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DER KÜNSTLERISCHE SCHREIBTISCH

Karin Sander in Tübingen: „Office Works“

Karin Sander entwickelte über die letzten vier Jahrzehnte einen eigenen künstlerischen Standpunkt in der Tradition des Postminimalismus. Sie bricht die rigide Haltung der Konzeptkunst der 1960er-Jahre auf und erweitert diese um sensuelle prozesshaft-partizipatorische Ansätze. Immer entfalten ihre Werke, die formal die Strenge des Minimalismus atmen, eine unerwartete Poesie. Ausstellungen von Karin Sander wurden unter anderem im Museum of Modern Art in New York, im Whitney Museum in New York sowie im National Museum of Art Osaka gezeigt; ihre Arbeiten sind vielfach ausgezeichnet worden. Mit der aktuellen von Nicole Fritz kuratierten Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen (27. März bis 4. Juli 2021) begibt sich Karin Sander auf eine Zeitreise durch vier Jahrzehnte und zeigt zum ersten Mal umfassend die Werkgruppe „Office Works“.

Kunsthallen-Direktorin Nicole Fritz und Karin Sander vor ihren Arbeiten in der Kunsthalle Tübingen, Foto: BFG Media Group © Karin Sander, VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Nicole Fritz: „Office Works“ nennst du eine Werkgruppe, die in den letzten 30 Jahren kontinuierlich entstanden ist. Was verbirgt sich hinter dem Titel dieser Zeichnungen, bei dem sich doch zunächst Assoziationen an alltägliche Routinearbeiten am Schreibtisch einstellen?

Karin Sander: Der Titel verweist auf Prozesse und Materialien, die in jedem Office, in jedem Büro, vorkommen. Damit zu arbeiten erschien mir naheliegend, insbesondere weil sich so auf einfachste Weise die Frage stellen lässt: Was ist das für ein Ort? Welche Vorstellungen sind mit ihm verbunden? Man könnte zum Beispiel auf die Idee kommen, dass ich als Künstlerin nie im Büro sitzen würde, oder besser noch: als sei das Künstlerinsein mit dem Versprechen verbunden, niemals in einem Büro zu landen. Der künstlerische Schreibtisch ist ein Ort konzentrierten Arbeitens, an dem Konzepte gemacht und verwaltet werden. Wo wäre ich, könnte ich meine Gedanken nicht ab und zu mit einer Heftklammer ordnen. Metallene Heftklammern oder auch Büroklammern sind sehr feine Drahtgebilde, die als dreidimensionale Linien auf dem Papier sitzen, es durchstoßen und dabei Dinge fixieren. Es sind aber auch Papierstücke, Klebebänder, Wischtücher, Schnipsel, die ihre speziellen Eigenschaften oder, wenn man so will, ihren Eigensinn am Arbeitsplatz demonstrieren und auf je spezifische Weise einen Vorgang, eine bestimmte Zeit und Funktion repräsentieren.

Karin Sander, „Wirsing“, 2012, aus der Serie „Kitchen Pieces“, Wirsing, Edelstahlnagel, 18 x 22 x 22 cm, Kunst Museum Winterthur, 2018, Foto: Karin Sander, © Studio Karin Sander / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

NF: Der Schreibtisch, das weiße Blatt Papier sind mythisch aufgeladene Dinge, die man gemeinhin mit der Arbeit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Verbindung bringt. Nicht selten wird der Schreibtisch als magischer Ort überhöht, an dem Autoren imaginäre Welten bereisen. Was bedeutet der Schreibtisch für dich als Künstlerin?

KS: Man könnte diese Papierarbeiten durchaus als beschriebene Seiten verstehen und hier eine Analogie zum Schreiben herstellen. Die Blätter bilden mitunter fortlaufende „Sätze“, Erzählungen, sie enthalten Überlegungen, Referenzen, Archive. Am Schreibtisch werden sie „zu Papier gebracht“. Hinzu kommt, dass das Homeoffice im Zuge der Pandemie zu einem viel diskutierten Ort geworden ist, sodass meine Arbeiten nochmals eine ganz andere Lesart bekommen können. NF: Besonders gut gefallen mir die Arbeiten, bei denen du die pure Materialität des Papiers zum Thema machst. So können Papiere unterschiedliche Eigenschaften haben, liniert, kariert oder gerastert bedruckt sein. Darüber hinaus registrieren sie jeden Handgriff und speichern in Form von Knicken und Gebrauchspuren nicht zuletzt die Zeit. Bist du mit der Werkreihe selbst sensibler für derartige Alltagspuren geworden?

