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Zwei Ladenlokale, die in Schaffhausen aus dem Rahmen fallen

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IM ALLTAG IM ALLTAG PRÄSENZ PRÄSENZ MARKIERT MARKIERT

Die beiden Schaffhauser Betriebe Roost Augenoptik und Thomas Bollinger Bauspenglerei – Sanitäre Anlagen setzen bei der Vermarktung ihrer Dienstleistungen zwar auf herkömmliches Offline-Marketing, sie tun dies allerdings auf kreative Weise und sorgen kantonsweit für Gesprächsstoff.

TEXT VINCENT FLUCK BILDER MELANIE DUCHENE

Brillen geschichten

Wer vom Schaffhauser Hauptbahnhof über die Schwertstrasse zum Fronwagplatz geht, kommt am Optikergeschäft Roost vorbei. Es ist nicht zu übersehen, denn seine Schaufenster locken mit originellen Dekorationen, die alle zwei Monate wechseln. Sie bilden das Kernstück der Marketingaktivitäten des fast 100-jährigen Traditionsunternehmens. «Ein Schaufenster ist ein offensichtliches Werbeinstrument, aber man nimmt es gar nicht als solches wahr», sagt Geschäftsleitungsmitglied Pascal Schwyn dazu. Dieser Devise folgt die Gestaltung der Fenster. In allen drei werden Geschichten erzählt, in denen Brillen nur als Nebendarsteller auftreten.

Einmal im Herbst erinnerten ein Steinbock- und ein Damhirschkopf daran, dass «wilde Zeiten» herrschen, wie der Schriftzug auf dem Scheibenglas verriet. Die Brillen, die die beiden Tiere auf der Nase trugen, verliehen ihnen die Ausstrahlung eines Professors oder Lehrmeisters und liessen den Betrachter leise schmunzeln. Ein anderes Mal, im Frühsommer, wandelte sich das Schaufenster zum stahlblauen Himmel mit weissen Wolken. Auf dem Fensterglas klebte das Wort «Augenweide». Schwarz gefleckte weisse Würfel, auf denen ein paar Brillen präsentiert waren, stellten die Kühe dar, die diese himmlische Weide abgrasten. Schaufenstergestalterin Britta Hagen hat bei der Wahl der Themen freie Hand. «Auch wir wissen jeweils nicht im voraus, was sie als Nächstes plant», sagt Pascal Schwyn. Eines aber ist gewiss. Mit ihren Kreationen vermittelt die Schaffhauserin mit eigener Agentur in Zürich-Schlieren eine unterschwellige Botschaft: Ein Optikergeschäft, das so originelle Auslagen hat, erbringt auch aussergewöhnliche Dienstleistungen.

BOOKLETS ALS BEGLEITMASSNAHME

Brillen spielen in den Fensterauslagen eine Nebenrolle. Im Zentrum stehen zum Beispiel Aufnahmen von Schaffhauser Spitzensportlern, die sich auf ihr Ziel fokussieren.

den Events immer auch Leute anwesend, die bis anhin keinen Bezug zum Optikergeschäft hatten. «Auf diese Weise holen wir neue Kundengruppen in den Laden», sagt der Marketingverantwortliche. Dies ist nicht das Hauptziel, aber ein angenehmer Nebeneffekt.» Natürlich bietet sich auch die virtuelle Welt als Plattform an. So spiegeln sich die Schaufenstergeschichten immer auf der Homepage. Und über die Sozialen Netzwerke Facebook und Instagram werden sie ebenfalls verbreitet. «Pro Woche verfassen wird mindestens vier Beiträge», sagt Pascal Schwyn.

Nach über 20 Jahren hat Britta Hagen für das Schaffhauser Optikergeschäft so viele Schaufenster gestaltet, dass man damit ein Buch füllen könnte. Genau das ist geschehen. In einem Band von beinahe 140 Seiten sind alle Dekorationen abgebildet, die sie seit 2013 geschaffen hat. Natürlich hat es dieser Rückblick auch in die jüngste Fensterauslage geschafft. Zum Thema «Fensterwelten» steht das Schaufenster nun selber im Schaufenster. Und für das September-Fenster ist das Publikum eingeladen, eigene Ideen einzureichen. Die besten werden dann in die Gestaltung einfliessen.

