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DER MANN, DER HONIG ZUM FLIESSEN BRACHTE

Joseph Beuys’ „Honigpumpe“ kam aus Wangen im Allgäu

Der Mann, der Honig zum Fließen brachte

Sie war als Bild gemeint für den „Blutkreislauf der Gesellschaft“. Joseph Beuys hatte mit der Erweiterung des Kunstbegriffes seinen Fokus vom Blutkreislauf auf gesellschaftliche Kreislaufmodelle verlegt. So sei der Geldkreislauf wie ein Blutstrom zu denken und so hätte in den Schläuchen der „Honigpumpe“ auch Blut fließen können. „Die Honigpumpe am Arbeitsplatz“, die er während der „documenta 6“ 100 Tage lang im Fridericianum in Kassel installierte hatte, ist diesbezüglich eines seiner bekanntesten Werke. Sie steht einstigen Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung im Sommer 1977 bis heute lebhaft vor Augen: ein Rohr- und Schlauchsystem, das zwei Tonnen Honig, verdünnt mit destilliertem Wasser, bis unter das Dach des Treppenhauses hochpumpte, von wo es über den Seminarraum der „Free International University“ (FIU) zurückgeführt wurde. Um diese immens aufwendige Anlage nach den Wünschen von Joseph Beuys zum Laufen und den Honig buchstäblich zum Fließen zu bringen, bedurfte es enormen technischen Equipments und Know-hows. Wer Beuys’ Idee zu dieser Installation aufgriff und wo die Pumpanlage schließlich konstruiert wurde, ist damals wie heute vielen Menschen nicht bewusst. Es verbirgt sich dahinter eine spannende, beinah unglaubliche Geschichte ... Ihren Anfang nahm diese auf der Internationalen Industriemesse in Hannover im Frühjahr 1977. Alwis Wilmsen, damals Geschäftsführer und Vertriebsleiter der Pumpenfabrik Wangen im Allgäu, stellte hier aus. Im Getöse vieler Gespräche und Anfragen nach Pumpenlösungen betrat plötzlich ein Mann mit Hut und Fliegerweste den Stand und fragte: „Können Sie Honig pumpen?“ Wen Wilmsen da vor sich hatte, war ihm nicht bekannt. „Wie hätten Sie es denn gern?“, reagierte er spontan und ohne einen blassen Schimmer, was dann kommen würde. Daraufhin setzte sich Beuys und fing an zu zeichnen, wie er sich diese gewaltige Rauminstallation vorstellte. Den Auftrag erhielt Wilmsen noch vor Ort per Handschlag, ein Vertrag wurde erst später auf Drängen der Pumpenfabrik unterschrieben. So ganz zufällig war Beuys gleichwohl nicht auf die Pumpenfabrik gestoßen, damals die einzige Firma, die sich in der Lage sah, das zähflüssige Material durch transparente Schläuche und verzinnte Rohre in derartige Höhen zu befördern. Wilmsen erinnert sich: „Der Galerist und Kurator René Block suchte für Joseph Beuys schon seit Jahren nach einer Pumpenfirma, die Honig pumpen könnte. Er hörte zufällig von seinem Bruder, der mit mir in Wangen zusammenarbeitete, von unseren Spezialpumpen. Er informierte Beuys und schickte ihn nach Hannover“, erzählt er in einem Gespräch mit Verleger Peter Schata im August 1997. Getreu dem Motto, erst verkaufen, dann konstruieren und produzieren, machten sich nun also zwei Wangener Ingenieure an die Arbeit. Viel Zeit blieb Anton Kaiser und Karl Zotter bis zur Eröffnung der „documenta 6“ am 24. Juni 1977 nicht mehr. Am 6. Juni reisten sie mit Beuys nach Kassel und bauten zusammen mit ihm auf. Ohne gegenseitiges Verstehen, Lernen und Akzeptieren hätte es dieses einmalige Werk wohl nicht gegeben. Während der folgenden 100 Tage lernte Beuys seine „Honigpumpe“ immer mehr lieben. Jeden Morgen nahm er sie selbst in Betrieb, justierte die Drehzahl neu, stellte die Luftzufuhr ein. „Ich habe mal wieder den Honig probiert, schmeckt gut!“, stellte er bisweilen sichtlich zufrieden fest. Wilmsen seinerseits ist bis heute von dessen technischem Verständnis und Können fasziniert. Beinahe wäre es noch zu einem zweiten Projekt mit der Pumpenfabrik gekommen. Im Februar 1985 trafen sich Michael Ende und Joseph Beuys zu Gesprächen über „Kunst + Politik“ in der Freien Waldorfschule Wangen. Hier fand auch ein Austausch über die Konstruktion einer Fettpumpe zwischen Wilmsen und Beuys statt. Ganze Blöcke hätten damit gepumpt werden können. „Das wäre ein riesiges Ding geworden“, so Wilmsen. Wäre Beuys nicht im Jahr darauf gestorben ...

