Reisetagebuch MS Alana

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P. Altfried B. Kutsch OPraem – Reisetagebuch 2016

Erlebnis Küstenschifffahrt mit dem Container-Feederschiff MS ALANA Sietas Typ 168 E3, Bau-Nr. 1149, Baujahr 2004 Reederei Peter Döhle, Hamburg

vom 29.07. bis 13.08.2016 auf der Route Rotterdam – Setubal – Rotterdam Schiffsführung: Kapitän Norbert Hollack

Reisevermittlung: Internationale Frachtschiffreisen Pfeiffer, Wuppertal

(Routenverlauf: [1] Rotterdam Eemhaven „RST“ – [2] Rotterdam Waalhaven „Uniport“ – [3] Rotterdam Maasvlakte Yangtzehaven „Euromax“ – [4] Rotterdam

Maasvlakte Beerkanaal „ECT“ – [5] Rotterdam Maasvlakte Amazonehaven „ECT“ – [6] Felixstowe – [7] Vigo – [8] Leixoës – [9] Lissabon – [10] Setubal – [11] Leixoës – [12] Felixstowe – [13] Moerdijk – [14] Rotterdam Eemhaven „RST“)

(Alle im folgenden Bericht genannten Zeiten entsprechen der Schiffszeit [MESZ], die die komplette Reise hindurch unverändert beibehalten wurde. Für die Berechnung der jeweiligen Ortszeit in Felixstowe, Leixoës, Lissabon und Setubal gilt jeweils MESZ -1 h)




Freitag, 29. Juli Für heute Abend ist die Zugreise von Duisburg nach Rotterdam geplant: Abfahrt von Duisburg HBF um 22:00 Uhr, Umstiege in Viersen, Venlo und Eindhoven, Ankunft in Rotterdam-Centraal um 01:55 Uhr. Doch dann kam alles anders: Mittags gegen 13:30 Uhr ein Anruf von Frau Weber von IFR Pfeiffer: „Das Schiff kommt bereits am frühen Abend im RST an, wenn Sie es schaffen, könnten Sie auch schon heute Abend an Bord gehen.“ Ich habe zunächst bedenken, ob das zugtechnisch noch zu schaffen wäre (jetzt bewährt sich, dass ich mich beim Buchen für den teureren Flextarif entschieden habe.) Vermutlich würde ich’s doch wohl beim Boarding um 8:00 Uhr belassen. Dann noch einmal nachgedacht: Einchecken am Abend hätte den großen Vorteil, dass man ein paar Stunden Schlaf bekäme und nicht die sechs Stunden zwischen Zugankunft und Boardingtermin auf irgendeiner Parkbank zubringen müsste. Und tatsächlich: zu früherer Zeit verkehren die Züge nicht nur stündlich, sondern auch mit einer Umsteigestation weniger. Kurzentschlossen mache ich mich reisefertig und lasse mich von einem Taxi zum Duisburger HBF fahren. Dort bekomme ich den Regionalexpress um 16:00 Uhr, und da alle Anschlüsse problemlos erreicht werden, erreiche ich bereits um 19:11 Uhr Rotterdam-Centraal. Um nicht früher als das Schiff im RST einzutreffen, entscheide ich mich, den Weg vom Centraal-Bahnhof zur Immigration-Police am St. Jobsweg zu Fuß zurückzulegen. Ich erreiche den Polizeiposten gegen 20:00 Uhr, werde freundlich behandelt und nach etwa 15 Minuten mit guten Wünschen wieder verabschiedet, allerdings nicht, ohne eine Kopie meines Reisepasses dort zu lassen. Da der Weg vom Bahnhof hierher dank Google-Fußgängernavigation recht gut geklappt hatte, fasste ich nun den wahnwitzigen Entschluss, auch die Strecke zum RST mit meinen beiden Rollkoffern zu Fuß zurückzulegen – nicht wirklich zur Nachahmung empfohlen: et zieeehhht sich … Allerdings sieht man auf dem Weg auch das eine oder andere Interessante: Am beeindruckendsten wohl der Weg durch den nicht enden wollenden Fußgängertunnel unter der Maas hindurch, und die steilen, langen und mit Holz belegten Rolltreppen, die in den Abgrund, aber Gott sei Dank auch wieder ans Tageslicht hinaufführen. Für die etwa 7 km von der Polizeistation zum RST benötigte ich mit meinen Koffern doch etwa 1h und 45 min. Mutig schritt ich nun auf den Container


des Sicherheitsdienstes am Eingang zum Terminal zu, um mich anzumelden. Hier zuckte man zunächst bedauernd die Schultern: Es lag kein „Announcement“ für mich vor, also kein Einlass. Nun machte sich bezahlt, dass mir Frau Weber von IFR Pfeiffer gegen die Gewohnheit und für alle Fälle die private Handynummer des Kapitäns gegeben hatte, von dem ich zudem wusste, dass er Deutscher war. Ich bat ihn kurzer Hand telefonisch um Hilfe. Er war erstaunt, dass ich nun doch schon am Abend gekommen sei, und versprach, beim Agenten anzurufen, damit dieser per Email an den Posten mein „Announcement“ durchführe. Das dauerte nun natürlich einige Zeit, in der mich aber ein freundlicher Security-Mann mit einer wohltuenden Tasse Kaffee versorgte. Nachdem das „Announcement“ angekommen war, ging es dann recht schnell und komfortabel: Einer der Security‘s wollte zu einer der regelmäßigen Streifen aufbrechen und lud mich ein, mich mitzunehmen und bei der Alana abzuliefern. Gesagt, getan: Gegen 23:00 Uhr stand ich mit meinem Gepäck an der Gangway des Schiffes, begrüßt von einem guten Geist, der mir den großen Koffer abnahm und mich aufs Schiff und in meine Kabine geleitete (Eigner-Kabine, steuerbordseitig bis mittschiffs auf dem C-Deck gelegen; Wohnraum, Schlafraum, Sanitärraum; 1 Fenster zum Öffnen auf Steuerbord, 2 Fenster mit Blick zum Bug bzw. auf die Container; Fernseh-Attrappe und Kühlschrank, klimatisiert).


Hier besuchte mich dann wenig später auch der Kapitän, stellte sich mir kurz vor und hieß mich auf dem Schiff willkommen. Obwohl ich ihn mit meiner frühen Ankunft überrascht hatte, war er doch schließlich froh darüber, da sich die Fahrtpläne der Alana schon wieder geändert hatten: Statt bis am Samstagmorgen um 11:00 Uhr im RST zu liegen, war jetzt das Auslaufen bereits für 1:00 Uhr früh vorgesehen – ich hätte also nach dem alten Anreiseplan der Alana in einen der weit außerhalb liegenden Seehäfen Rotterdams nachreisen müssen: „Datt Glück is mittie Doofen!“ (Zudem erhielt ich per Pushmail von der Bahn um 21:30 Uhr die Nachricht, dass es auf der ursprünglich geplanten Anreiseroute zu Verzögerungen komme, und nicht alle Anschlusszüge erreicht würden: Der liebe Gott tut ja nix als fügen …) Gleich machte ich mich daran, meine Utensilien möglichst klappersicher zu verstauen, während außenbords noch Ladearbeiten auf dem Frachtdeck vonstattengingen. Punkt 00:50 Uhr sprang der Schiffsdiesel an und rüttelte alles gut ein, und um 01:00 Uhr am Samstagmorgen verließ die Alana ihren Liegeplatz im RST, um den nächsten Rotterdamer Liegeplatz anzulaufen. Doch diese Ereignisse gehören ja schon zum nächsten Eintrag. Jetzt erst einmal: Gute Nacht!


Samstag, 30.07. Um 6:20 Uhr holt mich mein Handy-Wecker mit dem sanften Vogelgezwitscher, dass mich an meine Reisen mit der TS Maxim Gorkiy erinnert, aus relativ kurzem, aber tiefen Schlaf. Nach der heißen Dusche – kalt scheint es nicht zu geben – und dem Morgengebet steige ich von meiner geräumigen Eignerkabine auf dem C-Deck durch die engen Stiegen hinunter auf’s Poopdeck, auf dem sich die Messe befindet. Hier erwartet mich der philippinische Koch mit seinem Assistant „Dschann“ zum Frühstück. Mir wird frisch zubereitetes Rührei angeboten, was ich gern akzeptiere – war doch meine letzte Mahlzeit zuvor das Mittagessen am Freitag in der Abtei. Das Rührei war sehr schmackhaft zubereitet mit frischem Paprika, Kräutern und Tomaten. Dazu etwas vom aufgebackenen Baguette, eine Scheibe Wurst und zwei Tassen Kaffee, und schon ist auch der Leib wieder ganz zufrieden. (Zur Auswahl gestanden hätten auch noch Tee, Wasser, Apfelsaft und Milch, Käse, Butter und Kiwis, Cerealien, Joghurt und Obst, wenn ich das Buffett richtig rekapituliere.) Während des Frühstücks kam der „Chief“ (Chef-Ingenieur) zu mir an den Tisch: ein freundlicher und kommunikativer Mensch aus dem Land „zwischen den Meeren“, irgendwo zwischen Wacken und Schleswig stammend. Er ist seit fast 50 Jahren auf Schiffen unterwegs (Bundesmarine, Dänische Reederei, Deutsch-Finnischer Fährdienst und seit einigen Jahren jetzt bei Döhle und im sechsten Jahr auf der Alana), hat aber auch Wurzeln im seefernen Düsseldorf-Unterrath, wo noch zwei Schwestern im elterlichen Hause wohnen. Noch manches andere vertraute er mir an, so, dass er mit seinen 68 Jahren jetzt wohl im letzten Berufsjahr stünde und Weihnachten Schluss sei. Gegen 8:40 Uhr verabschieden wir uns bis zum Wiedersehen beim Mittagessen. Vor dem Aufstieg ins C-Deck noch ein kleiner Blick nach draußen vom Poopdeck: Es regnet in Strömen, und MS Alana wartet im Uniport auf das Bunkerschiff und auf die Dinge, die da kommen … Ich beginne auf meiner Kabine mit dem Lesen der Augustinus-Biografie. Bald darauf meldet sich Kapitän Hollack bei mir – ein ebenso umgänglicher und kommunikativer Mensch wie der Chef-Ingenieur. Er lädt mich ein, mit ihm zu gehen, damit er mir die vorgeschriebene Sicherheitseinweisung geben kann. Kaum haben wir unseren Rundgang begonnen – der Regen wurde zwischenzeitlich von einem Mix aus Sonne und Wolken abgelöst -,


ist er auch schon wieder beendet: backbord ist das Bunkerschiff längsseits gegangen und bläst seine Abgase direkt in unsere Luftansaugstutzen: der Käptn kümmert sich persönlich. Landseitig, an Steuerbord, werden bestellte Lebensmittel und sonstige Güter angeliefert, die verstaut werden müssen. Auch hier muss der Käptn nach dem Rechten sehen und schließlich den Lieferanten auch bezahlen. Bei all dem darf ich einfach dabei sein, tatsächlich scheint es hier keine Geheimnisse zu geben.

