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JEDER MENSCH EIN KÜNSTLER

Interview mit Ewald Karl Schrade „Jeder Mensch ein Künstler“

Im Juni plant Galerist Ewald Karl Schrade eine Ausstellung mit Werken von Joseph Beuys, Derek Kremer und Peter Schata in seiner Galerie in Schloss Mochental. Wie er Anfang der 1970er-Jahre im Allgäu die Kißlegger Schlosshofgalerie gründete und wie er im Humboldt-Haus während des „Achberger Jahreskongresses“ im März 1978 Joseph Beuys erlebte, darüber sprach Babette Caesar mit ihm. ARTMAPP: Herr Schrade, 1972 sind Sie nach Kißlegg ins Allgäu gezogen. Schon in den 1960er-Jahren haben Sie in Reutlingen in einer Galerie progressive Ausstellungen mitorganisiert und 1971 eine eigene Galerie eröffnet. Wie kam es zur Gründung der Kißlegger Schlosshofgalerie und was bedeutet sie Ihnen heute noch?

Ewald Karl Schrade: Ich zog mit meiner damaligen Frau Dorothea und unseren Söhnen in ein Nebengebäude des Alten Schlosses Kißlegg der gräflichen Familie von Waldburg-Wolfegg. Meine Frau führte dort ihre Werkkurse fort und ich begann 1973 mit der Schlosshofgalerie als Erweiterung meiner Reutlinger Galerietätigkeit. In dieser Zeit hatte ich Kontakte zum INKA (Internationales Kulturzentrum Achberg), von welchem auch der Impuls zur Gründung der Freien Waldorfschule 1976 in Wangen ausging, in die dann unsere Söhne gingen. Bis heute habe ich gute Kontakte zu einigen Lehrerinnen und Lehrern sowie Eltern aus dieser Zeit.

ARTMAPP: Sie waren 1978 mit dabei, als Joseph Beuys im Humboldt-Haus während seines Vortrages „Jeder Mensch ein Künstler“ die „Achberger Tafeln“ schuf. − Was verbindet Sie mit diesen Tafeln und wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?

EKS: Kurze Zeit nach dem Vortrag kamen die Tafeln in die Galerie nach Kißlegg, wo sie für ein ganzes Jahr ausgestellt wurden. Leider konnte ich sie nicht verkaufen. Trotzdem war es einer meiner vielen Höhepunkte der Kißlegger Galerietätigkeit. Danach waren sie beim Kollegen Alfred Schmela in Düsseldorf zu sehen, er hat sie dann sehr schnell an einen

Shmuel Shapiro und Ewald Karl Schrade bei der Eröffnung der Ausstellung „Amerikanische Malerei“ in der Schloßhofgalerie Kißlegg, 1977, Foto: © Galerie Schrade

Der Galerist Ewald Schrade in seinem Besenmuseum im Schloss Mochental, Ehingen, Foto: Roland Rasemann, 1996

Sammler verkauft. Bei einem zufälligen Besuch im letzten Sommer mit Susanne Zuehlke im Humboldt-Haus lernten wir die Bildhauerin Daniela Einsdorf und Loes Swart, die Leiterin des Humboldt-Hauses, kennen. Da wurden plötzlich alte Erinnerungen wieder wach: meine alten Achberger Kontakte, die „Winterakademie Schloss Kißlegg“ und die Ausstellung mit Peter Schata in der Schlosshofgalerie. Schata war langjähriger Mitstreiter von Joseph Beuys, dies auch auf der „documenta 6“ beim Projekt „Honigpumpe“, als Mitautor der „Sozialen Plastik“, Fotograf und Dokumentarfilmer. Er gründete den Achberger Verlag und unterhielt eine Buchhandlung in Lindau. Außerdem war er Dozent bei der „Winterakademie“ und bei den „Achberger Sommerkursen“, wo ich selbst mit den Künstlern Willibrord Haas, Erich Mansen und Shmuel Shapiro Kurse für Malerei organisierte. − Daraus entstand die Idee, eine Ausstellung für 2021 zu planen. ARTMAPP: 1985 zogen Sie mit Ihrer Galerie von Kißlegg nach Schloss Mochental. Im Juni 2021 planen Sie hier eine Ausstellung mit Werken von Joseph Beuys, Derek Kremer und Peter Schata. Können Sie schon etwas zum Inhalt sagen, zum Beispiel wie die drei Künstler zueinander stehen?

