MAX JOSEPH #1 Was folgt? Nichts.

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Max Joseph

Bayerische staatsoper

Was folgt? Nichts.

Amélie Niermeyer im Gespräch mit Abt Johannes Eckert – Premiere La Favorite Anja Kampe und Harry Kupfer über Ausweglosigkeit und Hoffnung – Premiere Lady Macbeth von Mzensk

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D: 6,00 Euro A: 6,20 Euro CH: 8,00 CHF

Alles Nichts? Über den Kandidaten Donald Trump




Max Joseph 1  2016 – 2017 Das Magazin der Bayerischen Staatsoper


EDITORIAL „Nichts.“ Das schien die Antwort der beiden ersten Premieren dieser Spielzeit auf die Worte zu sein, die diese Spielzeit überschreiben: Was folgt. La Favorite von Gaetano Donizetti und Lady Macbeth von Mzensk von Dmitri Schostakowitsch konfrontieren uns am Ende mit der völligen Leere und Sinnlosigkeit des Geschehens. Im Theater jedoch folgt nie „nichts“. ­Theater ist nie endgültig oder defätistisch. Die Kunst ist, immer wieder, das weiße Blatt, auf dem alles anders sein könnte. Sie stellt mehr Fragen, als sie Antworten gibt. Wir folgen zunächst dem Liebespaar Fernand und Léonor in der Eröffnungspremiere La Favorite und erleben, wie Missverständnisse, Intrigen und letztlich ein Gefühl des Gottverlassenseins ihre Liebe ersticken. Die Mezzosopranistin Elīna Garanča, die als Léonor ihr szenisches Rollendebüt gibt, spricht im Interview ganz persönlich über Religion, Spiritualität und ihre Wahlheimat Spanien. Amélie Niermeyer befragte für ihre Inszenierung dieses Werks, das in großen Teilen in Santiago de Compostela spielt, den Abt des Klosters St. Bonifaz in München, ­Johannes Eckert. „Wir müssen die Leere aushalten“, antwortete der Abt – und erinnerte an das zentrale Bild der leeren Grabkammer im Christentum. In einem intensiven Gespräch entwickeln die Sopranistin Anja Kampe und der Regisseur Harry Kupfer die Leere, vor der Katerina Ismailowa steht, in der Operngeschichte ­unsterblich geworden als Lady Macbeth von Mzensk. Kirill Petrenko wird diese zweite ­Premiere der Spielzeit musikalisch leiten. Harry Kupfer sieht in Katerinas Freitod und der Kraft zur Sühne Hoffnung. Auch wenn für Katerina nichts mehr folgt, so Kupfer, hinterlässt sie für ihre Umwelt die Frage nach dem Warum. Schließlich: Viele politische Bewegungen, die derzeit in den westlichen Demokratien erstarken, eint ein nihilistischer, bloß negativer Zugang zu politischen Fragen. Die Rhetorik des US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zeigt dies vielleicht am deutlichsten – als „großes Schwarzes Loch“ wurde er von Kommentatoren bezeichnet. Ob er letztlich Präsident wird oder nicht, die Ausführungen seiner Biografin Gwenda Blair für d ­ iese Ausgabe werden ihre Relevanz über diesen Wahlkampf hinaus behalten. Natürlich fächert auch diese Ausgabe viele weitere Neuheiten auf, die wir für 2016/17 entwickelt haben. Einzelne Ensemblemitglieder werden erstmals Liederabende geben, den Anfang machen Elsa Benoit, Rachael Wilson und Goran Jurić, deren Wandlungsfähigkeit Sie in kunstvollen Porträts verfolgen können. Darüber hinaus nehmen die Künstler auch ganz persönlich Stellung zu ihrer Arbeit. Und der besondere Blick des Fotografen Christoph Brech lässt nochmals zurückblicken auf die berauschende Tournee des Bayerischen Staatsorchesters durch die wichtigsten Konzertsäle Europas im September. Die Worte „Was folgt“ sind unbequem. Die Oper muss dies sein. Erst dann kann sie ihre Schönheit zeigen. Ich wünsche Ihnen, liebes Publikum, eine wunderschöne Spielzeit 2016/17.

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper


Foto Johan Willner

MAX JOSEPH 1 Das Magazin der Bayerischen Staatsoper Spielzeit 2016 / 17 Was folgt? Nichts.

Johan Willner (*1971 in Stockholm) ist ein Spezialist der Mise en Scène. In seiner Fotoserie Boy Stories (2007) stellt er minutiös Sequenzen seiner eigenen Erinnerung nach. Der Fokus liegt dabei auf der Veränderung, die ein Moment mit sich bringen kann, auf den Auswirkungen des Gesche­ henen. Auf dem Bild Battle of Innocence, dem Cover dieser Ausgabe von MAX JOSEPH, scheint noch nicht entschieden zu sein, wie das Geschehene interpretiert werden wird: Als ein Triumph, der stolz macht? Als eine Grenzüberschreitung? Oder folgt am Ende – nichts?

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Wie ein Lichtstrahl im finsteren Reich – PREMIERE Die Sopranistin Anja Kampe und der Regisseur Harry Kupfer im Gespräch über Lady Macbeth von Mzensk

Was folgt bei Ihnen … ? Barbara Hannigan und Francesco Petrozzi über ihre Pläne

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„Ich bin eine Fatalistin“ – PREMIERE Elīna Garanča über Religion und Spiritualität in La Favorite und in ihrem eigenen Leben

Nichts Es verlockt und es ängstigt: Das Nichts. Ein Essay von Dieter Thomä

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„Er ist ein Showman“ Strahlender Sieger oder Schwarzes Loch? Donald Trump, erklärt von seiner Biografin Gwenda Blair

Editorial Von Nikolaus Bachler

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Contributors/Impressum

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„Wir bleiben ein Leben lang Suchende“ – PREMIERE Religion und Nihilismus, Oper und Orden: Ein Gespräch zwischen Regisseurin Amélie Niermeyer und Abt Johannes Eckert

INHALT

Foto Sigrid Reinichs

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Illustrationen Sam Taylor

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Comic Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor, erzählt von Sam Taylor

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Man hat sich ein Bild gemacht – PREMIERE Der Einfluss der umstrittenen „Volkov-­Memoiren“ auf unser Bild von Dmitri Schostakowitsch

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Selbstgespräch mit einem anderen Ich Ein innerer Dialog von David Wagner über das Sterben und die Erinnerung

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Baugenehmigung für Luftschlösser Jörg Böckem über die hoffnungsvolle Welt der Lottospieler

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Spielplan

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Was folgt … … wenn der Vorhang fällt?

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Vorschau

AGENDA

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Auf der Weltbühne des Balletts Der neue Direktor des Bayerischen Staatsballetts Igor Zelensky im Porträt

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Tourneefotos Die Europa-Tournee des Bayerischen Staatsorchesters mit Kirill Petrenko, fotografiert von Christoph Brech

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Ensemble-Liederabende Elsa Benoit, Goran Jurić und Rachael Wilson in Wort und Bild – als Ensemblemitglieder und individuelle Künstler


Erleben Sie Argon. In einer atemberaubenden Inszenierung von Linde. Welches Aussehen hätten Gase, wenn sie sichtbar wären? Und wie würden sie klingen? Wir wollten es wissen und haben typische physikalische Eigenschaften wie Elektronenzahl oder Siedepunkt in Töne und Farben gekleidet. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir begleiten die Bayerische Staatsoper im Rahmen unseres Kulturengagements als Spielzeitpartner.



Max-Joseph-Platz 2 80539 München T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de www.staatsoper.de Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.) Redaktionsleitung Maria März, Nikolaus Stenitzer Gesamtkoordination Christoph Koch Redaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Daniel Menne, Julia Schmitt, Benedikt Stampfli, Mitarbeit: Sabine Voß Bildredaktion Yvonne Gebauer Gestaltung Bureau Borsche Mirko Borsche, Moritz Wiegand, Sophie Schulz, Michael Clasen, Fabian Fohrer Autoren Jörg Böckem, Gerald Dowler, Barbara Hannigan, Florian Heurich, Jürgen Otten, Francesco Petrozzi, Dorothea Redepenning, Dieter Thomä, David Wagner Fotografen & Bildende Künstler Christoph Brech, Kai Ehlers, Yvonne Gebauer, Saskia Groneberg, Jonas Lindstroem, Hernan Marin, Berto Martínez, Martha Ossowska Persson, Sigrid Reinichs, Sany, Tobias Schalken, Sam Taylor, Johan Willner, Eric Yahnker

Jörg Böckem Seite 68

Sigrid Reinichs Seite 40

David Wagner Seite 64

Jörg Böckem schreibt seit vielen Jahren bemerkens­ werte Reportagen für MAX JOSEPH. Im Zuge der Recherche für dieses Heft ­ hat er zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder einen Lottoschein ausgefüllt – und ihn dann verloren, ohne die Zahlen zu vergleichen. Glaubt man seinem Text, darf er sich damit zu den glück­ licheren Lottospielern zählen. Jörg Böckem lebt als Journalist in Hamburg und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt High Sein. Ein Aufklärungsbuch (2015).

Beim Fotografieren, so ­ Sigrid Reinichs, interessiere sie besonders das Unberechenbare, das bei aller Vorbereitung nicht bewusst Steuerbare. Die Bilder der Begegnung zwischen Abt Johannes Eckert und der Regisseurin Amélie Niermeyer, die Sigrid Reinichs für diese Ausgabe fotografierte, zeugen von genau solchen Momenten: die Intensität ist sicht- und spürbar. Reinichs studierte Foto­design an der Fach­ akademie für Fotografie in München, wo sie heute lebt.

Ein geliebter Mensch stirbt – ein Ende, auf das nichts folgt. Oder doch? Der Schriftsteller David Wagner denkt darüber in einem literarischen Selbstgespräch nach. Fragen zum Davor und Danach stellte er sich auch in seinem Roman Leben, für den er 2013 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Dieses Jahr ­erschienen Sich verlieben hilft. Über Bücher und Serien und Ein Zimmer im Hotel. David Wagner lebt in Berlin.

Eric Yahnker Seite 36

Gwenda Blair Seite 36

Jonas Lindstroem Seite 74

Die Arbeiten des amerika­ nischen Künstlers Eric Yahnker wirken monumental und plakativ – mit starkem politischem Unterton. In seinen satirischen Kohleund Buntstiftzeichnungen beschäftigt er sich auf eindringliche Weise mit Popkultur und Politik. Sein pointierter künstlerischer Kommentar begleitet das Interview mit der Trump-­Biografin Gwenda Blair. Eric Yahnker zeigt seine Arbeiten in Einzelund Gruppenausstellungen in den USA und Europa.

Einen „Doktortitel in Trump-Wissenschaften“ hat die Journalistin und ­Dozentin Gwenda Blair sich einmal selbst attestiert – so intensiv hatte sie für ihre Biografie der Trump-Familie recherchiert. The Trumps. Three Generations of Builders and a Presidential Candidate (2001) wurde ein Bestseller. Im Interview mit MAX JOSEPH spricht sie differenziert über den US-amerikanischen Präsidentschafts­kandidaten, den Kritiker auch ein „großes Schwarzes Loch“ nannten.

Der Fotograf und Regisseur Jonas Lindstroem studierte visuelle Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Heute arbeitet er in Berlin und London, unter anderem für Calvin Klein, Kenzo oder das Zeitmagazin. Jonas Lindstroem fotogra­ fierte die Spielzeitkampagne 2016 für das Bayerische Staatsballett, zu der auch die Ballett-Premierenplakate gehören. Für diese Ausgabe von MAX JOSEPH ­porträtierte er Igor Zelensky, den neuen Direktor des Bayerischen Staatsballetts.

Marketing Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de Schlussredaktion Clarissa Czöppan Anzeigenleitung Julia Altenberger T 089 – 21 85 10 06  julia.altenberger@staatsoper.de Vertrieb Zeitschriftenhandel DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH Am Sandtorkai 74 20457 Hamburg www.dpv.de Lithografie MXM Digital Service, München Druck und Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München ISSN 1867-3260 Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.­ Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu ­erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Foto David Wagner Verbrecher Verlag / A. Janetzko

Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph

Foto Jörg Böckem Alex Straulino

Contributors

Foto Eric Yahnker Lauren Ward

Impressum


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Was folgt bei Ihnen … Was folgt in meinem Leben als Nächstes? Welche ­Ereignisse ­kommen auf mich zu, auf welche Felder will ich mich als Nächstes wagen? In der Spielzeit 2016/17 berichten Persön­lichkeiten von ihrer Zukunft.

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Als ich angefangen habe zu dirigieren, hatte ich keine Ahnung, dass das einmal eine so große Rolle in meinem Leben spielen würde. Das hatte nichts mit dem Beginn einer neuen Karriere zu tun – keine Spur von „Was folgt?“. Jetzt, fünf oder sechs Jahre später, hat das Dirigieren einen solchen Stellenwert bekommen, dass ich bei den meisten meiner Konzertauftritte auch dirigiere. Das Singen und Dirigieren steht jetzt in einem Verhältnis von 50:50 – und in den kommenden fünf bis zehn Jahren habe ich noch viel zu singen, worauf ich mich sehr freue, zumal sich meine Stimme für mich besser denn je anfühlt. Das bedeutet für mich, dass ich zwar unausweichlich einmal aufhören werden muss zu singen, aber doch weiterhin auftreten und Musik machen kann. „Was folgt?“ heißt für mich also nicht: Wann höre ich auf?, sondern: Was mache ich als Nächstes, welches Repertoire, welche Opern, wie entwickle ich mich weiter als Musikerin und als Dirigentin? Dank meiner Laufbahn als Sängerin habe ich den Vorteil, über die Stimme, den Atem, die Kantilene, das Cantabile zu verfügen, also die Qualitäten, die von vielen Instrumentalisten angestrebt werden und die ich so einem Orchester vermitteln kann. Andererseits kann ich mich dadurch gut in andere Sänger hineinversetzen. Insofern glaube ich, dass meine Zukunft darin liegt, Opern zu dirigieren. Es passiert ja nicht so oft, dass man als Sänger mit einem Dirigenten zu tun hat, der früher selbst Sänger war. Uraufführungen haben schon immer einen großen Anteil meiner Arbeit eingenommen. Man einigt sich auf etwas, das noch keiner kennt, man sagt Ja zu einem Risiko. Das ist ein ganz schöner Vertrauensvorschuss. Ich habe unglaublich viel gelernt aus der Zusammenarbeit mit lebenden Komponisten. Diese Erfahrung hat mir überhaupt erst erRubrikentitel möglicht, mich mit Partituren wie

Foto Peter Fischli / LUCERNE FESTIVAL

… Barbara Hannigan?

Barbara Hannigan wurde in Kanada geboren. Sie studierte in Toronto bei Mary Morrison, in Den Haag bei Meinard Kraak und privat bei Neil Semer. Zu ihrem Repertoire gehören u.a. die Titelpartien in Lulu, Le Rossignol und Matsukaze sowie ­Armida (Rinaldo), Gepopo/Venus (Le Grand Macabre) und Agnès (Written on Skin). Sie ist ­regelmäßig Gast bei den Berliner Philharmonikern und sang ­zudem mit ­Orchestern wie dem ­London Symphony Orchestra, dem New York Philharmonic und dem ­Symphonieorchester des ­Bayerischen Rundfunks. 2010 gab sie ihr Debüt als Dirigentin am Théâtre du Châtelet in Paris ­mit Strawinskys Renard. Seitdem dirigierte sie etwa das WDR Symphonie­orchester, die Prager ­Philharmoniker und die Accademia Nazionale di Santa Cecilia. An der ­Bayerischen Staatsoper war sie in der Spielzeit 2014/15 als Marie in Bernd Alois ­Zimmermanns Die Soldaten zu sehen. Beim 2. Akademiekonzert 2016/17 ist Barbara Hannigan sowohl als ­Dirigentin­als auch als Sopranistin zu erleben.

denen von Die Soldaten oder Lulu so intensiv auseinanderzusetzen. Bei meinem Dirigierdebüt am Théâtre du Châtelet war Esa-Pekka Salonen im Publikum, und er sagte mir danach, er könne nicht fassen, wie ich mein Gehirn so aufteilen könne: Beim Singen befindest du dich vollkommen im Augenblick, in der unmittelbaren Gegenwart, beim Dirigieren denkst du immer voraus, musst immer antizipieren, was als Nächstes kommt. Beim Dirigieren geht es um den Auftakt, beim Singen überhaupt nicht! Und wenn ich dazu noch eine Rolle zu spielen habe, hilft mir das nur bei allem anderen. Die drei Komponenten – Rolle beziehungsweise Charakter, Singen und Dirigieren – leiten und befruchten einander. Wir sind immer Geschichtenerzähler! Das ist eigentlich für mich das Wunderbare, dass ich diese Aufgabe auf drei verschiedene Arten gleichzeitig verfolgen kann. Bevor ich angefangen habe zu dirigieren, hatte ich gar keinen Unterricht genommen; erst nach meinem Debüt habe ich dann Stunden

genommen. Normalerweise ist es ja keine schlechte Idee, das umgekehrt zu machen … Egal, man kann schließlich nichts nur durch Zuschauen lernen, man muss es selbst tun, und wenn man es dann tut, lernt man in jeder Probe und in jeder Aufführung. Von Kirill Petrenko habe ich auch viel gelernt. Als wir Die Soldaten geprobt haben, lag seine Konzentration zunächst fast ausschließlich auf dem Rhythmus. Das war völlig richtig, denn sobald man den Rhythmus verliert, fällt das Stück auseinander. Wenn mal einer eine falsche Note singt – Schwamm drüber, aber sobald einer einen falschen Rhythmus singt, fliegen wir raus. Daher hat er ganz strikt die Partitur in der Vertikalen zusammengehalten. Ich habe nie zuvor eine solch schwere Partitur interpretiert, die auf so hohem Niveau umgesetzt wurde. So versuche ich von meinen Kollegen zu lernen – und muss es mir dann selbst beibringen. Das braucht einfach Zeit. Ich bin zwar schon lange Sängerin, aber noch eine junge Dirigentin! 11


… Francesco Petrozzi? Es gab in meinem Leben immer wieder Momente, in denen es Zeit war, das Bühnenbild zu wechseln. Nach 20 Jahren auf der Opernbühne hatte ich nun das Gefühl, dass es Zeit ist für etwas anderes. Und so habe ich mit der Partei Fuerza Popular Gespräche angefangen, um bei den nationalen Wahlen im April 2016 für einen Sitz im peruanischen Parlament zu kandidieren. Viele beschreiben Fuerza Popular als konservativ, aber ich würde vor allem sagen: Es ist eine Volkspartei. Sie hat 73 von 130 Sitzen im Parlament gewonnen. Die Kampagne war faszinierend, die Medien haben mich nach 20 Jahren umarmt und sie haben meine Wahl möglich gemacht. Die Medien kannten mich noch aus meiner Zeit als Fernsehmoderator, und ich hatte all die Jahre über viele Charity-Veranstaltungen in Peru gesungen. Ich habe die ganze Zeit über den Kontakt zu Peru auch nie ganz verloren und war bis zu vier Mal pro Jahr vor Ort. Mein peruanischer Ausweis hatte immer noch meine Adresse in Lima. Deutschland hat viele meiner Träume zur Realität gebracht, mein Sohn ist hier geboren, aber die Heimat ist etwas, das in jedem von uns lebt. Mein Ziel ist, mich in Peru für die Kultur und die Bildung zu engagieren. Die Kultur in Peru ist in Lima positioniert, es gibt keine Opern in der Provinz. Aber das Land wächst seit 20 Jahren, Geld ist da. Es ist der Moment, die Seelen der Menschen zu füttern. Und man kann über Kultur nicht ohne das Thema Bildung sprechen. Die Kultur muss in jede Ecke des Landes kommen, die Musik- und Kunsthochschulen und Konservatorien müssen sich verbreiten. Mein erstes Gesetz, das ich mir als persönliche Aufgabe vornehme, ist ein Künstlergesetz. In Peru ist in unserem Beruf nichts geregelt – es gibt für Künstler keine Renten- und Krankenversicherung. Und das ist natürlich meine Verantwortung, weil ich das den Wählern versprochen habe.

Das Wahlsystem in Peru ist sehr personenorientiert. Wie bei der Präsidentenwahl auch können die Wähler die einzelnen Parlamentarier direkt und unabhängig von der Kandidatenliste einer Partei wählen. Die Wahl über die Liste zieht dich natürlich, aber wenn du persönlich gewählt wirst, zieht dich das mehr. Es ist auch möglich, die Stimmen zu kreuzen: Man wählt beim Präsidenten den Kandidaten der einen Partei und beim Parlament Kandidaten von anderen Parteien. Bei mir war das die Tendenz: Viele haben eine andere Partei gewählt und mich. Da sieht man, dass die Kunst keine politische Farbe hat. Ich war im Wahlkampf in fast allen der 44 Distrikte von Lima. Auch in den ärmsten Vierteln der Stadt, denn allein mit dem Opernpublikum in Lima hätte ich es nicht geschafft. Ich musste wirklich die Leute besuchen, ansprechen, hören, was sie brauchen, was sie erwarten. Das war natürlich eine riesige Herausforderung, aber es hatte eine Schönheit in sich. Es waren sicher mit die faszinierendsten Momente meines Lebens. Das Thema, das die Leute mit großem Abstand am meisten bewegt hat, war Sicherheit. Sicherheit vor

Der peruanische Opernsänger Francesco ­Petrozzi war von 2001 bis 2006 und von 2008 bis 2016 Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper, wo er 1999 mit der Partie des ­Rodolfo aus La bohème debütierte. Besonders am Herzen lagen ihm an diesem Haus zudem Edmondo (Manon Lescaut), Alfred (Die Fledermaus) und Arturo (Lucia di Lammermoor). ­Gastengagements führten ihn in die USA, nach Tokio, Toronto, Berlin und Buenos Aires. Neben seinen Anfängen als Opernsänger hat Francesco Petrozzi von 1990 bis 1995 eine Show im peruanischen Fernsehen moderiert. Im April 2016 wurde er als Abgeordneter in das peruanische Parlament gewählt, wo er mittlerweile den Vorsitz in der Kulturkommission hat. Das Foto zeigt ihn im Juli 2016 bei ­einem Besuch im Bayerischen Landtag auf ­Einladung des ­p­eruanischen Generalkonsuls.

Kriminalität. Dann erst kommt die soziale Sicherheit, und danach kommt der Rest. Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern können wir stolz sein, aber es gibt sehr viel zu tun. In der Stichwahl um die Spitzen­ kandidatin Keiko Fujimori von der Fuerza Popular waren die Kritiken an ihr enorm. Was diese junge Frau durchgestanden hat, ist für mich allein ein Grund, sie sehr zu bewundern. Ja, es ist wahr, es gab in der Regierung ihres Vaters Alberto Fujimori vieles, was nicht hätte passieren sollen (Fujimori war von 1990 bis 2000 Regierungschef und wurde wegen Korruption und Verstößen ge­ gen Menschenrechte zu einer jahr­ zehntelangen Haftstrafe verurteilt; Keiko Fujimori distanzierte sich im Wahlkampf vorsichtig von ihm und unterlag in der Stichwahl knapp, d. Red.). Aber es gab auch viele gute Sachen. Soziale Bewegungen. Um den Terrorismus zu beenden, muss man mutig sein. In so einer Situation kann auch viel schiefgehen. Aber wie die anderen Parteien das gegen Keiko ausgenutzt haben, das ist etwas, das sollte in Zukunft nicht mehr passieren. Ich habe in einer Wahlkampfrede gesagt: Wir haben in diesen Monaten das Schlechteste von uns gezeigt, alle. Politiker und Volk. Wir haben gezeigt, wie gespalten wir als Nation sein können. Jetzt stehen wir alle vor einer großen Herausforderung. Wir müssen uns wieder einigen und Peru als Nation sehen, nicht nur als Staat. Wo deine Rasse, deine Abstammung nicht wichtig sind. Wir sind alle Peruaner, und wir sind alle gleich. Ich möchte, und das will ich nicht als Klischee sagen, mich nicht ändern lassen von dieser neuen Situation als Parlamentarier. Denn wenn du dich ändern lässt – der Einzige, der verliert, bist du. Du verlierst deine Freiheit. Deine richtigen und alten Freunde und am Schluss dich selbst. Man muss mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre – und bevor Sie fragen: Ja, ich erwarte eine Wiederwahl!


MÃœNCHEN R E S I D E N Z ST R A S S E 2 7 , A M O D E O N S P L AT Z / P R E YS I N G PA S SAG E

F O L LO W U S O N

Rubrikentitel

W W W. P R I M E- S H O E S .C O M

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Nichts

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macht so viel Angst und bereitet so viel Freude


Bedrohlich und aufregend ­zugleich: das Nichts. Die Lust am ­Nichts ist vor allem die ­Aussicht auf einen ­Freiraum, in dem Neues entsteht. ­Dagegen bedeutet die Angst vor dem Nichts vor allem die Furcht vor dem Kollaps bisheriger Gewissheiten.

Goethe und Janis Joplin liebäugeln mit dem Nichts 1806. Goethe bedichtet einen heiteren, leicht angeheiterten Gesellen, der sich um „Geld und Gut“ gesorgt, den „Weibern“ nachgestellt und „Ruhm und Ehr“ gesucht hat, nun aber all diese Anstrengungen tiefenentspannt einstellt. Das Resümee des Poems Vanitas! Vanitatum Vanitas! lautet: „Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt. Juchhe! Drum ists so wohl mir in der Welt. Juchhe!“ 1970. Zwei Wochen vor ihrem Tod steht Janis Joplin im Studio und spielt für ihre letzte Platte den Song Me and Bobby McGee ein; Kris Kristofferson hat ihn für sie geschrieben. Es geht darin um ein Pärchen, das per Anhalter durch die USA fährt – ziellos, verträumt und guter Dinge. Der Refrain, den eine ganze Generation mitsingen kann, lautet: „Freedom’s just another word for nothin’ left to lose.“ Normalerweise hat man Angst vor dem Nichts – Angst davor, nichts zu haben, nichts zu wissen, sich auf nichts verlassen zu können. Goethe und Joplin setzen einen anderen Akzent, sie sprechen von der Anziehungskraft, dem Verführungspotential des Nichts. Es verspricht Entlastung und Befreiung, Ungebundenheit und Unbeschwertheit, ein Abschütteln alltäglicher Aufgaben und Anliegen. Hinter den großen philosophischen Debatten über das Nichts steckt also etwas ganz Lebensnahes: die Alternative zwischen der Angst, etwas zu verlieren und sich an nichts halten zu können, und der Lust, alles hinter sich zu lassen und nichts zu verlieren zu haben. Genau genommen proklamieren Goethe und Joplin nicht einfach die Lust am Nichts, sondern auch sie stecken in einem Zwiespalt, sind umgetrieben von einer Art Angst-Lust. Goethes fröhlicher Geselle hat zwar sein Sach auf Nichts gestellt, aber ein Glas, um anderen zuprosten zu können, hat er doch gern – lieber als nichts.

