Vergleich und Erfahrungen US vs. EU Chips Act

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Vergleich und Erfahrungen US vs. EU Chips Act

Zusammenfassung

18. November 2022

Beide Chambers of US Congress haben am 29.07.2022 nach monatelangen Verhandlungen den CHIPS and Science Act verabschiedet, ein Act, der sich auf Anreize für Halbleiterherstellung und Forschungsfinanzierung konzentriert. Die Europäische Kommission hat am 8. Februar 2022 den Vorschlag für einen EU Chips Act veröffentlicht, welcher auf die Stärkung des europäischen Halbleiter Ökosystems abzielt. Die weltweite Nachfrage nach Chips wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppeln. Zunehmende geopolitische Spannungen führen dazu, dass die Halbleiterfertigung zum Gegenstand strategischer Interessen von Staaten weltweit wird. Hohe staatliche Subventionen in Asien (China, Japan, Südkorea, Singapur,…) und den USA sind eine Antwort darauf und der technologische Wettbewerb wird dadurch weiter verschärft. Auch in Europa müssen wir darauf eine passende Antwort finden und dürfen nun keine Zeit verlieren.

Im Rahmen dieses Papiers vergleichen wir den EU und den US Chips Act direkt miteinander und leiten Erfahrungen und Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung und die EU Kommission ab. Hierbei interessieren uns insbesondere die Fragestellungen: Welche Lehren kann man aus dem US Chips Act für den EU Chips Act ziehen? Welche Entwicklungspotenziale und Hemmnisse für die deutsche Industrie sehen wir im EU Chips Act im Vergleich zum US Chips Act? Die deutsche Industrie identifizierte dabei die folgenden 11 Erfahrungen:

Legende:

Großer Handlungsbedarf für den EU Chips Act:

Mittelgroßer Handlungsbedarf für den EU Chips Act:

Kleinerer Handlungsbedarf für den EU Chips Act:

Dr. Sophia Helmrich | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028 1402 | s.helmrich@bdi.eu | www.bdi.eu
POSITION | EUROPAPOLITIK | HALBLEITER
11 Lehren aus dem US Chips Act für den EU Chips Act

US Chips Act EU Chips Act

Finanzierung

Bereitstellung von zusätzlichen 52,7 Milliarden USD, weitere 82,5 Milliarden USD für Forschung und Entwicklung in Zukunftstechnologien

43 Milliarden Euro aus teilweise bereits bestehenden EU Förderprogrammen

► Erfahrung 1: Bereitstellung „frischer Gelder“ gewährleisten; Etablierung einer Finanzierungsstrategie

Steueranreize

Tax Credits von 25 % bei Investitionen in Halbleiterfertigungsanlagen und ausrüstungen Bisher keine angedachten Steueranreize

► Erfahrung 2: Steueranreize als Förderinstrument etablieren

Partnerschaft zwischen Regierung, Forschung und Industrie

Gründung des USA Semiconductor Institutes als Rahmen des Austauschs von Regierung, Industrie und Forschung

EU Semiconductor Board mit Vertretern aus der EU Kommission und den Mitgliedstaaten

► Erfahrung 3: Direkte Einbeziehung der Industrie in das Semiconductor Board

Design von Pilotanlagen

39 Milliarden USD an finanzieller Unterstützung für den Bau, die Erweiterung oder die Modernisierung inländischer Anlagen und Ausrüstungen für die Halbleiterfertigung, keine Nennung von Pilotanlagen

Schaffung von Pilotanlagen zur Testung und Validierung, Nutzbarmachung der Designplattformen und Pilotanlagen für KMU, Endnutzer und Startups

► Erfahrung 4: Anpassung des Designs der Pilotanlagen an die Bedarfe der Industrie vornehmen

Fachkräfte

200 Millionen USD für den „CHIPS for America Workforce and Education Fund” vorgesehen; Ausbildung von Arbeitskräften in der Mikroelektronik

