MAX JOSEPH 3/2019 | Umbrüche

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ZWEI HERZEN. EINE LIEBE. „Dies ist kein Ring, sondern eine der schönsten Liebeserklärungen der Welt. Für Dich sind es feinste Brillanten – für mich sind es Glücksmomente. Für Dich ist es Goldschmiedekunst in ihrer höchsten Form – für mich ist es die schönste Liebeserklärung, die es gibt.“ Der drehbare Wellendorff-Ring ZWEI HERZEN. EINE LIEBE. – der lebendigste Ring.

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Alles Edi was to recht r ist: ial Umb rĂźch e 2


„ Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘ sagte Herr K. und erbleichte.“ Es gibt ein Sprichwort, das einen der fundamentalen Grundsätze des Rechtsstaates auf den Punkt bringt: „Was Recht ist, muss Recht bleiben.“ Aber bei allem, was recht ist: Wie jedes Prinzip braucht auch dieses seinen Widerpart. Was Herrn K. aus Bertolt Brechts Parabeln da eingangs so erblassen lässt, ist nämlich dasselbe, was Liedermacher Wolf Biermann zu der Zeile veranlasste: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Es impliziert: die Angst vor dem Stillstand, wenn zementierte Strukturen nicht mehr einfach nur öde sind, sondern bedrohlich werden. Der Brecht-Schüler und DDR-Kritiker Biermann hatte diese Zeile, wie so viele, dem Volksmund abgelauscht, nach jenem großen Umbruch, den die Bundesrepublik heute „Wende“ nennt. Mit ihr stürzten Umstände und Überzeugungen ein, die vielen als unveränderlich galten. Auf einmal war Unrecht, was zuvor als rechtens anerkannt worden war – und umgekehrt. Und bei allem, was recht ist: Solche Momente stellen eine Gesellschaft vor Herausforderungen, die leicht auch zur Zerreißprobe werden können. Nachdem wir uns dem Skandal gewidmet haben, der eine Rechtsordnung erschüttern (oder auch wachrütteln) kann, und der Verfassung, die jede stabile Staatsform als Fundament braucht, steht in der dritten Ausgabe von Max Joseph der Umbruch im Fokus. Der Philosoph Wolfram Eilenberger geht ihm in seinem Eröffnungsessay auf den Grund und beruhigt uns erst einmal. Denn Umbrüche, zeigt er, waren schon immer. Die Menschheit unterliegt dem steten Wandel, zu dem nun mal Reform und Revolution dazugehören. Keine Panik also – Umbruch heißt nicht zwingend radikale Kehrtwende, er bietet vor allem auch: Chancen. Und

die werden besonders interessant, wenn wir Neuland betreten, wie jenes, das die Digitalisierung in der Arbeitswelt vor uns ausbreitet (S. 56) oder der Brexit in der Kulturlandschaft Großbritanniens (S. 70). Die beiden Neuproduktionen von Alceste und Mavra / Iolanta stehen dabei im Zentrum unserer Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Dirigent Antonello Manacorda erläutert im Interview, wie der Komponist Christoph Willibald Gluck die Kunstform Oper abgestaubt, aufgefrischt und auf neue Gleise gesetzt hat, während der Tenor Charles Castronovo über die Modernisierung von männlichen und weiblichen Rollenbildern auf (und neben) der Bühne spricht. Ob es die Mauer noch gibt, vor allem die in den Köpfen, das fragen sich Dirigentin Alevtina Ioffe und Regisseur Axel Ranisch, die zwei russische Opern miteinander verbinden und mit dem Opernstudio auf die Bühne des Cuvilliés-Theaters bringen. Die Mitglieder des Opernstudios haben wir vor diesem Hintergrund nach den umwälzenden Schlüsselmomenten ihrer jungen Karriere gefragt – und sehr persönliche Antworten erhalten. Der Weg von Alt nach Neu ist das, was alle Geschichten in dieser Ausgabe verbindet. Dabei muss es nicht immer eine allumfassende Spurensuche sein wie die, die Melanie Unseld an den Künstlerbiographien der Komponisten im Programm der kommenden Akademiekonzerte herausarbeitet. Manchmal genügt schon ein kleines Schreckgespenst für den großen Wandel, so beschreibt es der Filmemacher Oskar Roehler in seiner Geschichte. Was ein leeres Blatt Papier alles anzurichten vermag? Lesen Sie selbst.

ikolaus Bachler, N Intendant der Bayerischen Staatsoper

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A M Joseph X

Inhalt

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

8 Contributors / Impressum

3 Editorial Von Nikolaus Bachler

10 Umbru(e)ch(e)2 = Disruption(en) Gestaltet von Andreas Neumeister 14 An der Schwelle Ein Essay von Wolfram Eilenberger über das flüchtige Wesen unserer Gegenwart

Spielzeit 2018 / 19

Illustration Bureau Borsche

ALLES WAS RECHT IST № 3: Umbrüche

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Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

36 Das weiße Blatt Papier Über die entsetzliche Angst vor dem ersten Wort – von Oskar Roehler

Illustration Benedikt Luft

A   lles M Joseph X was recht ist: Umb rüch e

30 „Die Mauer gibt es noch – und sie ist dicker geworden“ ⁂ Zur Premiere von Mavra / Iolanta sprechen Dirigentin Alevtina Ioffe und Regisseur Axel Ranisch über Persönliches und Politisches in ihrer Kunst

Cover Bureau Borsche

BAYERISCHE STAATSOPER 2018 / 19

MAX JOSEPH

24 Der Riss in mir ⁂ Der Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui inszeniert Alceste. Ein persönliches Porträt

⁂ Zur Premiere


78 „Männer und Frauen waren schon immer ebenbürtig“ ⁂ Im Interview spricht Alceste-Tenor Charles Castronovo über männliche Wut und weibliche Helden

Foto Julian Baumann

40 Wende, Wandel, Weitblick ⁂ Die Mitglieder des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper erzählen von ihren Wendepunkten

Plakat Wolfgang Tillmans

Foto Steffen Roth

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Hallo, Neuland! Vom digitalen Umbruch zum gesellschaftlichen Aufbruch. Überlegungen von Andreas Boes und Tobias Kämpf

60 Ein Leben in Bruchstücken Melanie Unseld wirft einen Blick auf die Komponistenbiographien der kommenden Akademiekonzerte 66

„Die Liebe ist die einzige Waffe, die wir gegen den Tod haben“ ⁂ Antonello Manacorda dirigiert Christoph Willibald Gluck – so wenig wie möglich

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Das hat alles keinen Sinn, aber einen Zweck Warum mit dem Brexit ganz Europa eine radikale Zäsur bevorsteht. Eine Wutschrift von A. L. Kennedy

Say you’re in if you’re in. It’s a question of where you feel you belong. We are the European family. Vote Remain on 23rd June.

Wolfgang Tillmans Between Bridges

82 Bitte nicht quetschen! Ein typografischer Werkstattbericht von Friedrich Forssman 84 Corpus Delicti Darf ein tanzender Körper über sich selbst bestimmen? Antworten von Arnd Wesemann 88 Vom Wert der Vergänglichkeit Wie ein Stammhirninfarkt das Leben neu ordnen kann. Eine Reportage von Jörg Böckem

Agenda 94 ALLES WAS RECHT IST: Tot ist nicht gleich tot Folge 3 der Rechtskolumne von Andreas Spickhoff 96 Spielplan 104 Vorschau

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Erleben Sie Argon. In einer glanzvollen Inszenierung von Linde. Welches Aussehen hätten Gase, wenn sie sichtbar wären? Und wie würden sie klingen? Wir wollten es wissen und haben typische physikalische Eigenschaften wie Elektronenzahl oder Siedepunkt in Töne und Farben gekleidet. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir begleiten die Bayerische Staatsoper im Rahmen unseres Kulturengagements als Spielzeitpartner.

Spielzeitpartner 2019/2020


Ar Argon


Impressum

Wolfram Eilenberger Seite 14

Max Joseph

Eine Phänomenologie des Umbruchs hat der Philosoph und Publizist Wolfram

www.staatsoper.de/maxjoseph

Eilenberger in seinem Essay für Max Joseph entwickelt. Dem Autor

Max-Joseph-Platz 2, 80539 München

geht es in seinen Arbeiten um die Anwendung philosophischer Erkenntnisse

T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23

auf aktuelle Fragen aus Politik und Kultur. Sein Buch Zeit der Zauberer

maxjoseph@staatsoper.de, www.staatsoper.de

Magazin der Bayerischen Staatsoper

(2018) wurde mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet. Er ist Mitglied der Programmleitung des Festivals phil.cologne, moderiert die Sendung

Herausgeber Staatsintendant

„Sternstunde Philosophie“ (SFR) und besitzt eine DFB-Trainerlizenz.

Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.)

Foto: Annette Hauschild

Contributors

Redaktionsleitung Verena Hein (komm.),

Die Kostbarkeit von Bruchstellen als wiederkehrendes Motiv in den Arbeiten Sidi Larbi Cherkaouis – das beschreibt die französisch-indische Schriftstellerin Karthika Naïr in ihrem einfühlsamen Porträt über den Choreographen und Tänzer. Von Naïr erschien zuletzt der Gedichtband Until the Lions: Echoes from the Mahabharata (2015), die Neuinterpretation eines altindischen Epos. Naïr arbeitet zudem als Tanzproduzentin und ist Mitbegründerin von Cherkaouis Compagnie Eastman.

Sarah-Maria Deckert Chef vom Dienst Christoph Koch Redaktion Lukas Leipfinger, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Benedikt Stampfli, Nikolaus Stenitzer, Sabine Voß Bildredaktion Verena Hein

Foto: Koen Broos

Karthika Naїr Seite 24

Schlussredaktion Katja Strube Gestaltung Bureau Borsche – Mirko Borsche, Umbrüche sind ein Leitmotiv von Filmemacher und Schriftsteller Oskar

Moritz Fuhrmann, Robert Gutmann,

Roehler. „Wer keine bösen Geister in sich hat, kann keine gute Kunst

Raphael Kormann, Katharina Neidl

machen“, sagt er. Von dem, wozu einen die bösen Geister treiben, muss man sich immer wieder trennen. „Man muss besessen sein von einer

Autoren Franziska Betz, Jörg Böckem,

Sache“, sonst lässt sie sich nicht verwirklichen. Von diesem Hin und Her

Andreas Boes, Sophie Diesselhorst,

zwischen den Extremen berichtet sein neues Buch Mangel, das 2020 bei

Wolfram Eilenberger, Friedrich Forssman,

Ullstein erscheinen soll; sein Text ist der Vorabdruck eines Auszugs davon.

Tobias Kämpf, A. L. Kennedy, Karthika Naïr,

Foto: Gerald von Foris

Oskar Roehler Seite 36

Jürgen Otten, Rebecca Schmid, Julian Baumann­ Seite 40 „Sonne lacht – Blende acht“ – ein Motto des Münchner Porträt- und Reportage­ fotografen Julian Baumann. Die Mitglieder des Opernstudios lichtete er auf einer Baustelle ab, denn hier geht es um den Aufbau von Karrieren. Baumann fotografiert gern draußen, digital und in Farbe. Er wurde u. a. mit dem Lead Award (2009) ausgezeichnet und arbeitet für die Münchner Kammerspiele und das Residenztheater. Seine Fotografien erscheinen etwa in Die Zeit, 11 Freunde, Brand eins und im SZ Magazin.

Oskar Roehler, Andreas Spickhoff, Melanie Unseld, Arnd Wesemann Fotografen & Bildende Künstler Julian Baumann, Lola Dupré, Jan-Jan Van Essche, Yvonne Gebauer, Benedikt Luft, Andreas Neumeister, Julia Peirone, Steffen Roth, Stephanie Steinkopf, Kati Szilágy, Wolfgang Tillmans, Thu Van Tran Marketing Laura Schieferle

Komponistenleben sind von Umbrüchen bestimmt. Mit ihren Illustrationen öffnet Yvonne Gebauer den Blick auf innere Zerrissenheiten, Träume und Lebenswege – eine visuelle Übersetzung von Melanie Unselds Betrachtungen. Die Künstlerin arbeitet seit 1995 als freie Dramaturgin u. a. mit den Regisseuren Hans Neuenfels, Christof Loy und Claus Guth. Ihre Mixed-Media-Collagen zeigte sie bereits in Galerien in Wien und Paris sowie

T 089 – 21 85 10 27 F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de Anzeigenleitung Karla Hirsch T 089 – 21 85 10 39 karla.hirsch@staatsoper.de Lithografie MXM Digital Service, München

zuletzt in der Galerie Sur la Montagne in Berlin.

Druck und Herstellung

A. L. Kennedy Seite 70

Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.

Gotteswinter und Aumaier GmbH, München

Für die Originalbeiträge und Originalbilder Alison Louise (A. L.) Kennedy gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen

alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu

britischen Autorinnen. In ihrem aktuellen Roman Süßer Ernst (2018), der

erreichen waren, werden zwecks nachträgli-

bei Hanser erschien, nimmt die Schottin die Zerrüttungen der britischen

cher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Verhältnisse scharf ins Visier. In Max Joseph wendet sie sich in einer

Max Joseph wird auf Bio Top Naturpapier

Brexit-Wutrede an die europäische Öffentlichkeit. Sie wurde u. a. mit dem

gedruckt.

Heinrich-Heine-Preis (2016) geehrt, unterrichtet kreatives Schreiben an der University of Warwick und tritt als Stand-up-Comedian auf.

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ISSN 1867-3260

Foto: Peter-Andreas Hassiepen

Yvonne Gebauer Seite 60


OPER a u f B R-K L AS S I K

Oper

Con passione

Samstags, 19.05 Uhr

Montags, 19.05 – 20.00 Uhr

Gesamtaufnahmen

br-klassik.de

Legendäre Sängerstars

facebook.com/brklassik

Oper – live im Radio

Highlights weltweit


Umbru(e)ch(e)2 = Disruption(en)

Glossar/glossary: advertorial Afropolitan Alterspubertät askhole Aufregungseskalation ballistisches Kino Blasentausch bluejacking bossing brexeat Bruttonationalglück compassionate conservatism confrotainment controllerism creative sentencing cruci-fiction curated shopping dark map datatainment degrowth digitaler Maoismus donut effect drive-by-pharming Ecopop Eurosion extralegal killing face swap

Helikopte

do Wie viele Begriffe, die der Schriftsteller und bildende Künstler Andreas Neumeister für sein Eröffnungsbild gewählt hat, ist „Disruption“ ein Anglizismus. Solche Übernahmen aus anderen Sprachen sowie echte Wortneuschöpfungen bezeichnen in der Regel einen Zustand oder ein Ereignis, für das es bisher noch keinen Ausdruck gab. Oft geht es dabei um Momente des radikalen Umbruchs – hier in Wort und Bild –, die gesellschaftliche Entwicklungen besonders treffend beschreiben.

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Von Andreas Neumeister


factoid Schmunzelkrimi factoid fashy Schurkenstadt fashy feel good activism self-gifting feel good activism food porn shaming food porn frankenfood smartment frankenfood Friedenserzwingung smart mob Friedenserzwingung gamification smart power gamification glamping smile design glamping globish Soft-news-Kompetenz globish googlability Staatsdoping googlability Happy Planet Index supertarget Happy Planet Index Hardcorism Trucknology Hardcorism Helikoptergeld truthiness Helikoptergeld humit Turbofolk humit Ibster underground banking Ibster in-betweenness unemploymentality in-betweenness infomercial Verantwortungsmikado infomercial infopinion virtual terraforming infopinion islamicity vorbeugender Journalismusislamicity killology Wahrheitsstau killology Konsensoptimierung Weltregie Krypto-Winter Krypto-Winter Zwei-Dosen-Regel Last Thursdayism Last Thursdayism advertorial lazy gardening lazy gardening Afropolitan love bombing love bombing Alterspubertät love jihad love jihad Aufregungseskalation Luxese Luxese ballistisches Kino lösungsorientiertes Denken lösungsorientiertes DenkenBlasentausch Medienambulanz Medienambulanz bluejacking Mensch-zu-Mensch-Bankin Mensch-zu-Mensch-Banking bossing militainment militainment brexeat moralische Wellness moralische Wellness Bruttonationalglück mouse-holing mouse-holing compassionate conservatism native advertising native advertising confrotainment Negativnutzen Negativnutzen controllerism New Complexity New Complexity creative sentencing Newropa Newropa cruci-fiction non-target non-target curated shopping nonkilling nonkilling dark map out-fox out-fox datatainment overtourism overtourism degrowth political cheerleading political cheerleading digitaler Maoismus power-knowledge power-knowledge donut effect Pradarchitecture Pradarchitecture drive-by-pharming Racheporno Racheporno Ecopop Respekt-Rente Respekt-Rente Eurosion RIP-storm RIP-storm extralegal killing Scharia fund

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Schmunzelk

infopini

Advertorial


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Modern sein heißt, im Umbruch zu sein. Egal ob Digitalisierung, Flüchtlingskrise oder Emanzipation, die Umbrüche in unserer Gesellschaft bergen ein erhebliches Krisenpotenzial – vor allem aber auch: riesige Chancen. Text Wolfram Eilenberger

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Was Ihre Firma, die globale Filmindustrie, der FC Bayern München, die Europäische Union, der pubertierende Nachbarssohn sowie die deutsche Schrebergartenkultur im Jahre 2019 gemeinsam haben? Sie ahnen es: Alle stehen derzeit, wie man so schön sagt, vor einem „Umbruch“. Tatsächlich dürfte es auf dieser schönen Welt derzeit keinen einzigen größeren sozialen Zusammenhang geben – sei er nun wirtschaftlich, wissenschaftlich oder kulturell bestimmt –, von dem sich nicht mit hinreichender Gewähr behaupten ließe, er oder sie befinde sich „im Umbruch“. Die Zwischenbefindlichkeit des Umbruchs darf mithin als der eigent­liche Seinszustand moderner Entitäten festgehalten werden. Und das seit mindestens 250 Jahren. Modern sein heißt zunächst und vor allem: im Umbruch sein. Wesen der Zeit In einer ersten Näherung mag der Umbruch als ein moderierender Zwischenbegriff gefasst werden, der falsche Stagnationshoffnungen ebenso deutlich ausschließt, wie er sich vom revolutionären Schrecken des absoluten Neuanfangs und damit Kontinuitätsbruchs distanziert. Der Umbruch vermittelt zwischen Übergang und Abbruch. Womöglich am klarsten zu sehen am Beispiel eines Seitenumbruchs – also eines Ereignisses, das einerseits eine klar spürbare Unterbrechung des Leseprozesses benennt, als solches aber bereits das Ziel der unmittel­baren, inhaltlich getragenen Wiederaufnahme des Gelesenen in sich trägt. Wer den Umbruch einzuleiten oder gar zu gestalten gedenkt (fragen Sie nur einmal FC-Bayern-­Sportdirektor Hasan Salihamidžić oder am besten gleich Präsident Uli Hoeneß), will gerade eines nicht: den totalen Bruch mit der Vergangenheit. Phänomenologisch gesehen ist der Umbruch daher aufs Engste mit dem Zeitempfinden selbst verknüpft, weiß er sich doch vom Einfluss des bereits Vergangenen ebenso entscheidend geprägt wie von dem aktiven Vorgriff auf ein noch zu Erwirkendes: Der Umbruch tritt hier geradezu als Wesen des Gegenwärtigen selbst hervor.

Die entscheidende Frage lautet nicht, ob der Umbruch kommt, sondern einzig und allein, wie man sich zu ihm stellt. In der Krise Gerade für menschliche Zusammenhänge eignet dem Eingeständnis, dass es nicht so bleiben kann und wird, wie es ist, indes immer ein Moment des Krisenhaften. Weshalb eine Umbruchsphase bereits umgangssprachlich eng mit dem Eindruck einer Krise einhergeht. Wer in der Krise steckt, bedarf eines Umbruchs. Und wer eines Umbruchs bedarf, erfährt sich in einer kritischen Situation. Das mag zunächst schlicht daran liegen, dass der Endpunkt eines Umbruchs wesensgemäß in der Zukunft liegt – die Zukunft aber wesensgemäß offen ist. Als geplante Vollzüge tragen Umbrüche, mit anderen Worten, stets ein erhebliches Risiko des Scheiterns, gar Chaospotenzial in sich. Dieses Risiko steigert sich noch einmal beträchtlich, sollte sich der Umbruch ohne Plan oder erfasstes Ziel einfach aus der Dynamik der Zeit selbst heraus ereignen. Die entscheidende Frage lautet also nicht (wie Ihnen jede/r Unternehmensberater*in sofort bestätigen wird), ob der Umbruch kommt, sondern einzig und allein, wie man sich zu ihm stellt. Man denke nur an die Digitalisierung. Wie jede Krise birgt der Umbruch also erhebliches Gefahrenpotenzial, vor allem aber – schließlich leben wir in einem von Optimismusverbindlichkeiten, also kapitalistisch geprägten System – riesige Chancen und Möglichkeiten. Das präferierte Maßnahmenpaket, diese Umbruchspoten­ziale freizulegen, ist dabei die Reform (also gerade nicht die Revolution).

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Wie der Name schon sagt, strebt die „Re-Form“ eine Modifikation bereits bestehender Strukturen an, wohingegen die Revolution das herrschende Formgestell als Ganzes zu überkommen sucht. Krise – Umbruch – Reform, das wäre sie also, die begriffliche Trinität, die den modernen, säkularen Menschen in seinen Vollzügen stets zuverlässig bestimmt und orientiert – oder auch desorientiert.

Durch Ozeandampfer, Zeppeline und bald auch Flugzeuge rückten selbst fremdeste Völker und Kulturen näher aneinander. An der Schwelle Die Lakonie des bisherigen Befunds schließt nicht aus, dass es sich bei gewissen gesellschaftlichen Konstellationen um besonders intensiv erfahrene und damit auch angstbelegte Phasen des Umbruchs handeln mag. Nicht zu jeder historischen Zeit ist der Transformationsdruck gleich hoch und drängend. Phasen eminenter und weitgreifender Umbrüche werden in der Rückschau gängig als „Epochenschwelle“ (Hans Blumenberg) oder auch „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) bezeichnet. Wie etwa die Phase um das Jahr 1800, in der die Dynamisierungskräfte des Kapitalismus (Individualisierung, Ständeauflösung, funktionale Ausdifferenzierung) lebensweltlich besonders spürbar wurden. Oder auch die Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen sowohl ästhetisch wie medial die Grundlagen für ein bis ins 21. Jahrhundert währendes, insbesondere metropolitanes Weltempfinden neu gelegt wurden. Gerade die Konstellation der heute mythisch verklärten „Goldenen Zwanziger“ scheint dabei wesentliche Merkmale mit dem tiefen Umbruchsbewusstsein unserer Gegenwart zu teilen. Wie in den Zwanziger Jahren? Schematisch gesprochen zeichneten sich die kriegstraumatisierten Zwanziger Jahre in Zentraleuropa durch ein dreifaltiges Umbruchsgeschehen aus. Zum einen waren sie, nicht zuletzt aufgrund medialer Innovationen (Radio, Telefon, Explosion des Zeitungswesens) von einem desorientierenden Gefühl der Informationsbeschleunigung geprägt, das mit einem tiefen Misstrauen hinsichtlich der Verlässlichkeit zirkulierender Faktenbehauptungen einherging. Also etwas, das heute unter dem Schlagwort der „Fake News“ ebenfalls als Folge neuer medialer Konstellationen thematisiert wird. Zweitens zeichnete sich diese Phase durch einen merklichen Globalisierungsschub in Handel und Tourismus aus. Durch Ozeandampfer, Zeppeline und bald auch Flugzeuge rückten selbst fremdeste Völker und Kulturen näher und näher aneinander. Die Welt war, mit Nietzsche gesprochen, klein geworden, und der Mensch „hüpft wie ein Floh“ von Kontinent zu Kontinent. Zu dem zeittypischen Gefühl der Beschleunigung trat also das einer Verdichtung des Raumes – die nicht zuletzt zur Schaffung erster wahrhaft globaler politischer Institutionen führte wie etwa dem Völkerbund. Drittens gingen die Demokratisierungs- und Emanzipationsschübe dieser Zeit gerade im deutschsprachigen Raum mit einer besonderen Fragilität der parlamentarischen Demokratien einher – deren Vollzüge und deren Bestand sich von links wie rechts enormen Destabilisierungsversuchen ausgesetzt sahen.

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Desorientierende Beschleunigung, angstbelegte Verdichtung, politische Fragilität – mit diesen Beschreibungskategorien scheinen auch wesentliche Aspekte des heutigen Umbruchsbewusstseins erfasst. Was gegen Ende der Zwanziger Jahre hinzutrat, war eine tiefe Wirtschaftskrise, die schließlich dazu führte, dass es anstatt eines sich selbst in die Zukunft tragenden Reformismus tatsächlich zu einem Kollaps des Systems und schließlich zu dem kam, was in Deutschland nicht ohne Grund als „Zivilisationsbruch“ bezeichnet wird.

Menschen im Umbruch Bei gemäßer Distanznahme von den Aufgeregtheiten des Tages mag indes hervortreten, dass die eigentlichen Umbruchsfragen gerade unserer Zeit nicht etwa ins Zentrum der politischen Existenz, sondern vielmehr unserer Daseinsvoraussetzungen schlechthin zielen. Mit den absehbaren Fortschritten der sogenannten Künstlichen Intelligenz und den sich rasant konkretisierenden Möglichkeiten, gestaltend in das Genom des Menschen und damit die eigentlichen Fundamente unseres In-der-Welt-Seins einzugreifen, stehen wir derzeit vor einem Erneuerungsgeschehen, dessen Intensität und Dramatik sich gewiss nicht mehr mit reinen Reformen und womöglich nicht einmal mehr Revolutionen fassen lassen wird. Denn dieses Geschehen betrifft das Wesen des Menschen selbst. Also das Wesen einer kulturellen Existenz, die sich im Umbruch immer wieder neu sucht und selbstbestimmt findet. Genau damit könnte es in der Tat bald vorbei sein. Mehr über den Autor auf S. 8

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S. 14–15: 3D-Modell von Alejandro Santell, Back To The Future Tribute – Rendering Bureau Borsche S. 17: 3D-Modell von robbryantjr, Nike Air Mag – Rendering Bureau Borsche S. 18–19: 3D-Modell von Alejandro Santell, Back To The Future Tribute – Rendering Bureau Borsche S. 20: 3D-Modell von Imirnman, Back To The Future Hoverboard – Rendering Bureau Borsche

Zurück in die Zukunft Ob bewusst oder nicht, ein wesentlicher Teil heutiger Umbruchssorgen (und auch manifester Stagnationssehn­süchte) gerade in Deutschland scheint von dem historischen Bewusstsein für die faktischen Endfolgen dieser letzten wirklich großen Umbruchsepoche unseres Zeitraums grundiert. Bemerkenswert bleibt in diesem Zusammenhang, dass mit Blick auf die Adressierung der Umbruchsängste derzeit gar einstmals erstorientierende politische Unterscheidungen wie die zwischen links und rechts oder konservativ und progressiv zu kollabieren drohen. Beide Lager sind derzeit insofern als umbruchsfeindlich und damit wirklichkeitsnegierend zu bezeichnen, als ihre jeweiligen Visionen von einer besseren Zukunft sich aus dem Schatz einer verklärten Vergangenheit speisen – und zwar einer Vergangenheit, die mutmaßlich weniger stark von Umbrüchen herausgefordert wurde. In der konkreten bundesdeutschen Vision treffen sich diese Sehnsüchte in einem retroaktiv zusammenphantasierten Bild der 1970er und 1980er Jahre, in dem es weder Flüchtlingskrise, Genderdebatte noch Digitalisierung gab, dafür aber starke Gewerkschaften, nationale Wirtschaftssouveränität sowie eine lebenslange Acht-Stunden-Tag-­Arbeitsplatzgarantie. Was kollektiv ersehnt wird, ist also ein Leben ohne Umbrüche. Und genau das ist natürlich nicht zu haben. War es für leibhaftige Menschen wohl nie.


