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EINE HARZREISE

Karl Blossfeldt (1865–1932), Papaver orientale, 1915–1925, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne München

Von Goslar nach Quedlinburg

Eine Landschaft, die seit einigen Jahren eine Renaissance erlebt, ist der Harz. Deutschlands nördlichstes Mittelgebirge bietet nicht nur reizvolle Städte und eine hinreißende Landschaft. Ob auf niedersächsischem, sachsen-anhaltischem oder thüringischem Gebiet: Der Harz lockt nicht nur Wanderer an, er hat auch für Liebhaber moderner Kunst viel zu bieten. Das Mönchehaus Museum für moderne Kunst in der mehr als 1.000-jährigen Kaiserstadt Goslar etwa dürfte in Deutschland einzigartig sein. Seit den 1970er-Jahren vergeben die Stadt und der Verein zur Förderung moderner Kunst mit dem Kaiserring einen begehrten Kunstpreis. Er wird an international renommierte Künstlerinnen und Künstler vergeben. Henry Moore war der erste Preisträger. Mit ihm setzte der Unternehmer Peter Schenning, der den Verein gründete, den Maßstab: Wer sich in Goslar und im Mönchehaus umsieht, erhält heute einen einmaligen Blick auf die produktive Vielfalt moderner Kunst aus den vergangenen Jahrzehnten: Malerei, Video- und Konzeptkunst, Skulpturen, Fotografie – es ist alles dabei. Corona hat auch die Kunstwelt im Griff: In diesem Jahr wird der Kaiserring erstmals in seiner Geschichte doppelt vergeben. Wegen der Pandemie fiel die feierliche Übergabe im vorigen Jahr flach. Am 9. Oktober erhalten nun zwei Kunstschaffende den Kaiserring: der in den Vereinigten Staaten lebende deutsche Konzeptkünstler Hans Haacke und die in Berlin lebende US-Amerikanerin Adrian Piper, die ebenfalls als Konzeptkünstlerin und zudem als Philosophin bekannt ist. Ein weiteres Datum, das für Kunstfans von Belang ist, führt Kulturreisende nach Quedlinburg. Die LyonelFeininger-Galerie würdigt das Werk des vielseitigen Malers und Grafikers Lyonel Feininger, der zunächst als Karikaturist arbeitete und später zur prägenden Gestalt des Bauhauses wurde. Als einziger Meister gehörte er dem von Walter Gropius gegründeten Bauhaus vom ersten Tag bis zu dessen Auflösung 1933 durch die Nationalsozialisten an.

Das Klopstockgartenhaus in Quedlinburg ist seit der Eröffnung 2008 ein Ort für besondere Veranstaltungen. Foto: © Lyonel-Feininger-Galerie

