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Ausstellungen

Anselm Kiefer in der Kunsthalle Mannheim

Die große Fracht

Anselm Kiefers Werk existiert aus seinen offensichtlichen Widersprüchen. Sie machen die Faszination auf den ersten Blick aus: Tonnenschwer und zerbrechlich, monumental und kleinteilig, exaltiert und morbide – optische Überwältigung und innere Reflexion bedingen einander. Kaum schöner, so scheint es, ließe sich ästhetischer Idealismus noch heute ins Bild setzen. Niemand muss, um sich durch diese Arbeiten sinnlich auf sich selbst zurückgeworfen zu fühlen, alles kennen, was der Künstler zitiert. Fühlen ist Wissen. Schmerz ist Wahrheit. Ein weiterer Antagonismus drängt sich erst beim Gang mit Kurator Sebastian Baden durch die Ausstellung auf: der ständige Gegensatz von Intimität und Ferne in Kiefers Werk. Wie hat Anselm Kiefer sich seinen künstlerischen Habitus selbst erschaffen? Aller Kritik an seiner „schlechten Malerei“ oder seinem Mysterienkitsch zum Trotz hat er diesen Habitus, offenkundig erfolgreich, zu seinem Konzept absichtsvoll rätselhafter Visualität verdichtet.

Anselm Kiefer, „Große Fracht“, 1981/1996, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim, Foto: Charles Duprat, © Anselm Kiefer

Es beginnt mit der „Großen Fracht“ im ersten Raum, der mit dem Obertitel „Gott und Staat“ überschrieben ist, aber eigentlich wie die ganze Ausstellung von künstlerischen Widerstandsgesten handelt: Eine großformatige graue Meereslandschaft mit einem scheinbar darauf niedergegangenen Flugzeugrumpf, von dem es ostentativ heißt, er sei aus Bleiplatten vom Dach des Kölner Doms zusammengebaut. Der Wink mit dem nationalkulturellen Zaunpfahl ergänzt sich stimmig mit dem Zitat von Ingeborg Bachmanns Gedicht, auf das der Bildtitel Bezug nimmt. Die „Große Fracht“, so scheint es, meint bei Bachmann wie bei Kiefer auch den Ballast jenes Mythos „Kunst“, der im 20. Jahrhundert so gehörig unter die Räder gekommen ist. Kiefer scheint ihn in seinem Werk sisyphosartig stets aufs Neue zugleich bestätigen und loswerden, zersetzen zu wollen. Zwischen trostloser Natur und gescheiterter Technik sucht die gottverlassene Kunst trotzig ihr Recht. Die verdorrte Blütenfracht des gestrandeten Fliegers, die aufgehäuften Lasten des Bleis sind Umgebungen von Tod und Neubeginn. Der „Leviathan“, ein riesiger, seitlich aufgetrennter Stahlcontainer, der eine merkwürdige Assoziation mit Courbets Grotten erzeugt, bezieht sich vordergründig mit seinen Bleifahnen und eingepressten Erbsen auf die einst umkämpfte Volkszählung in der Bundesrepublik von 1987, wendet aber die künstlerische Widerstandsgeste gegen den Staat als Erben des Totalitarismus. Hinter den optisch delikaten und scheinbar so sinnfälligen Oberflächen

Anselm Kiefer, „Palmsonntag“, 2007, Kiefer-Sammlung Grothe im Franz Marc Museum, Foto: Heiko Daniels / Kunsthalle Mannheim, © Anselm Kiefer

Installationsansicht „Anselm Kiefer“: „Der fruchtbare Halbmond“, 2010, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim / „Der verlorene Buchstabe“, 2011–2017, Kiefer-Sammlung Grothe im Franz Marc Museum © Anselm Kiefer, Foto: Kunsthalle Mannheim / Rainer Diehl