Und dann ist es auch sehr schnell schon wieder 12:00 Uhr, also Zeit für das Mittagessen. Mein Stammplatz ist zusammen mit dem Käptn und dem Chief am Captain’s Table in der Offiziersmesse – also jeden Tag Captain’s Dinner – aber erfreulicherweise im Schlabberlook … Eine kräftige Erbsen-Gemüse-Hühnerfleischeinlagensuppe bildet die Vorspeise, ein Hähnchenbein mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen den Hauptgang und ein Apfel die Nachspeise – alles recht schmackhaft zubereitet. Keine Suppe ohne Suppenkoma: es folgt ein tiefer und erholsamer Mittagsschlaf. Meinen Nachmittagskaffee nehme ich bei angenehmen Temperaturen auf dem Achterdeck ein. Dann beginne ich eine kleine Besichtigungstour durchs Brückenhaus, die mich bis hinauf auf die vollkommen verwaiste Brücke führt. Von hier hat man tatsächlich einen guten Ausblick über das ganze Schiff, auf dem mittlerweile mit Hilfe zweier Containerbrücken eine rege Belade- und Entladetätigkeit begonnen hat. Nach einigen Fotos von der Brücke steige ich ein Deck hinab und grüße den Käptn, der bei offener Kabinentür am Computer sitzend die Abrechnungen für den vergangenen Monat zu erledigen versucht. Gern lässt er sich von mir dabei stören und lädt mich ein, nun aber wirklich durch ihn die persönliche Sicherheitsunterweisung zu erhalten. Zunächst bringt er mir einen Überlebensanzug,


um ihn auf meiner Kabine für den Notfall aufzubewahren. Er soll im Wasser vor Unterkühlung bewahren helfen. Dann zeigt er mir die Pläne mit den Sicherheitseinrichtungen an Bord, führt mich zum Assembly-Point, zum Rescue-Boot, zu den Rettungsinseln, der „Mann-über-Bord“-Meldeanlage und schließlich zum Live-Saving-Boot in Free-Fall-Bauweise. Letzteres wird mir auch von innen gezeigt, und ich darf einmal in einem dieser engen Schalensitze Platz nehmen. Er lud mich ein, es mir bei Gelegenheit nochmals zu zeigen, wenn ich mal vom Innern ein paar Fotos machen wolle. Zu all den Besichtigungen gab es jede Menge an Erklärungen in einer Schnelligkeit und Fülle, die mein kleines Pastorenhirn doch bald an den Rand seiner Auffassungsgabe brachte. Das letzte „Rettungsinstrument“, dass er mir vorführte, war der aufblasbare Whirlpool auf dem Achterdeck, der wie die großen Grills wieder zum Einsatz kommen würde, wenn die Witterung dementsprechend und die Wasserheizung wiederinstandgesetzt worden sei.

Während noch die letzten Ladearbeiten abgeschlossen wurden, war es bereits wieder 17:00 Uhr geworden und damit Zeit für das Abendessen: Gemischter Salat als Vorspeise, dann eine Frikadelle mit Pfeffersoße an Kartoffeln und Brokkoli: auch das sehr schmackhaft, und umrahmt von den Erzählungen von Käptn und Chief. Noch hatte sich die Alana am heutigen Tage keinen Deut voran bewegt. Nun aber wurde angekündigt: Am Abend um 21:30 Uhr geht es ein kleines Stückchen weiter die Maas hinab zum Euromax im künstlich angelegten Hafen Maasvlakte, wo wohl noch an zwei verschiedenen Liegeplätzen das große Container-Tetris weitergeführt werden soll. Das wird dann wohl so den gesamten Sonntag in Anspruch nehmen, bevor wir abends oder auch erst am Montagmorgen zum kurzen


Sprung über den Kanal hinüber nach Felixstowe ansetzen könnten. „So ist das in der Feeder-Schifffahrt: alles immer sehr kurzfristig und auf Zuruf …“ Höhepunkt des Tages war dann das Ablegemanöver und die Fahrt aus dem Uniport hinaus auf die Nieuwe Maas, die „Lichterfahrt“ auf dem nächtlichen Fluss und schließlich die Einfahrt in das Euromax-Terminal, wo uns gleich mehrere „Speckbacken“ unter den riesigen Ladebrücken erwarteten, unter ihnen die Yang Ming Worth und die Hanjin Sooho. Zwischen diese und einige kleinere Einheiten quetschten wir unsere 149 m lange Alana, rückwärts einparkend. All dies auf und rund um die Brücke miterleben zu dürfen, war eine tolle und spannende Angelegenheit, gewürzt durch einige Informationen und Pointen vom Kapitän und dem niederländischen Lotsen. Das Festmachen dauerte etwas länger als erwartet, da aufgrund des niedrigen Wasserstands die Festmacherleinen immer wieder bis unter die großen Fender an der Kaimauer sanken und sich dort verhakten. Gegen Mitternacht schließlich war das Werk vollbracht, und Schiff und Mannschaft konnten in den vorübergehenden Ruhestand gehen.


Sonntag, 31. Juli Der Ruhestand endete gegen 5:00 Uhr morgens mit leichtem Poltern und metallenem Scheppern: Eine Ladebrücke machte sich an unserem Kistenstapel zu schaffen. Das war aber weder so besorgniserregend noch so laut, dass man nicht noch hätte ein gutes Stündchen weiterschlafen können. Also noch einmal umgedreht und ins Land der Träume abgetaucht, aus dem mich dann um 6:20 Uhr die Weckmelodie der Maxim Gorkiy sanft herausholte. Morgentoilette, Morgengebet und Frühstück (heute mit ohne Rührei, dafür aber mit Nutella-Pancake), etwas Frischluft schnappen – das war das Frühprogramm, bevor ich mich gegen 8:30 Uhr auf meine Kabine zurückzog, um für meine Pfarrgemeinde daheim, meine Familie und für die Menschen hier an Bord (die Crew umfasst mit mir als einzigem Passagier derzeit 15 Personen aus 7 Nationen) das Messopfer darbrachte.

Vom Achterdeck ließ sich dann ganz gut das Ablegemanöver der „Speckbacke“ Hanjin Sooho beobachten, und wenig später legten auch wir gegen 10:30 Uhr ab, drehten uns um 180° und liefen wieder ein kurzes Stück Maas aufwärts zum nächsten Liegeplatz, dem ECT-Terminal im Europahaven. Hier machten wir kaum 40 Minuten später wieder fest, um voraussichtlich den Rest des Sonntags hier zu verbringen – dachte ich: Nach dem sonntäglichen Mittagessen (Pilzcremesuppe; Rindersteak mit Brokkoli und Pommes Frites; Eis) und einem ausgiebigen Mittagsschläfchen waren Spaziergänge mit der Kamera über die Achterdecks angesagt, und ein wenig Lesen. Gerade, als ich mich um 17:00 Uhr für das Abendbrot rüsten wollte, kam wieder Leben ins Schiff: der Schiffsdiesel (9-Zylinder MAK 4-Takter mit 11.500 PS Leistung) sprang geräuschvoll und vibrierend an. Das konnte mich aber vom Gang zum Abendessen nicht abhalten, denn das lockte mit


Boef Stroganov über Spaghetti und einem Stückchen Marmorkuchen als Dessert. Mit der Kamera ging’s dann wieder hinaus auf die Aussendecks. Das Schiff wurde losgemacht und verholte in einer knappen halben Stunde einmal rechts um die Ecke zum ECT-Terminal im Amazonehaven.

So kurz die Strecke war, so imposant waren die drei „Speckbacken“, die es dabei zu bestaunen gab: Auslaufend im Gegenverkehr und dicht bepackt die Thalassa Mana, am Kai verschnürt und von den Brücken intensiv bearbeitet die CSCL Indian Ocean und die Yang Ming Wish. Etwa 400 m vor dieser fanden wir unseren neuen Liegeplatz, den der Feeder Sophia soeben verlassen hatte, und eine der Containerbrücken fand dann uns, so dass für eine knappe Stunde weiteres Kistenstapeln angesagt war. Nach etwa einstündiger Unterbrechung wurde um 19:40 Uhr das Kistenstapeln wiederaufgenommen … Ob es nun mit dem fünften Liegeplatz in Rotterdam genug ist, und es noch im Laufe der Nacht oder doch zumindest Montagfrüh in den Kanal hinausgeht und hinüber ins nur eine halbe Tagesreise entfernte Felixstowe? Who knows? „So ist das eben mit der Feeder-Schifffahrt …“


Tatsächlich wurden die Ladearbeiten gegen 21:45 Uhr beendet, und gegen 22:30 Uhr die Maschinen angelassen. Kurz darauf – ich lag schon gemütlich in meiner Koje – nahm die Alana Fahrt auf und verließ den Hafen hinein in die Maasmündung mit Kurs auf den Englischen Kanal und auf den Hafen von Felixstowe.


Montag, 1. August Angenehm durch die Nacht geschaukelt, erwachte ich gegen 6:15 Uhr (5:15 Uhr englischer Zeit) – gerade rechtzeitig, um das Einlaufen in den Hafen von Felixstowe von der Brücke aus mitzuerleben. Bei bestem Wetter bot sich ein schöner Blick auf die beschaulichen Siedlungen am Küstenstreifen und auf die großen Containerbrücken mit den davorliegenden Großschiffen (u. a. Maribo Maersk, CSCL Saturn, MSC Mandraki und Thalassa Pistis. Am Nachmittag gesellte sich dann noch die Vantage dazu).

Nach einer gelungenen Wende im Hafenbecken legten auch wir mit der Backbordseite unter einigen Brücken an, und konnten uns nun in Ruhe dem Frühstück widmen. Der Nahrungsaufnahme folgte ein Stündchen geistiger Kost mit einigen Seiten aus der Augustinus-Biographie. Gegen 10:00 Uhr äußerte ich den Wunsch, ein wenig an Land zu gehen. Dies war zwar umständlicher, als ich dachte, aber man half mir bei der notwendigen Prozedur: Nach Austausch von Handynummern und der Aushändigung des Reisepasses wurde die Security mit einem Auto zur Gangway bestellt, um mich damit zum Gate zu bringen. Das Hafengelände zu Fuß zu durchqueren, war absolut tabu, obwohl entsprechende Aufmalungen auf den unendlichen Betonflächen Gehwege auszuweisen schienen. Der ältere Herr von der Security war aber sehr zuvorkommend: Er brachte mich nicht nur bis zum Gate, sondern noch ein Stückchen weiter bis zum Aussenbereich des Hafens, zum Haus der Seemannsmission. Von hier, so erklärte er mir, käme man relativ schnell zum Strand oder eben auch in die kleine Stadt Felixstowe. Auf dem Rückweg solle ich mich bei der Seemannsmission melden, die böten täglich bis 22:00 Uhr einen kostenlosen Shuttle-Service zu den Schiffen an.