linke Seite: Joseph Beuys während des Aufbaus der „Honigpumpe“ auf der „documenta 6“ in der Rotunde des Fridericianums in Kassel 1977, Foto: © Archiv der Pumpenfabrik Wangen GmbH

Michael Ende, Rainer Rappmann und Joseph Beuys in der Freien Waldorfschule Wangen, 10. Februar 1985, Foto: Roland Rasemann

Die Veranstaltung wurde von der Freien Volkshochschule Argental (FIU-Zweigstelle) als Abschluss eines dreitägigen Treffens ausgerichtet. Eine Publikation und eine CD über die Veranstaltung ist im FIU-Verlag erhältlich: „Joseph Beuys und Michael Ende. Kunst und Politik – Ein Gespräch“, 1989.

Dass es sich bei Alwis Wilmsen, geboren 1939 in Appeldorn am Niederrhein, um eine Persönlichkeit von besonderer Vitalität handelt, beweist nicht nur sein Beitrag zur „Honigpumpe“. Der promovierte Mediziner wechselte 1971 als Geschäftsführer in die Pumpenfabrik Wangen, alternativen Projekten gegenüber war er stets engagiert aufgeschlossen. 2010 eröffnet er schließlich zusammen mit seiner Frau Helga Frieda Martha eine Galerie für zeitgenössische Kunst in Maria-Thann bei Wangen. Eingerichtet in den eigenen Wohnräumen kam es ihm auf die Verwirklichung der Idee an, selbst mit Kunstwerken zu leben und sie temporär der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Erfahren von Kunst erhält auf diesem Wege eine zusätzliche persönliche und intime Note. Ob er nicht statt Pumpen die Kunst der Verwandtschaft

vermitteln wolle, hatte ihn seine Frau zuvor gefragt. Denn nicht nur sie war Meisterschülerin von Raimer Jochims, sondern auch seine Schwester, die Bildhauerin Anna Maria Kubach-Wilmsen. Deren Mann Wolfgang Kubach (beide gründeten 1998 die Fondation Kubach-Wilmsen in Bad Münster am Stein) sowie Tochter Livia Kubach-Kropp haben sich ebenfalls der bildenden Kunst verschrieben. Das habe ihn zu neuen Taten angespornt. Wiederum ohne blassen Schimmer von Kunstmessen und Galeriewesen. Doch Wilmsen ist jemand, der sich von kaum etwas abhalten lässt. Und so konzentriert er sich auf die Avantgarde mit renommierten Namen wie Emil Schumacher, Jannis Kounellis, Hermann Nitsch, K. O. Götz, Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker der ZERO-Gruppe, Piero Dorazio oder Adolf Luther. 2014, nachdem in der letzten Maria-Thanner-Ausstellung das Schaffen von Joseph Beuys mit Objekten, Grafiken und Multiples gewürdigt wurde, verlagert er die Galerie nach Rheineck in die Schweiz. Wiederum als Wohnraumgalerie, nur steht hier neu die Kunstvermittlung von Werken an einen internationalen Käuferkreis im Zentrum. Dabei spielen Kunstmessen wie die art KARLSRUHE weiterhin eine Rolle.

BABETTE CAESAR