Aufbau von Kompetenzzentren und die Einbeziehung von Endanwender KMU

► Erfahrung 5: Stärkere Bekämpfung des Fachkräftemangels konkret anstoßen

Breites Spektrum an Förderungen - 1st, 2nd, 3rd, 4th-of-a-kind

Keine Eingrenzung für die Finanzierung der Projekte von 1st, 2nd, 3rd, 4th of a kind

Ausschließliche Finanzierung von „first of a kind facilities"

► Erfahrung 6: Breitere finanzielle Förderung für 2nd, 3rd, 4th of a kind zulassen

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Erfahrungen

Erfahrungen

Förderung des ganzen Ökosystems Reife Halbleiter

Zweckgebundenes Budget von zwei Milliarden Dollar für „reife Halbleiter“

Keine spezielle finanzielle Förderung für „reife Halbleiter“ vorgesehen

► Erfahrung 7: Förderung des gesamten Halbleiter Ökosystems sicherstellen

Intervention im Fall einer Krise

US Defense Production Act: Intervention des Staates im Fall einer Krise der nationalen Verteidigung

„Crisis stage“: Intervention von institutioneller Seite im Fall einer bisher undefinierten Krise in der Halbleiterindustrie

► Erfahrung 8: Keine institutionelle Intervention aufgrund einer Wirtschaftskrise in der Halbleiterindustrie

Umsetzbarkeit von Auftragsverpflichtungen

Im Verteidigungsfall: Durchsetzung des Vorrangs von Verträgen und Aufträgen durch den US Präsidenten

Im Fall einer wirtschaftlichen Krise: Auftragsverpflichtungen für Unternehmen in der Halbleiterindustrie

► Erfahrung 9: Auftragsverpflichtungen den Produktionsrealitäten der Industrie anpassen Stabilisierung der Lieferketten

Im Verteidigungsfall: Koordination der Beschaffung innerhalb der Lieferketten durch den US Präsidenten

Monitoring der Lieferketten, koordinierte Risikobewertung, Informationsverpflichtungen, Optimierung der Zuweisung von Ressourcen

► Erfahrung 10: Einen neuen Ansatz in der Lieferketten Stabilisierung etablieren eine saubere Aufgabenteilung zwischen Staat und Wirtschaft schaffen

Beziehungen zu Drittstaaten – Umsetzung von Exportgenehmigungen

Bedingung bei Erhalt von Subventionen: Keine Ausweitung der Halbleiterfertigung in „countries of concern“

Exportgenehmigungen im Fall einer wirtschaftlichen Krise

► Erfahrung 11: Keine Hemmnisse gegenüber Drittstaaten aufbauen

Energiekosten

Investitionen in bereits bestehende Anlagen in Europa sowie auch Anreize für neue Investitionen zu schaffen, ist essenziell für das Erreichen des 20 % Ziels. Neben den genannten Erfahrungen müssen auch die Standortfaktoren in die Betrachtung der Kommission einbezogen werden. Die wichtigsten Standortfaktoren sind Fachkräfte, gesellschaftliche Akzeptanz, Kapital, Wasser, Fläche und Energie. Ausgelöst durch den Krieg in Europa ergeben sich insbesondere im Bereich Energie starke Hemmnisse für die Neuansiedlung in Europa. Die US Elektrizitätspreise bleiben dank heimischer Produktionskapazitäten von Energie stabil. Auch Japan, Taiwan und Südkorea weisen gleichbleibende Energiekosten auf. Europa, und insbesondere Deutschland, wird auf lange Sicht ein Energieimporteur bleiben. Ein exponentieller Anstieg der Energiekosten, wie in den vergangenen Monaten in Europa, reduziert im internationalen Vergleich die Attraktivität des europäischen Standorts für Investitionen. Die Bezahlbarkeit von Energie ist unerlässlich. Folglich müssen für die Unternehmen im Halbleitersektor

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Steuerentlastungen, Ausgleichszahlungen oder finanzielle Zuschüsse durch den Staat erfolgen, damit der Standort Europa im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleibt.