verbirgt sich bei Kiefer stets der Versuch, das Ästhetische zugleich der Verfügbarkeit zu entziehen. Eine kleinformatige Ausgabe des Bleibuchprojekts „20 Jahre Einsamkeit“ erhellt diese gesuchte Unverfügbarkeit schlagartig. Sebastian Baden erzählt, wie er beim Aufbau der Ausstellung einen Blick auf die Innenseiten jener Bleibücher geworfen habe, deren Aufhäufung in ihrer großformatigen Ausführung einst gar mit Géricaults „Floß der Medusa“ verglichen wurden. Baden berichtet, wie er auf Zeichnungen, vor allem aber auf eigentümliche Flecken gestoßen sei, die sich bei näherem Hinsehen als Spermaspuren erwiesen hätten. Die intime Innenseite des Werkes verleiht dem Titel der Arbeit nun nicht nur einen privaten Hintersinn. Auch der sinnlose Schöpfungsakt des einsamen Künstlers, der sich der virilen Implikationen seines künstlerischen Gebarens bewusst ist, ist eine Autonomiegeste, planvoll der Einsichtnahme durch das Publikum entzogen. Mit Géricault hat das nichts zu tun, eher schon mit Vito Acconcis Aktion „Seedbed“, bei der dieser sich einst masturbierend unter dem Boden der Galerie Sonnabend verbarg. Gegenpol dieser verborgenen, schutzsuchenden Intimität ist eben die inszenierte Ferne, das Weitschweifige, Weitgereiste, die ausgestellte poetisierende Weltoffenheit, mit der Kiefer seine Arbeiten auch im immateriellen Sinn stets groß aufzuziehen versucht. „Shebirath Ha-Kelim“ und „Lilith“, zwei seiner viel gezeigten Arbeiten aus der Zeit vor 1993, lesen sich vor diesem Hintergrund wie Sehnsuchtsgesten nach einem Ursprung, einem imaginären Boden für das Künstlersein, einer unveräußerlichen ästhetischen Privatmythologie. Letztere könnte den arg assoziativen Charakter einiger Motivcollagen erklären – etwa in „Palmsonntag“, der Großinstallation einer entwurzelten Palme im dritten Saal, die von einem Ziegelhaufen gestützt wird. Zu dieser gehört, als sei der Fingerzeige nie genug, ein Tableau aus 30 großformatigen Rahmen mit getrockneten Pflanzen und anderen Gegenständen, die mit Gips überarbeitet wurden. Der Bezug des Titels auf die Liturgie des Neuen Testaments ist wiederum biografisch konnotiert, wie Sebastian Baden mit Verweis auf Kiefers Jugend anmerkt, in der dieser zeitweilig Messdiener gewesen

sei. Neben den getrockneten Pflanzen finden sich in den Rahmen Dornengestrüpp, Keuschheitsgürtel und Teile einer Bärenfalle. Sie lassen sich (vor dem Phallus der gefällten Palme) als symbolische Verweise auf die Muttergottes verstehen. Maria scheint eine eigentümliche, psychologische Inspiration für Kiefers Werk zu bilden. Seine in Interviews zur Schau gestellte Frauenverehrung, Werkserien wie die „Frauen der Revolution“ oder die „Frauen der Antike“, Gestalten wie Sulamith oder Lilith projizieren das Weibliche als Sinnbild der geistigen Freiheit in der Wüste männlicher Herrschaft. „Palmsonntag“ findet sich in diesem dritten, mit „Tod und Stille“ übertitelten Saal vereint mit den beiden Gemälden „Hortus Conclusus“ und „Schwarze Flocken“. Der Titel des Letzteren zitiert das gleichnamige Gedicht von Paul Celan und zeigt verkohlte Baumstümpfe (die die Anmutung von Runen haben) in einer mit einer Bleiplatte versiegelten Einöde. So versinnbildlicht es den Niedergang der Kultur in Folge der Shoah, den Kiefer selbst stets als Bürde für seine künstlerische Entwicklung beklagt hat. Der Zusammenhang dieses Gedankens mit der Kreuzwegmetapher des „Palmsonntags“ in diesem Raum ist nicht ganz klar. Sebastian Baden sagt, alles sei mit Kiefer abgesprochen. Das Martyrium Christi und die Shoah sollten hier keinesfalls in einen direkten Zusammenhang gebracht werden. Die Todesthematik finde sich bei Kiefer nun einmal übergreifend in beiden Themen, als eine Art von Eingedenken an jene beiden Todesereignisse, von denen der 1945 geborene Kiefer annimmt, dass sie sein Leben in besonderer Weise geprägt haben. Die privatgeschichtliche Deutungsoffenheit, die Kiefer im mythologischen Abraum findet, erhält passend hierzu mit der letzten Sektion der Ausstellung eine Art poetologische Rechtfertigung: „Der verlorene Buchstabe“, eine Installation mit einer verrosteten Heidelberger Druckerpresse inmitten künstlicher Sonnenblumenstauden, und „Der fruchtbare Halbmond“, ein Gemälde, das einen zerfallenden Zikkurat in der Wüste zeigt, der aber nicht zufällig an Pieter Bruegels „Turmbau zu Babel“ erinnert, widmen sich dem spezifischen Chandos-Moment in Kiefers Werk: der Verwirrung und dem Verstummen des Logos, den Kiefer in Bildern zu überwinden und die Totenstille mit Lebenszeichen zu füllen hofft. Allein daran zu scheitern, wäre freilich noch keine Kunst.