Essay Dieter Thomä

Und Joplin schwärmt zwar vom ungebundenen Leben mit Bobby McGee, aber den meisten, die ihr Lied mitsingen können, ist die Traurigkeit entgangen, die dabei mitschwingt. Denn an Bobby möchte sie sich halten, ihn möchte sie nicht verlieren – und tut dies am Ende doch: „One day up near Salinas, Lord, I let him slip away … Well, I’d trade all my tomorrows for one single yesterday To be holdin’ Bobby’s body next to mine.“ Nicht nur Goethe und Joplin beschleicht jene AngstLust. Sie ist vielmehr ein Grundgefühl der ganzen modernen Gesellschaft – und zu diesem Gefühl gesellt sich deshalb auch gleich ein Grundbegriff. Der Nihilismus als Schritt vom „nichts“ zum „Nichts“ Man kann beides – die Lust am Nichts und die Angst vor dem Nichts – als Radikalisierungen von Erfahrungen fassen, die wir im Alltag machen. Variante 1: Wir benehmen uns in großer Gesellschaft daneben, rechnen mit strengen Blicken oder dem Fußtritt unterm Tisch, und es passiert – nichts. Variante 2: Wir suchen etwas, ziehen alle Schubladen auf und finden – nichts. Mal sind wir beschwingt, mal enttäuscht. Die Radikalisierung solcher alltäglichen Erfahrungen lässt sich dann ganz einfach daran ablesen, dass das kleingeschriebene „nichts“ zum großgeschriebenen „Nichts“ befördert wird. Das heißt: Statt dass nur hier und jetzt nichts geschieht oder nichts anzutreffen ist, passiert etwas viel Grundlegenderes: Es ist überhaupt mit Allem „Nichts“. Diese Steigerung vom klein- zum großgeschriebenen Nichts wird durch die Einführung eines Grund­ begriffs gewissermaßen aktenkundig gemacht: des ­Nihilismus. Interessanterweise gehören zu diesem Begriff zwei verschiedene Urszenen oder Uraufführungen, bei denen wiederum sowohl die Angst wie auch die Lust ins Spiel kommen.

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Der erste Pate dieses Nihilismus ist der Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi, der 1799 von einem „schrecklichen Abscheu vor dem Nichts“ beschlichen wird – und zwar bei der Lektüre der Texte seines Kollegen Johann Gottlieb Fichte. Ihm wirft er vor, bei dessen „Idealismus“, der außer dem „Ich“ nichts als gewiss und gegeben gelten lasse, handle es sich in Tat und Wahrheit um einen „Nihilismus“. Und davor hat Jacobi – Angst. Der zweite Pate des Nihilismus ist – ganz unabhängig von innerdeutschen Querelen – der Schriftsteller Iwan Turgenjew, der in seinem Roman Väter und Söhne von 1862 die zerstörungslüsternen „Nihilisten“ in die Welt­literatur einführt, die sich seinerzeit in Russland herumtreiben und den Status quo infrage stellen. „Ein Nihilist ist ein Mensch“, so heißt es bei Turgenjew, „der sich vor keiner Autorität beugt, keinen Grundsatz anerkennt, und sollte derselbe auch noch so verbreitet sein“. Zwar ergeht es diesem Nihilisten im Roman nicht allzu gut, aber die Katze ist aus dem Sack und die Figur ist auf der Bühne: die politische Figur des Nihilisten. Ihn treibt die Lust an Störung und Zerstörung. Man erkennt an diesen zwei Urszenen des Nihilismus die Ambivalenz wieder, die das Nichts auslöst. Auf der einen Seite steht das Lustgefühl, dass nichts festgelegt ist und man vor dem Leben oder der ganzen Welt wie vor einer Tabula rasa steht, der man mit eigenem ­Einsatz erst eine Form gibt. Auf der anderen Seite steht der Schrecken vor einer großen Leere – der horror vacui. Man schwärmt vom unbeschwerten Leben – und wird beim Gedanken ans Ungewisse vom kalten Grausen gepackt. Die Lust am Nichts ist dabei vor allem eine Lust am Noch-Nicht, die Aussicht auf einen Freiraum, in dem Neues entsteht. Dagegen ist die Angst vor dem Nichts vor allem eine Angst vor dem Nicht-Mehr, also nicht die Lust am Verlust, sondern die Furcht vor dem Kollaps von Gewissheiten und Gegebenheiten. Die Menschen schwanken beim Umgang mit dem Nichts zwischen Gewinnerwartung und Verlusterfahrung. Oft mischen sich die Gefühle, durchkreuzen sich die Stimmungen – und gerade in der Geschichte der modernen Gesellschaft wird dieser Seelen-Mischmasch explosiv, denn in ihm bleibt kein Stein auf dem anderen. Man weiß nicht, woran man sich halten kann oder ob man überhaupt noch Halt braucht. Die Lust am Nichts Nicht erst seit gestern, sondern schon seit einigen Jahrhunderten ist diese moderne Gesellschaft getrieben von einer Neugier aufs Unbekannte. Zu ihr gehört die unablässige Umwälzung aller Lebensverhältnisse und – wie Karl Marx im Kommunistischen Manifest durchaus bewundernd schreibt – die Abkehr von allem „Ständischen und Stehenden“. Kurz gesagt: Diese Gesellschaft ist in

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die Negation verliebt – und daraus erklärt sich auch ihre Affäre mit dem Nichts. Das, was ist, ist durchsetzt und durchschossen von dem, was nicht ist. Man lebt hier und jetzt – und steht doch neben sich. Es könnte auch alles anders sein! Zu diesem Grundgefühl gehört der Mut, das Gegebene durchzustreichen und einfach zu einem Nichts zu erklären. Dazu gehört auch die Erwartung, dass aus der Zukunft etwas werden kann, obwohl sie ja eigentlich ein Nichts – eine Nicht-Welt oder Utopie – ist. An ein paar Schlag- und Glanzlichtern kann man das zeigen. Da ist zum Beispiel Christoph Kolumbus, ein Kerl, der anders als manche seiner Zeitgenossen nicht glaubt, bei der Reise in die Ferne an den Rand der Erdscheibe zu gelangen und ins Nichts hinauszupurzeln, sondern einfach alles hinter sich lässt und aufbricht. Für ihn sind die weißen Flecken auf der Landkarte Sehnsuchtsorte. Neben die Entdecker und Erfinder treten die politischen Helden der modernen Emanzipation – und auch sie treiben ein Spiel mit dem Nichts. Trotzig, wütend erklären die Revolutionäre 1789 in Paris, dass sie ein „Nichts“ seien – und genau diese Einsicht führt sie dazu, das Ancien Régime insgesamt für nichtig zu erklären und umgekehrt aus sich selbst etwas zu machen. Mit einer neuen Zeitrechnung feiern sie ihre Stunde null. Und schließlich gibt es auch noch die Künstler, die der Lust am Nichts frönen. Sie haben den Vorteil, dass sie die fremden Welten nicht in der Ferne, sondern gleich im eigenen Hinterkopf entdecken können. Sie kommen – wie der Dichter Arthur Rimbaud 1871 mit gerade mal 16 Jahren schreibt – durch eine „Entregelung aller Sinne beim Unbekannten an“: „Wahrhaftig, wir sind außerhalb der Welt.“ Die künstlerische Lust am Nichts geht so weit, dass Gustave Flaubert am liebsten „ein Buch über nichts“ schreiben würde, „ein Buch ohne äußere Bindung, das sich selbst durch die innere Kraft trägt, so wie die Erde sich in der Luft hält, ohne gestützt zu werden“. Friedrich Nietzsche hat den Bogen geschlagen zwischen dem alten Kolumbus und all jenen Figuren, die mit neuen Lebensstilen experimentieren. Letztere verhielten sich, so meinte er, wie ein „Columbus novus“, wie ein Abenteurer, der nicht draußen in der Welt, sondern in sich selbst das Neue entdeckt. Nietzsche meinte freilich, den Mut zu einer solchen ungebundenen Existenz würden nicht viele aufbringen. In der Tat tritt neben diesen Mut die Verzagtheit. Riskieren wir mit einem Leben im Ungewissen zu viel? Verlieren wir dabei den festen Boden unter den Füßen? Die Lust nimmt ab, die Angst steigt auf. Die Angst vor dem Nichts Einer der ungeheuersten Texte der deutschen Literaturgeschichte trägt den Titel Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei. Verfasst hat ihn –


der eigentlich ganz friedliche – Jean Paul im Jahre 1796, und er erzählt darin, wie es ihn in eine Traumwelt verschlägt, die von lauter Toten bevölkert und von einem „ausgeleerten Nachthimmel“ überwölbt wird. Christus erscheint und überbringt die entsetzliche Botschaft, er habe überall Gott gesucht, aber nicht gefunden: „Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des All! Ich bin nur neben mir – O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Brust, dass ich an ihr ruhe?“ Jean Paul nennt diese Welt ein „Nichts“, weil es in ihr etwas nicht gibt: Ordnung, inneren Zusammenhalt, äußere Leitung. Mit der Erschütterung der Autoritäten, die sich die moderne Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat, geht es nicht nur weltlichen Potentaten an den Kragen, sondern auch demjenigen, der als ultimativer Generator und Garant von Ordnung gilt. Jean Pauls Geschichte ist gewissermaßen eine Vermisstenanzeige, und derjenige, der fehlt, ist Gott. Zuallererst wird die Angst vor dem Nichts am Verschwinden Gottes festgemacht. Dass derjenige, der sich mit diesem Verschwinden arrangiert hat, die Angst freilich nicht loswird, zeigt die lange Geschichte der Melancholie und Desorientierung bis heute.

Man kann gelassen mit jener Vermisstenanzeige umgehen – oder verzweifelt. Die einen finden es nicht weiter schlimm, wenn jemand fehlt, den man sowieso nie gesehen hat. Sie halten Gott für ein Phantom und die Verlust­ erfahrung für einen Phantomschmerz. Die anderen fühlen sich in einer gottlosen Welt verloren, heimat- und haltlos. Den Schrecken, der sie erfasst, kann fast jeder nachvollziehen – jedenfalls all diejenigen, die schon einmal in stockfinsterer Nacht durch die Gegend gestolpert und plötzlich ins Leere getreten sind. Vielleicht war da nur eine kleine Böschung oder Schwelle, und schnell hat man wieder Tritt gefasst. Doch der Sekundenbruchteil, in dem man ins Leere tritt, ist lang genug für das panische Gefühl, jetzt würde man ins Nichts fallen. Man stelle sich nur vor, dieses Gefühl währte nicht einen Moment, sondern ein Leben lang – dann eben gelangt man zu der großen Angst vor dem Nichts. Der existenzialistische Philosoph Søren Kierkegaard notiert 1843 in sein Tagebuch: „Ich ekle mich am Dasein, es ist geschmacklos, ohne Salz und Sinn … Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in welchem Land man ist, ich stecke den Finger ins Dasein – es riecht nach – Nichts. Wo bin ich? Was will das sagen: die Welt?

Der russische Schriftsteller Alexander Herzen formulierte es im 19. Jahrhundert so: „In der Zukunft ist es noch schlechter als im Ozean, da findet sich noch gar nichts, sie wird erst so, wie die Menschen und die Umstände sie herausbilden werden.“

Bild Hernan Marin

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Was bedeutet dieses Wort? Wer hat mich in dieses Ganze hineingenarrt und lässt mich nun da stehen? Wer bin ich? Wieso wurde ich Teilhaber in der großen Unternehmung, die man Wirklichkeit nennt? Warum soll ich Teilhaber sein? Gibt es keinen Dirigenten? Wo soll ich mich mit meiner Klage hinwenden? Will da niemand antworten?“ Das Nichts und die Liebe: Donizetti, Leskow und Schostakowitsch Woran kann man sich halten, wenn alles bröckelt und schwankt? Ein heißer Kandidat, der zwar nicht die Ordnung im Großen sichert, aber Gewissheit im Kleinen verspricht, ist die Liebe. Bei ihr gibt es weder Absprachen noch Absagen, sie verspricht Verbindlichkeit und Unbedingtheit. Dass die romantische Liebe in der modernen Gesellschaft seit dem späten 18. Jahrhundert eine so steile Karriere hinlegt, hat auch damit zu tun, dass sie als Kontrastprogramm zur allgemeinen Verunsicherung inszeniert wird. Man ist nicht mehr allein, man muss nicht auf eigene Faust leben, strampeln und kämpfen. Die romantische Liebe soll den Weg vom überforderten Ich zum überwältigenden Wir bahnen. Es lockt unverbrüchliche Zusammengehörigkeit – wenn denn alles gut geht. Das allerdings ist ein großes Wenn. Zur Karriere der romantischen Liebe gehört ein Karriere­knick. Der Liebe wird viel – zu viel – abverlangt. Sie soll das Leben nicht nur bereichern, sondern das volle Gegenprogramm zu einer trostlosen Welt liefern. So wird sie von den Erwartungen erdrückt, die sich auf sie richten. Die Jagd nach Liebe bekommt etwas Zwangund Wahnhaftes. Die berühmteste Figur, die diesem Wahn erliegt, ist Emma Bovary, und einer der Höhepunkte dieses Wahns in Flauberts Roman Madame ­Bovary ist ein Opernbesuch. Die Protagonistin von ­Lucia di Lammermoor singt von unglücklicher Liebe und wünscht sich Flügel, und Emma sitzt im Saal, möchte aber am liebsten „aus diesem Leben fliehen“ und „in Liebes­armen“ liegen. Donizettis Melodien hören sich in ihren Ohren an „wie die Notschreie von Schiffbrüchigen im Sturmgebraus“: „Die Liebenden singen von den Blumen auf ihren Gräbern, von Treue, Trennung, Verhängnis und Hoffnungen; und als sie sich den letzten Abschiedsgruß zurufen, stößt Emma einen lauten Schrei aus, der in der Orchestermusik des Finales verhallt.“ Doch nicht nur in Donizettis Lucia di Lammermoor, sondern auch in dessen La Favorite von 1840 – und gleichermaßen in Dmitri Schostakowitschs Lady ­ ­Macbeth von Mzensk von 1934 – lauert das Nichts, die Liebe lockt und der Liebeswahn greift um sich. Beide Opern sind verkappte Auseinandersetzungen mit dem Schreckgespenst des Nichts, sie werfen einen Rettungsring – die Liebe – aus und prüfen dessen Belastbarkeit. Am Ende siegt jedoch das Nichts. In La Favorite lässt

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Donizetti seinen Helden Fernand einen fatalen Tausch vollziehen: Er hat sein Leben Gott geweiht, doch als er sich Hals über Kopf in Léonor verliebt („T’aimer, c’est ma vie“, „Mein Leben heißt dich lieben“), empfindet er den Glauben plötzlich als Fessel, bricht mit ihm und tauscht den Herrgott für eine neue Herrin ein („Sous ton empire­  / Mon âme s’enivre“, „Unter deiner Leitung / ist meine Seele trunken“). Es kommt, wie es kommen muss: Die Liebenden sind den Irrungen und Wirrungen nicht gewachsen, in die sie hineingeraten, sie werden zum Spielball eines wahrhaft nihilistischen Fürsten, der sich mit der Kirche anlegt und in seinem blasphemischen Egotrip keinen anderen Herrn und Meister neben sich gelten lässt („Je suis maître et seigneur / Et n’ai pour juge ici que moi-même“; „Ich bin Herr und König / und kenne keinen andren Richter als mich selber an“). Am Ende gähnt über den Liebenden ein Himmel ohne Hoffnung („un ciel sans espoir“) und der Engel der Verzweiflung („l’ange du désespoir“) kreist um sie. La Favorite und die Lady Macbeth von Mzensk sind nicht so weit voneinander entfernt, wie dies historisch und musikalisch den Anschein hat. Schostakowitsch und sein Librettist stützen sich auf eine Erzählung Nikolai Leskows aus dem Jahr 1865, und damit gelangt man in die Nähe Donizettis und wiederum ans Ende der Romantik, mit dem der Kollaps der Werte besiegelt wird. So gewährt auch die Oper einem jener „Nihilisten“ einen Auftritt, die Turgenjew, drei Jahre vor dem Erscheinen von Leskows Erzählung, in Väter und Söhne verewigt hat. Leskow bricht nicht den Stab über Katerina Ismailowa, die Titelheldin seiner Erzählung Die Lady Macbeth von Mzensk, aber er lässt einen Menschen aus „der Menge“ zu Wort kommen und über sie sagen: „Das schlechte Frauenzimmer ist so liederlich geworden, dass sie weder Gott mehr scheut, noch ihr Gewissen, noch das Auge der Menschen.“ Katerina steigert sich in einen vernichtenden Liebeswahn hinein, sie verfällt dem attraktiven Knecht Sergej und bringt den lüsternen Schwiegervater und den langweiligen Ehemann um die Ecke. Die Geschichte von Katerina und ihrem Geliebten endet noch düsterer als diejenige von Fernand und Léonor. Beide werden zu Zwangsarbeit verurteilt, und dann sind auch die Tage ihrer Liebe gezählt, denn auf dem Marsch nach Sibirien findet der Knecht eine hübsche Alternative zu Katerina. Diese lebt nun – wie Leskow schreibt – „losgerissen von der übrigen Welt und ohne jeden Schimmer von Hoffnung auf eine bessere Zukunft, alles ringsum widerwärtig und grauenhaft“. Auf die anderen Sträflinge wirkt Katerina so, „als wäre sie gar kein lebendiger Mensch mehr“, und als die Sträflinge die Wolga überqueren, vollzieht sie den Schritt vom nichtigen Leben ins Nichts. Sie stürzt sich in die Fluten und reißt Sergejs neue Geliebte mit in den Tod.


Schostakowitsch macht diese Katerina, die sich gar nicht mehr als „lebendiger Mensch“ fühlt, zum Sinnbild aller Unterdrückten und Rechtlosen – und überhaupt zum Sinnbild eines Lebens fern von Sinn und Zweck. In der deutschen Übersetzung stehen am Ende des Librettos die Zeilen: „Wann ist das Leiden vorbei? Wird man uns ewig nur schinden? Werden wir je wieder frei, eh’ wir im Staube verschwinden? Hier sind Tage, Nächte namenlos, die Gedanken bleiben hoffnungslos.“ Ein heißer Tanz ums Nichts Wie gehen wir heute mit dem Nichts um, das sich in unser Leben einschleicht? Wie können wir der Angst abhelfen, mit der wir vor ihm zurückschrecken? Wie viel Lust haben wir auf das Nichts? Üblicherweise hört man – wenn die Wellen der Erregung hochschlagen – die Empfehlung, man solle aus der ganzen Sache die Luft herauslassen. Nun ist das im Fall des Nichts schlecht möglich. So empfiehlt sich vielleicht die Gegenstrategie – also: Luft ins Nichts hineinzupumpen. Das heißt: Man sollte es nicht in eine ungreifbare Ferne rücken oder zu einem logischen Kunstprodukt erklären, sondern gewissermaßen eingemeinden, also in die Sphäre des menschlichen Lebens hineinrücken. Das ergibt schon deshalb Sinn, weil das Nichts eben auf unserem Mist gewachsen ist. Nur wir Menschen verfügen über die Fähigkeit, Nein zu sagen, wir haben das Kunststück fertiggebracht, die Negation in die Welt zu bringen und sie zur radikalen Geste der totalen Bestreitung, zum Nichts eskalieren zu lassen. So bleibt uns beim Umgang mit dem Nichts das Schwanken zwischen dem Schauder der Weltlosigkeit und der Lust an der Selbstüberschreitung. Zugegeben: Das ist ein heißer Tanz, aber solche Tänze können auch schön sein. Vom russischen Schriftsteller Alexander Herzen stammen die vielleicht schönsten Zeilen, die je über die Angst-Lust im Umgang mit dem Nichts geschrieben worden sind; sie stammen aus dem Jahr 1850: „Jeder Schritt ist ein Herausgehen aus dieser Welt … Herausgehen, das ist es eben, was bedenklich macht; wohin? Was liegt denn auf der andern Seite der Mauern? Leerer Raum, unendliche Breite, Freiheit und kein gebahnter Weg. Ist das nicht entsetzlich: Kann man gehen, ohne zu wissen, wohin; kann man das Alte verlieren, ohne zu sehen, was man gewinnt? Ja, das alles ist wahr; aber hätte Kolumbus so weise räsoniert, so würde er nie die Anker seiner Schiffe gelichtet haben … Freilich wäre es leichter, wenn die Völker von einem ganz instandgesetzten Hotel garni in ein anderes, noch viel besseres übersiedeln könnten; man bedenke aber, dass es niemanden gibt, der die Hotels einrichten kann. In der Zukunft ist es noch schlechter als im Ozean, da findet sich noch gar nichts, sie wird erst so, wie die Menschen und die Umstände sie herausbilden werden.“

Dieter Thomä, geboren 1959, ist Professor f­ ür ­Philosophie an der Universität ­St. Gallen und ­veröffentlichte unter anderem die Bücher Vom Glück in der Moderne und T ­ otalität und M ­ itleid, eine Studie über Richard ­Wagner und Sergej ­Eisenstein. In ­diesem Herbst erschien im Suhrkamp ­Verlag Puer robustus – Eine Philosophie des ­Störenfrieds.

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Wie ein Lichtstrahl im finsteren Reich Keine Hoffnung, nirgends? Anja Kampe ist in der Titelpartie von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk zu erleben, Harry Kupfer inszeniert. Ein Gespräch über die komplizierte Schönheit dieser Oper und über, doch, einen Funken Hoffnung. Die Akademie der Künste in Berlin, Standort Hanseatenweg im Tiergarten, unweit vom Schloss Bellevue. Ein abgelegener Ort mit dem Charme der 1970er Jahre, fast möchte man sagen: ein Stück Bonner Republik. Früher war die Akademie Ort hitziger ästhetischer Diskurse, heute ist sie eher Refugium, ein Museum der Stille, somit wunderbar geeignet für ein konzentriertes Gespräch. Als Erster erscheint Harry Kupfer, sein Erscheinungsbild ein Leben voller Geschichten und Gedanken. Kaum hat er Platz genommen, da betritt auch seine Kombattantin, die Sopranistin Anja Kampe, den Salon. Eine energiegeladene, ungemein vitale Frau, deren Lachen für alle ansteckend ist. Die beiden begegnen sich zum ersten Mal und sind sich sofort sympathisch. Also ist es nur folgerichtig, die wichtigen Dinge gleich zu Beginn zu klären.

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HARRY KUPFER Frau Kampe, haben Sie die Katerina Ismailowa schon einmal gesungen? ANJA KAMPE Nein. HK Gott sei Dank. Ich freue mich darauf, weil man dann wirklich zusammen suchen kann. Dann wird keiner sagen: Ich habe das früher so und so gemacht. Man kann alles miteinander ausprobieren. Entscheidend ist: Ich habe ein Konzept, das muss ich so glaubhaft machen, dass Sie es glauben können. Und dann müssen Sie es mit Ihrem Talent und Können zum Leben bringen. Ich kann das nicht, ich kann bloß darüber reden. Ich muss Sie überzeugen, und Sie müssen mich überzeugen, und dann müssen wir uns zusammenfinden. Wichtig ist vor

Premiere Lady Macbeth von Mzensk


allem, dass Ihr Bühnenpartner emotional ist, denn was Sie beide als Katerina und Sergej da in dem Bett leisten müssen, ist unglaublich. Wenn er zickig ist, ist es furchtbar. AK Und wenn ich es bin, auch. HK Das traue ich Ihnen nicht zu. (beide lachen) MAX JOSEPH Die Künstlerin Louise Bourgeois hat einmal gesagt: „In der Kunst geht es nicht um Kunst, sondern ums Leben.“ Gerade diese Oper scheint mir prädestiniert, diesen Satz zu beglaubigen. HK Darin steckt viel Wahrheit. Das ist ja eine Oper, die handfest mit der Erde verbunden ist. Die Kreaturen leben alle in diesem Sumpf. Realistischer geht es kaum. Trotzdem: Was Schostakowitsch gemacht hat, ist grandios, weil er das alles noch über die Wirklichkeit hinaushebt – ins Allgemeine. Und vor allem, dass er, neben der Religiosität, die Mittel der Groteske einsetzt. Der Vorgang, der eigentlich bitter und böse ist, wird in eine Ebene transformiert, bei der man sagt: Ist das Leben wirklich so? Es gibt an jeder Ecke, wo es tragisch ist, ebenso die komische Seite. Und das hat er musikalisch unglaublich realisiert, zumal in den Zwischenspielen, deren musikalisches Material der Kommentar zu dem ist, was vorher geschieht. Sie deuten an, wie die Konflikte in den Charakteren weiterbrodeln. Diese Vielschichtigkeit zwischen dieser Brutalität, diesem Dreck und Verbrechertum und der darüberstehenden Groteske müssen wir zeigen. Nehmen wir die Figur des Schäbigen, den Priester oder auch die beiden Vorarbeiter, als sie den sterbenden Boris auf den Tisch hieven – da hat man fast den Eindruck, es sei eine Shakespeare’sche Clownszene, die sich da abspielt. Dass Schostakowitsch in den Zwischenspielen die Banda, also die Blechbläser-Bühnenmusik einsetzt, hat ja auch etwas zu bedeuten. Diese Polyvalenz müssen wir, bei aller Tragik, im Kosmos des Gesamten wiedergeben. MJ In welcher Zeit sehen Sie die Oper? HK Das Stück ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Aber bei Schostakowitsch ist es so, dass man das in eine andere Zeit transponieren kann. Wir spielen es im Übergang zur Revolution, am Ende der Zarenzeit, dem Höhepunkt der Korruption. Es herrscht Untergangsstimmung. Man kann die Zeitebene in einem gewissen Maße verschieben, doch die Staatsdiktatur muss noch sichtbar sein. Man kann das nicht heute in einem Hochhaus spielen. Diese Despotie von Staats wegen hat sich in die Figuren, die unten leben, hineingefressen. Denn die Unterdrückungsmaschinerie findet ja in der Familie statt. Die Despoten oben haben ihre Despoten unten, und in diesem Kontext ist Katerina Ismailowa das Opfer. Boris, der Schwiegervater, ist der Einzige, der spürt, dass alles untergehen wird. So wie er nur noch hinken kann und zum Nachtwächter degradiert ist, er, der früher der Boss und Sexualbolzen war. Er hat die Ahnung, dass etwas zu Ende geht.

Interview Jürgen Otten

Über Lady Macbeth von Mzensk Eine junge Frau, reich verheiratet und einsam, eingesperrt in einer Welt, in der die Rohheit herrscht: Katerina ist voller Lebenslust und Liebesverlangen – aber ihr Mann impotent und ihr Schwiegervater ein Tyrann. Als Sergej am Hof der Familie zu arbeiten anfängt, erscheint er ihr als Retter, um aus diesen Zwängen auszubrechen, doch ihre Affäre mit dem Knecht ist der Beginn einer kriminellen Karriere. Die 1934 in Leningrad uraufgeführte Oper Lady Macbeth von Mzensk schildert den Versuch einer Selbstverwirklichung, der im Verbrechen endet und vier Menschen das Leben kostet. Katerinas Kampf um ein glücklicheres Leben schließt das Verlangen nach sexueller Erfüllung ein – und die drastische Darstellung dieses Moments führte zum langjährigen Verbot der Oper in der Sowjetunion. Die in Lady Macbeth von Mzensk behandelte Frage, wie weit der Mensch gehen darf, um sich aus unwürdigen Verhältnissen zu befreien, hat ihre Aktualität ungebrochen behalten.

MJ Sie erwähnten die Religiosität. Ein wichtiger Topos. HK Ja. In dieser Oper spielen religiöse Momente eine bedeutende Rolle. Katerina ist gläubig. Sonst hätte sie nicht das schlechte Gewissen, das sie verkörpert – in der Erscheinungsszene, wenn sie den Alten sieht, in ihren Träumen oder auch, wenn sie im Keller steht und an die Tür klopft. Das spricht für sie, und das zeigt, dass sie bei allem, was sie tut, aus psychischer wie menschlicher Notwehr heraus handelt. MJ Kein Wunder, schließlich ist sie ja auch die verkaufte Braut. HK Aber das nicht mal gegen ihren Willen. Und Sinowij ist ein junger, vitaler Mann. Dass das nicht klappt, hängt mit vielen Dingen zusammen. Vor allem mit der Struktur: dass die Frau nicht arbeiten kann, dass sie zur Untätigkeit verdammt ist. Das ist die gesellschaftliche Realität damals. Aber ihre Aufgabe war es, Kinder zu kriegen. Und das hat sie nicht geschafft. Die Frage, wer von beiden unfruchtbar ist, wird aber erst gar nicht gestellt. AK Sie allein ist die Schuldige. HK Und wie tief ist sie verletzt, als der Alte sie damit konfrontiert! Das ist eine unglaubliche Wunde. AK Sie hat ja nicht nur keine Aufgabe, sie sieht nicht einmal einen Sinn in ihrem Leben.