Erste Säule: Einrichtung eines Programms „Chips for Europe“

Finanzierung

Der entscheidendste Unterschied zwischen dem EU Chips Act und dem US Chips Act liegt in der Finanzierung. Die USA haben mit 30 % an der weltweiten Chips Produktion vergleichbare Ziele zu der EU, die sich 20 % gesetzt hat Jedoch unterscheiden sich die dafür vorhandenen Mittel erheblich In den USA wird für notwendige Investitionen neues zusätzliches Geld in Höhe von 52,7 Milliarden USD bereitgestellt. Die im EU Chips Act angedachte Förderung von 43 Milliarden Euro kommt hingegen größtenteils aus bereits bestehenden EU Förderprogrammen, Geldern aus den Mitgliedstaaten (z.B. in Form von IPCEI II) und angenommene Investments seitens der Unternehmen Im aktuellen Entwurf wird demnach kein zusätzliches Geld investiert. Auch die Hinterlegung der 43 Milliarden Euro ist nicht klar zu erkennen, lediglich die 3,3 Milliarden Euro aus Horizon Europe und Digital Europe sind hier im EU Haushalt klar identifiziert. Der US Chips and Science Act stellt außerdem zusätzliche 82,5 Milliarden USD an Forschungsgeldern für Zukunftstechnologien bereit, darunter 20 Milliarden USD für ein neues Direktorat bei der National Science Foundation, die sich auf neue Technologien konzentrieren soll. Die aus den 43 Milliarden Euro anteilig bereitgestellten 11 Milliarden Euro der EU für die Forschung und Entwicklungs Säule („Chips for Europe Initiative“) können demnach nicht ausreichen, um das gesamte F&E Halbleiter Ökosystem im Wettbewerb mit anderen Ländern anzuziehen

Erfahrung 1: Bereitstellung „frischer“ Gelder gewährleisten; Etablierung einer Finanzierungsstrategie

Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, bedarf es neuer zusätzlicher Gelder für die Finanzierung des EU Chips Acts sowie eine Finanzierungsstrategie für die in der zweiten Säule angedachten Subventionen der Mitgliedsstaaten. Es besteht jedoch auch die Gefahr von kostspieligen Subventionswettläufen, insbesondere wenn der Standort nicht optimal gewählt ist (Fachkräftemangel, Rohstoffmangel, hohe Energiekosten). Wenn die entsprechenden Fördertöpfe für ein Unternehmen zu groß werden, kann es zu unfairen Wettbewerbsbedingungen kommen, insbesondere für KMU und Start-ups.

Steueranreize

Im US Chips Act werden im Gegensatz zum EU Chips Act Investitions und Produktionsanreize durch Steueranreize gegeben. Investitionen in Halbleiterfertigungsanlagen und ausrüstungen in den USA erhalten Tax Credits von 25 %.

Erfahrung 2: Steueranreize als Förderinstrument etablieren

Diese gezielten Steueranreize wären in den europäischen Staaten ebenfalls wünschenswert, damit Europa als Standort attraktiv und wettbewerbsfähig bleibt, insbesondere im Hinblick auf die exponentiell steigenden Energiepreise in Europa im Vergleich zu außereuropäischen Staaten.

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Partnerschaft zwischen Regierung, Forschung und Industrie

Im US Chips Act ist die Gründung des USA Semiconductor Institutes verankert, welches den Rahmen für eine Partnerschaft zwischen der Regierung, der Industrie, den Universitäten und den Forschungseinrichtungen schafft. Ziel dieser Partnerschaft ist die Erforschung der Virtualisierung von Halbleitermaschinen, die Entwicklung von ATP Fähigkeiten und die Gestaltung und Verbreitung von Schulungen. Im EU Chips Act wird die European Semiconductor Expert Group, beziehungsweise das EU Semiconductor Board, erwähnt, welche Informationen aus den Mitgliedstaaten zu Krisensituationen bündeln sollen und sich ebenfalls um die Auswahl sowie die Evaluierung der „first of a kind facilities“ kümmern