«Ein Schaufenster ist ein offensichtliches Werbeinstrument, aber man nimmt es gar nicht als solches wahr.»

Pascal Schwyn, Marketingverantwortlicher Roost Augenoptik AG

Druckerzeugnisse herstellen, die im Laden aufliegen. Sie sind kunstvoll gestaltet, greifen das aktuelle Thema auf und vertiefen es. Als in den Jahren 2019 und 2020 die Fotos von Zwillingen und Drillingen auf Strassenplakaten, Buswerbung und natürlich auch in den Schaufenstern abgebildet wurden, erschien in einem Büchlein die Lebensgeschichte der Porträtierten. Die Texte für die Druckerzeugnisse schreibt Pascal Schwyn selbst. Nach seiner Optikerlehre bei Roost hat er an der Winterthurer Fachhochschule Kommunikation studiert und war danach eine Zeit lang bei den «Schaffhauser Nachrichten» als Sportjournalist tätig. Seit 2015 ist der 35-Jährige wieder in seinem Lehrbetrieb und ist ausser im Verkauf und in der Geschäftsleitung auch für das Marketing zuständig.

EVENTS BRINGEN NEUE KUNDSCHAFT

Die Schaufensterthemen greift die Firma Roost in Form von Events auf. So fand dort zum Beispiel im Januar 2020 die Finissage der Fotoserie über Schaffhauser Lieblingsorte statt – mit gemeinsamem Anstossen und mit Versteigerung der Bilder. Der Erlös ging als Spende an die Schaffhauser Afghanistanhilfe. Bedingt durch das jeweilige Thema, sind bei

Schaufenster im Schaufenster: Alle Ausstellungsthemen seit 2013 sind in einem Buch widergegeben. Klassische Druckerzeugnisse sind Teil der Marketingstrategie.

Ein Ort zum T homas Bollinger gibt, wie er selbst sagt, viel Geld für Marketing aus. Dabei setzt der Inhaber der gleichnamigen Sanitär-, Spengler-, Dachdecker- und SchreinerAnfassen firma bewusst auf herkömmliche Kanäle wie Messeauftritte, Zeitungen, Radio und Sponsoring. «Wir könnten Google-Werbung machen oder über Facebook gehen», sagt er. Einige Kundinnen und Kunden würden sicher darauf reagieren. Aber Ältere und solche, die mit den digitalen Hilfsmitteln nichts am Hut haben, bekämen davon nichts mit. «Sie wollen die Dinge anschauen und berühren können.» Für genau diese Kundengruppe hat Thomas Bollinger im Juni vor einem Jahr in der Schaffhauser Vorstadt einen «Erlebnisladen» eröffnet. Die Idee dazu kam ihm an einer Sitzung in einem Brainstorming. Trotz der Skepsis seiner Kaderleute setzte er sie um. Mit dem Laden knüpft Bollinger an die Zeit an, als sein Unternehmen noch klein war und nur den Standort in Schleitheim hatte. Dort seien oft Leute in seine kleine Werkstatt gekommen, weil sie eine Kleinigkeit brauchten, etwa den Einsatz für einen Wasserhahnen oder die Dichtung für ein WC. Diese Möglichkeit bietet Bollinger nun auch der Schaffhauser Kundschaft an. Die gewünschten Kleinteile werden vom Laden aus per E-Mail bestellt und am nächsten Tag aus dem Firmenlager im Mühletal in die Altstadt geliefert. Bollinger ist sich bewusst, dass eine einzelne Dichtung für 1.50 Franken kein rentables Geschäft ist. «Aber wenn der Kunde eines Tages ein grösseres Anliegen hat, sagt er vielleicht: Die waren für das Kleine da, deshalb berücksichtige ich sie auch für das Grössere.»

