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Gelenkschutztraining in der Ergotherapie
from Neu Nota Bene 06
by Mateo Sudar
In der Ergotherapie steht die Einschränkung der Selbstständigkeit wegen Behinderung oder Krankheit im Mittelpunkt von Therapie und Beratung. Viele Erkrankungen gehen mit Schädigungen in den Gelenken einher – ein Gelenkschutztraining ist das Mittel der Wahl, um Einschränkungen in der Selbstständigkeit zu vermeiden.
Wie kommt es dazu? Hierzu ein kleiner Exkurs in die Welt des Gelenks mit seinem Aufbau und seiner Funktion: Unser Bewegungsapparat besteht aus den Knochen, Muskeln, Bändern und Sehnen. Als solche bilden sie die Gelenke, in denen wir uns bewegen. Das Gelenk ist umgeben von einer Gelenkkapsel, die das Gelenk umhüllt und den Gelenkkopf mit Pfanne zusammenhält. Der Spalt zwischen beiden Gelenkteilen ist mit Gelenkflüssigkeit gefüllt, die als Gelenkschmiere fungiert. Der Gelenkknorpel am Ende beider Gelenkteile macht sie glatt und geschmeidig. Um diesen aufzubauen, benötigt der Knorpel Nahrung, er erhält sie über die Gelenkflüssigkeit. In der Bewegung wird die mit Nährstoffen angereicherte Gelenkflüssigkeit bewegt und an den Knochenrand gedrückt, der mit Knorpel überzogen ist. Der Knorpel absorbiert die Nährstoffe und bildet eine glatte Oberfläche. In der Bewegung gleitet der Kopf in der Pfanne als fließende Bewegung.
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Ohne Bewegung keine Ernährung, ohne Ernährung keine Bewegung. Bei zu geringer Bewegung erhält der Knorpel zu wenig Nährstoffe und baut sich nicht auf. Der Gelenkkopf reibt sich bei der Bewegung an der Pfanne - Schmerz entsteht. Eine Schonhaltung ist die Reaktion und mittelfristig eine Gelenkversteifung mit Folgen für den Bewegungsapparat und seine Funktion. Das Gelenk erfüllt seine Aufgabe im Bewegungsablauf nicht mehr, Störungen in der Koordination sind die Folge, Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens entstehen. Dieser Schmerzkreislauf wird unterbrochen mit dem Gelenkschutztraining. Was bedeutet dies?
„Gelenkschutz beschreibt einen schonenden Umgang mit den eigenen Gelenken im Alltag und die Lagerung der Gelenke im Ruhezustand.“ Deutsche Rheumaliga, 2012
Wie wirkt ein Gelenkschutztraining?
Mit dem Gelenkschutztraining wird 0 das Gelenk vor Überlastung geschützt, 0 Veränderungen am Gelenk vorgebeugt, 0 Schmerzen im Gelenk vermieden.
Unsere Gelenke tragen die Namen Sattel-, Scharnier-, Kugel-, Ei- und Zapfengelenk. Jeder Name entspricht der Form des Gelenks. Jedes Gelenk ist bestimmt durch eine Gelenkachse, um welches sich das Gelenk bewegt. Der Gelenkkopf des Eigelenks gleicht einem Ei. Als Gelenkform des Handgelenks bestimmt es die Richtungen, in welcher die Hand im Handgelenk bewegt werden kann
0 sie wird gebeugt und gestreckt, 0 abgespreizt und herangezogen.
Die eiförmige Gestalt des Gelenkkopfes erlaubt diese Bewegungen um die Gelenkachse. Eine Bewegung in der Bewegungsachse des Gelenks beansprucht das Gelenk in der Kraft der Bewegung ohne es zu belasten. Eine Bewegung außerhalb dieser Achse beansprucht das Gelenk und belastet Sehnen, Muskeln und Bänder der Gelenke.
Hier setzt der Gelenkschutz an, achsengerechtes Bewegen wird vorbereitet, geübt und wenn notwendig, mit Hilfsmitteln unterstützt. Ein Glas Gurken zu öffnen, verlangt eine Bewegung des Handgelenks und der Finger, dies erfordert Kraft. Im Alltag kommt es vor, dass der Deckel fest ist und die erforderliche Kraft nicht ausreicht, um ihn zu aufzudrehen. Der zugeschraubte Deckel stellt nun eine Gefährdung für das Handgelenk dar. Die Möglichkeit, den Deckel zu öffnen ohne das Gelenk zu belasten besteht darin, ein Hilfsmittel zu benutzen. Das Hilfsmittel verbessert den Hebel und erlaubt es, die Kraft achsengerecht zu übertragen. Das Gelenk wird geschont.

Eine Scheibe Brot zu schneiden, einen Knopf zu schließen, ein Blatt Papier zu schneiden oder zu schreiben …, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Für all diese Verrichtungen des täglichen Lebens stehen Hilfsmittel zu Verfügung.
