Alpenpost 07 2014

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Die Familien Redlich und Hellmann in Aussee

Teil 1

Am 26. November 1887 erwarb Frau Baronin Ida Kalchegger von Kalchberg vom Ehepaar Franz und Maria Frosch ein 404 Quadratklafter großes Grundstück unweit der damals noch bestehenden Seeklause Altaussee, gelegen an der noch fußschmalen Promenade entlang der Traun zur Scheichlmühle. Kurz darauf, am 10. Juli 1888, erwarb Frau Baronin Kalchberg vom Ehepaar Frosch ein weiteres, östlich daran angrenzendes Grundstück im Ausmaß von nur 191 Quadratklafter. VON MARTIN TH. POLLNER Frau Baronin Kalchberg war die Tochter des Bankiers Constantin Sautier in Freiburg im Breisgau. Sie ließ am großen Grundstück eine hübsche Sommervilla mit einer offenen, gedeckten Veranda und mit schöner Aussicht auf den Dachstein errichten, heute Puchen Nr. 60, und am kleineren Grundstück ein nur 62 Quadratmeter großes, nichtunterkellertes Häuschen für Dienstboten, heute Puchen Nr. 168. Aber schon fünf Jahre später, am 18. Oktober 1893 verkaufte Frau von Kalchberg ihren Besitz um stolze 14.000 Gulden. Ihr Mann, Viktor Kalchegger Frh. von Kalchberg, geb. zu Graz am 14. Oktober 1843, den sie 1871 geheiratet hatte, war Sektionschef im k.k. Finanzministerium und Präsident des österreichischen Lloyd in Triest. Die kinderlose Familie von Kalchberg zog nach seiner Pensionierung von Wien nach Salzburg, wo er am 15. September 1924 und sie am 1. September 1934 verstarb. Eine Villa zur Silbernen Hochzeit Käuferin im Jahre 1893 war Frau Rosa Redlich, geborene Fanto, die Gattin des Gödinger Landwirtes, Getreidehändlers, Mühlen-, Ziegeleiund Zuckerfabriksbesitzers Adolf Redlich, der seiner Frau die Altausseer Liegenschaft zum Fest der Silbernen Hochzeit schenkte. Das Ehepaar Redlich konnte die beiden Altausseer Häuser aber bloß zwei Sommer lang gemeinsam nützen, weil Adolf, nur 58 Jahre alt geworden, am 20. Februar 1896 in Wien verstarb. Danach wohnte Frau Rosa Redlich bis zu ihrem Tode am 13. Juli 1908 hauptsächlich mit ihren Kindern Fritz, Josef und Irene Redlich, 1901 verheiratete Hellmann, und den Enkelkindern sommers in Altaussee und machte mit deren Zutun diesen Besitz zu einem Mittelpunkt ihrer Familie und zu einem Zentrum altösterreichischer Kultur und Geisteswelt. Mit Fleiß und Geschick zu ansehnlichem Vermögen Die Familie Redlich hat eine eindrucksvolle Geschichte. Sie stammt aus einer alteingesessenen Judengemeinde in Göding, heute Hodonín, gelegen in Südmähren an der March. Im Jahre 1762 erwarb Kaiser Franz Stefan I. aus der Konkursmasse des Grafen Czobor die Grundherrschaft Göding um eine Million Gulden Rheinisch und inkorporierte sie dem habsburgischen Fideikomiß, womit die der kaiserlichen Gutsverwaltung Göding nun unterstellte Herrschaft zu einer ihren wertvollsten Güter wurde. 1774 löste Kaiserin Maria Theresia die Judengemeinde Göding auf und zwang ihre Mitglieder zur Ansiedlung in umliegenden Orten außerhalb der habsburgischen Grundherrschaft. Aber schon 1787 gestattete das Familiantengesetz dreizehn jüdischen Familien die Rückkehr nach Göding, 22

