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GEBRAUCHTSOFTWARE-BRANCHE ERFINDET SICH NEU

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einfach gemacht

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Mietsoftware wirft keine Lizenzen gebrauchter Software ab, die weiterverkauft werden könnten. Der Prozess hin zum „Cloud-Zeitalter“ erfolgt aber nicht nach dem Kippschalter-Prinzip. Die Akteure stellen sich sukzessive breiter auf. Lizenzwissen lässt sich monetarisieren.

REFURBISHING & REMARKETING CHANNEL FOKUS

Vor rund 100 Jahren war „radioaktive Zahnpasta“ ein Verkaufsschlager. 50 Jahre zuvor waren Hochräder „the next big thing“ und weitere 50 Jahre vorher, im Jahr 1820 verkaufte Johnnie Walker erstmals seinen schottischen Whisky. Zwei der drei genannten Produkte haben sich nicht durchgesetzt.

Aktuell stellt sich die Frage, ob es für gebrauchte Software eine Zukunft gibt, denn Cloud Computing, das SubscriptionModell und Software as a Service könnten den Markt für Kauflizenzen (aus dem sich Gebrauchtlizenzen speisen) obsolet machen. Fragt man Gebrauchtsoftwarehändler, wie sie sich vor diesem Hintergrund für die Zukunft rüsten, wird einerseits bezweifelt, dass der Markt für Gebrauchtlizenzen wegbrechen könnte, andererseits stellen sie bereits ihr Geschäftsmodell um, hin zu mehr allgemeiner Lizenzberatung und Softwaredistribution.

So geht Christian Bedel, Geschäftsführer der MRM Distribution von einem Wachs - tum in den nächsten Jahren aus, schließt aber Distributionsverträge mit Softwareanbietern, darunter Ftapi, Vipre, Quickwork, „und weiteren Herstellern, die wir in Kürze präsentieren“.

Auf Beratung setzt man auch bei Preo Software. Themen beim Kunden sind Softwarebelange wie Vendor-Lock-in, beziehungsweise wie dieser vermieden werden kann, Kostenkontrolle sowie Datenschutz und -sicherheit: „Vor jedem Geschäftsabschluss ist unser Team aus zertifizierten Lizenzstrategen in intensiven Beratungen mit unseren Kunden auf der Suche nach den individuell besten Lösungen: Häufig ist dies eine hybride Softwarearchitektur, die einen Mix aus Cloud- und On-PremiseLösungen beinhaltet“, sagt Boris Vöge, Vorstand bei Preo Software.

Gebrauchtsoftware-Pionier Usedsoft, der diesen Markt mit einem wegweisenden Rechtsstreit eröffnete, kooperiert derzeit in ersten Projekten mit Anbietern gebrauchter Hardware, „um Kunden ganzheitliche Lösungen anzubieten“, sagt Johannes Jäger, Geschäftsführer bei

Usedsoft Deutschland. „Dazu gehören auch Beratung, Serverinstallation, Sicherheit und Wartung. Die ersten Kunden haben uns bestätigt, dass wir damit genau auf dem richtigen Weg sind.“

Hybride Umgebungen aus Cloud und gebrauchter Software rücken zunehmend in den Mittelpunkt von Vendosoft. „Mittlerweile ist es auch möglich, mit Cloud-Produkten eine vernünftige Marge zu erzielen“, sagt Björn Orth, Geschäftsführer bei Vendosoft. „Gleichzeitig sehen wir im Softwaremarkt einen ungebrochen hohen Bedarf an On-Premises-Lizenzen.“ Das zuletzt genannte Segment schlug im Jahr 2022 bei ihm mit 17 Millionen Euro Umsatz zu Buche, bei einem wachsenden Cloud-Umsatz, der aber immer noch bei rund zwei Millionen Euro in dieser Zeit lag.