Ich folgte also zunächst der Wegbeschreibung zum Strand, genauer bis zu dem alten Fort, das auf einer Landzunge die Hafeneinfahrt von Felixstowe überwacht. Von hier hatte man noch einmal einen schönen Blick auf die größeren und kleineren Schiffe im Hafen – und unsere Alana mit ihren knapp 150 Metern Länge war so ziemlich die Kleinste.

Vom Fort aus wanderte ich nun am Strand entlang in Richtung Stadt (oder besser gesagt: Städtchen), ein Ort mit einer typisch englischen Ausstrahlung: kleine, geduckte Häuser, alle „irgendwie anders“ als auf dem Kontinent. An der Promenade mit ihrem etwas verblichenen Charme im Stile der 50er bis späten 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts berührten besonders die kleinen, individuell und oft recht bunt gestalteten Badehäuschen, aus denen hier und da deren Eigentümer das darin verstaute Sammelsurium an Sonnenschirmen, Windsegel, Klappstühlen, Schwimmhilfen und ähnliches hervorholten. Alles erinnerte mich sehr stark an unsere früheren Familienurlaube an der holländischen Küste – nur, dass diese bereits mehr als 50 Jahre zurückliegen. Der Strand selbst fiel relativ steil ab und war zumeist bedeckt mit rötlich-braunem Schotter. Es wehte ein etwas kühler Wind, so dass nur relativ wenige Menschen


auch im Wasser waren, dafür stand die Zahl der badenden Hunde jeder Rasse und Größe der der badenden Menschen kaum nach. In der zweiten Reihe der Promenade, hinter dem eher zweckmäßig denn schön betonierten Hochwasserschutz, präsentierte sich die „Unterhaltungsmeile“ mit zwei, drei etwas in die Jahre gekommenen Spiel- und Vergnügungszentren, die sich als familien- und kinderfreundlich präsentierten: Poolbillard, Mini-Golf, Dart; daneben natürlich Getränke, Speisen und Eiscreme – so aufregend wie der Traumlandpark in Kirchhellen in den 1960er Jahren …

Noch vor dem eigentlichen Stadtzentrum entschied ich mich, langsam wieder in Richtung Schiff zurückzukehren, und wählte hierzu den Weg über die Straßen im Außenbereich von Felixstowe, da sich der Weg am Strand entlang wegen der oft recht dicken Kiesschichten zwar als wunderschön, aber auch ziemlich kräftezehrend erwiesen hatte. Auf halbem Weg Richtung Hafen stolperte ich noch in so etwas wie einen Supermarkt, dessen Angebot zu ca. 50% aus Waren mit polnischer Beschriftung und wohl auch gleicher Herkunft bestand. Ob dieses Lädchen wohl nach vollzogenem Brexit wird noch weiterbestehen können? Zumindest war ich nicht der einzige Kunde: Da das Bezahlen mit Euro nicht möglich war, meine MaestroCard aber gerne akzeptiert wurde, und da der Kapitän mir am Morgen erst gesagt hatte, dass das „Pfund so derbe abgestürzt“ sei und mittlerweile bei einem Wechselkurs von 1:1 und weniger angelangt sei, schlug ich hemmungslos zu und erwarb eine eisgekühlte Dose Coca-Cola sowie einige feststoffliche Nahrungsergänzungsmittel für die Summe von ca. 8,00 £.


Nun bin ich einmal gespannt, welcher Europreis schließlich auf der Abrechnung auftauchen wird … An der Seafarer’s Mission am Hafenrand angelangt, wollte sich der Shuttle-Bus gerade in Bewegung setzen. Als der Fahrer meiner in der grellen und vorgeschriebenen Warnweste gewahr wurde, drehte er freundlicherweise noch einmal um und ließ mich einsteigen, so dass ich schon wenige Minuten später wieder unten an der Gangway angelangt war. Anmeldung bei der Gangway-Wache, Rückmeldung im Büro des 1. Offiziers und Rückgabe des Reisepasses – und schon war mein erster Landausflug Geschichte. Ich brachte meine Kamera und die neu erworbenen Schätze auf die Kabine zurück, machte mich etwas frisch und ging dann hinunter zur Offziersmesse. Dort wartete, sauber von einer Folie vor den etwas lästigen Fruchtfliegen geschützt, mein Mittagessen auf mich (bzw. zunächst auf die Mikrowelle): Hähnchenschenkel mit grünen Bohnen und Safranreis. Hatte der Tag beim Frühstück bereits mit Bratwürstchen mit Spiegeleiern begonnen, so endete er kulinarisch am frühen Abend (17:00 Uhr) mit Kohlrouladen an Kartoffelpüree – alles in allem nicht wirklich eine kalorienarme Schonkost … Den Nachmittag verbrachte ich mit einem Mittagsschläfchen, dem Umkopieren meiner schon wieder so zahlreich geschossenen Bilder auf die Festplatte des Laptops sowie ausgiebigem Lesen in der Augustinus-Biographie, und nach dem Abendessen war schon bald wieder ein Besuch auf der Brücke fällig: Gegen 19:20 Uhr wurde die Maschine gestartet, und etwa 10 Minuten später verließ MS Alana ihren Liegeplatz in Felixstowe. Nun liegen fast zwei Seetage für die Passage des Kanals und für das Queren des Golfs von Biskaya vor uns, ehe wir den nächsten Halt in Spanien erreichen werden, den Hafen von Vigo, südlich von Santiago de Compostela gelegen. Also: Gott befohlen, und „Ultreia!“


Dienstag, 2. August (Seetag) Dieser Tag begann so triste, wie sich übellaunige Landratten einen solchen Seetag gern als typisch vorstellen: Grauen ringsum! Bewegte See, durch Dunst und Nebel eingeschränkte Sicht, die Sonne scheint in Strömen … Da ist das leichte Rollen und Stampfen des Schiffes noch das angenehmste, und man bliebe am liebsten gleich in der Koje. Aber das Frühstück ruft, und so erscheine ich pflichtgemäß und als einziger pünktlich um 7:00 Uhr in der Messe zu Rührei und Speck, zu Wurst und Brot, zu Kaffee und Saft. Wohlgenährt zur Kabine zurückgekehrt, entscheide ich mich, ein paar der jetzt schon wieder unzähligen Fotos zu bearbeiten und in dieses Reisetagebuch einzufügen. Ich bin so gerade richtig in Fahrt, da klingelt das Kabinentelefon, und der Kapitän persönlich meldet sich, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Ich versichere ihm, dass alles ok sei und ich mich wohl fühle. Er fragt, ob Paulina (die polnische Seekadettin und angehende Navigationsoffizierin) kurz meine Kammer durchsäubern könne. Ich hätte zwar nichts dagegen, antworte ich, aber die Kabine sei erst gestern von „Dschann“ komplett gereinigt worden. Doch sie könne selbstverständlich noch einmal nachschauen. Kurz darauf klopft sie auch schon. Sie schaut nicht wirklich begeistert aus der Wäsche mit ihrem Superman-T-Shirt. Ich lade sie ein, sich umzuschauen und alles sauber zu machen, was ihr irgendwie schmutzig vorkäme. Schließlich einigen wir uns darauf, dass sie die ganze Kabine nochmals komplett durchsaugt für den Fall, dass „Dschann“ am Vortag ein Stäubchen übersehen hätte. Nach einigen Minuten ist das Werk vollbracht, und sie verabschiedet sich freundlich. Kaum habe ich die Arbeit am Reisetagebuch wiederaufgenommen, klopft es an der Tür, und „Dschann“ schaut herein Ob er noch etwas in Ordnung bringen oder reinigen könne, oder ob Paulina schon da gewesen sei, oder ob ich noch mehr Wasser für den Kühlschrank benötige? Alles ok, versichere ich ihm, alles wunderbar, und so zieht er sich dann wieder vornehm zurück. Ob Seetage auch für Seefahrer manchmal trist und öde sind, und sie froh sind, irgendetwas tun zu können? Oder ist es die Fürsorge des Kapitäns für seine Mannschaft, dass er bei niemandem Langeweile aufkommen lassen möchte? So oder so: Ich werde mich bemühen, für den nächsten Seetag etwas mehr Staub und Dreck vorrätig zu halten.


Gegen halb zwölf stieg ich nochmals die drei Decks bis zur Brücke hinauf, um auch diesen Blick einmal bei etwas rauerer See zu erleben. Hier schoben der Kapitän, dem man in Rotterdam seinen 3. Offizier genommen hatte, und „Raumpflegerin“ bzw. Seekadettin Paulina die Wache, während die Steuerung selbst dem Autopiloten überlassen war. Das gab dem Kapitän die Freiheit, mir viele neue Dinge über die Navigation selbst und über die Hilfsmittel zur Navigation zu erklären. „Wussten Sie schon, dass …“ es für die unterschiedlichen Fahrgebiete Strömungsatlanten gibt, die einem auf die Stunde genau zeigen, mit welchen Strömungen und Gegenströmungen und Strömungsstärken man an den unterschiedlichsten Orten des Fahrgebiets rechnen muss? Ich wusste es bisher noch nicht, und auch nicht, dass diese Informationen auch heute noch in jahrhundertealten Messreihen ihre Grundlage haben.

Beim Mittagessen (Gulaschsuppe; Fischfilet mit buntem Kartoffelsalat und Tomatenvierteln; frische Ananas mit Sprühsahne) leiste ich zunächst dem Chief Gesellschaft, der mir freundlich anbietet, ihn nach kurzer Mittagsrast gegen 14:00 Uhr im Maschinenstand zu besuchen, von wo aus er mir die Maschine zeigen könne, wenn ich interessiert sei. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen, und stimmte begeistert zu. Dann gesellte sich noch der Kapitän zu uns, der auch mit einer Einladung aufwartete: Am morgigen zweiten Seetag, sofern das Wetter sich bis dahin einigermaßen beruhigt hätte, könnten wir ja mal einen Gang über das Frachtdeck bis vorne zum Bug unternehmen, da gäbe es sicher auch manches Interessante zu sehen. Ein Ansporn mehr für mich, den Teller ordentlich leerzumachen … Dem kurzen Nickerchen folgte also der Besuch beim Chief, der mir nicht ohne Stolz sein Reich präsentierte: zunächst den Kontrollraum, von dem aus alle Anlagen und Maschinen überwacht werden, dann ein Blick hinter die Kulissen der Schaltschränke, schließlich – die Ohren mit Kopfhörern


gut geschützt – in den eigentlichen Maschinenraum. Hier verrichtete unter enormen Lärm und mit einem aktuellen Verbrauch von 27 Litern pro Minute ein 9-Zylinder-4-Takt-Motor von MAK seinen schweren Dienst. Je nach Treibstoffart (Schweröl oder Gasöl, abhängig vom Fahrgebiet und den gesetzlichen Auflagen) und gewünschter Fahrleistung verbraucht die Maschine pro 24 Stunden bis zu 30 Tonnen Öl. Wenn man bedenkt, dass bei 17 Knoten Fahrgeschwindigkeit in 24 Stunden eine Strecke von 720 km zurückgelegt wird und dabei 1008 Container zugleich transportiert werden, errechnet sich ein theoretischer Verbrauch von nur 4 Litern, die benötigt werden, um einen 20-Fuß-Container mit bis zu 30 Tonnen Gewicht 100 Kilometer weit zu transportieren.

