Sterben ist Intimbereich Frau G., 73 Jahre. Es war klar, dass sie sterben würde. Ihre drei Töchter kümmerten sich rührend um sie. Sie war niemals allein, auch nachts nicht. Nur ein einziges Mal. Eine Tochter hatte „Dienst“, machte aber eine kurze Zigarettenpause – und genau in diesen wenigen Minuten starb ihre Mutter. Die Tochter war untröstlich. Ich sprach mit ihr und versuchte ihr zu erklären, dass „Sterben“ nicht nur dieser letzte Augenblick ist, in dem ein Mensch zu atmen aufhört. Das Sterben ist ein Prozess und dabei war sie ja wirklich und in bester Weise. Aber mir ist deutlich geworden: Sterben ist Intimbereich. Sterben ist ein intimes Geschehen wie Sexualität. Ein Mensch liegt sozusagen nackt und bloß da. Und diesen Intimbereich gilt es zu schützen. Frau G. hat den Moment abgewartet, in dem sie alleine war – sie wollte ihren Tod sterben, in aller Ruhe und ungestört. So wenig man sich beim Leben seiner Sexualität beobachten lassen möchte, so wenig möchte man es vielleicht in seinen letzten Atemzügen – könnte sein. Jeder Mensch ist anders geprägt, hat eigene Lebenshintergründe und, damit verbunden, eigene Befindlichkeiten. Als mir das klar geworden war, dachte ich darüber nach, wie dieser Intimbereich zu schützen wäre. Ich beziehe diesen Gedanken schon bei der Erstbegegnung mit einem Sterbenden ein. Ich fand einen schönen Satz, der diese Intimität wahrt: „Wenn man hier so im Bett liegt und immer dieselbe Wand anschauen muss, dann gehen einem sicher so manche Gedanken durch den Kopf.“ An diesem Satz entscheidet sich vieles. Der Mensch vor mir hat die Möglichkeit zu reden, wenn 28