Zweifel an der These, dass Gebrauchtsoftware durch Cloud in arge Bedrängnis gerät, hat Andreas E. Thyen, Präsident des Verwaltungsrats der Lizenzdirekt. Auf Druck der Cloud-Infrastruktur-Anbieter und von Verbänden dürfte das Thema „Bring-your-own-License“ laut Thyen zunehmend an Bedeutung gewinnen. „Microsoft hat diesbezüglich erst kürzlich ein Statement abgegeben, wonach auf solche Bedürfnisse durch entsprechende

Ein Gedankenspiel über schwarze

Schafe und Dokumentationen neuesten Excel oder Dokumente mit Word zu bearbeiten. Folgerichtig zählt Office weiterhin zu den am meisten nachgefragten Produkten, „sowohl die Version 2016 als auch Office 2019“. Nachfrage nach der aktuellsten Office-Version 2021 sei zwar gegeben, jedoch sind diese Lizenzen noch nicht in großen Stückzahlen auf dem Markt – und bedingt durch höhere Anschaffungspreise auch teurer im Wiederverkauf.

Das Cloud-Zeitalter geht mit Fragen zur Zukunft des Gebrauchtsoftwaremarktes einher.

Angenommen, ein Händler von gebrauchter Software kauft 1.000 Nutzungsrechte einer Software und hat dies gut dokumentiert. Doch woher weiß der Endkunde, dass dieser Händler auch nur maximal 1.000 Stück weiterverkauft? Nehmen wir an, er verkauft jeweils 200 an Kunde A, B, C, D und E. Jedem gibt er jeweils eine Kopie seiner Dokumentation über den Erwerb der 1.000 Nutzungsrechte. Damit ist er eigentlich fertig. Alles ist verkauft. Aber wer hindert ihn daran, nochmal 200 Lizenzen an Kunde F mitsamt einer weiteren Kopie seiner Dokumentation zu verkaufen?

Ab dem Zeitpunkt wäre der Gebrauchtsoftwareverkauf nicht mehr legal und für den Käufer wäre das nicht transparent. Daher sind beim Vertrieb gebrauchter Volumenlizenzen Absicherungsprozesse und Dokumentationen sinnvoll, die seriöse Anbieter zu leisten imstande sind. Dazu können unter anderem zählen: Vernichtungserklärung des verkaufenden Unternehmens; Offizielles License-Statement vom Lizenzgeber; Auszug aus dem Volume Licensing Service Center, Lizenzvertagskopien sowie Rechnung vom Lizenzgeber.

Angebote stärker eingegangen werden soll.“ Diese wären folgerichtig im On-PremisesSegment angesiedelt, aus dem sich der Gebrauchtsoftwaremarkt speist. „Im Übrigen bleiben wir flexibel und engagiert, um unseren Beitrag für eine freiheitliche und durch den Kunden selbstbestimmte Zukunft im Softwareumfeld zu leisten“, so der Verwaltungsratspräsident, der immer wieder mit Lobby-Arbeit für die Branche in Erscheinung tritt.

Einen weiteren Aspekt bringt Henrik Thomassen, Director of Sales bei Soft & Cloud, in die Debatte: „Gebrauchte Lizenzen lassen sich auch in der Cloud einsetzen, zum Beispiel in der Private-Cloud auf eigenen Servern. Die Einschränkung liegt vor allem darin, dass wir keine Abo- oder Mietmodelle mit diesen Nutzungsrechten anbieten können.“ Der Cloud-Markt, so ist man bei Soft & Cloud überzeugt, sei inzwischen langsam an seine Sättigungsgrenze gekommen. „Die 50 Prozent des Marktes für On-Premises-Lizenzen bleibt interessant genug. Außerdem werden die Kunden immer mehr für die hohen Kosten des AboModells sensibilisiert, das gerade in diesem Jahr wieder Preissteigerungen von über zehn Prozent erleben musste.“

Aus Microsoft-Sicht wird hierzulande nur deswegen an der Preisschraube gedreht, weil Wechselkursschwankungen im EuroDollar-Verhältnis angepasst werden. Aber dass in gebrauchten Lizenzen viel Einsparpotenzial liegt, würde man wohl auch dort nicht bezweifeln. Vendosoft-Chef Orth rechnet vor: „Ein Upgrade von Office 2019