Lyonel Feininger, „Vollersroda I“, 1913, Öl auf Leinwand, 80,5 x 100,5 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Lyonel-Feininger-Galerie, Sammlung Dr. Hermann Klumpp, Inv.-Nr. LFGKLF/8, Foto: Punctum / Bertram Kober, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Wie kam der in den USA geborene Feininger, der unter anderem in Berlin und Paris lebte, nach Quedlinburg? Gar nicht, muss man wohl sagen. Feininger verbrachte zwar 1917 und 1918 seinen Sommerurlaub im Tourismusort Braunlage. Während seiner Aufenthalte entstanden mehrere Landschaftszeichnungen, ein Holzschnitt aus dieser Zeit zeigt ein „Gewitter in Braunlage“. In Quedlinburg aber war Feininger nie. Dass sich in der Stadt, die wie Goslar zum UNESCOWelterbe gehört, dennoch eine beeindruckende grafische Sammlung mit Arbeiten des Künstlers befindet, ist dem Unternehmer Hermann Klumpp zu verdanken, einem Freund Feiningers. Nach der Zwangsschließung des Bauhauses und kurz bevor Feininger in die USA auswanderte, übergab dessen Familie bedeutende Teile seines Werkes an Klumpp. Daraus entstand die weltweit größte druckgrafische Sammlung mit Arbeiten des Künstlers. Ende März soll aus Anlass des 150. Geburtstages Feiningers eine große Jubiläumsausstellung gezeigt werden. Mit 160 Werken würdigt die Galerie bis Mitte September das Schaffen eines der wichtigsten Vertreter der Moderne. Es gibt im Harz weitere Spuren der Moderne. In Schielo, einem Ortsteil Harzgerodes, wurde 1865 Karl Blossfeldt geboren, ein Pionier der Pflanzenfotografie. Dessen Bilder sind eine Hommage an die Natur, die künstlerische Formen hervorbringt. Mit seinem 1928 erschienenen Buch „Urformen der Kunst“ wurde der Fotograf, der Pflanzen streng formal und konturenscharf aufnahm, mit einem Mal berühmt. Eigentlich war seine Publikation als Musterbuch für Studierende des Kunstgewerbes gedacht, doch rasch entwickelte es sich zu einem Klassiker der Moderne. Nicht nur in München, auch im Harz wurden seine Arbeiten in den vergangenen Jahren gezeigt. In Aschersleben wuchs Neo Rauch auf, einer der international gefragtesten deutschen Künstler. Die Grafikstiftung, die seinen Namen trägt, präsentierte 2015 eine Doppelausstellung mit den farbintensiven und erzählerischen Arbeiten Rauchs und den streng formalen Fotografien Blossfeldts. In der Grafikstiftung sind regelmäßig Arbeiten von Rauch zu sehen, oft zusammen mit Werken anderer Kunstschaffender. Auch im thüringischen Harz kommen Freunde moderner Kunst auf ihre Kosten. Das Kunsthaus Meyenburg in Nordhausen lädt regelmäßig zu Schauen mit zeitgenössischen Werken ein. Nicht weit entfernt vom Harz, auf dem Weg von Goslar nach Hannover, befindet sich in Schloss Derneburg, wo Georg Baselitz einst lebte und arbeitete, die Sammlung des aus den USA stammenden Milliardärs Andrew Hall. Richtung Süden, in Duderstadt nahe Göttingen, gewährt der Unternehmer Hans Georg Näder, Chef des Prothesenherstellers Otto Bock, in der Kunsthalle HGN regelmäßig Einblicke in seine Sammlung. Es gibt viel zu entdecken im Harz!

OLIVER STADE

27. März bis 12. September 2021 BECOMING FEININGER Lyonel Feininger zum 150. Geburtstag www.feininger-galerie.de www.harzinfo.de

Der Harz, eine Landschaft mit überraschender kultureller Vielfalt

Blick über Goslar, Foto: © GOSLAR marketing gmbh / filmpunktton

Der erste länderübergreifende Nationalpark, vier Naturparke, das Biosphärenreservat Karstlandschaft-Südharz und tausende Kilometer Wanderwege: Der Harz ist nicht nur Deutschlands nördlichstes Mittelgebirge, sondern vor allem eine Region mit einer beeindruckenden und vielfältigen Landschaft. Aber nicht nur Naturfreunde fühlen sich hier wohl. Eine reiche Bergbauhistorie, Städte, die im Mittelalter bedeutende Handelszentren waren und ihre malerischen Altstädte mit charmanten Fachwerkgebäuden bewahrt haben, bieten Architekturfreunden und Technikfans viel Sehenswertes – nicht ohne Grund gehört die Harzer Schmalspurbahn mit ihren altertümlichen Dampfloks zu den größten Attraktionen einer Region, die mit ihren vielen Kirchen und Klöstern über einen weiteren Kulturschatz verfügt. Was nicht jeder weiß: Neben Theater, Kabarett und einer Vielfalt an Museen hat auch die moderne Kunst im Harz ihren Platz. Neo Rauch, einer der bedeutendsten Maler der Gegenwart, wuchs in Aschersleben auf. Einige seiner Arbeiten sind in wechselnden Ausstellungen in der Grafikstiftung seiner Heimatstadt zu sehen. Die Stadt Goslar vergibt mit dem Kaiserring einen der begehrtesten Preise für moderne Kunst. Viele Arbeiten der Preisträger werden im Mönchehaus gezeigt. Dazu kommt die Lyonel-Feininger Galerie in Quedlinburg mit Arbeiten der klassischen Moderne. Weitere Attraktionen zeugen von der kulturellen Bedeutung der Region. Drei Harzer Stätten wurden in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen, darunter die Luther-Gedenkstätten in Eisleben, die malerische Fachwerkstadt Quedlinburg mit dem Stiftsberg als wichtigen authentischen Ort deutscher und europäischer Geschichte und der Dreiklang aus dem Erzbergwerk Rammelsberg sowie der Altstadt von Goslar und der Oberharzer Wasserwirtschaft.