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Unser Dankeschön an Sie: das Schönste aus Oper, Konzert und Literatur.

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In den Arbeiten des flämisch-marokkanischen Choreographen und Regisseurs Sidi Larbi Cherkaoui werden die Brüche der Menschen und der Welt, in der sie leben, sichtbar.

Doch anstatt sie zu verstecken, hebt er sie hervor. Seine Inszenierung von Alceste wird zeigen, dass selbst der Tod Liebende in Ewigkeit verbinden kann. Ein persön­ liches Porträt.

Der in Riss mir

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Vor ungefähr 500 Jahren entwickelten japanische Kunsthandwerker eine Technik, mit der sich Keramik auf eine ganz besondere Weise reparieren ließ: Kintsugi. Wie Amy Azzarito in Architectural Digest schreibt, „wird diese Reparaturtechnik als Kintsugi bezeichnet, was so viel bedeutet wie ,vergoldendes Zusammensetzen‘“. Dabei wird ein spezieller Lack verwendet, dem Gold, Silber oder Platin beigemischt ist und mit dem das Objekt auf eine Weise geklebt wird, die die Bruchstelle eher hervorhebt als verdeckt. Es ist eine Methode, die das Zerbrechen als Teil der Geschichte eines Objekts ­würdigt und es nicht als sein potenzielles Ende betrachtet. Vielleicht löste der Begriff Kintsugi auch deswegen sofort etwas in mir aus, weil ich ihn mit einem anderen Schlüsselbegriff verbinde: Cherkaoui. Sidi Larbi ­Cherkaoui kenne ich schon seit den frühen 2000er Jahren, als die PerformanceKunst, der zeitgenössische Tanz so etwas wie Zufluchtsorte waren. Viele bemerkenswerte und sehr unterschiedliche Choreographen, die ihre politischen und gesellschaftlichen Haltungen auf der Bühne vehement zur Sprache brachten, wurden damals in Europa erfolgreich. Aber nur einer, nämlich Sidi Larbi Cherkaoui, besaß die besondere Fähigkeit, die Bausteine, aus denen ­sich Identität zusammensetzt, niederzureißen, sie einzeln zu untersuchen und wieder neu zusammenzufügen – ob es sich dabei nun um ethnische Zugehörigkeit, Herkunft, (Bewegungs-) Sprache, um Geschlecht oder um Behinderung/Nichtbehinderung handelte. Dieser Umsturz erfolgte mit den Mitteln der Bewegung, der Musik und einer sehr eigentümlichen Darstellungskunst. Seine mit­ reißenden poetischen Arbeiten, deren „unerwartete Wendungen seine Visionen weit wie den Himmel und

Premiere Alceste

wild wie Las Vegas werden lassen“, wie es der US-amerikanische Kritiker Paul Ben-Itzak formulierte, enthüllten oft heikle und komplexe menschliche Wahrheiten. Es muss OOK (2002) gewesen sein, bei dem ich, zunächst noch als Zuschauerin, zum ersten Mal dieser Hervor­ hebung (oder Wieder­ zusammensetzung) von Andersheit durch Lack und Gold begegnete. Cherkaoui würdigt diese Andersheit als Merkmal, das einen von anderen unterscheidet. Sie soll nicht verborgen oder nur ertragen, sondern gezeigt und hinterfragt werden. Man darf auch darüber lachen, sie sich zu eigen machen oder aus sich herausbrechen lassen. OOK, Sidi Larbis zweite abendfüllende Arbeit, die er gemeinsam mit Nienke ­Reehorst choreographierte, wurde mit und für zehn ­Menschen mit Behinderung, alle professionelle Schauspieler des Thea­ ters Stap, entwickelt. OOK steht für die Universalität von Träumen und großen Zielen (einige davon sind für manche kaum erreichbar: etwa ein Kind zu bekommen, professionell zu jonglieren oder ein Gesangsstar zu werden), dafür, dass die Vorstellungskraft frei und allen Menschen eigen ist – behinderten und nichtbehinderten. Die Überdosis visueller Medien, die wir täglich zu uns nehmen, und die Tat­ sache, dass wir ihr

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ausgeliefert sind, benutzten Sidi Larbi und Reehorst dazu, zusammen mit den Schauspie­ lerinnen und Schauspielern Szenen heraufzubeschwören, in denen sie bestimmte Bilder, die sie immer noch quälten, noch einmal durchleben konnten. So sollten die Zuschauer zu der Wahrnehmung angestoßen werden, dass diese Verknotungen mit dem Irrealen unsere Realität, dieses Durcheinander unseres beschädigten und trotzdem auch heiteren Lebens, zusammenhalten können. In Memoriam (2004) – Sidi Larbis erster Ausflug in die Welt des klassischen Tanzes, von den Ballets de Monte-Carlo beauftragt – zeigt, dass seine Veranlagung, tief in den Rissen mensch­ licher Existenz zu ­graben, noch über die Beschäftigung mit Andersheit und Identität im Allgemeinen hinausgeht. Ausgelöst durch den Tod naher Verwandter, war das Stück vom Choreographen als Medi­ tation über Trauer, Verlust und deren Auswirkungen auf den Körper gestaltet worden. Die Arbeit mit Körpererinnerung und Energie­ feldern, die durch Anziehung und Abstoßung entstehen, brachte ­die 21 Tänzer dazu, tanzend und singend Geschichten zu erzählen, die ein Körper im Laufe seines Lebens durchstehen muss und die alle ihre Narben hinterlassen. Die Tänzer kreisen unermüdlich umeinander,

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bis dann im Kuss eines Paares Harmonie oder die zarte Ahnung von Heilung eintritt: als wäre das Leben, vom Verlust zerrissen, durch die silbernen Nähte der Erinnerung neu zusammengefügt und umgestaltet worden; denn Erinnerung ist niemals deckungsgleich mit der Realität. Sutra (2008), TeZukA (2011) und Puz/zle (2012) gehören zu den späteren Stücken, in denen es um Umbrüche geht – beruf­ liche, persönliche oder globale. (TeZukA ist hervorzuheben, da es 2011 nach dem Tsunami in Japan entstand, den die Compagnie während ihrer Proben in Tokio erlebte.) Aber erst mit Fractus V (2015) drehte sich ein Stück ganz um das Thema Bruch und Zerbrechen, als nicht bloß wünschenswerte, sondern notwendige Bedingungen für Überleben und Wachstum. Das Stück wurde angeregt von den Schriften Noam Chomskys über den Sturz von Regierungen und das Beenden einer Manipulation durch die Medien mittels kollektiven und ununterbrochenen Widerstands. In Fractus V lassen neun Tänzer und Musiker – aus fast genauso vielen Regionen und so unterschiedlichen Stilrichtungen wie Lindy Hop, Flamenco und Instrumentalmusik aus Hindustan – neue Formen des Dialogs, der Wechselbeziehung durch


Bewegung, Takte und Akkorde entstehen. Und jetzt also Alceste. Was interessiert Sidi Larbi Cherkaoui am griechischen Mythos, an der Opernversion einer antiken Geschichte? Was hat das mit seiner intensiven Beschäftigung mit der heutigen Welt zu ­tun, mit ihren Rissen, Gräben und Tumulten? Es ist die Musik, sagt Sidi Larbi Cherkaoui mit freudig erregter Stimme: Es ist Glucks erhabene, feierliche Musik mit ihrer fast rituellen Strenge. Er war sofort eingenommen von der Partitur, einer Musik, die jene unsichtbare Geschichte erzählt, um die es ihm geht, die er mit der sichtbaren Handlung des Librettos zusammenführen möchte. Das ist der mythische Goldene Apfel, der ihn zum Ballett und zur Oper lockt. Natürlich ist Alceste aktuell, reflektiert er meine Nachfrage. Denn hierin liegt ja gerade die Magie von Mythen: Sie können gewaltige zeit­ liche Distanzen auflösen und Geschichten erzählen, die vielleicht uralt sein mögen, aber dennoch die Gegenwart widerspiegeln. Für Sidi Larbi geht es in Alceste um zwei große drängende Themen. Einmal um das Opfer, um die Selbst­ aufopferung, die Vernichtung des Selbst im Wunsch,

dadurch etwas Höheres, Wertvolleres zu erschaffen oder zu bewahren. Und es geht um Gleichheit und Spaltung zwischen Göttern und Menschen. Für die Götter ist das Leben der Frau dem des Mannes gleichwertig; für den Menschen ist die Frau eher ersetzbar, leichter zu opfern. Das sind hochaktuelle Fragen, die seit ein paar Jahren die ganze Welt beschäftigen, von Los Angeles bis Neu-Delhi! Der Begriff „Opfer“ wird zur treibenden Kraft dieser Operninszenierung. Das Team wird all seine Energie dafür aufwenden, eine in sich geschlossene Welt zu erschaffen, in der ein solches Ideal – das in einer zynischen und bornierten Welt als fragwürdig hingestellt ­wird – so real, so einnehmend und berührend wird, wie es für Euripides gewesen sein muss, der diese Neben­geschichte aus dem größeren Korpus der mythischen Erzählungen um den Trojanischen Krieg herauslöste und ein eigenständiges Stück daraus machte. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Henrik Ahr möchte Sidi Larbi eine Art ganzheitliche oder absolute Umgebung für das Ritual der Opferung erfinden. Sie wollen die Welt der Lebenden von der Welt der Toten abgrenzen, die Zeit vor der Opferung von der Zeit danach, die Erde vom Hades. Das Bühnenbild wird modular sein – ein wiederkehrendes Motiv in „LarbiLand“, eines, das Verschiebungen in Zeit und Raum andeuten kann; sechs veränderbare Wände, mit denen unterschiedliche Orte dargestellt weden können. Es wird massive Steinwände geben, aber auch die weichen, vagen Ausdehnungen des Jenseits als möglicher Spiegelung unserer Lebenssphäre sowie eine traumartige, unerwartet entstehende Landschaft. Sidi Larbi bestätigt, dass Zufallsfunde in seinem Arbeitsprozess eine wichtige Rolle spielen, denn obwohl eine Operninszenierung penible Vorbereitung erfordert, kommt der Durchbruch doch ­häufig durch eine zufällige Entdeckung, durch Experimentieren oder Improvisation. Das Ergebnis ist dann jene flüchtige Kostbarkeit, auch künstlerische Wahrheit genannt. Der Modedesigner Jan-Jan Van Essche, der Kostümbildner von Alceste, stellt sich ebenfalls verschiedenartigen Herausforderungen. In einer Oper, in der viel getanzt wird, müssen seine

Zeichnungen Jan-Jan Van Essche

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Kostüme trotz ihrer komplizierten Gestaltung und aufwendigen Drapierung den Tänzern stets die Bequemlichkeit ­bieten, die sie brauchen, um die schwierigen, schnellen Tanzschritte leichtfüßig und sicher ausführen zu ­können, ohne sich um die Kostüme zu sorgen, die scheinbar ohne Aufwand nur über ihre Schultern gelegt sind. Van Essche hat noch eine andere Aufgabe: Er muss die Zeitlosigkeit des Sujets im Wallen und ­Fallen seiner Kostüme einfangen. Diese Zeitlosigkeit kann sich auf die Antike, aber auch auf eine unbestimmte Zukunft auf d ­ er Erde oder sogar auf einem anderen Planeten beziehen. Denn die meisten Mythen, so betont Sidi Larbi nochmals, können von jedem historischen Kontext aus betrachtet werden, und sie berühren uns trotzdem

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immer wieder neu. Das macht ihren Reiz aus. In Alceste möchte er hervorheben, wie ähnlich sich unterschied­liche Kulturen und Machtmenschen sind: in ihren Unsicherheiten, ihrer Selbstsucht, ihrer Ungerechtigkeit und Heuchelei. Das Gegenmittel für diese Schwächen ist Zusammengehörigkeit, beständige Liebe, die selbst göttliches Gesetz außer Kraft setzen kann: die Zusammengehörigkeit, die menschliche, aber trotzdem un­zerstörbare Liebe zwischen Alceste und Admète, die lieber gemeinsam in die ewige Dunkelheit gehen als getrennt vonein­ander durch Leben und Licht. Eine solche Trennung wäre wie ein Bruch, eine Amputation für dieses Paar, das sich unbeirrt dagegen wehrt. Sogar der Tod verwandelt sich schließlich in ein Narben­ gewebe, das sie für immer ­verbindet, entgegen allen Beschlüssen der Götter. Ein weiterer Moment des Umbruchs, eine ­weitere Bruchstelle also, eine weitere Wiederherstellung, die Sidi Larbi Cherkaoui mit uns teilen und ­zelebrieren will. Aus dem Englischen von Sabine Voß Mehr über die Autorin auf S. 8


Die Titelfigur in Christoph Willibald Glucks (1714–1787) Oper Alceste zeigt eine fast übermenschliche Willenskraft: Um das Leben ihres Mannes Admète zu retten, opfert sich Alceste selbst. Dass Gluck seinen Zeitgenossen nicht nur in den Themen, die er in seinen Opern verarbeitet, voraus war, sondern auch in der musikalischen Gestaltung, zeigen die kompositorischen Reformierungen in seinen dramatischen Werken: Die Verbindung zwischen Musik und Text ist farbiger und instrumental abwechslungsreicher, als es bis dahin üblich oder auch nur vorstellbar war. Im Wiener Burg­theater, an dem 1767 die Uraufführung stattfand, wurde das Werk auf Italienisch gesungen. Als Gluck die Oper 1776 für Paris umarbeitete, wechselte er nicht nur die Sprache, sondern gestaltete etliche Szenen neu und fokussierte die Geschichte noch dezidierter auf das Verhältnis des Herrscherpaars.

Die Kreationen des belgischen Mode­ designers Jan-Jan Van Essche zeichnen lockere, möglichst nahtlose Schnitte und zurückhaltende Details aus. Mit dem Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit; bei Alceste verantwortet er die Kostüme. An diese sind auch seine Zeichnungen angelehnt, die im Rahmen der Vorbereitung der Produktion entstanden und den Begriff Kintsugi reflektieren.

Text Karthika Naïr

Alceste Tragédie-opéra in drei Akten (1767 / 1776, Pariser Fassung) Von Christoph Willibald Gluck Premiere am Sonntag, 26. Mai 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 1. Juni 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Premiere Mavra / Iolanta


„Die Mauer gibt es noch – und sie ist dicker geworden“

Axel Ranisch inszeniert mit dem Opernstudio Igor Strawinskys Mavra und Peter Tschaikowskys Iolanta, Alevtina Ioffe steht am Dirigentenpult. Hier sprechen die beiden darüber, wie sie die Opern miteinander verweben – und wie sich Persönliches und Politisches in ihrer Kunst verschränken. Axel Ranisch und Alevtina Ioffe

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Axel Ranischs Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Plattenbau. Das Wohnzimmer ist warm erleuchtet und vollgestellt mit DVD- und Weinregalen. Wir sitzen am Küchentisch und bekommen Tee serviert, den starken schwarzen. Alevtina Ioffe und Axel Ranisch lachen viel und schlagen Funken aneinander. Es wird Englisch gesprochen; wenn’s gedanklich kompliziert wird, fallen Ioffe und Ranisch in ihre Muttersprachen Russisch und Deutsch zurück. Anderthalb Stunden sitzen wir zusammen, bis es über Berlin zu dämmern beginnt. MAX JOSEPH

Alevtina Ioffe, Axel Ranisch, zusammen ge­stalten Sie den Doppelabend Mavra/Iolanta. Wie funk­tioniert die Verknüpfung von Strawinskys und Tschaikowskys Oper für Sie? ALEVTINA IOFFE

Es ist eine perfekte Kombination. Strawinsky hat Tschaikowsky verehrt und ihm Mavra sogar gewidmet. Er hat angefangen, daran zu arbeiten, nachdem er 1921 in London an Diaghilews Choreographie von Tschaikowskys Dornröschen beteiligt war, für die er zusätzliche Musik komponiert hat. Mavra enthält Motive aus Tschaikowskys Eugen Onegin. Iolanta und Mavra sind einander musikalisch sehr nah. Wobei Strawinskys Musik mehr vorwärts drängt, und das finde ich gut, um diesen romantischen Ton von Tschaikowsky ein bisschen zu brechen.

AR

Als ich mir die Oper angehörte, dachte ich: Nein, ich glaube einfach nicht, dass sie am Ende sehen kann. Sie tut nur so! Ihr ganzes Leben lang wurde sie von ihrem Vater belogen, jetzt hat sie’s herausgefunden und beschließt, ein eigenes Geheimnis zu haben. In unserer Inszenierung spielt Iolanta mit Puppen und erfindet dabei die Geschichte von Mavra – so kommt Strawinskys Kurzoper ins Spiel. In einem Prolog, einem Intermezzo und einem Epilog wird der Schwank erzählt, in dem Parascha ihren Geliebten, den sie als Köchin Mavra verkleidet, ins Haus einschleust. Zum Schluss fliegen sie auf und fliehen zusammen durchs Fenster. Das ist auch unser Ende: Iolanta stellt sich mit ihren Puppen vor, wie sie zusammen mit ihrem Geliebten Vaudémont in die Freiheit entkommt. AI Für mich geht es in Iolanta sowieso nicht um die echte Welt oder eine reale Liebesgeschichte. Wenn Vaudémont bei uns am Ende ebenfalls blind wird, bedeutet das vor allem, dass er sich von den Vorurteilen und Verblendungen der sehenden Menschen mit ihrem Schubladendenken über Männer und Frauen befreit. AR

Ich bin überzeugt, dass das die richtige Deutung ist. Ich glaube nicht, dass Tschaikowsky das Finale ernst gemeint hat. Sonst hätte er eine andere Musik komponiert.

AXEL RANISCH

MJ

Die beiden Opern werden in Ihrer Produktion nicht hintereinander gespielt, sondern ihre Geschichten werden miteinander verschränkt. Iolanta ist ein romantisches Märchen. Eigentlich ziemlich kitschig. Aber ich liebe Kitsch! Es ist die traurige Geschichte einer Prinzessin, die nicht weiß, dass sie blind ist. Ihr Vater sperrt sie ein, weil er Angst um sie hat. Iolanta ist eine fantastische Oper. Nur das Finale finde ich schrecklich in seiner seltsamen Religiosität: Iolanta wird von ihrer Blindheit geheilt, und alle loben den Herrn.

AI

Es gibt musikalisch einen großen Kontrast zwischen dem Anfang und dem Ende der Oper. Die Ouvertüre wird von tiefen Bläsern dominiert, im Finale gibt es zwei Harfen und opulente Streicher. Vielleicht bin ich selbst mystisch veranlagt, aber ich glaube nicht, dass die materielle Welt wichtig für die Seele ist. Und so verstehe ich auch Iolantas Wunsch, aus dieser Welt zu fliehen.

AR

Es ist ja nicht wirklich ein Happy End. Die Handlung basiert auf historischen Figuren, König René I. von Anjou und seiner Tochter Jolande, aber dann biegt sie ab ins Mystische. Die Figur des Arztes Ibn-Hakia hat Tschaikowsky zusammen mit seinem Bruder Modest erfunden, der das Libretto verfasst hat. Ibn-Hakias Arie ist voller Spinoza, mit dessen Lehren Tschaikowsky sich zu der Zeit beschäftigte. Für mich geht es am Ende nicht mehr um Iolantas Geschichte, sondern um philosophische Ideen.

AR

Ja, sie hat eine beinahe hysterische Sehnsucht nach Erlösung. MJ  AI

Bieten Kunst, Theater und Musik Erlösung?

Ja. Immer.

AI

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„Als Jugendlicher war ich sehr unglücklich mit mir und meinem Leben. Ich hatte keine Freunde, nur Tschaikowsky und Prokofjew und Schostakowitsch.“ – Axel Ranisch


AR

Das ist der Grund, warum wir uns dahin wenden, wenn wir traurig sind. Wenn du glücklich bist, brauchst du keine Erlösung. Als Jugendlicher war ich sehr unglücklich mit mir und meinem Leben. Ich hatte keine Freunde, nur Tschaikowsky und Prokofjew und Schostakowitsch. Ich bin vor der Wirklichkeit geflohen, in die Musik. AI

Ich habe mich auch nur mit Musik beschäftigt. Aber ich habe das nie als Flucht verstanden! Es war meine Wahl, mein Schicksal.

„Vielleicht bin ich selbst mystisch veranlagt, aber ich glaube nicht, dass die materielle Welt wichtig für die Seele ist. Und so verstehe ich auch Iolantas Wunsch, aus dieser Welt zu fliehen.“ – Alevtina Ioffe

AR

Der Unterschied zwischen uns ist, dass du Musik gemacht hast. Ich habe Musik konsumiert. MJ

Wenn Sie an Ihr Publikum denken: Laden Sie es ein, irgendwohin zu fliehen, oder wollen Sie etwas von der Welt erzählen? AR

Ich will vor allem, dass die Leute die Musik und die Geschichte lieben. AI

Wenn wir nicht an unsere Geschichte glauben, wird niemand dran glauben. Die Grundideen, auf denen alle Erzählungen basieren, verändern sich nicht. Aber wie wir sie verstehen, ist verschieden – je nachdem, in was für einer Gesellschaft wir leben. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen, wenn wir uns für unser Publikum interessieren. MJ

Was haben die Umstände, in denen Sie leben, für Sie mit Ihrer Sprache als Künstler zu tun? AR

Ich frage mich, wie politisch meine Geschichte sein kann, ohne opportunistisch zu werden. Und lande bei der Antwort: Es geht gar nicht anders, als dass alles, was ich tue, von Herzen passiert. Entscheidend ist, wie Menschen miteinander umgehen. Wie die Figuren untereinander sind, aber auch, wie ich zu ihnen stehe und wie ich zu den Leuten bin, mit denen ich den Film mache oder die Oper inszeniere. In der Oper arbeite ich mit einer Geschichte, die schon da ist. Trotzdem muss ich zu jeder Figur eine Beziehung aufbauen, in der ich sie lieben und verstehen kann. Erst dann kann sie auch dem Zuschauer ans Herz wachsen. Ich finde es banal, immer irgendeinen aktuellen Bezug einzubauen. Die Leute sind klug, sie haben ihre eigenen Assoziationen, die muss ich nicht aufpfropfen. Für mich sind innere Vorgänge viel interessanter: Was bedeutet es für Iolanta, wenn sie erfährt, dass sie ein Leben lang belogen wurde? AI

Mein soziales Umfeld ist gar nicht so einfach. Ich gebe in einer Vorstellung alles, was in mir ist, und bin danach

komplett leer. Ich arbeite ständig mit neuen Menschen. Außerdem gibt es viele Vorurteile. Dirigieren ist nach wie vor eine männliche Domäne. Ich habe schon viele Orchester geleitet, und jedes Mal merke ich wieder, dass es etwas Besonderes ist, dort als Frau zu stehen. Das ist mir unbegreiflich. Mir ist doch nur das gemeinsame Musizieren wichtig. Ich gebe Energie und bekomme Energie zurück. Aber ich habe den Eindruck, das gesellschaftliche Geflecht, die Vorurteile – das lässt sich nicht ändern. AR

Ich glaube schon. Man muss es eben zur Normalität erklären, dass Frauen am Pult stehen. AI

Das versuche ich seit 25 Jahren.

AR

Das ist vielleicht das Politische an meiner Kunst. Ich versuche, solche Normalitäten zu zeigen. AI

Deshalb mag ich auch dein Ende für unsere Inszenierung so gern. Vaudémont wird aus Liebe zu Iolanta blind und sieht in ihr vor allem eine verwandte Seele. MJ

Alevtina Ioffe, Sie leben in Moskau und sind dort seit 2011 Chefdirigentin und Musikdirektorin des Natalya-Sats-Musiktheaters für junges Publikum. Wie ist es für Sie, in Russland zu arbeiten, wo Kreative zum Teil politischen Repressalien ausgesetzt sind? AI

Es gibt einflussreiche Menschen in der Kunst, die der Regierung nah sind. Wenn du dich anbiederst, gehst du deinen Weg. Wenn nicht, dann wird dir der Weg verschlossen. In unserem Land gibt es eine Zensur der Kunst, was man am Beispiel von Kirill Serebrennikow sehen kann. Ich bin kein Fan von Serebrennikow, aber der Prozess gegen ihn richtet sich gegen die Kunstfreiheit. In unserem „demokratischen“ Land gibt es momentan keine Redefreiheit. Dabei spielt der wachsende Einfluss der Kirche eine Rolle,

Interview Sophie Diesselhorst

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das Argument der Beleidigung religiöser Gefühle wird inzwischen oft herangezogen, um Zensur zu rechtfertigen. MJ

Welche Rolle hat die Kunst in der russischen Gesellschaft? AI

In Russland sind die Leute arm. Die meisten sind mit Überleben beschäftigt. Ich habe Glück, dass ich ein anderes Leben führen, dass ich reisen kann. 70 Prozent der Russen sind noch nie im Ausland gewesen. Aber es gibt einen großen Enthusiasmus für die Kunst. Neulich habe ich in Jakutsk bei minus 52 Grad Aida gemacht, eine Oper, die im alten Ägypten spielt! Man kann sich kaum etwas vorstellen, das der Lebenswelt der Menschen dort noch ferner ist. Aber sie waren so begeistert! Dahinter steckt die Sehnsucht, mehr von der Welt zu sehen. Doch das ist für viele unmöglich. MJ

Trotz Ihrer Kritik an den Umständen und dem Umgang mit kritischen Künstler*innen wollen Sie selbst aber weiter in Russland leben und arbeiten? AI

Ich will da arbeiten, wo es interessante Arbeit gibt. Solange das der Fall ist, bleibe ich. Schließlich ist es auch mein Zuhause.