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HK Genau. Und es geht nicht um Sex, sondern um Liebe. AK Sie projiziert ihre Liebe, ihre Sehnsucht in den anderen Mann. In Sergej. HK Und der erkennt das sofort. Die Verflechtungen sind kompliziert. Und sie entsprechen dem System: Die Frauen bedeuten gesellschaftlich betrachtet nichts, aber sie sind gerade deswegen gefährlich. Dieses Motiv findet sich in der gesamten russischen Literatur. Unterdrückung von oben erzeugt Unterdrückung von unten, bis in die kleinste Zelle. Und daran geht Katerina zugrunde. Das kulminiert im letzten Akt, wenn sie ihre letzten Strümpfe für den Mann gibt, der sie längst nicht mehr liebt. Sie wird aufs Äußerste erniedrigt. Ihr Selbstmord ist ein Stück ausweg­loser Protest. In diesem Moment wird sie am menschlichsten. MJ Ist sie eine starke Frau oder eine schwache Frau? AK Sie ist schon eine starke Frau. Sonst würde sich ihre Geschichte nicht auf diese Weise entwickeln. Sie entscheidet sich bewusst dafür, ihrem Ehemann untreu zu werden, obwohl sie sehr moralisch und religiös ist. Man muss mutig sein und innerlich Kraft besitzen, um in ihrer sozialen Situation so zu handeln. HK Die Stärke bleibt bis zum Schluss, und sie liegt in ihrer Sühne, in ihrer Haltung, in ihrem Selbstmord. MJ Kirilow in Dostojewskis Dämonen postuliert, der Selbstmord sei die einzige Freiheit, die wir haben. Könnte man sagen: Der Selbstmord der Katerina ist ihre erste freie Tat? Oder ihre erste Tat als freier Mensch? HK Da ist etwas dran. Sie macht sich frei in diesem Moment. Es ist wie ein „Lichtstrahl im finsteren Reich“, wie Nikolai Dobroljubow das in Bezug auf Ostrowskis Dramen genannt hat. Eine Art unbewusster Protest. AK Warum nimmt sie Sonjetka mit? HK Das ist fast schon eine Begleiterscheinung. Wesentlich ist, dass Katerina diese Frau, die sie ohne Not im Moment tiefster Verzweiflung gedemütigt hat, nicht einfach aus Rache umbringt, sondern dass Katerina eben selbst in den Tod geht, dass sie ihn als ihre einzig nur mehr mögliche Konsequenz erkannt hat. In diesem Sinne steckt in Katerinas Freitod ein ethisch-moralisch motivierter Schritt – neben dem erwähnten unausgesprochenen Protest gegen die Verhältnisse. MJ Zurück zum Anfang: Katerina wird von den Menschen, die sie umgeben, gedemütigt und begeht bewusst zwei Morde. Sind diese Morde moralisch gerechtfertigt? AK Ich glaube, das ginge zu weit. Einen Mord kann man erklären, rechtfertigen kann man ihn nicht. HK Sie begeht den ersten Mord in einer fürchterlichen Situation. Die Passacaglia danach beschreibt musikalisch, wie zerrissen Katerina innerlich ist, wie schwer sie von nun an mit dieser Schuld zu kämpfen hat. MJ Das ist der Shakespeare-Moment: Lady Macbeth, die wahnsinnig wird. AK Nun, so eine Art Wahnsinn ist das schon, wenn man sich das Leben nimmt. Es ist der extremste Schritt, den

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„Wir haben das Gute und das Böse, wie ich glaube, alle in uns, und wenn wir unter Druck agieren, agieren wir ganz anders als in einer Normal­ situation.“ – Anja Kampe

ein Mensch nur dann tut, wenn die Verzweiflung so riesig ist, dass man glaubt, keinen anderen Ausweg mehr finden zu können. HK Das ist die absolute Leere. Sie hat alles verloren, und es gibt nicht ein Fünkchen Hoffnung für sie. Sie sieht nur noch diesen Ausweg. Aber der wirft die gesellschaftliche Frage auf: Jeder Selbstmord eines Menschen ist für den Menschen selber ergebnislos, aber für die Umwelt, für diejenigen, die übrig bleiben, gibt es zwangsläufig die Frage: Warum? MJ Gibt es überhaupt die Möglichkeit von Liebe in dieser Oper? Oder ist alles vielleicht nur ein ständiges Begehren? HK Von Begehren kann man im Falle Katerinas nicht sprechen. Denn wie lange dauert das im ersten und zweiten Akt, bis es zur Kopulation kommt. Sie wehrt sich ja, sogar mit Argumenten, wenn sie sagt: Ich bin verheiratet. Das mag ein Klischee sein, aber doch eines, an das sie glauben will, an dem sie sich festhält. Auch ihren Ehemann Sinowij muss sie irgendwann geliebt haben. Aber genau weiß man das nicht. Das gibt es noch heute: Man denkt, dass man liebt. MJ Können Sie das nachvollziehen, Frau Kampe? AK Durchaus. Ich kenne in meinem Bekanntenkreis genügend Konstellationen, in denen das genauso ist. Ich möchte aber Herrn Kupfer in einem Punkt etwas widerprechen, Katerina begehrt – sie sehnt sich nach Wärme, Geborgenheit und Emotion, die ihr langweiliges, unerfülltes Leben bereichern können und ihm irgendeinen Sinn geben. Sie sehnt sich nach körperlicher Berührung und romantischer Zweisamkeit. Das besingt sie sehr explizit in ihrer zweiten „Arie“: Sie erzählt von verschiedenen Tieren, die sich suchen und zur Paarung zueinander schleichen, und von ihrem eigenen Körper, der unberührt bleibt und zum Verwelken verdammt ist. MJ Um nochmals auf Katerinas Ehe zurückzukommen: Foucault spricht in diesem Zusammenhang vom Allianzpositiv aus dem 18. Jahrhundert: Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen, sondern deswegen, weil damit die Genealogie der Macht gesichert werden sollte. Ämter statt Gefühle.


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VorstellungsankĂźndigung


„Da ist die absolute Leere. Katerina Ismailowa hat alles verloren, und es gibt nicht ein Fünkchen Hoffnung für sie. Sie sieht nur noch diesen Ausweg. Aber der wirft die ge­ sellschaftliche Frage auf: Jeder Selbstmord eines Menschen ist für den Menschen selber ­ergebnislos, aber für die Umwelt, für diejenigen, die übrig bleiben, gibt es zwangsläufig die Frage: Warum?“ – Harry Kupfer HK Und wenn man sich sympathisch war, war das schon viel. In dieser Oper ist das anders: Für Katerina spielt ihre Herkunft bald schon eine größere Rolle. Der gut aussehende Mann aus einer Kaufmannsfamilie hat um sie geworben, und gegen den Willen seines Vaters hat er die Hochzeit durchgesetzt. Schon das besitzt für Katerina Verführungsqualität. MJ Tut Katerina ihrem Ehemann dann nicht eigentlich einen Gefallen, wenn sie dessen Vater umbringt? HK Ja, das würde er aber nicht akzeptieren. Das müsste er selbst tun, aber dazu ist er nicht in der Lage. Vatermord steht für Sinowij auf dem Index. In allen Begegnungen mit dem Vater wird gezeigt, wie unterwürfig er sich ihm gegenüber verhält, dass er ihm gehorchen muss, aus dieser Sohnesrolle nicht herauskommt. Immer, wenn Katerina von Sinowij gedemütigt wird, merkt man, dass er es unter Zwang tut. MJ Gerade bei dieser Oper wird offenbar, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Die gute Natur wird durch gesellschaftliche Realität zersetzt. Oder? HK Es ist ziemlich eindeutig so, dass der Mensch, wenn er geboren wird, jenseits von Gut und Böse ist. Und dann kommt er in bestimmte Umfelder: Familie, Religion, Schule, Gesellschaft. Und da werden in jedem Menschen Eigenschaften geweckt, die sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung gehen können. Wenn dann noch materielle Probleme, welcher Art auch immer, hinzukommen,

Fotografie Kai Ehlers

dann entwickelt sich daraus das, was man Gut und Böse nennt. Aber ich finde das generell eine schlechte Unterteilung. Die Gesellschaft definiert diese Kategorien, und das mag ich nicht. AK Wir haben das Gute und das Böse, wie ich glaube, alle in uns, und wenn wir unter Druck agieren, agieren wir ganz anders als in einer Normalsituation. MJ Katerina liebt das Leben, sie ist eine „gute“ Frau, aber sie wird daran gehindert. Und dann wird sie zur Verbrecherin und Mörderin. HK Das ist sie zweifellos. Und sie wird auch zu Recht verurteilt. Nur: Was sich da menschlich entwickelt, hat damit nichts zu tun. Bei Dostojewski und Tolstoi kann man das finden: dass ein Mensch, der dergleichen tut, nicht auf dieser Straße bleibt. Er kann auch abbiegen. Nicht vor dem Gesetz. Aber moralisch kann er es. Er kann sich überwinden. Und dann wird er ein großer Mensch und ein großer Charakter – auch wenn er ein Mörder ist. Und diese schöne Kompliziertheit liegt in allen Charakteren dieser Oper. MJ Wobei klar ein Unterschied besteht: auf der einen Seite die gedemütigte liebende Frau, auf der anderen die atavistisch-­ archaisch agierenden Männer. Ist das nicht ein zu starker ­Kontrast? HK Denken Sie an die Chöre, vor allem in der Vergewaltigungsszene: Wenn die Arbeiter auf dem Hof der Ismailows die Köchin Aksinja quälen und missbrauchen, da sind die Frauen beteiligt. Lediglich im letzten Akt ändert sich etwas. Bis hierhin gibt es niemanden in dem Stück, der eine Hoffnung in die Humanität darstellen könnte. Aber am Schluss ist es anders. Weil da alle Opfer sind. Zwar fallen die Menschen noch einmal ins alte Muster zurück und stimmen ein in die Verspottung Katerinas. Aber im Gefangenenchor wendet sich das Blatt. Hier hört man nichts davon, dass es sich um verurteilte Straftäter handelt. Die Menschen, die hier singen, sind die geknechtete Menschheit an sich, in ihrem tiefsten Leid. MJ Der Mensch ein Abgrund. Und: Keine Hoffnung, nirgends. Wo ist die Utopie? HK Eine direkte Utopie existiert jedenfalls nicht. Genau deswegen machen wir doch Kunst: die schöne Sinnlosigkeit. Aber man darf es nicht aufgeben. Das Einzige, was bleibt, ist im Grunde, dass dieses Opfer der Katerina darin besteht, dass sie nicht umgebracht wird, sondern dass sie es selbst tut. Und das ist vielleicht das letzte Stückchen an Menschlichkeit. MJ Ist das schwerer zu singen? AK Nein. Es fällt einem nur sehr schwer, diese Traurigkeit zu akzeptieren. Schon beim Singen am Klavier musste ich manchmal meine Tränen zurückhalten und hatte eine Gänsehaut. MJ Könnte man dann vielleicht sagen, dass die Schönheit, die, wenn wir Dostojewski glauben, die Welt doch noch retten wird, einzig in der Musik liegt, und dort sehr tief verankert ist?

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HK Ja. Nehmen Sie den Alten Zwangsarbeiter. Das ist so unglaublich berührend. Und vielleicht liegt die Schönheit wirklich in diesen Passagen, wo die Musik ganz schlicht und klar wird. AK Es geschieht auch dort, wo jemand sich ganz ehrlich äußert, so etwa, wenn Katerina beklagt, dass sie niemanden hat, der sie umarmt, wo sie sich eingesteht, wie sehr sie unter der Einsamkeit leidet und rückhaltlos ihre Sehnsüchte mitteilt. MJ Herr Kupfer, Sie haben das Stück schon einmal inszeniert, 1988 in Köln. Hat sich an Ihrem Verständnis dem Stück gegenüber etwas geändert? HK Grundsätzlich nicht. Über die Charaktere denke ich nicht anders. Der Handlungsort wird nur anders sein. Damals war das mehr im bäuerlich-ökonomischen Bereich angesiedelt, diesmal ist es eine alte Werft, wo Schiffe repariert oder abgewrackt werden. Eine riesengroße Halle, und da gibt es ein Teil, das noch nicht abgewrackt wurde – das ist der Fluchtort für Katerina, eine Art Refugium. MJ Die Frage ist nur: Zeigen Sie das, Frau Kampe? Oder sind Sie Katerina? AK Natürlich kann ich mich nicht komplett mit der Rolle identifizieren. Ich kann nicht zur Mörderin werden. Ich muss es spielen. Aber ich kann ihre verzweifelte Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit und ihre Leidenschaft vollkommen nachvollziehen. HK Das beste Beispiel ist Shakespeares Othello. Kein Othello auf der Welt hat bislang seine Desdemona umgebracht. Deshalb ist die theatrale Behauptung „Ich bin“ meines Erachtens eine Lüge. Ich komme ja aus dem Brecht-Schuppen. Ich muss einen anderen Menschen, der ich nicht bin, darstellen, muss mich aber so sehr in diesen anderen Menschen hineinversetzen können, dass ich ihn verstehe. Ansonsten kann ich ihn nicht darstellen. Ich muss ihm aber meine volle Emotion geben. Und das heißt, ich muss spielen mit dem Blick auf mich selbst, aus zwei Zentimeter Entfernung von meinem eigenen Kopf. Man muss die Kontrolle haben beim Singen. Auch wenn ich das spiele. AK Das ist ja das Schöne an meinem Beruf: Ich darf auch einmal eine Mörderin spielen und mich in diese Mörderin hineinversetzen. Es erfüllt mich immer wieder, in solche Extremsituationen hineinzuschlüpfen, für einen Moment aus der Normalität auszubrechen, die Abgründe des Menschen zu entdecken.

Jürgen Otten schreibt seit 1992 als Musik- und Theaterjournalist, u.a. für die FAZ, die Süddeutsche Zeitung und Theater der Zeit, und veröffentlichte u.a. die Bücher Herbert von Karajan. Bilder eines ­Lebens (2007) und Fazil Say: Pianist, Komponist, Weltbürger (2011). Der ausgebildete Musiker ist seit 2012 Operndramaturg am Staatstheater Kassel.

Anja Kampe erhielt ihre Gesangsausbildung in Dresden und Turin. 2002 war sie mit den Partien Freia und Gerhilde (Der Ring des ­Nibelungen) erstmals bei den Bayreuther Festspielen zu erleben. ­Gastengagements führten sie seither u.a. an die Opernhäuser von Washington, Mailand, London, Paris, Wien, Zürich, Berlin, Frankfurt, Barcelona, Los Angeles und Tokio sowie zum Glyndebourne Festival und zur Ruhrtriennale. Ihr Repertoire umfasst Partien wie Sieglinde (Die Walküre), Eva (Die Meistersinger von Nürnberg), Elsa (Lohengrin), Isolde (Tristan und Isolde), Elisabeth (Tannhäuser), Kundry (Parsifal), Senta (Der fliegende Holländer) sowie die Titelpartien in Jenůfa, ­Ariadne auf Naxos und Tosca. An der Bayerischen Staatsoper singt sie 2016/17 neben der Katerina Ismailowa (Lady Macbeth von Mzensk) auch die Leonore in Fidelio.

Harry Kupfer studierte Musik- und Theaterwissenschaft an der Theaterhochschule „Hans Otto“ Leipzig. Von 1981 bis 2002 war er Chefregisseur der ­Komischen Oper Berlin und ab 1981 Professor an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Er ist Mitglied verschiedener Akademien der ­Künste. Er inszeniert an praktisch allen bedeutenden Opernhäusern der Welt. Zu seinen wichtigsten Operninszenierungen zählen Der fliegende ­Holländer und Der Ring des Nibelungen (Bayreuther Festspiele), Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Semperoper Dresden), Les Contes ­d‘Hoffmann (Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo), Parsifal (New National Theatre Tokyo) und die Ur­aufführung von Die schwarze Maske bei den Salzburger Festspielen, wo er auch 2014 Der Rosenkavalier inszenierte. Nach den ­Inszenierungen Die Jungfrau von Orléans (1989), Macbeth (1997) und der Uraufführung von Bernarda Albas Haus (2000) kehrt er diese Spielzeit mit Lady Macbeth von Mzensk an die Bayerische Staatsoper zurück.

Lady Macbeth von Mzensk Oper in vier Akten und neun Bildern Von Dmitri Schostakowitsch Premiere am Montag, 28. November 2016, Nationaltheater Staatsoper.tv: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Sonntag, 4. Dezember 2016 Weitere Termine im Spielplan ab S. 91

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N°01

Einzeiger Klassiker mit Handaufzugswerk Rubrikentitel

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„Ich bin eine Fatalistin“ Sie gehört zu den gefeiertsten Mezzosopranistinnen der Welt. Sie ist eine Lettin, die in Südspanien lebt. Und sie wird in Gaetano ­Donizettis La Favorite erstmals die Titelrolle auf der Bühne verkörpern. Hier spricht Elīna Garanča über die Stärke der Léonor und ihr eigenes Verhältnis zur Religion. Sie reagiert noch zögerlich, wenn es um die Figur der Léonor geht. Ob diese Favoritin eine authen­ tische und verantwortungsvolle Frau ist oder doch eher die schillernde Mysteriöse, darauf will sie sich noch gar nicht festlegen an diesem regnerischen Julinach­ mittag mit Blick auf die Berliner Glas- und Stahlarchitektur des Potsdamer Platzes. Sie erarbeite sich den Charakter einer Figur immer erst während der Probenzeit so richtig, gerade bei einem szenischen Rollendebüt, und freue sich sehr auf den Austausch mit der Regisseurin Amélie Niermeyer und den Bühnenpartnern. Mit einer zu klaren Vorstellung fühle sie sich nicht mehr offen für eine andere Interpretation. Gaetano Donizettis Musik hingegen kenne sie bereits gut, da sie La Favorite bei den Salzburger Festspielen 2014 schon konzertant gesungen habe. Bald werde sie noch tiefer in die Historie dieser Leonor de Guzmán und des spanischen Königs Alfonso XI. eintauchen – und zwar in ihrem andalusischen Domizil, ganz in der Nähe der Schauplätze von Donizettis Oper, also quasi im Dunstkreis von La Favorite.

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MAX JOSEPH Léonor, die Titelfigur in Donizettis La Favorite, ist die Mätresse des Königs. Was bedeutet das für diese Frau? Ist das ein ­Makel, durch den sie von Anfang an einen schweren Stand in der ganzen Ge­ schichte hat? Elīna Garanča Sie ist zwar die Mätresse des Königs, hat sich aber sicher ursprünglich mehr von dieser Beziehung erhofft. Heutzutage ist es für eine moderne Frau wahrscheinlich schwierig, solch eine Hingabe und solch eine Überzeugung nachzuvollziehen. Es ist sicher auch schwierig, diese unglückliche Verkettung von Zufällen in der Geschichte des Stücks zu v ­ erstehen. Ich glaube, dass Léonor tatsächlich in Alphonse, den König, verliebt war, dass sie aber in dieser Beziehung enttäuscht wurde. Ich bin mir dennoch nicht sicher, ob sie tatsächlich immer nur die Unglückliche ist. MJ Im Verlauf von Donizettis Oper wird Léonor mehr und mehr an den Pranger gestellt. Vom König, von ­ihrem Geliebten Fernand, von der Kirche. Ist sie die Verliererin in ­diesem Stück? EG Ja, wahrscheinlich schon. Aber das ist ja generell so: Wenn man sich

danach richtet, was die Gesellschaft von einem denkt, ist man fast immer der Verlierer, denn man kann es nie allen recht machen. Klar verliert Léonor aus dieser Perspektive zum Teil ihre Würde, wenn sie von Kirche und Volk als Ehebrecherin abgestempelt und später auch von Fernand verstoßen wird. Im Sinne gesellschaftlicher Normen zu verlieren und sich selbst als Verlierer zu fühlen sind aber zwei verschiedene Dinge. Es geht ja auch um den inneren Frieden. MJ Am Ende scheinen aber selbst der Glaube und die Religion, die in La Favorite eine sehr große Rolle s­pie­ len, den Protagonisten keinen Trost mehr zu spenden. Alles scheint ­hoffnungslos. EG Am Ende ist es natürlich eine sehr traurige Geschichte. Ich glaube aber, dass es für Léonor eher eine Erlösung im positiven Sinne ist. Ihr wird vergeben, und sie stirbt im Arm Fernands, des geliebten Menschen, der sich schließlich zu ihr bekennt. Dann wiegt für sie auch nicht mehr so schwer, dass sie von der Gesellschaft und dem König verstoßen wurde. Ihr ganzer Leidensweg zuvor ist viel länger und schwerer als schließlich ihr Tod.

Premiere La Favorite


Elīna Garanča

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„Im Sinne gesellschaftlicher Normen zu verlieren und sich selbst als Verlierer zu fühlen sind zwei sehr verschiedene Dinge.“

MJ Welche Rolle spielen die Religi­ on und die Kirche auf diesem Lei­ densweg Léonors, der schon fast et­ was von einer Passion im christli­ chen Sinne hat und der schließlich quasi mit einem Akt der Buße endet? EG Ich denke, selbst heutzutage ist gerade die katholische Kirche der Frau gegenüber relativ gnadenlos. Und früher war das natürlich noch mehr der Fall. Kirche und Religion als Institution wohlgemerkt. Aber ich glaube, dass alle Menschen, wenn der Tod nah ist, sich auf die Vorstellung verlassen, dass Gott uns irgendwie aufnimmt. Und so ist es auch bei Léonor. MJ Kann die Religion also auch ei­ nen gewissen Trost spenden? EG Nicht die Religion, sondern die Spiritualität. Ich würde auch in meinem eigenen Leben weniger von Religion sprechen als vielmehr von Spiritualität. Religion wird heute doch so unterschiedlich interpretiert. Jeder redet von Gott und beansprucht ihn für sich, seien es jetzt Katholiken, Protestanten, Orthodoxe oder Muslime. Was für den einen als Religion verständlich ist, ist für den anderen unverständlich. Deswegen finde ich eine generelle Spiritualität viel wichtiger. Erlösung bedeutet, dem Geist einen Raum zu geben, wo es nach dem Tod hingehen kann. MJ Wo geht es dann in La Favorite hin? EG Nach Léonors Tod müssen die Überlebenden, also auch Fernand, sich an die Hoffnung klammern, dass

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es irgendwie weitergeht. Wahrscheinlich ist aber, dass er sich bald umbringen wird. Das deutet er an, wenn er am Ende nach Léonors Tod sagt: „Morgen werdet ihr für mich beten.“ Im christlichen Sinn wäre aber Selbstmord wiederum eine Sünde ... MJ Sind sich Léonor und Fernand, wenn sie sich in diese Liebesbezie­ hung stürzen, bewusst, dass dies kei­ ne Zukunft haben kann? EG Bei den beiden hat dieses unerklärliche Phänomen der Liebe auf den ersten Blick stattgefunden, und erst mit der Zeit werden sie sich bewusst, dass es eigentlich nicht funktionieren kann. Und dennoch stürzen sie sich in diese Liebe. Sie machen sich am Anfang keine richtigen Gedanken über die Konsequenzen. Damit beschäftigen sie sich erst später. MJ La Favorite spielt in Santiago de Compostela, dann in Sevilla und auf einer Insel in der Nähe von Cá­ diz. Sie leben in Südspanien. Ken­ nen Sie diese Schauplätze? Können Sie in Donizettis Oper und ihrer The­ matik Ähnlichkeiten mit der spani­ schen Kultur und Mentalität finden? EG Natürlich kenne ich die Orte, an denen La Favorite spielt. Spanien ist ein sehr katholisches Land, das manchmal auch sehr durch ­blinden Katholizismus geprägt ist. Andererseits gibt es den großen Einfluss der arabischen Kultur. Und beides kommt in gewisser Weise auch in der Oper zum Ausdruck. So gibt es beispielsweise Gesänge, die quasi maurisches Ambiente zitieren, und

natürlich viel chorischen Sakral­ gesang. MJ Sie sind vor zwei Jahren der Hermandad de la Macarena, einer der wichtigsten religiösen Bruder­ schaften in Sevilla, beigetreten, die an eine bedeutende und sehr popu­ läre Madonnenfigur dieser Stadt an­ knüpft. Wie kam es dazu? EG Diese Bruderschaft hat mich und meinen Mann, der sehr katholisch ist, eingeladen, Mitglied zu werden. Da ich eben in Südspanien lebe, die Karwoche in Sevilla besucht habe und auch viel Zarzuela singe, um damit diesen Teil der spanischen Kultur auf der ganzen Welt ein bisschen zu verbreiten, hat man uns das vorgeschlagen. Jede Stadt, jedes Viertel und jedes kleine Dorf in Spanien hat natürlich seine eigenen Heiligenund Marienfiguren mit den dazugehörigen Bruderschaften, die Macarena ist aber eine der schönsten Madonnen, die ich gesehen habe, wenn sie bei den Osterprozessionen durch die Stadt getragen wird. Und so sind wir als Familie dieser Bruderschaft beigetreten. MJ Wie erleben Sie als Lettin diesen sehr speziellen Teil der spanischen Kultur, diese Volksfrömmigkeit? EG Ich bin zwar als Katholikin groß geworden. Mein Mann und ich versuchen auch, unsere Kinder in diesem Sinne zu erziehen, damit sie alles so kennenlernen, wie wir es selbst gelernt haben. Für mich, die ich aus einer ganz anderen Umgebung komme, wirkt aber diese sehr pompöse, nach außen getragene Religiosität

Interview Florian Heurich


„Gerade die Prozessionen und diese Seite der spanischen Kultur beobachte ich mit großer Bewunderung, vielleicht auch mit ein bisschen Neid, dass man sich im Alltag so stark mit solchen Traditionen identifizieren kann.“

in Spanien manchmal schon ein bisschen inszeniert. Ich selbst trage die Spiritualität eher in mir. Gerade die Prozessionen und diese Seite der Kultur beobachte ich mit großer Bewunderung, vielleicht auch mit ein bisschen Neid, dass man sich im Alltag so stark mit solchen Traditionen identifizieren kann. Ich schaue mir das Ganze zum Teil als eine große Inszenierung an, aber trotzdem zieht es einen mit. Und dann hat man auch ein gewisses spirituelles Erlebnis.

Ob das nun katholisch ist oder ­irgendetwas anderes, spielt keine Rolle. Man empfindet eine gewisse gemeinschaftliche Energie. Ich habe sogar in der Kirche für die Maca­ rena gesungen. Dabei haben mich sehr merkwürdige, fast unerklär­liche Emotionen überkommen, sodass es mir schwerfiel weiterzusingen. Ich wurde dann gebeten, auch in der Öffentlichkeit während der Prozession zu singen, das möchte ich aber eher weniger.

Über La Favorite Zahlreiche Mythen umranken die historische Figur der Leonor de Guzman, Mätresse des Königs Alfons XI. von Kastilien, die im Ränkespiel um die Macht im Staate zerrieben wird. Ein wahrer Opernstoff, den Gaetano Donizetti nur allzu gerne aufgriff und 1840 in eine französische Grand Opéra für Paris formte – so kompromisslos traurig und pessimistisch sollte Donizetti keinen ­weiteren Stoff mehr verarbeiten. Mit der ­histo­rischen Figur hat die Titelfigur der Oper jedoch nur noch wenig zu tun. Die Liebe Léonors zum König entpuppt sich in der Oper als Farce. Léonor zögert nicht lange und entscheidet sich für den jungen ­Fernand, der ihretwegen dem Klosterleben in Santiago de Compostela entflohen ist. Doch er weiß nicht um ihre Identität als Mätresse, sodass er und sie schnell Opfer im intriganten Machtkampf zwischen Kirche und Staat werden. Am Ende bleibt den beiden nicht einmal mehr die Hoffnung auf eine gemeinsame bessere ­Zukunft ­nach dem Tod. Léonor stirbt, Fernand bleibt zwar im Kloster zurück, doch die Idee von Gott und Erlösung bleibt das Werk den beiden schuldig.