Erfahrung 3: Direkte Einbeziehung der Industrie in das Semiconductor Board

Wir fordern die Einbeziehung von Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen der Halbleiterindustrie, der Endverbraucherindustrien sowie Zulieferindustrien in das Semiconductor Board. Die Schaffung eines Rahmens wie im US Chips Act für einen aktiven und regelmäßigen Austausch zwischen den Regierungsmitgliedern, der Industrie und der Forschung ist dringend notwendig, um die Ausgestaltung der Design Capacities, Pilotlinien und Subventionen an den Bedarfen der Halbleiterindustrie auszurichten

Design von Pilotanlagen

Mit vorgesehenen 39 Mrd. US Dollar sollen über den US Chips Act der Bau, die Erweiterung und Modernisierung von inländischen Anlagen und Ausrüstungen für die Halbleiterfertigung, montage, prüfung, advanced Packaging sowie Forschung und Entwicklung finanziert werden Eine explizite Nennung von Pilotanlagen wie im EU Chips Act gibt es im US Chips Act nicht. Wir begrüßen die besondere Förderung von Pilotanlagen durch „Chips for Europe“, weisen jedoch darauf hin, dass die Bedarfe der deutschen und europäischen Abnehmerindustrien bereits in der Ausgestaltung der Pilotlinien berücksichtigt werden müssen

Erfahrung 4: Anpassung des Designs der Pilotanlagen an die Bedarfe der Industrie vornehmen

Die Pilotanlagen sollen die Innovationskraft der Industrie stärken und die Investitionen in die Pilotanlagen sollen für die Industrie auch einen effektiven Nutzen haben. Wir fordern deswegen, dass für das Design der Pilotanlagen in erster Instanz die Industrie zuständig sein muss, um von vornherein die Skalierung und die Besonderheiten industrieller Fertigung im Blick zu haben und um zu vermeiden, dass kostspielige Pilotanlagen für Design und Fertigung an den Bedarfen der Halbleiterindustrie vorbeigehen. Dies gilt ebenfalls für die first of a kind facilities Heute benötigt die europäische Industrie zu 67 % Halbleiter, die größer als 90nm sind, der Bedarf an der Größe von 22nm bis 65nm beträgt 21 %, der zwischen 22nm und 7nm 7 % und Halbleiter kleiner als 7nm werden zu 5 % gebraucht. Die umfassende und zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft & Gesellschaft wird den Bedarf auch an kleineren Knotengroßen stark vorantreiben. Darüber hinaus steigt mit dem zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz, Hochleistungsrechnern sowie mit Fortschritten in Entwicklung von Quantentechnologien der Bedarf an spezialisierten Chips für diese Schlüsseltechnologien. Fördermaßnahmen für Forschung und Entwicklung sollen an diesen Bedarfen der Industrie ausgerichtet sein.

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Vergleich und Erfahrungen US vs. EU Chips Act

Fachkräfte

Im Rahmen des US Chips Act werden 200 Millionen USD für den « CHIPS for America Workforce and Education Fund « vorgesehen. Diese Förderung soll dem immer weiter steigenden Fachkräftemangel in der Halbleiterindustrie entgegenwirken. Ferner stellt der US Chips Act 13 Milliarden US Dollar für die MINT Ausbildung zur Schaffung von Arbeitskräften in wichtigen Bereichen zu Verfügung, was auch die Einrichtung eines nationalen Netzwerks für die Mikroelektronik Ausbildung miteinschließt. Wir begrüßen, dass im EU Chips Act der Aufbau von Kompetenzzentren und die Einbeziehung von Endanwender KMU verankert sind.

Erfahrung 5: Stärkere Bekämpfung des Fachkräftemangels konkret anstoßen

Ein klarer Finanzierungsrahmen und ein ähnliches Budget wie im US Chips Act für die Ausbildung von Fachkräften ist jedoch dringend notwendig. Die deutsche Industrie fordert eine stärkere Berücksichtigung des Fachkräftemangels bis zur Promotion im Bereich des Chip Designs und der Produktion sowie auch des Ausbildungsbedarfs. Ohne die notwendigen Fachkräfte ist die deutsche und europäische Halbleiterindustrie nicht zukunftsfähig. Auch die Ausbildung der Fachkräfte sollte sich an den Bedarfen der Industrie orientieren. Eine stärkere Bekämpfung des Fachkräftemangels ist dringend notwendig. Derzeit sind allein die deutschen Unternehmen mit einem enormen Fachkräftemangel konfrontiert, der sich auf etwa 276.000 MINT Experten beläuft davon sind etwa 96.000 IT-Spezialisten.