AR

Ich bin Jahrgang 1983 und war bis zu meinem sechsten Lebensjahr DDR-Bürger. Ich bin Ossi und weiß trotzdem nicht, was es bedeutet, ein Künstler in der DDR gewesen zu sein. Ich weiß nicht, ob meine Biographie dort möglich gewesen wäre. Das ist schwer herauszufinden, weil es immer sofort politisch wird, wenn man sich in Deutschland über die DDR unterhält. Die Lebenswirklichkeit der Leute wird ausgeklammert. Ich glaube, das rächt sich jetzt. Es ging immer nur um die Stasi und die böse Diktatur. Und jetzt bedient die AfD diesen furchtbar einfachen menschlichen Reflex, den Frust abzulassen: sich jemanden zu suchen, der unter einem steht und den man genauso schlecht behandeln kann, wie man sich selbst behandelt fühlt. AI

Vielleicht ist es wie zwischen Russland und der Ukraine? Gerade habe ich in Berlin einen Nachhilfelehrer für meinen Sohn gesucht und bin auf einen Ukrainer gestoßen. Hier können wir uns normal unterhalten. Wären wir in unseren Heimatländern, wäre das schwieriger. Die Atmosphäre ist vergiftet. Ich glaube aber, dass die Feindseligkeit nicht aus den Menschen selbst kommt, sondern von Regierungen und Politikern, die diese Fronten in ihrem eigenen Interesse aufrechterhalten. AR

MJ

Axel Ranisch, Sie sind in Berlin zu Hause. Dieses Jahr feiern wir 30 Jahre Mauerfall. AI

Die Mauer gibt’s doch gar nicht mehr. Warum sollen wir dann darüber sprechen? Am liebsten würde ich dem nichts hinzufügen. Aber es stimmt nicht. Die Mauer gibt es noch, und in den letzten Jahren ist sie dicker geworden. Es bekommt eine immer größere Bedeutung, wie man im Westen oder Osten übereinander spricht. In den Neunzigern war es total wurscht, dass ich aus dem Osten kam. Jetzt erlebe ich immer wieder Situationen, in denen ich meine, mich verteidigen zu müssen. Es wird schlecht über Sachsen geredet, und ich entwickle plötzlich patriotische Gefühle. Es trifft mich, wenn hier in meinem Block 19 Prozent der Leute AfD wählen! Das ist jeder Fünfte im Haus. Und trotzdem weiß ich, das sind alles gute Leute. Ich glaube, dass man im Osten einfach 30 Jahre lang immer das Gefühl hatte, man sei der schlechte Teil von Deutschland. Das Sorgenkind. Und jetzt schlägt der kleine dumme Bruder, den du 30 Jahre lang gedisst hast, zurück.

Ja. Wir müssen aufpassen, wie wir übereinander reden. In der direkten Begegnung können viele Probleme gar nicht erst entstehen. AI

Ich bin es leid, auf Veränderung zu hoffen! Seit Jahrtausenden glaubt die Menschheit an Fortschritt und produziert das Gegenteil.

AR

AI

Ich verstehe noch nicht so ganz, warum das Problem auf einmal so groß wird.

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AR

Aber wir arbeiten doch jetzt zusammen an einem künstlerischen Umbruch! AI

Ja, wir haben ein blindes Happy End. Und dann ab in den Weltraum! AR

Ich bin optimistisch. Sophie Diesselhorst wurde 1982 in Berlin geboren. Sie studierte Philosophie in London und Journalismus in Berlin und ist seit 2011 Redakteurin des Theaterfeuilletons nachtkritik.de.

Mavra / Iolanta Komische Oper in einem Akt / Lyrische Oper in einem Akt Von Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky Premiere am Montag, 15. April 2019, Cuvilliés-Theater Weitere Termine im Spielplan ab S. 96


Fotos Stephanie Steinkopf

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Das weiße Blatt Papier Geschichten schreiben sich (leider) nicht von selbst. Über die entsetzliche Angst vor dem ersten Wort.

Ich war bereits 24, als ich die knapp zehnseitige Erzählung Die Veranda schrieb. Ich lebte in Berlin, wobei, von Leben konnte man irgendwie nicht mehr sprechen, sagen wir, ich trieb mich völlig verloren und ohne Ziel in Westberlin herum, ohne jede Hoffnung, jemals irgendwo Fuß zu fassen geschweige denn einen bürgerlichen Beruf auszuüben. Ich hauste in einer Zweizimmerwohnung im Hinterhof mit Blick auf eine Brandmauer, und ohne, dass es mir wirklich bewusst war, stand ich, im Nachhinein betrachtet, kurz davor, das Leben eines Obdachlosen zu führen, als mir eines Nachmittags, zu eben jener Stunde, zu der ich meine frühen Gedichte geschrieben hatte, Die Veranda einfiel und ich sie sofort niederschrieb. Während des Schreibens hatte ich die ganze Zeit eine Art Déjà-vu, in dem ich mich als mein junges Alter Ego an dem Tisch in Reuth sitzen sah, wie ich nachdachte und schrieb. Es war, als würden diese beiden Situa­ tionen deckungsgleich werden, während mich mein Alter Ego nährte und ich der Parasit war. Ich schrieb so lange wie möglich, um meinen „Wirt“ nicht zu verlieren. Ich weiß, das ist kein schönes Bild, aber ich war damals paranoid und hatte keine gute Meinung von mir. Ich wusste, solange ich schrieb, solange ich in das Leben, das ich einst geführt hatte, so intensiv abtauchen konnte, würde mir nichts passieren. Ich durfte nur nicht wieder erwachen. Es hatte sich derselbe magische Mechanismus wieder in Gang gesetzt wie

damals, die Worte strömten, und wie von selbst schrieb sich die Geschichte. Mir kam es so vor, als hätte mich dieses Echo aus der fernen Zeit meiner Kindheit mit unglaublicher Präzision wieder eingeholt und wäre wie durch einen Bumerangeffekt über das gesamte Panorama meiner Kindheit wieder in meinen Kopf zurückgekehrt; so wurde alles, was ich niederschrieb, zu einem Déjà-vu. Ich versuchte, den Bumerang zu verlangsamen, einzelne Bilder, die besonders eindringlich waren, zum Stillstand zu bringen und ihn dann wieder, über Berge und Täler hinweg, in seinem Flug zu beschleunigen. Ich war der fern ausgesetzte Astronaut, der über dem Meer von Solaris seine erhabenen Kreise zog, nicht wissend, ob er jemals wieder zurückkehren würde. Ich war der kleine Schlittenfahrer, der in der Dämmerung durch den weißen Tiefschnee fuhr bis hinab in die absolute, tödliche Stille und dabei den zweiten Satz der Eroica in seinem Blut rauschen hörte. Es war gigantisch und einzigartig; ein absolutes Schlüssel­erlebnis, und das Werk, das ich schrieb, ein Schlüsselwerk. Der euphorische Rauschzustand, den die Wörter und Sätze auslösten, war wieder da. Ich schrieb mehrere Stunden, bis ich vollkommen erschöpft war und kaum noch die Hand vor meinen Augen sehen konnte, so dunkel war es im Zimmer geworden. Mir kam dieser Text wie eine Mahnung vor, mich an mich selbst zu erinnern und mein altes Selbstbewusstsein als Dichter wiederzuerlangen. Mir war

Text Oskar Roehler

klar, dass ich ge­zwungen war, weiterzumachen, koste es, was es wolle. Es war ein Spiel auf Leben und Tod. Ich schickte eine Kopie der Geschichte an Arendt, aber als ich oben auf der Hut ankam, um sein Urteil darüber zu hören, war alles desolat.* Andreas war bereits, sehr früh an Krebs erkrankt, gestorben; Thomas war nicht mehr im Haus. Arendt war alt geworden und taperte wie blind hinter seiner Frau im Haus umher, die schluchzte und weinte. Ich ergriff schnell die Flucht und ging zurück nach Berlin. Die Geschichte, die ich geschrieben hatte, war ja sozusagen nur das erste Kapitel, der Auftakt. Ich musste sie nun vorantreiben, bis ein Roman daraus würde. Ich hatte insgeheim gehofft, eine Zeitlang oben auf der Hut bleiben zu können, aber meine früheren Schauplätze erkannte ich kaum wieder, unser Haus von damals gehörte inzwischen anderen Leuten; man konnte nicht einmal mehr in das Innere des Gartens hineinschauen, weil die Zäune bereits vollkommen von Pflanzen überwuchert waren. Ich merkte, ich hatte einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht hierherkommen sollen. Als ich wieder in Berlin war und den Text las, stellte ich fest, dass er in einer sehr alten Sprache verfasst war, er klang wie ein George-Gedicht. Das kam mir seltsam vor. So hatte ich ihn beim Niederschreiben nicht empfunden. Damals, als alle, die ich kannte, wie Burroughs schrieben, fiel dieser Text komplett aus der Zeit. Ich hätte ihn niemandem

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zeigen können – außer Arendt. Gleich­ zeitig hatte ich das Gefühl, dass er vor meinen Augen zerfiel, zu Staub wurde, sich in Luft auflöste, als hätte ich mir nur eingebildet, ihn geschrieben zu haben. Ich spürte, wie die alten Selbstzweifel in mir hochkamen und wie ich, wenn ich nicht aufpasste, in eine schwere Depression geraten würde, die in einer existenziellen Notlage enden würde. Das waren keine guten Voraussetzungen für das Schreiben. Vielleicht sollte ich mir

lagen zerknüllt auf dem Boden. Die kahlen, schmutzigen Wände der Wohnung, in die ich eingezogen war, ohne die Spuren des Vorgängers zu beseitigen – sogar die wenigen Möbel waren von ihm –, rückten in der Däm­merung näher. Wie ein Leichnam, der sich langsam zersetzt, lag ich da. Ich spürte genau den Abstand zwischen dem Boden des zweiten Stockwerks, auf dem ich flach auf dem Rücken, wie aufgebahrt, lag, und dem Grund des

nicht mehr reagieren. Mein ganzes Sprachsystem war wie gelähmt, und ich fühlte mich, als hätte er, der Hausmeister, mir beide Beine abgeschnitten. Nachdem er wieder gegangen war, indem er die Wohnungstür mit einem lauten Krachen ins Schloss hatte fallen lassen, versuchte ich, einen Arm mit dem anderen Arm anzuheben und ihn mit voller Wucht mit einem Handkantenschlag gegen die Oberschenkel zu schmettern, um sie zum Aufwachen zu bringen, aber es

Ich fiel in eine Art Agonie. In einem Dämmerzustand lag ich, von meiner lähmenden Unfähigkeit nieder­ geschlagen, auf dem schmutzigen, staubigen Boden und ließ den Tag vergehen, viel zu schwer, um aufstehen zu können; und vorne, auf dem Schreibtisch, dem einzigen Möbelstück, das ich außer dem Bett besaß, wartete das weiße Blatt Papier, eingespannt in meine kleine Reiseschreibmaschine. einen angemesseneren Job suchen; im „Fruchthof“ in Moabit brauchten sie immer Leute, die bereit waren, um vier Uhr morgens anzutreten, um für einen Stundenlohn von vier Mark Bananenkisten abzufüllen und zu schleppen. Ich fiel in eine Art Agonie. In einem Dämmerzustand lag ich, von meiner lähmenden Unfähigkeit niedergeschlagen, auf dem schmutzigen, staubigen Boden und ließ den Tag vergehen, viel zu schwer, um aufstehen zu können; und vorne, auf dem Schreibtisch, dem einzigen Möbelstück, das ich außer dem Bett besaß, wartete das weiße Blatt Papier, eingespannt in meine kleine Reiseschreibmaschine. Immer wieder scheiterte ich, saß davor, um nach Stunden zusammenzusinken, ohne ein Wort geschrieben zu haben. Die stümperhaften Versuche, auch nur eine Zeile weiter zu kommen,

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Kellergeschosses. Mir war die genaue tektonische Lage meines Leichnams bewusst – ein ebenso körperliches wie astrales Gefühl. Dabei spürte ich, wie ich langsam in Verwesung überging. Das weiße Blatt Papier blieb völlig gleichgültig all dem gegenüber. Es war mein Leichenhemd. „Thus quoth the raven: never­ more!“ Ich lag aufgebahrt und auf­ ge­bläht von der eigenen Dummheit und Unfähigkeit. In guten Momenten horchte ich ängstlich nach einem Anzeichen in meinem Kopf, das es gerechtfertigt hätte, zum weißen Blatt zu springen und ihm Rapport zu leisten. Dabei schliefen erst meine Hände und Füße, dann meine Arme und Beine ein. Auf den Ratschlag des Hausmeisters, der einen Nachschlüssel hatte, doch mal raus an die frische Luft zu gehen, konnte ich zu diesem Zeitpunkt bereits

gelang mir nicht einmal mehr, den kleinen Finger zu rühren. Weite Teile meines Gehirns schienen von einer ähnlichen Lähmung betroffen. Das Einzige, was noch mit Leben erfüllt war, war mein Schließmuskel, denn etwas Warmes, Weiches, das die Konsistenz von Lehm hatte, quoll aus ihm heraus auf meinen hinteren Hoden und den Ansatz der Oberschenkel. Als ich in diesem Zustand, der eigentlich angenehm war, plötzlich an das weiße Blatt Papier denken musste, durchfuhr mich ein Schrecken, als wäre ich mitten in der Nacht irgendwo am Ende der Welt erwacht und hätte feststellen müssen, dass ich mich unzählige Stationen zu weit von meinem eigent­ lichen Bestimmungsort entfernt hatte. Das Thomas Mann’sche „trotzdem“ flackerte an der Decke auf und verschwand wieder, flackerte auf und


verschwand. Dann meldete sich eine Art Tinnitus, ein unangenehmer Pfeifton, der immer lauter wurde und an das Pfeifen eines kochenden Wasserkessels erinnerte. Die Worte von Arendt, dass die entsetzlichen Qualen vor dem weißen Blatt Papier, die wir als so sinnlos erachteten, nur den Boden für unser schwieriges Handwerk schaffen, kamen mir im Nachhinein vor wie der blanke Hohn. Und dennoch: Die ausweglose Lage zwang mich, zu begreifen, dass ich nur noch eine Chance hatte, um den Weg zurück in die Welt zu schaffen, und das war das weiße Blatt Papier. Das weiße Blatt Papier war das Nadelöhr aus der Hölle zurück in die Welt. Wenn es mir nicht gelingen sollte, das weiße Blatt mit Sinn zu erfüllen, sprich weiter zu schreiben, dann würde ich tatsächlich lebendigen Leibes verfaulen. Das weiße Blatt stellte mir ein Ultimatum. Es verlangte von mir, irgendwann, und zwar bald, mit Sinn erfüllt zu werden. Angesichts dieser unlösbaren Aufga-

be geriet ich an den Rand hysterischer Angstzustände. Der Tinnitus, der in meinen Ohren pfiff, begann nun zu dröhnen wie ein Triebwerk. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob es die Willenskraft war, die so in meinem Schädel dröhnte, oder der Rotor des Wahnsinns, der permanent ins Leere lief. Oder ob es nur die dröhnende Leere in meinem Kopf war. Dem weißen Blatt Papier war es egal, was mit mir geschah. Unbestechlich und kalt wie ein Scharfrichter harrte es der Dinge. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass der Rest eines abstrakten Denkvermögens in der riesigen Leere, in der unvorstellbaren Wüste, die meinen Schädel umgab, doch noch herumirrte und nach Anhaltspunkten von etwas Brauchbarem suchte, nach irgend­ einer Wegzehrung, einem Kanten Brot, den jemand achtlos in diese Wüste geworfen hatte, nach einer Plastikflasche, in der noch ein Rest abgestandener Limo verdunstete, nach einem Paar Badelatschen für

seine verbrannten Füße oder nach einer Creme, die er sich auf seine mal­ trätierte Haut schmieren konnte, auf das offenliegende rote Fleisch zwischen der in Fetzen herunterhängenden Haut seines Hodens. Ich verfolgte die Suchbewegung mürrisch, argwöhnisch, nur scheinbar untätig, auch mit einem Gefühl großen, unterdrückten Ärgers und Frusts, der sich im unteren Bereich der Waden absetzte und dort große Nervosität erzeugte, sodass die Füße wieder zu scharren anfingen. Dieser Ärger blies mich auf wie einen großen Luftballon, der kurz vorm Platzen war. Aber angesichts der gewaltigen Massen an Zeit, die noch vor mir lagen, wurde ich wieder apathisch. Dem weißen Blatt Papier war das egal.

Dieser Text ist ein Vorabdruck eines Auszugs aus Oskar Roehlers Buch Mangel Mehr über den Autor auf S. 8

* Die Reuther Hut ist eine einsam gelegene Siedlung ober­ halb von Reuth in der Nähe des unterfränkischen Forch­ heims. Die Hut war nur durch einen unbe­ festigten Forstweg erschlossen, der im Winter oft vereiste; die steilen Wegstücke waren regel­ mäßig für mehrere Wochen unpassier­ bar. Die Bauern, denen die umliegenden Felder und Par­ zellen gehörten, weigerten sich lange, einen Ausbau des Zuwegs zu ermöglichen; eine tief sitzende Feindschaft zwischen den Siedlungsbewohnern und den Leuten im Dorf unten war Folge davon oder Grund dafür. In dieser Randzonen-Provinz wächst der Junge auf, der in Roehlers Buch aus seinem Leben erzählt. „Arendt“ war einer seiner Lehrer; er hatte ihm schon in der Kindheit die Welt der Bildenden Kunst erschlossen und blieb auch später noch eine wesentliche Bezugsperson. (Anm. der Red.)

Illustration Benedikt Luft

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Premiere Mavra / Iolanta


Wende, Wandel, Weitblick Die Musikerinnen und Musiker des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper Die Wände des Rohbaus sind noch unverputzt, lose Kabelenden springen daraus hervor oder hängen von der nackten Decke. Neue Leitungen werden verlegt, ebenso wie der Boden. Bald riecht es hier nach frischer Farbe. Den Mitgliedern des Opernstudios liegt der Baustellencharakter. Unter professioneller Anleitung wird in ihrer „Werkstatt“ an Technik und Ausdruck geschliffen und mit neuen Klangfarben experimentiert. In der Inszenierung Mavra / Iolanta wird das Ergebnis zu sehen sein. Hier erzählen sie von den Schlüsselmomenten ihrer jungen Karriere, radikalen Umbrüchen und großen Träumen.

Mavra Igor Strawinskys Einakter Mavra ist im Wesentlichen eine kleine Liebeskomödie mit Travestieanteilen. Interessant sind Musik, Vorlage und Entstehungsgeschichte: Die Geschichte von Parascha und Wassili, der sich als Köchin Mavra verkleidet und auf diese Weise in den Haushalt seiner Geliebten Einlass findet, hat der 17-jährige Librettist Boris Kochno Alexander Puschkins Verserzählung Das Häuschen in Kolomna entnommen. Die Kurzoper kam bei der Uraufführung am 3. Juni 1922 in der Pariser Opéra Garnier – als Vorprogramm zu Strawinskys Balletten Petruschka und Le Sacre du printemps – äußerst schlecht an. Der amerikanische Musikwissenschaftler und Strawinsky-Spezialist Richard Taruskin führt das in seinen Überlegungen zum Werk und seiner Geschichte auf den Rahmen zurück: Mavra sei, so seine These, von Strawinsky und Kochno im Stil eines musikalischen Sketches konzipiert worden, beeinflusst von den Programmen einer Pariser Music-Hall, die beide öfter besucht hatten. Das Publikum in der Opéra Garnier habe das Stück im Zusammenhang einer Aufführung der Ballets Russes, noch dazu von zwei bereits zu diesem Zeitpunkt als bedeutsam rezipierten Balletten Strawinskys, womöglich als unpassend empfunden. Aus heutiger Sicht erscheint Mavra als ein auch musikalisch amüsantes Werk, das sich mit polytonalen und rhythmischen Mitteln und mit Rückgriff auf Folkloreelemente spielerisch der russischen Opern- und Romanzentradition annimmt und in das der Komponist respektvoll Zitate der Widmungsträger Tschaikowsky und Glinka eingearbeitet hat. Iolanta Peter I. Tschaikowskys lyrische Oper Iolanta entstand als Auftragswerk der Direktion der Kaiserlichen Theater in St. Petersburg. Ende 1890 beauftragte diese Tschaikowsky mit der Komposition einer einaktigen Oper und eines zweiaktigen Balletts, die zusammen an einem Abend aufgeführt werden sollten. Während der Stoff für das Ballett Der Nussknacker von Theaterdirektor Iwan A. Wsewoloschski vorgeschlagen wurde, der auch an dessen Szenario mitarbeitete, war Iolanta die Idee und der Wunsch des Komponisten. Die Geschichte der blinden Prinzessin Iolanta, lose an die historische Figur der Jolande von Lothringen angelehnt, war ihm in dem Theaterstück König Renés Tochter des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz begegnet; das Sujet faszinierte ihn so, dass er sich, wie er in einem Brief schrieb, imstande sah, dazu „etwas Schönes zu schreiben, das Beste von allem, was ich je geschrieben“. Das Libretto, das Modest Tschaikowsky nach Hertz‘ Drama verfasste, lässt den Einfluss des Komponisten erkennen, der sich in seinen letzten Lebensjahren intensiv mit der christlichen Lehre und der Philosophie Baruch de Spinozas auseinandersetzte. Während die Uraufführung am 6. Dezember 1892 im Mariinski-Theater bejubelt wurde, zeigte sich die russische und später auch die internationale Kritik ungnädig. Fürsprechern wie Gustav Mahler zum Trotz wurde das Werk lange Zeit außerhalb Russlands selten gespielt.

Opernstudio

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Markus Suihkonen 25 Jahre, Bass, Finnland

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Singen ist lebenslanges Lernen. Die Stimme als lebendiges Instrument entwickelt sich ständig weiter. Es gibt kein fertiges, einzig wahres Ergebnis, auf das man verbissen hinarbeitet. Vielmehr muss ich immer den Grund dafür kennen, warum ich singe, denn nur so bleibe ich locker sowie motiviert und gebe der Stimme die nötige Freiheit, sich zu entfalten. Ich genieße es, diesem natürlich fortschreitenden Prozess mit der Unterstützung durch das Opernstudio gelassen zu folgen, und freue mich, wenn ich in einigen Abständen positive Veränderungen spüre. Zum Glück sind tiefe Stimmen weniger dem Druck ausgesetzt, bis zu einem gewissen Alter einen ganzen Kanon an Partien gesungen haben zu müssen, weil diese etwa jugendliche Frische in der Stimme erfordern würden. Für einen Bass geht es dagegen ab Mitte 40 erst so richtig los mit dem spannenden Repertoire, weil die Stimme an Charakter und Tiefe gewinnt, was viele Basspartien verlangen. Darauf freue ich mich schon.

Protokolle Franziska Betz


Mirjam Mesak 28 Jahre, Sopran, Estland

Nachdem ich mich vor etwa sieben Jahren in meiner Heimat Estland an der Musikakademie in Tallinn für ein Gesangsstudium beworben hatte, wurde in meinem Rachen eine Zyste diagnostiziert. Die Operation fiel ausgerechnet in den Zeitraum des Vorsingens, sodass ich nicht daran teilnehmen konnte und mein großer Traum mit einem Mal zu zerplatzen drohte. Nachdem ich diesen Schicksalsschlag verarbeitet hatte, verspürte ich den Drang, schnellstmöglich einen Neuanfang zu wagen: auf und davon, ins Ausland! Von einem Tag auf den anderen packte ich meine Sachen und reiste nach London. Ich kannte dort niemanden, wohnte zwei Wochen in einem Hostel und lebte von Ersparnissen. Rückblickend unglaublich, dort einen guten Lehrer gefunden zu haben, an der Guildhall School of Music and Drama aufgenommen worden zu sein und schließlich hier in München im Opernstudio meine Karriere fortzuführen.

Fotos Julian Baumann

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Long Long 27 Jahre, Tenor, China

Als ein Musiklehrer mir als Teenager eines Tages die Gelegenheit gab, klassische Musik live zu erleben, war ich so tief bewegt, dass ich mich ihr von diesem Zeitpunkt an voll und ganz verschrieb. Das war die radikale Absage an die Rockmusik, die ich zuvor immer gehört hatte. Wenn man wie ich in China aufwächst und die Tradition der klassischen Musik professionalisieren möchte, muss man dazu bereit sein, in die westliche Welt überzusiedeln. Die Aufnahme ins Opernstudio war daher für mich der wichtigste und wertvollste Schritt. Er hat mein Leben komplett verändert. Für einen jungen Sänger herrschen hier die denkbar besten Bedingungen, seine Karriere auf einer soliden Basis aufzubauen: Hochqualifizierte Beratung und Arbeit auf weltweit höchstem Niveau geben einem von Tag zu Tag mehr Selbstvertrauen. Die Statusveränderung vom Studenten zum angehenden Tenor war für mich der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.

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Die meisten Opern Rossinis tragen für mich den Kern einer gesunden und positiven Lebenseinstellung in sich, an der ich mich orientiere. Speziell an der Oper La Cenerentola fasziniert mich, wie alles ineinandergreift, wie sich alles ähnlich einem Puzzle fügt. Dieses Grundmotiv treibt auch mich immer schon voran. Eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg in der Musik ist es, an Träumen festzuhalten und daran zu arbeiten. Für einen Musiker wie mich ist eine gewisse Grundgelassenheit einer der wesentlichen Punkte in meinem Leben. Ich reise viel, arbeite nicht an einem bestimmten Ort, doch die Musik dient mir dabei immer als Zuhause und Fundament, das mir Halt gibt.

Alessandro Stefanelli 24 Jahre, Klavier, Italien 45


Caspar Singh 22 Jahre, Tenor, Großbritannien Unmittelbar nach meinem Gesangsstudium an der Guildhall School of Music and Drama in London mit 21 Jahren ins Opernstudio aufgenommen zu werden, war für meine Karriere der größte Schritt vorwärts und ein überraschender Wendepunkt. Als Kind und Jugendlicher habe ich lange im Kirchenchor gesungen. Nie hatte ich jedoch das Ziel vor Augen, Opernsänger zu werden, denn ich war mit der Oper früher nicht in Berührung gekommen, obwohl ich aus einer musikalischen Familie stamme. Erst nach einem halben Jahr an der Guildhall School entstand der Kontakt und demzufolge die Hinwendung vom Konzert- zum Musiktheaterrepertoire. Das hat einen enormen stimmlichen Transformationsprozess vom Chor- zum Opernsänger ausgelöst. Vielleicht berührt mich der unschuldige Charakter Taminos aus der Zauberflöte deshalb so sehr, weil ich mich als junger Sänger in der großen professionellen Gesangswelt mit seinem inneren Gefühlszustand und all den zu bestehenden Prüfungen gut identifizieren kann.

