GESELLSCHAFT
„Hilfe zur Selbsthilfe macht Freude“ Dr. Josef und Evelyn Frötscher im Gespräch über ihren Einsatz in Äthiopien
Interview: Renate Breitenberger Am 13. September 2002 verabschiedeten 189 Staats- und Regierungschefs bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 55/2, bekannt als „Milleniumserklärung“. Eines der Ziele ist die Armut zu halbieren. Um dies zu erreichen, braucht es Organisationen wie den Verein „Südtiroler Ärzte für die Welt“, der vor allem in Äthiopien und dort u. a. im Attat Hospital im Einsatz ist. Das Krankenhaus, 180 Kilometer südwestlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in einer der ärmsten Regionen des Landes gelegen, versorgt mit 65 Betten eine Million Menschen bei einem Einzugsradius von etwa 100 Kilometern. Zusätzlich gibt es 44 Betten für Risikomütter und elf Betten für fehlernährte Kinder. Errichtet wurde das Krankenhaus, das der Katholischen Kirche Äthiopiens gehört, im Jahr 1969 von den Missionsärztlichen Schwestern, die es bis heute leiten. Dr. Josef Frötscher, ehemaliger Primar am Krankenhaus Sterzing, und seine Frau Evelyn Busarello Frötscher, pensionierte Oberschullehrerin in Sterzing, waren im vergangenen Jahr zusammen mit anderen engagierten Südtirolern des Vereins „Südtiroler Ärzte für die Welt“ am Krankenhaus Attat tätig.
Erker: Herr Dr. Frötscher, hat Sie Ihr Einsatz in Äthiopien verändert? Dr. Josef Frötscher: Ja, weil ich spürte, wie bereichernd es ist, den dort lebenden Menschen zu helfen. Ich empfehle jedem jungen Arzt, einmal in seinem Leben Entwicklungshilfe zu leisten – obwohl ich zugeben muss, dass ich anfangs selbst etwas skeptisch war. Ich konnte aber bald
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Evelyn Busarello Frötscher und Dr. Josef Frötscher feststellen, dass Hilfe aus Europa geschätzt wird. Die Menschen in Äthiopien sind sehr herzlich, respektvoll und dankbar. Da die Hauptsprache der Bevölkerung Amharisch ist, erfolgt die Verständigung auf Englisch. Hier ist meine Frau durch ihre Sprachkenntnisse eine große Hilfe. Worin bestand Ihre Aufgabe? Dr. Josef Frötscher: Meine Aufgabe bestand im Aufbau eines Endoskopie-Teams, zusammengesetzt aus Chirurg Dr. Abdul Semed, Narkosehelfer Solomon und Oberpfleger Gebre, die neben ihrer medizinischen Tätigkeit auch als Dolmetscher dienten. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen konnte ich dem äthiopischen Arzt die Technik und den Untersuchungsvorgang der Magen- und Darmspiegelung beibringen, so dass das Team am Ende die Untersuchungen selbstständig durchführen konnte. Der Erfolg dieses Projektes beruht auch auf den technischen Fähigkeiten des Leiters und Gründers
des Vereins „Ärzte für die Welt“ Dr. Toni Pizzecco und auf der Einführung in die Narkose durch Dr. Manfred Brandstätter. Gleichzeitig war meine Frau Evelyn gemeinsam mit den einheimischen Pflegern damit beschäftigt, die Geräte vorzubereiten und die hygienischen Vorkehrungen zu treffen. Erwähnen möchte ich auch das Zahnvorsorgeprojekt von Dr. Andreas Ploner und die Tätigkeit des Psychiaters Dr. Mario Lanczik zur Erforschung der Wochenbettdepression. Weiters diente die Reise auch der Kontrolle der baulichen Erweiterungen des Krankenhauses und der verschiedenen Projekte durch die Geschäftsführerin des Vereins Gabi Janssen Pizzecco und die Projektmanagerin Monika Gross. Ist das Ärzteteam in Attat gut ausgebildet? Dr. Josef Frötscher: Die drei Ärzte, die im Hospital arbeiten, sind sehr gut ausgebildet. Jeder Arzt, der in Äthiopien studiert,
verpflichtet sich, für zwei Jahre im Land zu bleiben. Zu hoch wäre die Wahrscheinlichkeit, dass er ins Ausland abwandert. Dr. Abdul Semed wird sowohl vom Staat als auch von einem Orden bezahlt. Das Krankenhauspersonal hat die Krankenpflegeschule sowie einen zweijährigen Kurs besucht und darf kleinere chirurgische Eingriffe wie Blinddarmoperationen durchführen. Ein Team von 200 Mitarbeitern behandelt jährlich rund 70.000 Patienten ambulant, führt 3.000 Operationen durch und betreut 2.500 Geburten, davon sind 30 Prozent Kaiserschnitte. Welches sind die häufigsten Beschwerden? Dr. Josef Frötscher: In erster Linie kommen die Menschen mit Atemwegserkrankungen, Verdauungsstörungen, Infektionen der Harnwege, Hauterkrankungen sowie vor allem Verbrennungen bei Kleinkindern ins Hospital. Großes Augenmerk wird auf die Vorsorge und Behandlung von Tuberkulose gelegt, weiters auf Malaria und Aids. „VIELE MENSCHEN KOMMEN ZU FUSS INS KRANKENHAUS UND LEGEN OFT EINEN MEHRERE 100 KILOMETER LANGEN MARSCH ZURÜCK.“ Im Vordergrund steht natürlich die Betreuung der Schwangeren, wobei die Kindersterblichkeit von 16 Prozent im Jahr 1969 auf sieben Prozent im Jahr 2010 gesenkt werden konnte. Herz- und Kreislauferkrankungen kommen seltener vor, da sich die Menschen mehr bewegen und weniger Fleisch essen. Daher gibt es weniger übergewichtige Menschen. Trotzdem beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung nur 46 bis 48 Jahre. Bei uns