KS: Mit den Tackernadeln, Büroklammern, Gummiringen usw. und den gewissermaßen interdisziplinär eingesetzten Materialien wie beispielsweise Papier fließen Gebrauchsspuren und Fragmente des Alltags als mediale Größen in die Arbeiten ein. Dabei versuche ich jedoch immer, dem Greifbaren, Naheliegenden, Vorhersehbaren, Benennbaren, einer eingeübten Routine entgegenzuwirken und meine eigenen Regeln immer wieder zu durchbrechen, sofern nicht gerade das wieder zur Routine geworden ist und wiederum einen Gegenentwurf erfordert.

NF: Auf den ersten Blick erscheinen die „Office Works“ aus Büroutensilien minimalistisch und ohne „emotionalen Kick“. Bei genauerer Betrachtung jedoch überraschen der Variantenreichtum und die beinahe musikalischen Akkorde, die entstehen. Es gibt Blätter mit ganz freien, spielerischen Strichzeichnungen aus „Locherpunkten“ – wie du die mit Lochern ausgestanzten Papierkreise nennst –, die wie Blumen auf einem Blatt tanzen, und dann wieder ganz strenge, minimalistische Heftklammersetzungen. Wenn man die Blätter jetzt als Konvolut, das einen großen Zeitraum umfasst, vor sich sieht: Scheint es nur mir so oder spiegeln sie nicht doch auch persönliche Befindlichkeiten, also deine emotionale Verfasstheit wider, und sind damit nicht zuletzt Ausdruck deiner inneren Realität?

KS: Ich kann mich an jedes dieser Blätter erinnern, auch wo und wann sie entstanden sind, und so spiegeln sie für mich vor allem die Orte wider, die Umgebung, den Kontext. Die Orte scheinen in gewisser Weise durch die eingesetzten Materialien und ihre Verwendung hindurch. Und meine eigene Verfasstheit zu einem bestimmten Zeitpunkt spielt da sicher mit.

NF: Wir befinden uns in Zeiten der Digitalisierung. Was meinst du, welche Bedeutung die „Office Works“ in ein paar Jahren haben werden, wenn Papier und Aktenordner vielleicht obsolet geworden sind?

KS: Leere Schreibtische sind mir eher suspekt und mein Schreibtisch ist durch die Digitalisierung nicht leerer geworden. Ja, Löschblätter, Paus- und Linienpapiere sind inzwischen Geschichte und heute bereits museal, ebenso viele andere Schreibwaren, die ich verwendet habe. Doch die Anziehungskraft, die beispielsweise eine bestimmte Heftklammer auf mich ausübt – eine besonders kleine aus rotem Kupfer oder eine gewellte silberne, die weniger wackelt –, ist ungebrochen. Für mich ist das Denken mit den Händen, zum Beispiel einen Strich ziehen oder das Schreiben, Tackern durch ein Stück Papier, so wichtig wie die persönliche Kommunikation, das persönlich gesprochene Wort. Ich denke hier eher an Vielfalt und Paralleluniversen.

NF: Sind für dich digitale „Office Works“ denkbar, die nicht auf Papier entstehen, sondern sich in die digitale Ebene verlagern?

KS: Ja, zum Beispiel die Arbeit „Multiple Choice“ aus dem Jahr 2010 funktioniert so. Hier findest du eine Anzahl digital erzeugter, passgenau konstruierter Fragmente. Du kannst sie selbst mithilfe einer App auf einem DIN-A4-Blatt kombinieren, dann als digitale Arbeit erwerben, runterladen, sie in deine digitale Sammlung einordnen oder aber auf Papier ausdrucken. Erzeugt sind die Arbeiten rein digital. NF: Für die Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen hast du die „Office Works“ so vollständig wie möglich zusammengetragen und gehängt. Was bedeutet es für dich, die Zeichnungen so umfassend zu präsentieren? Nach welcher Systematik hast du die Blätter gehängt? Welche Erfahrung ermöglichen sie dem Publikum?

KS: Die Blätter sind chronologisch gehängt, im Zusammenspiel verdichten sie sich. Die Inszenierung im Raum macht die Vielschichtigkeit der daran beteiligten Prozesse sichtbar und es entsteht ein umfassender, für die Betrachtenden vielleicht nachvollziehbarer Zusammenhang. Mir geht es dabei um Transformation in eine übergeordnete Lesbarkeit, um eine Zeitreise durch drei Jahrzehnte.

www.kunsthalle-tuebingen.de

Karin Sander (* 1957) lebt und arbeitet in Berlin und Zürich. Seit 2007 hat sie den Lehrstuhl für Architektur und Kunst an der ETH Zürich inne. Das Interview führte Nicole Fritz, Direktorin der Kunsthalle Tübingen und Kuratorin der Ausstellung „KARIN SANDER“.