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Noa Beinart 27 Jahre, Mezzosopran, Israel

Mit sieben sang ich im Kinderchor in Tel Aviv. Die Achtzehnjährigen dort verkörperten für mich die Vollendung des Gesangs, da sie mit ihren mächtigen Stimmen so viel bewegen konnten. Als ich dann in ihrem Alter war und zur Armee gehen sollte, wurde ich beim Stadtentscheid für das musikalische Zusatzprogramm des israelischen Kulturministeriums ausgewählt. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich die Chance habe, das Singen zu meinem Beruf zu machen. Bis vor zwei Jahren hatte ich aber immer noch daran gezweifelt. Erst mit der Aufnahme ins Opernstudio fing ich an, wirklich daran zu glauben. Fast in jeder romantischen Oper gibt es ja diesen alles verändernden Augenblick – den Moment, in dem man seinen Seelenverwandten findet, wie zum Beispiel Mimì ihren Rodolfo in La bohème. Dass die Oper die Kraft besitzt, derart intensiv die Gefühlsebene anzusprechen, finde ich einzigartig.

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Natalia Kutateladze 27 Jahre, Mezzosopran, Georgien Nach New York zu gehen, war für mich vor vier Jahren, wie ins gelobte Land einzuziehen: Amerika mit seinem freiheitlichen Geist schien mir durch und durch perfekt zu sein, im Gegensatz zu meiner Heimat Georgien, wo ich der alten Traditionen überdrüssig geworden war und mich von den starken familiären Bindungen eingeengt fühlte. Erst nach einiger Zeit in der vermeintlich schönen neuen Welt – ich studierte an der New Yorker Juilliard School Gesang – erkannte ich auch ihre Schatten­seiten: ökologische Ignoranz, Rassismus und Diskriminierung – Probleme, die viele Teile der Welt beherrschen. Das hat meine Lebenseinstellung massiv verändert. Wenn man als Opernsängerin einem breiten Publikum bekannt ist, sollte man neben der vorrangigen künstlerischen Arbeit auch die große Chance wahrnehmen, seine Stimme aktiv für Mitmensch­ lichkeit, gesellschaftliche Werte und zum Schutz der Ressourcen unseres Lebensraums zu erheben.

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Als ich meinem Vater mit 18 Jahren erzählte, dass ich Opernsänger werden und mich für die Aufnahmeprüfung eines Gesangsstudiums am Konservatorium in Ankara bewerben möchte, war er zuerst überrascht. Vom fußballspielenden Jungen zum Sänger war für ihn ein weiter Weg. Mein Vater ist selbst Opernsänger und gab mir daraufhin Gesangsstunden, die zuerst nicht wirklich fruchteten. Auch seine Kollegen versuchten alles Mögliche, um mich bestens für die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten, waren zunächst jedoch nicht sonderlich zuversichtlich. Mit meinem Vater arbeitete ich härter daran, eine solide Gesangstechnik zu erlernen, was wir dann auch zusammen meisterten. Er ist immer noch mein mentaler Coach, und ich verwende stets die Basics seiner Technik. Seit ich hier im Opernstudio bin, habe ich mich in vielerei Hinsicht weiterentwickelt — in Bezug auf meine Persönlichkeit, meine Technik und mein soziales Leben. Ich fühle mich darin bestärkt, den richtigen beruflichen Weg eingeschlagen zu haben und meiner Leidenschaft gefolgt zu sein.

Oğulcan Yılmaz 27 Jahre, Bassbariton, Türkei 49


Freddie De Tommaso 26 Jahre, Tenor, Großbritannien / Italien Nach den ersten zehn Tagen an der Royal Academy of Music war für mich klar: Das ist es! Ich will Singen zu meinem Beruf machen! So bekam mein Leben eine völlig neue Ausrichtung. Mein Professor Mark Wildman hat mich darin bestärkt und gefördert wie kein anderer. Mit ihm habe ich nach 18 Monaten Gesangsstudium die Umstellung vom Bariton zum Tenor vollzogen, was die richtige Entscheidung war, denn dieses Repertoire liegt mir viel besser in der Stimme und ist leidenschaftlicher. Als Tenor werde ich mir den Traum verwirklichen können, meine absolute Lieblingsrolle zu singen: Mario Cavaradossi in Tosca. Um seinem Freund zu helfen, nimmt Cavaradossi größte Gefahren und Qualen auf sich, was sein eigenes Leben von Grund auf verändert und schließlich in den Tod führt. Ein höchst ehrbarer Charakter, dem ich mich sehr verbunden fühle. Mein größtes Vorbild ist Franco Corelli, dessen CavaradossiInterpretation in Parma 1967 mich nicht mehr loslässt, seitdem ich sie das erste Mal gehört habe.

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Anna El-Khashem 23 Jahre, Sopran, Russland

Opernsängerin zu werden, stand für mich im Alter von vier Jahren fest. Die einzige Möglichkeit, mit Gesang aktiv in Berührung zu kommen, eröffnete mir zunächst allerdings nur der Chorgesang an meiner Musikschule. Erst mit 17 erhielt ich dann am Konservatorium solistischen Gesangsunterricht. Seit mir die Opernsängerin Jelena Wassiljewna Obraszowa vermittelt hat, was Singen wirklich bedeutet – nämlich den Noten auf dem Papier Leben und Leidenschaft einzuhauchen, anstatt sie bloß in richtig intonierten Klang umzusetzen –, fasziniert es mich, meine eigene künstlerische Freiheit zu entdecken. Voraussetzungen dafür sind das Vertrauen in meine Fähigkeiten und der Mut, meine Gefühlsäußerungen frei auf der Bühne auszuleben. Dazu bietet mir das Opernstudio gerade die ideale Experimentierfläche. Mich am emanzipierten Charakter meiner Lieblingsopernfigur zu orientieren, motiviert mich dabei sehr: Susanna aus Le nozze di Figaro nimmt ihr Glück selbst in die Hand und verändert damit ihr Leben zugunsten ihres Liebestraums.

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Als Kind hatte ich ADHS, als Jugendlicher war ich dick und in der Schule wurde ich gemobbt, weil ich wegen regelmäßiger Gesangsstunden häufig nicht am Unterricht teilnehmen konnte. Ich werde den Moment nie vergessen, als mich meine Klassenkameraden kurz vor dem Abitur mit Geldforderungen erpresst haben, um mich weiterhin als Mitglied ihrer Gemeinschaft zu dulden. Zu Beginn meines Gesangsstudiums ließ sich meine Stimme nicht einfach in ein Fach pressen. So habe ich bereits einen Wandlungs­ prozess vom Bass über den Bassbariton zum Bariton hinter mir, was mir viel Zeit, Ausdauer und Mut abverlangt hat und gleichzeitig mit Unsicherheit und Verwirrung einherging. Nun habe ich gelernt, in jeder Veränderung eine Chance zu sehen, und bin mittlerweile als Bariton sehr zufrieden. Nach all den wechselvollen Erfahrungen fühle ich mich im Opernstudio richtig wohl, zumal mir München als Stadt sehr ans Herz gewachsen ist.

Boris Prýgl 26 Jahre, Bariton, Tschechien 52


Anaïs Mejías 28 Jahre, Sopran, Puerto Rico

Mit drei Jahren habe ich angefangen, Ballett zu tanzen, und wollte das zu meinem Beruf machen. Leider setzte ein Unfall diesem Traum ein jähes Ende. Ich wusste aber: Ohne die Bühne wäre ich nur ein Schatten meiner selbst. Die Alternative zum Tanz, mit der ich mich trotzdem ausdrücken könnte, fand ich mit elf in der Oper. Als der Tenor in einer Turandot-Aufführung „Nessun dorma“ anstimmte, hatte ich meine Berufung gefunden. Ein ähnliches Gefühl überkam mich, als ich jüngst Erwin Schrott in Les Vêpres siciliennes hier an der Bayerischen Staatsoper erlebte. Ich fühlte mich darin bestätigt, meiner Leidenschaft gefolgt zu sein, und war von der emotionalen Wucht überwältigt, die von einer gelungenen Musiktheaterperformance ausgeht, zu der wir als Opernsängerinnen und -sänger beitragen können. Wenn mir ein Kind nach einer Vorstellung etwa von Hänsel und Gretel ganz aufgeregt erzählt, wie gut es ihm gefallen hat, ist das der größte Glücksmoment, den ich mir als Sängerin wünsche.

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Zu der Entscheidung, Opernsänger zu werden, wurde ich durch meine frühere Musiklehrerin inspiriert: Sie brachte mir nicht nur eine solide Gesangstechnik bei, sondern stärkte den Glauben an meine Fähigkeiten und entfachte in mir die Sehnsucht nach Musik. Seitdem ist Singen für mich wie eine Droge. Bevor ich hierher ins Opernstudio kam, hatte ich noch keinerlei Erfahrung an einem so großen Haus gesammelt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie behütet und bequem die Studienzeit am Konservatorium in Sankt Petersburg war und welch romantisch-naive Vorstellung ich vom Sängerberuf hatte. Dagegen ist eine Karriere an der Weltspitze ein hartes Business, das täglich disziplinierte und konzentrierte Arbeit erfordert. Die positive Atmosphäre im Opernstudio und die Förderung lassen mich aber zum Glück oft die Anstrengung hinter all der Arbeit vergessen. Ich möchte mir meinen Traum erfüllen, als Groß­ inquisitor aus Don Carlos auf der Bühne zu stehen und diese mächtige Musik mit dem ganzen Körper zu spüren.

Oleg Davydov 26 Jahre, Bass, Russland

Das Fotoshooting fand auf einer Baustelle der H-I-M Villenbau statt. Mehr über den Fotografen auf S. 8

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Franziska Betz studierte Romanistik, Musikpädagogik und Musikwissenschaft. 2018 war sie Dramaturgie-Volontärin an der Bayerischen Staatsoper. Sie ist Mitarbeiterin der Abteilung Dramaturgie und Publikationen der Salzburger Festspiele.


Ewa Danilewska 28 Jahre, Klavier, Polen

Seit ich mit dem Klavierspiel angefangen habe – damals war ich fünf –, ist der Wunsch, Pianistin zu werden, während der Jahre wie von selbst gereift. Die künstlerische Vielfalt, die hier in München an den Tag gelegt wird, schätze ich sehr. Ich fühle mich sehr wohl im Opernstudio und bin froh, diesen großen und für mich wichtigen Schritt gewagt zu haben, obwohl ich gerne in meiner Heimat geblieben wäre. Mein Lehrer an der Opernakademie in Warschau, der meine Entwicklung immer begleitet und angetrieben hat, ermutigte mich dazu. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Warum ich mich als Pianistin zur Oper hingezogen fühle? Das liegt an meiner Liebe zu Le nozze di Figaro, die ich als Teenager zum ersten Mal gesehen habe und die auch hier in München mein erstes Opernerlebnis geprägt hat.

Mavra / Iolanta Komische Oper in einem Akt / Lyrische Oper in einem Akt Von Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky Premiere am Montag, 15. April 2019, Cuvilliés-Theater Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Mit der Digitalisierung erleben wir derzeit einen echten Umbruch in der Gesellschaft. Digitalisierung an sich ist keine neue Entwicklung – aber mit dem Aufstieg des Internets hat dieser Prozess eine andere Stufe erreicht, Quantität schlägt in Qualität um. In kürzester Zeit ist ein neuer gesellschaftlicher Raum entstanden, der das Digitale bis in die feinsten Verästelungen unserer Lebenswelt gebracht hat und in den unterschiedlichsten Feldern unser Zusammenleben revolutioniert. Gerade in Arbeitswelt und Wirtschaft wird dieser Informationsraum zum Motor tiefgreifender Veränder­ungen. Betroffen sind nicht einige wenige Nerds oder IT-Experten, sondern es geht um die moderne Industrie, die Welt der Büros und personennahe Dienstleistungen (etwa im Einzelhandel und im Gesundheitssystem). Digitale Daten sind nicht mehr das nachgelagerte Anhängsel von Wirtschaftsprozessen, sondern werden zum Zentrum moderner Wertschöpfung und Ausgangspunkt neuer Geschäftsmodelle. Selbst reife industrielle Märkte verändern sich in der Folge rasant und disruptiv. Das beste Beispiel hierfür ist der markante Wandel in der Automobil­ industrie: Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass deutsche Autobauer Unternehmen wie Google oder Apple als neue Konkurrenten fürchten müssen? Nicht weil sie auf einmal besser Blech biegen können – sondern weil auch in jener Branche der Umgang mit Daten zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird. Anders als die deutsche Debatte um „Industrie 4.0“ einen glauben lässt, geht es hier um viel mehr als nur um Automatisierung, scheinbar intelligente Roboter und digital vernetzte Fabriken. Betroffen sind Unternehmen als Ganzes – die Grundfesten, wie wir Arbeit und ihre Organisation seit mehr als 150 Jahren denken, werden mit der Digitalisierung erschüttert. Selbst die Flaggschiffe der Industrie müssen erkennen, dass ihr Modell des bürokratischen Unterneh-

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Getty Images / Jack Hollingsworth

Hallo, Neuland!


Mit der Digitalisierung stehen Arbeitswelt und Wirtschaft vor dem größten Paradigmenwechseln seit der industriellen Revolution. Für Deutschland bedeutet das: eine Operation am offenen Herzen.

mens – mit seinen starren Prozessen, voneinander abgeschotteten Abteilungssilos und ausgeprägten Hierarchien – an seine Grenzen gerät. Auch die Frage nach dem Arbeitsplatz der Zukunft stellt sich in der Praxis völlig neu. Zugespitzt gilt, dass für wachsende Tätigkeitsbereiche ein funktionierender WLAN-Anschluss völlig ausreichend ist, um anytime, anyplace arbeiten zu können. Was aber geschieht dann mit dem Betrieb als sozialem Ort, wenn niemand mehr persönlich im Büro erscheinen muss? Vergleichbar mit der industriellen Revolution im 19. und 20. Jahrhundert steht die Wirtschaft so vor einem weiteren Paradigmenwechsel. In dieser Situation können Unternehmen nicht mehr darauf setzen, das Bestehende einfach zu optimieren und anzupassen. Wer weiterhin Erfolg haben will, muss bereit sein, bekannte Pfade zu verlassen und Neuland zu erschließen. Unternehmen müssen dabei auf allen Ebenen neu denken: vom Geschäftsmodell über die Organisation von Arbeit bis zur Kultur. Damit tritt die deutsche Wirtschaft in eine spannende Phase. Gerade in der Bundesrepublik konnten wir uns lange in einem aufeinander aufbauenden Entwicklungspfad bewegen: Schrittweise wurde das bestehende Geschäft erweitert, verbessert und bis zur absoluten Perfektion gebracht. Darin war die deutsche Wirtschaft Weltspitze – in Kategorien des Umbruchs zu denken, ist jedoch neu. Bisher sind wir dafür nicht gut gerüstet. Anders als die Start-ups des Silicon Valley können Unternehmen hierzu­ lande nicht auf der grünen Wiese starten. Als gestandene Industriekonzerne müssen sie den Umbruch ausgehend von gewachsenen Strukturen bewältigen. Dafür steht ihnen auch nicht unbegrenzt Risikokapital zur Verfügung, sondern das Geschäft muss weiterlaufen. So wird der Wandel unter hohem ökonomischem Druck als Operation am offenen Herzen vorangetrieben – für viele ein kaum zu bewältigender Spagat.

Text Andreas Boes, Tobias Kämpf

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Es gilt heute, Arbeit wirklich neu zu denken. Gefragt ist eine Zukunftsvision, die die Digitalisierung und die Emanzipation der Menschen neu zusammenbringt.

In dieser durch hohe Unsicherheiten geprägten Kon­ stellation neigen viele Unternehmen deshalb dazu, auf bekanntem Terrain zu bleiben und ihren gewohnten Entwicklungspfad nicht zu verlassen. Die teils aus dem Boden gestampften und manchmal geradezu potemkinsch anmutenden Digitalabteilungen hiesiger Firmen kaschieren dies in der Praxis oft nur mühsam. Die Diskussion um „Indus­trie 4.0“ steht exemplarisch dafür: Sie greift zwar das umwälzende Potenzial der Digitalisierung auf – in konkrete Strategien übersetzt wird das aber weiterhin aus der Perspektive des alten industriellen Entwicklungsparadigmas. Die Digitalisierung erscheint dann lediglich als Fortführung der wohlbekannten Strategie, menschliche Arbeitskraft durch Technik zu ersetzen. Die vielfältigen Möglichkeiten werden so auf ein bloßes Werkzeug zur Automatisierung reduziert. Die Aussicht auf kurzfristige Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen verstellt den Blick auf die Chancen, aber auch die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuausrichtung von Arbeit und Wirtschaft. Die Gefahren dieser Strategie werden deutlich, wenn man mit den Beschäftigten spricht. In unserer Forschung können wir eine hohe Verunsicherung erkennen. Diejenigen, welche die Neuerfindung der Unternehmen mit großer Energie vorantreiben müssten, fühlen sich von der Digitalisierung vor allem bedroht. Sie erleben sich als Opfer einer technischen Entwicklung, die ihre Arbeitsplätze riskiert und ihre Arbeit entwertet. Mit dem deutschen Fokus auf Automatisierung ist dies nur folgerichtig und konsequent. Wer in diesem Umbruch vor allem auf digitale Fließbänder und die datengetriebene Überwachung von Arbeit setzt, ge­fährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und begibt sich auf einen ungewissen Pfad – vorwärts in die Vergangenheit. Befeuert von den wachsenden Zukunftsängsten der Mittelschicht bildet heute der rasante Aufstieg rechter Parteien die Begleitmusik zu den Umwälzungen der Digitalisierung.

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Gesellschaftliche Umbruchsituationen zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie nicht determiniert sind. Veränderungen sind in alle Richtungen möglich, Verhältnisse und Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft geraten insgesamt in Bewegung. Dies öffnet historische Chancen für einen Perspektivwechsel. Es gilt heute, Arbeit wirklich neu zu denken. Gefragt ist eine Zukunftsvision, die die Digitalisierung und die Emanzipation der Menschen neu zusammenbringt: Wie können wir die Potenziale nutzen für bessere Arbeitsbedingungen? Wie können wir damit Arbeitsplätze gestalten, die das Leben bereichern? Wie schaffen wir so mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft und mehr Empowerment für die Beschäftigten? Digitalisierung, das könnte heute vor allem heißen, dass wir den globalen Informationsraum nutzen, um Milliarden Menschen in Beziehung zu bringen, das Wissen der Welt besser zu teilen. Dieser Raum könnte helfen, Informationen aus allen Lebensbereichen zu vernetzen, unsere Zeitsouveränität zu erhöhen und die Nachhaltigkeit in der Mobilität oder der Produktion radikal zu steigern. Die Beteiligung der Menschen an den wichtigen Entscheidungen in der Gesellschaft, ein ehrliches Bestärken und eine konsequente Demokratie wären so denkbar. Dann ginge es bei der Digitalisierung primär gar nicht um Technik, sondern um Kommunikation, um Miteinander, um Ausprobieren, um neue Ideen, um eine bessere Welt. So könnte aus dem digitalen Umbruch ein gesellschaftlicher Aufbruch werden, der den Menschen wieder Lust auf Zukunft macht.

Andreas Boes ist ein Pionier der deutschen Digitalisierungsforschung. Er befasst sich seit über 30 Jahren mit der Informatisierung der Gesellschaft und der Zukunft der Arbeit. Mit seinem Team am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. (ISF) München forscht er zu den Heraus­forderungen des Übergangs zur Informationsökonomie und den Erfolgs­bedingungen einer humanen Gestaltung dieser Entwicklung. Boes ist Direktor des Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (BIDT) und Professor an der Technischen Universität Darmstadt. Tobias Kämpf ist promovierter Wissenschaftler am ISF München und Lehrbeauftragter an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg. Sein soziologisches Forschungsgebiet reicht von digitalen Geschäfts­modellen und dem Umbruch in Unternehmen über neue agile Arbeitsformen bis hin zu den Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Folgen für Beschäftigte.


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Ein Leben in Bruchstücken Der ideale Lebenslauf ist lückenlos, Leerstellen gelten als Makel. Doch wie gehen Musiker mit Umbrüchen in ihrer Entwicklung um? Zeitläufe und Selbstbilder spielen dabei eine wichtige Rolle. Das zeigt ein Blick auf die Künstlerbiographien der Komponisten der kommenden Akademiekonzerte. 60

Bayerisches Staatsorchester


Akademiekonzerte

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Die Vorlage eines bewerbungstauglichen Lebenslaufs kennt keine Brüche: Im Internet kursieren zahlreiche Ratgeber, die beim Verfassen helfen sollen. In diesen Vorlagen ist viel Raum für den Wechsel der Arbeitsstellen, die Zeitleiste aber ist durchgängig, Unterbrechungen sind nicht vorgesehen. Die Vita eines Max Mustermann ist immer lückenlos. Künstlerbiogra­ phien sind von solcherart bruchlosen Darstellungen nicht ausgenommen, mehr noch: Sie folgen sogar bis heute dem ziemlich engmaschigen Muster einer Ideal­ biographie. Hartmut Welscher, Herausgeber des Web-Magazins VAN, begann 2015 sein Interview mit dem US-amerikanischen Komponisten Ari Benjamin Meyers mit folgender Einleitung: „Künstlerbiogra­ phien in der klassischen Musik folgen oft einem Pfad, der sich in Programmheften und Pressemitteilungen so liest: ‚Fing schon mit [Alter zwischen drei und fünf eintragen] Jahren an, ein Instrument zu spielen, erhielt früh Unterricht bei [legendäre Lehrerfigur ergänzen] an der [renommierte Hochschule eintragen], debütierte mit [Alter zwischen zwölf und 20 eintragen] unter [namhaften Dirigenten einfügen], nahm an Meisterkursen bei [Starsolisten eintragen] teil.‘“ Dass Meyers eine solche „Normalbiographie“ nicht erfüllt, stellt Welscher dann im eigentlichen Interview klar: „Irgend­ etwas scheint da schiefgelaufen zu sein, auf dem klassischen Weg.“ Die Frage, ob ein Lebenslauf ohne Brüche überhaupt denkbar ist, hängt aufs Engste mit der Frage nach dem idealen Lebenslauf, dem „klassischen Weg“ zusammen. Denn was ist innerhalb eines Lebenslaufs ein Bruch? Sind Lebensläufe nicht eine Abfolge von Veränderungen, mithin Um-Brüchen, die wir gewöhnlich in begradigte Wege übersetzen? Warum aber tendieren wir dazu, Umbrüche negativ zu konnotieren und sie in der Darstellung des Lebenslaufes auszulassen, schönzuschreiben, zumindest zu kaschieren? Ein Leben nach dem Stufenleiterprinzip Antworten darauf gibt das bürgerliche, sich an der Idee des Entwicklungsromans einerseits und an kapitalistischen Idealen andererseits aufstellende 19. Jahrhundert: Die Industrialisierung mit ihren genormten, an ökonomischem Erfolg orientierten Lebensentwürfen hatte hier tiefe Spuren hinterlassen. So sah die Idealbiographie – freilich ausschließlich für den Mann bürgerlichen Standes – das beständige Fortschreiten des Individuums vor, nicht selten in Bilder des Stufenleiterprinzips gefasst. Der heute noch übliche Begriff der Karriereleiter hat hierin seinen Ursprung, ebenso die Vorstellung, dass Lebensläufe ohne eine so gestaltete Normalbiographie

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erklärungsbedürftig sind: der Wechsel des Studienfachs etwa, Erziehungs- oder Pflegezeiten, gar eine (re)kreative Auszeit. Zwar waren in jenen bürgerlichen Idealbiographien auch Widerstände denkbar, aber nur auf eine Weise, die in einem Per-aspera-ad-astra-Prinzip, als Mühen auf dem Weg zum Erfolg, durchlebt und bewältigt werden sollten. Im Genie-Diskurs waren solcherart Widerstände gar Ausdruck besonderer Größe, wie der Musiktheoretiker und -historiker Adolph Bernhard Marx an Beethoven illustrierte: „In unscheinbarer Enge begann Beethoven seinen Lebenslauf. […] Damit seine Sendung sich vollziehe, musste noch ein unheimlich Geschick in den innern Organismus zerstörend eingreifen […]. Was andere gehemmt und gebunden hätte für immer, ihn musste es stählen und freimachen.“ Widerstand ja, Umbruch nein: Mit „eiser­ner Konsequenz festhalten, um sich schließlich zu Einem Ganzen“ zu formen, war das Ideal der auf diese Weise dargestellten Komponistenbiographien, wie Max Kalbeck in seiner Brahms-Biographie erläuterte. Abbrüche oder gar ein Abweichen des einmal eingeschlagenen Pfads, in Gegenstand wie Darstellung, waren in diesem Modell nicht vorgesehen. Das Umdefinieren von Veränderung in Kontinuität – statt Bruch – erhielt auf diese Weise seine Berechtigung: Veränderung als Fortschritt. Was aber, wenn nicht nur (umdeutbare) Um-, ­sondern erkennbare Abbrüche zu einer Biographie hinzugehören? Wenn Zeitläufe, politische Konflikte, Kriege, Flucht, Exilerfahrung, selbstgewählte Umbrüche oder von außen erzwungene zu unverkennbar markanten Zäsuren werden? Denn ohne Frage ist unter solchen Zeitumständen ein Leben ohne Zäsur und damit eine „Normalbiographie“ eine höchst seltene Ausnahmeerscheinung. Gestern wie heute. Unfreiwillige Abbrüche Stellt man den Fokus auf Umbruch, wird auch bei Komponisten deutlich, wie stark ihre Biographien – und damit sowohl ihr Lebensweg als auch ihr ästhetisches Umfeld – durch Zäsuren mitbestimmt sind, von gesellschaftlichen Umwälzungen, wie etwa den Revolutionswirren in Europa seit 1789, die die höfischen Karrieren der Musiker bisweilen abrupt abbrachen, bis hin zu gewaltsamen Zäsuren, die durch politische Ereignisse, vor allem Kriege, forciert wurden. Immer wieder werden durch solche Zäsuren nicht nur Lebens-, sondern auch ästhetische und musikpraktische Bedingungen grundlegend verändert. Man mag sich das, vergleichsweise moderat, an der Widmungsgeschichte von Ludwig van Beethovens Eroica vor Augen

Text Melanie Unseld


Für Prokofjew war die Heimat Kontinuum, der Westen bedeutete Bruch – mit der künstler­ischen Identität, mit der Karriere und mit dem Ethos als Staatsbürger. So betonte er in seiner Autobiographie nicht das Kontinuum, sondern vielmehr den Bruch, den er durch seinen Weggang aus Russland erfahren hatte und den er nun, als Zurückkehrender, kitten wollte.