EKS: In der Ausstellung zeige ich Multiples von Joseph Beuys und die „Achberger Tafeln“ aus dem Vortrag „Jeder Mensch ein Künstler“ im Humboldt-Haus 1978 als Faksimiles in Originalgröße. Dazu − aus dem direkten Umfeld von Beuys − Zeichnungen und Radierungen von Peter Schata und Objekte von dem Beuys-Schüler und -Aktivisten Derek Kremer, der bereits 1975 in einer Ausstellung in der Schlosshofgalerie vertreten war. Und das alles passend zum 50. Jubiläum, das das INKA und auch ich in diesem Jahr feiern.

www.galerie-schrade.de

Joseph Beuys in der Staatsgalerie Stuttgart

Kunst = Kapital

Joseph Beuys, „Steinhase/Goldhase mit Stempel »wählt die Grünen«”, um 1982, Sammlung Lothar Schirmer, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Joseph Beuys war das Enfant terrible seiner Zeit, stellte die Institution Museum infrage, ging mit seinen Interaktionen auf die Straße und gründete sogar eine eigene Universität. Er ließ alle sich Bewerbenden zum Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie zu und flog deshalb selbst aus dem Lehrbetrieb. Er wurde bekannt durch sein Arbeiten mit Fett, Filz und Bienenwachs, durch seine Selbstinszenierung mit Hut und Fliegerweste, vor allem aber durch den „Erweiterten Kunstbegriff“. „Jeder Mensch ein Künstler“, so Beuys, sofern er Verantwortung für seine Handlungen trage, diese bewusst durchführe und dadurch einen aktiven Part an der Gestaltung der Gesellschaft übernimmt. So verstanden, ist Kunst Kapital, das zu ihren Gunsten eingesetzt werden sollte. Ein weiteres Highlight im großen Ausstellungsreigen zum 100. Geburtstag des Ausnahmekünstlers ist in BadenWürttembergs Landeshauptstadt zu sehen. Ausgehend von der Rauminstallation „Letzter Raum mit Introspekteur“ werden in der Staatsgalerie Stuttgart Beuys’ Strategien zur Aneignung des Museumsraums beleuchtet. Diesen Raum, der bis heute unverändert erhalten blieb, richtete Beuys 1984 selbst ein, unter anderem mit einem beschädigten Rückspiegel und dahinter positionierter Fotografie, die auf den „anonymen Beobachter“ verweist, „der sich selbst reflektiert“ (Beuys). Mit dem Raum wollte er einen „Strich unter meine sogenannten Raumplastiken“ ziehen – die Straße, die Öffentlichkeit sollte zum Ort seines Wirkens werden, nicht mehr der Museumsraum, um einen direkteren Zugang zum Alltag der Menschen zu bekommen. Zur Eröffnung des Stirling-Baus der Neuen Staatsgalerie im selben Jahr 1984 griff Beuys spektakulär in die hauseigene Sammlung ein, indem er die Figurinen des „Triadischen Balletts“ von Oskar Schlemmer auf hohe Sockel stellte. Von einer Rekonstruktion dieser Provokation ausgehend wird auch Beuys’ Verhältnis zu anderen Künstlerinnen und Künstlern beleuchtet. Das Zusammenspiel von Kunstwerk, Betrachtenden und Museumsraum wird anhand von Objekten, Fotografien von unter anderem Lothar Wolleh, einem langjährigen fotografischen Begleiter von Beuys, und Filmaufnahmen nachgezeichnet und damit „Joseph Beuys. Der Raumkurator“ (so der Titel der Ausstellung) in den Fokus genommen.

CHRIS GERBING

Bis 18. Juli 2021 Joseph Beuys. Der Raumkurator Staatsgalerie Stuttgart www.staatsgalerie.de

Martha Stettler, „Promenade“, um 1908, Privatbesitz

Schloss Achberg

Martha Stettler: Eine Schweizer Impressionistin in Paris 17. April bis 18. Juli 2021

Nach der Retrospektive in Bern 2018, die das Werk von Martha Stettler (1870−1945) als Wiederentdeckung feierte, wird nun auf Schloss Achberg das Œuvre der Künstlerin zum ersten Mal dem deutschen Publikum präsentiert. Die Ausstellung vermittelt einen Einblick einerseits in das Werk einer Malerin, die von der Kunstgeschichtsschreibung bislang wenig beachtet wurde, andererseits in ein Stück Frauengeschichte Ende des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Im Fokus der Ausstellung stehen Martha Stettlers impressionistische Darstellungen, die in Paris entstanden sind. Die Malerin liebte Freilichtszenen, deren bevorzugte Schauplätze der Jardin du Luxembourg, die Tuilerien-Gärten und der Schlosspark von Versailles sind. Martha Stettler stammte aus einer kunstaffinen Bernburger Familie. Nach der ersten Ausbildung in der Schweiz fuhr die junge Frau 1893 mit ihrer baltischen Lebenspartnerin, der Malerin Alice Dannenberg (1861−1948), nach Paris, um ihre Ausbildung fortzusetzen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Obwohl Stettler als Frau nicht dieselben Ausbildungschancen wie ihre männlichen Kollegen erhielt, setzte sie sich erfolgreich durch und nahm rege am Kunstbetrieb teil. Sie erzielte auf internationalen Ausstellungen namhafte Auszeichnungen, so 1910 auf der Weltausstellung in Brüssel oder 1913 auf der „XI. Internationalen Kunstausstellung“ in München. 1904 war Stettler Mitbegründerin der renommierten Académie de la Grande Chaumière, zu deren Schülerinnen und Schülern unter anderem Alberto Giacometti und Louise Bourgeois gehörten. Ab 1909 übernahm sie in Paris deren Leitung und entwickelte sie 40 Jahre erfolgreich weiter. Stettler pflegte zeitlebens die Verbindung zur Schweiz, insbesondere zu Bern. Ihr Vater und großer Förderer war der Architekt Eugen Stettler (1840–1913). Er war selbst ein virtuoser Aquarellist, eine Begabung, die er an seine Tochter weitergab. Zum ersten Mal werden auf Schloss Achberg Aquarelle und Zeichnungen des Vaters der Öffentlichkeit präsentiert. Die von Corinne Linda Sotzek kuratierte Ausstellung wird ermöglicht dank großzügiger Unterstützung zahlreicher öffentlicher und privater Leihgeber, insbesondere durch den Nachlass Martha Stettler und das Kunstmuseum Bern. Zudem wird die Schau finanziell gefördert durch die Stiftung Pro Helvetia, die Burgergemeinde Bern und die Ursula Wirz-Stiftung.