Pro Plus auf die 2021er-Version (gebraucht) kostet bei Vendosoft aktuell 96 Euro gegenüber 660 Euro bei Neukauf.“ Gebrauchte Lizenzen aufzukaufen, stellt eine interessante Refinanzierungsoption dar. „Zum Beispiel, wenn wir beim Upgrade auf Office 2021 die freiwerdenden Office-2019-Lizenzen in Zahlung nehmen“, sagt Orth. Der Vertriebschef von Soft & Cloud, Henrik Thomassen, findet Subscription-Abos generell relativ teuer und führt ebenso ins Feld, dass Nutzer von Gebrauchtlizenzen den Vorteil haben, ihre Lizenzen jederzeit wieder in Zahlung geben zu können. Thomassen veranschaulicht das mit einem Beispiel: „Ein Kunde kauft ein Office für 200 Euro. Nach zwei Jahren möchte er ein neues Office und gibt dafür sein altes für 100 Euro in Zahlung. Dann war dieses Modell bereits günstiger als das SubscriptionAbo. Meist wird aber Office eher nach vier Jahren erneuert und da rechnet sich Gebrauchtsoftware noch besser.“

Besagte Preiserhöhungen im MicrosoftCloud-Universum treiben auch aus Sicht von MRM-Chef Bedel den Markt, beziehungsweise die Kunden zu ihm. Sowohl auf Social Media als auch in persönlichen Gesprächen ist laut Bedel die Verärgerung über die Preiserhöhungen zu spüren: „Reseller nehmen wahr, dass sie teilweise sehr stark den ‚Launen‘ der Softwarehersteller ausgesetzt sind, ohne sich dagegen wehren zu können.“ Aber nicht jeder Anwender benötigt eine High-End-O365Lizenz, um seine tägliche Korrespondenz via E-Mail, die Kalkulationen mit dem

In dieselbe Kerbe schlägt auch Preo Software: „Nach den jüngsten Preiserhöhungen von Microsoft und der Ankündigung des Monopolisten, die Preise zweimal im Jahr an Wechselkursschwankungen anzupassen, suchen Unternehmen nach Einsparpotenzialen.“ Viele seiner Kunden würden sich für hybride Architekturen interessieren, verrät Preo-Vorstand Vöge. „Sie planen, Teile des Workloads zurück ins eigene Rechenzentrum zu holen und mit gebrauchten On-Premise-Lizenzen 50 bis 70 Prozent gegenüber dem Neukauf zu sparen.“ Neben Office-Lizenzen sind bei Preo derzeit gebrauchte Windows-Server-Lizenzen (ab 2019) stark nachgefragt. Zu den meistgekauften Produkten gehören bei Usedsoft naturgemäß Zugriffslizenzen, die Unternehmen laufend nachkaufen. „Gefragt sind vor allem CALs für den Windows Server 2019 und 2022 – aber auch die Server selbst, vor allem die Version 2019 Standard (2 Core). Zudem ist der neue SQL Server 2022 sehr gut angelaufen“, so Usedsoft-Chef Jäger. Auch die OfficeProdukte zählen zu den Topsellern. „Konkret sind das aktuell Office LTSC 2021 Standard sowie Office 2019 Standard und zunehmend auch Professional Plus“, verrät der Geschäftsführer.

Wie Vertreter einer darbende Branche hören sich die Macher aus dem Gebrauchtsoftware-Segment nicht an – im Gegenteil. Die schnelllebige Tech-Branche wird wohl kaum Geschäftsmodelle für 200 Jahre mehr oder weniger unverändert lassen, wie im Falle des schottischen Whiskys. Aber Gebrauchtsoftwarelizenzen sind auch keine „radioaktive Zahnpasta“, die aus guten Gründen schnell vom Markt gefegt wird – eher ein Hochrad, das der Hersteller zu einem zeitgemäßen Mountainbike weiterentwickelt, um auf das Eingangsbeispiel zurück zu kommen.

Passage aus dem „UsedSoft-Urteil“: „Bei den einzelnen Lizenzen handelte es sich um jeweils selbständige Nutzungsrechte, die eigenständig übertragen werden konnten.“

Autor: Dr. Stefan Riedl

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