MJ Welche Bedeutung hat die Re­ ligion in Ihrem Leben? EG Je älter ich werde, umso mehr Fragen habe ich an jegliche Religion. Deshalb finde ich für mich persönlich die Spiritualität wichtiger und auch erlösender, wenn man so große Worte benutzen will, als die Religion. Religion war oft ein Mittel, um die Leute blind zu machen, damit man sie besser regieren kann. Ich bin eine Fatalistin. Ich glaube, uns wird ein bestimmter Weg vorgegeben. MJ In Kunst und Literatur, gerade im 19. Jahrhundert, war Spanien schon immer ein Sehnsuchtsland. Auch La Favorite ist ein Beispiel für dieses Phänomen. Was hat dieses Land für Künstler so interessant ge­ macht? EG Vor allem war Spanien seinerzeit eine Weltmacht. Ein riesiges Imperium, das sich immer weiter ausgebreitet hat. Bei dieser Expansion war natürlich die Religion sehr wichtig. Und gerade die Mischung des Christentums mit dem Islam und der arabischen Kultur in Spanien hat im Ausland großes Interesse geweckt. MJ Ein spanisches Thema, eine fran­ zösische Oper, ein italienischer Kom­ ponist. Wie unterscheidet sich der französische Donizetti in La ­Favorite vom italienischen Donizetti? Sie ha­ ben ja auch schon die Giovanna Sey­ mour in Anna Bolena und die Sara in Roberto Devereux gesungen. EG Verismo ist sicher nicht der richtige Ausdruck, aber ich würde trotz-

Illustration Berto Martínez

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dem sagen, der französische Donizetti wird in gewisser Weise veristischer. Es ist weniger der ganz typische Belcanto hinsichtlich der strukturierten Arienformen oder der Auflösung der Harmonien. Auch die Orchestrierung ist reichhaltiger, das Orchester lebendiger mit richtigen Dialogen zwischen einzelnen Instrumenten.

dabei aber komplett bedeckt und versteckt und tief leidet, bis sie schließlich zusammensackt.

MJ Ist La Favorite also eine typisch französische Oper oder doch eher eine italienische Oper in französischem Gewand? EG Wenn man es auf Italienisch singt, was ja oft gemacht wurde, wirkt es italienischer, wenn man es auf Französisch singt, ist es französischer. Durch die Sprache verändert sich auch der Rhythmus, die Phrasen klingen anders, die ganze Klangfarbe ist nicht mehr dieselbe. Beispielsweise Léonors Arie O mon Fernand: Auf Französisch klingt sie romantisch-naiver, auf Italienisch kommt mehr Verzweiflung zum Ausdruck. MJ Ist das französische Idiom also womöglich besser geeignet, um die ­unterschwellige Spiritualität und ­Religiosität des Stücks zu vermit­ teln? EG Es ist dadurch auf jeden Fall introvertierter. Der Leidensweg Léonors wird so eher innerlich verarbeitet als nach draußen geschrien. Man könnte das so vergleichen: einerseits jemand, der das Kreuz trägt, wobei das physische Leid offen zutage tritt; andererseits vielleicht eine Frau, die gesteinigt wird und sich

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Florian Heurich ist Musikjournalist. ­ Für die Bayerische Staatsoper gestaltet er die Videomagazine und Audio-­ Podcasts zu den Neuproduktionen, für BR-Klassik produziert er Radiofeatures und Reportagen (demnächst etwa Von bitteren Mandeln und schwarzer Milch – Paul Celan in der zeitgenössischen Musik; Sendetermin 22.11.2016).

Elīna Garanča, geboren in Riga/Lettland, studierte an der dortigen Musikakademie. 2001 war sie Finalistin des Wettbewerbs BBC Cardiff Singer of the World. Gastenga­gements führten sie an die New Yorker Metropolitan Opera, die Los ­Angeles Opera, die Mailänder Scala, die Opéra National de Paris, die Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspiele und die Staatsoper Unter den Linden in ­B erlin. Ihr Repertoire umfasst u.a. ­Octavian (Der Rosenkavalier), Dorabella (Così fan tutte), Meg Page (Falstaff) und Annio/Sesto (La clemenza di Tito). ­ An der Bayerischen Staatsoper war sie bereits als Carmen, als ­Adalgisa (Norma) sowie als Charlotte (Werther) zu erleben.

La Favorite Opéra in vier Akten Von Gaetano Donizetti Premiere am Sonntag, 23. Oktober 2016, Nationaltheater Staatsoper.tv: Live-Stream der ­ orstellung auf www.staatsoper.de/tv V am Sonntag, 6. November 2016 Weitere Termine im Spielplan ab S. 91


„Wenn wir mitten im Chaos stehen – wie können wir Frieden finden?“ inwarandpeace.com · joycedidonato.de

Das neue Album

JOYCE DiDONATO

IN WAR & PEACE Arien von Monteverdi bis Händel

Joyce DiDonato an der Bayerischen Staatsoper im Feb./März 2017

Neu auf DVD & Blu-ray

Rubrikentitel

Antonio Pappano · Jonas Kaufmann · Eva-Maria Westbroek · Željko Luci ˇ c´

Jonas Kaufmann als ANDREA CHÉNIER an der Bayerischen Staatsoper im März/April/Juli 2017

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„Er ist ein Ein Gewinner? Ein perfekter Entertainer? Ein großes Schwarzes Loch, das Inhalte schluckt? Wer oder was ist der US-amerikanische ­Präsidentschaftskandidat ­Donald Trump? Seine Biografin, die US-Journalistin Gwenda Blair, ­antwortet.

MAX JOSEPH Viele politische Kommentatoren haben die Politik von Donald Trump als nihilistisch beschrieben. Was folgt aus der Politik, die er betreibt? Es scheint, dass es ihm nicht wirklich um etwas Positives, um Werte oder Visionen geht. GWENDA BLAIR Ich würde Trumps Politikstil eher als opportunistisch bezeichen. MJ Der Ghostwriter von Trumps Memoiren The Art of the Deal aus dem Jahr 1987, Tony Schwartz, bezeichnete Trump in einem Interview mit dem New Yorker als „lebendes Schwarzes Loch“. Das bringt doch gnadenlos auf den Punkt, dass all seine Aktionen und Aussagen von einer umfassenden Leere gekennzeichnet sind. GB Jedes Mal, wenn ich mit Donald Trump gesprochen habe, erschien er mir nicht unbedingt als schwarzes, sondern eher als ein sehr seichtes Loch, ohne jede Tiefe. Ich habe die gleiche Erfahrung wie Tony Schwartz gemacht,

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nämlich dass jede Form von substanzieller Unterhaltung mit ihm unmöglich ist. In Gesprächen poltert er herum und spricht nur von seinen Erfolgen. Er ist immer der Gewinner. Als Schwarzes Loch kann man ihn bezeichnen, wenn man damit sagen will, dass er absolut keine Prinzipien hat, außer zu gewinnen. MJ Er ist also auch ein Schwarzes Loch, weil alles in ihm verschwindet, jede Form von Bedeutung, Inhalt, Austausch. GB Genau. Es gibt da keine Vision. Oder besser: Gewinnen ist die Vision. MJ In vielen europäischen Ländern haben Rechtspopulisten starken Zulauf. Sie spielen mit den enttäuschten Hoffnungen von Menschen, die sich als Verlierer des gesellschaftlichen Wandels und der Globalisierung fühlen, die sich nicht mehr von den politischen Eliten vertreten sehen. Kann man Donald Trumps Politik auch mit dieser negativen


Showman”

Eric Yahnker, Prescious Patriotism, 2015

Form von Politik, dieser Politik der Angst vergleichen? Ist er Personen wie Viktor Orbán oder Boris Johnson ähnlich? GB Ja, mit diesen Männern kann man ihn durchaus vergleichen. Ich würde sagen, Donald Trump hat das gleiche Drehbuch wie sie, in dem Sinn, wie er sein Land beschreibt. Er tat das bisher mit extrem düsteren, Angst schürenden Begriffen. Er beschrieb Amerika als Katastro-

phengebiet am Rande des Zusammenbruchs. Andere Staatsoberhäupter bezeichnete er als dumm, als Idioten, Verlierer – das ist übrigens das schlimmste Wort für ihn. Sich selbst positioniert er dagegen als Gewinner, als extrem harten Typen, der nicht kneift, alle schlagen kann und immer den besten Deal macht. Er stilisiert sich als Retter, nicht so sehr im religiösen Sinn, denn solche Begriffe benutzt er kaum. Eher im nüchternen geschäftlichen

Donald Trump

oder im militärischen Sinn. Er benutzt extrem simplifizierende Begriffe, wenn er den Rest der Welt beschreibt, zum Beispiel als „Mächte des Bösen“. Und er, Donald Trump, ist der Kämpfer für Gerechtigkeit, der alle Probleme sofort lösen wird. Um die Einzelheiten müssen die Leute sich keine Gedanken machen. Er spricht auch nicht über Pläne, denn niemand braucht Pläne, die Leute müssen nur wissen, dass er sich um alles kümmern wird. MJ Sie sagten, dass Trump sich als eine Art Retter stilisiert. Auch als Erlöser? GB Sein Slogan „Make America Great Again!“ legt das nahe. Aber „Erlöser“ ist bei ihm sicher nicht im religiösen Sinn zu verstehen. Vor allem sehe ich nicht, dass er irgendetwas opfert. Seine Kinder haben auf dem Parteitag der Re­ publikaner gesagt, dass er die Führung seines Firmenimperiums aufgeben, also opfern würde, um ­Präsident zu werden. Aber das ist doch kein wirkliches Opfer! MJ Aber er inszeniert sich anders als frühere Präsidentschaftskandidaten. Diese haben sich eher als Pioniere präsentiert, also positiver. Nicht als Retter vor der Katastrophe, s­ ondern als neue Kraft. GB Trumps „Make America Great Again“ klingt schon positiv. Aber dann sagt er wieder, was für ein durch und durch fürchterliches Land es mittlerweile ist. Er bezieht nie eindeutig Position. Und da man sowieso keine Einzelheiten oder Pläne zu diesem Slogan kennt, ist es schwer zu sagen, was er bedeutet. Und ganz ehrlich, ich glaube, dass er nicht wirklich viel bedeutet. Trump ist ein Showman. Und als Showman war seine wichtigste Aufgabe im-

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„Jetzt fragen Sie sich: Wer soll das al Aber diese Frage stellen Sie, weil ich sage. Wenn Trump es von der Bühne likum entgegenschreit, klingt es sehr mer, unvorhersehbar zu sein. Denn nur dann bleiben die Leute aufmerksam, weil sie nicht wissen, was er als Nächstes sagt. Das war immer Teil seiner Strategie. MJ Aber da ist ja auch noch seine Partei, die die Geister, die sie rief, nun nicht mehr loswird, zum Beispiel die Tea-Party-Bewegung. Haben sich diese destruktiven Kräfte, die Stimmen vom rechten Rand bringen sollten, nun gegen die Partei gewendet, in Form von Trump? Hat er seine Partei gewissermaßen zu der gemacht, die sie eigentlich nie sein wollte? GB Ich glaube, die einzige Partei, die Trump interessiert, ist die Trump-Partei. Und diese Partei voranzubringen, das hat er sich vorgenommen. Und in der Partei von Donald Trump ist es egal, wenn man nicht mit Fakten argumentiert oder nicht die Wahrheit sagt. Es geht ja nur darum zu gewinnen. Sehen Sie, er will der starke Typ sein, nicht die Partei soll stark sein. Jedes Mal, wenn es eine Konfrontation mit der Republikanischen Partei gab, hat sie klein beigegeben. Durch seine große öffentliche Wirkung, dadurch, dass er seinen Namen zu einer weltweiten Marke gemacht hat, hat er es ja erst geschafft, diese riesige Gefolgschaft hinter sich zu bringen. Er wurde so monströs, dass die Partei nichts gegen ihn tun kann. Die Umfragewerte und die Anhängerzahl sind Trumps Ergebnisse. Wenn ihm die Partei sagt, er soll sich zusammenreißen, dann ignoriert Trump das einfach. MJ Ist die Grand Old Party also im Schwarzen Loch Donald Trump verschwunden? GB Absolut. MJ In einem Interview haben Sie die Geschichte der drei Generationen der Trump-Familie als die Verkörperung des amerikanischen Kapitalismus schlechthin bezeichnet. Ist es nicht ein Paradox, dass Trump dann gleichzeitig so extrem gegen das Establishment wettert? GB Der Kapitalismus oder die Globalisierung sind ja nicht für alle ein Segen, am wenigsten für die unteren Schichten. Es ist sehr interessant, dass Trump die Tatsache, dass er sehr reich ist – was ja durchaus ein Problem sein könnte für einen Präsidentschaftskandidaten, weil das viele Animositäten hervorrufen kann – dass er das für seine Zwecke nutzt. Er stellt sich als intelligent

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dar, weil er all dieses Geld verdient hat. Und die Leute halten ihn für intelligent. Er hat das System benutzt, um all das Geld zu verdienen. Das zeigt, dass er weiß, wie das System arbeitet. Er kennt die fiesen Tricks, weil er Teil davon war. Er konnte Schulden in Guthaben verwandeln. Und dieses Wissen um finanzielle Zaubereien kann er auch im Interesse des kleinen Mannes einsetzen. Aber wird er das wirklich tun? Da wird einem als normal denkendem Menschen doch schwindlig! Aber genau so hat er sich präsentiert. Die Clinton Foundation zum Beispiel (eine gemeinnützige Stiftung, die Bill Clinton 2001 gegründet hat. Sie setzt sich u.a. für die Bekämpfung von AIDS ein, d. Red.) hat viel Geld gesammelt, ich glaube, es sind zwei Milliarden. Und von wem kann man eine solche Summe bekommen? Man geht zu den Reichen, zu den großen Konzernen. Diese Tatsache benutzt Donald Trump, um den Anschein zu erwecken, dass Hillary Clinton korrupt ist. Seine Strategie nach außen lautet: Er selbst weiß, wie korrupt das System ist, und kann deswegen das Wissen im Sinne seiner Wähler einsetzen. Das zeigt uns die Logik dessen, was er uns vorführt. Jetzt fragen Sie sich: Wer soll das glauben? Aber diese Frage stellen Sie, weil ich es hier zu Ihnen sage. Wenn er es von der Bühne aus seinem Publikum entgegenschreit, klingt es ganz anders. Er spricht polternd und in Satzfragmenten. Wenn man das hört, klingt es sehr überzeugend. MJ Können sich Satzfragmente überzeugend anhören? GB Ja, es hört sich dann so an, als würde er seine innersten Gedanken aussprechen. Man denkt ja auch nicht in ganzen Sätzen. Man denkt in Fragmenten. Es wirkt also aufrichtig. Die Leute vertrauen ihm verrückterweise genau deswegen, weil es so direkt rüberkommt. Es klingt, als wären es ihre eigenen Gedanken. Obwohl jeder Fakten-Checker im Land sagt, dass mindestens 75 Prozent von dem, was Trump behauptet, zumindest zum Teil falsch ist und vieles davon einfach unwahr, kann ihm das gar nichts anhaben. MJ Man hat auch den Eindruck, egal wie verletzend Trumps Äußerungen sind, nichts scheint seinem öffentlichen Ansehen zu schaden. Woher kommt das?


lles alles glauben? glauben? ch eses hier hier zuzu ihnen ihnen ne aus aus seinem seinem Pub­ Pub­ ehr r überzeugend.“ überzeugend.“ GB Nun, jetzt, wo es nur noch um ihn und Clinton geht, hat er eine viel größere Bühne. Die Öffentlichkeit hört viel genauer zu, was er sagt. Und gleichzeitig liegt er in den Umfragen etwas hinter Clinton. Deswegen hat er seine Strategie leicht geändert – andere zu beleidigen und auch seine Unvorhersehbarkeit, die bis jetzt so fesselnd war, dass man nicht auf den Inhalt achtete. Er hat vor kurzem zum Beispiel einen versöhnlicheren Ton angeschlagen, was das Thema Immigration angeht. MJ Also wird Donald Trump milder? GB Zumindest bei diesem einen Thema. Morgen kann das schon wieder anders sein. Wenn sich zum Beispiel herausstellen sollte, dass die Leute, die seine harte Tour begeistert, ihn nun infrage stellen. MJ Denken Sie, dass Donald Trump sich mit dem politischen Establishment arrangieren würde, sollte er Präsident werden? Oder würde er ein Enfant terrible bleiben? GB Ich glaube, alle bisherigen Kandidaten mussten sich damit auseinandersetzen, dass es noch die anderen Instanzen gibt. Und auch Trump würde gegen die Mauer des Kongresses oder des Gerichtshofs anrennen, wie die anderen Präsidenten. Auch er würde sich damit arrangieren müssen. MJ Der US-amerikanische Historiker Richard Hofstadter beschreibt in The Paranoid Style in American Politics, seinem Klassiker aus den 1960er Jahren, das Phänomen, dass paranoide Untergangs­ szenarien und apokalyptische Verschwörungstheorien die politische Diskussion immer mehr mit­ bestimmen. Trump scheint die Kulmination dieses negativen, paranoiden Politikstils zu sein. Was meinen Sie? GB Nun, Trump hat diese Methode, dem Land zu sagen, dass es am Rand der Katastrophe steht und er der Einzige ist, der das in Ordnung bringen kann, nicht erfunden. Ich zögere jetzt, mich auf historische Figuren in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu beziehen. Da gibt es ja berühmte Beispiele, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Aber das lenkt nur ab von dem, was gerade stattfindet. Jedenfalls wurde diese Strategie in der Geschichte schon oft benutzt, um die Wählerschaft zu beeindrucken. Ich weiß nicht, ob das heute bei Trump kulminiert. Aber er vertritt sicher keine Politik der Hoffnung.

MJ Warum spricht das die Menschen so stark an? GB Wenn man nachvollziehen will, wie es dazu kam, dass Trump tatsächlich der Kandidat der Republikaner wurde, muss man sich auch die Realityshow The Apprentice ansehen (US-Fernseh-Show mit Trump von 2004 bis 2015. Der Gewinner bekam von Trump einen Einjahresvertrag für eines seiner Unternehmen, d. Red.). Trump war zehn Jahre lang im Fernsehen zu sehen, und er war die ganze Zeit der Boss. Er vergab in der Sendung die Jobs, er feuerte die Leute, er löste die Probleme, er war die ultimative Autorität. Und obwohl er schon lange eine sehr bekannte Figur war, spielten diese zehn Jahre als CEO im Fernsehen eine wichtige Rolle dabei, ihn zu positionieren. Er war der Boss, warum sollte er also nicht auch der Boss der Vereinigten Staaten von Amerika werden? MJ Wenn Sie für uns in die unmittelbare Zukunft schauen: Wer, glauben Sie, wird die Wahlen gewinnen? Und warum? GB Momentan, Anfang September, sieht es so aus, als würde Hillary Clinton gewinnen. Aber ein oder mehrere terroristische Anschläge in den USA beispielsweise könnten das ändern. Oder weitere negative Schlagzeilen über die Unregelmäßigkeiten der Clinton Foundation und über ihre E-Mail-Affäre. Sie hat einfach Schwierigkeiten, sich wirksam zu verteidigen. Und sie ist keine gute Entertainerin. Sie ist sehr vorhersehbar, fast langweilig, wenn sie spricht. Sie spricht sehr moduliert, sie schreit nicht, benutzt ganze Sätze, bietet komplizierte Ideen an, sie hat viele Pläne und spricht über die Details. Sie verhält sich wie eine Highschool-Lehrerin. Wenn man so jemanden als Präsidentin will, dann wählt man Clinton. Aber wenn man eine unterhaltsame politische Figur an der Spitze will, die man gerne im Fernsehen sieht, dann wählt man Trump. MJ Das Drama der Inhaltsleere unserer Tage, das wir in ganz vielen Facetten beobachten können … Wir müssen uns also auf Donald Trump vorbereiten? GB Man darf nicht ausschließen, dass Clinton gewinnt. MJ Wahlverhalten entscheidet sich ja oft erst im letzten Moment. GB Sicher. Aber in Amerika beginnt dieser letzte Moment unmittelbar nach der letzten Wahl. Der letzte Moment dauert also vier Jahre. Sie in Deutschland machen es da besser, mit einem viel kürzeren Wahlkampf. Aber darf ich noch eine Frage an Sie stellen? Wie kommt es, dass die Bayerische Staatsoper mir so tiefgehende Fragen zu Donald Trump stellt? Schreibt vielleicht gerade jemand eine Oper über ihn – so etwas wie Nixon in China, die Oper von John Adams?

Bild Eric Yahnker

Mehr über Gwenda Blair und Eric Yahnker auf S. 8

Die Fragen stellten Sabine Voß und Maria März. Aus dem Amerikanischen von Sabine Voß


„Wir bleiben ein Leben lang Suchende“ Eine Regisseurin, die in München Gaetano Donizettis La Favorite inszeniert. Das in großen Teilen im berühmten Kloster von Santiago di Compostela spielt. Bepackt mit Fragen über Fragen, zum Leben im Kloster und darüber hinaus. Aus dem Treffen zwischen Amélie Niermeyer und dem Abt der ­B enediktinerabtei St. Bonifaz in München, Johannes Eckert, wurde ein Gespräch über die starken Rituale im Kloster, die gesellschaft­liche Macht der Kirche – und darüber, warum wir die Leere aushalten müssen.

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Vorstellungsankündigung


Ein lebendiger Ort ist das Kloster St. Bonifaz an diesem sonnigen Vormittag. Die Pforten sind offen, auf den Eingangsstufen sitzen zwei Gäste mit Gitarren. Das Kloster, nur einen Steinwurf vom Münchner Hauptbahnhof entfernt, hält täglich Speisen für einige Hundert Men­ schen bereit. Zur Klosteranlage gehören auch Räume für Kinder­ gruppen sowie ein Garten. Wer hierherkommt? Oft Obdachlose ohne Papiere, die deswegen bei anderen Stellen keine Möglichkeit haben, an Hilfe zu kommen. „Menschen, die es nach den Akten eigentlich gar nicht gibt. Aber es gibt sie halt trotzdem“, sagt der Abt. AMÉLIE NIERMEYER Abt Johannes, in Gaetano Donizettis Oper La Favorite sucht der junge Fernand die Bindung zu einer geistigen Persönlichkeit. Können Sie uns aus Ihrer Erfahrung als Abt schildern, wie Sie das erleben: diese Bindung, die man eingeht, und die lebenslange Verpflichtung, die daraus resultiert. Haben Sie die Oper schon einmal gesehen? ABT JOHANNES Ich habe mich mit La Favorite beschäftigt, aber ich habe die Oper noch nicht gesehen. AN Das können Sie auch nicht, ­unsere Produktion kommt ja erst. AJ Ich hätte die Oper in Wien anschauen können. Da wurde sie vor einigen Jahren gezeigt. (lachen) AN Fernand empfindet eine sehr große Liebe für den Prior, man spürt eine extreme Nähe. Aber nachdem er eine überwältigende Begegnung mit einer unbekannten Dame hatte, möchte er dieses geistige Gelübde im Kloster nicht mehr ablegen, was Fernand stark unter Druck setzt. AJ Ich denke, wenn jemand hierher ins Kloster kommt und neu anfangen will oder diesen Wunsch äußert, sollte man ihm mit großer Ehrfurcht und Achtsamkeit begegnen. Und das heißt auch,

Premiere La Favorite

dass man das rechte Maß sucht zwischen Nähe und Distanz. Zum Beispiel bleibe ich mit allen Eintrittskandidaten bis zur feierlichen Profess per Sie. Wenn man sich sofort duzen würde, könnte das gleich eine emotionale Abhängigkeit begünstigen. Oder man rutscht automatisch ins „Du“, und der Jüngere sagt selbstverständlich „Sie“, das ist dann wiederum ein Ungleichgewicht. Deswegen ist es sehr wichtig, jedem Bewerber mit einer großen Achtsamkeit zu begegnen, auch bei der Prüfung der Motive. AN Man wird also richtig geprüft, die Beweggründe werden hinterfragt? AJ Der heilige Benedikt gibt uns in der Benediktsregel ein Motiv vor: Wir sollen prüfen, ob einer wahrhaft Gott sucht. Also nicht, ob er Gott schon gefunden hat, sondern ob er ein Suchender ist. Das ist etwas, was dem Mönchtum ganz eigen ist: dass wir nicht fertig sind, wir bleiben ein Leben lang Novizen, Suchende. Ich habe etwa immer ein bisschen Bauchschmerzen, wenn jemand konvertiert ist, also bewusst katholisch geworden ist. Manche neigen dann zu Extremen: Gott will dies und jenes, hier muss man vorsichtig sein. Das ist kein Hindernis, aber man muss immer wieder fragen: Was macht das mit Ihnen? Warum sind Sie sich da so sicher? Es kann auch sein, dass man den Menschen zunächst in Unsicherheit führen muss. AN In den Zweifel? AJ Auch in den Zweifel. Der Zweifel ist absolut notwendig in einer Glaubensbiografie. Weil man sonst in Gottesbildern der Kindheit stehen bleibt, was sehr gefährlich ist. Nichts gegen ein kindliches Gottvertrauen. Man muss aber prüfen: Ist derjenige einer, der das Mehr im Leben sucht, oder ist es jemand, der vor der sogenannten bösen Welt flieht – denn das geht bei uns nicht.

AN Wird das auch so genau geprüft, weil Sie Sorge haben, dass diese Leute später den Schritt bereuen und wieder abspringen? AJ Vor allem, weil es auch in einem Kloster eine Lebenstauglichkeit braucht. Wenn jemand die letzten 20 Jahre bei seiner Mutter gelebt hat und quasi als Privatier von ihr versorgt wurde – was sucht er jetzt im Kloster? Geht es ihm um eine Versorgung, um ein Nest? Oder geht es darum, dass er in etwas völlig Ungewisses, Neues aufbrechen will? AN Wenn ich jetzt an das Stück denke: Für mich flieht Fernand eher, als dass er sucht, sonst würde er nicht so schnell die Entscheidung treffen können wegzugehen, in dem Moment, in dem er sich verliebt. Ich glaube schon, dass er eine enge Verbindung zum Glauben und auch eine sehr enge Verbindung zum ­Prior des Klosters hat, aber eine g ­ ewisse Lebensuntauglichkeit spielt bei der Figur auf jeden Fall eine Rolle. Man spürt von Beginn an seinen inneren Kampf. AJ Aber da wäre ich vorsichtig. Es darf durchaus diese Vaterbindung geben. Eine geistliche Vaterschaft hat ja etwas mit Charisma zu tun. Das Mönchtum ist so entstanden: Neuanfänger haben sich in der Wüste an einen erfahrenen geistlichen Vater gewandt, der ihnen in ihrer Sehnsucht nach Leben etwas mitgeben konnte. Ihn hat man den Abba genannt. Als ich mit 24 Jahren den Benediktinern beigetreten bin, habe ich in meinem Vorgänger auch den geistlichen Vater gesucht. Aber man darf nicht stehen bleiben auf dem Weg ins Kloster. Und wenn das ein Mitte-20-Jähriger ist, würde ich sagen, steht es für eine große Vitalität, dass er sich im Kloster noch verlieben kann. Das ist zwar für den Abt erst mal nicht so schön, weil er denkt, er verliert jemanden, aber es ist zunächst etwas Positives.