Zweite Säule: Gewährleistung der Versorgungssicherheit

Breites Spektrum an Förderungen 1st, 2nd, 3rd, 4th of a kind

Im Gegensatz zum EU Chips Act, der staatliche Beihilfen für „first of a kind facilities" Projekte fördert, gibt es im US Chips Act keine solchen Einschränkungen. Es geht im US Chips Act allgemeiner um die Subventionierung von Bau, Modernisierung und Erweiterung von Fabs.

Erfahrung 6: Breitere finanzielle Förderung für 2nd, 3rd, 4th of a kind zulassen Wir begrüßen die Finanzierung der „first of a kind facilities" Projekte als ein Mittel für mehr Innovation sehr. Es wäre für die europäische Industrie jedoch sinnvoll vor allem auch „2nd, 3rd and 4th of a kind“ in Europa zu fördern. Weitere Investitionen in diesem Bereich müssen sonst ausschließlich von den Unternehmen finanziert werden, was den Standort Europa im internationalen Vergleich weniger attraktiv und weniger wettbewerbsfähig macht.

Förderung des ganzen Ökosystems Reife Halbleiter

Im Gegensatz zum US Chips Act beinhaltet der EU Chips Act keine konkreten Vorschläge bezüglich der „reifen Halbleiter mature semiconductors“. Europas Marktanteil bei der Montage, dem Testing

Erfahrung 7: Förderung des gesamten Halbleiter Ökosystems sicherstellen Subventionen und Anreize entlang der gesamten Wertschöpfungskette wären auch im EU Chips Act wünschenswert. Eine zu starke Subventionierung auf einige wenige Technologien könnte zu Marktineffizienzen führen. Wichtig ist, die Förderung der Front und Back End Prozesse mit einzubeziehen. Dies beinhaltet auch das Advanced Assembly, das Testing und die Inspection. Angesichts der angestrebten stärkeren Unabhängigkeit der EU in der Halbleiterindustrie wäre die Förderung des ganzen Ökosystems von Vorteil.

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und Packaging von Halbleiterbauelementen (ATP Kapazitäten) liegt bei 5 %. Im Hinblick auf die gewünschte Erhöhung der Unabhängigkeit in den Lieferketten sieht der US Chips Act ein zweckgebundenes Budget von 2 Mrd. USD für reife Halbleiter vor.

Dritte Säule: Vorbereitung und Monitoring

Intervention im Fall einer Krise: Verteidigungsfall Wirtschaftskrise

Im EU Chips Act ist in der dritten Säule eine „crisis stage” verankert, nach deren Ausrufung durch das EU Semiconductor Board Sondermaßnahmen greifen sollen, die Exportgenehmigungen für krisenrelevante Produkte und Auftragsverpflichtungen beinhaltet. Die Europäische Kommission will damit ein Kriseninstrument schaffen, welches sich, nach Aussage der EU Kommission, am US Defense Production Act (DPA) orientiert Im US Chips Act gibt es keine solche festgelegte Krisensituation. Die Grundlage eines staatlichen Eingriffs in die Halbleiterindustrie in den Bereichen der Datenübertragung, Auftragsverpflichtungen und Beschaffungskoordination erfolgt in den USA auf Grundlage der Notwendigkeit der nationalen Verteidigung. Der Grundgedanke des DPA ist die Kontinuität der Landesverteidigung, der öffentlichen Gesundheit, des Schutzes der kritischen Infrastruktur und der nationalen Sicherheit. Ein Eingriff seitens der Europäischen Kommission würde auf Grundlage einer wirtschaftlichen Halbleiterkrise erfolgen und nicht aufgrund einer Verteidigungsstrategie.