Bei aller Tristesse und allem Grauen um uns herum war es also ein durchaus spannender, abwechslungsreicher und interessanter Tag auf See. Nun aber geht es wieder einmal in die Koje, in der ich die bisherigen Nächte gut und sicher wie in Abrahams Schoß geruht habe und gewiss auch gleich wieder schnell in den Schlaf geschaukelt werde.


Mittwoch, 3. August (Seetag) Der Morgen graute so wenig versprechend wie am gestrigen Tag: Regen prasselte gegen die Fenster, die Sicht blieb sehr eingeschränkt, und die Roll- und Stampfbewegungen forderten den Gleichgewichtssinn weiterhin heraus – wenngleich scheinbar etwas milder als am vorangegangenen Abend und zu Beginn der Nacht. Kurz vor Mitternacht hatten wir westlich von Brest den Kanal verlassen und waren auf südlicheren Kurs eingeschwenkt, um nun die Biskaya von der Nordwestspitze Frankreichs (Point du Raz) zur Nordwestspitze der iberischen Halbinsel (Cap Finistére) zu queren. Damit lag ein weiterer Seetag vor uns, erst am kommenden Morgen sollten wir Vigo als unseren nächsten Bestimmungshafen erreichen. Nach dem Morgengebet und dem Frühstück machte ich es mir angesichts des unwirtlichen Wetters draußen in meiner Kabine auf der Eckcouch bequem und widmete mich wieder der Augustinus-Biographie. Vielleicht war es auch etwas zu gemütlich: Zwischendurch fielen mir immer wieder einmal die Augen zu, und ich tagträumte von Hippo und Thagaste, von Pelagianern und Donatisten, von römischen Kaisern und Goten in Rom. Von Seite zu Seite und von Traum zu Traum änderte sich – zunächst unmerklich – das Wetter hin zum Guten: Der Regen ließ nach und verebbte schließlich ganz, die Temperaturen stiegen auf angenehme Werte, und im Grau des Himmels zeigten sich erste blaue Felder. Das Mittagessen um zwölf begann mit einer Art von Minestrone, in der vor allem die weißen Bohnen noch sehr al dente waren – na ja, zur Not ließ sich ja in meiner Kammer ein Fenster öffnen … Der Hauptgang war dann wieder sehr schmackhaft: Ein richtig guter Schweinebraten mit grünen Bohnen und Kartoffelpüree. Nach der fast schon obligatorischen Unterstunde meldete sich gegen 15:00 Uhr Kapitän Hollack bei mir und lud mich ein zu einem Spaziergang über das Frachtdeck nach vorn zum Bug. Dieses Abenteuer wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, also festes Schuhwerk an die Füße, Kamera geschnappt, und los konnte es gehen. Treppab und Leiter auf ging es nun entlang der Aussenreling zu den verschiedenen Arbeitsstationen, versehen mit den sachkundigen und für mich als absoluten Laien stets interessanten Ausführungen des Kapitäns. Während die Alana an sich von ihrer Bauart her ein „Opentopper“ ist, verfügt sie im vorderen Bereich auch über zwei verschließbare Luken.


Da das Schiff nicht komplett beladen ist, war eine der Luken mit ihrem Deckel verschlossen, auf den wir hinaufstiegen. Vorne und hinten Container und zu beiden Seiten das Meer: Das hätte eigentlich auch ein schönes, windgeschütztes Sonnendeck sein können …

In der Bugspitze, die mit einem geschlossenen Schild als Wellenbrecher geschützt ist, gab’s die riesigen Trommeln mit den Festmacherleinen zu sehen sowie die beiden Ankerwinden mit den je etwa 270 m langen Ankerketten. Das beeindruckendste aber war zweifellos der Tiefblick aus der vordersten Öffnung hinunter auf den Bugwulst, der im Rhythmus der Fahrbewegungen des Schiffes die Wasserfläche in stetem Auf und Ab durchbrach. Überdies war der Besuch hier vorn gut getimt: Wie für den Fotografen eigens bestellt, schob sich am Horizont die MSC Melissa durch den bordeigenen „Bilderrahmen“. Hier vorn hätte ich gern noch mehr Zeit zugebracht, auch wegen der erfrischenden Seebrise – na ja, vielleicht ergibt sich ja noch einmal die Gelegenheit.


Zum Abendessen wurde eine meiner Lieblingsspeisen gereicht: Hühnerfrikassee mit Reis. Dazu überraschte der Kapitän mit einer Einladung zu einem Glas chilenischen Rotweins. Wollte ich mich auf dieser Reise nicht ganz des Alkohols enthalten, und war mir dies in den vergangenen fünf Tagen nicht ganz hervorragend und ohne „Schüttelfrost“ gelungen? Andererseits: konnte ich dem Kapitän, der sich mir gegenüber so freundlich erwiesen hatte zurückweisen und seine Einladung ablehnen? Mein Zögern war nur kurz, und der Wein ganz lecker … Und der Tag hielt noch eine Überraschung bereit: Um noch ein wenig die warme Abendluft zu genießen, stieg ich noch einmal hinauf zum Brückendeck, um dort den weiten Blick über das Meer zu genießen. An Steuerbord voraus lief der Container- und Stückgutfrachter Red Cedar, steuerbord achteraus fiel die kleine Nordic Diana mehr und mehr hinter uns zurück.


Diese beeindruckte mich weniger durch ihre bescheidene Größe, als durch ihre auffallend starken Rollbewegungen. Immer wieder ließ ich meine Blicke über die leicht bewegte Oberfläche des Meeres schweifen. Und plötzlich sah ich weit zurück an der Backbordseite einen Blas! Da musste also ein Wal seine Bahnen ziehen. Schade, dass die Position des Wals so weit weg war. Minuten später dann erneut ein Blas, diesmal achteraus an Steuerbord, und nicht mehr so weit entfernt. Und nun konnte ich sie auch sehen: zwei Wale, die mehrfach parallel versetzt zueinander die Meeresoberfläche durchpflügten. Bis ich meine Kamera „schussbereit“ und die Tiere angezielt hatte, war das Vergnügen aber auch schon fast vorbei. Immerhin, zwei Rücken und eine Rückenflosse konnte ich auf drei Fotos der beliebten Reihe „Na, wo ist der Fisch?“ festhalten, die mir halfen, das erlebte nicht auch als Tagtraum abzutun.

Seetage seien langweilig, behaupten manche Kreuzfahrer – ich habe keine Ahnung, was sie damit meinen.


Donnerstag, 4. August Der langanhaltend durchdringende Ton des Nebelhorns bei der morgendlichen Einfahrt in den Hafen von Vigo verhieß nichts Gutes, und der Blick aus dem Kabinenfenster bestätigte den Verdacht: Statt mit einem strahlenden Sonnenaufgang erwartete uns das spanische Vigo (ca. 120 km südlich von Santiago de Compostela am Atlantik gelegen) mit Nebelschwaden, Dunst und Nieselregen im ungemütlichen Wechsel. Allein, das konnte den Appetit auf zwei Spiegeleier zum Frühstück nicht vermiesen, und auch eine „Luftprobe“ auf dem Achterdeck versprach zumindest annehmbare Temperaturen.

An Steuerbord achteraus lugte der Monte De A Guia aus der Nebelsuppe mit einem Turm auf seiner Spitze. Von diesem wurden um punkt 8:00 Uhr nacheinander 21 Bombarden in die Höhe geschossen, die sich, grellweiß explodierend, mit kräftigem Donnerschall in Rauch auflösten. Wem dieser Salut gegolten hat, konnte ich bisher nicht herausfinden – im Zweifelsfalle eben der Alana und ihren Leuten … Gegen 8:20 Uhr informiert mich der Kapitän über das Kabinentelefon, dass die Liegezeit nicht wie noch am Vortag angenommen bis in die Abendstunden dauern würde, sondern nur bis ca. 13:30 Uhr. Wenn ich an Land gehen möchte, soll ich bitte bis spätestens 12:00 Uhr wieder an Bord zurück sein. Nun, dieser verkürzte Landgang war angesichts des trüben Wetters kein großer Verlust: Gut zwei Stunden lief ich durch das begrenzt sehenswerte Städtchen. Wenige Sehenswürdigkeiten paarten


sich an den dicht bebauten Hängen der umgebenden Hügel mit allerlei Scheußlichkeiten der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Wer nur auf die Idee gekommen ist, mitten in die verbliebenen Wallanlagen des Fort St. Sebastian einen barbarischen Hochhausklotz zu setzen? Und, schlimmer noch, wer dies wohl genehmigt haben mag? Eine drückend hohe Luftfeuchtigkeit, immer wieder ergänzt durch feinsten Sprühregen, lenkte meine Schritte fast schon automatisch wieder in Richtung der schwimmenden Heimat. Kurz schaute ich noch den Ladearbeiten bei unserem einzigen Nachbarn im Hafen zu, dem Schüttgutfrachter Manuela E. Diese wurde mittels eines riesigen Greifers mit zum Recycling bestimmtem Aluminiumschrott beladen, der in kühlschrankgroße Würfel zusammengepresst war. Wo dieses Abfallmaterial wieder zu reinem Aluminium umgeschmolzen wird, weiß ich nicht, aber das Ergebnis ließ sich in einem extra umzäunten Bereich des Hafens betrachten: Tausende Paletten mit aufeinander gestapelten Aluminiumbarren.

Zurück auf unserem „Dampfer“, konnte ich mich wieder trockenlegen und anschließend das Mittagessen genießen (Hühnersuppe mit Einlagen, Entenkeule mit Rotkohl an Kroketten). Vom trockenen Fensterplatz aus sah ich noch ein wenig dem Auf und Ab der Container zu, und um 14:20 Uhr wurde die Maschine wieder angelassen. Der Lotse ließ noch etwas auf sich warten, aber um kurz vor drei setzte sich die Alana wieder in Bewegung und stieß hinaus in die Nebelsuppe. Vor uns liegt ein kurzer Trip südwärts entlang der spanischen und portugiesischen Küste nach Leixoës, dem Hafen nahe der wunderschönen Städte Porto und Gaia an den beiden einander gegenüberliegenden Ufern des Douro, denen das ganze Land seinen Namen verdankt. Bis hierhin werden wir etwa 5 Stunden benötigen, werden also gegen 20:00 Uhr eintreffen. Die Liegezeit wird ähnlich kurz sein, wie in Vigo: Gegen 02:00 Uhr


morgen früh ist schon der Aufbruch nach Lissabon geplant. „So ist das eben in der Frachtschifffahrt …“ Man soll den Tag nicht vor dem Abend abschreiben: So wie wir nach dem Verlassen von Vigo auf die offene See hinauskamen, besserte sich das Wetter zusehends, und die Alana fuhr unter strahlender Sonne und blau leuchtendem Himmel ihrem Ziel entgegen.

