Bayerischer Monatsspiegel #152

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POLITIK & WIRTSCHAFT Julius Beck

Auch Derrick ging zu Europol Im Untergeschoss des roten Backsteinhauses am Raamweg 47 im niederländischen Den Haag liegt ein schalldichter und abhörsicherer Raum, der für die großen Ganoven auf der ganzen Welt zu einer Schreckenskammer geworden ist: Spezialisten aus ganz Europa koordinieren von hier aus die Jagd nach Drogenbossen und Terrorplanern, nach Menschenhändlern und Mafiakillern. Hinter den Backsteinmauern residiert seit nunmehr zehn Jahren Europol, die erste gemeinsame europäische Polizeidienststelle. Vier Jahre lang wurde Europol von dem deutschen KriminalExperten Max-Peter Ratzel geleitet. Kurz bevor der Saarländer vor wenigen Wochen das Direktoren-Amt an den Briten Rob Wainright übergab, war Ratzel zu Gast beim Peutinger Collegium in München. Sein Resümee: „Europol wird inzwischen bei der internationalen Verbrechensbekämpfung weit über die EU hinaus als Partner sehr gut anerkannt.“

„Wir sind Dienstleister in Sachen internationaler Sicherheit“: Max-Peter Ratzel war vier Jahre lang Europol-Direktor.

Dabei hat Europol, dessen Gründung auf eine Initiative von Helmut Kohl hin im Maastricht-Vertrag bereits 1992 beschlossen wurde, keine unmittelbare Polizeikompetenz: Seine Beamten verfolgen nicht vor Ort, nehmen nicht fest und beschlagnahmen nicht. Ratzel: „Unsere Aufgabe ist es, die Mitgliedsstaaten der EU in ihrem Kampf gegen sämtliche Formen schwerer internationaler Kriminalität zu unterstützen. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen in Sachen internationaler Sicherheit.“ Den Auftrag erfüllen die rund 500 Europol-Mitarbeiter und ihre 150 Kollegen in den angegliederten nationalen Verbindungsbüros auf drei Ebenen: Der Informationsaustausch hilft nationalen

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und regionalen Polizeibehörden, blitzschnell Fakten abzurufen, die im Raamweg weltweit gesammelt wurden. Ratzel: „Das beschleunigt den Informationsaustausch unglaublich und unterstützt die Polizei in der Fläche technisch, rechtlich und organisatorisch.“ Doch leider, so bedauert er, „ist dieses Instrument noch zu wenig bekannt“. Mit der Kriminalitätsanalyse werden strategische Risiko- und Bedrohungsszenerien erarbeitet sowie operativ aus dem immensen Datenmaterial fallspezifische Fakten gefiltert, um zu erkennen, ob ein Täter schon durch ähnliche Straftaten aufgefallen ist oder vergleichbare Taten oder Verhaltensmuster erkennbar sind. Schließlich wird bei der Verbrecherjagd auf konkrete Anfrage Unterstützung geleistet, indem Beweismittel zusammengeführt werden. Anders als das FBI haben EuropolMitarbeiter keine Exekutivkompetenz. Mit Europol-Hilfe wurden schon zahlreiche große Fälle geklärt. So wurde bei einem von Den Haag aus koordinierten Einsatz von 500 Polizisten in zwölf europäischen Städten sizilianische CosaNostra-Strukturen zerschlagen und 75 Mafiosi festgenommen. Vor zwei Jahren wurden in Ungarn acht Tonnen Banknotenpapier sichergestellt. Mit dem Papier, das in Deutschland gestohlen worden war, hätte Falschgeld im Wert von fast 600 Millionen Euro gedruckt werden können. Einer der spektakulärsten Fälle in der Amtszeit von Ratzel war der weltweite Schlag gegen einen Verteilerring von Kinderpornographie. Auch in der Terrorabwehr war Europol erfolgreich. Doch Ratzel sieht keinen Anlass für Entwarnung: „Wir haben nach wie vor eine Reihe von Indikatoren auf andauernde Anschlagsplanungen.“ Europol hat übrigens auch schon Deutschlands weltweit bekanntesten Kriminalisten angelockt: In seiner 281. und letzten Folge verabschiedete sich TV-Oberinspektor Derrick alias Horst Tappert vom Münchner Morddezernat und wechselte nach Den Haag. ■

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