SCHLOSSCAFÉ

Sa, So und an Feiertagen servieren die Allgäuer Landfrauen regionale Spezialitäten, hausgemachte Kuchen und leckeres Bauernhofeis.

Öffnungszeiten: 17. April bis 18. Juli 2021 und 31. Juli bis 24. Oktober 2021 Fr 14−18 Uhr, Sa/So/Feiertage 11−18 Uhr Führungen durch die Ausstellungen: So und an Feiertagen um 14.30 Uhr

Schloss Achberg, D-88147 Achberg Tel. +49 751 859 510 www.schloss-achberg.de

Von Höhlenkunst bis zum Museum der Moderne Zeitreise durch den Süden

Die Schillerhöhe in Marbach mit Schiller-Denkmal, Schiller-Nationalmuseum und Literaturmuseum der Moderne, Foto: © Tourismusgemeinschaft Marbach-Bottwartal / Corinna Jacobs

Eine Zeitreise ist ein faszinierendes Erlebnis. Man braucht dafür nur die richtige Umgebung. In Baden-Württemberg beginnt sie bei der Höhlenkunst auf der Alb, geht weiter bei den Römern am Limes und den ersten Mönchen auf der Bodenseeinsel Reichenau. Die Klöster brachten die Kultur in den Schwarzwald und den Barock nach Oberschwaben. Mit Schlössern schmückten sich die Herzöge und Markgrafen, mit Poesie die Dichter und Denker im Lande. Scheffel, Schiller, Hegel, Hölderlin und Hesse: Der Süden war schon immer ein kreativer Lebensraum. Mit geschichtsträchtigen Kleinstädten, die ihren ganz eigenen Charme haben, und modernen Großstädten, in denen sich die Kunst der Gegenwart frei entfalten kann. Die Kultur ist in Baden-Württemberg so vielfältig wie das Land selbst. Vom Hohenloher Musiksommer bis zu den Gärten des Bodensees, vom Museum mit moderner Kunst in Baden-Baden bis zu den Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb. Reiseziele voller Poesie und Geschichte, die Lust machen, den Süden zu entdecken.

Neckarfront mit dem Hölderlinturm in Tübingen, Foto: © Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg

2020/21 feiert das Land Baden-Württemberg und mit ihm die literarische Welt Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag. Kaum ein anderer Dichter forderte die Literatur und die Künste immer wieder so heraus wie er. Kaum einer hat die deutsche Sprache so bereichert wie er. Mit seinen kühnen Sprachexperimenten, die keiner Strömung, weder Klassik noch Romantik, zuzuordnen sind, führte Hölderlin die Dichtung in die Moderne. Seine tragische Lebensgeschichte in einer Phase großer politischer und kultureller Umbrüche nach der Französischen Revolution spiegelt geradezu symbolisch ein Zeitalter der Extreme: Genie und Krankheit, Traditionsbewusstsein und Experiment, Aufklärung und das Hadern mit dem Glauben. Im Jubiläumsjahr laden bis Juni 2021 große Ausstellungen, unter anderem in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart sowie im Literaturmuseum der Moderne (im Deutschen Literaturarchiv Marbach), zu Begegnungen mit diesem großen Dichter ein. Nach ihrer Sanierung können sowohl im Hölderlinturm in Tübingen als auch im Geburtshaus in Lauffen am Neckar neu gestaltete interaktive Dauerausstellungen entdeckt werden. In mehr als 650 Veranstaltungen belebt Hölderlin nicht nur Literaturhäuser, Universitäten und Schulen, sondern ebenso Theater, Konzert- und Kinosäle sowie Radio und Fernsehen.

Weitere Informationen zu Kulturangeboten in Baden-Württemberg unter www. kultursueden.de

Sie suchen noch Inspiration für eine Kulturreise nach Baden-Württemberg? Die Faltkarte „Kultursüden“ mit einer Vielzahl von Kultur-Highlights kann kostenfrei unter www.tourismus-bw.de/service/broschueren bestellt werden.