CARSTEN PROBST

Urbane Kunst und Kulturerlebnisse in Mannheim

STADT.WAND.KUNST

© Alexander Krziwanie In Mannheim zaubern international bekannte GraffitiArtists „Murals“ auf Fassaden und lassen so die gesamte Stadt zu einer spannenden Open Air-Galerie für Street Art werden – jederzeit und für alle zugänglich. Die Liste der Künstler*innen, die sich bei geführten Touren oder im Alleingang entdecken lassen, liest sich mit Namen wie Ruben Sanchez aus Madrid oder dem Leipziger Künstler Bond Trulow wie ein Who is Who der Szene.

ANSELM KIEFER IN DER KUNSTHALLE MANNHEIM

Die Kunsthalle Mannheim präsentiert 2021 Werke von Anselm Kiefer, dem vielleicht bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart. Zu entdecken sind 19 monumentale Malereien und Skulpturen, die durch ihre Größe und Materialität beeindrucken – schließlich sind die Lieblingswerkstoffe des Ausnahmekünstlers Asche und Blei. Sein Werk ist im Neubau der Kunsthalle optimal präsentiert und gibt Einblick in Kiefers künstlerische Beschäftigung mit der deutschen und jüdischen Geschichte sowie den Medien der Erinnerungskultur.

www.visit-mannheim.de

Döbele Kunst Mannheim

Unsere Webseite zeigt das ganze Programm: www.doebele-kunst.de

CORONA HÄLT DIE KUNST NICHT AUF Nach der Absage der art-Karlsruhe 2021 zeigen wir das Messeprogramm zu Hause:

Den traditionellen Stand mit „Our Classics. Face to face“

30.04. – 05.06.21 bei Döbele Kunst Mannheim private

Die One-Artist-Show mit „Igor Oleinikov. Lichtmagie“

30.04. – 05.06.21 bei Döbele Kunst Mannheim Schaudepot

Döbele Kunst Mannheim private, Leibnizstraße 26, 68165 Mannheim Döbele Kunst Mannheim Schaudepot, Richard-Wagner-Straße 51, 68165 Mannheim T+49(0)1741663050, jd@doebele-kunst.de

Die Prince House Gallery in Mannheim

Aufbruch!