Im Rahmen des Gelenkschutztrainings wird der sinnvolle und richtige Gebrauch von Hilfsmitteln geübt. Verletzungen, Entzündungen und andere strukturelle Veränderungen an Sehnen, Bändern und Muskeln verändern die Belastbarkeit des Gelenks, nun ist Vorsicht geboten und Schutz empfohlen. Die Gelenke unseres Körpers werden als knochen-, band-, und muskelgeführte Gelenke gesichert und geführt. Diese Sicherung des Gelenks steht in Zusammenhang mit seiner Funktion. Während das muskelgeführte Schultergelenk mehr Bewegungen zulässt als das knochengeführte Hüftgelenk, stabilisiert das Hüftgelenk den Oberkörper beim Gehen und Stehen.
Gelenkschutz praktisch
Gelenkschutztraining stärkt das Gelenk für die Bewegung und schützt es vor Überlastung in der Bewegung. Vor jeder Aktivität wird das Gelenk gestärkt: es wird mobilisiert, gekräftigt und gedehnt.
Diesem folgt die Bewegungsübung, hierbei werden die Gelenke in ihrer Beweglichkeit trainiert.




Nach dem Training ist vor dem Training: zu jedem Gelenkschutztraining gehört der Transfer in den Alltag! Dieser Alltag bietet Chancen und Risiken, die abhängig vom geschädigten Gelenk, der Person und der Tätigkeit, welcher sie nachgeht, gewichtet sind. Hand- und Fingergelenke sind als bandgeführte Gelenke gefährdet, in den Bändern überlastet zu werden. Der Alltag birgt das Risiko, mit zu hohem Kraftaufwand und falschem Hebel Verrichtungen durchzuführen. Er bietet die Chance, mittels Hilfsmitteln den Hebel auszunutzen und Hand und Fingergelenke achsengerecht zu bewegen. Das Sprunggelenk und die Fußgelenke, ebenso bandgeführt, tragen das Risiko der Überdehnung, z.B. durch Umknicken. Der Alltag bietet die Chance, mit festem Schuh- werk das Fußgelenk zu stabilisieren, mit Barfußlaufen auf weichem Boden die Gelenke zu kräftigen, und mit der Sehhilfe diese zu entlasten Dauerhaftes Sitzen oder Stehen belastet das Hüftgelenk. Als großes Gelenk unterliegt es dem Mobileeffekt: Schädigungen an der Hüfte wirken sich negativ auf benachbarte Gelenke aus.
Der Alltag bietet die Chance, die Belastung zu reduzieren, indem die Tätigkeiten in Teilschritte eingeteilt werden und sitzende und stehende Haltungen sich abwechseln. Tätigkeiten in Teilschritte zu unterteilen, ist eine der elf Grundregeln des Gelenkschutzes.
Grundregeln des Gelenkschutzes
0 achsengerechtes bewegen und halten
Achten Sie auf anatomische Achsen
0 Hebelwirkung ausnutzen
Physikalische Gesetze: je länger der Hebel, desto geringer der Kraftaufwand
0 Griffverdickung nutzen um die Gelenke zu entlasten
0 viele und große Gelenke in die Bewegung miteinbeziehen Verteilen Sie den Kraftaufwand auf mehrere und kräftige Gelenke
0 Stoß- und Schlagbewegungen vermeiden
Bewahren Sie ihre Gelenke vor Erschütterung
0 Druck auf die Gelenke in Fehlstellung vermeiden um die Lockerung Ihrer Gelenke nicht zu provozieren
0 Dauerbelastung vermeiden
Belasten Sie ihre Gelenkflächen gleichmäßig
0 Tätigkeiten in Teilschritte aufteilen Nehmen Sie keine langandauernden gleichbleibenden Gelenkpositionen ein Vermeiden Sie langandauernde gleichförmige Bewegungen
0 Pausen machen
Geben Sie ihrem Körper Zeit sich zu regenerieren
0 Schmerzgrenze erkennen
Verstehen Sie ihre Schmerzen als Warnsignal
Deutsche Rheumaliga 2012
In der Beratung über die sinnvolle Gestaltung des Umfeldes bilden sie die Grundlage. Besteht eine Disposition in den Strukturen der Gelenke die es schwächen, ist eine Umfeldanpassung sinnvoll. Damit aus der Schwäche keine Schädigung wird, ist eine sinnvolle Umfeldanpassung empfehlenswert ein Angebot der Ergotherapie in der Prävention. Gelenkschutz im Rahmen einer Ergotherapie ist eine Leistung der Krankenkassen und kann vom Haus- oder Facharzt verordnet werden.
Anke Matthias-Schwarz
Ergotherapeutin
Mit Blick auf bestmögliche Therapieergebnisse sowie Qualität und Kosten der Wundbehandlung sind im interdisziplinären Versorgungsprozess chronischer Wunden eine koordinierte, leitliniengestützte Zusammenarbeit aller Beteiligten und besondere Fachkenntnisse gefragt