhang bestätigt; vgl. Graßhoff, U./ Schwalbach, J. (1997), S. 203 ff.

Managern.4 Übertragen auf Unternehmensübernahmen bedeutet dies, dass die Manager sowohl die aus der Unternehmenstransaktion resultierenden Synergien als auch die eigenen Fähigkeiten zur wertgenerierenden Integration des übernommenen Unternehmens systematisch überschätzen. 3. Historische Merger-Wellen Unternehmensübernahmen sind kein neues Phänomen. Sie spielen schon seit über einem Jahrhundert eine große Rolle für die Unternehmensführung und haben die Volkswirtschaften aller Regionen geprägt. Insgesamt zeigt sich, dass die Merger-Wellen zwar unterschiedliche Auslöser und Treiber haben, jedoch immer durch externe Schocks – oftmals in Verbindung mit grundlegenden technologischen Entwicklungen – ausgelöst wurden, welche in einer Branche einen entsprechenden Anpassungsbedarf erzeugten. Untersuchungen zeigen, dass erhöhte M&A-Aktivitäten zunächst in der Regel auf einige Branchen konzentriert sind. Damit daraus eine Merger-Welle startet, muss als weitere Voraussetzung gleichzeitig genügend Kapital an den Finanzmärkten vorhanden sein, damit die Übernahmen auch finanziert werden können.5 Mergers & Acquisitions sind ein zyklisches Phänomen und treten daher in Wellen auf. Sie kumulieren sich zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Branchen und manchmal auch in bestimmten Regionen.6 In der Literatur werden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sechs große Merger-Wellen unterschieden, wobei sich die Geschwindigkeit der Merger-Wellen in den letzten dreißig Jahren deutlich beschleunigt hat. Die erste Merger-Welle (1887 bis 1904) begann im Anschluss an die Erholung von der Wirtschaftskrise im Jahr 1883 und endete mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 1904.7 Auslö4 Vgl. generell zur Hybris-Hypothese Roll, R. (1986), S. 197 ff. 5 Vgl. Hartford, J. (2005), S 529 ff. 6 Vgl. Andrade, G./Mitchell, M./Stafford, E. (2001), S. 103 ff. 7 Die Datierung folgt Scherer, F. M./Ross, D. (1990), S. 153. In der Literatur finden sich auch andere Datierungen dieser MergerWelle auf die Zeit zwischen 1897 und 1904. 39


Fachartikel ser und Treiber waren das Ausnutzen der neuen technischen Möglichkeiten sowie die Konsolidierung von Branchen. Durch den horizontalen Zusammenschluss (also von Unternehmen der gleichen Branche) entstanden große Unternehmen, die ihre Branchen beherrschten. Damit konnten die technischen Möglichkeiten der Industriellen Revolution, die große Economies of Scale ermöglichten, ausgenutzt werden. Ziel war es einerseits, in den sehr unruhigen Zeiten den Wettbewerb zu stabilisieren und andererseits den Preiswettbewerb zu reduzieren. In der zweiten Merger-Welle (1916 bis 1929) entstanden v. a. vertikale Unternehmen durch den Zusammenschluss von Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette. Auslöser und Treiber waren zum einen technologische Fortschritte im Transportwesen, die den Unternehmen die Möglichkeit zur überregionalen Ausdehnung gab und lokal abgeschottete Märkte unmöglich machten. Zum anderen machte die Verbreitung des Rundfunks auch überregionale Werbekampagnen möglich. Beides wurde durch entsprechende Unternehmensakquisitionen unterstützt. Während also in der ersten Merger-Welle der „merger for monopoly“ im Mittelpunkt stand, war dies in der zweiten Merger-Welle der „merger for oligopoly“.8 Die zweite Merger-Welle endete mit dem Börsenkrach im Oktober 1929. Die dritte Merger-Welle (1960er Jahre) war primär durch das Entstehen von Konglomeraten geprägt. Auslöser und Treiber waren meist defensive Motive wie v. a. der Versuch der Unternehmen, sich durch Diversifikation vor Umsatz- und Gewinnschwankungen zu schützen, ungünstige Wachstumsund Wettbewerbssituationen im Kerngeschäft zu kompensieren, technologische Defizite durch den Einkauf von Technologien aufzuholen und Unsicherheiten im Kerngeschäft zu umgehen.9 Es wurde bewusst in Branchen expandiert, die keinen Bezug zum bisherigen Kerngeschäft hatten. Die vierte Merger-Welle (1984 bis 1989) hatte ihren Ausgangspunkt in der Entflechtung der in der dritten 8 Vgl. Stigler, G. J. (1950), S. 23f. 9 Vgl. Weston, J. F./Mansinghka, S. K. (1971), S. 928. 40

Quelle: M&A Report Oktober 2016, Zephyr-Datenbank, Bureau van Dijk, Berechnung ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) Welle geschaffenen Konglomerate. Es die sich zu Beginn der kommerziellen setzte sich die Erkenntnis durch, dass Nutzung des Internets bildete. Wähsich Unternehmen auf ihre Kernkom- rend am Anfang dieser Merger-Welle petenzen konzentrieren sollten und feindliche Übernahmen im Mitteldass konglomerate Strukturen ineffizi- punkt standen, fanden später mehrheitent sind, da der einzelne Investor durch lich freundliche Übernahmen statt, bei den Erwerb verschiedener Wertpapiere denen sich gleichberechtigte Unternehverschiedener Unternehmen aus unter- men zusammenschlossen (Merger of schiedlichen Branchen und Regionen Equals). Die fünfte Merger-Welle wird sein Risiko selbst effizienter diversi- in der Literatur sehr kritisch gesehen, fizieren kann; eines diversifizierten da sie insgesamt Wert vernichtet hat.10 Unternehmens bedarf es dazu nicht. Mit dem Platzen der Internetblase im Ein weiterer Treiber waren finanzwirt- Jahr 2000 und den Anschlägen auf das schaftliche Überlegungen; Eigenkapi- World Trade Center am 11. September tal wurde verstärkt durch Fremdkapital 2001 endete die fünfte Merger-Welle; ersetzt und damit der Leverage-Effekt der M&A-Markt kam danach im Jahr ausgenutzt. In Europa kam mit der Ein- 2002 fast zum Erliegen und erreichte führung des Binnenmarktes und dem einen Tiefstand.11 daraus resultierenden Wunsch vieler Unternehmen, europaweit vertreten zu Auslöser und Treiber der sechsten sein, ein zusätzlicher Treiber in Form Merger-Welle (2003 bis 2008) schließeiner Verstärkung grenzüberschreiten- lich waren das verstärkte Auftreten von der Transaktionen hinzu. Die vierte Finanzinvestoren, die fortschreitende Merger-Welle endete mit der Rezession Globalisierung, das Aufstreben Chinas 1989/1990. als Weltwirtschaftsmacht sowie das zunehmende Akquisitionsinteresse von Im Zentrum der fünften Merger- Unternehmen aus Schwellenländern Welle (1995 bis 2000) standen die Tech- an Unternehmen aus Industrieländern. nologiebranchen selbst, insbesondere Im Mittelpunkt standen erneut stratedie Telekommunikations- und Com- gische Gründe wie insbesondere der puterindustrie sowie die Automobil- Einkauf von Technologien. industrie, die Pharmaindustrie und die Energiewirtschaft. Auslöser und Trei- 4. Aktuelle Entwicklung im M&Aber waren die fortschreitende Globali- Geschehen – Die siebente Mergersierung und die Deregulierung (diese Welle eröffnete v. a. Unternehmen in der Telekommunikationsbranche und in der Aktuell befinden wir uns nach Ansicht Energiewirtschat neue Chancen) be- vieler M&A-Experten – zumindest im gleitet von einer Konsolidierung v. a. in deutschsprachigen Raum – bereits in den Technologiebranchen. Häufig wird der siebenten Merger-Welle. Die Andie fünfte Merger-Welle auch mit der 10 Vgl. die Untersuchung von Moeller, S./SchlinInternetblase in Verbindung gebracht, gemann, F. P./Stulz, R. M. (2005), S. 757 ff. 11 Vgl. Ecker, M. (2008), S. 510. WINGbusiness 4/2016


Fachartikel zahl der Übernahmen von und mit deutschen Unternehmen steigt seit Anfang des Jahres 2011 weitgehend kontinuierlich an und befindet sich auf dem Weg zu historischen Höchstwerten. Dies zeigt sich deutlich im gleitenden Zwölf-Monatsdurchschnitt des ZEW-ZEPHYR M&A-Index (siehe die Abbildung auf der vorher gehenden Seite).12 Im August 2016 stand der Index bei 96 Punkten; höhere Werte wurden zuletzt im Jahr 2009 erreicht. Dabei ist ein deutlicher Trend hin zu großen Deals erkennbar; während das durchschnittliche Transaktionsvolumen pro Deal im September 2013 noch bei 116 Millionen Euro lag, ist er seither konstant gestiegen und hat sich beispielsweise bis Juni 2015 mit einem Wert von 303 Millionen fast verdreifacht. 5. Aktuelle Entwicklungen in ausgewählten Technologiebranchen Abschließend werden aktuelle Entwicklungen des M&A-Geschehens in vier ausgewählten Technologiebranchen – Maschinen- und Anlagenbau, Fahrzeugbau und -zubehör, Umwelttechnologie und erneuerbare Energien sowie Software – dargestellt.13 In der Branche Maschinen- und Anlagenbau ist die Deal-Aktivität derzeit insgesamt hoch; daran wird sich nach Einschätzung von M&A-Experten auch in der näheren Zukunft nichts ändern. Hohe Transaktionspreise erzielen v. a. international breit aufgestellte Unternehmen mit einem starken Innovationsprofil. Gefragt sind insbesondere Unternehmen mit innovativen Technologien in der Umwelttechnik, in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine sowie im effizienten Einsatz von Energie und Ressourcen. Investoren schätzen an den Maschinen- und Anlagenbauern besonders das solide und 12 Der ZEW-ZEPHYR M&A-Index Deutschland berechnet sich aus der Anzahl der in Deutschland monatlich abgeschlossenen M&A-Transaktionen. In diesem Index werden ausschließlich Übernahmen und Fusionen von und mit deutschen Unternehmen berücksichtigt; es werden daher auf der Käuferseite sowohl deutsche als auch ausländische Unternehmen berücksichtigt, während die Zielunternehmen (Targets) ausschließlich in Deutschland tätig sind. 13 Die Darstellungen basieren auf den Einschätzungen der Branchenanalysten des Finance-Expertenpanels. WINGbusiness 4/2016

stabile Ertragsniveau der vergangenen Jahre. Dies macht gut positionierte Unternehmen nicht nur für strategische Käufer interessant, sondern auch für Private-Equity-Investoren. In der Branche Fahrzeugbau und -zubehör liegen die Transaktionspreise derzeit auf einem hohen Niveau und werden nach Einschätzung von M&A-Experten auch in der näheren Zukunft stabil bleiben; es herrscht ein Verkäufermarkt bei gleichzeitig hoher Deal-Aktivität (die Zusammenschlüsse umfassen dabei die gesamte Bandbreite von Minderheitsbeteiligungen über Joint Ventures bis hin zu Mehrheitsübernahmen). Die Deal-Treiber sind insbesondere das Entstehen einer neuen Konkurrenz durch lokale Fahrzeugbauer in Wachstumsmärkten wie China und Indien, Wettbewerber aus Branchen außerhalb der traditionellen Automobilindustrie (softwaregetriebene Entwicklungen wie z. B. Fahrerassistenzsysteme und weitgehend autonom fahrende Autos sowie Trends zu sparsamen Fahrzeugen und zu Hybridund Elektroautos rufen Softwarespezialisten und Technologiekonzerne auf den Plan) sowie die Bestrebungen vieler Unternehmen zur Konsolidierung der Branche (die aus einer Konsolidierung resultierenden Verbundeffekte werden dabei auch als ein probates Mittel zur Abfederung des hohen Margendrucks gesehen). In der Branche Umwelttechnologie und erneuerbare Energien hat sich das Transaktionsvolumen der M&ADeals in den letzten Jahren nahezu verdoppelt. Die M&A-Aktivität wird nach Einschätzung von M&A-Experten auch in der näheren Zukunft hoch bleiben. Wesentliche Deal-Treiber werden zum einen grenzüberschreitende Übernahmen darstellen, da immer mehr Staaten das Thema der alternativen Energiegewinnung für sich entdecken und entsprechende Fördersysteme aufbauen. Zum anderen treten als Käufer zunehmend auch Private-Equity-Investoren und Asset Management Fonds in Erscheinung (letztere versprechen sich v. a. von Wasser-, Solar- und Windkraftanlagen eine gute Rendite bei einem gleichzeitig begrenzten Risiko). In der Software-Branche ist schließlich ebenfalls eine zunehmende

Deal-Aktivität zu beobachten. Die wesentlichen Deal-Treiber sind der Trend zur Konsolidierung, das Interesse strategischer Investoren an neuen Technologien (diese sollen den Zugang zu neuen Wachstumsmärkten sichern und die Produktportfolien erweitern) sowie das zunehmende Interesse von Großkonzernen an Nischenanbietern (Technologieanbieter mit guten Kundenzugängen, spezialisierten Technologien, guten Entwicklungsteams und einer soliden Entwicklungspipeline insbesondere in den Trendbereichen wie z. B. Big Data, Cloud Computing oder Cyber Security) und erfolgreichen Start-ups. Referenzen: Andrade, G./Mitchell, M./Stafford, E.: New Evidence and Perspectives on Mergers, in: Journal of Economic Perspectives, 15. Jg., 2001, S. 103 – 120 Behringer, S.: Unternehmenstransaktionen, 2013 Berger, P./Ofek, E.: Diversification’s effect on firm value, in: Journal of Financial Economics, 37. Jg., 1995, S. 39 – 65 Ecker, M.: Die sechste M&A Welle im Vergleich zu vorangegangenen Fusionswellen, in: M&A Review, o. Jg., 2008, S. 509 – 512 Graßhoff, U./Schwalbach, J.: Managervergütung und Unternehmenserfolg, in: ZfB, 67. Jg., 1997, S. 203 – 217 Hartford, J.: What drives Merger Waves?, in: Journal of Financial Economics, 77. Jg., 2005, S 529 – 560 Hubbard, R. G./Palia, D. A.: A Reexamination of the Conglomerate Merger Wave in the 1960s: An Internal Capital Markets View, in: Journal of Finance, 54. Jg., 1999, S. 1131 – 1152 Moeller, S./Schlingemann, F. P./ Stulz, R. M.: Wealth destruction on a massive scale? A study of acquiringfirm returns in the recent merger wave, in: Journal of Finance, 60. Jg., 2005, S. 757 – 782 Roll, R.: The Hubris Hypothesis of Corporate Takeovers, in: Journal of Business, 59. Jg., 1986, S. 197 – 216 Rustige, M./Grote, M. H.: Der Einfluss von Diversifikationsstrategien auf den Aktienkurs deutscher Un-

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Fachartikel ternehmen, in: ZfbF, 61. Jg., 2009, S. 470 – 498 Scherer, F. M./Ross, D.: Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Auflage, 1990 Stigler, G. J.: Monopoly and Oligopoly by Merger, in: AER, 40 Jg., 1950, S. 23 – 24 Villalonga, B.: Does Diversifikation Cause the “Diversification Discount”?, in: Financial Management, 33. Jg., 2004, S. 5 – 27 Weston, J. F./Mansinghka, S. K.: Tests of the Efficiency Performance of Conglomerate Firms, in: Journal of Finance, 26. Jg., 1971, S. 919 – 936

Autor: Ass. Prof. MMag. Dr. Stefan O. Grbenic, StB, CVA ist Assistant Professor am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie im Fachbereich Management Control, Accounting und Finance an der Technischen Universität Graz. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Unternehmensbewertung, insbesondere im Market Approach. Daneben ist Herr

Ass. Prof. MMag. Dr. Stefan O. Grbenic, StB, CVA Assistant Professor am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie, TU Graz Dr. Grbenic Steuerberater, international zertifizierter Valuation Analyst (EACVA und NACVA) sowie allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger.

7. SMI-Kongress „Transformationen – Neue Wege zu industrieller Nachhaltigkeit“

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nter dem Motto „Transformationen – Neue Wege zu industrieller Nachhaltigkeit“ findet am 10. Mai 2017 der 7. Kongress „Sustainability Management for Industries“ statt. Der Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften der Montanuniversität Leoben folgt damit der Tradition, heimischen Unternehmen – insbesondere der Industrie – und VertreterInnen aus Wissenschaft und Politik eine breite Diskussionsplattform zu aktuellen Themenschwerpunkten zu bieten. Im Mittelpunkt des Kongresses steht die große Herausforderung der heimischen Industrie, in Zeiten wirtschaftlicher, politischer und technolo-

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gischer Umbrüche, die Transformation zur Nachhaltigkeit zu schaffen. Gelingen kann sie durch die Fokussierung auf Stärken, kombiniert mit einer klimaverträglichen und ressourceneffizienten Entwicklung. Dazu bedarf es neuer, innovativer Lösungen auf Unternehmensebene, aber auch neuer Formen der Zusammenarbeit und Kooperation entlang der Wertschöpfungskette. Sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen der Transformation zu industrieller Nachhaltigkeit konzentrieren sich im Umgang mit der digitalen Welt, dem Zugang zu Netzwerken und der strategischen Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle.

Im Rahmen spannender Vorträge präsentieren namhafte ReferentInnen aus Forschung und Praxis zukunftsweisende Lösungen rund um die Themengebiete Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit, Energie- und Ressourceneffizienz, Life Cycle Assessment, Nachhaltigkeitsbewertung, -controlling und -berichterstattung, Nachhaltige Geschäftsmodelle, Sustainable Supply Chain Management, sowie Innovative Produkte, Prozesse und Dienstleistungen. Begleitend zum Kongress erscheint der Tagungsband „Sustainability Management for Industries 7“ im Rainer Hampp Verlag.

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Interview

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Allgegenwärtige Digitalisierung, Transformation der Energiesysteme und die Rolle von Technologiemanagement Interview mit Dr. Jan-Henning Fabian, Leiter Forschungszentrum Ladenburg, eines von sieben globalen ABB-Forschungszentren Mit etwa 135.000 Mitarbeitenden ist ABB ein weltweit führender Technologiekonzern im Bereich der Energie- und Automatisierungstechnik. Im Geschäftsjahr 2015 investierte ABB über 1,5 Mrd. USD in Forschung und Entwicklung. Was bedeutet Technologiemanagement für ein global agierendes Unternehmen? Wir haben dazu mit dem Leiter des deutschen ABB Forschungszentrums in Ladenburg, Herrn Dr. Jan-Henning Fabian, gesprochen. Mit welchen technologischen Herausforderungen ist ABB aktuell konfrontiert? Die technologischen Entwicklungen bei ABB werden seit einigen Jahren wesentlich durch zwei Megatrends bestimmt: die allgegenwärtige Digitalisierung und die Transformation der Energiesysteme. Die Industrie 4.0 Initiative war und ist ein wichtiger Treiber für die Digitalisierung in der Industrie, mit dem Ziel, klassische Produktionstechnik mit neuesten Informationsund Kommunikationstechnologien in den intelligenten Fabriken und Produktionsanlagen der Zukunft zu verschmelzen. Die dabei entwickelten Grundkonzepte wie cyber-physische Systeme oder digitale Zwillinge sind nicht auf die Industrie begrenzt, sondern bilden auch eine wichtige Grundlage für die Digitalisierung beispielsweise in Energienetzen, Gebäuden und Infrastruktursystemen, also wichtigen

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Marktsegmenten für ABB. Für ABB bedeutet dies, dass nahezu alle heutigen Produkte in irgendeiner Weise für die digitale Zukunft fit gemacht werden müssen, damit sie ihre Rolle in einer digitalen, vernetzen Welt spielen können. Darüber hinaus eröffnen sich ungeahnte Chancen, mit neuen, digitalen Produkten und Lösungen sowie neuartigen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, Wertschöpfung für den Kunden zu generieren. Nicht zuletzt macht die Digitalisierung auch vor den eigenen ABB Fabriken nicht Halt. Hier müssen wir die gleichen digitalen Lösungen und Konzepte einsetzen, wenn wir eine wettbewerbsfähige Produktion gerade in Hochlohnländern erhalten wollen. Die Herausforderung besteht darin, die erforderlichen Technologien für die digitalen Produkte und Lösungen bereitzustellen. Da viele dieser Technologien bereits verfügbar sind und nicht von Grund auf neu ent-

wickelt werden müssen, spielen Kooperationen hierbei eine wichtige Rolle. Wie lässt sich Technologiemanagement in einem weltweit agierenden Unternehmen organisieren? Technologiemanagement ist bei ABB auf Konzernebene organisiert. Die globale Verantwortung liegt beim Chief Technology Officer (CTO) des ABB Konzerns. Ein Technologiemanagement-Kernteam bestehend aus dem CTO, den Technologiemanagern der vier Geschäftssparten und der Konzernforschung legt letztendlich die Technologiestrategie fest und bestimmt damit das Portfolio der Technologieentwicklung. Die Entwicklung oder besser Bereitstellung neuer Technologien erfolgt in den sieben Forschungszentren der Konzernforschung, wobei der Kooperation mit Universitäten und anderen Partnern eine große Bedeu-

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iNTERVIEW tung zukommt. Dabei liegt der Fokus auf Technologieplattformen für die Produkte und Lösungen, die eng verzahnt mit der Technologieentwicklung in den Geschäftseinheiten entwickelt werden. Inhaltlich gliedert sich die Konzernforschung in acht Forschungsfelder, welche die wichtigsten Kerntechnologien für das ABB Produktportfolio repräsentieren und die regelmäßig an die aus den globalen Trends resultierenden technologischen Herausforderungen angepasst werden. Die Leiter der globalen Forschungsfelder sind für die Erstellung und Umsetzung eines strategischen Technologieplans für ihr Forschungsfeld verantwortlich. Dieser bringt die Möglichkeiten der Technologietrends (technology push) mit den Erfordernissen der Märkte (market pull) in Einklang und wird mindestens jährlich an die Veränderungen in beiden Bereichen angepasst. Die strategischen Technologiepläne werden einmal jährlich auf einem globalen Technologieforum, an dem neben dem Kernteam die Leiter der Forschungsfelder, die Technologiemanager aller Geschäftsbereiche und die Leiter der Forschungszentren teilnehmen, vorgestellt und freigegeben. Damit stellen wir sicher, dass die Technologiestrategie und das daraus resultierende Portfolio von allen Verantwortlichen getragen wird.

und die Auswirkungen auf langfristige Technologie- und Produktstrategien abgeleitet. Ein weiteres Instrument sind sogenannte Business Technology Evaluations. Im Rahmen von kleineren Projekten werden hier für ein begrenztes Technologiefeld aktuelle Technologien und Trends evaluiert sowie sich daraus ergebende Möglichkeiten für neue Produkte und Geschäftsmöglichkeiten abgeleitet.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen im Umgang mit technologischem Wandel?

Die zunehmende Digitalisierung verändert also auch die Arbeitsbereiche und Tätigkeitsfelder von klassischen Technologieunternehmen. Wie kann ABB die erforderlichen Kompetenzen im Unternehmen sicherstellen?

Technologischen Wandel zu erkennen, die wichtigsten Herausforderungen daraus abzuleiten und diese in der Technologiestrategie zu verankern ist ein Kernelement der Arbeit an den strategischen Technologieplänen. Diese wird auf der Technologieseite vor allem von den Senior-Wissenschaftlern in der Konzernforschung zusammen mit Partnern aus ihrem akademischen Netzwerk geleistet. Auf der Markt- und Kundenseite leisten die Verantwortlichen für Marketing und Produktmanagement sowie die Technologiemanager der Geschäftsbereiche ihren Beitrag. Zusätzlich fahren wir nach Bedarf größere Foresight-Projekte mit einem Zeithorizont von ca. fünf Jahren. Dabei werden für größere Technologie- und Geschäftsfelder, basierend auf Technologie- und Markttrends, Zukunftsszenarien entwickelt, analysiert

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In vielen Industriebereichen nehmen Komplexität, Intensität und Vielfalt der eingesetzten Technologien zu, gleichzeitig hat man den Eindruck, dass es in immer kürzeren Zeitabständen zu Diskontinuitäten kommt. Wie kann man mit solchen technologischen Turbulenzen umgehen? Die neuen Technologien in ABB Produkten sind eher selten radikal und schnelllebig. Auch die vierte industrielle Revolution, an der wir jetzt seit mehr als fünf Jahren arbeiten, ist eher eine Evolution. Um den Veränderungen durch die Digitalisierung in allen Bereichen Rechnung zu tragen, hat ABB eine eigene Organisation geschaffen, die in Kooperation mit Microsoft als einem weltweit führenden Anbieter von Cloud-Technologien das zukünftige digitale Produktportfolio von ABB entwickelt und verantwortet.

Die Digitalisierung hat sicherlich große Auswirkungen auf die Arbeitsbereiche und Tätigkeitsfelder, aber auch auf die Arbeitsorte und -zeiten sowie die Prozesse und Organisationen. Dies betrifft nicht nur die Entwicklung unserer digitalen Produkte, sondern auch die Arbeit in unseren eigenen „smart Industrie 4.0 factories“. Wir adressieren diese Herausforderungen in dem Projekt „Arbeit 4.0“. Bezüglich des gegenseitigen Verständnisses und der Prozesse in den Hardware- und Software-Welten sehen wir eher Chancen, voneinander zu lernen, als Barrieren. Beispielsweise wenden wir die im Softwarebereich etablierten agilen Vorgehensweisen in Entwicklungsprojekten pilothaft auch in geeigneten Hardwareprojekten an,

mit vielversprechenden ersten Ergebnissen. Der Aufbau der benötigten IT-Kompetenz kann sicherlich ein Problem darstellen, da diese Kompetenz überall verstärkt benötigt wird und ein gewisser Wettbewerb um die besten Köpfe herrscht. In einem global agierenden Unternehmen wie ABB können wir diesem Problem teilweise durch Verteilung der Aufgaben auf mehrere F&E Zentren rund um den Globus begegnen, je nach dort vorhandener Kompetenz. Aber auch durch die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen und Mitarbeiterentwicklung können wir die benötigten Kompetenzen ins Unternehmen holen bzw. dort halten. Großen Unternehmen wird oft eine gewisse organisationale Trägheit vorgeworfen. Gleichzeitig erfordert gerade der Anspruch auf Technologie-Führerschaft Corporate Entrepreneurship. Wie adressiert ABB dieses Problem? Es gibt bei ABB einen Bereich, der sich mit der Evaluation von Startups in für ABB relevanten neuen Technologiefeldern beschäftigt. In Einzelfall wird entschieden, wie mit den Startups weiter verfahren wird, z. B. Partnerschaft, Förderung oder auch Übernahme. Auf diese Weise kann schneller auf die Herausforderungen neuer Technologiefelder reagiert werden als durch interne Organisationsänderungen. Natürlich fördern wir, gerade in der Forschung, jederzeit unternehmerisches Handeln der Mitarbeiter im Sinne von Corporate Entrepreneurship. Aus Sicht eines Technologiekonzerns: Gibt es konkrete Wünsche an die Ausbildung von Studierenden, insbesondere in Hinblick auf das Thema Technologiemanagement? Wir erwarten von den Absolventen als Basis eine solide Ausbildung im Bereich Ingenieurwissenschaften oder Naturwissenschaften, wobei wir gerade in der Forschung ein hohes Qualifikationsniveau und die Fähigkeit zu selbständigem wissenschaftlichen Arbeiten erwarten. 60 % unserer Wissenschaftler sind promoviert. Je nach eingeschlagenem Karrierepfad erwerben die Mitarbeiter die erforderlichen Zusatzqualifikationen, z. B. im Projektmanagement, Portfoliomanagement oder allgemein Technologiemanagement, im Rahmen

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iNTERVIEW der beruflichen Weiterbildung. Dabei ist es natürlich von Vorteil, wenn die Absolventen in ihrem Studium bereits Lehrveranstaltungen zu Themen wie Technologiemanagement oder Projektmanagement besucht haben. Die Fragen stellte Harald Wipfler. Dr. Jan-Henning Fabian Studium der Physik an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, Promotion an der Universität Basel, danach Tätigkeit am ABB Forschungszentrum im schweizerischen Baden-Dättwil.

EINLADUNG DONNERSTAG, 23. MÄRZ 2017 17:00 – 20:00 UHR FH JOANNEUM Campus Kapfenberg Werk-VI-Straße 46, 8605 Kapfenberg Audimax, Eintritt frei

Seit April 2014 leitet Herr Dr. Fabian das ABB Forschungszentrum in Ladenburg, Deutschland. Fors c hu n g s s c hwe rpunkte sind zukünftige Lösungen in der Prozess-, Fabriks- und Gebäudeautomation, mit dem Menschen kollaborierende Roboterkonzepte und Software Architekturen im Bereich der industriellen Automation.

Dr. Jan-Henning Fabian Leiter ABB Forschungszentrum, Ladenburg, Deutschland Herr Dr. Fabian koordiniert die ABB Aktivitäten bezüglich der Plattforminitiative „Industrie 4.0“.

ROUNDTABLE INDUSTRIE 4.0 Sind Klein- und Mittelunternehmen die Gewinner der vierten industriellen Revolution?

Tel.: +43 (0)3862 33 600 8309 http://industrie40.fh-joanneum.at E-Mail: iwi@fh-joanneum.at Organisation in Kooperation: Institut Industrial Management – Industriewirtschaft und Institut für Angewandte Produktionswissenschaften

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17.11.2016 14:00:24

LEUTE/KÖPFE

Dipl.-Ing. (FH) Dr. Jörg Schweiger, MSc., neuer Geschäftsführer bei LOGICDATA Mit Juni diesen Jahres komplettiert die Logicdata GmbH mit Sitz in Deutschlandsberg ihre Geschäftsführung für den Bereich Operations mit dem 35-jährigen gebürtigen Grazer. Das Technologieunternehmen mit weiteren Standorten in den USA, China und Slowenien entwickelt und vertreibt mechatronische Produkte in der Möbelindustrie. Aktuell arbeiten an den vier Standorten etwas mehr als 220 Mitarbeiter bei einem Umsatz von EUR 80 Millionen. Dr. Schweiger startete seine berufliche Karriere nach dem Wirtschaftsingenieur-Studium Industriewirtschaft und dem berufsbegleitenden Master International Supply Management in Kapfenberg sowie seinem Doktorat an der Universität Udine als wissenschaftlicher Mitarbeiter und danach Senior Researcher und Lecturer und beschäftigte sich über viele Jahre mit den Themen Einkauf, Lieferantenmanagement, Logistik sowie ERP-Systemen. Als Leiter des Supply Management Competence Centers am Institut Industrial Management der FH Joanneum in Kapfenberg führte er dutzende Projekte mit Industrieunternehmen in Österreich durch. Parallel zu seiner Tätigkeit am Institut baute Dr. Schweiger bei der Firma Logicdata ab 2011 den strategischen Einkauf auf. Als Geschäftsführer für Operations verfolgt er das Ziel, diesen Bereich als Innovationstreiber zu positionieren und die Organisation auf die nächsten Wachstumsschritte vorzubereiten.

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WINGREGIONAL

Fotos: Manuel Happacher

Haider Alexander, Happacher Manuel

WING Forum Kärnten

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m 20.10.2016 wurde pünktlich um 18 Uhr die Auftaktveranstaltung „WING Forum Kärnten“, welche erstmalig vom WINGnet Villach in Kooperation mit dem WING Regionalkreis für Kärnten und Osttirol organisiert wurde, eröffnet. Vor zahlreichen Teilnehmern im Publikum standen Start Ups und Innovationen im Fokus der Veranstaltung. Neben Herrn Smole Erwin, Managing Director von SmoleEnergy Solution, welcher uns mit seinem Vortrag die Potentiale von Kooperationen zwischen klassischen Unternehmen und Start Ups näher brachte, gab uns Herr Christoph Schaller, Engineering Director von Flextronics, einen Einblick in die Aufgaben eines hochautomatisierten Produkt Innovationszentrums. Herr Smole Erwin ist unter anderem als „Seed Investor“ tätig und begleitet Start Ups schon in sehr jungen Phasen. Im Rahmen seines Vortrags ging Herr Smole auch auf neue Programme zwischen Unternehmen und Start Ups wie das „Accelerator Programm“ ein, bei welchen Unternehmen Start Ups begleiten sowie auch auf unternehmensinterne Corporate Start Ups. Diese zeichnen sich auf der einen Seite durch Intra-Preneure und Excubatoren aus, welche eine Kombination aus Sicher-

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heit des bestehenden Unternehmens und neu gelebter Produktentwicklung darstellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Start Ups schnell und agil sind und dass sie sich früher trauen, Ideen umzusetzen. Im Vergleich dazu zeichnen sich etablierte Unternehmen dadurch aus, dass sie Innovatoren sind. Herr Schaller Christoph ist für den Bereich Engineering bei Flextronics verantwortlich. Flextronics ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit mehr als 100 Standorten in 30 Ländern und beschäftigt derzeit 200.000 Mitarbeiter. Flextronics wurde als Tochterfirma von Philips gegründet und ist seit 1997 Flextronics welches sich sehr stark mit Industrie 4.0 beschäftigt. Neben einer integrierten Human Robot Collaboration (Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter) sind alle Mitarbeiter Lean und Six Sigma trainiert.

praxisnahe Themenstellungen für ihre Bachelor/Masterarbeiten wovon auch der Kooperationspartner seinen Nutzen ziehen kann. Gemeinsame Veranstaltungen und Firmenexkursionen werden zukünftig die Partnerschaft weiter stärken. Passend zu den behandelten Themen des Abends wurden den Gastrednern zwei Holzbrieftaschen überreicht, welche von dem Kärntner Start Up Unternehmen „Wogenfels“ gesponsert wurden. Bei Brötchen und Getränken fand der Abend einen gemütlichen Ausklang zum Networking und Knüpfen erster Kontakte mit dem neuen Kooperationspartner.

Den Höhepunkt der Veranstaltung stellte die Überreichung des Kooperationsvertrages zwischen der Firma Mahle Filtersysteme und dem WINGnet Villach dar. Aus dieser Kooperation werden zukünftig gemeinsame Projekte im Zuge des Wirtschaftsingenieurwesen Studiums entstehen. Darüber hinaus ergeben sich für die Studenten interessante, aktuelle und vor allem

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Wingnet

Fotos: Wolfgang Pucher

Haider Alexander

WINGnet Villach zu Besuch im Zementwerk w&p in Wietersdorf Mitte September war der Verband der Wirtschaftsingenieure von der JI Kärnten zu einem Betriebsbesuch ins Zementwerk nach Wietersdorf eingeladen, ein traditionsreiches und in den letzten Jahren stark gefordertes Kärntner ParadeIndustrieunternehmen.

W

erksleiter Berndt Schaflechner ist durch und durch Realist. Er weiß um die Schwierigkeiten und den Ruf des Standortes, der in den letzten zwei Jahren massiv gelitten hat. Trotzdem freut er sich über jede Gelegenheit, das Thema Blaukalk-Verwertung im Görtschitztal zu versachlichen und auf die Fakten herunter zu brechen. Seine Mitarbeiter und er blicken auf zwei harte Jahre zurück, in denen das Geschehene aufgearbeitet wurde. „Heute weiß man, dass es sich bei dem, was passiert ist, um ein multiples Versagen gehandelt hat“, so Schaflechner. Auf die Frage, was im Werk heute anders gemacht werden würde, meint er: „Wir würden uns nicht mehr auf externe Analyseergebnisse verlassen, sondern bei allen Stoffen, die wir in Wietersdorf einsetzen, unsere eigenen Analysen durchführen.“ Was passiert sei, hätte nicht passieren dürfen, da gäbe es nichts zu beschönigen. Aufgrund zahlreicher Untersuchungen wisse man heute aber, dass es, und das sei wohl das Wichtigste, keine gesundheitliche Beeinträchtigung gäbe und dass die HCB-Bodenbelastung im

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Görtschitztal im Vergleich zu Österreich und auch anderen europäischen Ländern unauffällig sei. „HCB ist ubiquitär, kommt also überall vor“, so Schaflechner. Jedenfalls stünde für das Zementwerk die Bevölkerung, die Umwelt und die Energieeffizienz an erster Stelle. „Das gläserne Werk ermöglicht es jedem, auf der Homepage www.umwelt. wup.at Einblick zu nehmen“, so der Werksleiter.

Kunden hochwertige Produkte herzustellen: „Zement ist kein graues Pulver, sondern ein hochkomplexes Gut. Die Produktionsverfahren sind bis ins Letzte durchdacht und überwacht, der Betrieb ist mehrfach nach ISO zertifiziert“. Hauptsächlich wird Silozement verkauft, Sackzement macht gerade einmal fünf Prozent der Jahresmenge aus.