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AN Mich interessiert natürlich das feierliche Ritual zur Aufnahme nach den fünf Jahren Prüfungszeit. Die Profess ist auch in der Oper präsent, auch wenn sie nicht auf offener Bühne stattfindet, sondern man nur die Gesänge dazu von der Hinterbühne hört. Ist das bei Ihnen eine richtig lange Zeremonie? AJ Die Aufnahme geht ja in Schritten vor sich. Nach der Kandidatur, die ein halbes Jahr bis ein Jahr dauert, kommt die Einkleidung, man bekommt also das Gewand des Klosters angezogen. AN Das ist auch schon ein feierlicher Schritt. AJ Das feiern wir aber in der Klostergemeinschaft in ganz kleinem Rahmen, vielleicht noch mit den Eltern, weil wir dem Kandidaten auch keinen Druck machen wollen. Vor 60 Jahren ist das in manchen Klöstern noch groß gefeiert worden, nach dem Motto: Jetzt darfst du nicht mehr austreten. Heute findet dafür nur eine kleine Feier statt. Danach kommt ein Jahr einer Art Traineeprogramm, das wir Noviziat nennen. Auf dieses folgt die Profess für drei Jahre, der Kandidat bekommt dann auch seinen Ordensnamen. Und schließlich folgt dann die feierliche Profess, das ist ein größeres Fest und das findet dann auch öffentlich statt, in der Basilika. AN Und dabei steht dann das Versprechen im Mittelpunkt? AJ Ja, genau. Wir legen die Profess mit einem Psalmvers ab, „Nimm mich auf, o Herr, nach deiner Verheißung, und ich werde leben. Lass mich nicht scheitern in meiner Hoffnung.“ AN Das Scheitern ist also mitgedacht. AJ Ja, die Benediktsregel kennt auch das Scheitern, kennt auch den Austritt und die Wiederaufnahme, kennt auch, dass einer aus der Gemeinschaft gestoßen wird. Diese Regel ist manchmal noch sehr herb, das ist ja sechstes Jahrhundert. Aber sie gibt den feier-

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lichen Rahmen vor: zuerst die Allerheiligenlitanei, dann verfasst der Profitend eine Urkunde, in der er sein Versprechen ablegt, anschließend wird ein längeres Gebet des Abtes gesprochen. Dieser feierliche Rahmen macht deutlich, er stellt sich in die große Tradition der Glaubenden, und die Urkunde zeigt die Verbindlichkeit. Der Profitend zeigt sie jedem Mönch und legt sie auf den Altar. Das ist auch ein Zeichen, dass man sein Leben ein Stück weit auf den Altar legt. Und dann kommt dieser Vers, den er dreimal singt, das Suscipere. Zuerst steht er mit ausgebreiteten Armen und singt „Nimm mich an …“, das ist das Ausstrecken gen Himmel, und dann kniet er sich nieder, verschränkt die Arme vor der Brust und singt „Und lass mich in meiner Hoffnung nicht scheitern“, das ist dann sozusagen die Demutshaltung, das Wissen um seine Schwächen als Mensch, um das Scheitern. AN Und während er dies dreimal singt, stehen die anderen Mönche um ihn herum? AJ Die andern stehen still. Nach dem dritten Mal singt die ganze Mönchsgemeinschaft mit ihm. AN Quasi auch als eigene Erneuerung. AJ Ganz genau. Und dann bekommt er die Regel überreicht und das lange Mönchsgewand angezogen, die Kukulle, wie sie auch das Münchner Kindl trägt. Das Gewand bedeutet quasi „ganz und gar zu jemandem gehören“. Und danach geht er zu jedem Mönch hin und empfängt den Friedensgruß. Das ist nochmals ein ganz starkes Zeichen. Jeder umarmt ihn. Normalerweise sagt er „Bete für mich“, und der jeweilige Mönch müsste dann sagen „Friede sei mit dir“, aber bei uns geht das immer sehr herzlich zu. Manchmal fließen sogar Tränen.

AN Eigentlich ist das ja ein Vertrag mit Gott, was mir von der Idee sehr gefällt. Mich würde interessieren: Was geschieht, wenn man die Antwort Gottes nicht spürt? AJ Der Mönch glaubt, dass er berufen ist, und ist doch wieder dem Zweifel ausgesetzt, ob es diesen Gott gibt. Das ist wie wenn man springt und nicht weiß, ob man das andere Ufer erreicht. Das ­Leben bedeutet dann, das, was ich in dieser Stunde auf den ­Altar gelegt habe, zu versuchen, mein ganzes Leben hindurch, Tag für Tag. Das ist keine einmalige Geschichte, so hat man das früher eher verstanden. Ich sehe es mehr prozesshaft. AN Gibt es später noch weitere ­Rituale im Leben eines Mönchs? AJ An sich nicht, es sei denn, es folgt noch eine Priesterweihe. Nach 25 und 50 Jahren feiern wir wieder Jubiläen. Und natürlich bei der Beerdigung, wenn der Sarg im Grab liegt, wird das Suscipere noch mal gesungen. Das ist auch ein sehr ergreifender Moment. Also noch einmal „Nimm mich an, o Gott, damit ich lebe. Lass mich in meiner Hoffnung nicht scheitern.“ * * * AN In unserem Stück ist der Sängerdarsteller etwas älter, als die Rolle es vorsieht, was auch mit der Stimme zu tun hat – so eine Stimme kann man mit 20 noch nicht haben. Gibt es denn auch Männer ab 40, die sich für diesen Weg entscheiden? AJ Also, in den letzten zehn Jahren sind zwei Männer gekommen, die Anfang 50 waren. AN Aber die beiden hatten vorher schon Theologie studiert? AJ Nein. Der eine war in einer Versicherung beschäftigt, der andere in einer Bank. Sie haben beide gespürt, das ist es noch nicht in ihrem Leben. Und sie haben diese Chance ergriffen. Bei Älte-



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„Mich würde dieser Vertrag mit Gott noch interessieren. Was geschieht, wenn man die Antwort Gottes nicht spürt?“ –Amélie Niermeyer

ren sind dann oft manche Themen schon geklärt, also zum Beispiel das Thema Partnerschaft. Und wenn man vielleicht schon länger allein lebt, werden wir Männer auch ein bisschen kauzig. Da muss man dann schon schauen, ob sie sich noch mal auf so eine Gemeinschaft einlassen können. AN Gibt es auch Männer, die aus einer Ehe heraus diesen Schritt gehen? AJ Ja, da sind wir sehr vorsichtig. Aus einer Ehe heraus, wenn das Eheband noch besteht, müsste die Frau zustimmen, da muss man also sehr gut die Motive prüfen. Die Kinder müssten auf jeden Fall gut versorgt sein, sprich schon erwachsen sein und berufstätig. Das gibt es natürlich. Aber da ist man sehr vorsichtig. AN Und die beiden, die bei Ihnen eingetreten sind, waren noch ledig? AJ Genau. Der eine hat dann auch hier als Mönch die letzten sieben, acht Jahre weiter in seiner Versicherung gearbeitet. Aber wir haben gesagt, das passt. Man muss eben auch mal neue Wege gehen, da gibt es bei den Benediktinern die unterschiedlichsten Modelle. Und das ist ja auch die Chance eines Klosters mitten in der Stadt. Einer, der neu anfängt, kann diese Spannung zwischen außen und innen vielleicht gut leben. Warum sollte man ihm das also nicht ermöglichen? Es kommt ja bei uns immer auf das „Und“ an: Bei Ora et labora geht es um das Et. AN Was passiert, wenn ein Mönch wieder gehen will? In La Favorite findet in diesem Moment ein großer Disput zwischen dem Prior und dem Novizen statt, innerhalb eines Duetts, wo eine Menge passiert zwischen den beiden. (lacht) Die beiden schenken sich nichts. In der Realität ist das sicher ein langer Prozess? AJ Ja, natürlich. Es kann einfach sein, dass jemand geht, weil er sich von den Lebensformen entfremdet hat, das ist oft schleichend. Vielleicht tut er sich schwer mit

Fotografie Sigrid Reinichs

dem Aufstehen, oder dass er mittags zum Gebet da ist. Oder er tritt lieber nach außen auf und will ganz normal Pfarrer sein. In den Jahren, als ich hier eingetreten bin, sind einige gekommen und wieder gegangen. Natürlich ist es auch ein Zeichen der Zeit, dass der Nachwuchs schwindet, aber wir freuen uns über die, die da sind. Und diese Tendenz kann sich auch wieder ändern. In den letzten, sagen wir, acht Jahren ist niemand mehr gegangen. Und dass die Gemeinschaft so stabil ist, ist auch sehr schön. AN Aber der „Radikalschnitt“ – Ich will eine Frau? AJ Kann es auch geben. In unserer Gemeinschaft habe ich es so noch nicht erlebt. Aber dann muss man auch die Motive klären. In so einem Fall würde ich erst einmal sagen, wir nehmen externe Hilfe in Anspruch, zum Beispiel in Form einer Supervision. Aber wenn einer sicher ist, dass es die Frau seines Lebens ist, dann muss er sogar gehen. AN Wird er dann aus der katholischen Kirche verstoßen, wie das die Oper andeutet? AJ Nein, bei den Mönchsgelübden ist es kein Problem. Wenn er zum Priester geweiht ist, ist es allerdings nicht so einfach. Dann läuft das quasi über Rom, er wird von seinen priesterlichen Diensten suspendiert und auf Antrag in den Laienstand versetzt. Das kann freilich auch schmerzlich sein. * * * AN In La Favorite spielt Rom auch eine Rolle, weil der Prior als Legat des Papstes auftritt und ganz knallhart Machtpolitik ausübt. Er appelliert aber rein emotional an das Gewissen. Ist das heute anders? In der Religion funktioniert es doch immer noch sehr einfach, Menschen aus machtpolitischen Gründen in emotionale Engpässe zu treiben.

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„Wenn dann verkündet wird, dass die Willkommenskultur zu Ende ist, wo uns als Christen die Gastfreundschaft doch wirklich ins Stammbuch geschrieben ist und Kirche nie von Fremden gesprochen hat, sondern nur von Schwestern und Brüdern, da gibt es, glaube ich, schon Brüche.“ – Abt Johannes Eckert

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AJ Ich persönlich habe damit Probleme, wenn moralisch Druck ausgeübt wird. Wenn einer gehen will, dann kann ich sagen, wenn du meinst, dass Gott das will, dann ist das dein Weg. So steht es übrigens auch in unseren Satzungen. Wenn da natürlich moralisch Druck ausgeübt wird nach dem Motto „Wenn du jetzt gehst, wartet am Ende die Hölle auf dich“ – also, das kann es doch nicht sein! Da ist kirchlicherseits manchmal zu viel Druck aufgebaut worden und wird es zum Teil noch, gerade in eher konservativen Kreisen. Und auch bei gescheiterten Ehen. AN Im Stück sagt der Prior zum König: Wenn du deine Frau verlässt, exkommuniziere ich dich, und du bist nicht mehr König. Es spielt natürlich in einer anderen Zeit, aber da vermischt sich etwas. Der Prior tritt als Seelsorger gegenüber Fernand auf, den er sich wie ein Vater sogar als Nachfolger wünscht. Und andererseits mischt er sich in die Politik des Landes ein, wenn er sagt, dass der König keine Geliebte haben darf. Die Argumentation mit menschlichen Bindungen wird aber in jedem Fall zu einer Machtdemonstration. Würden Sie sagen, die Kirche mischt sich heute noch politisch ein? In der Flüchtlingsfrage hat die katholische Kirche sich ja deutlich positioniert. Gibt es noch andere Bereiche, wo die Kirche sich politisch äußert? Gerade in Bayern war ja die Nähe der CSU zur katholischen Kirche traditionell da. AJ Ja, aber gerade in der Flüchtlingsfrage wird diese Nähe doch auch sehr infrage gestellt. In den Gemeinden sind es gerade die, die sich in den Kirchen engagieren, die sich jetzt auch in den Asylhelferkreisen engagieren. Und wenn dann verkündet wird, dass die Willkommenskultur zu Ende ist, wo uns als Christen die Gastfreundschaft wirklich ins Stammbuch geschrieben ist und Kirche eigentlich nie von Fremden gesprochen hat, sondern nur von

Schwestern und Brüdern, da gibt es, glaube ich, schon Brüche. Und ich denke auch, der derzeitige Papst führt uns deutlich vor Augen, wie politisch Kirche sein kann. Wenn er zum Beispiel nach Armenien reist, ungeachtet dessen, ob das in der Türkei gut ankommt. Oder wenn er anspricht, dass das Mittelmeer zu keinem Friedhof werden darf oder den Kapitalismus kritisiert. Es gab immer wieder Protestbewegungen von kirchlicher Seite, nicht umsonst sind daraus auch Orden entstanden. AN Aber meinen Sie, die Kirche sollte es heutzutage ansprechen, wenn zum Beispiel ein Politiker eine Geliebte hat, was ja bei der CSU immer wieder der Fall war? Oder wäre es nicht richtiger, wenn man sich in diesen privaten Bereich heute gar nicht mehr einmischte? AJ (überlegt) Ich denke, da wäre ich vorsichtig als Seelsorger. Um ein Beispiel zu nennen: In der katholischen Kirche hat sich das Beichtsakrament nicht umsonst als sehr diskretes Sakrament entwickelt. Was dann alles in den Beichtstühlen passiert ist, ist etwas anderes. Aber zunächst einmal geschieht es aus einer großen Achtsamkeit, jemanden nicht öffentlich bloßzustellen. In der alten Kirche war es ja so, dass man öffentlich Buße tun musste, derjenige wurde zunächst diskret ermahnt, dann wurde er öffentlich exkommuniziert und dann, nachdem er Buße getan hatte, wieder aufgenommen. Da hat man schon gespürt, dass das zu Verwundungen führen kann. Und wenn ich mich wirklich als Seelsorger verstehe, dann muss ich auch den Einzelnen in seiner Verletzbarkeit sehen. Ich sehe immer zuerst die Brüche. Mir ist da der diskretere Weg lieber, also erst mal das Vieraugengespräch suchen. Wenn heute jemand öffentlich mit seiner Geliebten zusammenlebt und noch



verheiratet ist, würde ich das nicht gerade als vorbildlich bezeichnen, aber es ist auch nicht mein Anspruch, das öffentlich zu kritisieren. Wer bin ich, dass ich ihn öffentlich anklage? AN Aber das wäre doch die Macht der Kirche, öffentlich laut bei ­sozialethischen Fragen zu reagieren. Es ist doch interessant, dass in Deutschland die Trennung von Kirche und Politik eigentlich sehr stark ist und das auch so vom Grundgesetz gefordert wird, aber trotzdem die Politik die Kirche benutzt, um Wählerstimmen zu bekommen. Sonst würde die Partei ja auch nicht CSU heißen. Man beruft sich auf diesen Glauben. Aber es ist ja sozusagen eine Einbahnstraße, oder? AJ Also, ich glaube, bei uns ist die Kirche in einem guten Umbruchprozess, und zwar weil sie an gesellschaftlicher Macht verliert. Kirche profitiert ja auch von der Nähe zur Politik. Wo starke volkskirchliche Strukturen waren, war Kirche immer eine gesellschaftliche Macht – wie hier in Bayern. Das heißt allerdings auch, dass man negative Erfahrungen gemacht hat mit dieser Macht, weil man gespürt hat, da geht es nicht mehr um Glaubensvermittlung, sondern um Machtpolitik. Aber diese Strukturen sind seit 40 Jahren am Zerbrechen, und das ist ein guter Umbruch, weil es die Kirche wieder zurückführt auf das Eigentliche. Ich spüre das immer wieder, wenn ich etwa Menschen aus den neuen Bundesländern begegne, die kirchlich überhaupt nicht geprägt sind. Sie sind in der persönlichen Begegnung oft viel offener, weil keine Verletzungen da sind. Dieser Umbruchprozess ist schmerzhaft für die Kirche, weil es auch ums Aufgeben von Liebgewonnenem geht. Aber es führt auch in eine andere Phase mit neuen Perspektiven. AN Das Interessante in dem Stück ist ja, dass Macht immer korrumpiert, egal ob weltliche oder kirchliche.

AJ Aber andererseits ist Macht auch nicht unbedingt etwas Schlechtes. Schlimm ist es, wenn es ins Willkürliche oder ins Korrupte geht. Aber an sich bedeutet Macht auch Verantwortung. AN Erleben Sie es auch, dass politische Organe oder Verwaltungsinstanzen auf diesem diskreten Weg, von dem Sie vorhin gesprochen haben, versuchen, Einfluss in der Kirche zu nehmen? Ohne dass man öffentlich aneinandergerät? AJ Das hab ich persönlich kaum erlebt. Auf kirchlicher Ebene würde ich es mir durchaus wünschen. Man könnte, konfrontiert mit einem Vorwurf, die Dinge erklären und hätte die Möglichkeit, sich zu äußern. Aber auf politischer Ebene hab ich es noch nicht erlebt. AN Das wäre wahrscheinlich ein Riesenskandal. AJ Es haben sich zum Beispiel einige Katholiken aufgeregt, als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Zeit Papst Benedikt des XVI. geäußert hat, als es um den Holocaustleugner Williamson ging. Frau Merkel hatte sich sehr vornehm und zurückhaltend geäußert, und gerade in konservativen Kreisen wurde das gleich als neuer Kulturkampf beschrieben. Aber ich denke, da war es richtig, weil es um ein politisches Thema ging. * * * AN Am Schluss der Oper steht ja der Tod, der Tod von Léonor, Fernands Geliebter. Fernand stirbt zwar nicht, aber auch er sieht sich am Ende seines Lebens. Er steht quasi vor dem Nichts und hat auch nicht mehr den Glauben im Gepäck, genau wie sie. Ich wüsste gar nicht, welches Stück des 19. Jahrhunderts so nihilistisch endet wie dieses. Kennen Sie solche Situationen? Oder wie erleben Sie es, wenn es im Kloster um die letzte Stunde, um das Ende geht?

AJ Ich kann mit einer gewissen Form des Nihilismus durchaus etwas anfangen. Weil am Ende des Evangeliums und am Anfang des Christentums das leere Grab steht. Die österliche Botschaft ist zunächst „Mind the gap“. Das heißt, die Leere auszuhalten. Und das Mönchtum in seiner Gott­ suche ist eigentlich angelegt auf ein immer stärkeres Verstummen im Antwortengeben. Und auf eine immer stärkere Reduktion im Blick auf das, was Ewigkeit sein könnte. Es ist die leere Grabkammer, über die ich meditieren kann. „Mind the gap“, das ist die letzte Ungewissheit – mit der Hoffnung, dass unser Leben in eine große Fülle geht. Moderation und Protokoll: Rainer ­Karlitschek und Maria März Mehr über die Fotografin auf S. 8

Dr. Johannes Eckert OSB (Ordo Sancti ­Benedicti) ist seit 2003 Abt der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München und Andechs. Seit einigen Jahren gestaltet er die stark nachgefragten Manager-Exerzitien im Kloster Andechs bei München. Er ist u.a. auch als geistlicher Schriftsteller tätig und verfasste seine theologische Dissertation zur Thematik Dienen statt Herrschen. Unternehmenskultur und Ordensspiritualität.

Amélie Niermeyer gehört seit den 1990er ­Jahren zu den prägenden Theaterregisseur­ innen im deutschsprachigen Raum. Sie war ab 1993 Hausregisseurin am B ­ ayerischen Staatsschauspiel und drei Jahre lang Oberspielleiterin am Schauspiel ­Frankfurt und arbeitete ­weiterhin regelmäßig in München, am Thalia Theater in Hamburg ­sowie am Deutschen ­Theater in Berlin. Von 2002 bis 2005 ­übernahm sie die Intendanz des ­Theaters Freiburg und von 2006 bis 2011 die ­Generalintendanz des Düsseldorfer ­Schauspielhauses. Am Mozarteum in ­Salzburg leitet sie den ­Studiengang für Schauspiel und Regie und inszenierte am Salzburger Landestheater Opern wie ­Wozzeck, ­Rigoletto und Max Brands Stormy ­Interlude ­sowie bei den Schwetzinger Festspielen Cavallis ­Veremonda. In dieser Spielzeit gibt sie an der Bayerischen Staatsoper mit der Eröffnungspremiere La Favorite ihr Hausdebüt.

La Favorite Opéra in vier Akten Von Gaetano Donizetti Premiere am Sonntag, 23. Oktober 2016, Nationaltheater

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Weitere Termine im Spielplan ab S. 91


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Die schottischen Adelsfamilien Ravenswood und Ashton sind seit Menschengedenken verfeindet. Der letzte Ravenswood, Edgardo, hat Enrico Ashton blutige Rache geschworen; aus seiner Sicht ist Enrico Ashton fĂźr den Tod seines Vaters und den Verlust des Ravenswood-Familienbesitzes verantwortlich. Mittlerweile sind die Ashtons allerdings selbst in Schwierigkeiten geraten.


Enrico sieht nur einen Weg, seiner Familie politische Macht und Reichtum zu erhalten und die Ashton-Dynastie vor ihrem Untergang zu bewahren: Seine Schwester Lucia muss Lord Arturo Bucklaw heiraten. Lucia selbst will davon allerdings nichts wissen. Sie hat sich ausgerechnet in Edgardo verliebt, nachdem dieser ihr beim Angriff eines wilden Stiers das Leben gerettet hatte. Bevor Edgardo, der Lucias Liebe erwidert, zu einer Reise nach Frankreich aufbricht, versprechen die beiden einander ewige Treue.


Lucias beharrliche Weigerung, Arturo zu heiraten, bringt Enrico in ­ edrängnis. Er beauftragt daher seinen Vertrauten Normanno, die B Briefe abzufangen, die Lucia und Edgardo einander schreiben, und ein Dokument zu fälschen, das Edgardo Untreue unterstellen soll.


Lucia ist angesichts dieses Schreibens bestürzt, aber erst als ihr Erzieher Raimondo sie um der Familie willen zur Zustimmung drängt und ihr einredet, das Treuegelöbnis zu Edgardo sei – weil nicht von einem Priester bestätigt – ohnehin ungültig, willigt sie resigniert in die Ehe mit Arturo ein.


Kurz nachdem sie den Heiratsvertrag unterschrieben hat, kehrt Edgardo, für alle überraschend, zurück. Lucias Unterschrift ist für ihn ein so schlagender Beweis für ihre Untreue, dass er Lucia und die ganze Familie Ashton verflucht.


Um seinen Todfeind endgültig zu vernichten, sucht Enrico noch am selben Abend Edgardo auf und fordert ihn für den nächsten Morgen zum Duell.


Lucia tötet Arturo in der Hochzeitsnacht und halluziniert die glückliche Vereinigung mit ihrem Geliebten Edgardo. Ihr zerrütteter Geist lässt ihre Lebenskräfte schwinden.


Als der verzweifelte Edgardo von Lucias Wahnsinn erfährt und ihre Totenglocken läuten hört, setzt er seinem Leben ein Ende.


Lucia di Lammermoor Oper in drei Akten Von Gaetano Donizetti Ab 11. Oktober 2016, Nationaltheater Weitere Termine im Spielplan ab S. 93



Man hat sich ein Bild gemacht Kein anderes Werk hatte einen so nach­­hal­tigen Einfluss auf unser Bild von Dmitri Schostakowitsch wie die „Volkov-­Memoiren“. Dabei gab es an deren Echtheit von Anfang an Zweifel. Über einen er­­bitterten Kampf um Deutungshoheit, über die Macht eines Buches und schließlich auch über deren Grenze. 1979 kam gleichzeitig in den USA, in Großbritannien und in der Bundesrepublik Deutschland – hier unter dem Titel Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitrij Schostakowitsch – ein Buch heraus, das international für Aufsehen sorgte. Hatte sich der Komponist bei seinen Auftritten im Westen stets zur Sowjetunion und ihren Werten bekannt, so sah man sich nun mit einem sarkastischen Kritiker seines Landes, ja, ­einem „verkappten Dissidenten“ (Der Spiegel, 17.9.1979) konfrontiert. Während die großen westlichen Medien en­ thusiastisch reagierten, bekämpfte die Sowjetunion die Publikation, indem sie vergeblich versuchte, Copyright-Verletzungen geltend zu machen, und das Buch schließlich zu einer Fälschung erklärte (The New York Times: Soviet Calls Memoires of Shostakovich ‚Fake‘, 8.11.1979). Seit dieser Zeit schwelt ein vor allem im englischen Sprachraum

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ausgefochtener Streit über die Frage nach der Echtheit dieser Memoiren, ein hässlicher Streit, der Schostakowitsch und sein Werk in ein Freund-FeindDenken konträrer Ideologien einspannt. Solomon Volkov (so die englische Schreibweise), der als Herausgeber der Memoiren zeichnete, war ein sowjetischer Musikwissenschaftler, für dessen Buch Junge Leningrader Komponisten (1971) Schostakowitsch ein Vorwort geschrieben hatte. Von da an wurde, so kann man Volkovs Vorwort zu den Memoiren entnehmen, das Verhältnis zwischen beiden enger. Schostakowitsch habe seine Erinnerungen der Nachwelt durch ihn, Volkov, mitteilen wollen. Seit 1972 habe man sich regelmäßig morgens getroffen, und Volkov habe aus seinen Aufzeichnungen ein maschinenschriftliches Manuskript erstellt, das Schostakowitsch gelesen und ­ka­pitelweise abgezeichnet habe.

1974 gelangte das Manuskript in den Westen, 1976 emigrierte Volkov in die USA und betrieb dort die Veröffentlichung. Der renommierte Verlag Harper & Row war bereit, den Band herauszubringen, sicherte sich aber angesichts der politischen Brisanz des Materials ab, indem er im April 1979 den in die USA emigrierten Musikwissenschaftler Henry (Genrich) Orlov um eine Einschätzung bat. Orlov war Autor zweier fundierter Bücher über Symphonik und Schostakowitschs Symphonien sowie Gastprofessor an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Er kam zu dem Schluss, dass die Figur, die Volkovs Memoiren präsentieren, nicht mit Schostakowitsch identisch sei. Was im kleinen Maßstab authentisch anmute, erweise sich in der Gesamtperspektive als ­„grobe Fehlinterpretation“. Jeder, der Schostakowitsch näher kannte, wusste, so Orlov, dass der Komponist in seinen letzten Jahren „psychisch und physisch ein Krüppel“ gewesen sei, sich selbst hassend, weil er sich von einem ­System, welches er verachtete, hatte instrumentalisieren lassen – eine Einschätzung, die später durch Schostakowitschs nächste Umgebung und vor allem durch die Briefe an Issak Glikman (Sankt ­Petersburg 1993, deutsch: Berlin 1995) unterstützt wurde; denn in diesen Briefen lernt man einen selbstkriti­ schen, mit sich hadernden und unter den kulturpolitischen Anforderungen

Premiere Lady Macbeth von Mzensk


leidenden Menschen kennen. Dem Ich-Erzähler der Memoiren hingegen sind Selbstzweifel oder gar Reue fremd. Dennoch riskierte der Verlag die Publikation, und damit begann eine bis heute andauernde Debatte, die um zwei grundsätzliche Fragen kreist. Erstens: Hat Schostakowitsch den Text autorisiert? Und zweitens: Entspricht die Veröffentlichung Schostakowitschs Willen? Diese Fragen rückten sofort in den Hintergrund angesichts des Streits, wer das Recht hat, für Schostakowitsch zu sprechen: Volkov und seine Befürworter oder Volkovs Kritiker. Unter den Ersten, die die Memoiren als Fälschung bezeichneten, war Boris Tischtschenko,

Schostakowitsch zu seinen Lebzeiten publiziert wurden, und äußerte Verwunderung darüber, dass seine Signatur („gelesen DSch“ [читал ДШ]) sich auf eben jenen Blättern fand, die zu den früher publizierten Texten gehörten. Das stimmt überein mit Irina Schostakowitschs Bericht, Volkov habe ihrem Mann eine maschinenschriftliche Version der Gespräche vorgelegt und ihn gebeten, jede Seite abzuzeichnen. Es sei, wie auch Tischtschenko bestätigte, ein schmaler Stapel von Blättern gewesen, die Schostakowitsch im Glauben, er werde noch Korrekturabzüge sehen, nicht las. Auf ihre Frage, warum jede Seite unterschrieben wurde, habe ihr

zierten Texten gar nicht in Berührung gekommen sei. Die Übereinstimmungen würden sich aus Schostakowitschs fantastischem Gedächtnis erklären. Warum, so fragt man sich, argumentierte Volkov in dieser Weise? Es ist für einen Memoiren-Schreiber keine Schande, früher Publiziertes aus der Feder seines Helden mit einfließen zu lassen. Später hat Fay anhand einer Kopie des russischen Memoiren-­ ­ Manuskripts, das sich im Schostakowitsch-Archiv in Moskau befindet, nachweisen können, dass auch das erste Kapitel auf Jugenderinnerungen ­basiert, die 1966 aus Anlass des 60. ­Geburtstags des Komponisten veröf-

Schüler und Vertrauter Schostakowitschs, der den Kontakt für Volkov hergestellt hatte und auf ausdrücklichen Wunsch des Komponisten bei den Interviews anwesend war. Auch Irina Schostakowitsch, die Witwe des Komponisten, gab wiederholt zu bedenken, dass drei, höchstens vier Begegnungen stattgefunden hätten. Laurel Fay, eine amerikanische Musikwissenschaftlerin und Schostakowitsch-Spezialistin, wies 1980 in einer philologisch fundierten Rezension in der US-Fachzeitschrift The Russian Review darauf hin, dass die Anfänge von sieben der acht Kapitel nahezu wörtlich mit Texten übereinstimmten, die von

Mann geantwortet, Volkov habe das mit neuen Zensurregelungen erklärt und damit, dass Verlage das Material ohne Unterschrift nicht akzeptieren würden. Durch Laurel Fays Rezension war Schostakowitschs Autorschaft zumindest teilweise nachgewiesen, aber auf vollkommen anderem Wege zustande gekommen, als von Volkov angegeben. Fay hatte Volkov zum Einspruch eingeladen; er hatte nicht reagiert. An anderer Stelle hatte er jedoch verlauten lassen, dass er ausdrücklich kein Material aus früheren Publikationen verwendet habe, dass ihm alles mündlich von Schostakowitsch mitgeteilt worden und er mit den von Schostakowitsch publi-

fentlicht wurden. Schostakowitschs ­Unterschrift findet sich auf der Seite, auf der sein alter Text beginnt. Das heißt: Er beglaubigte alte, bereits publizierte Texte mit seiner Unterschrift, nicht aber die Interviews, die Volkov mit ihm geführt hatte. Dieser Sachverhalt und Volkovs bis heute andauernde Geheimniskrämerei um das Zustandekommen des Buches legen den Verdacht nahe, er könnte Schostakowitsch die Unterschriften entlockt, ihn über den Charakter des zukünftigen Bandes im Unklaren gelassen und seinem amerikanischen Verleger einen Authentizitätsnachweis vorgelegt haben, der die Echtheit der Memoiren keineswegs beweist.