Letzterer dokumentiert die tausendjährige Entwicklung eines Bergwerks und ein einmaliges Wasser-Energieversorgungssystem. Dazu kommt eine historische Stadt, die in ihrer Architektur die wirtschaftliche Bedeutung des Bergbaus widerspiegelt. Nirgendwo sonst auf der Welt lassen sich die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen und Verbindungen in einem historischen Bergbaurevier so beeindruckend nachvollziehen.

1100 JAHRE QUEDLINBURG UND GOSLAR

Neben der Lage am nördlichen Harzrand und dem Welterbetitel verbindet Goslar und Quedlinburg eine weitere Gemeinsamkeit. 2022 feiern beide ihr 1100-jähriges Bestehen. 922 wurde das heutige Quedlinburg erstmals erwähnt, in einer Urkunde König Heinrichs I. Im gleichen Jahr und gleichermaßen durch König Heinrich wird die Marktsiedlung vicus goslariae erwähnt, Ursprung der späteren Kaiserstadt. Am 22. April, an dem Tag, an dem sich die erste urkundlichen Erwähnung jährt, beginnt in Quedlinburg eine 45-tägige Festzeit, die am Pfingstwochenende ihren Höhepunkt findet. Das Wochenende nach Ostern läutet die Festzeit mit den Hoftagen ein. Am Wochenende zum Welterbetag am 5. Juni wird ein pralles Programm mit Musik, Theater, kulinarischen Genüssen, Walk Acts der besonderen Klasse, Pixelmapping- und einer Lasershow auf dem Marktplatz geboten. Der Umzug am Sonntag durch die Altstadt finalisiert das Festwochenende.

Marktkirche Clausthal-Zellerfeld, Foto: © Harzer Tourismusverband / M. Gloger

Quedlinburg mit seiner historisch gewachsenen Alt- und Neustadt sowie dem alles überragenden Stiftsberg gilt als Muster einer mittelalterlichen Stadt und bietet für Besucher eine kulturelle Vielfalt, die nur selten in einem Ort dieser Größe zu finden ist. Auch 60 Kilometer weiter, in Goslar, wird groß gefeiert. Die prächtige Kaiserpfalz wird im Januar kunstvoll beleuchtet und zur Kulisse für ein Video-Mapping, das reichlich Licht und Farbe in den üblicherweise tristen Wintermonat bringt. Das ganze Jahr über soll der Geburtstag in der Stadt angemessen gewürdigt werden. Geplant sind unter anderem Open-Air-Konzerte und ein großer Festumzug. Auch das Altstadtfest im September steht ganz im Zeichen der Stadtgeschichte, zu der aber auch die Menschen gehören, die sich für Goslar als Wohn- oder Urlaubsort entschieden haben und diese Stadt prägen. Ein Feuerwerk wird das Geburtstagsjahr ebenso glanzvoll beenden, wie es begonnen hat.

Weitere Informationen im Internet unter: www.harzinfo.de www.quedlinburg-info.de www.goslar.de