Erfahrung 8: Keine institutionelle Intervention aufgrund einer Wirtschaftskrise in der Halbleiterindustrie

Wir fordern, dass der EU Chips Act Rahmenbedingungen für Innovation und Investition schafft. Einen direkten Markteingriff seitens der Europäischen Union im Fall einer Krise sehen wir als sehr kritisch an. Die europäische Halbleiterindustrie fordert die politischen Entscheidungsträger auf, zu berücksichtigen, dass die Einführung weitreichender Markteingriffe zur Bewältigung einer Wirtschaftskrise, die nicht einmal im EU Chip Act oder in anderen EU Rechtsvorschriften rechtlich definiert ist, unverhältnismäßig ist. Wir sehen keinen Bedarf an politischer Intervention bei wirtschaftlichen Krisen, denn aufgrund des fehlenden detaillierten Knowhows bezüglich Lieferketten auf politischer Ebene würde dies keinen perspektivischen Mehrwert für die Unternehmen bieten. Die Etablierung einer „crisis stage“ für die Halbleiterindustrie, welche die Verteidigung der europäischen Staaten oder die allgemeine Gesundheit betrifft, sehen wir als einen möglichen Schritt. Eine entsprechende Anpassung der Krisendefinition ist in diesem Zusammenhang eine notwendige Bedingung.

Umsetzbarkeit von Auftragsverpflichtungen

Durch den Defense Production Act ist in den USA festgelegt, dass zur Förderung der Landesverteidigung der US Präsident den Vorrang von Verträgen und Aufträgen durchsetzen kann. Er hat jedoch keine rechtlichen Befugnisse, Aufträge auf dem zivilen Markt zu kontrollieren, wohingegen dies im EU Chips Act vorgesehen ist. Wird in der EU eine Krisensituation ausgerufen, so greifen

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Sondermaßnahmen, zu denen auch Auftragsverpflichtungen gehören. Bei Missachtung der Sondermaßnahmen drohen Geldbußen.

Erfahrung 9: Auftragsverpflichtungen den Produktionsrealitäten der Industrie anpassen

Wir fordern, dass die Europäische Kommission die Produktionsrealitäten der europäischen Halbleiterindustrie berücksichtigt. Halbleiter sind auf einen speziellen Anwendungsfall des Endverbrauchers spezialisierte Produkte. Eine schnelle Umstellung der Produktion im Falle einer Krise auf neu priorisierte Technologieknoten und Strukturgrößen ist in kurzer Zeit technisch nicht möglich, sodass eine schnelle Krisenreaktion mit Auftragsverpflichtungen nicht umsetzbar ist beispielsweise dauert es vom Konzept zum fertigen Chip drei bis fünf Jahre. Hinzu kommt, dass nicht eingehaltene Lieferverträge für die Unternehmen Strafzahlungen nach sich ziehen Die EU Kommission muss zwingend sollte sie gemeinsam mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament an der Einführung der „crisis stage“ festhalten sicherstellen, dass Unternehmen, die aufgrund von Anforderungen des europäischen Gesetzgebers zu Re Priorisierung von Produktionskapazitäten verpflichtet werden, von Strafzahlungen befreit, respektive diese durch öffentliche Mittel übernommen werden. Im Falle einer Beteiligung eines Unternehmens bei der Krisenbewältigung erhalten diese in den USA Kompensationszahlungen, eine Maßnahme, die für europäische Unternehmen auch wünschenswert wäre. Staatlich angeordnete Auftragsverpflichtungen werden für die europäische Halbleiterindustrie im Falle einer Krise nicht nur kaum umsetzbar sein, sondern auch die Attraktivität des europäischen Standorts verschlechtert. Damit die europäische Industrie in Zukunft noch resilienter wird, sollten Produktionskapazitäten und Technologien langfristig auf die Bedarfe der europäischen Industrie ausgerichtet sein.