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„Aber ich spüre sehr deutlich, dass ich im Lauf der letzten fünfzehn Jahre der überwiegenden Mehrheit meiner Hörer eigentlich fremd geworden bin.“ Aufgrund dieser Erfahrung war es Strawinsky wichtig, seine ästhetische Entwicklung, trotz aller biographischen Brüche, als kontinuier­lichen Weg in die Gegenwart zu verstehen.

führen oder auch, deutlich drastischer, an den Bedingungen des Komponierens bei Viktor Ullmann, Pavel Haas etc. vor 1942 – als Teil der europäischen Avantgarde – und danach, während der Inhaftierung im KZ Theresienstadt. Im Fall der Theresienstädter Komponisten ist der Umbruch 1942 keine Frage von Freiwilligkeit. Wie aber ist der Weggang Bohuslav Martinůs aus Tschechien zu betrachten, als er 1923 nach Paris zog, um bei Albert Roussel Kompositionsunterricht zu nehmen? Karriereschritt, Umbruch oder Vorstadium seines Exils ab 1940, das er nicht zuletzt auch ästhetisch als Zäsur verarbeitete: Sein zweites Violinkonzert, das 1942 im Auftrag des ukrainischen Geigers Mischa Elman entstand, unterscheidet sich nicht nur grundlegend vom barock-polyphonen ersten, das zehn Jahre zuvor in Paris entstanden war, sondern huldigt ausgiebig der kriegsversehrt-versunkenen, in Elman aber verkörperten Kultur des europäischen Violin­

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virtuosentums von Pablo de Sarasate über Joseph ­Joachim bis Eugène Ysaÿe. Und wann spricht man sinnvollerweise bei Igor Strawinsky von einem Umbruch? Anlässlich des Feuervogels 1910, seines ersten Erfolges mit den Ballets Russes in Paris, anlässlich des Skandals mit Sacre du printemps 1913 oder von 1920 an, als er wegen der bolschewistischen Revolution eine Rückkehr nach Russland ausschloss? Umbrüche in seiner Biographie sind diese Zäsuren allemal, und erkenn­barermaßen tragen sie Spuren in sein kompositorisches Schaffen hinein. Umbruch-Inszenierungen Zum Umgang mit Umbrüchen gehört folglich das genaue Hinschauen: (Wie) erlebt sie der Komponist selbst? Gestaltend-selbstgewählt oder erzwungen, als Schicksal? Bewusst oder unbewusst, abrupt oder als Prozess? Reflektierend (und sich darin inszenierend)? Denn zuweilen spricht jemand dort von einem Umbruch, wo

Collagen Yvonne Gebauer


von außen keiner zu bemerken ist. So markierte Strawinsky in seinen Chroniques de ma vie nicht den Umzug von Russland nach Frankreich als wichtige Zäsur, sondern den Moment einer Begegnung: „Im Laufe dieses Winters [in der Saison 1908/09] wurden Scherzo fantastique und Feuerwerk in den Ziloti-­ Konzerten zum ersten Mal gespielt. Der Tag dieser Aufführung ist ein wichtiges Datum für die ganze Zukunft meiner musikalischen Laufbahn. An ihm begannen meine engen Beziehungen zu Diaghilew, die zwanzig Jahre hindurch bis zu seinem Tode dauern sollten.“ Musikhistorisch betrachtet ist der Umbruch mit der Begegnung zwischen dem jungen Komponisten und dem erfolgreichen Impressario zwar eingeläutet, aber erst mit der Uraufführung des Balletts Der Feuervogel 1910 wirklich greifbar, ästhetisch möglicherweise auch erst 1913 vollzogen, als ­Strawinsky­ aus der Zusammenarbeit mit Diaghilews Ballets ­Russes den Schritt in eine expressive Avantgarde ging. Strawinsky aber, das zeigt die Lektüre seiner Chroniques de ma vie an vielen Stellen, favorisierte das Narrativ eines Ursprungs, aus dem heraus sich Entwicklung ebenso schicksalhaft wie unabwendbar, vor allem bruchlos ereignet. Man darf nicht übersehen, dass Strawinsky seine Chroniques 1935/36 veröffentlichte, als er bemerkte, dass sich das Publikum von seiner Musik abwandte: „In der ersten Hälfte meiner Komponistenlaufbahn bin ich vom Publikum sehr verwöhnt worden. Selbst die Werke, denen man zunächst feindlich begegnete, sind bald darauf mit Beifall aufgenommen worden. Aber ich spüre sehr deutlich, dass ich im Lauf der letzten fünfzehn Jahre der überwiegenden Mehrheit meiner Hörer eigentlich fremd geworden bin.“ Aufgrund dieser Erfahrung war es Strawinsky umso wichtiger, seine ästhetische Entwicklung als organischen Weg zu beschreiben, ihn, trotz aller biographischen Brüche, als kontinuierlichen Weg in die Gegenwart zu verstehen. Zur gleichen Zeit entschied sich Sergej Prokofjew für eine gravierende Lebenszäsur: Er blieb endgültig in der Sowjetunion, wurde sowjetischer Künstler mit allen ästhetischen und politischen Konsequenzen. Den Westen galt es nun abzulehnen, um bruchlos im sozialistischen Hier und Jetzt anzukommen: „In Westeuropa und Amerika ist viel über die Mission des Künstlers und über seine schöpferische Freiheit geredet worden. Aber kann ein wahrer Künstler dem Leben fernbleiben und seine Kunst auf die engen Grenzen seiner persönlichen Empfindungen beschränken, oder sollte er nicht dort sein, wo er am meisten benötigt wird, wo seine Kunst dem Volke helfen kann, ein besseres, ein edleres

Leben zu leben?“ Für Prokofjew war die Heimat Kontinuum, der Westen bedeutete Bruch: mit der künstlerischen Identität, mit der (eigenen) Karriere und mit dem Ethos als Staatsbürger. So betonte er in seiner Autobiographie nicht das Kontinuum, sondern vielmehr den Bruch, den er durch seinen Weggang aus Russland erfahren hatte und den er nun, als Zurückkehrender, kitten wollte: „Ich hatte erwartet“, schrieb er über seinen Wechsel in die USA 1918, „dass meine musikalische Laufbahn in Amerika ganz glatt sein würde, aber ich hatte mich g ­ etäuscht.“ Die Autobiographie entstand in der Sowjetunion. Sie trägt die Handschrift des bekennenden Sowjetbürgers ­Prokofjew. Und so bleibt jeder Umbruch auch eine Frage der Darstellung. ­(Auto-)Biographien, nicht nur die von Komponisten, können Umbrüche erzählen oder marginalisieren, ausstellen oder retouchieren, vor allem aber können sie sie werten: Welche Bedeutung Umbrüchen zugeschrieben wird, wie sie gewertet werden – als positive Impulse oder als katastrophische Veränderung –, hängt auch davon ab, welche Narrative in welchem Zusammenhang sinnhaft erscheinen. Melanie Unseld studierte Historische Musikwissenschaft, Literaturwis­senschaft, Philosophie und Angewandte Kulturwissenschaft in Karlsruhe und Hamburg. 2008 wurde sie auf die Professur für Kulturgeschichte der Musik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg berufen. 2013 habilitierte sie sich in Hannover über Biographie und Musikgeschichte. Seit 2016 ist sie Professorin für Historische Musikwissenschaft am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw). Mehr über die Illustratorin auf S. 8

5. Akademiekonzert Sergej S. Prokofjew – Symphonisches Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 125 Jean Sibelius – Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43 Musikalische Leitung: Jukka-Pekka Saraste Solist: Truls Mørk, Violoncello Montag, 29. April 2019, 20 Uhr Dienstag, 30. April 2019, 20 Uhr Nationaltheater 6. Akademiekonzert Bohuslav Martinů – Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 H 293 Igor Strawinsky – Der Feuervogel Musikalische Leitung: Dima Slobodeniouk Solist: Frank Peter Zimmermann, Violine Sonntag, 2. Juni 2019, 11 Uhr* Montag, 3. Juni 2019, 20 Uhr Dienstag, 4. Juni 2019, 20 Uhr Nationaltheater * Vorstellung für die Freunde des Nationaltheaters e. V., begrenztes Kartenkontingent im freien Verkauf

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„Die Liebe ist die einzige Waffe, die wir gegen den Tod haben“ Ein Dirigent, der nicht dirigiert? Antonello Manacorda steht bei seiner ersten Premiere an der Bayerischen Staatsoper vor einer besonderen Heraus­for­derung. Im Interview spricht er über die Liebe als Projekt, Alceste als Wende im Musiktheater und Gluck unter der Dusche.

MAX JOSEPH

Herr Manacorda, glauben Sie an Götter? ANTONELLO MANACORDA  Nein. Aber ich glaube an eine spirituelle Welt, wie sie uns auch in Glucks Alceste begegnet, an eine symbolische Welt, die aber nicht von den Menschen kreiert wurde, um sich die Erscheinungen dieser Welt zu erklären. Darin spielt die Religion die Rolle der Ordnungshüterin. Sie reguliert die Dinge. Sie ist das zentrale Symbol für Moral. Und so ist es auch in Alceste. MJ  Aber fehlt womöglich unserer säkularisierten und singularisierten Gesellschaft diese Fülle? Und war nicht jener Umbruch, der mit Nietzsches Diktum, Gott sei tot, und mit Max Webers Begriff von der „Entzauberung“ stattfand, womöglich äußerst nachteilig für den Menschen?

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AM

Das ist, mit oder ohne Gott, gewiss ein Problem, auch für uns Künstler. Wenn wir die Sache jedoch philosophisch betrachten, dann sitzen wir noch in zwei Tagen hier, weil es auf diese Fragen keine abschließenden Antworten geben kann. Aber ich glaube, das Spirituelle ist die Fülle, von der Sie sprechen. Man kann es definieren als eine Art Rekreation, als Paradies oder Hölle. Aber ein jeder Mensch hat in dieser Welt eine Mission und ist damit ein kleiner Teil von etwas viel Größerem. Und dieses Größere ist die Natur und nicht Gottes Wille. Es ist etwas (An-) Fassbares, zugleich etwas Heiliges, und wir sind gerade dabei, es zu zerstören. Allerdings schaffen wir nur die materielle Seite der Natur ab. Die Natur als Ganzes besitzt eine größere Kraft. MJ  In welcher Verfassung ist der Mensch innerhalb dieser Natur? Kann er noch bestehen?

AM

Der Mensch ist ein hochgradig egoistisches Wesen. Und das Problem ist, dass der Kapitalismus diesen Egoismus geradezu herausfordert, diese Lust, immer mehr haben zu wollen. Man könnte diese Lust, die es schon bei Odysseus gab und sich aktuell in einem Politiker wie Donald Trump widerspiegelt, kanalisieren. Doch wenn es nur um materielle Dinge geht, haben wir ein großes Problem. MJ  Glucks Oper Alceste erzählt eine Geschichte, die komplett immateriell erscheint; die Geschichte einer Liebe, die so gar nicht aus dem Heute zu kommen scheint. AM Ich finde diese Geschichte sehr modern. Eine liebende Person opfert sich für das Leben eines anderen Menschen. Ich kann mir das absolut vorstellen. Denn das ist die unbedingte, ultimative Liebe.

Antonello Manacorda


Antonello Manacorda, fotografiert von Nikolaj Lund, Collage von Lola Dupré

MJ

Gibt es die tatsächlich? AM Ich glaube schon. Ich wünsche es mir zumindest. Die Liebe zwischen zwei Menschen ist die einzige Waffe, die wir gegen den Tod haben. Das ist eine Kraft, die stärker ist als alles andere. Man stirbt und wird wiedergeboren. Man widmet sein Dasein einem anderen Menschen, und das ist für mich keine Romantisierung von Liebe, das ist eine praktische Sache: Sie repräsentiert eine spirituelle Vision von der Liebe. MJ  Ein sehr hoher Anspruch. Einigen wir uns also darauf, dass Alceste die Geschichte einer idealen Liebe erzählt? AM Ja, das tun wir. Liebe ist ein Ideal, ein Projekt, das man hat, nein: haben muss. Und es ist fast ein bisschen so wie Musikmachen: Man weiß um den Rätselcharakter eines Werks und muss es trotzdem

Premiere Alceste

schlüssig interpretieren. Bei Alceste ist das Projekt dieses zarte Licht im Hintergrund, jene absolute Liebe, die uns in der Szene am Ende des ersten Aktes begegnet, in einer unglaublich langen Theaterszene. Alceste opfert sich, sie tut es allein,

„Liebe ist ein Ideal, ein Projekt, das man hat, nein: haben muss. Es ist wie Musikmachen: Man weiß um den Rätselcharakter eines Werkes und muss es dennoch schlüssig interpretieren.“

niemand weiß von ihrem Entschluss, nur die Götter, und das macht ihre Liebe noch größer. Es ist keine Geste, es ist eine einsam hohe Entscheidung, die eben dadurch noch stärker wird. MJ  Wenn man die Musik hört, vor allem in der Pariser Fassung von 1776, gewinnt man den Eindruck, das sei weit mehr als nur ein Umbruch oder eine Reform – nämlich eine musikgeschichtliche Revolution. Stimmen Sie mit mir darin überein? AM Absolut. Mozart war in diesem historischen Moment bei Köchelverzeichnis 250 angelangt; er hatte bereits seine Violinkonzerte komponiert, die Finta giardiniera, aber noch nicht die Entführung und die großen italienischen Opern. Was Gluck bereits mit der Wiener Fassung gelang – wozu es ja diesen berühmten

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Begleitbrief gibt, eine Art musikthea­ trales Manifest –, ist wirklich bedeutend. Das ist geniales musikalisches Theater. Und vor allem markiert es nach dem Barock­theater eine wirkliche Wende, weil es dem Schauspiel wieder zu seinem Recht verhilft. Man vergisst ja in der Opernwelt sehr oft und allzu leichtfertig, dass eine Oper zunächst mal ein Theaterstück ist – und die Musik sich dazugesellt. MJ  Wie sagte Wolfgang Rihm einmal so schön: Musik ist selbst schon Theater. AM Und er hat recht damit. Für Gluck gilt diese Sentenz noch mehr als für andere Komponisten; er wollte den Umbruch mit aller Macht. Ihn nervte die Barockoper mit ihren Verzierungen, Ausschmückungen, mit all den Lyrismen und Fermaten, und es nervten ihn auch die Kastraten, die sich eine Extra-Arie schreiben ließen, nur um mehr Geld und Ruhm einzustreichen. Das alles tilgte er, um zur eigentlichen Bestimmung der Oper zurückzukehren. MJ  Sind Glucks Opern generell und ist insbesondere seine Alceste kathartische Musik für Sie? AM Glucks Musik in toto ist eine Musik der Vertiefung. Das Verblüffende dabei ist, dass die wahren Gefühle der Menschen, dass ihr Leiden mit der größten Einfachheit beschrieben werden. Nichts ist übertrieben; ja selbst ein Stück wie die berühmte C-Dur-Arie des Orfeo aus Orfeo ed Euridice würden wir vielleicht singen, wenn wir unter der Dusche stehen oder einkaufen gehen. Das ist das Tolle: dass Gluck alles wegnimmt, was Pathos ist und überflüssige Rhetorik. Er strebt zur reinen Essenz, und dafür benötigt er nicht unbedingt eine Tonart wie d-Moll. MJ  Gluck versucht in seinen Opern, die italienische seria zu überwinden. Würden Sie sagen,

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„Eine Nationalität gibt es in Glucks Musik nicht. Überhaupt glaube ich, dass die Musik dieser Epo­che grund­sätzlich euro­ päisch war, weil ihre Schöpfer stän­dig gereist sind.“ dass er eine typisch deutsche Musik komponiert? AM Es ist eine europäische Musik. Und Gluck ist ebenfalls ein Europäer, vielleicht der erste Komponist überhaupt, für den dieser Begriff gelten darf – darin übrigens dem auf ihn folgenden Meyerbeer nicht ganz unähnlich. Gluck nutzt die alte italienische Kirchenmusik, aber auch die italienische Instrumentalmusik mit

ihrer klaren Deklamation als Basis, um seine pure Musik zu schreiben. Eine Nationalität aber gibt es in seiner Musik nicht. Überhaupt glaube ich, dass die Musik dieser Epoche ganz grundsätzlich europäisch war, weil ihre Schöpfer ständig gereist sind. Nicht nur Gluck, sondern auch Mozart und andere. MJ  Im Fall von Glucks Alceste präferieren Sie die Pariser Fassung, die stark von der Wiener Fassung abweicht und einen echten Umbruch markiert, der sich nicht zuletzt den Einflüsterungen Jean-Jacques Rousseaus 1774 verdankt. Was ist Ihrer Ansicht nach besser in dieser Fassung? AM Gluck geht darin einen entscheidenden Schritt weiter, was für mich ein weiterer Beweis dafür ist, wie wichtig ihm der Theatertext ist, die Tragödie. Und er lässt nicht nur den ursprünglichen Text Calzabigis übersetzen, er lässt ihn von Le Blanc Bailli du Roullet ja beinahe neu über-

Für die italienischsprachige Wiener Fassung von Alceste schrieb Gluck, vermutlich zusammen mit seinem Librettisten Ranieri de’ Calzabigi, eine Widmung an Großherzog Leopold I. der Toskana, in der er seine Reform­ideen zusammenfasste: Die Oper solle nicht die Wünsche eitler Sänger bedienen, sondern sich von allem Überflüssigen bereinigen und zu ihrer wahren Aufgabe zurück­finden, nämlich der dramatischen Zusammen­fassung und Poesie der Fabel durch die Musik, die auf jegliche Effekte verzichtet und dafür einfacher und natürlicher werden solle.

Interview Jürgen Otten


schreiben. Die Sprache ist ganz anders, weil sie anders klingt. Gluck entdeckt hier neue Wege; der reichhaltige Briefwechsel zwischen Le Blanc und ihm dokumentiert dies eindrücklich. Und besonders, was die Ballette angeht, kommt es beinahe zu einer Revolution: Gluck war empört über diese vielen Tänze als intermittierende Momente; selbst das berühmte Ballett am Ende der Oper wollte er nicht mehr haben, nur mehr die Chaconne. Und hierin bin ich absolut mit ihm einer Meinung. Generell ist die Pariser Fassung interessanter, weil sie Dinge verdichtet, musikgeschichtlich gesehen voranschreitet und musikalisch wie dramaturgisch eine deutliche Verbesserung darstellt. MJ  Was lernen Sie als Dirigent von Gluck? AM Ich lerne von ihm, nicht zu dirigieren, und ich lerne von ihm, wie seine Alceste klingen sollte. Der Dirigent ist gerade in diesem Stück in erster Linie dazu da, den Sängern

„Ich lerne von Gluck, nicht zu dirigieren. Der Dirigent ist in erster Linie dazu da, den Sängern und dem Or­­chester zu helfen, damit sie zu­einander­ finden, und erst in zweiter, um zu gestalten.“ und dem Orchester zu helfen, damit sie zueinanderfinden, und erst in zweiter Linie, um zu gestalten. Bei Gluck ist das möglich, weil die Partitur dirigiertechnisch nicht besonders anspruchsvoll ist. Man kann – und darf – sein Dirigenten-Ego nicht verbreiten. Gluck ist zu groß. In seinen Opern sollte der Dirigent als Botschafter seiner Musik agieren. Und seine Musik verkörpern.

Antonello Manacorda, geboren in Turin, ist seit 2010 Chefdirigent der Kammer­aka­ demie Potsdam und seit 2011 in derselben Position bei Het Gelders Orkest in den Nieder­landen engagiert. Regelmäßig gastiert er beim hr-Sinfonieorchester, beim BBC Philharmonic Orchestra, beim Sydney Symphony Orchestra und beim Orchestra della Svizzera italiana. Von 2003 bis 2006 war er künstle­­rischer Leiter der Kammermusik bei der Académie Européenne de Musique du Festival d’Aix-en-Provence. Opern­dirigate führten ihn nach London, Brüssel, Barcelona, Amsterdam, Venedig, Frankfurt a. M., ans Theater an der Wien und an die Komische Oper Berlin. Zudem war er Gründungsmitglied des Mahler Chamber Orchestra, in dem er als Konzertmeister spielte und als dessen Vizepräsident er acht Jahre lang fungierte. An der Bayerischen Staatsoper dirigierte er bereits Le nozze di Figaro; Alceste wird hier seine erste Premiere sein.

Collage Lola Dupré

Alceste nicht eigentlich mehr ein Oratorium als eine Oper? AM Ja, natürlich. Aber wo ist bitteschön der Unterschied? MJ  Man bräuchte keine Szene. Es wäre billiger. AM Das stimmt. Aber es gibt viele Opern, bei denen man das machen könnte. MJ  Aber ist Gluck nicht spe­ zieller hierin? AM Ja. Aber wir haben mit Sidi Larbi Cherkaoui einen herausragenden Regisseur und Choreographen. Ich bin sicher, er hat eine wunderbare szenische Lösung parat, die sowohl der Tragödie als auch der Musik zu ihrem Recht verhilft. MJ Ist

Der Journalist, Dramaturg und Publizist Jürgen Otten arbeitet seit 2016 als Redakteur der Opern­welt. Seit 2017 ist er Dozent für Drama­turgie an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“.

Alceste Tragédie-opéra in drei Akten (1767 / 1776, Pariser Fassung) Von Christoph Willibald Gluck Premiere am Sonntag, 26. Mai 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 1. Juni 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Das hat alles keinen Sinn, aber einen Zweck

Mit dem Brexit steht nicht nur Großbritannien eine radikale Zäsur bevor – sondern ganz Europa. Für die in Schottland geborene Schrift­ stellerin A. L. Kennedy ein politisches Totalversagen, das eng mit der ver­­änderten Rolle von Kunst und Kultur im Land zusammenhängt. Eine Wutschrift. 70


No man is an island. No country by itself.

www.gov.uk/register-to-vote


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Profitabilität eingestuft wurde – als Gelegenheit zum Ausschlachten oder zur persönlichen Bereicherung –, setzte man bestimmte Bereiche stei­ gendem finanziellen Druck aus, indem man ihnen jede Bedeutung absprach. Die Künste, Rundfunk und Fernsehen sowie die Medien generell waren für die Stabilität unserer Zivilgesellschaft, den öffentlichen Diskurs und die Ver­ breitung von Vergnügen nicht mehr zentral. Strukturwandel und kulturelle Neubestimmung standen stattdessen auf der Tagesordnung, und wir sollten eine Bevölkerung werden, die das widerspruchslos akzeptierte. Jahrzehnte hat Großbritannien heftigsten kulturellen Vandalismus erlebt, zum Teil aufgrund weitgehender Veränderungen der Marktgesetze, zum Teil wegen böswilliger Akteure. Unser wichtigster öffentlich-recht­ licher Sender, die BBC, wurde schon immer mit Missfallen von Poli­tikern betrachtet, die keine öffentliche Kon­ trolle mögen und aus ideologischen Gründen jede Art öffentlich finanzier­ ter Unternehmung ablehnen. So war die BBC durch eine Reihe von „Refor­ men“ gezwungen, ein undurchsichti­ ges Gebäude mit internem Wettbe­ werb und externen Zuarbeitern zu errichten, das die Produktionsbudgets ausgetrocknet, die festen Mitarbeiter demoralisiert, den eigenen Kompe­ tenzvorrat geschwächt und letztlich die Qualität des Produkts verschlech­ tert hat, vor allem in den Bereichen Nachrichten und Zeitgeschehen. Die privaten Sender haben Jahr für Jahr Einbußen bei den Werbe­ einnahmen hinnehmen müssen und so nur langsam neue Formate entwi­ ckelt. Das schwächelnde Programm der BBC wurde immer weniger kon­ kurrenzfähig, zahlreiche gesetzliche Vorgaben, die Qualität und Vielfalt der Inhalte sichern sollten, wurden ge­ lockert oder ganz gestrichen. Unter Margaret Thatcher und dann unter Tony Blair sind unsere Fernseh- und

Im neuen Vereinigten Königreich der glorreichen Dummheit, des Rassismus und der Misogynie können Boris Johnson und andere seines Schlages prächtig gedeihen.

Wolfgang Tillmans, Pro-EU anti-Brexit Posterkampagne (vote remain 23 June), 2016, Courtesy the artist und Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Keine der Einzelheiten, von denen ich hier schreibe, wird Ihnen sonderlich nützen – letztlich ist das bloß ein von Herzen kommender Schrei: „Seid nicht dumm! Traut den lügnerischen Lügnern nicht, die euch belügen! Ignoriert die Geschichte nicht, genauso wenig wie den tieferen Sinn von Kunst und Kul­ tur!“ Aber das wissen Sie längst. Jedes Land kann von Großbritan­ nien und dem Brexit lernen – Lektio­ nen, die wir im Vereinigten Königreich erst wieder neu verinnerlichen müs­ sen, wenn das alles vorbei ist und eine mehr oder weniger trostlose Stabilität Einzug gehalten hat. Während ich das schreibe, kann so ein Zustand alles Mögliche bedeuten, von der Rückkehr in die EU bis zum Auseinanderbre­ chen des Landes, von bürgerkriegs­ ähnlichen Unruhen bis zu einem Ab­ rutschen in drittweltartige Armut, Korruption und Dauergewalt. Für uns Briten ist es unabdingbar, eine Bestandsaufnahme der Elemente zu machen, die für eine langlebige De­ mokratie lebenswichtig sind. Zu die­ sem Prozess gehört auch eine Neu­ bewertung der Rolle von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft. Das Scheitern, das als politisches und rechtliches Totalversagen erscheint, begann für uns in Bereichen, die man einfach als kulturell unbedeutend ab­ qualifizierte. Das sage ich nicht als Künstlerin oder weil ich weiß, dass Sie dies als Besucher der Oper lesen – einer Kunstform, die in Großbritannien vor allem mit abstoßend hohen Pro­ duktionskosten, teuren Eintrittskarten und elitärem Publikum in Verbindung gebracht wird. Sondern ich richte mich als Bürgerin eines gefährdeten Landes an meine Miteuropäer*innen, die wo­ möglich ebenfalls von den vielfältigen Formen der Selbstverstümmelung und des Irrsinns bedroht sind, die (auch) durch den Brexit freigesetzt wurden. Reden wir zuerst über Geld. Bevor jeder Sektor des Vereinigten Königreichs gnadenlos nach seiner


Say you’re in if you’re in. It’s a question of where you feel you belong. We are the European family. Vote Remain on 23rd June.

Wolfgang Tillmans Between Bridges

If people people like like If Rupert Murdoch, Vladimir Putin, Nigel Farage, Nigel Farage,, George Galloway George Galloway, Nick Griffin, Marine LePen, and Marine LePen and ISIS want want Britain to Britain to leave leave the theE.U. EU, Say Say you’re you’re in in ifif you’re you’re in. in. This This one’s one’s important: important: IfIf the the UK UK leaves leaves Europe Europe it’ll largest peace it’ll end sendthe a strong project in human history. message to haters of It’s not about ‘same European values. It’sold‘ not but about pulling about ‘same old’ through but together. about pulling through

Where where does that does that put you? you? put

together. Register to vote before June 07 Vote Remain

on 23rd June

For 60 years the E.U. has been the foundation of peace between European neighbours. Say you’re in if you’re in. This one’s important: If the UK leaves Europe it’ll send a strong message to haters of European values. It’s not about ‘same old’ but about pulling through together. Vote Remain on 23rd June

After centuries of bloodshed.

Wolfgang Tillmans Between Bridges

No man is an island.

