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Kunst in, aus, von der Psychiatrie

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts beginnt eine Wertschätzung der Kunst von Psychiatriepatienten, die bis heute enorm zugenommen hat. Waren es zunächst verständige Psychiater, die die besondere Kreativität ihrer Patienten erkannten, so sind es seither viele Künstler, Galeristen, Sammler, Museen und ein breites Publikum, die für diese Kunst, auch genannt Art Brut oder Außenseiterkunst, schwärmen.

In Deutschland war der Psychiater Hans Prinzhorn in Heidelberg bahnbrechend. Er hat mehrere tausend Kunstwerke aus verschiedenen Psychiatrien zusammengetragen und darüber 1922 ein vielbeachtetes Buch geschrieben: „Bildnerei der Geisteskranken“. Bald nach dieser Initiative haben allerdings die Nationalsozialisten diese Kunst als „entartet“ abgewertet und gleich auch noch zeitgenössische, arrivierte Künstler damit verglichen und diffamiert. Es brauchte fast zwei Jahrzehnte bis die Kunst aus der Psychiatrie wieder in einem positiven Umfeld gesehen werden konnte.

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Mit Bewunderung lässt sich beobachten, wie nun die Kunst die bis dahin verschlossenen Türen der Psychiatrie öffnet und Besucher in die Institutionen lockt. Wer schon einmal in dieser besonderen Art Kunst gesehen hat, wird spüren, dass da meist etwas sehr Ungewohntes und Originelles rüber- kommt. Die Patienten, die es ja aufgrund Ihrer Krankheit oder Behinderung meist nicht leicht haben, finden eine Bildsprache, die sehr unmittelbar wirkt und direkt anspricht. Dabei haben sie nur selten eine künstlerische Unterweisung oder ein Studium hinter sich. Die Beschäftigung mit Kunst kann zudem auch therapeutisch wirken, sie gibt dem Leben Sinn.

Zwischenzeitlich gibt es besondere Museen, die sich der „Art Brut“ oder „Outsider Art“ verschrieben haben, so zum Beispiel die Prinzhornsammlung in Heidelberg, die Künstler von Gugging bei Wien, das Museum für Outsider Art in Schleswig, das Museum für naive Kunst und Art Brut in Bönnigheim, le musé de l´art brut in Lausanne, das Outsider Art Museum OAM in der Hermitage in Amsterdam , das museo dell arte iregulare MAI in Bologna und und und. Auch spezialisieren sich Kunstgalerien darauf wie die Gale - rie Art Cru in Berlin und anderswo. Am spannensten sind sogenannte „offene Ateliers“, wo besondere Menschen besondere Kunst machen – Atelier Goldstein in Frankfurt, die „Schlumper“ in Hamburg, Mosaik-Werkstatt in Berlin und viele andere.Manchmal kann man dabei zuschauen und dort gleich auch Kunstwerke kaufen.

Die Kunstgeschichte beschreibt verschiedene Stile und Epochen, wie etwa den Expressionismus, die DADA Bewegung, den Kubismus und den Futurismus, die Fauvisten, die Konkrete Kunst etc.. Jetzt muss sie auch die „Art Brut“ als eine eigene Art der künstlerischen Schöpfung registrieren, die aus der nicht-akademischen Betroffenheit des Kranken unmittelbar entsteht und noch nicht so vermarktet ist. Das negative Stigma, welches einer seelischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung anhaftet, kann so auf unterhaltsame und schöne Weise überwunden werden.

In allen größeren oder bekannteren Institutionen der Psychiatrie ist heute die Kunst neben Musik, Theater, Schreiben, Tanzen im therapeutischen Angebot. Die musischen, kulturbezogenen Therapien behaupten sich selbstverständlich neben Psychotherapie, Medikation und Soziotherapie. Die Kunst ist gewissermaßen auch ein Seelenöffner. Über den künstlerischen Ausdruck gelingt das klärende Gespräch und manches Mal die hilfreiche Problemlösung. Im besten Fall ist dies in der Psychiatrie richtig zu spüren – es gibt Kunstausstellungen, musikalische Aufführungen, Patientenzeitschriften, im Klinikpark stehen Skulpturen, der Umgang miteinander scheint insgesamt kultivierter.

Im Klinikum Christophsbad in Göppingen besteht ein Psychiatriemuseum namens Mu Seele Hier werden zur Psychiatriegeschichte viele Zeitzeugnisse zu Diagnostik, Krankheitsbildern und Therapiemethoden ausgestellt. Auch hier spielt die Kunst eine ganz wichtige vermittelnde Rolle. Aus dem Fundus des Museums werden auf diesen Seiten zwei Künstler vorgestellt.

Karl Müller, von Beruf Stellmacher, er lebte von 1872 bis 1925 und verbrachte über zehn Jahre in psychiatrischen Anstalten. Dort malte er mit Buntstif- ten auf billigem Papier, Briefcouverts und den Rückseiten von Rechnungen. Seine Zeichnungen, die er wie seinen Augapfel hütete, erzählen geheimnisvolle Geschichten, die vielleicht vor allem für ihn selbst große Bedeutung haben. Insgesamt 118 dieser Bilder haben den Künstler und die schwierigen Zeiten überlebt, dank eines Arztes, der sich zu seiner Zeit dafür interessierte. Dem Mu Seele wurden die Bilder vermacht und sie wurden konservatorisch behandelt und restauriert. In Schleswig, Welzheim, Zwiefalten, Reichenau, Göppingen und Schussenried wurden Teile seines Bildwerkes ausgestellt und eine Broschüre über Zeit und Künstler wurde erstellt.

Fast hundert Jahre später, schon mit Anregungen aus der Kunsttherapie, malt Monika Jäger während ihres Klinikaufenthaltes im Christophsbad schwarz-weisse Bilder minutiös und mit großem symbolischem Gehalt. Sie male sich die Seele von ihren Traumata frei, sagt Monika Jäger. Viele Bilder wurden in der Klinik ausgestellt und verkauft. Einen großen Teil schenkte die Künstlerin dem Mu Seele, nach erfolgreicher Therapie könne sie sich gut davon trennen.

Beide Patienten-Künstler-Persönlichkeiten machen mit ihren Bildern deutlich, dass das kreative Tun für ihr Leben und Überleben von großer Bedeutung ist. Dass sie darüber eine Sprache und eine Verständigung finden. Die Bilder sind Angebote an den Betrachter, am jeweiligen Seelenleben teil zu haben.

Rolf Brüggemann

Es konnte hier nur ein kleiner Einblick in die überaus bunte und vielgestaltige Bildwelt der „Kunst der besonderen Art“ gegeben werden. Weitere Hinweise und Literatur über das Mu Seele, Faurndauer Strasse 6-28, 73035 Göppingen, und seinen Leiter Rolf Brüggemann, Diplom-Psychologe

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