zu denen die Familien Körner, Frankfurter, Schlesinger, Fanto, Löbl und die des Lazar Redlich gehörten. Nach ihm wirkte Nathan Josef Redlich (1803-1888) als fleißiger Müller und schon wohlhabender Händler in Göding. Mit seiner ungewöhnlich charakter- und geistesstarken Ehefrau Rosalie, geb. Körner († 1869), hatte er zwei Töchter und drei Söhne. Der erste, Ignaz Leopold Redlich (18531891), war technisch sehr talentiert. Während des Krieges 1866 errichtete er in Göding Bäckereien und schloß mit der Militärverwaltung bedeutende Kontrakte zur Verpflegung der ganzen kaiserlichen Armee ab. Der ansehnliche Geschäftsgewinn von etwa 40.000 fl. bildete die Kapitalgrundlage einer Handelsgesellschaft, mit dem weiters eine verfallene Mühle und eine kleine Ziegelei in Göding erworben und instand gesetzt sowie in Wien eine Baugesellschaft gegründet wurde, die sich mit der Errichtung von Straßen und Eisenbahnlinien befaßte. Von 1880 bis 1884 war diese Gesellschaft zu einem großen Teil an der Errichtung der Arlbergbahn beteiligt, was ihr bei Gesamtkosten von 41 Millionen Gulden einen Reingewinn von etwa einer Million Gulden einbrachte. Mit diesem Kapital war es möglich, mit der kaiserlichen Gutsverwaltung Göding und Holics einen zwanzig Jahre laufenden Vertrag für die Lieferung und Verarbeitung ihrer gesamten Rübenproduktion abzuschließen, wofür die erste große Zuckerfabrik der Gebrüder Redlich errichtet wurde. Mit ihrer Leitung wurde der Bruder von Ignaz, Adolf Redlich (1839-1896 in Wien), betraut. Ab 1892 führte dieser auch das väterliche Geschäft in Göding mit großer Verstandeskraft wie Charakterstärke und weitete es bedeutend aus. Seine Ehefrau Rosa (1846-13. Juli 1908 in Altaussee) entstammte der hochgebildeten Holicser Oberschicht des deutschen Judentums (damals Ungarn, heute Slowakei), war für ihre zwei Söhne Fritz (1868-1921) und Josef (18691936) sowie ihre drei Töchter Terese (1870-1907), Martha (1878-1894) und Irene (1882-1944 in Auschwitz) ein lebenslang wundervolles Vorbild an Klugheit, Tüchtigkeit, Seelen- und Gefühlsbildung. Nach dem Tode von Rosa Redlich, 1908, die am Döblinger Friedhof begraben wurde, übernahm ihre Tochter Irene alleine den Altausseer Besitz, weil ihr Bruder Fritz die umfangreichen Familienunternehmungen in Göding bereits ab 1892 leitete und ab dem Tode seines Vaters 1896 mehrheitlich besaß und weil ihr Bruder Josef neben dem Familienbesitz in Göding schon ab 1905 sein großes Haus in Döbling, Armbrustergasse Nr. 15 besaß, das ihn sehr glücklich machte. Über ihn, einen der bedeutendsten Juristen, Politiker, Autor und Historiographen Altösterreichs wird in den nächsten

Die Villa Redlich-Hellmann heute. Von 1893 bis 1938 ein Ort der österreichischen Hochkultur.

