Cartes de Visite - Ein historisches Archiv fotografischer Visitenkarten

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Unter Deutschlands größtem Cruse-Scanner (Fa. Niggemeyer FineArt, Bochum), der für die hochwertige Reproduktion großformatiger Gemälde konzipiert ist, liegen die kleinformatigen Cartes de Visite.

Sorgfältig werden die historischen Portraitkarten auf dem Vorlagentisch angeordnet und gescannt – zuerst die Vorderseiten, danach die ebenso wichtigen Rückseiten.

schaftliche Forschung von Foto-, Kunst-, Kultur- oder Wirtschaftshistorikern, Soziologen, Ethnologen etc. in aller Welt zur Verfügung. Und stiftete zusätzlich all denjenigen Vergnügen, die es lieben, in wunderschönen und manchmal auch kuriosen Bildobjekten zu schwelgen. Doch wie gelangen die zum größten Teil weit über 100 Jahre alten Karten in die Datenbank?

dicken Karton und viele sind mit Goldund Silberprägung versehen. In ersten Tests fielen vor allem störende Licht- und Schattenkanten auf. Ursache ist die Eigenart von Flachbettscannern, die zu scannenden Objekte nur von einer Seite zu beleuchten. Die Alternative – die Verwendung eines Reprotisches mit zwei Lichtquellen – eröffnet eine große Bandbreite von Aufnahmesystemen, von der digitalen Spiegelreflexkamera bis zum Scanback. Unter Einbeziehung der Kartenrückseiten ergibt sich ein Volumen von schätzungsweise 20.000 Repros, das wirft die Frage nach einem sinnvollen Verhältnis von Auflösung und Datengröße auf.

Phase 1: Die Digitalisierung Eine verbreitete Methode zur Digitalisierung von Aufsichtsvorlagen ist die Nutzung eines Flachbettscanners. Allerdings sind Cartes de Visite keineswegs nur zweidimensional, sondern bestehen aus einem

Harald Mante in seiner Sammlung von Cartes de Visite. Zu der Sammlung gehören auch kunstvolle Fotoalben mit so genannten Kulissenfenstern, in die die Cartes de Visite geschoben wurden. So konnten die Karten herausgenommen und ausgetauscht werden.

Da die Vorlagen aus der Frühzeit der Fotografie stammen und der Detailreichtum vergleichsweise gering ist, bringen extreme Auflösungen keine weiteren Bildinformationen hervor, sondern erzeugen nur große Datenmengen. Ein weiteres Kriterium für Ort und Durchführung der Digitalisierung: Um das sensible Archivgut nicht unnötig zu stressen,

Ein Blick in die Sammlung Mante des MKK Dortmund. Tausende historischer „Pappfotos“ warten darauf, digitalisiert und in eine Bilddatenbank aufgenommen zu werden.

sollte mit den Objekten möglichst vor Ort nahe am Archiv gearbeitet werden. Ein Klimawechsel zwischen Archivraum, Transport und externem Reprostudio sollte vermieden werden. Parallel zum Erstellen der digitalen Reproduktionen müssen die zum jeweiligen Objekt gehörenden Informationen erfasst werden. Dazu gehören Angaben zum konservatorischen Zustand. Eine Sichtung wird zeigen, ob Maßnahmen zum Schutz der Originale ergriffen werden müssen. Im Anschluss an die Digitalisierung könnten die CdV dann wieder geschützt in ein „ruhendes“ Archiv entlassen werden. Phase 2: Datenbank-Information In einer zweiten Phase können anhand des erstellten Repros alle weiteren Angaben zur Motivbeschreibung und Beschrif-

Das Kartenpaar „Good Morning“(10,7 x 15,9 cm) „Good Night“ (10,7 x 15,8 cm) mit Fotomontagen von 36 lachenden und 40 weinenden Babys ist heute ein begehrtes Sammlerstück (Kabinett-Format, Joshua Smith, Chicago,USA,1880).

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Koloriertes Motiv auf Salzpapier im Visit-Format (5,9 x 10,2 cm), um 1850. Zu den ersten Fotografen von Cartes de Visite zählten auch viele Miniaturmaler, die Fotografien als Vorlage benutzten und wie gewohnt übermalten. Kolorierte CdVs stellen das Bindeglied zwischen der Miniaturmalerei und der Portraitfotografie dar.

tung in der Datenbank ergänzt werden. Je genauer und detaillierter die Erfassung stattfindet, umso flexibler lassen sich diese Daten später nutzen. In der dritten Phase werden die gesammelten Informationen in einer frei zugänglichen Online-Bilddatenbank veröffentlicht. Alle drei Arbeitsphasen zusammen beanspruchen beim Umfang der Sammlung Mante einen Zeitrahmen von 2 bis 3 Jahren.

Ehrhard und Susanne Meier hoffen nun, Förderer zu finden, die helfen, die Sammlung Mante zum Leben zu erwecken und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die in diesem Beitrag erstellten Repros wurden mit Hilfe der Firma Niggemeyer FineArt erstellt. Vielen Dank!

Phase 3: Interaktion

Ellen Maas, Die goldenen Jahre der Photoalben – Fundgrube und Spiegel von gestern (DuMont 1977/1982) Timm Starl, Hinter den Bildern, in: FOTOGESCHICHTE, Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Heft 99, Jg. 26 (Jonas Verlag, März 2006) Jochen Voigt, Faszination Sammeln: Cartes de Visite – Eine Kulturgeschichte der photographischen Visitenkarte (Edition Mobilis 2006) www.cartes-de-visite.de www.mkk.dortmund.de www.harald-mante.de

Das Duo Ehrhard Meier denkt bereits weiter: Zukünftig könnten weitere CdVSammlungen in die Online-Datenbank integriert werden. Da mangels überlieferter Angaben die meisten der portraitierten Personen und der Fotografen anonym bleiben, wäre als mögliche Ausbaustufe die Einrichtung eines „Wikis“ (Anm. d. Redaktion: themenbezogenes lexikalisches Forum Wikipedia) denkbar, in dem jeder, der neue Informationen zu Personen oder Orten hat, diese selbstständig ergänzt. Das könnten sowohl Sammler oder Genealogen sein als auch fotografische Familienbetriebe der 4. oder 5. Generation. Nicht auszuschließen ist, dass sich in ihren Beständen noch Aufzeichnungen aus der Zeit befinden. Die historische „Volkszählung“ lässt sich jedoch nur mit öffentlichen und privaten Mitteln gemeinsam finanzieren. Andreas

Die Rückseite bot den Fotoateliers Platz für ausführliche Eigenwerbung und besondere Hinweise: Visit-Format (6,3 x 10,4 cm), 1880er / 1890er: „Photogr. Atelier, Xaver Schmid, Ingolstadt, Ziegelbräugasse, vis-á-vis dem Herrn Instrumentenmacher Stegmeyer. Die Platte bleibt fur Nachbestellungen aufbewahrt.“

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Quellenhinweise & Infos

Kabinett-Format (10,8 x 16,5 cm), ca 1898. Das Fotoatelier Reutlinger (1850–1924) in Paris hatte sich erfolgreich auf die Modefotografie spezialisiert. Allein von 1894–1897 errang es fünf Auszeichnungen bei internationalen Fotoausstellungen von Paris bis St. Petersburg.


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