Karin Sander, Foto: Michael Danner

Verena Schneider vor der Venet-Haus II Galerie in Ulm, Foto: Janine Unsöld, buero Ost GmbH

Interview mit Verena Schneider

Venet-Haus Galerie

Neue Dependance am Ulmer Münsterplatz

Das ikonische Venet-Haus in Neu-Ulm – ein Teil der Gebäudekomposition ist eine 37 Meter hohe Cortenstahl-Skulptur des französischen Künstlers Bernar Venet − beherbergt seit 2007 die inzwischen über die Landesgrenzen hinaus bekannte Venet-Haus Galerie, die seit 2012 von Verena Schneider geleitet wird. Mitten im Neu-Ulmer Zentrum wird hier internationale narrative und konzeptuelle Kunst gezeigt. Marc Peschke sprach mit Inhaberin Verena Schneider über ihre neue Dependance am Ulmer Münsterplatz und weitere Projekte.

ARTMAPP: Liebe Frau Schneider, die vergangenen Monate waren nicht leicht. Wie gehen Sie mit der aktuellen Corona-Situation um?

Verena Schneider: Aktuell sind die Zeiten ziemlich hart. Covid hat sich für die Galerie so ausgewirkt, dass die laufenden Projekte, Ausstellungen und Akquisitionen weitestgehend verschoben worden sind. Die Messen, meine Reisen und damit verbundene Treffen mit Kunden, Künstlern und Kollegen fielen zum größten Teil aus. Die Zeit des Lockdowns haben wir genutzt, um Konzepte zu entwickeln sowie die Vermittlungen und die Verkäufe der Kunst an die veränderte Lage anzupassen.

ARTMAPP: Was hat sich online bewegt?

VS: Unser langfristig angelegtes Onlinekonzept ist aufgrund von Corona beschleunigt und intensiviert worden. So wurden die Planung des neuen Onlineshops, virtuelle Galerierundgänge und die Website fertiggestellt. Der persönliche Kontakt zu Sammlerinnen und Sammlern wurde verstärkt digitalisiert. Innovationskraft und natürlich auch unser exklusives Portfolio von Künstlerinnen und Künstlern tragen dazu bei, dass wir auch im Jahr 2021 wachsen und unsere Marktposition ausbauen.

ARTMAPP: Sie planen derzeit eine Ausstellung mit Arbeiten von Ottmar Hörl. Was wird zu sehen sein? Was interessiert Sie an der Kunst Hörls?

VS: Ottmar Hörl gehört zu den wichtigsten deutschen Gegenwartskünstlern. Er kreiert Erlebniswelten, die nicht alltagstauglich, aber weltentauglich sind. Er versucht, mit seinen Kunstwerken und Skulpturen neue ästhetische Regeln als Lebensmodelle zu entwickeln. Diesen Ansatz fand ich in der aktuellen Pandemie-Situation sehr spannend. Das wird mit Sicherheit eine tolle Ausstellung!

ARTMAPP: Es wird dazu eine exklusive „Venet-Haus Galerie“-Edition geben. Auf was dürfen sich Hörl-Fans freuen?

VS: An diesem Projekt arbeite ich seit über fünf Monaten mit Ottmar Hörl. Das wird ein ganz besonderes künstlerisches Highlight, welches ich jetzt leider noch nicht verraten kann. Nur so viel an Ihre Leserinnen und Leser sowie unsere Kundinnen und Kunden: Reservieren Sie sich die letzten Tage im September 2021!

ARTMAPP: Wann wird die Ausstellung gezeigt, und wie geht es dann weiter?

VS: Aktuell eröffnen wir Mitte April nach dreimonatiger Verzögerung zusammen mit Ottmar Hörl unseren zweiten Standort und bespielen beide Galerien, Neu-Ulm und Ulm, mit der bunten Konzeptkunst des Wertheimers. Danach geht es mit einem Neuzugang der Venet-Haus-Familie weiter. Anfang Juni 2021 freuen wir uns, den weltbekannten Künstler Zhuang Hong Zi in unseren Ausstellungsräumen zeigen zu können. ARTMAPP: Nun eröffnen Sie nicht nur eine zweite Galerie am Ulmer Münster, sondern erweitern auch Ihr Team. Warum diese Erweiterung?

