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DAS MUSEUM DER ZUKUNFT

Interview mit Stefanie Patruno, Städtische Galerie Karlsruhe

Anfang Februar übernahm die Kunsthistorikerin Stefanie Patruno die Leitung der Städtischen Galerie Karlsruhe. Bis 2016 war sie Kuratorin an der Kunsthalle Mannheim, daran schloss sich die stellvertretende Leitung des Instituts Mathildenhöhe an, das neben dem Museum Künstlerkolonie auch die Städtische Kunstsammlung Darmstadt umfasst. Als besonders reizvoll erlebte Stefanie Patruno die dort praktizierte Interdisziplinarität, das Zusammendenken von Design und Kunst. Der Blick über das eigene Haus auf die umgebende kulturelle Landschaft, Kooperationen mit den in Karlsruhe ansässigen Museen, aber auch mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) und der Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sind für Patruno unabdingbar für eine Weiterentwicklung der Städtischen Galerie. Chris Gerbing sprach mit Stefanie Patruno über ihren Start und über das „Museum im 21. Jahrhundert“.

ARTMAPP: Frau Patruno, Sie haben in einer schwierigen Zeit die Leitung der Städtischen Galerie Karlsruhe übernommen − die Museen sind fast ein Jahr geschlossen, Ausstellungen wurden deshalb verschoben. Wie wirkt sich dies auf Ihren Start aus?

Stefanie Patruno: Ich hatte bereits konkrete Ideen und Vorstellungen für die Städtische Galerie, bevor ich nach Karlsruhe kam. Diesen Blick von außen gleiche ich gerade mit dem Team und der Realität vor Ort ab. Ein Großteil der Ausstellungen für 2021 war bereits geplant bzw. wurde coronabedingt auf dieses Jahr verschoben. Das lässt mir Zeit, die Sammlung kennenzulernen und Projekte anzustoßen. Das Jahr 2021 ist für die Städtische Galerie generell ein besonderes Jahr, denn wir feiern unser 40-jähriges Bestehen, 25 Jahre Förderkreis-Jubiläum und die Integration der Sammlung Garnatz in unser Haus. Der Blick zurück zeigt, dass die Fragen von damals nicht mehr dieselben sind, denn die Anforderungen an Museen haben sich verändert. Vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalisierten, global vernetzten Gesellschaft geht es mir nicht nur um die Präsentation, sondern auch um die Erweiterung, Kommunikation und Vermittlung der Sammlung aus weiteren Blickwinkeln. Ein Drittel der 18- bis 44-jährigen Karlsruherinnen und Karlsruher hat Migrationshintergrund – wir müssen die gesellschaftspolitisch relevanten Fragen unserer (Stadt-) Gesellschaft aufnehmen. Und dabei ist mir die Bindung bisheriger und die Erschließung neuer Besucherinnen und Besucher mittels gut durchdachter Vermittlungsangebote ein großes Anliegen, denn ich verstehe das Museum als dritten Bildungsort. Ich werde die einzelnen Präsentationsbereiche unter die Lupe nehmen und schauen, was gebraucht wird, um sich bei uns wohlzufühlen. Ich möchte aber auch unsere Präsentationsflächen zugunsten von kuratorischen Experimenten aufbrechen, Dialoge ermöglichen und Brücken bauen in die Gegenwart.

Daniel Roth, „Landschaft, Netze“, 2020, und „Landschaftsmodell Strand“, 2020, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Heinz Pelz

ARTMAPP: Wie wird das konkret vor sich gehen?

SP: Nehmen Sie die Ausstellung über den Fotografen Hermann Landshoff, die wir im September eröffnen werden. Ich setze diese lange vergessene, für die Mode- und Porträtfotografie essenziell wichtige Position in Bezug zu den beiden jungen Fotografinnen Elsa & Johanna, die sich selbst zum Thema machen. Landshoff berührt als Spross einer sehr wohlhabenden Münchner Familie zudem das Thema 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, das wir in Karlsruhe ebenfalls aufgreifen. Mit „Verborgene Spuren“ machen wir bereits im Mai den Anfang und zeigen in einer umfangreichen Präsentation Künstlerinnen und Künstler, die das städtische Kulturleben bis zum Nationalsozialismus mitprägten. Grundlagenforschung war nötig, um vergessene Kulturgeschichte erstmals in den Blick zu nehmen und die Vielfältigkeit jüdischen Kulturschaffens in Karlsruhe von circa 1890 bis in die 1950er-Jahre zeigen zu können. Neben

