3 minute read

Selbstbestimmung

als höchstes Gut

Psychisch erkrankte Bewohner im Stadtbild

Advertisement

Das Johanneshaus hat keine geschlossenen Stationen. Das bedeutet, dass die Bewohner sich, nachdem sie sich beim Pflegepersonal abgemeldet haben, selbstverständlich auch außerhalb der Einrichtung frei bewegen können und dürfen.

Die rechtliche Basis für den Umgang mit unseren Bewohnern bildet unser Grundgesetz. Dort heißt es in den ersten beiden Artikeln „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ und „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.“

In unserem Land hat jeder Mensch das Recht, sein Leben nach seiner eigenen Lebensauffassung zu gestalten. Individuelle Macken und soziale Auffälligkeiten müssen dabei respektiert werden. Hierzu gehören auch solche Dinge wie mangelnde Körperhygiene und Distanzlosigkeit. Verwahrlosung alleine rechtfertigt nach gegenwärtiger Rechtsauffassung nicht die Einweisung in eine Klinik oder die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung.

Das Pflegeteam kann nur bei erheblicher Eigengefährdung und bei Fremdgefährdung eingreifen. Diese muss im Akutfall durch einen Arzt bestätigt werden. Erst dann kann ein Patient in die Klinik eingewiesen werden. Aber auch dort bedarf jede Form von Zwang gerichtlicher Anordnung.

Wir können bei vielen unserer Bewohner die Verhaltensmuster, die anderen zunächst oft befremdlich erscheinen, nicht verändern. Aber wir wollen versuchen, bei den gesunden Menschen „da draußen“ für ein bisschen Verständnis für die Eigenheiten unserer Bewohner zu werben.

Viele unserer Bewohner haben aufgrund ihrer Erkrankungen, oft aber auch aufgrund der Lebensumstände, in denen sie aufgewachsen sind, eine Vorgeschichte, wie sie die meisten nur aus schrecklichen Filmen kennen. Es ist nicht die Schuld eines Kranken, dass er an Schizophrenie oder Depression erkrankt oder dass sein Leben immer mehr durch eine Sucht aufgefressen wird. Bei diesen Erkrankungen stellt sich die Schuldfrage ebenso wenig wie bei Rheuma, Herz- oder Tumorerkrankungen. Dennoch erwartet man von psychisch Kranken immer wieder, dass sie sich „normal“, also „gesund“ verhalten können, wenn sie sich nur genügend anstrengen. Eine solche Erwartung bei körperlich Erkrankten würde jeder gebildete Mensch weit von sich weisen!

Die meisten unserer Bewohner leiden an schizophrenen Erkrankungen. Betroffene sind oft sehr sensible Menschen, die sich anderen gegenüber nur schwer abgrenzen können. Ihre Wahrnehmung stimmt oft mit der Realität anderer Menschen nicht überein. Manche scheinen in einer ganz anderen Welt zu leben, wenn sie sich mit den Stimmen in ihrer Welt unterhalten. Dabei geht das Gespür für die eigene Körperpflege und für ein gesundes Sozialverhalten in der realen Welt oft zunehmend verloren. Die Bewohner verstehen die Ansprüche ihrer Umgebung nicht, fühlen sich fremdbestimmt und abgewertet und wehren sich gegen jede Bevormundung. Oft lassen sie sich durch das ihnen vertraute Team schließlich doch zum Duschen o.ä. motivieren; aber manchmal kann das auch lange dauern. Und dann ist auf beiden Seiten viel Geduld gefragt. Zwang löst bei diesen Menschen, die oft schon früh Übergriffe erlebt haben, massive Ängste und im schlimmsten Fall eine Eskalation der Symptomatik aus. Eine andere Bewohnergruppe leidet an den Spätfolgen langer Suchterkrankungen. Diese Menschen haben in aller Regel durch ihre Sucht alles verloren, was ihnen wertvoll war: Familie, Beruf, Wohnung, Gesundheit und Status. Es ist bei manchen von ihnen auch jetzt, wo sie bei uns im Johanneshaus leben, nicht möglich, dass sie keinen Suchtdruck mehr spüren. Und so kann es trotz guter Vorsätze und entsprechen- der Absprachen passieren, dass diese Menschen in der Stadt versuchen, ihre Süchte zu befriedigen. Uns ist durchaus bewusst, dass es schwierige Situationen gibt, z. B. wenn Sie, verehrte Bürgerinnen und Bürger, um Geld angebettelt werden. Dazu möchten wir Ihnen folgendes sagen: Sie sind aus keiner Sicht verpflichtet, etwas zu geben. Im Gegenteil, mit Ihrem Geld unterstützen Sie die Sucht dieser Bewohner und, je mehr oder öfter Sie geben, desto häufiger werden Sie gefragt. Sollten denn jetzt diese Menschen in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden, nur damit wir Gesunden nicht mit dem Leid und dem Andersartigen konfrontiert werden? Wir denken „nein“! Dieser Schritt erscheint uns, in enger Absprache mit Ärzten und Betreuern, nur dann angebracht, wenn wirklich der Bewohner oder andere gefährdet sind. Je mehr man Einblick in die Lebenssituationen dieser Menschen bekommt, desto mehr wird man dankbar dafür, dass man selbst ein gesundes Leben führen darf. Vielleicht sollten wir uns wieder mehr darauf besinnen, dass dies nicht unser Verdienst sondern einfach nur ein Geschenk ist!

Ludmilla Bismarck und Karin Heimerdinger

Ludmilla Bismarck, geboren 1985, absolvierte 2006 erfolgreich die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in Remscheid (NRW). Noch im selben Jahr zog sie zu ihrem heutigen Ehemann nach Pforzheim und hat eine Stelle im Johanneshaus Bad Wildbad angenommen. 2008 übernahm sie die Leitung eines Wohnbereichs. Seit 2011 ist sie Pflegedienstleiterin in der psychiatrischen Pflege. Neben der Gesamtverantwortung für die Pflege ist sie auch für die Bereiche Belegungsmanagement und Qualitätsmanagement verantwortlich zuständig.

Engagiert lebt sie ihre Philosophie: „Wir, das gesamte Team des Johanneshauses, begleiten unsere Bewohner auf ihrem Weg – wohin dieser auch geht. Die Wege und Ziele unserer „Schützlinge“ sind individuell – so wie sie selbst. Ich bin stolz darauf, ein Teil des Teams zu sein. Gemeinsam erreichen wir das Bestmögliche.“

Karin Heimerdinger wurde in der letzten Ausgabe bereits vorgestellt.

Bei Fragen, Wünschen oder Anregungen dürfen Sie Frau Bismarck oder Frau Heimerdinger gerne unter der Telefonnummer 07081/931-310 kontaktieren.

This article is from: