Andersdenkerinnen (Leseprobe)

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ANDERS­ DENKERINNEN Anna Faroqhi

Annäherungen an Helene Nathan, Anna Seghers und Hannah Arendt

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer. Die Publikation wurde unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und gefördert mit den Mitteln des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © edition q im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2022 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Marijke Leege-Topp, Berlin Umschlag & Satz: typegerecht berlin Schrift: Kohinoor Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-86124-756-2 www.bebraverlag.de

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I ROBIN

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Berlin, 2022. Wie war die Schule, Robin?

Hast du alle Bücher dabei? Ich dachte du musst ein Referat schreiben ...

So mittel.

Ja, ja, Mama. Ich soll ein Porträt schreiben.

… über jemanden, den ich bewundere. Wer kann das sein? Hm … Rezo

Du könntest ja über einen deiner kurdischen Vorfahren schreiben. Mama!

Oder über deinen Vater. Oder über MICH.

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Helene Nathan leitete zwischen 1921 und 1933 die Volksbücherei Neukölln, bis sie als Jüdin und Sozialistin von den Nazis ­zwangsentlassen wurde.

Oh, das hier ist über die Frau, nach der die Bücherei benannt ist.

Cool.

Damals sah eine Bibliothek ganz anders aus. Den Menschen wurden Leselisten empfohlen.

Was?

Nein, das ist keine Geschichte für einen Vortrag.

Gib schon her!

Schon wieder nur Ausgrenzung und Tod.

So sah sie aus. Aber …

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Helene Nathan wurde 1885 in Oels (Oelsnica) geboren.

Ich schau rein. Aber meine Comics nehme ich auch mit.

Die kleine schlesische Stadt gehörte damals zu Preußen. Es ist ein Mädchen! Sie ist gesund.

Nun leben hier 335 Juden.

Fast sämtliche biografische Daten sind verloren gegangen. Vielleicht hatte die Mutter besondere Träume für die Tochter.

Heute liegt Oelsnica in Polen. Helenes Vater war Kaufmann. Ist sie nicht süß? Ich auch!

Gib sie mir.

So ein kluges Mädchen.

Da - Haus.

Nein, mir.

Vielleicht aber auch nicht. Immer über ein Buch gebeugt. Das schickt sich nicht.

Da stimmt was nicht. Ja?

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Ich stelle sie mir als ein stilles, kluges Kind vor. Vater will dich auf das Lehrerinnenseminar schicken. Du kommst nach Breslau.

Weiß nur wieder die Jüdin Nathan ­Bescheid?

Wirklich?

Helene muss die Provinzhauptstadt Breslau von den Besuchen der ­großen Synagoge an den hohen Feiertagen gekannt haben.

Wie du ja weißt, meine Große, Bildung ist …

Kommt ihr ­endlich?

Du wirst sicher wieder Klassenbeste, Helene.

… das Einzige, was mir ­keiner wegnehmen kann. Ich werde euch vermissen.

Ich wünsche dir vor allem Aussichten auf eine gute Partie.

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Das Leben im Internat war bestimmt nicht einfach.

Wir achten hier streng auf Einhaltung der Regeln.

Die Mädchen hatten verschiedene Gründe für ihre Ausbildung. Also ich mach das ja nur, um mir einen Doktor oder Geheimrat zu angeln.

Und ich möchte meiner Familie helfen.

Also, ich lerne einfach gerne. Ich stelle mir vor, dass Helene eine Einzelgängerin war.

Lass. Die Jüdin ist was Besseres.

Wer zuerst am Geräteschuppen ist!

Komm, spiel mit, Helene!

Irgendetwas muss da passiert sein.

Sie ging danach einen für Frauen ungewöhnlichen Weg.

Wartet! Ich spiele mit!

Möglicherweise fand sie den Mut dazu in den Büchern.

Oder sie wandte sich bewusst dem Leben zu.

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Schließlich war Breslau die fünftgrößte Stadt des Kaiserreiches. Es war bestimmt nicht langweilig dort.

Schaut. Die haben's nicht so gut wie wir.

Phh. Arbeiterinnen.

Sie genießen ihr Leben. Die leben nur für den Moment.

Die sind ­unsauber. Die Studenten. Der Blonde könnte mir gefallen.

Mit dreißig sind das alte Frauen.

Die Universität …

Sollten wir nicht dafür sorgen, dass gerade diese Frauen es einmal besser haben?

Du bist immer so ernst.

Der Blonde hat mich angelächelt. Ach!

Unsere Helene interessiert sich wohl mehr für die Universität als für die Studenten.

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Besonders vielversprechende Oberlehrerinnen durften neuerdings studieren.

Mama, Papa, ich bin Jahrgangsbeste!

Das nicht, Mutter. Ich will studieren.

Helene. Du willst heiraten!

Eine Katastrophe!

Mein Lenchen gehört eben zur neuen Generation.

Vater! Ach, Vater.

So kam Helene als eine der wenigen Frauen an die Universität.

Helene studierte umso verbissener, Geschichte,

Kunstgeschichte,

Aufgrund ihres kleineren Gehirns haben Frauen eingeschränkte kognitive Fähigkeiten.

Geschichte der Literatur.

Sie interessierte sich für neue Ideen.

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1908.

Bestnoten. Aber vergessen Sie nicht – die Natur prädestiniert die Frau als Gefühlswesen zur Mutter und Hausfrau.

Zu Hause.

Und bald heiratest du, Helene!

Nein.

Schau sie dir an. Wann schenkst du mir so eins?

Ich will weiter studieren.

Meine Kleine.

Mutter, Vater. Es würde mir so viel bedeuten. Viele ­junge Frauen aus dem ­Osten planen ihr Leben jetzt anders. Sie wollen arbeiten. Und ich kann doch wie bisher in der Bibliothek arbeiten und für das Studium teils selbst aufkommen.

Helene ging in die Schweiz, wo Frauen promovieren und habilitieren durften. Und die Luft hier ist so gut, Helene. Ich wünschte, ich könnte auch bleiben.

Danke, Papa. Danke, Mama.

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Fast all die jungen Frauen hier

An der neuen Universität gab es mehrere weibliche Studenten. Du studierst nicht Medizin. ?

studieren hier Naturwissenschaften. Ich darf zwar studieren, aber keinen Doktor machen. Wir sind halt Studenten zweiter Klasse.

Ich studiere Bibliothekswesen.

Oh! Geisteswissenschaftlerin. Abschlusstauglich.

Das war der Plan.

Sehr klug. Nicht so wie ich. Mit dem Kopf durch die Wand. Ich bin Marina. Helene.

Mama! So was will ich gar nicht wissen! Das kann ich auch nicht für mein Referat verwenden!

Es würde mich freuen, wenn wir uns öfter treffen könnten.

Mich ebenfalls.

Vielleicht entdeckte Helene ja in Bern die Liebe.

Irgendwo muss sie ihre Neigung zu Frauen ja entdeckt haben.

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Ich stelle sie mir als eine eher stille Frau vor. Keine Revolutionärin. Keine Abenteurerin. Sie wollte vor allem ihr Ding machen.

Also, ich geh nach Hause.

Genug für heute.

Etwas aber kam dazwischen. Fräulein Nathan.

Er hat deinen Weg immer unterstützt, mein Kind. Aber nun weiß ich nicht, wie wir dein Studium weiter tragen können.

Ich bleibe bei euch.

Nein, Helene. Meine Kanzlei steckt zwar noch in den Anfängen. Aber ich helfe dir. Vater!

Dank der Unterstützung ihres Bruders promovierte Helene 1911 in Bern.

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Während ihres Studiums arbeitete Helene als schlecht bezahlte Aushilfskraft in der Bibliothek.

Im 19. Jahrhundert entwickelte das Bürgertum eine wahre Lesewut …

… was dazu führte, dass immer mehr Bibliotheken eingerichtet wurden.

Als Bibliothekarin zu arbeiten galt allgemein als respektabel für eine Frau.

Helene interessierte sich besonders für die kleinen Leute. 1916 ging sie deshab nach Leipzig in die damals neue und fortschrittliche Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen. Ich habe einen Artikel von Georg Lukács zur Theorie des Romans dabei. Das ist für mich!

Für mich ist der Kafka. Und für mich dieser Georg Trakl.

Plinius für mich.

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Helene war auch hier fleißig.

Ihre Themen waren die Französische Revolution, der Sozialismus, die Demokratie und Aktuelles.

Karl Marx' „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ muss unbedingt aufgenommen werden.

Auch Rosa Luxemburgs „Massenstreik“ darf nicht fehlen.

Während mittlerweile der Erste Weltkrieg tobte, dachte Helene darüber nach, wie sie die Welt auf ihre Weise beeinflussen konnte. Neben Klassikern müssen Lehrbücher zu den Handwerksberufen in den Bestand.

Obwohl mir persönlich August Bebels gemäßigtere Stimme etwas lieber ist. Sein Buch „Die Frau und der Sozialismus“ wird sicher ein Klassiker.

Was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien, wurde jetzt, im Jahr 1919, möglich.

Willkommen zur Einführungsveranstaltung in die historische Literatur. Wir wollen uns ansehen, inwieweit es einen Bildungskanon für alle geben sollte.

Sie machen Ihre Sache gut, Fräulein Nathan.

Tragen Sie doch Ihre Gedanken an der Fachhochschule für Bibliothekswesen vor.

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1921 ging Helene nach Berlin, um sich auf eine Stelle zu bewerben. Alle Welt wollte damals nach Berlin.

Was?

Das Mädchen aus Ghana? Ich finde es gut, wenn du dich mit einem Mädchen zusammen tust. Du hast wirklich schon viel herausgefunden. Du hast ja gesehen, Helene Nathan ist so etwas wie eine stille Vorreiterin.

Das ist Chioma. Wir treffen uns alle noch.

Kinder …

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Helene hatte von einer Stelle für die Leitung einer kleinen Volksbibliothek gehört.

Sie kam auf Empfehlung ihres Mentors in Leipzig, Hoffmann.

Ob die Metropole neu für sie war?

Gleichzeitig ist sie ein wichtiges Mittel der Befriedigung und Freude an den kommunalen Einrichtungen, auch in den unteren Schichten des Volkes.

War sie eingeschüchtert oder selbstbewusst?

Die kommunale Bildungspflege soll der Gesunderhaltung des Volkes dienen.

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Wir wollen beim aufnahmebereiten Individuum ansetzen. Und dort, bei den auserlesenen Empfänglichen die Zellen heranbilden, die dann ihrerseits im neuen Geiste auf die Umwelt ausstrahlen können.

Machen wir uns an die Bildung einer nationalen Volksgemeinschaft.

Äh … Na gut.

National? Volksgemeinschaft?

Ich darf eine Bibliothek leiten! Ob das Juden mit einschließt?

Wir wissen, es ist nicht Leipzig.

Es ist ganz wunderbar.

Die Volksbücherei Neukölln lag auf der Rückseite eines Schwimmbades.

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Unsere Bestände sind erbärmlich.

Das lässt sich ausbauen. Ich habe Erfahrung mit Karteisystemen.

Und ich freue mich schon, das mit Ihnen anzugehen!

Und so …

So.

Wir wollen eine Bestellung machen. Dostojewski. Und Tolstoi. Die Gesamtausgaben.

Passen Sie auf, Frau Nathan. Nehmen wir auch Bücher über Handarbeit auf?

Und Abenteuerromane?

Sehr gute Ideen. Schließlich wollen wir alle ansprechen.

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Doch irgendwie …

... sprechen wir gar nicht …

Und eigentlich kenne ich diese „möglichen Leser“ gar nicht.

… alle Menschen an. Beste Ware!

Also muss ich sie aus der Anschauung kennenlernen.

Meine hat gewonnen! Willste eins auf die Fresse?

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Die Großstadt gibt und nimmt. Helene fasste ihre ­Beobachtung in Worte. Wie ein gewaltiger Motor treibt die Großstadt auch das geistige Leben an.

Sie nimmt dem Menschen die Naivität …

… und gibt ihm größere Bewusstheit.

Unter der ­Kompliziertheit der Lebens­umstände wird er selbst ­komplizierter.

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Sie zog ihre Schlüsse. Unsere Leserinnen und Leser sind nicht alle gleich.

Gerade ihre Unterschiedlichkeit ist ihre Stärke. Dabei sollten wir uns aber vor einer …

Ihr armen Kinderlein! Da habt ihr was zu lesen.

… falsch verstandenen sozialen Gesinnung hüten. Sie könnte zu einem schiefen Verhalten, zu einer karitativen Geste führen. Deshalb muss sie gepaart sein mit Erkenntnis, mit der Einsicht in die Welt des anderen. Denn sofern ein Mensch dem anderen überhaupt helfen kann, kann er es nur aus dessen Lebensbedingungen heraus.

Nach zwölf Stunden im Büro will ich von den Erfolgen eines Meister­ detektivs lesen!­

Ich will Lehrbücher. Will doch schließlich mal raus hier.

Ich lese nach Feierabend am liebsten Romanzen.

Ich bin dabei!

Das heißt, wir müssen in die Betriebe, auf die Straße. Wir müssen mit den Leuten sprechen.

Ich auch.

Wozu? Wir sind gebildet. Wir wissen was gut ist für das Volk. Ich find's gut.

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Was soll's denn sein, kleiner Mann?

Für viele wurde die Bibliothek eine Art Heimat.

Ick bin der Erich ...

… bin schon 3, 4, 5 Wochen in der Schule.

Tachchen.

Und du willst was Schönes zu lesen?

Wie wäre es damit? Für ganz schlaue Erstleser.

Für mich? ’Ne Wucht!

Ja!

Und so, 1922. Lies mal Jules Verne, Erich. Abenteuer pur.

1929.

1925. Den hab ick gemocht den „Peter Stoll“, 'n Junge wie icke.

Frau Nathan, dit is' der Paule, der will och vom Emil und seine Detektive lesen.

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Helene fand für jeden Geschmack und jedes Lesebedürfnis das Richtige.

Sie wollen Drama, Philosophie, Humor und das über viele Seiten?

Etwas Neues, Spannendes aus Berlin? Gerade kam Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ heraus.

Auch privat fand Helene ihre Erfüllung.

Das ist von der letzten Kleist-Preisträgerin. Sehr besondere Sprache.

Uns sind schon wieder die Mittel für Neuanschaffungen gekürzt worden. Dabei wird die Bibliothek genutzt wie nie. Die Leser brauchen uns. Wir nehmen auch Seghers' zweite Erzählung in den Bestand auf, „Grubetsch“.

Mach dir nicht so viele Sorgen, Helene. Du hast so viel erreicht! Zumindest haben wir eine neue Filiale.

Helene verliebte sich in ihre Kollegin Elsa Schumann.

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Eine schöne Zeit begann.

Da bauen sie ein LuxusKaufhaus.

Wenigstens Arbeit für ein paar mehr.

Die Zeiten waren bewegt. Die Ungleichheit war groß. Es kam zu Demonstrationen und deren Zerschlagung. Sie schießen auf die Demonstranten! Weg hier!

33 Zivilisten starben. Die Tage vom 1. bis 3. Mai 1929 werden als „Blutmai“ in Erinnerung bleiben.

Wirklich?! Meinst du das Ernst?

Helene. Wollen wir nicht zusammenziehen?

Es sollte jedoch nicht dazu kommen.

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Sommer 1932.

Vor denen müssen wir uns in Acht nehmen.

Primitive Schlägertypen, Schreihälse.

Aber sie haben jetzt auch die Industriellen hinter sich.

Keiner kann die wirklich wollen.

Das Radikale sieht immer erst einmal interessant aus. Lebbar ist es nicht.

Sie zertreten alles, woran wir glauben. Und immer mehr folgen ihnen.

Klar, aber jetzt weg hier!

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Das Krisenjahr 1929 wirkte noch nach. Es gab in Deutschland etwa sechs Millionen Arbeitslose.

All diese jungen Menschen. Ohne Arbeit, ohne Hoffnung.

Die wollen bloß einen warmen Raum und zu Hause Holz und Strom sparen.

Warum nicht? Am Ende tragen wir dazu bei, dass unsere wacklige Republik sich doch noch festigt.

Und wenn es die Stellenanzeigen sind. Irgendwas lesen sie hier.

Wenigstens das können wir ihnen geben.

Daran zweifle ich …

Nach der Parole: „Wer liest, der denkt“?

Mein Mann sagt, die Republik bringe dem deutschen Volk nur Schande.

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Am 30. Januar 1933 wurde der NSDAP-Vorsitzende Adolf Hitler mit knapper Mehrheit Reichskanzler eines instabilen Parlaments.

In Berlin-Neukölln.

Dieser Parolendrescher!

Eine Katastrophe!

Der Gefreite sagte: „Republik, das klappt nie.“

Hitler beeilte sich, das Land nach eigenen Vorstellungen umzugestalten.

1. Februar: Auflösung des Reichstags

Buh! Wo bleibt die Versammlungsfreiheit?!

22. Februar

Die SA als Hilfpolizei? Können die das?

Mit Verordnung des Reichs­ präsidenten sind ab jetzt die Landtage aufgelöst.

4. Februar

27. Februar

Schnauze. Das waren die Kommunisten.

Das war der Hitler.

Keine Sorge. Es folgt eine Notverordnung zum Schutze des Deutschen Volkes. 28. Februar

Die Zeitungen sind alle verboten.

Kaufen Sie doch den „Völkischen Beobachter“.

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Wie in ganz Deutschland wurde auch in der Volksbücherei Neukölln heftig diskutiert. Wir wehren uns. Auf die Straße!

Alles angeblich zum Schutz von Volk und Staat.

So sehr ich Ihnen beipflichten möchte, muss ich Sie doch bitten ruhig zu sein.

Drecksbande. Drecksblatt.

Haut druff auf die Kerle!

Aber ich sag Ihnen, mit solchen wie denen ist man schlecht beraten, wenn man still bleibt.

Sie haben ja recht, Frau Nathan. Das hier sollte ein Ort der Stille sein.

Wir sind so viele, die sich wehren! Also dann. Arbeiten wir so gut wir eben können ­weiter. Verhelfen wir den Menschen noch mehr zu …

Wir sorgen dafür, dass sie die Neuwahl nicht gewinnen. Nach Neukölln trauen sich ihre Schlägertrupps schon mal nicht.

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