Hanns Ludwig Katz, „Bildnis Elisabeth Kracauer-Ehrenreich“, 1935, Kunsthalle Emden, Foto: Elke Walford, Fotowerkstatt Hamburger Kunsthalle

Kunstwerken, historischen Dokumenten und Architekturplänen wird es auch iPads mit weiteren Informationen geben. Das leitet direkt über zu einem Thema, das mir sehr wichtig ist: Wir brauchen eine Digitalstrategie und müssen langfristig digital und analog, beispielsweise über Multimediaguides und Social Media, vernetzen. Wichtig ist mir zudem, das Alleinstellungsmerkmal der Städtischen Galerie Karlsuhe, das Kunstschaffen in der Region und die deutsche Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart abzubilden, weiter zu schärfen, gleichzeitig aber zu öffnen. Ich möchte die Sammlung neu denken und präsentieren, einen Prozess der Neukonzeption in Gang setzen, der von den Kunsthistorikern am KIT flankiert werden könnte, aber ebenso von der Kunstakademie, den Partnern im Hallenbau A, dem ZKM und der HfG mit den Studiengängen kuratorische Praxis und Szenografie. Zudem möchte ich mit künstlerischen Projekten in die Stadt hineingehen und auf diese Weise unser Profil in Richtung Gegenwartskunst und gegenwärtige Produktionspraxis schärfen.

ARTMAPP: Bewährtes wie der Hanna-Nagel-Preis oder der Kunstpreis der Stober-Stiftung stehen aber nicht zur Disposition?

SP: Nein, ganz sicher nicht. Hier sehe ich aber die Möglichkeiten einer engeren Verzahnung mit unserer Sammlung. Spannend ist beispielsweise der Dreiklang, den wir allein dieses Jahr in unserem Haus haben: Daniel Roth, dessen Werke wir in einer Ausstellung des Förderkreises präsentieren, ist aktuell Professor an der Akademie; Wilhelm Loth, dessen 100. Geburtstag Anlass zu einer großen Retrospektive ist, war dort als Lehrer tätig; und mit dem Preisträger der Stober-Stiftung, Ralf Gudat, zeigen wir einen Absolventen, der aktuell dort ausgebildet wurde. Für Peco Kawashima, die Preisträgerin des Hanna-Nagel-Preises 2020, räumen wir zudem Teile unserer Sammlungspräsentation für eine dialogische Schau um. Der lebendige Austausch wird sich bei uns im Haus künftig ebenso spiegeln, wie er mit Karlsruher Kulturinstitutionen stattfinden soll. Die zeitgenössische Kunst halte ich dafür für einen wichtigen Ansatzpunkt, der Verbindungen schafft. Ich stelle mir die Städtische Galerie Karlsruhe als Nukleus kreativer Ansätze von Kunst und Kunstproduktion, von Forschen und Sammeln vor, als Ort kultureller Bildung mit einem lebendigen Austausch. Gern darf dieser dazu führen, dass wir uns an Orte in der Stadt bewegen, die nicht gewöhnlich bzw. normalerweise nicht museal besetzt sind.

www.staedtische-galerie.de

Stefanie Patruno, Leiterin der Städtischen Galerie Karlsruhe, 2021, vor dem Werk Jörg Immendorff, „Café Deutschland IV“, 1978, Foto: © ARTIS – Uli Deck

Francis Bacon, „Study of a Portrait of a Man“, 1969, Öl auf Leinwand, 35,7 x 30,5 cm, Sammlung der Johannesburg Art Gallery © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Zehn Jahre Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn

Die Modernen kommen

Eigentlich ist in der Kunsthalle Vogelmann das gesamte Jahr 2021 auf das zehnjährige Jubiläum ausgerichtet. Eigentlich deshalb, weil durch die Pandemie vieles in der Schwebe ist. So ging eine Fotoausstellung zu René Groebli ohne Publikum zu Ende und die Festwoche wird geplant in der Hoffnung, nicht absagen zu müssen. Eines aber ist sicher: Die Kunsthalle Vogelmann ist mit diesen Unwägbarkeiten in der Kunstwelt derzeit nicht allein, ebenso mit der Hoffnung nach ein wenig Normalität im Ausstellungsbetrieb. Neben der BeuysAusstellung, die im Sommer eröffnen und eines der großen Highlights des Jahres 2021 in Heilbronn sein wird, ist „Die Modernen kommen“ der Höhepunkt dieses Frühjahrs. Gezeigt werden ausschließlich Werke aus der Sammlung der Johannesburg Art Gallery, die einen Bogen von der Vormoderne bis in unsere heutige Zeit schlagen. Damit spiegelt sich in dieser Ausstellung einer der Schwerpunkte der

