Schubert-Woche

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sinkende Molltonleiter bei den Worten „klafft hinunter ein gähnender Spalt“ als Bild für zerstörte Hoffnung, das Pendeln einer kleinen Sekunde bei „es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen“, auch die sich in verminderte Akkorde „auflösenden“ Seufzerfiguren, die in einem Klavierzwischenspiel nach dem zweiten Sprung des Tauchers das angsterfüllte Warten ­schildern – Schubert definiert solche Motive bereits in diesem frühen Werk als musikalische Formeln, die sich durch sein gesamtes Schaffen hindurchziehen werden bis in die Lieder der ­Winterreise hinein. Zugleich wird S­ chillers Text für den jungen Komponisten aber auch zu einem Bild für einen Tauchgang in die Tiefen der alten Mythen, die er in seinen Liedern ­immer wieder aufspüren wird, um sie – gesehen durch die antikenbegeisterten Augen Schillers, Goethes, Mayrhofers und anderer Zeitgenossen – zu Metaphern und Projektionsflächen für die eigene Gegenwart umzudeuten. Schuberts Dichter Bekanntschaft mit derartiger Literatur hatte Schubert bereits von Kindesbeinen an gemacht, wurde in seinem ­Elternhaus doch nicht nur regelmäßig musiziert, sondern vor allem durch den Vater als Lehrer und Schulleiter auch großer Wert auf eine breite Bildung seiner Kinder gelegt. Die Liste der Dichter, die Schubert inspirierten, ist lang und reicht von Autoren der Antike wie Aischylos über den Renaissancedichter P ­ etrarca, die Klassiker Schiller, Goethe, Claudius und Hölty hinein in die eigene Zeit. Bedeutende Namen der Romantik wie Novalis, Platen, Rückert oder Heine stehen neben unbekannten, längst vergessenen, Texte enger Freunde neben denen weniger vertrauter Dichter, die aber nicht selten als Seelenverwandte erscheinen – wie etwa Wilhelm Müller, dessen Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten Schubert die Inspiration zu seinen beiden großen Liederzyklen Die schöne Müllerin (1823) und Winterreise (1827) lieferten. Zu ­einer persönlichen Begegnung der beiden Künstler kam es nie, ebenso wenig wie zu einem Treffen mit Goethe, obgleich Schubert dem verehrten Dichter durch Josef von Spaun 1816 ein ganzes Bündel an Kompositionen – darunter Meisterwerke wie Gretchen am Spinnrade, Heidenröslein und die ­Ballade Erlkönig – mit einem untertänigsten Empfehlungsschreiben zusenden ließ. Dass der Dichterfürst das Paket (vermutlich ungeöffnet) direkt wieder nach Wien zurück-


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