24. FEBRUAR 2010 · NR. 04 · 21. JAHRGANG
Pulsschlag
AUTOMOBIL- UND ROBERT- SCHUMANN - STADT
DAS AMTSBLATT DER STADT ZWICKAU
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RÜCK- UND AUSBLICK SENIORENARBEIT
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KAMMERKONZERT SCHUMANN PLUS II
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ZWICKAUER MITTELSCHULEN VORGESTELLT ANMELDUNGEN AN MITTELSCHULEN/GYMNASIEN
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STADTARCHIV LÄDT EIN 5. TAG DER ARCHIVE
In Erinnerung an die 123 im Steinkohlenwerk „Karl Marx“ verunglückten Bergleute
UNTER GROSSER ANTEILNAHME DER BEVÖLKERUNG FAND AM MONTAG DAS FEIERLICHE GEDENKEN ZUM GRUBENUNGLÜCK VOR 50 JAHREN STATT. NACH EINEM ÖKUMENISCHEN GOTTESDIENST IN DER MORITZKIRCHE LEGTEN DIE TEILNEHMER KRÄNZE AN DER BERGMÄNNISCHEN GEDENKSTÄTTE AUF DEM HAUPTFRIEDHOF AB. FOTO: STADT ZWICKAU
Zwickau gedenkt Opfer des Grubenunglücks Am 22. Februar 1960 ereignete sich eine der schwersten Grubenkatastrophen im Steinkohlenrevier Zwickau, wobei in Folge einer Explosion 123 Bergleute ums Leben kamen. Die Stadt Zwickau gedachte am Montag der verunglückten Bergleute. Ab sofort ist auch das Buch „Die Grubenkatastrophe im VEB Steinkohlenwerk ,Karl Marx‘ Zwickau vom 22. Februar 1960“ erhältlich, in dem auf 150 Seiten die Analysen der Arbeitsgruppe zusammen gefasst sind. Aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen und wegen der Vermutungen und Legenden zu den vermeintlichen Unglücksursachen hatte der damalige Oberbürgermeister Dietmar Vettermann im Jahr 2004 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Dauerhaft gehörten ihr Vertreter des Steinkohlebergbauvereins
BLICK VOM DOM ZUM BRÜCKENBERG MIT DEM STEINKOHLEWERK KARL MARX.
Freiberg, dem Staatsarchiv Chemnitz, dem Stadtarchiv Zwickau und insbesondere der Außenstelle Chemnitz der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dabei galt es, die Fülle der vorhandenen Berichte, Protokolle, Aktennotizen und Pläne zu studieren und auszuwerten. Im Ergebnis dieser aufwändigen Arbeit ist nun festzuhalten, dass sich das Unglück wohl nie ganz aufklären lässt. Es trat jedoch deutlich zu Tage, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bei der Aufklärung und insbesondere bei der abschließenden Darstellung des Untersuchungsergebnisses zur Ursache der Katastrophe auch politische Interessen verfolgte. Die mit der Ermittlung beauftragten Mitarbeiter haben entweder auf Weisung, zumindest aber mit Billi-
TRAUERZUG AM 27. FEBRUAR 1960
DELEGATION DES STEINKOHLENWERKES „KARL MARX“
Zwickau e. V., des städtischen Kulturamtes sowie des Zwickauer Stadtarchivs an. Ihre Aufgabe bestand darin, auf der Basis vorhandener Quellen ein möglichst objektives, auf Tatsachen beruhendes Bild der Ereignisse zu zeichnen. Augenzeugenberichte konnten nicht genutzt wer-
den, da leider alle Bergleute, die sich in der Nähe des Unglücksortes befanden, ums Leben kamen. In der Folge wurden zwischen 2004 und 2006 mehr als 55 umfangreiche Akten eingesehen. Diese stammten aus dem Bundesarchiv, dem Bergarchiv
gung der Führung des MfS und weniger anderer hoher Funktionäre des Parteiund Staatsapparates ihre gewonnenen Erkenntnisse zur Katastrophenursache so manipuliert, dass schließlich das bisher bekannte, nur auf theoretischen Annahmen beruhende Ergebnis veröffentlicht wurde. Selbst die Regierung wurde mit diesen fragwürdigen Ergebnissen unterrichtet. Dabei kam es zu ungewollten Pannen, als sich die maßgeblich an der Manipulation des Untersuchungsergebnisses Beteiligten z. B. in der offiziellen DDRPressemitteilung zur Grubenkatastrophe dazu hinreißen ließen, das Erdbeben von Agadir in Nordafrika als eine mittel-