Johann Schulz-Sobez, Galerist, Foto: Christian Borth

„Für uns sind Kunstwerke keine toten Objekte, die hinter ein Absperrband gehören. Vielmehr ist ihr Platz mitten im Leben, um dem Betrachter neue Perspektiven und Horizonte zu eröffnen.“ Was so als Motto auf der Website der Mannheimer Prince House Gallery zu lesen ist, hat nun, im Lockdown, eine ganz neue, besondere Bedeutung bekommen. Der etwa 200 Quadratmeter großen Galerie an der Ecke zum Stadtteil Jungbusch, ganz in der Nähe von Popakademie, Musikpark und Port25 – Raum für Gegenwartskunst, sieht man sofort an, was „mitten im Leben“ hier meint: Das Portfolio ist auf entspannte Weise unkonventionell: Medienübergreifende Kunst wird gezeigt mit einem Fokus auf Fotografie und Figuration. Viele junge Künstlerinnen und Künstler sind zu entdecken, etwa Katerina Belkina, deren Malerei-FotografieHybride Kunstgeschichte zitieren, doch dabei ganz in der digitalen Gegenwart wurzeln. Christian Klants analoge „Wet Plates“ sind bereits international bekannt. Auch das fotografische Werk von Peter Mathis fällt auf: Man kennt den Österreicher für seine strengen Winterlandschaften, seine Berg- und Schneebilder. Oder die malerischen Fotografien von Florian Richter, die Naturmalereien von Andreas Scholz, die Fotografien des weltberühmten Gerhard Vormwald sowie die Werke des Holzbildhauers Lars Zech – die Künstlerinnen und Künstler der Galerie wollen überraschen, auch in ihrer bildnerischen Originalität gefallen. Seit 2016 gibt es die Galerie schon, berichtet Johann Schulz-Sobez, Kunsthistoriker und Philosoph, der für das Programm verantwortlich ist und die Galerie zusammen mit Eva Herzer und Laura Sobez leitet. Es geht den dreien um das, was sie „visuelle Kultur“ nennen: Sie tragen eine Leidenschaft für Bilder in sich, der sie in ihrer Galeriearbeit auf vielfältige Weise nachgehen – sogar über einen Tresorraum als Ausstellungsfläche verfügt die Galerie in den Räumen einer ehemaligen Sparkasse. Mit Werken von Robert Häusser, Gerhard Vormwald oder Ralf Brueck konnte die Galerie bereits international erfolgreiche Fotokunst präsentieren, doch auch das Unentdeckte, Neue, Ungesicherte liegt Schulz-Sobez am Herzen. „Neue Perspektiven und Horizonte“, das ist den Macherinnen und Machern ein Anliegen, die etwa mit ihren „Abendpromenaden mit Werkschau“ ganz eigene Formen der Vermittlung gefunden haben. Im Bereich Digitalisierung geht die Galerie in Zeiten von Corona viele neue Wege: Kunstberatung online oder virtuelle Ausstattung von Räumen, virtuelle Ausstellungen, hybride Vermittlungsformen, Einzeltermine oder sehr persönliche Veranstaltungen für klein(st)e Gruppen – vieles ist auch derzeit möglich.

Ansicht der Skulptur von Lars Zech, „Moving Portraits 7“, 2019, begleitet von Ralf Brueck, „Nagasaki“, 2019, und Shinji Himeno, „Stürzende“, 2019, Foto: Sabine Arndt Heidelberg

QR-Code-Link: Registrierung für unsere virtuelle Galerie

Bereits am 18. März eröffnete die nächste Ausstellung, die den Titel „Aufbruch“ trägt und bis zum 30. Mai zu sehen sein wird. 17 Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden präsentiert, darunter Sabine Becker, Ralf Brueck, Daniel & Geo Fuchs, Peter Mathis und Gerhard Vormwald. Eingefangen werden soll nicht nur eine Stimmung des Aufbruchs, sondern mehr als das. „Etwas bricht in diesen Zeiten gerade auf“, erläutert der Galerist. Standpunkte stehen infrage, es ist eine Zeit der Selbstreflexion. Deshalb wird die Ausstellung die Rolle der Galeriearbeit hinterfragen, aber ebenso jene der Künstlerinnen und Künstler. Etwas ganz Besonderes ist die kuratorisch raffinierte Idee der Gegenüberstellung von älteren und neuen Arbeiten der Kunstschaffenden. Was ist in dem „Dazwischen“ passiert? Wo steht die Kunst gerade? Auch davon erzählt diese überaus interessante Schau, die sich alle zwei Wochen verändern wird: Im Tresorraum wird regelmäßig umgehängt und neu zum „Aufbruch“ eingeladen. Wöchentliche Events, Interviews und Vorträge, virtuell und wenn möglich vor Ort, begleiten die Schau. Diese Ausstellung versteht sich nicht zuletzt als Ausdruck des Muts, „nach vorne zu schreiten, sichtbar zu sein, etwas zu zeigen, mit Erfolg und auch mit dem Risiko des Scheiterns“, so Johann Schulz-Sobez.

MARC PESCHKE

Prince House Gallery H7, 1 (alte Sparkasse), 68159 Mannheim gallery@princehouse.de www.princehouse.de