LADEN ALS KONTAKTSTELLE

Wichtig findet der Firmeninhaber seinen Laden für den unverbindlichen Erstkontakt. Er vergleicht ihn mit der Herbstmesse. Dort schlendern die Leute zwischen den Ständen hindurch, bleiben wegen einem Glas Wein oder einem Wettbewerb stehen und kommen ins Reden. Im Lauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass bei ihnen zu Hause das eine oder andere zu erledigen wäre. Ziel des Ladens ist es also nicht, einen im Voraus bestimmten Produkteumsatz zu erzielen, sondern als Kontaktstelle zur Verfügung zu stehen. Der Laden ist zu den üblichen Geschäftszeiten geöffnet und wird in der Regel von einem Kadermitglied betreut. Den Chef trifft man meistens am Dienstagnachmittag und am Samstag dort an. Im Laden steht ein Schreibtisch mit Com-

Geschäftsführer Thomas Bollinger und Verkaufsberaterin Yvonne Nufer im Erlebnisladen in der Schaffhauser Altstadt. Beide tragen das Bollinger-rote Firmenhemd.

«Viele Kundinnen und Kunden wollen die Dinge anschauen und berühren können.»

Thomas Bollinger, Inhaber und Geschäftsführer Thomas Bollinger GmbH

puter, sodass die Zeiten ohne Kundenkontakt für Büroarbeit nutzbar sind. Auch ein Jahr nach der Eröffnung ist Bollinger von seiner Idee überzeugt. «Dieser Laden ist nicht ein Pop-up-Geschäft für ein paar Monate. Ich will, dass wir auch in Schaffhausen zu einer festen Tradition werden.»

Jedes Jahr werden die bekanntesten Marken- und Firmennamen der Schweiz ermittelt. Würde man das Gleiche für die Region Schaffhausen tun, wäre die Firma Bollinger ganz oben. Mit ihrem Slogan «Dä mit de rote Auto und em blaue Tropfe» ist sie in fast jedem Kopf verankert. Der Werbespruch spielt auf die Firmenfarben an, die aus dem goldgelben Schriftzug bestehen, dem zu einem blauen Wassertropfen umgewandelten O und dem knalligen Hintergrundrot. Dieses Rot ist überall anzutreffen, wo auch die Firma Bollinger ist: auf den Geschäftsautos, den Baustellenplakaten, den Arbeitskleidern der Mitarbeitenden und den Inseraten. Letztere findet man nicht nur in Zeitungen, sondern auch in Vereinsbroschüren und auf Werbeplachen. Die Unterstützung von Vereinen aller Art – vor allem im Klettgau – ist Thomas Bollinger ein grosses Anliegen. «Ich will einerseits Werbung für mich machen, andererseits die Vereine unterstützen», sagt er und wirkt dabei glaubhaft. Die Vereinsunterstützung sieht er auch als Geste an die rund 90 Mitarbeitenden, die fast alle einem Verein angehören. «Es ist für sie eine Motivation, wenn der Arbeitgeber sie unterstützt.»

Vereinsunterstützung leistet der 57-Jährige auch in einem grösseren Massstab. So fördert er schon seit Jahren den VC Kanti und den FC Schaffhausen. Bis vor einem Jahr war er Hauptsponsor der Fussballer; seine Firmenfarben waren auf deren Trikots zu sehen. Dass er sein Engagement etwas zurückgefahren hat, habe nichts mit den aktuellen Clubstreitigkeiten zu tun, sagt er. Grund sei, dass er seine finanziellen Engagements jeweils zeitlich befriste. Danach ziehe er sich wieder zurück. Das sei auch im Fall des FCS so gewesen. Das Bollinger-Rot sieht man in den Zuschauerrängen aber weiterhin. Denn der Firmenchef geht immer im roten Hemd an die Spiele (auch sonst trifft man ihn meistens so an). Viele seiner Mitarbeitenden tun es ihm gleich. Dies mit Stolz, wie der Firmenchef sagt. «Ich denke, wenn ein Mitarbeiter stolz ist auf seinen Arbeitgeber, dann ist das auch eine Form von Werbung.» 

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