Text Dorothea Redepenning

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Die fachliche Kontroverse um das Buch hält bis heute an, sie hat sogar noch an Schärfe zugenommen, seit Maxim Schostakowitsch, der Sohn des Komponisten und einst ein strenger Kritiker Volkovs, sich nun für die Memoiren ausspricht. Dessen ungeachtet machte sich die westliche Welt Schostakowitsch und seine Musik auch dank der Memoiren zu eigen. In den USA und in Großbritannien war er seit dem Z ­ weiten Weltkrieg präsent, als seine 7. Symphonie, die sogenannte Leningrader Symphonie, als klingendes Emblem gegen Hitler gefeiert wurde („Ich ­ ­widme meine Siebente Sinfonie un­ serem Kampf gegen den Faschismus,

unserem unabwendbaren Sieg über­ den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt ...“). Hier erlangte er nun höhere Aufmerksamkeit. Im geteilten Deutschland war die DDR Zentrum der deutschen Schostakowitsch-Pflege, während die BRD erst nach dem Presserummel von 1979 begann, den Komponisten ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen. Die Monografien von Detlef Gojowy (1983) und Bernd Feuchtner (1989) basieren auf den Memoiren, ebenso zahlreiche Aufsätze, Features und Programmhefte. Selbst wenn das Buch unredlich entstanden sein sollte, hat es doch zu Schostakowitschs internationaler Reputation beigetragen.

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Aufmerksamkeit für seine Person, Monografien, Hollywood-Filme, Wikipedia-Artikel: Ungeachtet aller fachlichen Zweifel machte sich die westliche Welt Schostakowitsch und seine Musik auch dank der Memoiren zu eigen. Heute, 37 Jahre nach ihrem Erscheinen, sind die Memoiren in 30 Sprachen übersetzt, die Jubiläumsausgabe nach 25 Jahren ist durch ein Vorwort von Vladimir Ashkenazy geadelt. Es gibt separate Wikipedia-Artikel in englischer, finnischer, schwedischer, türkischer und japanischer Sprache zu dem Buch. Eine russische Ausgabe existiert bis heute nicht, böse Zungen sagen, weil dann die Art und Weise des Kompilierens offenbar würde. Russische Fans der Memoiren haben eine Rückübersetzung aus dem Englischen mit dem russischen Wikipedia-Artikel über Schostakowitsch verlinkt. Das Buch diente als Grundlage für Tony Palmers Biopic Testimony: The Story of Shostakovich (1987), mit Ben Kingsley in der Rolle des Komponisten, und jüngst als Anregung für Julian Barnes‘ Roman The Noise of Time (2016). Und Schostakowitschs Musik? Zum Abschluss ein Beispiel: Nach der Katastrophe mit der Oper Lady ­Macbeth von Mzensk – Stalin hatte die Premiere am 26.1.1936 verärgert verlassen – hatte sich Schostakowitsch 1937 mit seiner fünften Symphonie beim Sowjetregime wieder rehabilitiert. Er selbst hatte zu dieser Zeit als Hauptidee der Symphonie „das Werden der Persönlichkeit“ genannt, eine zeitgemäße Formulierung des alten­ per astera ad astra, wobei man die „Dunkelheit“ in den angeblichen Ver­ irrungen der Lady Macbeth und die „Sterne“ im Konzept des Sozialistischen Realismus vermuten darf. Diese klassizistische Symphonie umschifft das Problem ihrer Deutung elegant, indem die Schlussapotheose gleichermaßen als Affirmation des Regimes und zugleich als Schreckensfanfare verstanden werden kann. Klarheit

schafft eine ruhige Passage, die der Apotheose vorausgeht; denn hier zitiert Schostakowitsch notengetreu seine kurz zuvor entstandene, damals noch unpublizierte Vertonung von Puschkins Gedicht Wiedergeburt: Gemeint ist bei Puschkin das Kunstwerk, das seinen Schänder überlebt und in altem Glanz neu erstrahlt. Ein Selbstzitat wie hier (auf das übrigens Orlov zuerst hinwies), auch Besonderheiten der musikalischen Strukturen und das geistige Klima, in dem Kunstwerke entstehen, geben Hinweise zu ihrem Verständnis. Memoiren können den interpretatorischen Scharfsinn fördern, aber auch auf falsche Fährten locken. Ob sich hinter dem Gesamtkonzept dieser Memoiren Schostakowitschs letzter Wille verbirgt oder Volkovs Gespür für Sensation im westlichen Ausland, ist für den ästhetischen Wert der Kompositionen nicht entscheidend – sie brauchen diese Memoiren nicht, um verstanden zu werden.

Dorothea Redepenning ist seit 1997 ­Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg. Zu ihren Publika­ tionen zählen u.v.a. die Geschichte der ­russischen und der sowjetischen Musik (Band 1: Das 19. Jahrhundert, 1998; Band 2: Das 20. Jahrhundert, 2008) sowie zahlreiche Einzelveröffentlichungen über Dmitri ­Schostakowitsch.

Lady Macbeth von Mzensk Oper in vier Akten und neun Bildern Von Dmitri Schostakowitsch Premiere am Montag, 28. November 2016, Nationaltheater Staatsoper.tv: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Sonntag, 4. Dezember 2016 Weitere Termine im Spielplan ab S. 91

Illustration Yvonne Gebauer


DENKMAL. EIN WORT

DER REFORMATION.

Durch Martin Luthers Schriften haben auch viele neue und einzigartige Worte den Weg in unseren Sprachgebrauch gefunden – wie z. B. das Wort „Denkmal“. Mehr über die Geschichte Martin Luthers und seine Auswirkungen auf unsere Denkmale: www.luther-jubilaeum-2017.de

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Selbstgespräch mit – Wie lange bleibt mir? Ich wüsste es gern und will es gar nicht wissen. Ich schaue auf die Uhr, sehe dem Sekundenzeiger zu, der sich zitternd über das Zifferblatt bewegt, und denke: diese Sekunde ist vergangen, einfach so, und die danach dann auch. – Dass die Sekunden einfach so vergehen, hat mich schon immer fasziniert. Fasziniert und schockiert. Wo fließt sie hin, diese eine Sekunde, in der ich eben noch gewesen bin? – Diese Sekunde vergeht, die nächste und die danach auch. Können wir uns nicht in die andere Richtung bewegen? Kann ich nicht zurück? – Natürlich kannst du das. Ganz leicht. Du musst dich nur erinnern. * – Ich kann mich eigentlich nur an eine Geschichte erinnern. – Welche? – Ich war ein Kind – und plötzlich war meine Mutter verschwunden. Einfach weg. Von einem Tag auf den anderen. – Verschwunden? – Mir kam es vor, als sei sie abgereist. Abgereist, ohne mich mitzunehmen. – Hast du sie nicht noch einmal gesehen? – Doch, ja. In der Leichenkammer des Krankenhauses, in dem sie gestorben ist. Sie lag auf dem Tisch, ein Körper, der mir kleiner vorkam, als ich ihn in Erinnerung hatte. Besonders ähnlich sah er meiner Mutter nicht. Mein Vater war mit mir ins Krankenhaus gefahren, ein Klinikmitarbeiter hatte uns ins Tiefgeschoss und durch ein Labyrinth von Gängen geführt, die Tür zur Leichenkammer aufgesperrt, den entsprechenden Tisch gezeigt und das Tuch, das über meiner Mutter lag, zurückgeschlagen. Und war gegangen. Und da stand ich, zehn Jahre alt, ein Junge in einem blauen Dufflecoat vor der Leiche seiner Mutter, und dachte, das kann nicht meine Mutter sein. Die Sachen, die sie da anhat, sind zwar ihre, sind diesem Körper aber viel zu groß. Ich weiß, dass noch mindestens zwei weitere Tote in diesem Raum lagen. Unter ihren Leichentüchern waren von ihnen nur Umrisse zu sehen. Den höchsten Punkt, den Gipfel ihrer ­Leichentuchzelte, bildeten die Nasen. – Du hast also nicht geglaubt, dass das die Leiche deiner Mutter war? – Nein. In den ersten Monaten nach ihrem Tod fuhr ich nachmittags oft zum Friedhof, stand eine Weile am Grab herum, goss die Blumen, zupfte Unkraut und hob die Blätter auf, die neben das provisorische Holzkreuz gefallen waren. Ich konnte, ich wollte nicht glauben, dass meine Mutter, die vor Kurzem noch neben mir gestanden hatte, die um mich herum gewesen war, jetzt in dieser dunklen, feuchten Erde lag. Nein, meine Mutter muss anderswo sein. In einem anderen Raum, in einem anderen Land. Dort, wohin ich auch mal wollte.

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Eine Geschichte


einem anderen Ich * – Nein, ich möchte gar nicht wissen, wie lange mir noch bleibt. Ich muss es nicht wissen. Das ist ja das Schöne am Leben: Niemand weiß, wie lange es dauert. Das Leben ist wie ein Urlaub mit offenem Rückflug. – Und dann? – Und dann plumpsen wir zurück. – Dahin, woher wir gekommen sind? – Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht landen wir auch ganz woanders. – Von meiner eigenen Geschichte kenne ich bisher nur das Ende, und das ist ganz einfach: Ich werde tot sein, eines Tages. Und von all dem, was davor kommt, weiß ich noch nicht viel. Ich lasse mich überraschen. – Ja, wie beruhigend es ist, zu wissen: Ich werde tot sein, eines Tages. Eines Tages ist alles aus. – Ich erinnere mich, wie besessen ich lange Zeit von kuriosen Todesfällen war. Wie poetisch und absurd Menschen zu Tode kommen können! Ich habe kuriose Todesfälle gesammelt, kleine Meldungen aus der Zeitung ausgerissen und aufgehoben. Die von dem Mann zum Beispiel, der an seinem ersten Urlaubstag in Afrika für einen Pavian gehalten und erschossen wird. Die von der Frau, der ein entlaufener Ziegenbock auf den Kopf fällt, der von einer Eisenbahnbrücke springt, weil ein Zug sich nähert. Und die von dem Arbeiter in der Schokoladenfabrik, der in einen Kessel mit flüssiger Kuvertüre fällt und von dem sich drehenden Rührarm getötet wird. – Wären sie nicht so gestorben, diese Zeitgenossen, wir wüssten gar nichts von ihnen. – Stimmt. Erst ihr Tod macht aus ihrem Leben eine Geschichte. Eine Lebensgeschichte. Hier nur eine kurze zwar, aber immerhin. * – Wer bist du eigentlich? Wer spricht? – Und selber? Weißt du, wer du bist? – Ich weiß es nicht mehr. Sag’s mir doch. – Ich bin du, und du bist ich. Oder umgekehrt. Ich bin gar nicht da, und doch in dir. Tief drin. – Glaube ich nicht. Du hast dich hier bloß eingeschlichen. Du hast dich hineingemogelt, eingeschmuggelt. Du musst ein Virus sein, ein Fehler, ein Eindringling. – So schlimm? – Nein, so schlimm auch wieder nicht. * – Der Tag, an dem meine Mutter starb, war ein Montag. Ich war gerade aus der Schule nach Hause gekommen und versuchte im Krankenhaus

von David Wagner

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anzurufen, ich wollte meiner Mutter unbedingt etwas erzählen. Ich wählte die Nummer des Apparats an ihrem Bett und wartete darauf, dass sie abheben würde – dann aber hieß es, sie sei in ein anderes Zimmer verlegt worden. So jedenfalls lautete die Auskunft einer Frau am Telefon, deren Stimme ich noch nie gehört hatte. Nicht viel später rief mein Vater an und bat mich, um fünf Uhr zu Hause zu sein, er komme früher aus der Firma. Und ich wusste noch immer nicht, was das zu bedeuten hatte. – Und was wolltest du ihr erzählen? – Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, was ich ihr unbedingt erzählen wollte. Ich habe es vergessen. Das wurmt mich heute. – Als Kind dachte ich, dass man mit einem Telefon auch die Toten anrufen könnte. Wozu lagen die Kabel sonst in der Erde? Ich habe es probiert – es ging nicht. Ich war enttäuscht. Oder lag das nur daran, dass ich die richtige Nummer nicht hatte? Standen die Toten nicht im Telefonbuch? – Kurioserweise, das fällt mir jetzt ein, hofften selbst die Telefon– Erfinder darauf, die Toten anrufen zu können. Ja, die Aussicht, Verstorbene anrufen zu können, war sogar ein Grund, das Telefon überhaupt zu erfinden. Und tatsächlich arbeitete eines der ersten funktionierenden Telefone mit dem Gehörknöchelchen einer Leiche. – Warum wollten die Telefon–Erfinder die Toten anrufen? Wollten sie einfach mal fragen, wie es da drüben, oben oder unten, tief unten, so geht? – Die Person, die statt meiner Mutter ans Telefon ging, sagte, meine Mutter sei in ein anderes Zimmer verlegt worden. Ich glaubte dieser Stimme. Ich schöpfte überhaupt keinen Verdacht und dachte, ich könnte später wieder anrufen. Der Satz – „In ein anderes Zimmer verlegt …“ – ist dann bei mir geblieben. Manchmal träume ich von Wohnungen, in denen ich nach Jahren mir bis dahin unbekannte Zimmer entdecke, in ihnen auf meine Mutter stoße. Die Toten sind noch da, sie sind nur nebenan. In Räumen, von denen ich nichts weiß. – Meine Mutter war verschwunden, ich hatte sie dahingehen, zu den Vielen gehen sehen, ich hatte sie – auch wenn ich das damals nicht verstanden habe – sterben sehen. Sie war immer weniger und immer dünner geworden. Am Ende war sie so durchsichtig, dass sie gar nicht mehr zu sehen war. – Und seither weißt du, dass du sterblich bist? – Seit meine Mutter tot ist, weiß ich, dass ich sterblich bin. Weiß ich, dass wir alle sterblich sind. Und wie sehr uns das verbindet. Alle Menschen sind sterblich. – Und darum geht es doch eigentlich: Sich der Befristung des Lebens bewusst zu werden. Leben lernen heißt sterben zu lernen. – Ach, ist das Leben nur ein Vorlauf? Und das große Finale dann der Tod? * – Hast du manchmal schon genug? Hast du das Gefühl, es reicht? Denkst du hin und wieder, dass es gar nicht unbedingt weitergehen müsste? – Es muss nicht unbedingt weitergehen. Nicht um jeden Preis. Es ist schon schön gewesen. – Andererseits – ist es nicht großartig, dem Tod bis heute entronnen zu sein? Du hast durchgehalten, bis jetzt, bis in diesen Moment. Bist nicht überfahren worden, nicht im See ertrunken, nicht abgestürzt mit einem Flugzeug. Bis jetzt. Und nun kannst du hier – je nachdem, ob du das möchtest – ganz langsam, ganz in Ruhe dem Ende entgegendämmern. Nachspielzeit. Und die Sekunden zählen.


– Wie viele noch? Wie viele Minuten, wie viele Tage, Wochen? – Wer weiß. Und wie gut, dass wir das nicht wissen. – Ewig möchte ich nicht leben. Lieber nicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wieso jemand glauben kann, er müsse ewig leben. Es würde doch ziemlich einsam werden um einen herum. Unsterblichkeit muss eine grausame Strafe sein. – Was wäre noch mal das Ende? – Der Tod, du Dummerchen. Der Tod ist das Ende der Geschichte. Ganz einfach. * – Hast du keine Angst vor dem Tod? – Doch, natürlich. Wer hat denn keine? Die Angst gehört dazu – erklärt aber nichts. Überhaupt nichts. Oder nein, halt, ich glaube, ich habe doch keine Angst. Wieso auch. Wieso sollte ich? Ich bin doch schon mal tot gewesen. Bis kurz vor meiner Geburt. * – Ob noch etwas kommt? Ich wüsste es so gerne. Im Grunde bin ich sehr gespannt, ja, vielleicht freue ich mich sogar ein bisschen auf den Tag, an dem ich das erfahre. – Ach, du glaubst an ein Leben nach dem Tod? Dass es weitergeht? – An ein Leben nach dem Tod? Nein, ich denke nur, ich hoffe bloß, dass sich ein paar Rätsel lösen. Dass ich vielleicht erfahre, wozu das alles gut war hier. – Wie süß. – Und du? – Ich glaube, dass gar nichts passiert. Dass ich einfach wegsacken werde. Was mich nicht weiter stören wird, denn ich bin ja nicht mehr dabei, ich werde nichts davon merken. Ich werde nicht einmal merken, dass nichts mehr ist. Was soll mir schon fehlen, wenn ich selbst mir fehle? – Ich habe aber die Idee, dass ich alle, alle wiedersehe. Alle, in die ich verliebt gewesen bin. Alle, die ich geliebt habe. Alle, die ich gekannt habe. – So viele? Würde das nicht eine ziemlich große Versammlung werden? Ein arges Gedränge? – Und wenn schon. Mehr über den Autor auf S. 8

Bilder Martha Ossowska Persson www.marthapersson.com S. 64 / 65 S. 66 / 67

Keeper at Play A Suspension Revealed

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Eine Baugenehmigung für Luftschlösser

Der Großteil aller ­Lottospieler weiß sehr genau, dass es extrem­unwahrscheinlich ist, den Jackpot zu g ­ e­winnen. Warum ­spielen sie trotzdem, Woche um W ­ oche?

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Vorstellungsankündigung


„Das Lottospiel ist nichts anderes als eine Steuer für Menschen, die stark im Hoffen und schwach im ­Rechnen sind.“ – Woody Allen, Filmemacher „Wie glücklich würde sich der Affe schätzen / Könnt’ er nur auch ins Lotto setzen!“ – Johann Wolfgang von Goethe: Mephistopheles in Faust. Der Tragödie erster Teil Die Schlagzeilen machen die Gewinner. Zum Beispiel der Lottospieler aus dem Raum Köln, der zu Beginn dieses Jahres den Jackpot in Höhe von 50 Millionen Euro knackte, den zweithöchsten überhaupt. Oder der Mann, der im Mai mit sechs richtigen 37 Millionen gewann, der erste zweistellige Millionengewinn jemals, der ohne die zugehörige Zusatzzahl erspielt wurde. Oder der arbeitslose Teppichverleger Lothar K., den die Boulevard-Medien Mitte der 1990er Jahre Lotto-Lothar tauften und genüsslich dabei beobachteten, wie er seine Millionen verprasste und sein Leben ruinierte. Millionengewinne sind eine gute Geschichte, egal wie diese Geschichte am Ende für den Gewinner ausgeht. Für diejenigen, deren Lottoscheine sich als N ­ ieten erweisen, interessiert sich kaum jemand. Zu Unrecht. Vielleicht ist ihre schiere Zahl der Grund für dieses Desinteresse: Beinahe 20 Millionen kreuzen in Deutschland Woche für Woche die kleinen Kästchen auf dem rotweißen Lottoschein an. Und sie verlieren alle. Zumindest statistisch gesehen: Jeder, der einen Lottoschein kauft, verliert rechnerisch die Hälfte seines Geldes. Das staatliche Lotto schüttet die Hälfte der Einnahmen an die Spieler aus, von jedem Euro, den ich ausgebe, bekomme ich statistisch gesehen also gerade mal 50 Cent zurück, maximal. Die meisten regelmäßigen Spieler liegen sogar noch deutlich unter dieser Quote. Da die Zahl der Millionengewinner im Vergleich verschwindend gering ist, ist der Lottospieler an sich also ein Verlierer. Am Ende sind seine Hände leerer als vorher, er gewinnt in aller Regel – nichts! Und das immer und immer wieder. Trotzdem, und das ist eine bemerkenswerte Eigenart des Lottospiels, sind eben diese Verlierer am Ende sehr häufig die wahren Gewinner. Auch wenn es sogar ihnen selbst nicht immer bewusst ist. Walter R. ist einer von diesen fast 20 Millionen scheinbar Glücklosen. Woche für Woche spielt er Lotto, immer die gleichen Zahlen, seit Jahrzehnten. „Ich erinnere mich gar nicht mehr genau, wann ich damit angefangen habe“, sagt der 82-jährige Hamburger. „Irgendwann in der zweiten Hälfte der 60er Jahre.“ Heute ist Walter R. Rentner und seit vier Jahren verwitwet. Damals war er Baggerfahrer, seine Frau arbeitete als Kassiererin in einem Supermarkt. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr saßen die beiden samstagabends vor dem

Text Jörg Böckem

Fernseher und verfolgten mit klopfenden Herzen die Ziehung der Lottozahlen. „Wir haben immer gehofft, nie ist etwas dabei herausgekommen“, sagt er. „Alle Vierteljahr mal drei Richtige, mehr war nicht.“ Ein einziges Mal waren es vier Richtige, 90 Mark brachte das damals. Trotzdem, sagt Walter R., der nach dem Tod seiner Frau die gemeinsamen Zahlen weiterspielt, werde er auch in Zukunft Woche für Woche sein Glück versuchen. Damit steht er nicht allein da. Walter R. ist in vielerlei Hinsicht typisch für den Großteil seiner Schicksalsgenossen. „Der klassische Stammspieler ist über sechzig, hat eine eher geringe formale Bildung, ist Rentner oder Vollzeitbeschäftigter mit durchschnittlichem oder leicht überdurchschnittlichem Einkommen, aber ohne größere berufliche Aufstiegschancen und ohne Möglichkeit, auf legalem Weg seine Lebensverhältnisse drastisch zu verbessern“, sagt Dr. Mark Lutter. Der Soziologe, der als Privatdozent am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln arbeitet, hat sich in seiner Doktorarbeit eingehend mit Menschen wie Walter R. beschäftigt. Hat nach Motiven und dem Nutzen geforscht, ist der Frage nachgegangen, warum Millionen von Menschen wöchentlich Geld für etwas ausgeben, das in statistischer Erwartung nur die Hälfte des eingesetzten Geldes wert ist. „In den Wirtschaftswissenschaften gibt es das Modell des homo oeconomicus, des rational handelnden Menschen, nach wie vor das verbreitetste Erklärungsmodel für menschliche Entscheidungen und Handlungen“, erläutert Lutter. „Ein Modell, das das Lottospiel nicht oder bestenfalls unzureichend erklären kann.“ Die Wahrscheinlichkeit, beim Lotto das große Los zu ziehen, die sechs Richtigen mit Zusatzzahl, Traum wohl jedes Lottospielers, liegt bei rund 1 zu 140 Millionen. Der homo oeco­ nomicus würde sein Geld anders anlegen. Vielleicht hat ja der Filmemacher Woody Allen recht, der behauptet, Lottospieler seien verblendet und litten unter Rechenschwäche. Schaut man sich die nüchternen Zahlen an, kann es daran keinen Zweifel geben. Die Chance auf den Jackpot beim Lotto ist deutlich ­geringer als die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden. Mark Lutter hat sie befragt, die Erfolglosen, vermeintlich Rechenschwachen und Verblendeten. „Sicher, es gab auch einige Fehleinschätzungen von Spielern, was die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns angeht“, sagt er. „Das ist nicht überraschend, psychologische Studien zeigen, dass der Mensch zwar rational handeln möchte, es aber oft nicht kann, weil er durch Fehlurteile und verzerrte Wahrnehmungen geleitet wird. Zum Beispiel haben viele Menschen Angst, in ein Flugzeug zu steigen, obwohl die Taxifahrt zum Flughafen deutlich gefährlicher und die Wahrscheinlichkeit zu verunglücken dort viel höher ist.“ Diese „kognitive Verzerrung“ führe dazu, dass

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manche Lottospieler ihre Gewinnchancen zu optimistisch einschätzen. Aber das sind laut Lutter die wenigsten. „Überraschend war für mich, dass in unseren Umfragen der Großteil aller Lottospieler, mehr als 90 Prozent, sehr genau wusste, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass sie den Jackpot gewinnen und sie höchstwahrscheinlich Geld verlieren. Die allermeisten waren also nicht verblendet, im Gegenteil, sie haben ihre Chancen sehr realistisch eingeschätzt.“ Warum spielen all diese Menschen dann trotzdem, Woche um Woche? Weil sie vom Lottospiel profitieren, auch und gerade ohne zu gewinnen. Zum einen ist der Lottoschein eine Art Beziehungsklebstoff: Ungefähr sieben Millionen Deutsche spielen in Tippgemeinschaften, vor allem Frauen und jüngere Männer, mit Freunden oder Familienmitgliedern. „Lottospieler in Tippgemeinschaften haben ein gemeinsames, verbindendes Thema“, sagt Lutter. „Bei ihnen tritt der Aspekt der Gewinn­ erwartung eher in den Hintergrund“. Das Lottospielen als Gemeinschaftserlebnis und verbindendes Ritual; Tippgemeinschaften haben also gewonnen, auch wenn sie bei der wöchentlichen Ziehung leer ausgehen. Lottospielen wirkt sozial und gesellschaftlich integrativ: Der Lottoschein ist ein großer Gleichmacher, die Gewinnchancen sind unabhängig von der Bildung oder der Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht. Wissen und besondere Fähigkeiten helfen nicht dabei, den Jackpot zu knacken. Und da der Lottoschein zumindest theoretisch die Möglichkeit eröffnet, sich wirtschaftlich in ansonsten unerreichbare Regionen zu katapultieren und so die Teilhabe an einem ebensolchen Lebensstandard verspricht, erscheinen die Schranken, die unsere Gesellschaft trennen, dem Lottospieler nicht mehr ganz so unüberwindlich. Der Lottoschein ist also viel mehr als eine Investition mit mieser Rendite. Im Gegenteil – vor allem, so ein Ergebnis von Lutters Forschung, ist er „eine Baugenehmigung für Luftschlösser“. Neben anderen Konzepten ein weit verbreitetes Motiv: „Die Gewinnchance ist zwar nur leicht über null, aber sie ist eben nicht null. Mit Abgabe des Lottoscheins habe ich zumindest die theoretische Möglichkeit zu gewinnen, ohne habe ich gar keine“, erklärt Lutter. Der Lottoschein als Eintrittskarte für Kopfkino in HD, mindestens. Nur er bietet die potenzielle Chance darauf, Träume zu verwirklichen, die sonst weit außerhalb der Greifweite der Spieler liegen, auf ewig unerreichbar. Träume aber gewinnen an Kraft und Farbe, werden lebendiger, wenn ihre Verwirklichung zumindest denkbar ist. „Der Jackpot ist im Möglichkeitshorizont der Spieler immer vorhanden“, sagt Lutter. „Auch wenn sie wissen, dass es höchstwahrscheinlich nicht klappt, löst allein die Tatsache, dass sie einen Schein gekauft haben, Wohlbefinden aus – die Vorstellung, in der nächsten Woche ein ganz anderes Leben führen zu kön-

