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Im Kleinen viel bewegen
Im Gespräch mit dem Thüringer Nachhaltigkeitsexperten

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Prof. Dr. Matthias Gather
Lotte | Beim Thema Klimawandel wird oft die UhrzeitMetapher verwendet: Es ist fünf vor – oder nach – zwölf. Wie viel Uhr ist es denn Ihrer Meinung nach, wenn Sie an den Zustand des Planeten denken?
Bezogen auf den Klimawandel ist es vielleicht eher zehn nach zwölf. Für viele der Themen, um die es auf den Klimakonferenzen der vergangenen Jahre ging, ist es mittlerweile zu spät – das 1,5 °CZiel zum Beispiel ist unrealistisch. Der Klimawandel ist eigentlich nicht mehr aufzuhalten. Aber, wenn wir bei der UhrzeitMetapher bleiben wollen: Selbst, wenn ich sagen würde, dass es schon halb eins ist – wir müssen mit der aktuellen Situation arbeiten und weiterkämpfen.

Ich persönlich schätze das Thema BioDiversität als am wichtigsten ein. Viele Arten sind ausgestorben, viele weitere werden folgen. Uns ist schon viel verloren gegangen und das wirkt sich fatal auf die Kreisläufe der Natur aus, zum Beispiel auf Nahrungsketten.



Lotte | Nachhaltigkeit, Klimawandel – das sind große, globale Themen. Was hat das alles mit dem einzelnen Menschen in Thüringen zu tun?
Das hat mit uns allen zu tun. Der vergangene Dürresommer war für die meisten von uns und für die Natur sehr belastend, und solche Sommer werden immer wieder kommen. Wir erleben auch das Artensterben vor der eigenen Haustür. Jeder Kleingärtner merkt sofort, wenn wenig Insekten und Vögel unterwegs sind.
Ganz praktisch zeigt es sich beim Thema energetische Wohnungssanierung. Unsanierte Wohnungen sind günstiger. Werden sie vom Eigentümer energiegerecht saniert und damit teurer, werden die früheren Mieter oft verdrängt. Gentrifizierung ist ein Marktmechanismus, so einen Fall kennt sicherlich jeder. Die Verteilungsungerechtigkeit verkompliziert das Thema leider. Dabei muss das gar nicht sein: Schon ein Balkon, der begrünt wird, hat im Sommer einen Effekt. Mit mehr Stadtgrün könnten die meisten Kommunen schon viel für die Artenvielfalt und die Temperaturregulierung in der Stadt beitragen, das ist alles kein Hexenwerk.
Lotte | Haben Sie Tipps, wie jeder einzelne von uns zu einem nachhaltigeren Thüringen beitragen kann?
Man kann im Kleinen viel bewegen. Am einfachsten ist es, die eigenen Konsumgewohnheiten zu überdenken: Wo kaufe ich ein oder wo bestelle ich, wie viel Fleisch muss es sein? Damit meine ich nicht, dass wir alle nur teure BioProdukte kaufen sollen. Und ich spreche auch nicht von Verzicht. Aber unser Konsum ist sehr beliebig geworden und wird leider oft mit Lebensqualität verwechselt: Viele Menschen konsumieren sehr kurzfristig, zum Beispiel die so genannte fast fashion: billig in DritteWeltLändern produzierte Kleidung, die billig verkauft wird und gerade mal eine Saison durchhält. Wenn wir auf Qualität statt auf Masse setzen, dann geben wir vielleicht erst mal mehr Geld aus – haben aber viel länger was davon. Ich weiß, dass natürlich auch hier das Problem der unterschiedlich gut gefüllten Geldbeutel besteht. Aber es gibt den geflügelten Satz „Wir können es uns nicht leisten, billig zu kaufen.“ Klingt paradox, aber der bringt es gut auf den Punkt.
Und natürlich gibt es viele bekannte Tipps, die alle nach wie vor richtig sind: Öfter mal das Auto stehen lassen, Urlaub in der Region machen, häufiger fleischlos essen. Im Thüringer Nachhaltigkeitsbeirat sprechen wir gerne von der „Enkeltauglichkeit“. Das alles sind Maßnahmen, mit denen wir dazu beitragen können, dass auch unsere Enkelkinder noch gut und gerne auf dieser Erde leben. Das ist unsere Verantwortung. 6
Nachhaltigkeitsexperten
Prof. Dr. Matthias Gather
Prof. Dr. Matthias Gather (*1958 in Frankfurt/Main) ist seit 1996 Professor für Verkehrspolitik und Raumplanung an der Fachhochschule Erfurt. Perspektiven einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung und Mobilität im ländlichen Raum zählen zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Seit 2015 ist er Mitglied des Thüringer Nachhaltigkeitsbeirats.