THE EFFECTS OF LEAVING THE E.U. FOR STUDENTS: FUNDED OPPORTUNITES FOR YOUNG PEOPLE SUCH AS ERASMUS OR WORK PLACEMENTS ABROAD ARE AN EVERYDAY REALITY IN E.U. MEMBER STATES. THEY WILL DIMINISH WHEN THE UK LEAVES THE E.U.

Your opinion about the EU only counts if you’re going to vote on 23rd June

Wolfgang Tillmans Between Bridges

Vladimir Putin Rupert Murdoch Nigel Farage George Galloway Abu Bakr al-Baghdadi (IS) Nick Griffin (BNP) and Marine LePen want Britain to leave the EU.

No country by itself.

Say you’re in if you’re in. This one’s important: If the UK leaves Europe it’ll send a strong message of support to haters of European values. It’s not about ‘same old’ but about pulling through together. Vote Remain on 23rd June

Wolfgang Tillmans Between Bridges

MY FATHER’S POLISH, MY MUM’S FROM SPAIN, I STUDIED IN BERLIN, NOW LIVE IN THE UK. IT’S NEVER BEEN A HASSLE TO DO SO.

Don’t let them have their way. Have your say.

AND I DONT WANT IT TO BE.

The E.U. Referendum is on the 23rd of June. Vote Remain.

COUNT ME IN. Wolfgang Tillmans Between Bridges

Wolfgang Tillmans Between Bridges

A POLISH FRIEND TOLD ME THE OTHER DAY: I NOW HAVE AN E.U. FLAG AT HOME. WHEN WE DEMONSTRATE AGAINST OUR NEW AUTHORITARIAN GOVERNMENT, WE DO SO UNDER THIS FLAG. I SUDDENLY REALISED, THE E.U. IS THE LAST DEFENCE AGAINST ANTI-WOMEN’S RIGHTS, ANTI-GAY RIGHTS, RACIST ‘STRONGMEN’ POPULISTS IN EASTERN EUROPE.

DO YOU WANT TO LEAVE THEM ALONE? NOW? Vote Remain on 23rd June

Plakate Wolfgang Tillmans

Wolfgang Tillmans Between Bridges

People ask what has the EU ever done for me?

Who wants to leave why? “I once asked Rupert Murdoch why he was so opposed to the European Union. ‘That’s easy’ he replied. ‘When I go into Downing Street they do what I say; when I go to Brussels they take no notice.’” http://indy100.independent.co.uk/article/this-terrifyingrupert-murdoch-quote-is-possibly-the-best-reason-tostay-in-the-eu-yet--WyMaFTE890x

The EU protects your rights against monopolies and challenges big business. Financial Times, May 2, 2016

Wolfgang Tillmans Between Bridges

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For 60 years the E.U. has been the foundation of peace between European neighbours, after centuries of bloodshed.

Vote Remain on 23rd June. This campaign has been intitated and is supported by

Wolfgang Tillmans Between Bridges


Dass die lächerlichen Mythen und faktischen Widersprüche, mit denen der Brexit beworben wurde, überhaupt irgendwen überzeugen konnten, zeigt nur, wie stark die öffentliche Vorstellungskraft nachgelassen hat.

Radioprogramme in Richtung Billig­ produktion geschwenkt: Anrufshows, gesellschaftliche Diskussionen ohne Experten, konstruierte Realitäten. Diese Formate sind im Grunde so in­ teressant wie der Blick durchs Fenster der Nachbarn, die fernsehen, kochen, zu Abend essen, weshalb es notwen­ dig wurde, sie durch Kontroversen „interessanter“ zu machen. Also ver­ legten sich Fernseh- und Radiosender darauf, die Empörten und Erregten einzuladen und bei den bis dahin Zu­ friedenen weitere Entrüstung zu schü­ ren. Moderatoren wurden ermuntert, sich von journalistischen Standards zu entfernen. Stellen Sie sich Don Giovanni ohne Musik, ohne Augenbli­ cke von Erkenntnis und Pathos, ohne Menschlichkeit vor – so leben wir jetzt. Unsere Presse hat sich deutlich nach rechts außen bewegt. Ge­ schrumpfte Redaktionen und zuneh­ mend unerfahrene Redakteure fingen an, Pressemitteilungen über Stars und Berühmtheiten zu recyceln; es war günstiger und einfacher, Erklärungen der Regierung abzudrucken, als Amtsträger zur Verantwortung zu ziehen. Unsere großen Nachrichten­ organe sind sich einig in ihrem Wider­ stand gegen alle Reformen, die auf Verbesserung von Qualität und Ver­ antwortlichkeit zielen. Jeden Morgen brüllen die Schlagzeilen, wie gefähr­ lich es wäre, den Willen des Volkes zu miss­achten, und wie schrecklich alle Fremden und Auswärtigen sind. Im neuen Vereinigten Königreich der glor­ reichen Dummheit, des Rassismus und der Misogynie können Boris Johnson und andere seines Schlages prächtig gedeihen. Um die Opernsprache zu bemü­ hen: Orfeo war ein Fremder und daher unwichtig. Nach Ansicht aufrechter Männer, die von #MeToo bedroht sind, hätte er wahrscheinlich seine Frau in der Hölle zurücklassen und sich ein neueres Modell besorgen sollen. Gro­ ße oder reine oder menschliche Liebe

kann es nicht geben. Liebe ist gefähr­ lich; sie breitet sich aus, sie erzeugt Mitgefühl. Dido und Aeneas sind Fein­ de, also müssen sie immer Feinde bleiben. Die Zauberflöte und L’elisir d’amore wirken albern und ausladend in einer Zeit, die keine Fantasie mehr braucht. Vorstellungskraft ermöglicht Mitleid und schult unsere Fantasie – inklusive Lügen. Dass die lächerlichen Mythen und faktischen Widersprü­ che, mit denen der Brexit beworben wurde, überhaupt irgendwen überzeu­ gen konnten, zeigt nur, wie stark die öffentliche Vorstellungskraft nachge­ lassen hat. Die anmutigen Fiktionen der Kunst hingegen, die uns wirklich verzaubern, machen uns stärker, frei­ er und selbstbewusster. Sollten wir das Potenzial menschlichen Denkens entfesseln – wir würden merken, dass wir verloren sind. Mozart, Donizetti, Verdi: Zu viele dieser Opernleute waren Ausländer. Wir brauchen keine Ausländer, und ihre Sprachen auch nicht. Wir sollen die Lüge glauben, dass Kulturen sich nicht verändern, einander nicht berei­ chern. Künstler*innen können nicht für die ganze Welt, für die Menschheit arbeiten, dürfen sich nicht aufschwin­ gen und Einheit beschwören. Das würde ihnen Macht verleihen. Jenseits von Macht und Geld darf es keine Werte geben. Wie die hilflosen Part­ ner von Suchtkranken überall auf der Welt sehen wir zu, wie die Machtsüch­ tigen sich selbst zerstören – aber zu­ erst zerstören sie uns. (Darum wäre Boris Godunow heute natürlich ein naheliegender Held, wie auch Lady Macbeth.) Künstler*innen sind immer weni­ ger in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Kunst zu schaffen – oder sie dürfen nur noch Luxusgüter für die Eliten herstellen. In der Welt der Großen Brexit-Lüge soll die Kunst ethnische Reinheit und eine sterile Ordnung anstreben, im Auftrag einer Regierung, die nie ausgewechselt

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werden kann, egal wie schädlich und inkompetent sie ist. Für uns kann Carmen keine Opernheldin sein – sie ist ein Niemand. Hans Sachs ist nicht aufs Internat in Eton gegangen, dar­ um existieren seine Lieder und Ge­ dichte nicht. Manon wird Geld statt Liebe wählen. Die Sklaven können niemals singen. Wozzeck ist ein guter, glücklicher Soldat, und in Blaubarts Schloss sollten mehr Folter und Nacktheit gezeigt werden, denn unser Gaumen ist abgestumpft. Und viel­ leicht hören wir auch lieber derben Tratsch über die Frau, die Judith spielt – dass sie eine Essstörung hat oder dass sie ein Leben führt, wie es de­ nen, die auf der richtigen Seite ste­ hen, immer offensteht: ein goldenes Versprechen außer Reichweite. Durch den ungeheuren Konfor­ mitätsdruck und weil staatliche För­ derung versiegt, sind unsere Theater fügsam und Eintrittskarten sehr teuer geworden. Ohne Buchpreisbindung ist die Verlagsbranche mehr oder we­ niger zusammengebrochen, und um überleben zu können, sind Autor*in­ nen zunehmend auf Verkäufe in EU-Staaten angewiesen, vor allem in Deutschland. Wir haben keine Vor­ stellung, wie wir nach dem Brexit überleben sollen, wie Übersetzungs­ lizenzen verhandelt, wie überhaupt der Kontakt mit der Welt da draußen aufrechterhalten werden soll. Wir kennen die neuen Grenzen noch nicht, innerhalb derer abweichende Meinun­ gen erlaubt sein werden. Unsere Film­ industrie hängt schon lange von EU-Koproduktionen ab. Nach dem Brexit könnten wir unsere Infrastruk­ tur amerikanischen Produzenten an­ bieten, doch unsere eigene Vision wird weiter schrumpfen. Britische Filmund Fernsehproduktionen versuchen bereits, für China attraktiv zu werden – darum lieber keine Drehbücher, die totalitäre Werte in Frage stellen. Und für Künstler*innen aller Sparten – Musiker*innen, Dirigent*innen, Sän­

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ger*innen, Maler*innen, Autor*innen, Puppenspieler*innen, Tänzer*innen – wird nach dem Brexit der Zugang zu Fördermitteln, Kooperationen, Inspi­ rationen und Freiheiten schwieriger und schlechter werden. Die umfassende langfristige Abwertung der Künste und des kulturellen Sektors hat den Brexit unter anderem ermöglicht. Unsere gegenwärtige Kul­ turlandschaft ist weitgehend da­rauf ausgerichtet, dass wir uns allein, be­ drängt, wertlos fühlen, zum Scheitern verdammt. Ein Held ist nur noch, wer Geld hat, andere Maßstäbe gibt es nicht mehr – ungeachtet aller Glorifi­ zierung „christlicher“ Werte. Empathie und Kreativität erregen tiefes Miss­ trauen, werden geschmäht und all­ seits behindert. Ein Land, in dem Mit­ menschlichkeit und Vorstellungskraft unterdrückt werden, kann problemlos Gesundheitsversorgung, Bildung, Ge­ fängnissystem, Verkehrsbetriebe, Le­ bensmittel- und Trinkwasserkontrolle und den Zugang zu Rechtsmitteln zu Geld machen. Ganze Generationen können in Entwürdigung und stillem Leid ihren Mut verlieren. Weil Mitge­ fühl in unserem öffentlichen Diskurs keinen Platz mehr hat, ist eine epide­ mische Mischung aus Obdachlosig­ keit, Selbstmorden, grausamer Kür­ zung von Sozialleistungen, Elend und buchstäb­licher Hungersnot überhaupt erst möglich geworden. Wenn die Kunst uns nicht zeigt, wie vielfältig unsere Wirklichkeit ist, uns nicht vor Augen führt, dass nur Gottes Gnade uns vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt, dann können wir an den ster­ benden Menschen auf unseren Stra­ ßen vo­rübergehen. Wir sehen auf der Bühne immer weniger Dramen, die sich emporschwingen, die unsere Seele mit Arien erschüttern, die jeden Tod be­­klagen, die uns in unwieder­ bringlichen, nuancierten Augen­ blicken vereinen. Wir haben vergessen, wie sich Mensch­ lichkeit erheben kann und muss.

Wir sind in Wirklichkeit besser, freund­ licher und menschlicher als das, was wir und andere Nationen oft zu sehen bekommen. Davon hängen unser Le­ ben und unsere Zukunft ab. Wenn Sie heute Abend nach Hause gehen und die Musik in Ihnen brennt, wenn Sie sich beflügelt und beseelt fühlen, dann vergessen Sie bitte nicht, dass dieses Erlebnis kein Luxusgut ist, und auch nicht das schlichte Produkt eines kom­ plexen Industriezweigs. Sie tragen das Licht in sich, das Sie schützen wird. Aus dem Englischen von Ingo Herzke Mehr über die Autorin auf S. 8

Mit seinen Plakaten gegen den Brexit startete der Künstler Wolfgang Tillmans 2016 eine Pro-EU-Kampagne. Die Poster können von seiner Webseite herunter­ geladen und so (ausgedruckt oder digital) verbreitet werden.

Text A. L. Kennedy


FEED THE CAT, PLEASE. von Ms. Litto www.litto.work

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„Männer und Frauen waren schon immer ebenbürtig“

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Premiere Alceste


Der Tenor Charles Castronovo singt den Admète in der Neuproduktion von Christoph Willibald Glucks Alceste. Im Interview spricht er über männliche Wut, weibliches Heldentum und die Wiedergeburt Berlins.

MAX JOSEPH

In der Neuinszenierung von Alceste singen Sie zum ersten Mal eine Partie in einer Oper von Christoph Willibald Gluck. Wie haben Sie sich der Rolle des Admète genähert? CHARLES CASTRONOVO Admète ist ein König, er hat diese edle, erhabene Seite. Andererseits scheut er sich nicht, Gefühle zu zeigen. Das ähnelt dem italienischen Repertoire, in dem die Charaktere ihr Herz auf der Zunge tragen. Die Musik spricht für sich, denn obwohl sie sehr nuancenreich ist, ist das Dramatische eher leicht, speziell im Rezitativ. Das erfordert mehr Eleganz, gleichzeitig ist es voll inniger Empfindung. Ich versuche, einer Rolle immer direkt zu begegnen. Oft hängt es vom Regisseur ab, aber ich fühle mich als Teil des Teams und möchte helfen, eine Vision zu verwirklichen. Deswegen versuche ich, meine Persönlichkeit mit den Ideen des Regisseurs oder der Regisseurin in Einklang zu bringen. MJ Als Admète herausfindet, dass Alceste sich für ihn opfern will, macht ihn das wütend. Warum? CC Ich frage mich immer, wie ich mich verhalten würde. Und ich verstehe die Reaktionen der meisten Charaktere sehr gut. Wenn ich mich in die Denkweise hineinversetze, kommt es mir vor, als ob Alceste dem König durch ihr Opfer die Gelegenheit nimmt, ihr selbst diese Ehre zu erweisen. Natürlich liebt Admète seine Frau, und er will nicht, dass so etwas geschieht, aber ganz ehrlich: In dieser Zeit war es den Männern vorbehalten, sich zu opfern, nicht den Frauen. Ich sage nicht, dass das richtig ist! Aber es gehört zur Figurenzeichnung. Am Ende schätzt Admète ihre heroische Tat, und ihm wird klar, dass Alceste eine starke Frau ist – so werden sie gewissermaßen ebenbürtig. MJ In welcher Ihrer bisherigen Rollen haben Sie sich in einer ähnlichen Gefühlswelt wie der des Admète bewegt? CC Alfredo ahnt in La traviata auch nichts von Violettas Opfer, davon, dass sie ihn verlässt, um die Ehre der Familie zu retten und damit seiner Schwester zu ermöglichen, einen Mann aus gutem Hause zu heiraten. Er wird aber aus einem anderen Grund wütend: Er ist eifersüchtig, weil sie ihn verlässt und in

Charles Castronovo

ihr früheres Leben zurückkehrt – und reagiert wie ein Macho. In Lucia di Lammermoor bekommt Edgardo mit, dass Lucia den Ehevertrag mit Arturo unterschrieben hat, merkt aber nicht, dass sie dazu gezwungen wurde, und verflucht sie vorschnell. Es gibt also Parallelen: Die Männer handeln kopflos und jähzornig. Aber ich glaube, dass Admète so reagiert, weil er Alceste liebt und respektiert. MJ Am Ende schafft er es nicht, die Heldenrolle auszufüllen – denn Hercule rettet Alceste aus dem Hades. CC Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich glaube, es liegt daran, dass er als König noch Mitstreiter hat. Er muss sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. Und das ist auch keine Schande für ihn. Jemand wie Hercule kann Alceste retten, und es gibt ein Happy End. MJ Diese Geschichte unterscheidet sich von Luigi Cherubinis Médée, in der Sie die Partie des Jason in dieser Spielzeit an der Staatsoper Berlin gesungen haben. Die Titelfigur tötet ihre Kinder, um sich zu rächen. CC Ja, das ist ein großer Unterschied. Jason ist ein Bösewicht, überehrgeizig und unfreundlich. Er bekommt, was er will, bis Medea alles umstürzt. Aber am Ende erkennt man, dass er seine Kinder wirklich liebt und ihnen eine sichere Zukunft bieten will. Obwohl er böse ist, dreht er nicht vollkommen durch wie Medea. In Alceste möchte ich jedenfalls die positiven Seiten von Beziehungen hervorheben. Alceste ist eine selbstlose Frau, und das ist für mich das Heldenhafte an ihr. Ihrer Familie zuliebe kann sie dem drohenden Tod entgegentreten. Am Ende begreift Admète das und erweist ihr dafür seine Ehre. MJ Macht ihn das zu einem modernen Mann? CC Ich glaube, Männer und Frauen waren schon immer ebenbürtig, doch in einer männlich dominierten Welt wurden die heroischen Taten von Frauen kaum beachtet. Heute schenkt man dem weiblichen Handeln eine größere Aufmerksamkeit. Und gleichzeitig achtet man mehr auf männliches Fehlverhalten. Ich würde sagen, dass es früher schlimmer war, denn egal was

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„Wenn ich mich in die Denkweise hineinversetze, kommt es mir vor, als ob Alceste dem König durch ihr Opfer die Gelegenheit nimmt, ihr selbst diese Ehre zu erweisen. In dieser Zeit war es den Männern vorbehalten, sich zu opfern, nicht den Frauen.“

Männer getan haben – es blieb meist folgenlos. Ich habe gerade den neuen Maria-Stuart-Film von Josei Rourkes gesehen. Obwohl sie Königin war, wurde sie von Männern kontrolliert, die ihr auch vorschrieben, wen sie zu heiraten hatte. Heute sind wir uns solcher Dynamiken viel mehr bewusst. MJ Die Rollenbilder von Frauen und Männern haben sich in der gesellschaft­lichen Wahrnehmung massiv verändert. Spüren Sie das auch auf der Bühne? CC Ja. Grundsätzlich glaube ich, dass sich unsere Gesellschaft um die Gleichheit der Geschlechter bemüht, auch wenn es immer noch nicht ganz ausge­ glichen ist. Aber das überträgt sich auf die Bühne. Die Bühne ist ein guter Ort, um die Gleichberechtigung zu stärken. Wenn jemand hier steht und singt, dann ist er oder sie allein. Es spielt keine Rolle, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Du versuchst einfach nur, dich mit all deinen Gedanken, Gefühlen und Dämonen auszudrücken. Dabei kann dir niemand helfen, nur du selbst. Diese mentale und emotionale Herausforderung kennt kein Geschlecht. Die Bühne macht uns zu Gleichen. MJ Spielen Sie Ihre Männerrollen heute anders als früher? CC Nein. Ich spiele sie, wie ich sie schon immer gespielt habe. Und das wird sich auch nicht ändern. Wenn eine Figur ein chauvinistischer Mist­kerl ist, dann ist er genau das, und ich versuche, das darzustellen. Wenn er ein Romantiker ist und seiner Angebeteten zu Füßen liegt, dann spiele ich eben das. Es geht darum, die Figuren mit all ihren Eigenheiten zu zeigen – dazu gehören vor allem auch ihre Fehler. Perfektion ist furchtbar langweilig. MJ Sie sind mit der russischen Sopranistin Ekaterina Siurina verheiratet und vor Kurzem nach Berlin gezogen. Wie hat sich die Stadt in Ihren Augen verändert? CC Als ich 2003 zum ersten Mal nach Berlin kam, wohnte ich in der Nähe der Friedrichstraße. Es gab zwar die Mauer nicht mehr, aber die Atmosphäre war trotzdem eigenartig: kaum Geschäfte und Restaurants,

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dafür überall Kräne. Für mich als Amerikaner war das wie ein Sprung zurück in der Zeit. Es war, als wäre die Stadt wiedergeboren worden. Und diese groß­ artige Mischung von Alt und Neu gibt es heute noch. Außerdem haben meine Frau und ich uns hier kennen­ gelernt, schon deswegen ist es eine Glücksstadt. Es ist viel kälter als in L.A., aber wenigstens sehen wir uns jetzt öfter. MJ Bedeutet das Leben in Europa eine Umstellung für Sie? CC Das Einzige, was sich durch den Umzug geändert hat, ist, dass ich jetzt nicht mehr zwischen den USA und Europa pendeln muss. Das war anstrengend. Es ist toll, in Kalifornien zu singen, weil meine Eltern nicht viel reisen und mich so auf der Bühne erleben können. Aber ehrlich gesagt, arbeite ich lieber in Europa. Ich habe schon früher hier gesungen, und irgendwie gehöre ich hierher. Wegen meines Vaters habe ich auch einen italienischen Pass. MJ Haben Sie zu Hause Italienisch gesprochen? CC Nicht häufig. Mein Vater war 17, als er in die USA immigrierte. Meine Mutter kam mit 16 aus Ecuador. Diese Generation von Einwanderern wollte sich integrieren und zu Amerikanern werden. Deshalb vermied es mein Vater, mit mir Italienisch zu sprechen, weil er fürchtete, dass ich einen Akzent haben und damit viel­ leicht später Probleme bekommen würde. Heute weiß ich, dass das Quatsch ist. Meine Frau spricht mit unseren Söhnen ausschließlich Russisch – und sie beherrschen die Sprache, ebenso wie das Englische, perfekt. MJ Fühlen Sie sich als Europäer? CC Ja, auf ganz unterschiedliche Weise. Der Großteil meiner Karriere hat sich bisher in Europa abgespielt. Mein Vater ist Italiener. Außerdem ist es toll, dass es hier völlig normal ist, in einer Stadt ein, zwei, manchmal sogar drei Opernhäuser oder Spielstätten zu haben. Das schätze ich. MJ Was an Ihnen ist amerikanisch? CC Lassen Sie mich überlegen … vielleicht mein un­­bän­ ­diger Optimismus. Ich versuche, bei jeder Gelegenheit das Positive zu sehen, egal wie klein oder groß die Sache ist. Natürlich gibt es auf der ganzen Welt optimistische

Interview Rebecca Schmid


Menschen, aber wenn ich meine europäischen Freunde frage, wie sie die Amerikaner sehen – und sie was Nettes sagen sollen –, dann sind sich meistens alle über die positive Einstellung zum Leben einig. MJ Wann wussten Sie eigentlich, dass Sie Opern­ ­sänger werden möchten? CC Mit 16. Eigentlich wollte ich Rockstar werden. Ich habe in drei verschiedenen Bands Gitarre gespielt. Aber dann hat der Leiter des Schulchors gehört, wie ich Lieder der Beatles gesungen habe, und er fragte mich, ob ich im Chor mitmachen will. Er sagte, dass es da viele Mädchen gäbe – und fast keine Jungs. Das war ziemlich schlau von ihm. Und dann habe ich mich verliebt. Auf einem Album mit Tenorarien habe ich zum ersten Mal eine Oper gehört. Es war der Anfang von Otello, Plácido Domingo hat gesungen, und ich dachte nur: Wahnsinn! Oper war für mich der Rock ’n’ Roll der klassischen Musik, genauso dramatisch und sexy und ausdrucksstark. Damals wusste ich noch nicht, wie schwierig es ist, die Tenorstimme zu singen. Aber ich war infiziert. MJ Wie hat sich Ihre Stimme seitdem verändert? CC In den letzten drei, vier Jahren ist sie voller und tiefer geworden ist. Am Anfang meiner Laufbahn habe

ich viel Mozart gesungen und leichteres Belcanto-­­ Re­pertoire. Dann kamen immer mehr lyrische Rollen dazu wie Faust und Romeo. Aber ich habe mir immer Zeit gelassen. Vieles aus dem französischen Repertoire passt gut, weil ich nicht nur Dramatisches oder sehr Leichtes singen möchte. Gluck ist sehr wichtig, weil er mich an Mozart erinnert: Es gibt keinen Exzess – nichts, hinter dem man sich verstecken könnte. MJ Also lieber keinen Exzess? CC (lacht) Doch, wir sollten es alle ab und zu übertreiben. Ich komme zum Glück oft genug dazu, mit dem Repertoire, das ich spiele. In manchen Produk­ tionen kann man sich richtig austoben. Ich meine, wir Künstler verdienen unser Geld damit, dass wir singen und uns verkleiden! Das ist sehr befriedigend.

Aus dem Englischen von Sabine Voß Rebecca Schmid ist freie Musikkritikerin und Journalistin, u. a. für die Financial Times und International New York Times. Daneben promoviert sie an der Humboldt-Universität zu Berlin über die kompositorische Rezeption von Kurt Weill.

Der in New York geborene Charles Castronovo studierte Gesang an der California State University. Sein Debüt gab er an der Los Angeles Opera. Mittlerweile tritt er an den renommiertesten

Alceste

Opernhäusern der Welt auf – darunter die Metropolitan Opera in

Tragédie-opéra in drei Akten

New York, das Royal Opera House Covent Garden in London, die

(1767 / 1776, Pariser Fassung)

Wiener und die Berliner Staatsoper, die Opéra national in Paris,

Von Christoph Willibald Gluck

das Teatro Real in Madrid und die Semperoper in Dresden – sowie bei den Festspielen von Salzburg und Aix-en-Provence. Sein

Premiere am Sonntag, 26. Mai 2019,

Repertoire umfasst Partien wie Tamino (Die Zauberflöte), Alfredo

Nationaltheater

Germont (La traviata), Rodolfo (La bohème), Nemorino (L’elisir d’amore), Gennaro (Lucrezia Borgia), Il Duca di Mantova

Live-Stream der Vorstellung am

(Rigoletto), Faust (Mefistofele), Don José (Carmen) sowie die

Samstag, 1. Juni 2019,

Titelpartie in Gounods Faust. An der Bayerischen Staatsoper singt

auf www.staatsoper.tv

er in dieser Spielzeit die Titelpartie in Roberto Devereux und Admète in Alceste.

Foto Steffen Roth

Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Bitte nicht quetschen!

Überschrift

Weißraum

Bevor ein Text gelesen werden kann, muss er gesetzt werden. Aus Wörtern, Zeilen und Absätzen entsteht ein harmonisches Ganzes. Wie das den Gestalter an seine Grenzen bringt – ein typographischer Werkstattbericht.