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nen, völlig unabhängig von ökonomischen Zwängen, verschafft ihnen ein wohliges Gefühl, das bis zur nächsten Ziehung anhält.“ Auch Walter R. ist nicht verblendet. „Ich weiß, dass die Chancen auf den Jackpot eins zu einigen Millionen stehen“, sagt er. „Aber einer gewinnt ja immer. Wer sagt denn, dass ich das nicht nächste Woche bin?“ Gut, die Chancen stehen noch etwas schlechter, statistisch gesehen gewinnt jeder regelmäßige Tipper wie Walter R. alle 27 Millionen Jahre, aber das ändert nichts, nicht grundsätzlich. Damals, als seine Frau noch lebte, hat Walter R. mit ihr zusammen Luftschlösser gebaut. Von einem Eigenheim haben sie geträumt, vor allem davon. Ein wenig auch von all den anderen schönen Dingen, die sie sich nicht leisten konnten, nie würden leisten können. Wie der Großteil der regelmäßigen Lottospieler, die von Häusern oder Weltreisen träumen, oder davon, ihren Kindern oder Enkeln ein besseres Leben ohne finanzielle Sorgen zu ermöglichen. Heute ist Walter R.s Luftschloss eine gut ausgestattete Seniorenresidenz. Er träumt davon, sich mit einem Lottogewinn in so eine Einrichtung einzukaufen. Noch kommt er alleine zurecht, aber irgendwann in naher Zukunft wird er das kleine Häuschen in einem Schrebergarten, in dem er seit Ende der 50er Jahre lebt, aufgeben müssen. Ohne Geld vom Lotto bleibt ihm nur ein städtisches Heim. „Die Hoffnung ist immer da, jede Woche, bis Sonnabend die Zahlen kommen“, sagt er. „Dann ist sie erst mal weg.“ Um mit dem nächsten Schein wieder aufzuflackern. Das ist das wunderbare an einem Lottoschein: Die Berechtigung zum Bau von Luftschlössern erlischt nie. Sie kann erneuert werden, immer wieder, Woche für Woche. Zumindest bis zur nächsten Ziehung darf der Lottospieler träumen, sich selbst und sein Leben neu erfinden, besser, schöner, strahlender. „Ein Lottospieler hat mir erzählt, dass er sich die Gewinnzahlen immer erst ein oder zwei Tage nach der Ziehung ansieht, um diesen angenehmen Zustand noch etwas länger genießen zu können“, sagt Lutter. Glücklicherweise sind lottoinduzierte Traumschlösser vergleichsweise kostengünstig – der Lottospieler verspielt in aller Regel nicht Haus und Hof, die rund 20 Euro, die regelmäßige Spieler im Schnitt pro Monat ausgeben, strapazieren das Budget nicht über Gebühr. Außerdem ist der Suchtfaktor beim Lotto sehr gering, deutlich geringer als bei anderen Glücksspielen. Sicher, Ausnahmen gibt es, und jede ist tragisch. Aber für die meisten Spieler ist es nicht nur angenehm, das Kopfkino mit schönen Bildern zu befeuern, es ist darüber hinaus auch ein Weg zu psychischer Gesundheit: Einem negativen Selbstbild etwas Positives entgegenzusetzen, eine Art inneres Gewinner-Ich, entlastet

Illustration Tobias Schalken


Manch ein Lottospieler sieht sich die Gewinnzahlen immer erst ein oder zwei Tage nach der Ziehung an, um diesen angenehmen Zustand noch etwas länger genieĂ&#x;en zu kĂśnnen.


und schützt vor Depressionen. Erfolglosigkeit, das Fehlen von Gewinnen, also das Nichts, eröffnet dem Lotto­ spieler diese Möglichkeit immer wieder aufs Neue und schützt ihn vor der in aller Regel ernüchternden und oft deprimierenden Herausforderung, seine Luftschlösser den Belastungen der Realität aussetzen zu müssen. „Wie es bei Motörhead heißt: ‚The chase is better than the catch‘“, sagt Mark Lutter. Denn Millionengewinne machen nicht glücklich, nicht dauerhaft. Schicksale wie die von Lotto-Lothar gibt es immer wieder; Gewinner, die von ihrem plötzlichen Reichtum und den damit verbundenen Turbulenzen überfordert sind. Das sind Extremfälle, sicher. Aber das märchenhafte „sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ bringt kein Jackpot mit sich. „Es gibt Studien, die zeigen, dass Lottogewinner nicht glücklicher sind als der Durchschnitt der Bürger“, sagt Lutter. Selbst extreme Glücksgefühle sind vergänglich, auch ein durch den Jackpot in neue Spähren katapultiertes Leben, weiß die Glücksforschung, wird bald wieder als normal empfunden, bestenfalls. „Hedonistische Adaption“ nennen das die Forscher. Genau genommen sind also all die Millionen erfolglosen Lottospieler, die Woche für Woche samstagsabends mit leeren Händen dastehen und anschließend ihre Wohlfühldosis durch das Kopfkino erneuern können, die glücklicheren, die wahren Gewinner. Die kurzen Phasen der Ernüchterung, des Einbruchs der Realität in die Traumwelten in Form von Gewinnzahlen, verflüchtigt sich mit dem nächsten Schein. Profan betrachtet profitieren allerdings andere: „Der wahre Gewinner ist der Staat“, sagt Lutter. „Lottospielen ist, wenn man es genau nimmt, mit knapp 40 Prozent Steuer und Konzessionsabgaben extrem hoch besteuert. Und da der Großteil der Spieler aus unteren oder mittleren Einkommensschichten stammt, der Anteil der Lottoausgaben am Gesamteinkommen für sie also eher hoch ist, ist diese Steuerlast ungerecht verteilt, eine Umverteilung von unten nach oben.“ Dazu kommt, dass das Gros der Lottospieler von den durch Lottogelder geförderten Kultur- und Sportprojekten eher weniger profitiert. „Das bedeutet, der Lottospieler subventioniert andere, vermögendere, gebildetere und jüngere Gesellschaftsschichten. Damit ist Lotto doppelt unfair. Es wäre gerechter, die Lottomillionen in Bildungsangebote für benachteiligte untere und mittlere Schichten zu investieren, um auch den Lottospielern mehr Teilhabe zu ermöglichen.“ Auch auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene ist der Lottospieler also der Verlierer und geht am Ende leer aus. Aber er ist es ja gewohnt, seine Traumschlösser unbeirrt auf dem Nichts aufzubauen, wieder und wieder. Mehr über den Autor auf S. 8

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Siemens – Hauptsponsor der Orchesterakademie

Werner von Siemens Geboren 1816

Werner von Siemens hätte es Erfindergeist genannt. Wir nennen es heute Ingenuity for life. Auch zu seinem 200. Geburtstag in diesem Jahr prägt die Haltung unseres Gründers Werner von Siemens das Unternehmen und alle von uns. Ingenuity for life ist das, was uns antreibt, die Dinge immer noch ein bisschen besser zu machen: Städte lebens- und liebenswerter, öffentliche Verkehrsmittel attraktiver, die Modernisierung von Gebäuden bezahlbar und Industrien zukunftsfähig. Es geht darum, die Welt mit Ingenieurskunst zu verändern und uns auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten. Diesem Anspruch stellen sich täglich rund 348.000 Mitarbeiter von Siemens – und schaffen so langfristig Werte für unsere Kunden, die Gesellschaft und jeden Einzelnen. Wenn man verwirklicht, worauf es ankommt, dann ist das Ingenuity for life.

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siemens.de/ingenuityforlife

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VorstellungsankĂźndigung


Auf der Weltbühne des Balletts Er schien in München lange nicht präsent, aber jetzt ist er da: Igor Z ­ elensky, einer der international bedeutendsten Tänzer und ­Ballettdirektoren, leitet seit Beginn dieser Spielzeit das Bayerische Staatsballett. Gerald Dowler porträtiert den Ausnahmetänzer und stellt seine Pläne für München vor.

Igor Zelensky, von einem britischen Tanzkritiker einst unvergesslich als „Alpha-plus-Männchen der Ballettwelt“ beschrieben, hat seinen festen Platz im Pantheon der weltweit besten Tänzer und mittlerweile auch der gefragtesten Ballettdirektoren. 1969 in Labinsk geboren, einer Stadt im südlichen Kaukasus, erhielt er seinen ersten Tanzunterricht am Ballettinstitut in Tiflis, wo er in der Klasse des legendären Tänzers und Lehrers Wachtang Tschabukiani zum ersten Mal mit einem Superstar des B ­ alletts in Kontakt kam. Für Zelenskys Ambitionen war dieses Zusammentreffen ausschlaggebend: „Er war der Grund, warum ich

Text Gerald Dowler

Tänzer wurde. Ich interessierte mich eigentlich mehr für Leichtathletik und Fußball als für Ballett. Ich tanzte, war aber eher nachlässig. Doch als ich 14 war, übernahm Tschabukiani meine Klasse, weil er mich gesehen hatte und mich unterrichten wollte. Er inspirierte mich: Er war ein georgischer Tänzer beim Kirow-Ballett und wurde einer der größten Künstler dieser Compagnie. Er war damals der erste sowjetrussische Tänzer, der nach Amerika reiste und dann ein großer Choreograph wurde. Er war mein Held, und an diesem Ort damals habe ich entschieden: Das ist das, was ich machen will.“

Zelensky trat in die Fußstapfen seines Mentors. Er begann an der Waganowa-Ballettakademie im damaligen Leningrad, bevor er 1988 Mitglied des Kirow-Balletts wurde (das seit 1991 wieder als Sankt Petersburger Mariinski-Ballett firmiert, aber nach wie vor ­unter dem 1935 eingeführten sowjetischen Namen bekannt ist, d. Red.). Nach kurzer Zeit schon konnte er dort beeindrucken und stieg in der Hierarchie der Compagnie auf. Doch bald entschloss er sich, Russland zu verlassen – ein für ihn typischer Schritt, um seinen Horizont zu erweitern. „Das Kirow-Ballett ist eine große Compagnie und man bekommt nicht viele Mög-

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lichkeiten, auf der Bühne zu stehen. Als ich dann bei einem Wettbewerb in Paris Gold gewann, erhielt ich viele Einladungen. Ich ging schließlich nach Berlin, um bei Peter Schaufuss an der Deutschen Oper zu tanzen. Und als die Compagnie an der New Yorker Metropolitan Opera gastierte, sah mich Peter Martins, der Direktor des New York City Ballet, der berühmten von George Balanchine gegründeten Compagnie, und bot mir einen Vertrag an.“ Es war ein Angebot, das Zelensky nicht ablehnen konnte: „Ich komme aus Georgien, genau wie Balanchine. Und als ich Manhattan sah, fand ich es so aufregend, dass ich einfach wusste: Hier will ich sein.” Auch Rudolf Nurejew, den er ganz zufällig traf, beeinflusste ihn. „Ich traf Rudi eines Tages auf dem Berliner Flughafen, als er an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin arbeitete. Er sagte, ich solle nach New York gehen, um mit Stanley Williams zu arbeiten, dem legendären Lehrer, den Balanchine aus Kopenhagen geholt hatte. Und das tat ich auch. Sogar nachdem ich das NYCB bereits verlassen hatte, flog ich immer wieder nach New York, nur um Stunden bei ihm zu nehmen.“ Zelenskys Arbeitsweise ähnelt der einer Honigbiene, die von Blume zu Blume fliegt, auf der Suche nach Pollen; in

Über Igor Zelensky, den Tänzer Es gab, als das britische Publikum Igor Zelensky das erste Mal sah, nicht den geringsten Zweifel, dass es einen Tänzer ersten Ranges ­erlebte – ein ungewöhnlich großer, schön proportionierter Tänzer, der sich mit der Eleganz eines Panthers bewegte. Als ich selbst ihn das erste Mal tanzen sah, war ich überwältigt von dem Gewicht, das er jeder Bewegung verlieh, und von der Sorgfalt bei der Platzierung und Koordination seines ­Körpers. Es waren seine langen, kräftigen Beine, die einen hohen, sauberen, weit ausgreifenden Sprung ermöglichten. Aber es war seither ebenfalls klar, dass Zelensky sich von den anderen perfekt trainierten Tänzern des Kirow- und des Bolschoi-Ensembles, die in den 1980er und 1990er Jahren ­regelmäßig nach London kamen,

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Zelenskys Fall auf der Suche nach Erfahrung und tänzerischem Wissen. Selbst als Erster Solist des New York City Ballet flog er noch immer kreuz und quer durch die Welt: „An meinen freien Tagen flog ich oft irgendwohin: nach Sankt Petersburg, um mit dem Kirow-Ballett aufzutreten, nach Tokio oder Buenos Aires.“ Zelensky tanzte auch regelmäßig mit dem Londoner Royal Ballet: „Das war meine goldene Zeit. Ich arbeitete in Einzelstunden mit Anthony Dowell, den viele für den besten britischen Tänzer halten, und der mich mit den großen Choreographen Frederick Ashton und Kenneth MacMillan zusammenbrachte.“ Igor Zelenskys Entscheidung, Direktor einer Compagnie zu werden, schien nur folgerichtig, mit Blick auf seinen ungewöhnlichen Erfahrungsschatz als Tänzer und den Kontakt mit vielen verschiedenen Choreographen, Repertoires und Stilen – schließlich ist die Welt des klassischen Balletts in Amerika völlig anders als im westlichen Europa oder in Russland. So sind etwa in Großbritannien schauspielerische Fähigkeiten und die Vermittlung der dramatischen Erzählung hochgeschätzt, während in den Vereinigten Staaten Schnelligkeit, Virtuosität und Präzision als Qualitäten in der Bewe-

unterschied. Es war, und ist immer noch, diese gewisse Modernität Zelenskys auf der Bühne. Seine Kollegen beim Kirow-Ballett schienen auf die sowjetische Ära des Tanzes z­ urückzublicken (bis hin zu ihren ­Frisuren!), nicht aber Zelensky. In erster Linie kam dies durch seine fünf Jahre als Ensemble­ mitglied des New York City Ballet. Diese Erfahrung verlieh ihm einen Grad an Verfeinerung, der den anderen russischen Tänzern seiner Generation fremd war, und ließ ihn den Spuren Rudolf Nurejews und Mikhail Baryshnikovs folgen. Dennoch erlebte ich Zelensky nie als einen Showman, wie es diese beiden älteren Landsleute doch waren. Bei seinen Auftritten konnte man dagegen diesen gewissen Grad an Distanziertheit beobachten, eine gewisse Coolness, die wohl wesentlich zu seinem Charakter gehört. Beim Londoner Royal Ballet tanzte Zelensky zusammen

gung angestrebt werden. In Russland konzentriert man sich unter anderem auf die perfekte Platzierung des Körpers und den Einsatz der Arme. „Ich liebe es, zu unterrichten und andere Künstler zu trainieren. Meine Tage als Tänzer sind nun fast vorüber, aber ich merke, dass ich so vieles weitergeben kann.“ 2006, als er noch beim Mariinski-Ballett Erster Solist war, wurde er gleichzeitig Künstlerischer Leiter des Balletts in Nowosibirsk, 2011 dann Künstlerischer Direktor des Balletts des Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Theaters in Moskau, wo er eine größere künstlerische Identität für ein Ensemble schuf, das seit jeher von seinem mächtigen Nachbarn, dem Bolschoi-Ballett, überschattet wurde. Sein Fokus dort war, das Repertoire zu erweitern, indem er wichtige Einflüsse aus seiner eigenen künstlerischen Laufbahn einbrachte: Arbeiten von John Neumeier, Roland Petit und Kenneth MacMillan, mit dessen Mayerling die Compagnie im April in München zu sehen sein wird. Igor Zelensky konnte das Bayerische Staatsballett nun schon seit einigen Jahren kennenlernen: „Ich habe schon vor drei Jahren mit den Tänzern etliche Trainingsstunden absolviert.“ Und in München, mit der Leitung die-

mit der hochgewachsenen Ensemble-Ballerina Darcey Bussell. Sie bildeten ein perfektes Paar, denn beide waren technisch außergewöhnlich stark und im Neoklassizismus von George Balanchine (1996 verzauberten sie Covent Garden in dessen Tchaikovsky pas de deux) genauso zuhause wie im Klassizismus des Marius Petipa (1997 konnte man außergewöhnliche Aufführungen von La Bayadère erleben mit den beiden als Solor und Gamzatti und mit Sylvie Guillem als Nikija). Aber es war auch von Beginn an klar, dass Zelensky in London seine dramatischen ­Talente fördern und entwickeln wollte. So gab es b ­ emerkenswerte Auftritte innerhalb des Repertoires von Kenneth MacMillan, das ­zusammen mit den Balletten von Frederick Ashton das dramatische Rückgrat der Compagnie bildet. Er tanzte den Romeo und den Des Grieux aus Manon, Letzteren auch

2001 in München, mit großem ­Erfolg. Man konnte deutlich sehen, dass er hart an der Entwicklung seiner Charaktere arbeitete und ­ihnen Bedeutung und Tiefe verlieh. Wenn ich eine Rolle und eine ­Aufführung auswählen müsste, die exemplarisch für Zelenskys Verdienste als Tänzer stehen, dann wäre das sein Auftritt im Londoner Sadler’s Wells Theatre 2008 mit Tänzern des Mariinski-­Balletts in Balanchines Apollo. In dieser Rolle war er lange sehr erfolgreich, aber vor allem konnte man eine perfekte Synthese seiner Ausbildung beim Kirow-Ballett, der Präzision des New York City Ballet und der ­dramatischen Intensität, die er beim Royal Ballet entwickelt hat, erleben. Er spielte den jungen Gott nicht als Symbol, sondern als ­einen Menschen, der dabei ist, ­seine Göttlichkeit anzunehmen. Es war keine Darbietung, sondern ein Schatz.


ser Compagnie, kommt nun alles zusammen, wofür er gearbeitet hat: „Anders als in Russland habe ich hier vollkommene Freiheit, das Repertoire und die künstlerische Ausrichtung der Compagnie zu bestimmen.“ Seine Programmstruktur bleibt die gleiche wie zuvor, mit neun Wiederaufnahmen und zwei neuen Produktionen pro Spielzeit. Seine internationalen Erfahrungen bringen ein Denken in globalen Begriffen mit sich: „Puschkin gehört nicht allein zu Russland und Beethoven nicht nur zu Deutschland. Sie gehören der ganzen Welt. Und ich will die Welt des Balletts nach München bringen. Mein Motto ist: Wir denken zwar global, aber wir leben lokal – wir leben letztendlich an einem bestimmten Ort.” Die große Neuheit von Zelenskys erster Spielzeit ist Spartacus von Yuri Grigorovich, der fast 90 Jahre alt sein wird, wenn er sein berühmtestes Werk hier in München in einer modernisierten Version neu einstudiert. „Es hat nichts damit zu tun, dass ich das Stück schon oft getanzt habe“, bemerkt Zelensky. „Es ist zunächst einmal ein großes Ballett für ein großes Opernhaus und sollte also gut passen. Es ist auch das erste Mal, dass es von einer nicht-russischen Compagnie in Westeuropa aufgeführt wird. Es geht also darum, die richtigen Tänzer einzusetzen. Da wir in dieser Spielzeit Weltklasse-Künstler in der Compagnie haben, bin ich zuversichtlich, dass wir zwei sehr gute Besetzungen bekommen werden. Und wir wollen das Werk auch stilistisch erneuern.” Igor Zelensky will auch die Aufführungstraditionen des Staatsballetts würdigen: „Es gibt ein großartiges Repertoire hier, weswegen ich auch John Crankos Romeo und Julia aufführen will. Er war in München Direktor und brachte es hier auf die Bühne. Außerdem wird es Ashtons La Fille mal gardée, John Neumeiers Ein Sommernachtstraum und einen Balanchine-Abend geben. Ich habe auch Peter Wright gefragt, dessen Produktion von Giselle für mich die beste der Welt ist, das Stück hier auf die Bühne zu bringen. Das sind alles Meisterwerke, das Beste vom Besten für

jedes Ballett. Ich werde Menschen dazu­holen, die die Werke wirklich kennen, sodass sie die entscheidenden Details für die Aufführungen vermitteln können, um die Produktionen so gut und eindrücklich zu machen, wie sie sein können.“ Zelensky ist sehr darauf bedacht, die Tradition zu bewahren, bringt aber auch neue Entwicklungen ein: „Wir bringen Christopher Wheeldons Erfolgsproduktion Alice im Wunderland auf die Bühne, weil ich etwas für Kinder im Repertoire haben möchte.“ Er ist fest überzeugt, dass neue Choreographien essenziell sind für jede klassische Compagnie. Etwas neu zu erarbeiten ist wie ein Lebensnerv, den Tänzer brauchen. „Deswegen haben Wayne McGregor, der berühmte Choreograph des Londoner Royal Ballet, und ich gemeinsam beschlossen, für 2018 zum Auftakt des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums ein neues, abendfüllendes Ballett für die Compagnie zu kreieren. Da wir mit dem Prinzregententheater einen zweiten Aufführungsort haben, können wir variieren, indem wir beispielsweise drei Gala­-Abende, auch für Kinder, um Weihnachten herum veranstalten. Es werden unterschiedliche Pas de deux zu sehen sein sowie einige Ballett-Feuerwerke – ich nenne das ‚Tricks for Kids‘. Und bei den Opernfestspielen machen wir ein gemischtes Programm für junge Choreographen.“ Welche Art von Compagnie will Zelensky also haben? „Es sollte das sein, was man in Russland ‚akademisches Theater‘ nennt. Das ist im Kern eine Compagnie, deren Repertoire auf den Klassikern aufgebaut ist, die aber genauso neoklassische und moderne Werke tanzen kann. Es wird mindestens drei Spielzeiten brauchen, um die Compagnie dahin zu führen, wo ich sie haben will. Aber ich will Tänzer, die hart arbeiten und diszipliniert sind, die für die Bühne leben. Ich habe 1.000 Bewerbungen aus der ganzen Welt erhalten, fast 400 Tänzer angesehen und zuletzt acht unter Vertrag genommen.” Es gibt eine strukturelle Schwierigkeit, die besten zu bekommen: „Gute Tänzer bleiben für gewöhnlich an ihrem angestammten Ort.

Fotografie Jonas Lindström

Das Royal Ballet, das Mariinski-Ballett, die Opéra de Paris, das New York City Ballet oder Stuttgart haben ja ihre eigenen Schulen, die sie mit Tänzern versorgen. Und das ist auch mein Traum für München, denn so entsteht eine genetische Verbindung zwischen der Compagnie und den kommenden Generationen von Künstlern. Ich denke auch, es wäre gut, die Compagnie zu vergrößern, um noch mehr Möglichkeiten zu haben.“ Igor Zelenskys eigener Star-Status ist fraglos ein eindeutiger Magnet für andere Top-Tänzer, die diese Spielzeit Teil des Bayerischen Staatsballetts sein werden. Aber er ist fest überzeugt, „dass es ein Gleichgewicht geben muss. Ich etwa bin ein sehr seltenes Beispiel für einen Tänzer, der nicht Absolvent der New York City Ballet School war und dennoch dem New York City Ballet angehörte. Auch so kann es funktionieren.“ Zelensky ist sich seiner Verantwortung absolut bewusst: „Wir leben heute in einer anderen Welt, und ich mache mir keine Illusionen darüber, wer oder was ich bin. Aber ich hatte solches Glück, mit Tschabukiani, mit Sergejew, Nurejew, Williams, Martins, Dowell und all den anderen zu arbeiten, und wenn ich kann, will ich etwas davon weitergeben.” Aus dem Englischen von Sabine Voß

Gerald Dowler schreibt als Tanzkritiker für die ­Financial Times, The Dancing Times, ­Ballet 2000 und für verschiedene Webseiten, zudem hält er häufig Vorträge. Er lebt in L ­ ondon.

Igor Zelensky studierte am Ballettinstitut in Tiflis und am Waganowa-Institut in Sankt Petersburg. 1988 debütierte er am Mariinski-Theater. ­Daneben tanzte und arbeitete er weltweit an ins­gesamt 14 Theatern, so beim New York City Ballet und dem Royal Ballet London. Noch während s­ einer aktiven Zeit als Principal Dancer übernahm Zelensky die Künstlerische Leitung des Balletts in Novosibirsk, 2011 außerdem die des Balletts des StanislavskyTheaters in Moskau. Seit September 2016 leitet Igor Zelensky das Bayerische Staatsballett. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Vorstellungstermine des Bayerischen­ ­Staatsballetts mit den neuen Solisten (u.a. Natalia Osipova und Sergei Polunin) im Spielplan ab S. 93

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Die Europa-Tournee des Bayerischen Staats­orchesters, fotografiert von Christoph Brech

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Im September 2016 absolvierte das Bayerische Staatsorchester eine weitere ausgedehnte ­ Europa-Tournee – erstmals zusammen mit ­Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. In ­Mailand, Luzern, Dortmund, Bonn, Paris, ­Luxemburg, Berlin, Wien und Frankfurt gab der Klangkörper der ­Bayerischen Staatsoper zusammen mit den ­Solisten Diana Damrau und Frank Peter Zimmermann ­Konzerte, die mit Begeisterung aufgenommen ­wurden. Für die fotografische Begleitung konnte der Künstler Christoph Brech gewonnen werden. Im Folgenden einige seiner Impressionen. Vorstellungsankündigung


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1 – 2 Teatro alla Scala, Mailand 3 – 4 Lucerne Festival, KKL Luzern 5 – 6 Konzerthaus Dortmund 7 – 8 Beethovenfest, Beethovenhalle Bonn 9 – 11 Théâtre des Champs-Élysées, Paris 12 – 14 Philharmonie Luxembourg 15 – 16 Berliner Philharmonie 17 – 18 Musikverein, Wien 19 Nationaltheater, München 20 Alte Oper, Frankfurt


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Aus der Nähe

Die Sängerinnen und Sänger des Ensembles gehören zu den wichtigsten Stützen des Opernbetriebs. Üblicherweise stehen sie in Maske und Kostüm in unterschiedlichsten Rollen auf der großen Bühne der Bayerischen Staatsoper. Nun gibt es erstmals die Möglichkeit, diese vielseitigen Künstler ganz aus der Nähe zu erleben: im intimen Rahmen eines Liederabends. Den Anfang machen Elsa Benoit, Rachael Wilson und Goran Jurić. In MAX JOSEPH teilen sie ihre Gedanken zur Arbeit im Ensemble und zu den Besonderheiten eines Liederabends, verraten, wie sie sich auf ihre Auftritte vorbereiten – und welche Überraschungen sie bei ihrer Arbeit auf der Opernbühne schon erlebt haben.