KURT Adam (40 Jahre), Alfred Albert (59), Max Arzt (57), ERWIN Auer (46), HANS Aust (25), PETER Baldauf (20), CHRISTOPH Baron (18), WERNER Bartl (39), HEINZ Beyer (36), GÜNTER Bias (23), ALFRED Bittner (59), ERICH Blechschmidt (33), MARTIN Brandner (57), HERBERT Buchmann (21), GUSTAV Draba (57), GÜNTHER Drescher* (36), SIEGFRIED Dwojakewski (23), WALTER Ebert (34), MAX Engelhardt (53), MANFRED Ernst (19), PAUL Fanghänerl (55), GÜNTHER Fink* (29), WALDEMAR Fritzsche (33), ALFRED Frost (26), BRUNO Fuhlbrueck (16), ROLF Geyer (34), VOLKMAR Geyer (17), DIETER Gießmann*, HANS Gloeckner (45), KARL Gnera (58), JOHANNES Göckeritz (55), ROLAND Gortutzer (16), GERHARD Hadlich (16), WERNER Händel (27), WILLY Hauptmann (35), HORST Heckel (22), ALFRED Heerklotz* (43), MAX Heinrich (56), EBERHARD Heinze (35), CLAUSS Hertel* (20), WOLFGANG Hillig (19), DIETER Hoffmann (19), ERICH Hofmann (47), HEINZ Jesuseck (34), HENRY Kaizmarek* (16), BRUNO Kammer (52), HARALD Kaozerowsky (16), PETER Klein (18), LOTHAR Klug (26), GEORG Köhler (52), SIEGFRIED Köhler (18), JOHANNES Kowalle* (31), GOTTHOLD Kramer (22), KARL Kraus (60), WILLY Krause (20), MANFRED Kügler (41), ERICH Lahr (48), HEINZ Lautenschläger (23), RUDOLF Lehmann (46), KURT Leistner (58), KURT Lenk (59), PAUL Liebold*, MAX Löffler (59), WALTER Löffler* (56), PETER Marawitzky (16), GERHARD Markert* (45), NORBERT Melzer (19), HORST Meyer* (22), ALFRED Mitschke*, MAX Möckel (53), ERICH Mosch (37), WOLFGANG Mühlmann (17), FRANZ Müller*, HERBERT Müller (61), WERNER Müller (17), ARNO Münzner (62), PETER Nachtmann (21), WALTER Nerger (23), KURT Neumann (55), WILHELM Otto (57), HERBERT Paehr (48), WALTER Piecharzyk (55), FRIEDRICH Pleul (51), ADOLF Regner (45), GÜNTER Richter (29), CURT Rohleder (61), SIEGFRIED Rother (19), FRANZ Rothmeier (57), GERHARD Safert (35), REINER Schaal (17), SIEGFRIED Schlegel (39), WALTER Schneider*, WILHELM Scholz (50), MANFRED Schönfeld (32), EHRENFRIED Schönfelder (33), MAX Schuffenhauer (44), PETER Schuhknecht (24), OTTO Schulz (25), FRITZ Schulzka (58), ALFRED Schürer (42), ERWIN Schütt (31), HARRY Segerer (23), GÜNTER Span (21), WALTER Stöhr (61), HARRY Strößner (47), WENZEL Swoboda (58), GUNTER Teucher (20), KARL Theinschnack* (28), WALTER Trenhle (29), SIEGFRID Trompelt (20), EGON Tulke (27), KARL Uhlig (49), BERND Ullmann (18), STEFAN Viertel (17), EBERHARDT Wagner*, MAX Weidauer (55), ERNST Weiß* (24), HEINZ Wendt (25), HELLMUT Wiegener (48), EGON Wiesmann (23), LOTHAR Windorfer (20), JOSEF Witoscheck (54), GÜNTER Wolf (35), REINHOLD Zinngraf (16) * Diese Bergleute konnten nicht identifiziert bzw. geborgen werden.
GEDENKTAFEL AN DIE 123 GETÖTETEN BERGLEUTE AUF DEM ZWICKAUER STALINPLATZ, HEUTE PLATZ DER VÖLKERFREUNDSCHAFT. FOTOS (4): STADTARCHIV ZWICKAU
bare Ursache für den angenommenen Austritt von Methangas zu nennen – fatal, wenn man weiß, dass sich dieses Beben am 29.02.1960, also sieben Tage später, ereignet hat! Den Ermittlern des MfS ist zu bescheinigen, dass es ihnen gelungen war, das gesamte Wissen um die wahren Umstände der Grubenkatastrophe in den Händen der Staatssicherheit zu konzentrieren. Nur so war es ihnen letztendlich möglich, die offenkundigen Tatsachen zu einem rein hypothetischen, für die Öffentlichkeit einigermaßen glaubhaften Untersuchungsergebnis zu verfälschen. Die Arbeitsgruppe geht davon aus, dass der bisher belastete Sprengmeister trotz seines sicherheitswidrigen Verhaltens als Verursacher der Katastrophe ausscheidet. So konnte der konkrete Ort ermittelt werden, von dem die Explosion ausging. Danach nahm das Unglück seinen Lauf an einer anderen Stelle, als bisher vermutet. Dort hielt sich zum Zeitpunkt des Geschehens nicht der bisher belastete, sondern ein anderer Sprengmeister auf. Der genaue Hergang, das heißt aus welchen konkreten Gründen der Sprengstoff dieses Sprengmeisters zur Detona-
tion kam, lässt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren. Keinen belastbaren Hinweis fand die Arbeitsgruppe darauf, dass ein Sprengmeister in Selbstmordabsicht die Explosion herbeigeführt haben könnte. Diskutiert wurden die vorgenannten Ergebnisse in einem Kolloquium am 18. April 2008, an dem Fachleute aus ganz Deutschland teilnahmen. Die einhellige Meinung der unabhängigen Experten fasste Dr. Michael Farrenkopf vom Deutschen Bergbaumuseum Bochum unter anderem mit den Worten zusammen: „Die Erkenntnisse der Zwickauer Arbeitsgruppe scheinen mir stimmig zu sein und gehen weit über das hinaus, was man in vielen anderen Fällen weiß.“ Literatur: Zusammengefasst ist die jahrelange Arbeit nun in dem Band „Die Grubenkatastrophe im VEB Steinkohlenwerk ,Karl Marx‘ Zwickau vom 22. Februar 1960“. Das Buch ist zum Preis von 18,90 Euro im Direktvertrieb über Norbert Peschke (Norbert.Peschke@t-online.de; Telefon: 0375 676041) bzw. über den Buchhandel erhältlich. 5723713-10-1