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Vorwort zur deutschen Ausgabe Ad fontes! – Zu den Quellen! Das war der Ruf, der im späten Mittelalter der Reformation vorauseilte. Nicht nur unter den Gebildeten setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass zwischen den überlieferten Vorstellungen und ihren Anfängen in der biblischen Zeit eine Kluft existierte. Das fünfzehnte Jahrhundert war nicht das erste, weswegen Christsein und Glaube auch nicht automatisch auf die gleiche Weise verstanden wurden. Zu den Quellen: Für die Reformation bedeutete dies ein neues Interesse an den biblischen Texten. Um sie mit den Augen der ersten Christen lesen und verstehen zu können, verabschiedete man sich von der lateinischen Übersetzung der Vulgata und wandte sich dem griechischen Text zu. Luthers Bibelübersetzung sticht in dieser Hinsicht ebenso heraus wie die Zürcher Bibel, beides Neuübersetzungen des griechischen Textes. Die Konsequenzen dieses Schrittes lassen sich kaum ermessen: In gewisser Weise handelte es sich um eine grundlegende Umkehrung der theologischen Vorgehensweise. Stand bis dahin die kirchliche Tradition im Vordergrund, entwickelte man Theologie also von der eigenen Zeit ausgehend zurück, bildete nun der biblische Text den Ausgangspunkt, von dem her die Tradition kritisch betrachtet wurde. Konsequenterweise wurde die Auslegung der Bibel zum Zentrum der evangelischen Theologie, an ihr mussten sich sowohl die Systematische wie die Praktische Theologie ausrichten. „Zu den Quellen“ bedeutete jedoch über lange Zeit nicht viel mehr als „zurück zur Bibel“. Über das zeitgenössische Judentum war wenig bekannt, Texte wie der Talmud wurden nicht nur von evangelischen Theologen wenig gelesen, sie bekamen auch erst lange Zeit nach dem Neuen Testament ihre endgültige Gestalt und sind deshalb auch nicht ohne Weiteres für seine Auslegung zu gebrauchen. Grundlegend änderte sich das im 19. und 20. Jahrhundert, als nicht nur die Archäologie große Fortschritte machte, sondern auch unzählige Texte aus den Jahrhunderten um die Zeitenwende entdeckt und ausgewertet wurden. Zu den bekanntesten von ihnen zählen sicher die Schriftrollen und Fragmente der QumranGemeinschaft, aber sie sind nicht die einzigen. Leider sind diese und ähnliche Texte sowie die mit ihrer Auswertung verbundenen Erkenntnisse bisher vor allem dem Fachpublikum vorbehalten, was auch daran liegt, dass es bisher nur wenige allgemeinverständliche Bücher gibt, die sich mit ihnen beschäftigen. Das Resultat ist die allgemein beobachtbare Kluft zwischen Universitäten und theologischen Ausbildungsstätten auf der einen und Gemeinden auf der anderen Seite. Nicholas Thomas (Tom) Wright gehört zu der überschaubaren Anzahl von Gelehrten, die sich seit Jahrzehnten nach Kräften bemühen, diese Kluft zu überbrücken. Er verfasst sowohl allgemein verständliche Bücher als auch theologische