Vorspann

Weißraum

So, jetzt wird es interessant. Jetzt beschreibt ein Buchgestalter, was für ihn „Umbruch“ bedeutet, nämlich das Aufteilen der Textsäule in Einzelseiten. Dieser Arbeitsschritt ist von großer Ambivalenz. Einerseits liegt nun das Schlimmste hinter dem Gestalter: die Gestaltung. Denn im Gegensatz zu dem, was man denken könnte, gestalten Gestalter nicht gern. Gestaltung vollzieht sich manisch-depressiv. Ohne grandiose Selbstüberschätzung kann man sich gar nicht daranmachen; ohne schonungslose Selbstkritik kann es nichts werden. Aber dieses krankhafte Hin und Her ist irgendwann überstanden, und man darf endlich umbrechen. Zu Beginn läuft der Text noch zufällig durch all die Textrahmen, seien es ein halbes Dutzend oder Tausende: Absätze beginnen auf ersten Zeilen von Seiten; Kapitel enden mit einzelnen Wörtern, die ganz allein auf fast leeren Seiten stehen. Händereibend geht der Gestalter, der nun Setzer sein darf, an die Arbeit, aus diesen Zufällen ein harmonisches Großgefüge zu machen. Das ist das erfreuliche „Einerseits“. Andererseits geht dieser Übergang von der Gestaltung zum Umbruch mit einem beachtlichen Kontrollverlust einher. Bei der Gestaltung des Inhalts und auch des Einbands des Buchs lässt sich noch alles beeinflussen, ändern, definieren, verfeinern. Der Umbruch aber stößt dem Umbrecher zunächst zu. Wenn das Werk nur wenig Text hat, kann man die Parameter vielleicht noch anpassen: zum Beispiel die Schrift größer machen oder den Zeilenabstand geringer – all das nur in engen Grenzen, aber immerhin. Wenn aber viel Text vorliegt, werden solche Veränderungen an einigen Stellen hilfreich sein, an anderen Schwierigkeiten aufwerfen. Dann lässt man das also bleiben. Der Möglichkeiten, den Umbruch zu manipulieren, sind wenige: Man kann in einzelnen Absätzen die Wortabstände enger oder weiter machen (nie aber die Buchstabenabstände) und auf diese Weise eine Zeile „einbringen“ beziehungsweise „austreiben“. Wenn man heimlich den Zeilenabstand verringerte oder erweiterte, flöge das nach dem Druck auf: Dann sähe der Leser die Verschiebungen durchscheinen und wäre irritiert. Das darf nicht sein. Ich berichte von zwei Umbrüchen der schwierigeren Art.

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Fließtext


Zitat

Mein Lehrer Hans Peter Willberg hat uns Studenten einst gesagt, dass der Umbruch etwas Metaphysisches sei. Wenn es beim Umbruch klemme und jede Lösung auf einer Seite neue Schwierigkeiten auf den Folgeseiten aufwerfe, sei er schon zuvor mit der Gestaltung nicht ganz zufrieden gewesen. Wenn er aber gewiss sei, dass alles aufs Schönste gestaltet sei, dann laufe auch der Umbruch mühelos – wofür es keine logische Erklärung gebe.

Weißraum

gegeben: Detailtypografie.

Zettel’s Traum: ein 1.500-Seiten-Roman, von Arno Schmidt auf DIN-A3-Blätter getippt und seinerzeit – in den 1970er Jahren und also gerade noch zur Bleisatzzeit – unsetzbar, daher als Reproduktion gedruckt. Ein Text ohne Absätze, aber mit Marginalien, geschrieben in einer Kolumne, die zwischen drei Positionen hin- und herspringt. Ein Text, der Sonderfälle aufweist; so stellt auf einer Seite des Typoskriptes der Text ein Kreuz dar; hinzu kommen Bilder und Zeichnungen. Mein Lehrer Hans Peter Willberg hat uns Studenten einst gesagt, dass der Umbruch etwas Metaphysisches sei. Wenn es beim Umbruch klemme und jede Lösung auf einer Seite neue Schwierigkeiten auf den Folgeseiten aufwerfe, sei er schon zuvor mit der Gestaltung nicht ganz zufrieden gewesen. Wenn er aber gewiss sei, dass alles aufs Schönste gestaltet sei, dann laufe auch der Umbruch mühelos – wofür es keine logische Erklärung gebe. Nun, beim Satz von Zettel’s Traum ließ sich, trotz des Wegfalls der Hauptmanipulationsmöglichkeiten, nämlich des Einbringens und Austreibens an Absatzenden (die es hier ja nicht gibt), für jede Marginalie und für jeden Sonderfall eine gute Lösung finden; durch viel Probieren und unter beachtlichen Mühen, gewiss. Aber es wäre ja auch denkbar gewesen, dass es für einige Fälle schlechterdings gar keine Möglichkeit gegeben hätte. Hat hier also die Willberg-Regel gegriffen? Der Umbruch als Schicksal? Nun, „Dank ist eine Form der Einwilligung in das Zufällige“, wie Odo Marquard schrieb – und ich war und bin dankbar. Zweites Beispiel, die Lutherbibel 2017: Zweispaltiger Blocksatz in einem eher kleinen Buch, diese drei Grundentscheidungen sind buchtypspezifisch (eine Bibel muss aussehen wie eine solche) und also nicht verhandelbar. Viele Zwischenüberschriften, viele Absätze, wenig Manipulationsmöglichkeiten: Weder kann allzu sehr gequetscht werden noch sind zu große Wortabstände zu dulden. In diesem Falle war ich nicht selbst der Setzer, sondern habe einige Probeseiten abgegeben, die alle denkbaren Fälle enthielten, und gebetet. Kurze Zeit später kam der Umbruch zurück: Nichts war zu eng, nichts war zu weit, erfreulich oft standen Zwischenüberschriften am Kopf der Kolumne, neue Großteile begannen in schöner Proportion auf den Seiten. Ein ungläubiger Anruf ergab: Praktisch ohne manipulierende Eingriffe war der Text so in die zweispaltigen Kolumnen eingeströmt. Glück beim Umbruch, Glück des Umbruchs.

Text

Friedrich Forssman

Marginalspalte Friedrich Forssman, geboren 1965 in Nürnberg, Schrift­ setzerlehre, Studium bei Hans Peter Willberg in Mainz, Buchgestalter, Ausstellungs­ gestalter, Honorarprofessor an der FH Pots­dam, arbeitet (mit seiner Frau Cornelia Feyll) in Kassel. Zusammen mit Ralf de Jong hat er 2002 ein umfangreiches Nach­ schlagewerk zu Fragen von Schrift und Satz heraus­

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Corpus

Delicti

Ein

KĂśrper

ist

verlockend.

Aber

kann

er

auch

Ăźber

sich

selbst

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darf

und

tanzender

bestimmen?


Julia Peirone, Blackberry Bloom #1, 2008, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Sie rempeln jemanden an. Es war nicht Ihre Absicht. Sie sagen: „Entschuldigung“. Sie sagen das so selbstverständlich, wie Sie sich beim Husten die Hand vor den Mund halten. Die Tugend, die hier hineinspielt, hat offenbar mit dem Anspruch der Menschen zu tun, dass ihr Körper nicht angetastet werde. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spricht sogar von der „unan­tastbaren“ Würde (Art. 1, Abs. 1). Wenn Sie jemanden anrempeln, heißt das, Sie tasten womöglich auch seine Würde an. Würde klingt wie Konjunktiv: Am liebsten würde ich dir eine reinschlagen. Mach´ ich aber nicht. Aus Respekt. Oder aus Angst. Schwer zu unterscheiden. Erfolgt Rücksichtnahme aus Gründen des Selbstschutzes? Ein ehemaliger Tänzer des Bayerischen Staatsballetts, Aljoscha Tursan, der noch unter der Gründungs­ direktorin Konstanze Vernon seinen Dienst an der Stange versah, ist heute ein angesehener Lehrer für Wing Chun, eine asiatische Kampfkunst, die als probate Form der Selbstverteidigung gilt. Man schützt sich, indem man sich zunutze macht, wie sich Aggression gegen den Angreifer selber richten lässt. Das Prinzip stammt aus dem Tanz. Tanzen ist nicht einfach nur ornamentale Bewegung, eher ist es Demonstration von besonderem Geschick und hoher Beweglichkeit. Beides sind Grundlagen der Kampfkunst. Auch das Ballett war anfänglich Teil einer europä­ ischen Kriegskunst. Die Übung in Beweglichkeit bestand darin, möglichst elegant das eigene Gleichgewicht, die Standfestigkeit und Deckung zu riskieren. Ballett war eine Königsdisziplin am französischen Hof und diente den Edelleuten – wie das Fechten auch – als Ausweis besonderer Körperbeherrschung. Gerade im Ballett gilt ein Rempler als unschön, als Fehltritt, als körperliche Respektlosigkeit. Bei der Ballettkunst, die in China heute noch Teil der Militär­ausbildung ist, wäre es nicht einmal abwegig zu behaupten, dass sie eine Teilform der staatlichen Gewalt ist, eben weil sie die Würde als Ausdruck körperlicher Unversehrtheit „achtet und schützt“. Deshalb repräsentiert das Ballett auch keine körperlichen Gebrechen, keinen Sündenfall, es kriecht nicht zu Kreuze. Man geht ein Risiko ein, indem man sich seinem Gegenüber öffnet, etwa durch souveräne ports de bras der Arme anstelle des schützend vorgehaltenen Arms beim Boxen. Man springt, dreht sich, ohne zu fallen, zu stürzen, zu humpeln oder geschlagen zu werden. Tatsächlich ist das Ballett ein Hort der Ethik, indem es sich – von romantischen Pantomimen einmal abgesehen – durch einen besonders aufrechten Gang auszeichnet. Mit seinen eleganten Pirouetten, auf Spitze gehen, in der Arabesque stehen. Und es drängt sich ein Begriff auf, der selbst im Ballett als ethisch fragwürdig gilt: die Dressur. Gelinde gesagt: die Disziplinierung des Körpers. Böse

Text Arnd Wesemann

gesagt: dessen Abrichtung. Von Generation zu Generation wird die Unterwerfung des Körpers unter seine Ideale immer neu verhandelt. Das beginnt bei einem Körperbild, für das man nicht zu dick, nicht zu klein sein darf, um diese Kunst ausüben zu dürfen. Und es endet noch lange nicht bei der Frage, wie hierarchisch die Gleichschaltung von Bewegung in einem tatsächlich militärisch bezeichneten corps de ballet zu organisieren sei. Weiterhin heißt die Losung: Disziplin. Hinzu tritt das Gebot der Achtsamkeit, die angesichts der hohen körperlichen Beanspruchung immer neue Regeln zur richtigen Ernährung und Vermeidung von Verletzungen aufstellt. Vorschriften, die nicht zufällig in der gesellschaftlichen Diskussion um Ess­ gewohnheiten (Zero Zucker) und Prophylaxen zur Gefahrenabwehr (Rauchverbot) reflektiert werden. Das Ballett ist der Spiegel der Sorge um sich, um den eigenen Körper. Insofern könnte der Körper als Grundlage für alle vernunftbasierten Handlungsnormen gelten, die man als Ethik bezeichnet. Die Gebote der Vernunft stehen über den Geboten des Begehrens. Der Mensch ist hierzu Das Ballett ist der Spiegel der Sorge um sich, um den eigenen Körper. erst noch zu erziehen mit dem vernünftigen Ziel der Gleich­ stellung: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen An­schauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benach­ teiligt werden.“ (Grundgesetz, Art. 3, Abs. 3). Diese Hoffnung erfüllt sich oft zuerst im Tanz, einer Kunstform, die sich vor allen anderen Künsten durch Ensembles mit Menschen jeder Herkunft, Abstammung, Sprache und Religion auszeichnet. Auch das Geschlechtliche zählt dazu, das ewige Thema. Nicht umsonst nimmt der Film Girl (2018) von Lukas Dhont über ein Mädchen, geboren im Körper eines Jungen, seinen Ausgang in einem Ballettsaal. Nirgendwo anders wird die Differenz der Geschlechter so stark betont wie hier, sodass der Unterschied ins Absurde kippt. Bei

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die seine Schritte tanzt, spricht ein Tanzschöpfer gern so, als wäre sie sein „Material“. Wem also gehört dieser Körper? Dem gestaltenden Choreographen oder dem – oft namenlos – auf der Bühne agierenden Tänzer? Ein Ballettbetrieb, in dem so gefragt wird, verhandelt hinter den Kulissen etwas, das erst morgen Debatten auslöst: Ist der Mensch, indem er täglich hunderten fremder Regeln folgt, bloß ein Unterworfener, ein Objekt, ein Werkzeug, das auf Geheiß handelt, aber trotzdem die persönliche Konsequenz aus dem zu ziehen hat, was nie in seiner Entscheidungsmacht lag? Diese Frage stellt derzeit eine eigens berufene Ethikkommission der Bundesregierung. Sie betrifft das autonome Fahren. Zwischenstand: Das Auto folgt einem Regelwerk aus Algorithmen. Versagt es, beispielsweise bei einem Unfall, trifft das Auto keine Schuld. Der Mensch aber hätte ins Lenkrad (ein)greifen müssen. Versagt der Mensch, ist es sein Schicksal, nicht widerstanden zu haben. Auch die Kunst ist keine Widerstandskämpferin, keine Soldatin. Was wir im Ballett als faszinierend empfinden, ist seine disziplinierte Gewalt, die wie im Wing Chun als ein Akt der Befreiung erscheint. Der israelische Choreograph Ohad Naharin nannte den Tanz eine Kunst, „sich so effizient und instinktiv zu bewegen, um seine explosive Kraft und sein Feingefühl miteinander verbinden zu können“. Diese Beobachtung stammt aus den Kampfkünsten. Indem man sich zurückbiegt, ausweicht und die Gewalt des Angreifers nutzt. Mit diesem Wissen hat das Ballett alles überstanden: die Monarchie, den Sozialismus, die Diktaturen. Es ist, als wäre das Ballett die Würde selbst. Arnd Wesemann, Jahrgang 1961, studierte Angewandte Theater­ wissenschaft in Gießen. Seit 1997 ist der Journalist Redakteur der in Berlin verlegten Zeitschrift tanz.

Ballettfestwoche vom 11. bis 18. April 2019, Nationaltheater Termine im Spielplan ab S. 96

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Bilder Julia Peirone

Julia Peirone, Blackberry Bloom #4, 2008, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

amüsanten Fällen wie den weltbekannten Travestien der Ballets Trockadero de Monte Carlo. Bei traurigen Fällen wie der Kündigung eines Tänzers im Stadium seiner Transgender-­Transition. In noch traurigeren Fällen handelt es sich um sexuelle Übergriffe. Im Januar 2018 wurde der 71-jährige Peter Martins am New York City Ballet entlassen. Um­stands­los schickte man den Chefchoreographen in den Ruhestand, acht Monate später bezichtigten zwanzig Tänzer­innen den belgischen Choreographen Jan Fabre, sie sexuell belästigt zu haben. Die Generation um Martins und Fabre lernte als Kind, dass nur Sieger gute Vorbilder sind, strahlende Ballettprinzen und disziplinierte „Krieger der Schönheit“ (Fabre). Sie treffen heute auf einen medialen Diskurs, der – relativ neu in der Geschichte der Ethik – die Opfer feiert: flüch­ tende Rohingya aus Myanmar, fliehende Menschen aus Syrien und dem Sudan, Opfer von Naturkatastrophen und solche von terroristischen oder amoklaufenden Ex­tremisten. Der positive Effekt aus Sicht der Ethik ist: Dieser sich aus Nachrichten speisende Diskurs erzeugt Mitleid. Der negative: Er erzeugt Angst, einen Affekt, der vor wenigen Generationen nur den Schwächeren, den Verlierern zugebilligt wurde. Nun ist, weil das Grundgesetz auch politisch fremde Anschauungen schützt, jedes Staatsballett ein Ort, der neben der Kunst- auch der Meinungsfreiheit verpflichtet ist und folglich Meinungen zulassen darf, die abweichen, selbst wenn sie fragwürdig sind. Das Ballett darf sich dazu frei und angstlos auf dem weichen Boden des Grundgesetzes bewegen, mit einem Körper, der zu schützen ist. Aber wie steht es um die Annahme, dass der Körper das Instrument des Tänzers sei? Ist dieser Körper das Instrument des Choreographen? Denn über die Person,


Wem gehört der

Körper?

Dem gestaltenden Choreographen oder dem

oft

namenlos

auf

der

Bühne

agierenden

Tänzer?

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Thu Van Tran, In the Fall, In the Rise, 2018, Courtesy Galerie Rüdiger Schöttle and the artist

Vom Wert der Vergänglichkeit

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Nach einem Stammhirn­ infarkt sind die Chancen auf eine vollständige Heilung bei dem früheren Filmemacher und Journalisten Bernd Thränhardt gering. Essen, Trinken, Gehen: Alles muss neu gelernt werden. Über einen tapferen Kampf zurück ins Leben – und eine Lektion in Demut.

Text Jörg Böckem

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„Sie werden überrascht sein, mich auf Ihre Frage, woran ich glaube oder was ich am höchsten stelle, antworten zu hören: es ist die Vergänglichkeit. – Aber die Vergänglichkeit ist etwas sehr Trauriges, werden Sie antworten. – Nein, erwidere ich, sie ist die Seele des Seins, sie ist das, was allem Leben Wert, Würde und Interesse verleiht, denn sie schafft Zeit, – und Zeit ist, wenigstens potentiell, die höchste, nutzbarste Gabe.“ (Thomas Mann, Lob der Vergänglichkeit, 1952)

Ein Einfamilienhaus in Rollers­broich, einem malerischen Stadtteil des Eifelstädtchens Simmerath; es ist der 11. Mai 2017. Bernd Thränhardt, 61, hat in diesem Haus am Wald­ rand seine Jugend verbracht, sein Vater hat es gebaut. Seit dessen Tod lebt er wieder hier, sorgt für seine Mutter. Gegen zwei Uhr mor­ gens wacht er auf. Er ist verschwitzt, sein T-Shirt klebt auf der Haut. Er fühlt sich unwohl. Geht die Treppe hinauf in die Küche, öffnet den Kühl­ schrank, gießt Milch in ein Glas und legt ein Stück Kuchen auf den Teller. Wie er es häufig macht, wenn er nachts wach wird. Aber dieses Mal ist alles anders. Es gelingt ihm nicht zu schlucken. Nicht den Kuchen, egal, wie lange er ihn kaut, nicht die Milch, egal, wie häufig er es versucht. Er spuckt alles in die Spüle. Panik steigt in ihm auf, die Gedanken rasen. So etwas hat er noch nie erlebt. Im Badezimmer stellt er sich vor den Spiegel, mustert sich, sucht nach Hinweisen. Da über­ fällt ihn die Gewissheit, dass gerade etwas existenziell Bedrohliches mit ihm geschieht. Die Treppe hinunter ins Schlaf­ zimmer schafft er nur mit größter Anstrengung. Seine Beine zittern. Er weckt seine schlafende Freundin: „Ruf bitte den Notarzt, ich habe einen Schlaganfall.“ Trotz seiner Angst bleibt er gefasst, setzt sich auf die Terrasse, zündet sich eine Ziga­ rette an und wartet auf den Arzt. „Ich muss in einem Schockzu­ stand ge­ wesen sein“, sagt Bernd

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Thränhardt beinahe zwei Jahre später. Das mit der Zigarette, sagt er, sei ihm heute peinlich, so dumm, so unverant­ wortlich. „Aber so ist das halt, wenn man süchtig ist, da setzt die Vernunft aus.“ Mit Sucht hat Bernd Thränhardt Erfahrung – aber dazu später. Der Krankenwagen bringt ihn in die rund 30 Kilometer entfernte Aachener Uniklinik. Er kommt auf die Stroke Unit, eine Intensivstation für Schlaganfallpatienten. Dort be­ kommt er eine sogenannte Lyse-­ Behandlung, es wird ihm ein Enzym injiziert, das das Blutgerinnsel auf­ lösen soll. Er wird in sein Zimmer geschoben. „Mit einem Mal waren alle Sym­ ptome verschwunden“, sagt Thrän­ hardt. „Die Lähmung im Arm und im Bein, ich konnte meine Hände wieder frei bewegen. Ich dachte, ich sei mit einem blauen Auge davon gekom­ men.“ Die Behandlung, so schien es, hatte angeschlagen. Allein, die Er­ leichterung hält nicht lange vor. Nach einer knappen Stunde sind alle Sym­ ptome wieder da, stärker als zuvor. „Da bin ich das erste Mal wirklich in Panik geraten“, sagt er. Er hat einen Stammhirninfarkt erlitten, eine besonders gefährliche und folgenreiche Form des Schlag­ anfalls, die Chancen auf eine voll­ ständige Heilung sind gering. Es ist noch nicht einmal sicher, ob er über­ leben wird. Er leidet unter Ataxie, Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen, einer Nervenstörung im Gesicht, Nervenschmerzen, auch der Sehnerv ist in Mitleidenschaft gezo­

gen, er sieht alles doppelt, Atmen, Schlucken und Darmtätigkeit sind gestört, und er muss künstlich er­ nährt werden. Zu Anfang verliert er sogar im Sitzen das Gleichgewicht; Waschen, Toilettengang, Anziehen – alles zu viel für ihn. Meist liegt er nur da, horcht in sich hinein und grübelt. Vor dem Fenster seines Krankenzimmers liegt ein Golfplatz, dort hat er in den ver­ gangenen Jahren hin und wieder ge­ spielt. Wenn er hinaussieht, fragt sich der leidenschaftliche Golfer, ob er je wieder auf dem Grün stehen wird, wieder gehen, Sport treiben, in sein altes Leben zurückfinden. Caro, seine Freundin, ist immer an seiner Seite, Tag für Tag. Kurz darauf die nächste Hiobsbotschaft: Lungenentzündung, die häufigste Todesursache bei Pa­ tienten, die einen Schlaganfall erlitten haben. Sollte die Behandlung mit einem Antibiotikum nicht anschla­ gen, wären ein Luftröhrenschnitt und künstliche Beatmung erforderlich. „Damals habe ich gedacht, wenn es so weit kommt, dann will ich nicht mehr, dann springe ich aus dem Fenster“, sagt Thränhardt heute. Doch das Antibiotikum wirkt, nach 16 Tagen wird er in die Reha entlassen, im Rollstuhl. Schlimmer noch als die Immobilität sind die Schluckstörun­ gen. Keinen Teelöffel Wasser be­ kommt er hinunter, auch seinen eige­ n­en Speichel nicht, ständig spuckt er Schleimbatzen aus. Dass eine Logo­ pädin in der Klinik seiner Freundin gegenüber die Vermutung äußert, die Schluckstörung sei möglicherweise


irreversibel, verschweigt diese ihm. Nie mehr essen oder trinken zu kön­ nen, sagt Bernd Thränhardt, sei für ihn, den Genussmenschen, die größ­ te Angst gewesen. Februar 2019, Gut Clarenhof in Köln-Weiden, ein Restaurant, ein Hofladen und ein Golfplatz mit Café und Biergarten, idyllisch im Grünen gelegen. Ein sonniger Wintertag, das Grün des Golfplatzes vor dem Restaurantfenster eingefasst von Schnee. Bernd Thränhardt ist groß, schlank und wirkt sportlich. Dass er vor kaum zwei Jahren einen Stamm­ hirninfarkt erlitten hat, sieht man ihm nicht an. „Ich hatte nie vorher davon gehört, dass so eine Schluck­störung die Folge eines Schlaganfalls sein kann“, sagt er. Für ihn wie eine Ironie des Schicksals: „Ich, der ehemalige Säufer, konnte keinen Tropfen mehr trinken.“ Er bestellt die Tagessuppe, ein Fischgericht und Bananensaft. „Es­ sen und Trinken sind immer noch eine Herausforderung“, sagt er. Das Schlucken wieder zu lernen, sei der langwierigste Prozess gewesen. Bis heute kann er nur weiche Nahrung zu sich nehmen, dabei macht er manchmal merkwürdige Geräusche. Deshalb isst er nicht gerne in der Öffentlichkeit. Dass er nach knapp zwei Jahren überhaupt wieder essen, trinken, ge­ hen und Golf spielen kann, war zu­ nächst kaum zu erwarten. Thrän­ hardts Heilungsprozess hat in der Reha rasante Fortschritte gemacht, auch weil er selbst die Initiative er­ griff, auf eigene Faust trainierte, jeden

Tag anderthalb Stunden zusätzlich zu seinem Rehaprogramm, und sich so­ gar außerhalb der Klinik den Rat und die Unterstützung von Fachleuten holte. „Ich habe die Ärzte vor mir her­ getrieben“, sagt er rückblickend. Woher hat er nach diesem Zu­ sammenbruch die Energie genom­ men, sich zurückzukämpfen? „Mein großes Glück war, dass es immer aufwärts ging“, sagt er. „Ich hatte im­ mer wieder Erfolgserlebnisse, kleine, wunderbare Highlights. Das erste Mal sitzen, wieder duschen zu kön­ nen, das Wasser auf meinem Kopf spüren, waren großartige Erlebnisse; genauso meine ersten Schritte mit dem Rollator. All das hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass der Roll­ stuhl nicht die Endstation ist.“ Seine erste Mahlzeit, eine zerquetschte Ba­ nane, sei wie eine Explosion der Sin­ ne gewesen. „Ich habe nie etwas De­ likateres gegessen“, sagt er. Auch an diesem Tag isst er mit sichtbarer Begeisterung. Er freut sich an jedem Schluck Saft, jedem Löffel Suppe. Der Schlaganfall, sagt er, sei eine Lektion in Demut gewesen. Es war nicht die erste in seinem Leben. In den späten 1980er und den 1990er Jahren führte Bernd Thrän­ hardt, älterer Bruder des Sportstars und Hochsprung-Weltrekordlers Carlo Thränhardt, ein rastloses Gla­ mour-Leben, immer am Limit: Der erfolgreiche Sportjournalist jettete für einen Dokumentarfilm mit Boris Becker um die Welt, spielte Tennis mit dem Team des Davis Cups, war Stammgast auf Sport- und TV-Galas, feierte in Monaco mit Prinz Albert,

trank in Edel-Discos mit Heiner Lau­ terbach, stieß mit Udo Jürgens an, schüttelte Richard von Weizsäcker die Hand, plauderte auf Empfängen mit Hape Kerkeling und Uschi Glas und kokste mit Konstantin Wecker; bis zu seinem völligen Zusammen­ bruch, körperlich, psychisch, emotio­ nal. Er verlor beinahe alles, zerstörte seine Reputation als Journalist, rui­ nierte Beziehungen und Freund­ schaften, mit Anfang 40 blieb ihm nur noch die Privatinsolvenz und das Kinderzimmer im Haus seiner Eltern, die ihn nie aufgegeben hatten. Der Weg zurück ins Leben war damals mühsam und beschwerlich. Eine Selbsthilfegruppe der Anony­ men Alkoholiker war seine Rettung. „Meine damalige Erfahrung hat mir sehr dabei geholfen, mit den Folgen des Schlaganfalls zurechtzukom­ men“, sagt Thränhardt. „Immer nur an die nächsten 24 Stunden, den nächsten kleinen Schritt, die nächs­ te Herausforderung denken, das habe ich verinnerlicht.“ Zudem sei die lebenslange Nähe zum Sport, so Thränhardt, der in jüngeren Jahren selbst intensiv Handball und Tennis gespielt und die Aufs und Abs der Karriere seines Bruders hautnah miterlebt hat, sehr hilfreich gewe­ sen. Dadurch habe er gelernt, sich realistische, kurzfristige Ziele zu setzen und sie mit aller Energie zu verfolgen, um das große, langfristige Ziel zu erreichen. „Wieder essen und trinken zu können und mit meiner Freundin Arm in Arm um den kleinen See im Wald hinter unserem Haus zu gehen,