Musico (Manon Lescaut)

Ich habe ein paar Lieblingsrollen, aber meine Traumrollen werde ich nicht verraten, denn ich bin abergläubisch (vielleicht werden Sie mich eines Tages ja darin sehen). Ich könnte mich mit vielen Rollen persönlich identifizieren – und dann auch wieder mit keiner. Ich glaube, das ist ganz gut, denn es ist auch der Grund dafür, warum ich die Oper so liebe. Für mich verkörpert jeder Charakter Gefühle und Dinge, die ich nachempfinden kann, aber was mich fasziniert, ist die Art, wie die Charaktere mit diesen Gefühlen umgehen. Diese extremen Gefühlswelten der Oper zu erforschen befriedigt meine starke Neugier auf das Leben, und ich kann so immer wieder meine liebste Frage stellen: Warum?


Rachael Wilson

Ich komme vor einer Aufführung gern sehr früh zum Opernhaus, gehe dann auf die noch leere Bühne, bevor die Techniker kommen, bevor meine Kollegen kommen, bevor die Sitze mit aufgeregten Zuschauern belegt sind. Ich lausche dann in die Stille und atme ein paarmal tief ein. Wenn ich das mache, muss ich jedes Mal daran denken, wie besonders die Musik ist und dass ich an diesem Abend das Vergnügen haben werde, diese Stille mit meiner Stimme zu erfüllen. Dahinter spüre ich eine Art Bestimmung, die mir letztlich die Klarheit und Konzentration vermittelt, die ich für meinen Auftritt brauche.


Isotta (Die schweigsame Frau)

Als ich in Lille die Marta sang (die Titelrolle der Oper von Wolfgang Mitterer, d. Red.), da passierte auf der Bühne etwas ziemlich Ungewöhnliches. In der Probe hatte ich mit meinem Kollegen Georg Nigl Witze über eine unserer Szenen gemacht. Während der darauffolgenden Aufführung erschien Georg in dieser Szene dann vor mir, und wir mussten beide kichern und konnten nicht mehr aufhören. Die Szene war ziemlich dramatisch und intensiv angelegt, und ich glaube, die Anspannung beim Versuch, unser Lachen zu kontrollieren, ließ die Szene sogar noch intensiver wirken.


Elsa Benoit

Wenn ich an einen Liederabend denke, stelle ich mir ein Konzert vor, bei dem das Publikum sich den K체nstlern sehr nah f체hlen kann. Ich sehe einen intimen Rahmen, einen kleinen Konzertsaal, wo man jedes Wort eines Liedes versteht, wo Musik und Text zu einer Einheit verschmelzen und so eine magische Atmosph채re schaffen. Ich sehe Geschichten, Farben, Phantasiewelten, Gef체hle.


Inquisitor (Der feurige Engel)

Als Ensemble-Sänger habe ich die Gelegenheit, mit so vielen tollen Dirigenten – ich hoffe auf immer mehr Dirigentinnen – und Gastsängerinnen und -sängern zu singen. An der Bayerischen Staatsoper kann man an einem einzigen Tag Jonas Kaufmann auf dem Korridor oder René Pape bei der Kostümprobe treffen, während Anna Netrebko oder Anja Harteros auf der Bühne singen und Zubin Mehta oder Kirill Petrenko eine Probe im Bruno-Walter-Saal leiten. Das ist wie eine Universität mit den besten Professoren der Welt!


Goran Jurić

Ich habe meine erste Oper vor acht Jahren gesungen, und heute kann ich sagen: Ich habe keine Angst vor der Bühne, aber ich bin immer total gespannt, wie die Vorstellung laufen wird. Die Musik ist für mich der wichtigste Teil, das Schauspiel erarbeite ich mit Intuition und mit der Hilfe der Regieassistenz. Ein Liederabend ist eine andere Erfahrung. Ich bin in erster Linie ein Opernsänger, und bei einem Liederabend handelt es sich um Lyrik und nicht mehr um Theater. Aber am Ende genieße ich es immer sehr.

Ensemble-Liederabend mit Goran Jurić Mittwoch, 12. Oktober 2016 Wernicke-Saal Ensemble-Liederabend mit Elsa Benoit und Rachael Wilson Montag, 14. November 2016 Wernicke-Saal


OPER a u f B R-K L AS S I K

Oper

Con passione

Samstags, 19.05 Uhr

Montags, 19.05 – 20.00 Uhr

Gesamtaufnahmen

90br-klassik.de

Legendäre Sängerstars

facebook.com/brklassik

Oper – live im Radio

Highlights weltweit


Spielplan

Oper

18.10.16 – 11.02.17

Gaetano Donizetti

Lucia di Lammermoor Musikalische Leitung Oksana Lyniv Inszenierung Barbara Wysocka Dalibor Jenis, Jessica Nuccio, Charles Castronovo, Galeano Salas, Alexander Tsymbalyuk, Rachael Wilson, Dean Power Fr

21.10.16

19.00 Uhr

sponsored by

Fromental Halévy

La Juive Musikalische Leitung Bertrand de Billy Inszenierung Calixto Bieito Aleksandra Kurzak, Roberto Alagna, Edgardo Rocha, Vera-Lotte Böcker, Ante Jerkunica, Johannes Kammler, Andreas Wolf, Christian Rieger, Peter Lobert Sa Mi So

22.10.16 26.10.16 30.10.16

18.00 Uhr 18.00 Uhr 17.00 Uhr

gefördert durch gefördert durch

Gaetano Donizetti

La Favorite Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Inszenierung Amélie Niermeyer Elīna Garanča, Matthew Polenzani, Mariusz Kwiecień, Mika Kares, Joshua Owen Mills, Elsa Benoit

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de

So Fr Mo Do So Mi

23.10.16 28.10.16 31.10.16 03.11.16 06.11.16 09.11.16

19.00 Uhr Premiere 19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 18.00 Uhr auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv 19.00 Uhr

sponsored by

Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

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Arrigo Boito

Dmitri Schostakowitsch

Mefistofele

Lady Macbeth von Mzensk

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Roland Schwab

Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Harry Kupfer

Erwin Schrott, Joseph Calleja, Ausrine Stundyte, Heike Grötzinger, Andrea Borghini, Karine Babajanyan, Rachael Wilson, Galeano Salas

Anatoli Kotscherga, Sergey Skorokhodov, Anja Kampe, Misha Didyk, Heike Grötzinger, Kevin Conners, Christian Rieger, Sean Michael Plumb, Milan Siljanov, Goran Jurić, Alexander Tsymbalyuk, Kristof Klorek, Dean Power, Peter Lobert, Igor Tsarkov, Anna Lapkovskaja, Selene Zanetti

Fr Mo Do

04.11.16 07.11.16 10.11.16

19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr

Wolfgang Amadeus Mozart

Mo Do So Do So

28.11.16 01.12.16 04.12.16 08.12.16 11.12.16

19.00 Uhr Premiere 19.30 Uhr 19.00 Uhr auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv 19.00 Uhr 18.00 Uhr

Le nozze di Figaro Musikalische Leitung Antonello Manacorda Inszenierung Dieter Dorn Mariusz Kwiecień, Diana Damrau (13./20.11.), Johanni van Oostrum (16./18.11.), Angela Brower, Alex Esposito, Tara Erraught, Alexander Tsymbalyuk, Heike Grötzinger, Ulrich Reß, Kevin Conners, Peter Lobert, Paula Iancic, Anna El-Khashem, Niamh O’Sullivan So Mi Fr So

13.11.16 16.11.16 18.11.16 20.11.16

18.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 18.00 Uhr

Giacomo Puccini

Turandot Musikalische Leitung Dan Ettinger Inszenierung Carlus Padrissa - La Fura dels Baus Nina Stemme, Ulrich Reß, Goran Jurić, Stefano La Colla, Golda Schultz, Andrea Borghini, Kevin Conners, Matthew Grills, Anatoli Sivko, Thorsten Scharnke Sa Mi Sa Mi Sa

03.12.16 07.12.16 10.12.16 14.12.16 17.12.16

19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr

Giacomo Puccini

La bohème

Engelbert Humperdinck

Musikalische Leitung Stefano Ranzani Inszenierung Otto Schenk

Hänsel und Gretel

Serena Farnocchia, Kelebogile Besong, Matthew Polenzani, Michael Nagy, Andrea Borghini, Nicolas Testé, Galeano Salas, Christian Rieger, Antonio Di Matteo, Milan Siljanov, Johannes Kammler

Musikalische Leitung Tomáš Hanus Inszenierung Richard Jones

Sa Mi Sa

19.11.16 23.11.16 26.11.16

19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr

Gaetano Donizetti

L'elisir d'amore Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung David Bösch Pretty Yende, Atalla Ayan, Andrei Bondarenko, Erwin Schrott, Tara Erraught So Mi Fr

27.11.16 30.11.16 02.12.16

sponsored by

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19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.30 Uhr

Markus Eiche, Helena Zubanovich, Tara Erraught, Elsa Benoit, John Daszak (16./17./20./26.12.), Kevin Conners (20./26.12), Selene Zanetti, Paula Iancic, Anna El-Khashem, Alyona Abramowa Fr Sa Di Di Mo Mo

16.12.16 17.12.16 20.12.16 20.12.16 26.12.16 26.12.16

18.00 Uhr 11.00 Uhr 11.00 Uhr Schulvorstellung 18.00 Uhr 11.00 Uhr 18.00 Uhr

In Kooperation mit der Welsh National Opera, Cardiff


Giuseppe Verdi

Giuseppe Verdi

Macbeth

Don Carlo

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Martin Kušej

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung, Bühne, Kostüme und Lichtkonzept Jürgen Rose

Franco Vassallo, Ildebrando D'Arcangelo, Anna Netrebko, Selene Zanetti, Yusif Eyvazov, Dean Power, Kristof Klorek, Sean Michael Plumb, Milan Siljanov, Anna El-Khashem, Solist des Tölzer Knabenchors

Ildar Abdrazakov, Yonghoon Lee, Christian Gerhaher, Günther Groissböck, Peter Lobert, Tamara Wilson, Nadia Krasteva, Elsa Benoit, Galeano Salas, Golda Schultz, Christian Rieger, Andrea Borghini, Sean Michael Plumb, Kristof Klorek, Igor Tsarkov, Milan Siljanov

So Mi Di

18.12.16 21.12.16 27.12.16

18.00 Uhr 19.30 Uhr 19.00 Uhr

So Do So

15.01.17 19.01.17 22.01.17

16.00 Uhr 17.00 Uhr 16.00 Uhr

Wolfgang Amadeus Mozart

Die Zauberflöte Musikalische Leitung Constantin Trinks Inszenierung August Everding Stephen Milling, Pavol Breslik, Markus Eiche, Olga Pudova, Golda Schultz, Leah Gordon, Rachael Wilson, Okka von der Damerau, Alex Esposito, Paula Iancic, Matthew Grills, Scott MacAllister, Andreas Hörl, Wolfgang Grabow, Bernd Schmidt, Markus Baumeister, Walter von Hauff, Johannes Klama, Solisten des Tölzer Knabenchors Mi Fr So Mi

28.12.16 30.12.16 01.01.17 04.01.17

18.00 Uhr 19.00 Uhr 17.00 Uhr 18.00 Uhr

Miroslav Srnka

South Pole Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Hans Neuenfels Rolando Villazón, Tara Erraught, Dean Power, Kevin Conners, Matthew Grills, Joshua Owen Mills, Thomas Hampson, Mojca Erdmann, Tim Kuypers, John Carpenter, Christian Rieger, Sean Michael Plumb Mi Sa Mo

18.01.17 21.01.17 23.01.17

19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr

Partner der Uraufführungen der Bayerischen Staatsoper

Johann Strauß

Die Fledermaus Musikalische Leitung Kirill Petrenko Nach einer Inszenierung von Leander Haußmann Johannes Martin Kränzle, Elena Pankratova, Christian Rieger, Daniela Sindram, Edgaras Montvidas, Björn Bürger, Ulrich Reß, Anja-Nina Bahrmann, Cornelius Obonya, Eva Patricia Klosowski, Jurij Diez Sa Mo Do So

31.12.16 02.01.17 05.01.17 08.01.17

18.00 Uhr 18.00 Uhr 19.00 Uhr 17.00 Uhr

Modest Mussorgsky

Boris Godunow Musikalische Leitung Marko Letonja Inszenierung Calixto Bieito Dmitry Belosselskiy, Rachael Wilson, Anna El-Khashem, Heike Grötzinger, Maxim Paster, Markus Eiche, Maxim Kuzmin-Karavaev, Dmytro Popov, Vladimir Matorin, Ulrich Reß, Helena Zubanovich, Kevin Conners, Igor Tsarkov, Galeano Salas, Andreas Wolf, Christian Rieger Do So Mi

Georges Bizet

Carmen

26.01.17 29.01.17 01.02.17

20.00 Uhr 18.00 Uhr 20.00 Uhr

sponsored by

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Nach einer Produktion von Lina Wertmüller Andreas Wolf, Sean Michael Plumb, Brian Jagde, Vitaliy Bilyy, Matthew Grills, Dean Power, Elsa Benoit, Rachael Wilson, Anita Rachvelishvili, Genia Kühmeier Sa Di Fr

07.01.17 10.01.17 13.01.17

17.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr

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Richard Strauss

Der Rosenkavalier

Ballett

Musikalische Leitung Kirill Petrenko Nach einer Inszenierung von Otto Schenk Anne Schwanewilms, Günther Groissböck, Angela Brower, Markus Eiche, Hanna-Elisabeth Müller, Christiane Kohl, Ulrich Reß, Heike Grötzinger, Peter Lobert, Matthew Grills, Kevin Conners, Christian Rieger, Dean Power, Andrej Dunaev, Anna El-Khashem, Niamh O’Sullivan, Alyona Abramowa, Selene Zanetti, Joshua Owen Mills So Mi Sa

05.02.17 08.02.17 11.02.17

17.00 Uhr 18.00 Uhr 16.00 Uhr

Elektra

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester

Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht Herbert Wernicke Doris Soffel, Nina Stemme, Ricarda Merbeth, Ulrich Reß, Johan Reuter, Kristof Klorek, Alyona Abramowa, Paula Iancic, Matthew Grills, Peter Lobert, Helena Zubanovich, Okka von der Damerau, Rachael Wilson, Heike Grötzinger, Daniela Köhler, Golda Schultz 10.02.17 13.02.17 17.02.17

La Bayadère Musik Ludwig Minkus Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Richard Strauss

Fr Mo Fr

Marius Petipa / Patrice Bart

19.30 Uhr 19.30 Uhr 20.00 Uhr

Mi Sa

19.10.16 29.10.16

19.30 Uhr 19.30 Uhr

George Balanchine / Jerome Robbins / Aszure Barton

Sinfonie in C / In the Night / Adam is Musik Georges Bizet, Frédéric Chopin, Curtis Macdonald Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Di

01.11.16

19.30 Uhr

John Cranko

Romeo und Julia Musik Sergej Prokofjew Musikalische Leitung Robertas Šervenikas Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Sa Fr Sa Mo Fr Sa Fr

05.11.16 11.11.16 12.11.16 21.11.16 09.12.16 14.01.17 20.01.17

19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr

Peter Wright

Giselle Musik Adolphe Adam Musikalische Leitung Aivo Välja Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester

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Do Fr

24.11.16 25.11.16

19.30 Uhr 20.00 Uhr


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Yuri Grigorovich

Spartacus Musik Aram Chatschaturjan Musikalische Leitung Karen Durgaryan Do Fr So Do Di Fr Fr Mi

22.12.16 23.12.16 25.12.16 29.12.16 03.01.17 06.01.17 06.01.17 11.01.17

19.00 Uhr Premiere 19.00 Uhr 18.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 14.30 Uhr 19.30 Uhr 19.00 Uhr

Orchester 2. Akademiekonzert Luigi Nono / Joseph Haydn / Igor Strawinsky / Luciano Berio / Gioachino Rossini Musikalische Leitung und Sopran Barbara Hannigan Mo Di

24.10.16 25.10.16

20.00 Uhr 20.00 Uhr

Gala mit Stars des Bayerischen Staatsballetts

2. Kammerkonzert

Do Fr So

So

12.01.17 13.01.17 15.01.17

20.00 Uhr Prinzregententheater 19.30 Uhr Prinzregententheater 18.00 Uhr Prinzregententheater ­ auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv

Frederick Ashton

Musik Ferdinand Hérold, arrangiert von John Lanchbery Musikalische Leitung Myron Romanul 24.01.17 27.01.17 28.01.17 03.02.17 04.02.17 07.02.17

13.11.16

11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

3. Akademiekonzert Robert Schumann / Béla Bartók / Claude Debussy

La Fille mal gardée Di Fr Sa Fr Sa Di

Sergej Rachmaninow / Dmitri Schostakowitsch / Peter I. Tschaikowsky

19.30 Uhr 19.30 Uhr 18.00 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr 19.30 Uhr

Musikalische Leitung Heinz Holliger Violine Veronika Eberle Mo Di

05.12.16 06.12.16

20.00 Uhr 20.00 Uhr

Weihnachten mit OperaBrass Sa

10.12.16

20.00 Uhr St. Michael

3. Kammerkonzert Gioachino Rossini / Giuseppe Maria Cambini / Wolfgang Amadeus Mozart So

15.01.17

11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Themenkonzerte Zum Spielzeit-Thema „Was folgt“ Ein Projekt mit Konzerten und Vorträgen in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft Fr Sa Di Fr Sa

27.01.17 28.01.17 31.01.17 03.02.17 04.02.17

19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr 19.00 Uhr

Max-Planck-Haus am Hofgarten * * * *

* Die Veranstaltungsorte werden noch bekannt gegeben.

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DIE KUNST IST ES, DIE DINGE AUCH MAL ANDERS ZU SEHEN

Fachübergreifendes Denken und interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Bereichen Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Family Office charakterisieren den Beratungsansatz der Münchner Kanzlei am Siegestor.

PETERS, SCHÖNBERGER & PARTNER RECHTSANWÄLTE WIRTSCHAFTSPRÜFER STEUERBERATER

Schackstraße 2, 80539 München Tel.: +49 89 38172- 0 psp@psp.eu, www.psp.eu

Als Mitglied des Classic Circle unterstützt PSP seit 2005 die Bayerische Staatsoper.


Liederabende

Campus

Porträtkonzerte des Opernstudios

Sitzkissenkonzerte

Paula Iancic / Milan Siljanov

Oskar und der sehr hungrige Drache

Fr

28.10.16

19.30 Uhr

Künstlerhaus

Sa Sa

22.10.16 29.10.16

14.30 Uhr Parkett, Garderobe 14.30 Uhr Parkett, Garderobe

Alyona Abramowa / Galeano Salas Der Nussknacker Fr

09.12.16

19.30 Uhr

Künstlerhaus Sa Sa

19.11.16 26.11.16

14.30 Uhr Parkett, Garderobe 14.30 Uhr Parkett, Garderobe

Anna El-Khashem / Joshua Owen Mills Fr

10.02.17

19.30 Uhr

Künstlerhaus

Oh, du lieber Augustin Sa Sa

28.01.17 04.02.17

14.30 Uhr Parkett, Garderobe 14.30 Uhr Parkett, Garderobe

Arienabend Das neue Opernstudio stellt sich vor. Sa

05.11.16

20.00 Uhr

Cuvilliés-Theater

ATTACCA-Konzert Musikalische Leitung Allan Bergius Violine Luis Vandory

Ensemble-Liederabend

Mi

16.11.16

20.00 Uhr Prinzregententheater

Goran Jurić Mi

12.10.16

20.00 Uhr

Wernicke-Saal

Elsa Benoit / Rachael Wilson Mo

14.11.16

20.00 Uhr

Wernicke-Saal

14.02.17

Fr 25.11.16

20.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Hauptsponsor der Orchesterakademie

Tara Erraught Di

1. Kammerkonzert der Orchesterakademie

20.00 Uhr

Wernicke-Saal

SpielOper L‘elisir d‘amore Sa

26.11.16

10.00 Uhr

Große Probebühne

03.12.16 04.12.16 10.12.16

10.00 Uhr 11.00 Uhr 10.00 Uhr

Große Probebühne Große Probebühne Große Probebühne

Die Zauberflöte So 11.12.16 Sa 17.12.16 So 18.12.16

11.00 Uhr 10.00 Uhr 11.00 Uhr

Große Probebühne Große Probebühne Große Probebühne

Hänsel und Gretel Sa So Sa

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Könnte Ihr Wein wählen – dann Riedel! A - 6330 KUFSTEIN • TIROL • WEISSACHSTRASSE 28

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Extra

SpielBallett Tanzen kann wie Fußball sein Sa Sa

03.12.16 10.12.16

14.00 Uhr 14.00 Uhr

Ballett-Probenhaus Platzl 7   für Mädchen Ballett-Probenhaus Platzl 7   für Jungen

Hommage an Fritz Wunderlich Anlässlich des 50. Todestages

Igor Strawinsky / Béla Kovács / Isang Yun / Bertold Hummel / Jörg Widmann u.a.

So

30.10.16

12.30 Uhr

Königssaal, Nationaltheater

Der Rattenfänger Do Sa Sa So

08.12.16 10.12.16 10.12.16 11.12.16

14.30 Uhr 11.00 Uhr 14.30 Uhr 14.30 Uhr

Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal

Eine Produktion der Internationalen Stiftung Mozarteum in Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper

Montagsrunde La Favorite Mo

14.11.16

20.00 Uhr

Capriccio-Saal

Lady Macbeth von Mzensk Mo

12.12.16

20.00 Uhr

Capriccio-Saal

Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung / Junior Company So So

27.11.16 04.12.16

11.00 Uhr 11.00 Uhr

Operndialog La Favorite So Mo

06.11.16 07.11.16

10.00 Uhr 10.00 Uhr

Teil 1 Teil 2

Capriccio-Saal Capriccio-Saal

Teil 1 Teil 2

Capriccio-Saal Capriccio-Saal

Lady Macbeth von Mzensk So Mo

04.12.16 05.12.16

10.00 Uhr 16.00 Uhr

Premierenmatinee Lady Macbeth von Mzensk So

20.11.16

11.00 Uhr

Semiramide So

29.01.17

11.00 Uhr

Ballett extra Proben zur Premiere Spartacus Fr 16.12.16

100

20.00 Uhr

Ballett-Probenhaus Platzl 7


Richard Wagner Die Meistersinger von Nürnberg

TV

ErlEbEn SiE auSgEwähltE OpErn- und ballEttaufführungEn livE und KOStEnlOS bEQuEM vOn Zu hauSE auf www.StaatSOpEr.dE /tv

Sa, 8. Oktober 2016 Richard Wagner Die Meistersinger von Nürnberg So, 6. november 2016 Gaetano Donizetti La Favorite So, 4. dezember 2016 Dmitri Schostakowitsch Lady Macbeth von Mzensk die termine für 2017 werden noch bekannt gegeben: www.staatsoper.de/tv

2016

2017


Was folgt … Wie die Zahnräder eines Schweizer Uhrwerks müssen bei einer Opernaufführung die Abläufe ineinandergreifen, damit das Werk gelingt. In dieser Spielzeit blickt MAX JOSEPH auf einzelne Abläufe in diesem Räderwerk, die dem Zuschauer sonst verborgen bleiben.

Im Nationaltheater dauert es für gewöhnlich einige Zeit, bis sich der zweiteilige, 400 Kilogramm schwere Schmuckvorhang mit den 120 Goldquasten endgültig schließt – in elegantem Faltenwurf, angetrieben von einem Elektromotor. Nach einem Augenblick, der manchem wie eine Ewigkeit vorkommt, setzt der Applaus des Publikums ein, der jenseits des dicken Vorhangstoffs klingt wie ein dumpfes Prasseln. Das Klatschen ist der eigentliche Schlussakkord der Vorstellung – es bestimmt, wie oft die Künstler sich verbeugen. Voller Erschöpfung und teilweise in höchst emotionalen Gefühlszuständen formieren sich die Sängerinnen und Sänger unter Anweisung der Abendspielleitung für den Schluss­ applaus, und die einstudierte Applausordnung beginnt. An der Vorstellung beteiligte Statisten halten den Vorhang, damit die Künstler genügend Platz auf der Vorderbühne haben. Zeitgleich beginnt sich auf der Hinterbühne die große Opern-Illusion nun in rasantem Tempo aufzulösen. Im Rücken der Künstler scheint grelles Arbeitslicht. Oft werden mit einzelnen Beteiligten auch gleich mögliche Fehler geklärt und besprochen, was bei der nächsten Vorstellung besser funktionieren muss. Die Requisiteure sammeln die Requisiten ein und bestimmen dabei, was für die kommende Vorstellung neu besorgt werden muss. Ein Tross schwarz gekleideter Bühnentechniker filetiert binnen kürzester Zeit die oft meterhohen Kulissenbauten. Offene Gitterboxen in Containergröße, speziell für die Staatsoper angefertigt, stehen aufnahmebereit. Wurde von einer Serie die letzte Vorstellung gespielt, so werden die Bühnenelemente in den Containern auf Lkw verladen und ins riesige Magazin nach Poing im Münchner Umland transportiert. In der Regel stehen vier bis fünf Opern parallel auf dem Spielplan. Ihre Kulissen bleiben

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im Haus, werden zerlegt und auf die Neben- und Hinterbühnen verschoben. Die Beleuchtungstechniker demontieren Scheinwerfer und ziehen Kabel aus dem wirren Dickicht des Beleuchtungsapparates weit oben unter dem Schnürboden. Der Bühnenmeister trägt die Verantwortung dafür, dass die 800 Quadratmeter der Hauptbühne für die nächste Vormittagsprobe oder Vorstellung bereit sind. Allmählich wird es stiller auf der Bühne. Die Künstler begeben sich zum Abschminken und Duschen in ihre Garderoben. Orchestermusiker und Choristen begeben sich oft direkt nach Hause und sitzen dann mit Zuschauern in der gleichen S-Bahn. Die Inspizientin schaltet die leuchtenden Knöpfe ihres Pults ab und die Monitore, die ihr während der Vorstellung unterschiedliche Perspektiven gezeigt haben, verwandeln sich in Black Screens. Die Abendspielleitung eilt in ihr Büro und schreibt den Vorstellungsbericht. Zuletzt wischt noch ein Trupp von der Bühnenreinigung die letzten Spuren der Aufführung fort. Und auch im Opernhaus kehrt langsam Ruhe ein. Die Garderobieren haben alle Jacken und Mäntel ausgehändigt und die silbernen Marken schaukeln wieder an den leeren Haken. Auch für das Einlasspersonal in den Foyers ist der Abend nun beendet. Der Vorderhauschef, ein Mann mit vielen Schlüsseln, sorgt dafür, dass dort alles seine Ordnung hat. Aber noch nicht alle Stecker sind gezogen. Der tonnenschwere eiserne Vorhang zwischen Bühnen- und Zuschauerraum, der im Brandfall ein Übergreifen des Feuers verhindert, muss erst auf dem Boden einrasten. Mit diesem ­Geräusch scheint der Abend endgültig beendet. Nur ein Licht brennt noch – in der Pförtnerloge, die 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr besetzt ist. ~­BS/SV


Fotografie Wilfried Hösl

… wenn der Vorhang fällt?

Als ob zwei Sphären hintereinander existierten: Der Abbau der Kulissen beginnt unmittelbar nachdem der Vorhang gefallen ist – hier zu sehen nach einer Vorstellung von Giuseppe Verdis Un ballo in maschera mit Anja Harteros (3.v.r.).

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Illustration Sany

Was folgt für Andrea Chénier? Früher für seine adelskritischen Werke von den Revolutionären gefeiert, steht er nun im Verdacht, die Ideen der Revolution nicht mehr zu vertreten. Spione des Revolutionstribunals haben ihn im Visier, sein Freund Roucher rät ihm zur Flucht, doch Andrea zögert: Die Liebesbriefe einer Unbekannten verlocken ihn zum Bleiben. Wird Andrea seinem Herzen folgen oder seinem Verstand?

Die Auflösung ab 26.01.2017 in MAX JOSEPH 2 2016–17.

Außerdem in der nächsten Ausgabe von MAX JOSEPH: Durch Pesaro mit Michele Mariotti – Premiere Semiramide Was folgt bei Ihnen, Conchita Wurst?


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