VS: Mit unserem ersten Standort in Neu-Um hatte ich zwar das große Glück, zusätzlich den NUK Skulpturengarten des Kunstsammlers Werner Schneider zu kuratieren, aber aufgrund der versteckten Lage hatten wir nur wenig Laufkundschaft. Dieses potenzielle Publikum wollen wir nun mit dem zweiten Standort in der Ulmer Stadtmitte erreichen. Kunst wird durch den neuen Standort sehr viel erlebbarer und zentraler sein. Zusätzlich haben wir durch die Erweiterung unseres Galerieteams massiv an Kompetenz dazu gewonnen. Mit Norbert Leins verstärkt uns nun ein Experte, der das Kunstgeschäft aus einem anderen Blickwinkel – nämlich dem des Kunstsammlers – kennt. Er kann unseren Kundinnen und Kunden wertvolle Beratung und exklusive Informationen geben.

ARTMAPP: Wird sich das Programm der beiden Galerien unterscheiden?

VS: Nein. Die Galerie in Ulm wird die Flagship-Galerie sein. Die Räumlichkeiten in Neu-Ulm können gut genutzt werden, um beispielsweise eine große Ausstellung mit weiteren Exponaten zu flankieren, wie es jetzt bei Ottmar Hörl der Fall sein wird. Das Spannende für die Besucherinnen und Besucher ist dann, dass in beiden Galerien Kunst erlebt werden kann und in den Neu-Ulmer Räumlichkeiten quasi die Erweiterung zur Ausstellung in der Sterngasse zu sehen ist.

www.venethausgalerie.de

Rothenburg ob der Tauber als Landschaftsgarten

Eine Stadt als Landschaftsgarten? Rothenburg ob der Tauber zeigt 2021/22, wie das geht. Drei große Sonderausstellungen veranschaulichen, wie die Tauberstadt seit 150 Jahren in Malerei, Architektur und Landschaftserleben ikonische Qualitäten gewann. „Malerisch“ bzw. „picturesque“ sind ästhetische Begriffe, die eine für Rothenburg prägende Wahrnehmungsweise auf den Punkt bringen. Es waren Maler wie Carl Spitzweg, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die von aller Modernität und Industrie unberührte Mittelalterstadt wiederentdeckten und in zahllosen Genrebildern verewigten. Eine herausragende Rolle nahmen Ende des 19. Jahrhunderts bereits britische und US-amerikanische Maler ein. Rasch schälte sich ein visueller Motivkanon heraus, der das „Image“ der Tauberstadt weltweit bis heute prägt. Sonderausstellungen im Mittelalterlichen Kriminalmuseum und im RothenburgMuseum beleuchten die malerische Wirkung Rothenburgs von 1830 bis ins 20. Jahrhundert. Weniger bekannt ist, dass „malerisch“ auch zu den Schlüsselbegriffen der Architekturdebatten des 19. Jahrhunderts zählt. Hohe Dächer, Erker, aufgelockerte Fassadengliederungen sowie Kontrastwirkungen sind Merkmale malerischer Architektur. Im architektonischen wie städtebaulichen Diskurs um 1900 stand Rothenburg zeitweilig paradigmatisch für ein organisch gewachsenes Stadtbild und wirkte als Inspiration für Gartenstädte wie Hampstead Garden Suburb in London und Hellerau bei Dresden. Dies beleuchtet eine weitere Sonderausstellung im RothenburgMuseum. Im Rahmen von Führungen öffnen zudem Landschaftsparks und allein 16 Privatgärten ihre Tore: „picturesque“ wie ein Landschaftsgarten – das ist Rothenburg ob der Tauber.

Altstadt von Rothenburg ob der Tauber, Foto: © Rothenburg Tourismus Service, W. Pfitzinger

HIGHLIGHTS

Bis 31. Dezember 2022 Pittoresk! Selbstbild – Fremdbild – Wiederaneignung Die Ausstellung veranschaulicht den tiefgreifenden Wahrnehmungswandel von Rothenburg ob der Tauber vom 18. bis ins 21. Jahrhundert. & Bis 31. Dezember 2022 Rothenburg ob der Tauber in London Anhand von Plänen, Fotografien, Skizzen, Modellen und bisher unveröffentlichten Quellen zeigt diese Sonderausstellung erstmalig die Bedeutung Rothenburgs als Inspiration für die Planung sowohl der Gartenstadt Hampstead Suburb als auch der Gartenstadt Hellerau bei Dresden. RothenburgMuseum www.rothenburgmuseum.de

1. Mai bis 31. Oktober 2022 Begegnung mit Rothenburg – Kunst und Künstler zwischen 1830 und 1960 Diese Ausstellung stellt rund 30 englische und schottische Rothenburg-Motive von 1890 bis 1930 knapp 70 vergleichbaren Werken in Rothenburg tätiger deutscher Maler zwischen 1830 und 1960 gegenüber. Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber www.kriminalmuseum.eu

Rothenburg Tourismus Service Marktplatz 2, 91541 Rothenburg ob der Tauber T +49 (0) 9861 404800, info@rothenburg.de www.rothenburg-tourismus.de

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