Gegen 21:30 Uhr nahmen wir unmittelbar vor der Hafeneinfahrt von Leixoës den Lotsen an Bord, der uns bei sinkendem Sonnenlicht in den hintersten Winkel des Hafens führte. Nach einer 180°-Wende im Hafenbecken konnte Kapitän Hollack mal wieder beweisen, was in ihm steckt: Mit kühlem Blut und mit leichter Hand bugsierte er die knapp 150 Meter lange Alana rück- und seitwärts in die rund 175 Meter lange Parklücke zwischen der Red Cedar und der Vermeer. Gekonnt ist gekonnt! Inzwischen war es bereits 22:30 Uhr geworden. Doch trotz der vorgerückten Stunde und der angekündigt kurzen Liegezeit wollte ich doch noch eine kleine Runde durch das abendliche Leixoës drehen. Das Laufen tat zwar ganz gut, doch in der Stadt hatte man schon fast überall die Bürgersteige hochgeklappt. Immerhin: ein Eissalon hatte noch geöffnet, und da konnte ich dann doch nicht daran vorbeigehen, trotz gebratener Leber, geschmorten Zwiebeln und Kartoffelpüree zum Abendbrot …


Freitag, 5. August Von Leixoës aus führte nun die Reise bei zunehmend schönerem und wärmerem Wetter auf die portugiesische Hauptstadt zu: Lissabon, malerisch der Sonne zugewandt gelegen am nördlichen Ufer des Tejo, der sich hier in beeindruckender Weite in den Antlantik verströmt. Etwas vor 16:00 Uhr erreichten wir den Lotsenpunkt, mit Blick auf die dicht belegten Strände von Cascais an Backbord. Hierher treibt es nicht nur die sonnenhungrigen und hitzemüden Hauptstädter im Sommer, sondern auch so manchen gutbetuchten, aber leichtbekleideten Touristen. Der Blick voraus beeindruckte wie bisher noch bei jedem Lissabon-Anlauf mit der weit gespannten Hängebrücke, die den Lissaboner Stadtteil Belém mit dem am südlichen Ufer gelegenen Amalfi verbindet, dessen kolossales Wahrzeichen die segnende Statue des Cristo Re, des Königs Christus, hoch über dem Ufer des Tejo die Ankommenden begrüßt. So sehr die Brücke in ihrer roten Farbe und in ihrer Form an die Golden Gate Bridge in St. Francisco erinnert, so sehr lässt einen der Cristo Ré an sein Vorbild denken, die Christusstatue auf dem Corcovado in Rio de Janeiro. Unter der Brücke passierten wir noch an Backbord die MSC Genesis, die nur mit Hilfe zweier Schlepper ihren Weg in den Hafen fand. Es dauerte noch bis gegen 17:00 Uhr, bis die Alana nach einer 180°-Drehung an der Pier des „Terminal Contadores Santa Apolonia“ im Osten der Stadt festgemacht hatte. Bis dahin zogen viele der zahllosen Sehenswürdigkeiten der Stadt am Auge des Brückengasts vorüber: Der Torre de Belém; das Wahrzeichen für Heinrich den Seefahrer und die portugiesischen Entdecker (diesmal leider eingerüstet und daher nicht fotogen); das Hieronymus-Kloster mit seinem langgestreckten Gebäudekomplex;


das Parlamentsgebäude im höher gelegenen Teil der Stadt; die Plaza Mayor mit ihren monumentalen Gebäuden und dem großen Tor, das in das Herz der Stadt führt; Den Festungshügel mit der St.-Georgs-Burg; die mittelalterliche Kathedrale; Konventsgebäude und -kirche von Sao Vicente; schließlich die herausragende Kuppel des Nationalen Pantheons.

Da unsere Weiterfahrt noch in der Nacht erfolgen sollte, war ich gebeten, vom geplanten Landgang nicht später als bis um 21:00 Uhr zurück zu sein. Nun hatte ich die vorgenannten Sehenswürdigkeiten (und einige mehr) schon bei früheren Lissabon-Besuchen kennengelernt, so dass mir die Beschränkung nicht schwerfiel. Ich blieb in den eher östlich gelegenen Vierteln rings um das Pantheon, gönnte mir ein leckeres, kühles Bier im „Café Elettrico“ an einer Engstelle für die historischen Straßenbahnen, die hier im Abstand weniger Minuten – vollgepackt mit Menschen – um die Ecke quietschen und zuckelten, und zog noch ein wenig kreuz und quer durch die engen und verwinkelten Gassen der Alfama, um schließlich wieder unten am Tejo zu landen.


Am Tejo entlang führte der Weg dann wieder zurück zum Schiff, nicht ohne zuvor noch beim Lidl meines Vertrauens ein paar Flaschen Portwein zu erstehen, um sie dem Kapitän und der Crew zum Nachtisch am Sonntag kredenzen zu können. An Bord zurückgekehrt, erwartete mich da bereits das Abendessen fertig angerichtet auf einem Teller, ich musste es nur noch für eine kurze Zeit in die Mikrowelle schieben, doch schon konnte ich es genießen: HähnchenCordonbleu mit Bohnen an Reis. Die nächtliche Ausfahrt aus Lissabon durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen: Eine bezaubernde Lichterfahrt, die man da als Brückengast miterleben kann. Nach dem Aussetzen des Lotsen und dem Verlassen der Tejo-Mündung mit Südkurs auf Setubal verabschiedete ich mich gegen 00:40 Uhr vom Wache schiebenden Kapitän, um noch ein wenig zu schlafen, bevor die Einfahrt in die Mündung des Sado in den nahegelegenen Hafen von Setubal auf dem Programm stand – die Übernahme des Lotsen war für 04:00 Uhr vorgesehen …


Samstag, 6. August Zugegeben: Es kostete mich schon einige Überwindung, mich nach nur drei Stunden Schlaf aus der Koje zu wälzen und mich für den nächsten Brückengang bereit zu machen. Doch das Erlebnis, im Dunkeln dem Sado entgegen nach Setubal einzulaufen, ist sicher mehr wert, als ein paar zu kurz gekommene Träume.Das Städtchen Setubal liegt an der letzten Biegung, die der Sado, von Südosten kommend, nach Westen nimmt, um sich dann im Atlantik zu verströmen. Gemessen an der insgesamt breiten Wasserfläche, die das Ästuar des Sado bietet, ist die Fahrrinne, die über genügend Wassertiefe auch für größere Schiffe verfügt, relativ eng und bedarf aufmerksamer Navigation. Am nördlichen wie am südlichen Ufer des Flusses gibt es zahlreiche, weiße Sandstrände, die zu den hellen Tagesstunden auch gut mit Badenden besiedelt waren. Dies allerdings blieb unseren Augen zu dieser nächtlichen Stunde noch verborgen. Wir passierten die gut beleuchtete Wasserfront von Setubal und folgten der Biegung des Flusses nach Südosten bis zu unserem vorgesehenen Liegeplatz im Terminal de Contandores am südlichen Rande der Stadt. Hier legte die Alana an und wurde gegen 5:00 Uhr morgens festgemacht. So verblieb noch etwas Zeit für einen kurzen Zweitschlaf bis zum Frühstück. Doch zwischen Morgengebet und Frühstück bot sich schon das erste Highlight des neuen Tages: schon in der Morgendämmerung war mir durch das Kabinenfenster hindurch eine kleine Kapelle auf einer Anhöhe aufgefallen. Genau hinter dieser erhob sich nun vor meinen Augen wenige Minuten vor acht Uhr die Sonne mit ihrem gleißenden Licht – traumhaft!


Das Frühstück war wieder gewohnt herzhaft: Sausage and Egg standen neben all dem üblichen Angebot auf der Speisekarte. Inzwischen war es schon ziemlich heiß draußen geworden, und die Kräne an Land begannen so langsam die Löscharbeiten auch an unserem Schiff. Wegen der Hitze hatte ich eigentlich vor, nur zu der nahegelegen erscheinenden „Sonnenaufgangskapelle“ zu laufen, und mir für diesen Gang die Zeit nach dem Mittagessen bis zur Boardingtime zu nehmen. Den Vormittag hingegen nutzte ich für weiteres Lesen, wozu ich im Alltag eigentlich viel zu wenig komme. Nach einer schmackhaften Portion Garnelen in Pilzsoße an Reis fühlte ich mich ausreichend gestärkt für den üblicherweise ermüdenden Gang zum Hafenausgang und dem Abstecher zur Kapelle. Doch wieder kam es anders, als gedacht: Ja, der Weg zum Hafenausgang zog sich wieder einmal in die Länge, doch im Anschluss daran konnte man über eine Brücke zwar die Schnellstraße nach Setubal überqueren, nicht aber die dahinter und vom Schiff aus unsichtbare Eisenbahntrasse. So nah die Kapelle anfangs schien, so unerreichbar war sie plötzlich geworden. Trotzig sagte ich mir „Jetzt erst recht, dann gehst du eben nach Setubal“ – besser hätte ich mich für meine kleineren Sünden kaum bestrafen können: Ein langer, erbarmungslos besonnter Fußmarsch von etwa 45 Minuten Dauer entlang der Schnellstraße wurde nun zu meinem Bußwerk – machbar, aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Setubal selbst allerdings erwies sich als ein schönes und sehenswertes Städtchen, an diesem Wochenende voller besonderer Lebendigkeit: Als „UN-Weltstadt des Sports 2016“ erwartete man an diesem Tag zwar nicht mich, dafür aber den Zieleinlauf der großen Portugalrundfahrt der Radrennfahrer, zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt. So hatte man die Stadt recht hübsch herausgeputzt, und es waren viele Menschen aus ganz Portugal im Ort, um das besondere Ereignis mitzuerleben. Ob es die Angst vor den vielen Fremden war, dass man alle Kirchen in der Stadt, selbst die Kathedrale fest verrammelt hatte? Nun, für eine lange Besichtigung hätte meine Zeit ja doch nicht gereicht,


zumal es in den umliegenden Gassen noch genug zu sehen gab – leider auch an nicht zu übersehenden Verfall.

Trotz einer kleinen Erfrischung in Form einer Gerstensaft-Kaltschale hatte ich in dieser brütenden Hitze keine wirkliche Lust auf den langen Marsch zurück. Wegen der vielen Touristen in der Stadt zwar mit einiger Mühe, aber immerhin rechtzeitig gelang es mir, ein Taxi zu erobern, dass mich nicht nur klimatisiert, sondern auch noch für schlappe 5,30 Euro bis an das Tor zum Hafen fuhr. Die verbleibende Strecke zu Fuß von dort bis auf’s Schiff war noch Strapaze genug. Hier wartete man schon mit dem Abendessen auf mich. Bauchspeck, Erbsen und Bratkartoffeln sind zwar nicht mein Lieblingsgericht, aber der Hunger treibt’s hinein … Nachdem ich mich etwas trockengelegt und frisch gemacht hatte, bezog ich wieder Position auf meinem „Privatbalkon“ mit Aussicht nach achtern und hinüber zu den frequentierten Stränden am Westufer des Sado. Die Zeit bis zum Auslaufen genoss ich bei nunmehr schon gemäßigten Temperaturen lesend an Deck. Gegen 21:00 Uhr begab ich mich noch einmal hinauf zur Brücke, wo sich der Tag mit einem herrlichen Sonnenuntergang so rotgolden verabschiedete, wie er am Morgen bei der unerreichbaren Kapelle begonnen hatte.