Paul Signac, „La Rochelle“, 1912, Öl auf Leinwand, 71,4 x 100 cm, Sammlung der Johannesburg Art Gallery

Kunsthalle Vogelmann, die Klassische Moderne. Gleichzeitig wird auf diese Weise der Blick auf Kunstwerke ermöglicht, die sonst normalerweise nicht in europäischen Museen zu sehen sind. So sind klangvolle Namen wie Edgar Degas, Claude Monet und Pablo Picasso vertreten, aber auch südafrikanische Künstlerinnen und Künstler, die den Expressionismus, der ihnen um 1900 als Vorbild vorgeführt wurde, in einen Expressionismus südafrikanischer Prägung transformierten. Der koloniale Blick wird darüber, insbesondere aber durch Filmeinspielungen und im Begleitprogramm, thematisiert. Zugleich wird die eurozentristische Sicht auf afrikanische Positionen aufgebrochen, die zwischen den Werken europäischer Kunstschaffender hängen. „Die Modernen kommen“ deckt mit 64 Kunstwerken rund 100 Jahre ab: Die Klassische Moderne mit namhaften Positionen ist eingebettet in den Weg dorthin, der mit Werken der Romantik und der Präraffaeliten nachgezeichnet wird, um dann in der Avantgarde um 1900 zu münden. Impressionisten wie Claude Monet und Alfred Sisley werden ebenso gezeigt wie Arbeiten von Vincent van Gogh und Paul Signac. In Grafiken, Pastellen, Kreidezeichnungen und Studien werden Bildhauer wie Auguste Rodin, Aristide Maillol und Henry Moore mit ihren Vorarbeiten zu Skulpturen vorgestellt; ausblickhaft endet die Schau mit der Pop-Art der 1960er- und 1970er-Jahre. Es ist ein repräsentativer Querschnitt durch die Bestände der Johannesburg Art Gallery, gleichzeitig ein Parforceritt durch 100 Jahre künstlerisches Schaffen in Europa, dem namhafte südafrikanische Zeitgenossen wie George Pemba und William Kentridge zugeordnet werden. Diese zeigen das Spannungsfeld zwischen lokalen Traditionen und europäischen Einflüssen auf, das afrikanisches Kunstschaffen bis heute prägt. Florence Phillips, verheiratet mit dem Diamantenminenbesitzer Lionel Philips, gründete im ausgehenden 19. Jahrhundert die in Kapstadt beheimatete Sammlung, die sich ab 1940 mit dem Ankauf eines Gemäldes von Gerard Sekoto auch für afrikanische Kunst öffnete. Insofern gibt es eine Parallele zur Kunsthalle Vogelmann, denn auch sie fußt auf mäzenatischer Sammeltätigkeit. Namensgeber ist der 2003 verstorbene Ernst Franz Vogelmann, der als Chemieunternehmer ein Vermögen im Bereich Wassertechnologie aufgebaut hatte. Ihm ist sowohl der Erwerb von Kleinstskulpturen, beispielsweise von Maillol und Giacometti, zu verdanken wie auch die Beuys-Sammlung, die sich als Depositum der Ernst Franz Vogelmann-Stiftung in der nach ihm benannten Kunsthalle befindet und die Ausgangspunkt der Beuys-Schau im Sommer sein wird. Der Jahrhundertkünstler ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellungstätigkeit der Kunsthalle Vogelmann neben dem Thema Skulptur, das besondere Betonung durch den alle drei Jahre verliehenen Skulpturenpreis erfährt. Ayşe Erkmen, die letztjährige Preisträgerin, verdeutlicht exemplarisch, dass es der Jury darum geht, besondere Positionen mit eigenwilliger Materialität oder ebensolchem Ausdruck auszuzeichnen, die mit ihrem Gesamtwerk den Skulpturenbegriff erweitert und damit die Gattung beeinflusst haben.

CHRIS GERBING

Bis 11. Juli 2021 Die Modernen kommen museen.heilbronn.de/kunsthalle/