Stabilisierung der Lieferketten

Auch im Bereich der Lieferketten kann der US Präsident nur im Verteidigungsfall die Beschaffung koordinieren und die Übermittlung von Daten der Unternehmen veranlassen. Der EU Chips Act beschreibt die Notwendigkeit eines ständigen Monitorings, um mögliche Engpässe bei Halbleitern besser vorhersehen und schnell darauf reagieren zu können. Eine solche Zusammenarbeit zwischen den

Erfahrung 10: Einen neuen Ansatz in der Lieferketten Stabilisierung etablieren eine saubere Aufgabenteilung zwischen Staat und Wirtschaft schaffen

Da die Lieferketten in der Halbleiterindustrie sehr komplex sind und auf eine Strukturgröße spezialisierte Produkte enthalten, sollten nicht staatliche Beschaffungsstrukturen, sondern Unternehmen die Koordination der Lieferketten im Fall einer Krise innehaben Vielmehr sollte der Europäische Gesetzgeber und die Mitgliedsstaaten im Krisenfall dafür sorgen, dass eine Plattform des Dialogs zwischen allen Stakeholdern entsteht. Das Monitoring der Lieferketten in der EU sollte ein Netzwerk von Herstellern, aber vor allem auch Abnehmerindustrien und Zulieferern beinhalten. Die Stabilität der Lieferketten sollte weiterhin in der Verantwortung der Unternehmen liegen. Wir empfehlen, dass das gesamte Halbleiterökosystem mit in die Verantwortung für die Umstrukturierung und somit Stabilisierung der Lieferketten genommen wird sektorenspezifische Strategieboards könnten einen ersten Ansatzpunkt hierzu bilden. Ferner empfehlen wir, dass die Europäische Kommission finanzielle Anreize für Unternehmen setzt, damit diese strategische Vorsorgekontingente und Lagerkapazitäten anlegen und somit weniger anfällig für Lieferkettenprobleme sind. Führt die Europäische Kommission in Krisenzeiten doch ein Auskunftsersuchen in der Halbleiterindustrie durch, so müssen Umfang und Zweck des Ersuchens festgelegt werden. Zudem sollte die Europäische Kommission nachweisen müssen, dass keine angemessenen und maßgeblichen Daten aus einer anderen Quelle verfügbar sind.

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Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission würde laut des EU Chips Acts auch die Zuweisung von Ressourcen optimieren.

Beziehungen zu Drittstaaten, Umsetzung von Exportgenehmigungen

Im US Chips Act ist festgelegt, dass an das Erhalten der Subventionen Konditionen gebunden sind. Im Falle einer Nichteinhaltung der damit verbundenen Konditionen, sind die Unternehmen verpflichtet die erhaltenen Subventionen zurückzuzahlen. Im Gegensatz zum EU Chips Act müssen die Empfänger der Subventionen oder Tax Credits demnach zustimmen die Halbleiterfertigung in China oder anderen „countries of concern“ nicht auszuweiten. Dies könnte von neuen Investitionen in den USA abhalten. Im EU Chips Act sind derlei Verpflichtungen oder Erfolgsindikatoren der Unternehmen mit einem Empfang von finanziellen Mitteln nicht verbunden.

Erfahrung 11:

Keine Hemmnisse gegenüber Drittstaaten aufbauen

China stellt als weltweit größter Absatzmarkt für Halbleiter aufgrund der größten Elektronikproduktion für die europäische Halbleiterindustrie einen wichtigen Handelspartner dar. Des Weiteren sollte im Hinblick auf die Komplexität und die Internationalität der Lieferketten davon absehen werden, von europäischer Seite ähnliche systematische Differenzierungen von Drittstaaten vorzunehmen, um keine Hemmnisse aufzubauen und die Situation der Liefer und Wertschöpfungsketten noch zu verschlechtern. Den angedachten Exportgenehmigungen im EU Chips Act stehen wir deshalb sehr kritisch gegenüber. Die deutsche Industrie begrüßt den im EU Chips Act vorgesehenen Aufbau internationaler Halbleiter Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern zur Stärkung des europäischen Halbleiterökosystems. Internationale Kooperationen und das Schaffen von gegenseitigen Abhängigkeiten entlang der Halbleiterwertschöpfungskette sind essenziell für die europäische Halbleiterindustrie.

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Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028 0

Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion

Dr. Sophia Helmrich Referentin Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028 1402 s.helmrich@bdi.eu

Anna Luise Schütz Praktikantin Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028 1762 a.schuetz@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1679

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