Sonntag, 7. August Nachdem man uns in Setubal ziemliche Lücken in unsere Tetris-Stapel gerissen hatte und man an etlichen Stellen den nackten Frachtraumboden betrachten konnte, sollten in Leixoës für die Rückreise nach Felixstowe und Rotterdam doch wieder eine größere Zahl von Containern an Bord genommen werden. Dies versprach einen etwas längeren Aufenthalt in Leixoës, dazu über die hellen (und warmen) Tagesstunden. Gleich nach dem Frühstück (Pancake mit Nutella) ging’s also wieder hinauf auf die Brücke, um die Einfahrt in den Hafen diesmal bei strahlendem Sonnenschein mitzuerleben. Die Aufnahme des Lotsen geschah gegen 8:30 Uhr, und nachdem wir auch dieses Mal die geöffnete Klappbrücke durchquert und unsere 180°-Wendung vollzogen hatten, ging es im Rückwärtsgang an den altvertrauten Liegeplatz, gleich hinter dem etwas größeren Kistenschlepper Panther mit Heimathafen Monrovia. An diesem beeindruckten unter anderem die vielen Rollen verrosteten Stacheldrahts, mit denen die Reling ringsherum umwunden war – ganz offensichtlich musste die Panther wohl des öfteren auch in Gebieten unterwegs sein, in denen man sich gegen enternde Piratenbanden verteidigen musste. Ein weiteres auffälliges Schiff war die E-Ship 1 aus Emden mit ihren 4 starken und hohen Montagesäulen an den vier Ecken des Laderaums, der zudem nicht vor, sondern hinter dem Brückenaufbau lag. Auf ihr waren schon einige Bauelemente wie Pylonabschnitte, Rotorköpfe und Rotorblätter für den Offshore-Aufbau von Windkraftanlagen gestaut und gelascht, weitere überdimensionale Propellerblätter warteten auf Speziallastwagen am Kai auf ihre Verladung. Kaum hatte die Alana gegen 10:00 Uhr festgemacht und war die Gangway ausgebracht, machte ich mich bei jetzt schon großer Hitze auf den bekannt langen Weg zum Hafentor und von dort in die Stadt. Ich wollte die Zeit


nutzen, um diesmal etwas mehr von Leixoës zu erkunden als beim ersten Besuch, ehe ich zur vereinbarten Zeit (spätestens 14:00 Uhr) wieder an Bord zurückkehren würde. Noch war die Hitze zu ertragen, und so machte ich mich schnurstracks auf den Weg den Hafen entlang und in die Stadt hinein zu dem herrlichen Stadtstrand von Leixoës, der sich zwischen der Hafeneinfahrt einerseits und dem alten Fort andererseits weitläufig erstreckte. Schon war der Strand recht gut besucht, und man hatte den Eindruck, dass minütlich mehr und mehr Menschen dem Wasser entgegenzogen, bepackt mit Sonnenschirmen, Kühltaschen und allem, was man sonst so für einen erholsamen Familien-Sonntag am Strand benötigt. Das nächstgelegene BuondiStrandcafé zog meine Schritte wie magisch an, und unter einem Sonnenschirm machte ich es mir recht gemütlich. Zur Erfrischung trug zum einen der recht kräftige Wind bei, zum anderen aber auch das eine und andere kühle Getränk: Man servierte mir mit großer Freundlichkeit und in bester Lage einen halben Liter Mineralwasser und ein kleines Bier für sage und schreibe 2,90 € – Ausblick und Kurtaxe inbegriffen. Solchermaßen gestärkt und erfrischt, lief ich dann noch einige hundert Meter weiter den Strand entlang, nicht ohne gelegentlich auch einige Schritte durch die auslaufenden Wellen des Atlantik zu lenken. Die Wassertemperatur war im Gegensatz zur Lufttemperatur überraschend kühl und machte es sofort verständlich, dass von der überwiegenden Mehrheit der Strandbesucher zu dieser noch relativ frühen Tageszeit das Sonnenund Windbad offensichtlich dem Bad im Meer vorgezogen wurde. Dennoch hielten sich auch etliche Personen schon im Wasser auf, zumeist mit unterschiedlichen Ballspielen oder auch mit dem Wellenreiten beschäftigt. So langsam wurde es Zeit, wieder an den langen Rückweg zu denken – allein für den Weg vom Hafentor bis zum Liegeplatz der Alana waren knapp 20 Minuten zu veranschlagen. Dennoch ließ ich


es mir nicht nehmen, den Weg zur Hauptkirche, der Igreja Matriz von Leixoës zu suchen und zu finden. Ein schönes Gebäude im typischen iberischen Stil mit einem großen, mit einfachen Mosaiken bedeckten Vorplatz, einigen Brunnen und Wasserspielen und einem kleinen Park. In der Kirche wurde gerade die Mittagsmesse gelesen, den Abschluss der (für mich unverständlichen) Predigt und das große Glaubensbekenntnis bekam ich in der überraschend gut besuchten Kirche mit – es waren anscheinend doch nicht alle Bewohner der Stadt schon am Strand.

Auf dem weiteren Rückweg zum Hafen entschied ich mich, in einem geöffneten Café einen großen Karton mit unterschiedlichen, vor allem aber süßen Backwaren zu erstehen, um damit der Crew eine kleine Sonntagsfreude zu bereiten, und ich hatte den Eindruck, dass dies auch gelungen ist. Das Gewicht des Kartons zog nach und nach meine Arme in die Länge, hingegen ließ die unbarmherzige Sonne meine Schritte immer schneller werden: Die Klimaanlage der Alana zog mich an wie ein riesiger Magnet, und so erreichte ich das Schiff problemlos im vorgegebenen Zeitfenster. Um 13:20 Uhr ging ich wieder an Bord und erst einmal unter die Dusche, nachdem ich dem Küchenhelfer Jan mein Paket überreicht hatte mit der Bitte, den Inhalt zunächst der Kühlung und dann zum Abendessen den Mägen der Mannschaft anzuvertrauen. Für den Nachmittag versuchte ich, es mir auf dem im Schatten liegenden „Balkon“ gemütlich zu machen und etwas zu lesen. Doch wegen der Hitze selbst im Schatten flüchtete ich mich rasch wieder in die (fast zu) kühle Kabine, wo ich mich in mein E-Book vertiefte. Nachdem ich die AugustinusBiografie ja schon abgeschlossen hatte, war jetzt die interessante und stellenweise auch spannende Arbeit „Ein König wird beseitigt“ von Heinz Häf-


ner über den Tod Ludwig II. von Bayern an der Reihe. Große Teile des Buches hatte ich bereits bei früherer Gelegenheit gelesen, es musste jetzt nur noch „gefinished“ werden. Um 16:40 Uhr durchlief ein wohlvertrautes Zittern das Schiff, der Neunzylinder kam auf Touren, die Leinen wurden losgemacht und die Alana nahm wieder Fahrt auf, hinaus aus dem Hafen und nordwärts auf das offene Meer. Bei der Ausfahrt boten sich noch einmal schöne Rückblicke auf den Hafen, auf die Stadt und auf den dicht bevölkerten Strand von Leixoës – vermutlich waren jetzt auch noch die Besucher der Spätmesse dort angekommen. Zum sonntäglichen Abendessen wurde Champignoncremesuppe, Pizza „Supreme“ sowie Pistazieneis gereicht. Und dann standen dann in beiden Messen noch Schüsseln mit portugiesischem Gebäck zur Selbstbedienung bereit, aus denen sich nicht nur der Kapitän mit sichtlicher Freude bediente. Etwas bedrückend hingegen fiel diesmal der Aufstieg aus von der Messe hinauf über die Freitreppe achtern zur Kabine auf dem C-Deck:

gegen 18:45 Uhr, wir befanden uns wohl auf Höhe der portugiesischen Küstenorte Estrela und Apulia, sah man über dem Küstenstreifen riesige, dunkle Rauchsäulen zum Himmel steigen und ließen die Urgewalt erahnen, mit der auch in diesem Sommer wieder verheerenden Waldbrände die Küsten Portugals und Spaniens heimsuchen. Beim letzten abendlichen Besuch auf der Brücke kündigte der Kapitän noch ein weiteres Highlight für den kommenden Seetag an. Vorausgesetzt, dass das Wetter es zulasse, sollte ab 15:00 Uhr ein Dartturnier sowie ein Barbecue durchgeführt werden. Lassen wir uns überraschen …


Montag, 8. August (Seetag) Keine besonderen Vorkommnisse – so lässt sich der Vormittag dieses ersten Seetags auf unserer Rückreise nach Felixstowe durchaus richtig überschreiben: Wie an einer mächtigen Schnur gezogen folgt die Alana mit etwa 17 kn Geschwindigkeit dem vorgegebenen Kurs durch die Biskaya. Diese präsentiert sich heute noch ruhiger, als schon auf dem Hinweg, und lässt kaum vermuten, dass den Schiffsboden und den Meeresboden mehr als 3.000 Meter Wasser trennen. Ein leicht umwölkter Sonnenaufgang am Morgen und zeitweise auch dichtere Wolkenfelder am Vormittag lassen etwas Sorge aufkommen, ob es wohl etwas wird mit dem Barbecue am Nachmittag. Die Vorbereitungen dafür nehmen auf jeden Fall Fahrt auf: Auf dem A-Deck werden Tische und Sitzgelegenheiten bereitgestellt und der Grill in Stellung gebracht. Eine große Deutschlandfahne und ein überdimensionaler Alana-Wimpel dienen der Dekoration.