Zement und Baustoffe aus Wietersdorf

Einzigartig ist auch die Sortenvielfalt – zwanzig verschiedene Zemente werden hier produziert, eine große Herausforderung für die Prozesssteuerung, die sich auf einige wenige Computer und Bildschirme reduzieren lässt.

w&p Zement bietet stabile Arbeitsplätze für mehr als 200 Mitarbeiter. Die Eigentümer investieren weiterhin in die Standortabsicherung und Umweltmaßnahmen. Die weltweit einzigartige Quecksilberreduktionsanlage ist seit mehr als einem Jahr sehr erfolgreich in Betrieb. In wenigen Monaten sind auch die Nachverbrennung und ein neuer Ofenfilter betriebsbereit. Wie Verkaufsleiter Peter Ramskogler festhält, seien dies alles Voraussetzungen, um am Standort für die

Optimierte Produktion

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Uninachrichten

Announcement CROSS-INDUSTRY CONFERENCE ON AGILE OPERATIONS Friday, February 3, 2017, at Graz University of Technology, Austria Prof. Dr. Christian Ramsauer (Graz University of Technology), Dr. Detlef Kayser (Lufthansa), and Dr. Christoph Schmitz (McKinsey & Company) invite you to join the cross-industry conference on agile operations and introduce their new book on agility

Agenda Book Presentation “Erfolgsfaktor Agilität – Chancen für Unternehmen in einem volatilen Marktumfeld”, Book presentation

Location Auditorium of Graz University of Technology Rechbauerstraße 12, first floor 8010 Graz, Austria

Selected Keynote Speakers •

Accelerating innovation in the digital age, Prof. Dr. Christian Ramsauer

The versatile factory – challenges and potential solutions for the car production of the future, Karl-Friedrich Stracke, President, Fahrzeugtechnik & Engineering, Magna Steyr

Radical agility – how to make agile work in a large tech organization, Dr. Christoph Lütke Schelhowe, Vice President of Customer Experience, Zalando

Agile innovations, Dr. Florian Weig, Senior Partner, McKinsey & Company

Swarm organization, Sebastian Miller, Head of Inhouse Consulting, Daimler AG

Agility plenary discussion

Information Christian Rabitsch Institute of Innovation and Industrial Management Graz University of Technology Kopernikusgasse 24/II 8010 Graz, Austria Phone: +43 316 873 – 9541 E-mail: christian.rabitsch@tugraz.at

Conference contributors

Breakout sessions on various agility topics (optional)* • • •

Agile supply chain and operations Agile organization and culture Agile product development

*Breakouts to be finalized two months prior to the event

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Uninachrichten Ulrich Bauer

Das techno-ökonomische Arbeitsgebiet „Industrial Marketing, Purchasing and Supply Management“ an der Technischen Universität Graz „Techno-Ökonomie“, das interdisziplinäre Forschungs- und Lehrgebiet an der Schnittstelle „angewandte Sozialwissenschaft“ und „angewandte Naturwissenschaft“ hat sich in den letzten (mittlerweile schon) Jahrzehnten in der Wirtschaftsingenieursausbildung an den techno-ökonomischen Instituten der TU Austria (www.tu-austria.at bzw. www.technooekonomie.org) erfolgreich etabliert. Relevanz des „Arbeitsgebiets IMPS“ für Wirtschaftsingenieure Am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Betriebssoziologie (BWL) der Technischen Universität Graz (TU Graz) manifestiert sich dieser Zugang im Kontext zum „Supply Management“ in der im Jahr 2012 von Assoc. Prof. Priv.-Doz. DDipl.-Ing. Dr. Bernd M. Zunk konzipierten, gegründeten und von ihm seither geleiteten Arbeitsgruppe „Industrial Marketing, Purchasing und Supply Management (IMPS)“. Das man sich entschied, diesem zukunftsträchtigen Arbeitsgebiet an der TU Graz einen Entwicklungsraum zu geben, basierte nicht zuletzt auf der Tatsache, dass rund 33 % aller (Wirtschafts-) Ingenieure nach ihrem Studium im Technischen Einkauf (als „Procurement Engineer“) und im Technischen Vertrieb (als „Sales Engineer“) tätig werden (siehe zu den Berufsprofilen u.a. Daum et al. (2010): BWL für Ingenieure und Ingenieurinnen). Dies zeigt die hohe (Praxis-) Relevanz des Arbeitsgebiets IMPS für das Wirtschaftsingenieurstudium und somit für Studierende und Absolventen. IMPS: Strategische Ausrichtung und operative Umsetzung Die strategische Ausrichtung der bisherigen IMPS-Aktivitäten hat naturgemäß starken Bezug zur Strategie der TU Graz. Bis dato sind u. a. folgende

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erfolgreiche Aktivitäten gesetzt worden (Auswahl): (a) Der konsequente Auf- und Ausbau eines internationalen Netzwerkes wie z. B. zum „IPSERA (International Purchasing and Supply Education and Research Association) - Academic Centre of Excellence“ unter Leitung von Prof. Dr.habil. Holger Schiele oder zum EPIEM (European Professors for Industrial Engineering and Management)-Netzwerk. (b) Die Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen wissenschaftlichen Partnern, im Zuge von gemeinsamen EU-Projektantragstellungen (u. a. im „EU FP7-PEOPLE2012-ITN“ zum Thema „Preferred Customer“), vielzähligen wissenschaftlichen Buch- und Journalpublikationen (www.bwl.tugraz.at) aktiver Beteiligung in der Scientific Community wie z. B. in der International Purchasing and Supply Education and Research Association (IPSERA), der Strategic Management Society (SMS), der European Operations Management Association (EurOMA) und dem Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB) sind Teil des Selbstverständnisses der „IMPS-Working Group“. (c) Umgesetzte internationale Lehrenden- und Doktoratsstudierendenmobilität und begleitend dazu Kooperationen wie z. B. der in den Jahren 2013 und 2015 an der TU Graz gemeinsam mit Forschern der UTIPS (University of Twente Initiative for Purchasing Studies) erfolgreich durchgeführte DissertantInnenworkshop, Lehr- und Forschungsaufenthalte an der University of Twente (NL), der TU Clausthal-Zellerfeld (GER) oder der University of Michigan in Ann Arbor (USA), die Organisation der 7th EPIEM Conference im Mai 2014.