Folgen der Alpenpost noch ausführlich die Rede sein. Zunächst aber soll hier der Familie Hellmann gedacht werden. Ein späterer Bundespräsident als Hauslehrer Der erste Ausseer Hellmann war Bernhard Hellmann, der am 23. September 1887 das Grundlseer Haus Bräuhof Nr. 51 samt Grundstücken und hölzernem Blockhaus von Dr. Moritz Ertl, Jurist in der Statistischen Zentralkommission Wien, um 13.000 fl. kaufte. Dr. Ertl hatte das Haus erst knapp drei Jahre lang seit dem 15. Dezember 1884 besessen, er wurde 30 Jahre später, im Juni und August 1917, dann schon als Ritter von Ertl geadelt, im Kabinett Seidler kurzzeitig k.k. Ackerbauminister. Bernhard Hellmann war Generalrat der Österreichisch-Ungarischen Bank (das war die Notenbank der österr.-ungar. Monarchie) und zusammen mit seinem Bruder Julius Gesellschafter der ehemals väterlichen Textilwerke Nathan Hellmann in Prag. Er war schon viele Jahre lang regelmäßiger Kurgast von Aussee gewesen und hatte mit seiner Frau Lina fünf Kinder: Richard, Lili Jeanette, Paul, Grete und Otto. Vom neunjährigen Otto ist bekannt, daß für ihn 1895 der spätere Kanzler und Bundespräsident Dr. Karl Renner als sommerlicher Hauslehrer verpflichtet wurde; für die Bildung der übrigen Kinder ist Ähnliches zu vermuten. Bernhard Hellmann starb 63jährig am 23. August 1901 nach langem, schwerem Leiden in Grundlsee und wurde in Wien beigesetzt. Grundlseer Erbin war seine Witwe Lina, geb. Singer, die Schwester des hochgelehrten Univ.-Professors Dr. Isidor Singer, der gemeinsam mit Heinrich Kanner und Dr. Hermann Bahr 1894 die Wiener Wochenzeitschrift bzw. spätere Tageszeitung „Die Zeit“ gründete. Lina Hellmann war Dame des „Elisabeth-Ordens“ und Präsidentin des „Theresien-Kreuzer-Vereins“ in Wien. Sie besaß das Grundlseer Haus ab 1901 fast 26 Jahre lang, bis sie es am 5. Oktober 1928, 78jährig, an Alfred Lintle-Crawford verkaufte; sie starb neun Jahre später am 30. September 1937 in Wien. Von ihren

fünf Kindern spielte nur der 1876 geborene Jurist Dr. Paul Hellmann im Ausseerland eine Rolle, weil er am 26. November 1901 in Wien (IKG) die 19jährige Irene Redlich heiratete. Irene Redlich-Hellmann war eine so zart wie hübsche als klug und liebenswürdige Dame. Mit ihrem tiefschwarzem Haar und den weitgeöffneten graublauen Augen strahlte sie eine seltene slawische Eleganz aus, die eher nach Paris als nach Wien gepaßt hätte. Ihr verständnisvoll-mitfühlendes Wesen wird heute noch in den Briefen Hugo von Hofmannsthals an sie sichtbar, weil sein Ton immer auch Resonanz ist. Irenens Ehemann Paul Hellmann war hochmusikalisch, spielte hervorragend Violine und wäre gerne Musiker geworden, wenn er nicht die väterlichen Finanz- und Textilfirmen hätte übernehmen müssen. Er entzückte durch seinen Humor. Er war Mitgründer des Vereins der Salzburger Festspielhausgemeinde. Als Mitglied des Administrationsrates war er zusammen mit Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Richard Strauss, Friedrich Gehmacher, Gabriele von Oppenheimer-Todesco und Leopold von Andrian-Werburg (der am 18. Juli 1918 zum letzten k.k. Generalintendanten der k.k. Hoftheater ernannt worden war) einer der aktivsten Förderer des Festspielgedankens. Mit Irene war er in Altaussee oft Gastgeber für Konferenzen dieses zukunftsfrohen Kreises. Paul Hellmann gründete 1912 aus Teilen seines väterlichen Erbes und vermutlich mit Hilfe zumindest eines Teiles der Mitgift von Irene die „P. Hellmann Aktiengesellschaft für Textilindustrie“ mit Sitz in Wien und mit einem Grundkapital von vier Millionen Kronen, welche eine Baumwollspinnerei in Ketzelsdorf und eine Weberei in Falkenau betrieb (beide Orte in Nordböhmen, Riesengebirge). Präsident war Dr. Paul Hellmann, unter den vier Verwaltungsräten befanden sich sein jüngerer Bruder Dr. Otto Hellmann und sein Schwager Fritz Redlich. Firmensitz war Wien IX, Günthergasse 1, wo nicht nur die Redaktion, der Verlag und die verlagseigene Druckerei der Zeitung „Die Zeit“ beheimatet waren,


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