Die umfangreichsten Vorbereitungen aber laufen in der kleinen Kombüse, wo Smutje Roger sich selbst übertrifft in der Vorbereitung von fleischlichen Genüssen für den Grill – verständlich, dass wir uns mit Aussicht auf diese köstlichen Speisen beim Mittagessen mit einer schlichten Suppe zufriedengeben. Und dann ist es soweit: Um 15:00 Uhr versammelt der Kapitän seine Mannschaft mit Ausnahme der Brückenwache auf dem Office-Deck gleich unter der Proviantierungsluke. Hier ist, in semiprofessioneller Weise und


hervorragend ausgeleuchtet, die Dartscheibe montiert, auf die nun alle nacheinander ihre Würfe abgeben dürfen. Auch ich bin einer der vier dreibis vierköpfigen Mannschaften zugeteilt, und finde mich – ich weiß nicht, wie – am Ende des ersten Durchgangs als Zweiter meiner Gruppe im Viertelfinale. Hier treffen nun kreuzweise die Sieger aus der Vorrunde auf die Zweitplatzierten. Mein „Gegner“ ist Ramil, dem ich mich schließlich in fairem Zweikampf geschlagen geben muss – immerhin, so sollte sich später


herausstellen, verlor ich gegen den Zweitbesten des Turniers, und damit konnte ich durchaus leben (zumal mir damit die Peinlichkeit erspart blieb, den von mir als 2. Preis spendierten Selfie-Stick selbst zu gewinnen.) Irgendwann zwischen Viertel- und Halbfinale wurde dann auf dem A-Deck das Grillbuffet eröffnet. Softdrinks, Bier und Wein bildeten die flüssige Grundlage, aber auch eine Whiskey-Flasche machte die Runde, die der 2. Ingenieur aus Anlass seines Geburtstags spendierte. Vom Grill und aus dem Ofen der Kombüse hingegen kamen ein riesiger, knuspriger Rollbraten, Unmengen von Schaschlikspießen, mit Gemüse gefüllte Tintenfische, Bauchfleisch, Würste … dazu verschiedene Salate, geröstetes Knoblauchbrot und vieles mehr.

„Und das alles bei einem Verpflegungssatz von 8,50 €!“, wie der Kapitän lachend einwarf, dem ganz offensichtlich das Fest hervorragend gefiel und das Essen vorzüglich schmeckte – wie mir übrigens auch. Das Fest und die entspannte Atmosphäre bot mir zudem die Möglichkeit, etwas näher mit einigen der Crewmitglieder in Kontakt zu kommen. Die Gespräche, die sich nicht nur um Dart und um Essen und Trinken drehten, führten schließlich dazu, dass ich mich mit einigen von ihnen für den nächsten Morgen um 10:00 Uhr auf meiner Kabine zu einer Messfeier verabredete. Kapitän, 2. Offizier und 2. Ingenieur wurden informiert und hatten keine Einwände, und so war es doch gut, dass sich rein „zufällig“ in meinem Reisegepäck Kelch und Patene, Hostien und Messwein sowie ein englisches Missale befanden. Nach ein wenig Karaoke (ich durfte Frank Sinatras „My way“ zum Besten geben) und dann sehr viel und sehr lauter nxs-nxs-nxs-Musik von Paulinas i-Pad klang ein froher, geselliger Abend langsam aus – und das Wetter hatte tatsächlich mitgespielt.


Dienstag, 9. August (Seetag) Schon beim Frühstück empfing mich Jan nicht nur mit dem fast schon obligatorischen Angebot von „Scrambeld Eggs“, sondern auch mit der freudigaufgeregten Frage, ob es bei der Messe um 10:00 Uhr bliebe. Ich bestätigte dies, und wurde mit dem wie üblich leckeren und mit frischem Gemüse durchzogenen Rührei belohnt. Nach dem Frühstück begann ich dann, den Wohnraum der Kabine so gut wie möglich in eine kleine Kapelle umzuwandeln. „Zufällig“ hatte ich in meinem Gepäck auch noch ein weißes Altartuch, ein Corporale, eine Stola, ein Kelchtuch, ein Kreuz und zwei (LED)-Teelichter gefunden, mit denen sich unter den gegebenen Umständen ein brauchbarer Gottesdienstort herrichten ließ. Bis zur Ankunft meiner „kleinen Herde“ (ich hatte das Evangelium vom vergangenen Sonntag ausgewählt: „Don’t be afraid, you little flock …“) musste ich mich zwar etwas gedulden, doch um 10:15 Uhr konnte der Gottesdienst mit fünf zwar nicht von mir gefangenen, aber von Gott ergriffenen Brüdern von den Philippinen beginnen. Am Ende war auch ich ergriffen von ihrer Frömmigkeit und Dankbarkeit, die sie mir bekundeten. Insbesondere Ramiro, der mich am Vortag im Dart bezwungen hatte, rührte mich mit seiner Aussage, dass ihm diese Gelegenheit zur Mitfeier der Messe und zum Empfang der Heiligen Kommunion sehr viel bedeute: In den vier Jahren, seit er zur See fährt, sei es für ihn das erste Mal gewesen, dass er an Bord eines Schiffes einen Gottesdienst mitfeiern konnte. Bei den seltenen Landgängen, die ihnen möglich wären, seien die Kirchen meist verschlossen bzw. es fänden gerade keine Gottesdienste statt, wenn sie da wären. So bliebe für den Messbesuch immer nur die zwei- bis dreimonatige Urlaubszeit zwischen den in der Regel 9-10 Monate dauernden Kontrakten. Und wenn man dann bedenkt, wie groß die Sehnsucht nach der Heiligen Messe bei vielen ist, die eigentlich problemlos jeden Tag mitfeiern könnten (und ich schließe dabei uns Priester keineswegs aus!) … Den Rest des Vormittags verbrachte zwar mit dem E-Book in der Hand, aber weniger lesend als nachdenkend beim Blick über das weite Meer –


nur, eine wirkliche Lösung für die zigtausend „Katholiken zur See“ ist mir leider nicht eingefallen. Das Mittagessen lenkte schließlich wieder ab mit einer leckeren Überraschung, die ich auf einem Schiff eigentlich viel häufiger erwartet hätte, und die mich glauben machte, es sei schon wieder Freitag: Ein lecker gebratenes Stück Lachs, dazu etwas süß geratene Kartoffeln und saftiger Spinat – alles in allem eine wohlschmeckende Grundlage für einen kleinen Mittagsschlaf. Ein weiterer Versuch, meine Lesungen auf meinem „Privatbalkon“ fortzusetzen, musste ich schnell wieder beenden: Inzwischen hatte sich die Sonne in unseren Rücken gesetzt und schob uns mit ihren Strahlen an La Rochelle vorbei und hinein in den Englischen Kanal. Ihre Intensität war so stark, dass man es nicht gut darin aushalten konnte, und die Schiffsdichte hatte um uns herum mittlerweile so zugenommen, dass kein Buch spannend genug war, die Augen vom Wasser abzuwenden. So verging der Nachmittag mit kürzeren Leseaufenthalten in der gekühlten Kabine, einzelnen Spaziergängen über die Achterdecks und einem längeren „Foto-Shooting“ und „Fernglas-Looking“ von den Innen- und Aussenbereichen der Brücke aus. Achterdecks und Brücke waren dann auch noch einmal Aussichtsziele nach dem Abendessen (Frikadelle in Pilzsoße an Brokkoli und Kartoffelpürree), um zum einen den lebhaften Gegenverkehr mit kleinen, großen und größten Einheiten sowie den ebenso lebhaften Querverkehr der zwischen England und Frankreich pendelnden Fähren mitzuerleben, um zum anderen aber leider auch die Rückkehr in den gräulichen mitteleuropäischen Sommer zu realisieren: Dichte, graue Wolken und erste heftige Schauer lassen erahnen, was nun wieder an grauer Wirklichkeit auf uns zukommt. Da fällt der Gang hinunter in die Kabine schon viel leichter, hier kann man noch am besten die Augen vor dem Schiet-Wetter verschließen …


Mittwoch, 11. August Ein gerüttelt‘ Maß an Wartezeit galt es zu ertragen in den frühen Morgenstunden dieses nun schon vorletzten Tages an Bord: Offensichtlich wollte man uns kurz vor drei Uhr morgens noch nicht in den Hafen von Felixstowe einlaufen lassen, sodass wir etwa zwei Stunden vor dem Hafen liegen mussten mit laufender Maschine, die sich in dieser ungeliebten Gangart offensichtlich mehr schüttelt und rüttelt als unter normaler Fahrt. Jedenfalls genügte der Rhythmuswechsel, mich aus dem Schlaf zu holen – und ein Blick auf die Uhr genügte, mich dorthin wieder zurück zu befördern. Als ich mich dann meinem Wecker gehorsam gegen 07:20 Uhr erhob, hatte die Alana die letzten Meter in den Hafen schon längst geschafft und lag fest vertäut am Kai – vor uns der in Bauart und Größe ähnliche Feeder Aldebaran J, hinter uns der deutlich größere Kistenschlepper MSC Dymphna und am nächsten Terminal Schiff voraus die beiden Speckbacken Yang Ming World und Marit Maersk. (Für Speckbacken-Jäger scheint Felixstowe überhaupt ein ganz gutes Quartier zu sein: neben den vorgenannten passierte im Laufe des Vormittags auch noch die MSC Antalya den Hafenmund.)

Auf Landgang steht mir heute nicht so recht der Sinn: Felixstowe hatte ich ja erst kürzlich schon erwandert, und überhaupt will ich lieber noch so viel Zeit wie möglich an Bord verbringen, bevor in kaum mehr als 36 Stunden wieder der andauernde Landgang unausweichlich wird. Also widme ich die verbleibende Zeit lieber dem wiederholten Blick aus meinem Kabinenfenster auf den Hafen, nach vorne hinaus auf die Lade- und Entladearbeiten auf unserer Alana und fotografiere und filme, was mir von den Außendecks aus vor die Linse kommt. Einen anderen Teil der verbleibenden Zeit widme ich der Vervollständigung und Bebilderung dieses Reisetagebuchs,


von dem ich hoffe, dass es nicht nur mir eine schöne Erinnerung an diese Reise, sondern anderen auch eine gute Ermutigung sein wird, es selbst einmal mit dieser etwas anderen Art der Urlaubsgestaltung zu versuchen. Während ich das hier so schreibe, trifft die nächste Speckbacke in Felixstowe ein: Soeben macht die MSC Istanbul am Pier fest, und füllt damit die Lücke, die die Marit Maersk vor einer Stunde hinterlassen hat. Damit nicht genug: Wenig später erscheint auch noch die MSC Laurence in der Hafeneinfahrt und wird von den Schleppern Stanford und Intrepid zur breitesten Stelle bugsiert, wo sie vor meinen Augen und fast zum Greifen nahe gewendet und dann zu einem Liegeplatz weit hinter der MSC Dymphna geleitet, hinter der zudem noch die MSC Ingrid und die Maersk Kawasaki liegen – alles dicke Brocken.

Auch kulinarisch war dieser vorletzte Reisetag gut zu überstehen: Den zwei Spiegeleiern zum morgendlichen Wurstbrötchen folgten zum Mittag zwei Scheiben Schweinebraten mit grünen Bohnen und Kroketten, und das Abendessen wartete mit gebratenem Hähnchenschenkel, Brokkoli und Pommes frites auf – die Verpflegung ist also rustikal und hinreichend, weniger aber für Diätisten und vegane Seefahrer geeignet. Der Tag hat sich geneigt, die Alana ist um einige Kisten leichter geworden, und soeben erfasst das wohlvertraute Zittern unser Schiff: Es ist 18:00 Uhr, die Maschine hat sich in Gang gesetzt, und bald wohl werden die Leinen losgemacht. Vor uns liegt der Sprung über den Kanal nach Rotterdam:


zunächst nach Moerdijk, südlich der Stadt, und dann in den Eemhaven „mitten drin“, wo die Reise ihren Anfang nahm und ihr Ende finden wird. Noch dreht die Sonne einmal auf und versucht, die aufkommende Wehmut zu verscheuchen. Doch es hilft alles nichts: Ich werde mich wohl in den kommenden Stunden ernsthaft mit dem Kofferpacken vertraut machen müssen. (Der Kapitän packt übrigens auch: Er freut sich schon ganz doll auf die Rückkehr nach Rotterdam, denn dort beginnt sein achtwöchiger Urlaub. So verschieden kann es eben sein, wenn zwei dasselbe erleben.) OK, es geht los!