„IMPS-Impact“ in Lehre und Forschung: Status quo und Ausblick In zukünftigen (englisch- wie deutschsprachigen) Lehrveranstaltungen in Bachelor- und Masterstudiengängen der TU Graz wird neben den fachspezifischen Inhalten auch angestrebt, den „akademischen Grundtugenden“, wie z. B. Research Design innerhalb einer universitären „IMPS Education and Qualification of Industrial Engineers and Managers (iSv Wirtschaftsingenieuren)“ besonderen Stellenwert einzuräumen. In der Forschung sind aktuell Themen wie „Kritische Sublieferanten in Supply Netzwerken“, „Kompetenzprofil von technologieorientierten Einkäufern“ oder die „strategische Beschaffung von Rohstoffen“ im Fokus von Dissertationsthemen. Ziel ist, die von Prof. Dr. Bernd M. Zunk angeleiteten Doktoranden der IMPS-Arbeitsgruppe, auch zukünftig zugleich „relevant und rigoros“ zum Dissertationserfolg zu begleiten und sie so entweder auf eine aussichtsreiche akademische Berufslaufbahn oder eine erfolgreiche Industriekarriere vorzubereiten. Sollte nun Ihr Interesse an aktuellen IMPS-Aktivitäten geweckt worden sein, dann lade ich Sie herzlich ein, Ihren ersten Eindruck durch Lektüre der Beiträge der aktuellen IMPS-Doktoratsstudierenden Frau Dipl.-Ing. Manuela Reinisch sowie Herrn Dipl.-Ing. Volker Koch oder des Absolventen Herrn Dipl.-Ing. Dr.techn. Martin Marchner zu vertiefen. Abschließend möchte ich anmerken, dass interessierten akademischen Institutionen wie Industriepartnern alle Türen zur IMPS-Arbeitsgruppe offen stehen (www.imps.tugraz.at), um gemeinsam z. B. Diplom- oder Masterarbeiten sowie auch größere Forschungsprojekte zu starten. Kontakt: bernd.zunk@tugraz.at

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WINGnet

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Gerade in Zeiten wie diesen stellen ein reizvoller Workshop, das Verteilen von lukrativen Flyern oder eine interessante Firmenpräsentation effiziente und kostengünstige Möglichkeiten zur Werbung für Unternehmen in Fachkreisen dar. Hervorzuheben ist der Zugang zur Technischen Universität als Innovations- und Forschungsstandort der besonderen Art, denn im Zuge von Bachelor- und/oder Masterarbeiten können Sie Studierende in Ideen für Ihre Firma miteinbeziehen und mit ihnen innovative Lösungen ausarbeiten. Nicht zuletzt wird auf diesem Weg auch für die Zukunft vorgesorgt. Denn schließlich sind es die heutigen Studenten der Technischen Universität, die morgen als Ihre Kunden, Händler oder Lieferanten fungieren. Mit WINGnet-Werbemöglichkeiten kann man diese nun schon vor dem Eintritt in das Berufsleben von sich und seiner Firma überzeugen und somit eine gute Basis für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit schaffen. WINGnet Wien veranstaltet mit Ihrer Unterstützung Firmenpräsentationen, Workshops, Exkursionen sowie individuelle Events passend zu Ihrem Unternehmen. WINGnet Wien bieten den Studierenden die Möglichkeit- zur Orientierung, zum Kennenlernen interessanter Unternehmen und Arbeitsplätze sowie zur Verbesserung und Erweiterungdes universitären Ausbildungsweges. Organisiert für Studenten von Studenten. Darüber hinaus

WINGbusiness Impressum Medieninhaber (Verleger) Österreichischer Verband der ­Wirtschaftsingenieure Kopernikusgasse 24, 8010 Graz ZVR-Zahl: 026865239 Editor Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Siegfried Vössner E-Mail: voessner@tugraz.at Redaktion/Layout Chefin vom Dienst & Marketingleiterin: Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at Redakteure Dipl.-Ing. Julia Soos E-Mail: julia.soos@tugraz.at Dipl.-Ing. Thomas Böhm E-Mail: thomas.boehm@tugraz.at Dipl.-Ing. Harald Wipfler E-Mail: harald.wipfler@tugraz.at Dipl.-Ing. Julia Brugger E-Mail: julia.brugger@tugraz.at Hanna Jöchlinger, MSc E-Mail: hanna.joechlinger@unileoben.ac.at Mag. Dipl.-Ing. Lena Paar E-Mail: lena.paar@tugraz.at Anzeigenleitung/Anzeigenkontakt Mag. Beatrice Freund Tel. +43 (0)316 873-7795,E-Mail: office@wing-online.at

bietet WINGnet Wien als aktives Mitglied von ESTIEM (European Students of Industrial Engineering and Management) internationale Veranstaltungen und Netzwerke. In 24 verschiedenen Ländern arbeiten 66 Hochschulgruppen bei verschiedenen Aktivitäten zusammen und treten so sowohl untereinander als auch zu Unternehmen in intensiven Kontakt. Um unser Ziel - die Förderung von Studenten - zu erreichen, benötigen wir Semester für Semester engagierte Unternehmen, die uns auf verschiedene Arten unterstützen und denen wir im Gegenzug eine Möglichkeit der Firmenpräsenz bieten. Die Events können sowohl in den Räumlichkeiten der TU Wien als auch an dem von Ihnen gewünschten Veranstaltungsort stattfinden. Weiters können Sie die Zielgruppe individuell bestimmen. Sowohl alle Studienrichtungen als auch z.B. eine Festlegung auf Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ist möglich. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Vorauswahl der Teilnehmer, mittels Ihnen vorab zugesandten Lebensläufen, zu treffen. Auf unserer Webseite http://www.wing-online.at/de/wingnetwien/ finden Sie eine Auswahl an vorangegangenen Events sowie detaillierte Informationen zu unserem Leistungsumfang. WINGnet Wien: Theresianumgasse 27, 1040 Wien, wien@wingnet.at; ZVR: 564193810

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Druck Universitätsdruckerei Klampfer GmbH, 8181 St. Ruprecht/Raab, Barbara-Klampfer-Straße 347 Auflage: 2.500 Stk. Titelbild: Fotolia WING-Sekretariat Kopernikusgasse 24, 8010 Graz, Tel. (0316) 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at WING-Homepage: www.wing-online.at Erscheinungsweise 4 mal jährlich, jeweils März, Juni, Oktober sowie Dezember. Nachdruck oder Textauszug nach Rück­sprache mit dem Editor des „WINGbusiness“. Erscheint in wissenschaftlicher Zusammen­arbeit mit den einschlägigen Instituten an den Universitäten und Fachhochschulen Österreichs. Der Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Wirtschaftsingenieur): Wirtschaftsingenieure sind wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Ingenieure mit akademischem Studienabschluss, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre technische und ökonomische Kompetenz ganzheitlich verknüpfen. WING - Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure ist die Netzwerkplattform der Wirtschaftsingenieure. ISSN 0256-7830

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