„Ich hatte immer wieder Erfolgserlebnisse, kleine, wunderbare Highlights. Das erste Mal sitzen, wieder duschen zu können, das Wasser auf meinem Kopf spüren, waren großartige Erlebnisse; genauso meine ersten Schritte mit dem Rollator. All das hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass der Rollstuhl nicht die Endstation ist.“

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„Sicher, es klingt wie eine Plattitüde, aber diese Erfahrung hat mir meine Endlichkeit radikal bewusst gemacht und mir gezeigt, wie fragil das Leben ist und wie wichtig es ist, all das wertschätzen zu können.“

irgendwann vielleicht mal wieder auf dem Golfplatz zu stehen, das wollte ich erreichen“, sagt er rückblickend. Der Abschied vom Alkohol sei ein ähnlicher Einschnitt gewesen. Zu die­ ser Zeit habe er ebenso wieder lernen müssen, mit Genuss zu essen und zu trinken, ebenso wie auf eigenen Bei­ nen zu stehen; und er habe etwas finden müssen, das seinem Leben Inhalt und Struktur gibt. Aber trotz aller Parallelen gibt es Unterschiede. „Damals hatte ich, zumindest von ei­ nem gewissen Punkt an, das Heft des Handelns selbst in der Hand, es lag im Rahmen meiner eigenen Möglich­ keiten, mein Leben zu ändern, die Kontrolle darüber zurückzuerlangen. Dieses Mal habe ich mich dem, was in meinem Gehirn und Körper vor­ geht, oft ausgeliefert gefühlt. Das hat mir große Angst gemacht.“ Damals ist es Bernd Thränhardt gelungen, die Kontrolle über sein Le­ ben zurückzugewinnen; vor allem, weil er einen radikalen Neuanfang gewagt hat. Heute leitet er zwei Selbsthilfegruppen für Alkohol­ abhängige, die Treffen finden hier, in diesem Restaurant, in einem abge­ trennten Nebenraum statt, und er coacht Menschen mit Suchtproble­ men, unter anderem als „Trocken-­ Doc“ in der gleichnamigen TV-Serie im MDR, die er mitentwickelt hat. Aber auch wenn er sein Leben als erfüllend erlebt, der Schlaganfall sei ­ein wichtiger Weckruf gewesen, sagt Thränhardt: „Sicher, es klingt wie eine Plattitüde, aber diese Erfahrung hat mir meine Endlichkeit radikal

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bewusst gemacht und mir gezeigt, wie fragil das Leben ist und wie wichtig es ist, all das wertschätzen zu können.“ Nur in ganz wenigen Momenten würden die Gedanken an die eigene Vergänglichkeit verblas­ sen, sagt er; an einem guten Tag auf dem Golfplatz beispielsweise. Dann schiebt er nach: „Eigentlich hätte ich das wissen müssen, aber wir Men­ schen vergessen schnell.“ In den Jahren vor dem Schlag­ anfall hatte Thränhardt wie in einem Hamsterrad gelebt, war von einem Termin, von einem Projekt zum nächsten gehetzt: Seminare in Sucht­kliniken, Vorträge, Lesungen, Dreharbeiten, Coachings. Eine ge­ plante vierwöchige Auszeit hat er von Jahr zu Jahr verschoben. Diesmal muss er sein Leben zwar nicht völlig neu aufstellen, aber der Schlaganfall hat ihn doch zu einer Kurskorrektur gezwungen. „Ich habe meine Arbeit wieder auf­ genommen, weil es mir Spaß macht und meinem Leben einen Sinn gibt, vor allem das Coaching und die Selbsthilfegruppen“, sagt er. „Aber meine innere Haltung hat sich geän­ dert. Wenn der Stress zu groß wird, bin ich eher bereit, auf die Bremse zu treten, ich kann mich besser abgren­ zen und konzentriere mich auf einige wenige Projekte, die ich nicht mehr mit der gleichen Verbissenheit verfolge wie früher. Wenn etwas nicht so funktioniert, wie es für mich richtig und passend ist, mache ich keine Klimmzüge mehr, dann verab­ schiede ich mich von diesem Projekt.

1.000 Euro mehr im Monat machen mich nicht glücklicher oder gar gesünder, das weiß ich jetzt.“ So wie vor dem Schlaganfall wird Thränhardts Leben nie wieder sein. Die Schmerzattacken, die mehrmals täglich in seiner linken Gesichtshälfte toben, das fehlende Hitzeempfinden in seiner rechten Körperhälfte, die Schluckbeschwer­ den werden ihn wohl sein weiteres Leben begleiten. Er ist nicht mehr so beweglich wie früher, auch seine körperliche Leistungsfähigkeit hat nachgelassen. Doch Thränhardt kämpft weiter für eine Verbesse­ rung, sei sie auch noch so gering: Die Treppe in den ersten Stock joggt er täglich 30 Mal hinauf und hinun­ ter, dreimal in der Woche arbeitet er mit seinen Physiotherapeuten, und dreimal in der Woche geht er ins Fit­ nessstudio auf den Crosstrainer. Bernd Thränhardt weiß, wofür er sich abstrampelt: „Ich bin mit mir im Reinen; so sehr wie schon lange nicht mehr.“

Der Journalist und Autor Jörg Böckem arbeitet u. a. für Die Zeit, ZEIT Magazin und Der Spiegel. Für Max Joseph schreibt er eindrucks­volle Reportagen. In seinem autobio­graphischen Buch Lass mich die Nacht überleben (2004) berichtet er von seinem Doppelleben als Journalist und Junkie. Mit Bernd Thränhardt hat er bereits dessen Leben vor und nach der Alkoholsucht in Ausgesoffen. Mein Weg aus der Sucht (2013) beschrieben. Zuletzt erschien das Aufklärungsbuch High Sein (2015).


UTRECHT CARAVAGGIO UND EUROPA 17. APRIL BIS 21. JULI 2019

www.pinakothek.de/caravaggisti #PinaCaravaggisti


Tot ist nicht gleich tot

Illustration Kati Szilágyi

Alles, was recht ist? Wenn sich das so einfach sagen ließe. In dieser Spielzeit steht Max Joseph allerdings der Juraprofessor Andreas Spickhoff bei und zeigt auf einen Blick, was Sache ist; abschließend, natürlich.

Der Todeszeitpunkt eines Menschen kann gravie­ rende juristische Auswir­ kungen haben. Wie das Recht sich dabei an der Medizin orientiert – die dritte Folge unserer Rechtsserie.

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ALLE § WA§ RECHT I §T


In vielen Opern begeben sich die Protagonisten gelegentlich in die Unterwelt der Toten. Auf frappierende Weise werden sie dann aber wieder ins Reich derLebenden zurückbefördert: Herakles gelingt das zugunsten von Alceste, Orpheus zugunsten von Eurydike (mithilfe von Amor). Die Idee, dem Tod doch entrinnen oder entrissen werden zu können, regt die Fantasie an. Das deutet auch der Humor von Intensivmedizinern an: „Zweimal nacheinander klingelt jemand bei Petrus, bittet um Einlass, Petrus öffnet die Himmelspforte – doch plötzlich ist niemand mehr da. Als die betreffende Person zum dritten Mal klingelt, beschwert sich Petrus bei Gott. Der bescheidet Petrus mit den Worten: ‚Wenn du wüsstest, wie weit die Ärzte auf der Erde schon mit der Reanimation gekommen sind …‘“ Was sagt das Recht zu solchen Grenzerfahrungen? Immerhin ist die Frage, ob jemand noch lebt oder bereits verstorben ist, juristisch relevant: Wann tritt der Erbfall ein? Wann wird die Lebensversicherung ausbezahlt? Und ab wann sind Witwen- und Waisenrente zu beziehen? Manchmal kommt es auf eine möglichst präzise Bestimmung des Todeszeitpunkts an, zum Beispiel, wenn im Erbrecht nach einem Unfall die Frage entsteht, ob eines der verstorbenen Opfer ein anderes noch (vielleicht auch nur kurz) überlebt und deswegen geerbt hat. Das kann für das Erbe weiterer Hinterbliebener entscheidend sein. Für die Bestimmung des Todeszeitpunkts war jahrhundertelang das Kriterium des Herz-Kreislauf-Stillstands ausschlaggebend. Noch heute setzt die Eintragung ins Geburtenregister eine Lebendgeburt voraus, für die die Feststellung von Atmung, Herzschlag oder einer pulsierenden Nabelschnur maßgeblich sind. Auch die Möglichkeiten der Reanimation sind zu bedenken. Sie führten zunächst dazu, dass der juristische Begriff von „Tod“ um das Kriterium der Irreversibilität des Herz-Kreislauf-Stillstands ergänzt wurde. Die Rückkehr ins Leben muss ausgeschlossen werden können. Aber auch damit hat es nicht sein Bewenden. Denn die technischen Möglichkeiten durch Beatmungsgeräte und Herz-Lungen-Maschinen können nicht nur kurzfristig den Stillstand des Her­zens oder anderer Organe überbrücken. Transplantationen kommen hinzu. Angesichts dessen gilt das Kriterium des Herz-Kreislauf-Tods heute als nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen wird die Feststellung des Hirntods verlangt. Der Tod wird definiert durch nicht (mehr) nachweisbare Hirnströme. Das Transplantationsrecht spricht vom endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamt­funktion des Gehirns. Der tiefere Grund für die Akzeptanz des

Hirntods liegt auch darin, dass man den Sitz der Persönlichkeit im Gehirn verortet. Die Orientierung an nicht mehr feststellbaren Hirnströmen hat allerdings zur Folge, dass der Todeszeitpunkt weniger eindeutig zu identifizieren ist. Denn genau genommen handelt es sich beim Tod im Sinne des vollständigen Ausfalls der Hirnfunktionen um einen fortschreitenden Prozess: Irgendwann lassen sich (versiegende) Hirnströme nicht mehr feststellen. Die dazu erforderliche Diagnostik bedingt hohe medizinische Kompetenz. Es bleibt aber die Frage nach (bloß) nicht mehr messbarer Hirntätigkeit auf der Basis des Möglichen. Auch hat man gegenüber dem Hirntodkriterium eingewendet, dass es den Erhalt „frischer“ Organe für Transplantationen durch die künstliche Aufrechterhaltung der Herz-Kreislauf-Funktionen (kombiniert mit einer zeitlich für Explantationen passenden Feststellung des Hirntodeintritts) begünstige, ja überhaupt nur deshalb etabliert worden sei. So wurde darüber diskutiert, ob ein zur Transplantation freigegebener Anenzephalus (ein Neugeborenes ohne Schädeldach, Groß-, Zwischenoder Stammhirn) nach den Kriterien des Hirntods je nach Befund überhaupt gelebt hat, obwohl die Herz-und Kreislauffunktionen für (kurze) Zeit nach der Geburt bestehen und – transplantationsbedingt – auch künstlich aufrechterhalten werden können. Das ist deshalb wichtig, weil eine Lebendorganspende an ganz andere, engere Voraussetzungen gebunden ist als die Organspende post mortem. Um den Lebensschutz weit auszugestalten und um Missbräuchen vorzubeugen, genügt zur Annahme menschlichen Lebens jedes Anzeichen auch noch so geringer Hirnströme, und sei es in der Hirnrinde. Das Transplantationsrecht verlangt übrigens (freilich wenig weiterführend) neben der Feststellung des Hirntods zusätzlich die Einhaltung der Kriterien des Todes nach den Regeln der Wissenschaft, sofern diese vom Hirntodkriterium abweichen. Indes ist der Tod für das Recht ein normativer Begriff, dessen Inhalt nicht einfach aus der Medizin übernommen werden kann. Ob die weitere Zukunft über etwaige Möglichkeiten einer Verpflanzung von Hirngewebe o. ä. auch den Hirn­ tod wieder infrage stellt oder zu juristischen Fortschreibungen veranlassen wird, ist offen. Ob der Jurist Goethe all das vorausgeahnt hat, als er Mephisto in Faust II sagen ließ: „Der alte Tod verlor die rasche Kraft, das Ob sogar ist lange zweifelhaft“?

Andreas Spickhoff ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Folge 3: Der juristische Todesbegriff

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Spielplan 03.04.2019 – 26.06.2019

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.


Oper

Giacomo Puccini TURANDOT Musikalische Leitung Pinchas Steinberg Inszenierung Carlus Padrissa - La Fura dels Baus

Wolfgang Amadeus Mozart DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL Musikalische Leitung Constantin Trinks Inszenierung Martin Duncan

Anna Pirozzi, Ulrich Reß, Alexander Tsymbalyuk, Yonghoon Lee, Golda Schultz, Mattia Olivieri, Kevin Conners, Galeano Salas, Bálint Szabó

Albina Shagimuratova, Caroline Wettergreen, Daniel Behle, Manuel Günther, Peter Rose, Bernd Schmidt, Charlotte Schwab

Sa Mi Sa Do

20.04.19 24.04.19 27.04.19 02.05.19

19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Do 04.04.19 19.00 Uhr Sa 06.04.19 18.00 Uhr Di 09.04.19 18.00 Uhr

Richard Wagner DER FLIEGENDE HOLLÄNDER Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Peter Konwitschny

Giacomo Puccini MADAMA BUTTERFLY Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Inszenierung Wolf Busse Ermonela Jaho, Annalisa Stroppa, Riccardo Massi, Niamh O’Sullivan, Boris Pinkhasovich, Ulrich Reß, Boris Prýgl, Peter Lobert, Oleg Davydov, Oğulcan Yılmaz Fr 05.04.19 19.00 Uhr So 07.04.19 19.00 Uhr Mi 10.04.19 19.00 Uhr

Hans-Peter König, Anja Kampe, Wookyung Kim, Okka von der Damerau, Dean Power, Bryn Terfel Mo 22.04.19 18.00 Uhr Do 25.04.19 19.30 Uhr So 28.04.19 18.00 Uhr

Giacomo Puccini TOSCA Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Luc Bondy

Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky MAVRA / IOLANTA Musikalische Leitung Alevtina Ioffe Inszenierung Axel Ranisch Anna El-Khashem, Noa Beinart, Natalia Kutateladze, Freddie De Tommaso, Markus Suihkonen, Boris Prýgl, Long Long, Oğulcan Yılmaz, Caspar Singh, Oleg Davydov, Mirjam Mesak, Anaïs Mejías

Anja Harteros, Stefano La Colla, John Lundgren, Alexander Milev, Kristof Klorek, Kevin Conners, Christian Rieger, Oleg Davydov, Solisten des Tölzer Knabenchors Sa 04.05.19 19.00 Uhr Di 07.05.19 19.00 Uhr Fr 10.05.19 19.00 Uhr gefördert durch

Mo Do Sa Mo Do So

15.04.19 18.04.19 20.04.19 22.04.19 25.04.19 28.04.19

19.00 19.00 19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Cuvilliés-Theater Premiere Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater

Mit freundlicher Unterstützung der Freunde des Nationaltheaters e.V.

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Richard Wagner TANNHÄUSER

Christoph Willibald Gluck ALCESTE

Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung Romeo Castellucci

Musikalische Leitung Antonello Manacorda Regie und Choreographie Sidi Larbi Cherkaoui

Stephen Milling, Klaus Florian Vogt, Ludovic Tézier, Dean Power, Peter Lobert, Ulrich Reß, Lukasz Konieczny, Lise Davidsen, Elena Pankratova, Anna El-Khashem, Solisten des Tölzer Knabenchors

Charles Castronovo, Dorothea Röschmann, Michael Nagy, Manuel Günther, Sean Michael Plumb, Anna El-Khashem, Caspar Singh, Noa Beinart, Frederic Jost, Callum Thorpe

So 05.05.19 17.00 Uhr Do 09.05.19 17.00 Uhr So 12.05.19 16.00 Uhr gefördert durch Mit freundlicher Unterstützung

So 26.05.19 18.00 Uhr Mi 29.05.19 19.00 Uhr Sa 01.06.19 19.00 Uhr

Premiere A uch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv

Do 06.06.19 19.00 Uhr Mo 10.06.19 18.00 Uhr Do 13.06.19 19.00 Uhr

Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

Gaetano Donizetti LUCIA DI LAMMERMOOR Giuseppe Verdi UN BALLO IN MASCHERA

Musikalische Leitung Antonino Fogliani Inszenierung Barbara Wysocka

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Johannes Erath Wookyung Kim, George Petean, Carmen Giannattasio, Okka von der Damerau, Sofia Fomina, Boris Prýgl, Anatoli Sivko, Bálint Szabó, Ulrich Reß, Freddie De Tommaso Sa 18.05.19 19.00 Uhr Di 21.05.19 19.00 Uhr Fr 24.05.19 19.00 Uhr

Quinn Kelsey, Pretty Yende, Javier Camarena, Galeano Salas, Alexander Tsymbalyuk, Natalia Kutateladze, Dean Power So 09.06.19 19.00 Uhr Mi 12.06.19 19.00 Uhr Sa 15.06.19 18.00 Uhr sponsored by

sponsored by

Giacomo Puccini LA BOHÈME Giacomo Puccini IL TRITTICO Musikalische Leitung Bertrand de Billy Inszenierung Lotte de Beer Il tabarro Ambrogio Maestri, Yonghoon Lee, Kevin Conners, Martin Snell, Eva-Maria Westbroek, Helena Zubanovich, Dean Power, Rosa Feola, Galeano Salas Suor Angelica Ermonela Jaho, Michaela Schuster, Heike Grötzinger, Helena Zubanovich, Jennifer Johnston, Anna El-Khashem, Anaïs Mejías, Natalia Kutateladze, Selene Zanetti, Noa Beinart Gianni Schicchi Ambrogio Maestri, Rosa Feola, Michaela Schuster, Galeano Salas, Dean Power, Selene Zanetti, Christian Rieger, Martin Snell, Boris Prýgl, Jennifer Johnston, Matteo Peirone, Andrea Borghini, Oleg Davydov, Oğulcan Yılmaz Sa 25.05.19 18.00 Uhr Di 28.05.19 19.00 Uhr Do 30.05.19 18.00 Uhr So 02.06.19 Unterstützung 19.00 Uhr Mit freundlicher Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

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Musikalische Leitung Giampaolo Bisanti Inszenierung Otto Schenk Ruzan Mantashyan, Rosa Feola, Atalla Ayan, Davide Luciano, Milan Siljanov, Bálint Szabó, Freddie De Tommaso, Christian Rieger, Matteo Peirone, Oleg Davydov, Oğulcan Yılmaz Mo 17.06.19 19.00 Uhr Do 20.06.19 19.00 Uhr So 23.06.19 18.00 Uhr


Ballett

John Cranko DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG Musik Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti Musikalische Leitung Myron Romanul

Partner des Bayerischen Staatsballetts So So So Mi

BALLETTFESTWOCHE vom 11. bis 18. April 2019, Nationaltheater

14.04.19 16.06.19 16.06.19 19.06.19

19.00 15.00 19.30 19.30

Uhr Uhr Uhr Uhr

Yuri Grigorovich SPARTACUS Musik Aram Chatschaturjan Musikalische Leitung Karen Durgaryan Mo Mi Sa Mi Fr

George Balanchine JEWELS

15.04.19 08.05.19 11.05.19 22.05.19 31.05.19

19.30 19.30 19.30 19.30 19.30

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Musik Gabriel Fauré / Igor Strawinsky /  Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Robert Reimer

Wayne McGregor PORTRAIT WAYNE MCGREGOR

Mi 03.04.19 19.30 Uhr Do 11.04.19 19.30 Uhr

Musik Joel Cadbury, Max Richter, Kaija Saariaho, Paul Stoney Musikalische Leitung Koen Kessels

uch im Live-Stream auf A www.staatsoper.tv

So 21.04.19 18.00 Uhr

MATINEE DER HEINZ-BOSL-STIFTUNG So 07.04.19 11.00 Uhr So 14.04.19 11.00 Uhr

John Neumeier DIE KAMELIENDAME Musik Frédéric Chopin Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Di Fr Sa Sa Sa

16.04.19 07.06.19 08.06.19 22.06.19 29.06.19

19.30 19.30 19.30 19.30 18.00

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Christopher Wheeldon ALICE IM WUNDERLAND Musik Joby Talbot Musikalische Leitung Myron Romanul Mi 17.04.19 18.00 Uhr

Mo 08.04.19 19.30 Uhr Fr 12.04.19 19.30 Uhr

John Cranko ONEGIN Musik Peter I. Tschaikowsky arrangiert von Kurt-Heinz Stolze Musikalische Leitung Myron Romanul Sa 13.04.19 19.30 Uhr

Auftragswerk des Royal Ballet London als Koproduktion mit dem National Ballet of Canada

Christian Spuck ANNA KARENINA Musik Sergej Rachmaninow, Witold Lutoslawski u. a. Musikalische Leitung Robertas Šervenikas Do 18.04.19 19.30 Uhr Fr 17.05.19 19.30 Uhr So 19.05.19 19.30 Uhr

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Konzert

Lied

5. AKADEMIEKONZERT: PROKOFJEW & SIBELIUS

ENSEMBLE-LIEDERABENDE

Musikalische Leitung Jukka-Pekka Saraste Violoncello Truls Mørk

Callum Thorpe Klavier Sophie Raynaud

Mo 29.04.19 20.00 Uhr Di 30.04.19 20.00 Uhr

Mo 08.04.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal Helena Zubanovich Klavier Sophie Raynaud

6. AKADEMIEKONZERT: MARTINŮ & STRAWINSKY Mi 08.05.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal Musikalische Leitung Dima Slobodeniouk Violine Frank Peter Zimmermann So 02.06.19 11.00 Uhr Mo 03.06.19 20.00 Uhr Di 04.06.19 20.00 Uhr

PORTRÄTKONZERTE DES OPERNSTUDIOS Natalia Kutateladze / Oğulcan Yılmaz Fr 03.05.19 19.30 Uhr Künstlerhaus

5. KAMMERKONZERT: MUSIK FÜR BLÄSERENSEMBLE So 14.04.19 11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Noa Beinart / Markus Suihkonen Fr 07.06.19 19.30 Uhr Künstlerhaus

6. KAMMERKONZERT: DIE CELLISTEN DES BAYERISCHEN STAATSORCHESTERS So 26.05.19 11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

2. KAMMERKONZERT DER ORCHESTERAKADEMIE So 16.06.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal Hauptsponsor der Orchesterakademie

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Campus

Extra

Gordon Kampe KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA

PREMIERENMATINEEN MAVRA / IOLANTA

Sa 06.04.19 17.00 Uhr Rennert-Saal So 07.04.19 15.00 Uhr Rennert-Saal

So 07.04.19 11.00 Uhr Wernicke-Saal ALCESTE

SITZKISSENKONZERTE

So 19.05.19 11.00 Uhr

DIE GESCHICHTE VON BABAR, DEM KLEINEN ELEFANTEN

SALOME

Sa 04.05.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 06.05.19 11.00 Uhr Parkett, Garderobe Sa 11.05.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe

So 23.06.19 11.00 Uhr

BALLETT EXTRA DIE SPIELZEUGSCHACHTEL

(FAST) DIE KAMELIENDAME

Sa 22.06.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Premiere Sa 29.06.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Premiere

Sa 06.04.19 10.00 Uhr

Mit freundlicher Unterstützung des Inner Circle der Bayerischen Staatsoper

MONTAGSRUNDEN LA FANCIULLA DEL WEST Mo 08.04.19 20.00 Uhr Capriccio-Saal MAVRA / IOLANTA Mo 29.04.19 20.00 Uhr Capriccio-Saal ALCESTE Mo 17.06.19 20.00 Uhr Capriccio-Saal

OPERNDIALOG ALCESTE Sa 01.06.19 12.00 Uhr Capriccio-Saal So 02.06.19 14.00 Uhr Capriccio-Saal

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FestspielWerkstatt Zeitgenössisches Musiktheater und mehr in Reithalle und Alter Pinakothek. Als Prolog zu den Münchner Opernfestspielen ab 18. Juni. Partner der Festspiel-Werkstatt

SELBSTERMÄCHTIGUNG Eine musikalische Begehung der Ausstellung Utrecht, Caravaggio und Europa in der Alten Pinakothek Georgine Balk, Anna El-Khashem, Natalia Kutateladze, Caspar Singh, Oleg Davydov Di Mi Fr Sa Di Mi

18.06.19 19.06.19 21.06.19 22.06.19 25.06.19 26.06.19

20.00 20.00 20.00 20.00 21.00 21.00

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Alte Alte Alte Alte Alte Alte

Pinakothek Premiere Pinakothek Pinakothek Pinakothek Pinakothek Pinakothek

Benedikt Brachtel EVA UND ADAM Musiktheaterprojekt mit jungen Geflüchteten und Münchnern mit und ohne Migrationshintergrund Musikalische Leitung Anna Handler Inszenierung Jessica Glause Mi Do Do Fr

19.06.19 20.06.19 20.06.19 21.06.19

20.00 17.00 20.00 18.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Reithalle Premiere Reithalle Reithalle Reithalle

Münchner Opernfestspiele 27. Juni bis 31. Juli

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DIE LANGE NACHT

DER MUSIK Sa 4. Mai 19 20-3 Uhr

Eine Stadt

- Eine Nacht - 400 Konzerte

Münchner Veranstaltungsorte laden ein zu: Rock · Pop · Klassik Latin · Funk · Soul · Jazz · Schlager · Tanz · Blues · Swing · Indie 18 E

inkl. MVG-Shuttlebusse

bei den Spielstätten · VVK auch bei München Ticket

www.muenchner.de

HEIMATZEITUNGEN

merkur.de tz.de


Marlis Petersen singt die Titelpartie in Salome, fotografiert von Constantin Mirbach.

Vorschau

ALLES WAS RECHT IST Max-Joseph-Festspielausgabe Münchner Opernfestspiele 2019 Festspielpremieren Richard Strauss Salome Georg Friedrich Händel Agrippina Festspiel-Werkstatt EVA UND ADAM – Premiere in der Reithalle Minas Borboudakis Z – Premiere Nanine Linning / Hans Abrahamsen DUO for 16 dancers and 9 musicians – Uraufführung F. Leuschner / R. Finger / M. Schmitt Requiem für einen Lebenden – Uraufführung Die Max-Joseph-Festspielausgabe 2019 erscheint am 19. Juni 2019.


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Vorabillustration, Eingabeplanung, Änderungen vorbehalten. © ZOOM VP.AT

Baubeginn 2. Quartal 2019 Bezugsfertig Ende 2020 3–4 Zimmer/ca. 100–180 qm

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