Donnerstag, 12. August Es war die letzte Nacht auf der Alana – und es war die einzige, in der ich nicht so gut geschlafen habe. Ob es die Aufregung war wegen des bevorstehenden Endes der Reise? Nein, der Grund war einfach: Unserem Chief war es am Vortag etwas kalt geworden, und so hatte er sich dazu entschlossen, die Klimaanlage einem von „Kühlen“ auf „Heizen“ umzustellen, mit der Folge, dass man in der Koje nur noch im eigenen Saft schwimmen konnte. Hier machte sich nun das zu öffnende Fenster im Wohnbereich der Kabine bezahlt – vielleicht wegen des erhöhten Luftwiderstands nicht so sehr für die Reederei, dafür umso mehr für mich als unter Hitzewallungen leidenden Passagier: Einen nicht geringen Teil der Nacht brachte ich auf der Eckbank liegend gleich unter dem weit geöffneten Fenster zu. Der leichte Schlaf bot zugleich die Möglichkeit, immer wieder zwischen den Traumphasen einen Blick hinaus aus dem Fenster zu werfen: Mittlerweile hatte sich unser Short-Sea-Feeder in ein Binnen-Containerschiff verwandelt und war über Neue und Alte Maas ins Rotterdamer Hinterland vorgedrungen. Das südlich der Stadt gelegene Moerdijk sollte am Morgen unsere letzte Station vor der Rückkehr in den Eemhaven sein, in dem die Reise (gefühlt doch gerade erst) begonnen hatte. Was will man von Abschiedstagen erwarten? Genau, trübes und nasskaltes Wetter, und genau das erwartete uns auch in Moerdijk. Zwar versuchte die Sonne noch so etwas wie einen zaghaften Aufgang, blieb aber schnell in den tiefliegenden Wolken stecken. So verging dieser letzte Tag an Bord eher in Tristesse, wobei die Rückfahrt durch die alte Maas nach Rotterdam am späten Nachmittag durchaus noch einmal erahnen ließ, wieviel Schönheit und Abwechslung auch diese Route zu bieten hätte – wenn halt die Sonne etwas mehr Chancen bekäme, die Konturen der Umgebung etwas besser auszuleuchten. Inzwischen war auch der neue Kapitän an Bord gekommen, der unseren „Schönwetter-Kapitän“ Norbert Hollack ablösen sollte, damit dieser seinen verdienten Urlaub antreten könnte. Doch noch hatte „mein“ Kapitän das Kommando, auch wenn sich das Wetter kaum noch darum scherte.


Es war schließlich Abend geworden, ehe wir im Beatrixhaven am Rotterdam Schortsea Terminal festmachten, wo dann alles sehr schnell ging: Mein Gepäck hatte ich mit „Dschann“s Hilfe bereits auf das Poopdeck heruntergebracht. Kapitän Hollack bemühte sich – schließlich auch ohne den zunächst nicht erreichbaren Agenten erfolgreich – darum, für mich ein Taxi an die Gangway zu bestellen, und gegen 20:00 Uhr war es schließlich so weit: So viele Hände geschüttelt, wie gerade noch erreichbar, ein paar hilflose Dankesworte gestammelt, die Gangway heruntergestolpert, die Koffer ins Taxi gewuchtet – und schon lagen die Alana und die schöne Zeit auf ihr hinter mir. Mit dem Taxi ging es nun zunächst wieder zur Immigration-Police am St.Jobs-Weg. Hier durfte ich mich in die Reihe derjenigen stellen, die sich so wie ich wieder in Europa anmelden wollten – obwohl ich während der ganzen Reise Europa kein einziges Mal verlassen hatte. Wozu dieser Bürokratismus tatsächlich gut sein soll, hat sich mir bis jetzt noch nicht erschlossen – zumal niemand wissen oder gar kontrollieren wollte, was ich denn in meinem Gepäck an verbotenen Substanzen bei mir führen würde. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal dann doch anstelle der Hostien ein paar Haschkekse einpacken, damit hätte ich ja dann die nicht geringen Taxikosten refinanzieren können … Letztes Ziel an diesem Tag war schon wieder ein Schiff: Bereits am Morgen hatte ich von Bord der Alana aus eine Einzelkajüte gebucht für zwei Nächte auf der SS Rotterdam, einem alten Holland-Amerika-Liner der Luxusklasse, der heute als Hotelschiff an der Katendrechts-Kaje im Herzen von Rotterdam festgemacht hat. Ich wollte die Reise mit einem Rotterdam-Tag ausklingen lassen, auch wenn das anhaltend miese Wetter eher zur vorzeitigen Abreise zu drängen schien. Gegen 22:00 Uhr schließlich erreichten wir den Dampfer, wo man mich an der Rezeption herzlich begrüßte. Aus Kostengründen hatte ich eine Einzel-Innenkabine gebucht. Die freundliche Dame an der Rezeption verkündete mir: „Wir haben die schönste Einzel-Innenkabine für Sie reserviert, Sie finden sie auf Deck A, Nr. 056“. Sie hatte –zwar freundlich lächelnd, aber doch – gelogen: Es han-


delte sich um eine geräumige und geschmackvoll eingerichtete Einzel-Außenkabine mit zwei mal zwei Bullaugen mit Blick auf die Pier und die Stadt. Hier würde ich mich für meinen Urlaubs-Absacker sicher wohl fühlen, das war mir von Anfang an klar. Zur Not würde ich auch hier einen weiteren verregneten Tag verbringen können, ohne einen Landgang zu vermissen. Eine flüchtige, nächtliche Inspektion des einstmaligen Luxusdampfers sowie eine Stippvisite in der im Stil der 1960er Jahre eingerichteten Bar zwecks Inhalation einer Gerstenkaltschale ließ dann an diesem von seiner Grundstimmung her eher traurigen Tag doch noch einmal dankbare Freude und wohlige Müdigkeit aufkommen. Und eine diesmal gut klimatisierte Kabine schenkte dann auch wieder einen angenehmen und erholsamen Schlaf.


Freitag, 13. August (Ausklang in Rotterdam) Schon beim üppigen Frühstück im Lido-Restaurant der SS Rotterdam zeigte es sich: dieser Tag würde mich wettermäßig für den Vortag wenn nicht entschädigen, so doch mit ihm versöhnen. Mehr Wolkenlücken als Wolkenfelder und hier und da einige wärmende Sonnenstrahlen machten es schnell klar: Museen sind gestrichen, die Stadt will erwandert sein. Doch zuvor gab es von den Aussendecks der SS Rotterdam noch einiges zu besichtigen und zu bestaunen, so den gewaltigen Schwimmkran, der am gegenüberliegenden Pier in einer Werft ein größeres Bauteil einer Schiffserweiterung zu bewegen hatte. Gegen 10:00 Uhr bestellte ich mir ein Wassertaxi ans Schiff (5,00 € je Fahrt, unabhängig vom Fahrtziel) und ließ mich in Flughöhe Null über das Wasser düsen hinüber zum Anleger an der Boompjesgaade nahe dem historischen Zentrum Rotterdams bzw. dessen, was der Bombenterror des Naziregimes davon noch übriggelassen hatte. Nicht zuletzt diesem Kriegsgräuel der flächenmäßigen Zerstörung verdankt die Stadt ja ihren heutigen, durchaus zwiespältigen Charakter: Nicht wirklich schön, aber ausgesprochen interessant und sehenswert zumindest für denjenigen, der sich für neuere und teils auch gewagte Architektur interessiert. Von hier also begann mein mehrstündiger Spaziergang durch die Stadt, zunächst über die Willemsbrug zur Koniginnenbrug und von hier aus zurück über den Oudehaven zu den irritierenden „Würfelhäusern“, der gläsernen Röhre der Markthallen und zur Groote St. Laurenskerk mit ihren prächtigen Orgeln, interessanten Ausstellungen und ihrer bewegenden Geschichte. Entlang der Aussenbereiche des maritimen Museums führte der Weg weiter über die Erasmusbrücke, eines der Wahrzeichen des modernen Rotterdam, zum Holland-Amerika-Kai


mit dem schönen Gebäude der gleichnamigen Schifffahrtsgesellschaft, erbaut im Jugendstil und heute bekannt als Hotel New York. Ein kurzer Weg noch über die Rijnhavenbrug führte mich zurück nach Katendrecht und dort zunächst einmal in die Food-Factory: ehemalige Lagerschuppen, in denen nun in derbem Industrieambiente ein buntes Gemisch an Speisen und Getränken feilgeboten wird, und das in Rotterdam sicher zu den aktuellen Szene-Locations gehört. Drinnen wie draußen genossen den mittlerweile sehr sonnig und warm gewordenen Nachmittag unendlich viele junge und junggebliebene Menschen das dolce fa niente, und ich schloss mich ihnen gern für eine längere Erholungs- und Stärkungsphase an. Dermaßen an Leib und Seele gestärkt, fielen auch die letzten Schritte hinüber zum Katendrechtshoofd nicht mehr schwer, und zur dort mit ihrer Bequemlichkeit und ihrem Komfort aufwartenden SS Rotterdam. Ein paar letzte Fotos der Grand Old Lady der Passagierschifffahrt im Sonnenschein und ein lauschiger Abend auf dem Lidodeck ließen nun auch diesen letzten maritimen Urlaubstag vergehen.

Morgen bleibt dann nur noch die Bahnfahrt über Utrecht und Emmerich nach Duisburg, und dann von der Abtei aus die Autofahrt zurück nach Cappenberg. Dort würde ich wohl am späten Nachmittag wieder eintrudeln.


Doch noch hatte ich ja eine Nacht vor mir, geborgen im Bauch eines Schiffes und eingehüllt in süße Träume von all dem, was ich in den zurückliegenden Tagen an Interessantem und Neuem erleben durfte. Hierfür sage ich von Herzen Dank dem Geber alles Guten und seinen irdischen Handlangern: Kapitän Hollack und seiner Mannschaft an Bord der MS Alania, den freundlichen Mitarbeiterinnen von Internationale Frachtschiffreisen Pfeiffer, meiner ständigen und getreuen Urlaubsvertretung Pater Norbert sowie meinen Mitbrüdern, die meine Eskapaden ja nicht nur ertragen, sondern auch noch mitfinanzieren müssen. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: das Investment hat sich gelohnt, und ich bin dankbar für die gemachten Erfahrungen und für eine erholsame Zeit. Selm-Cappenberg, im August 2016 Pater Altfried



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