4 minute read

Was die Seele stark macht

Konnten Sie schon einmal beobachten, wie elastisch sich Bambusrohre im Sturm biegen und danach wieder unversehrt und aufrecht stehen? Oder wie Gummi nach einem Moment hoher Spannung wieder in seinen Ursprungzustand zurückkehrt?

Dieses Geschehen nennt man in der Werkstoffphysik Resilienz (lat. re-salire = zurückspringen). Materialen gelten dann als resilient, wenn sie nach Momenten oder Zeiträumen starker Belastung wieder ihren Ursprungszustand einnehmen. Dieses Prinzip wird heute in der Psychologie auf den Menschen angewandt und bedeutet, dass es resilienten Menschen gelingt, sich nach starken, seelischen Belastungssituationen schnell wieder zu erholen. Seit einigen Jahren wurde neben der Psychologie die Resilienz-Forschung ebenfalls auf Gebiete wie Wachstumsbedingungen in Ökosystemen oder sogar das Funktionieren von Organisationseinheiten und Wirtschaftssystemen ausgedehnt.

Advertisement

Eines der großen Rätsel in der Psychologie und Psychiatrie war und ist noch immer die Frage, was manche Menschen so stark macht, dass diese nach schweren Schicksalschlägen, ja sogar traumatischen Erfahrungen, ihr Leben weiterhin oder schon bald wieder gut bewältigen können, während andere an solchen Erlebnissen zerbrechen.

Dieser geheimnisvollen Widerstandskraft der Seele, der Resilienz, sind die Forscher seit einigen Jahren auf der Spur. Dabei haben sie herausgefunden, dass resiliente Menschen ihre eigene Befindlichkeit je nach Herausforderung oder Belastung kontrollieren können. Sie verfügen über kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten sich an- zupassen und auch in Schwierigkeiten funktionsfähig zu bleiben und alternative Handlungsweisen zu entwickeln. Ein Mensch hat die Freiheit zu Denken und damit nahezu immer die Wahl, etwas „so“oder „anders“ oder auch „gar nicht“ zu tun. Resiliente Menschen könnte man daher mit einem Boxer vergleichen, der im Ring zu Fall geht, aber wieder aufsteht und dann seine Taktik entscheidend ändert. Neben weiteren Faktoren haben somit die Selbstwirksamkeit, ein starkes „Ich“, und ein gesunder Selbstschutz einen wesentlichen Einfluss auf die mehr oder weniger gelingende Lebensbewältigung eines Menschen. Je nach seelischer Stärke, günstigen oder ungünstigen Umständen, wie auch gelingendem oder falschem Handling kann jede Krise zur Stärkung oder zum Scheitern führen. Übrigens, wussten Sie, dass sich das Wort Krise im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen setzt? Das eine steht für Gefahr und das andere für Gelegenheit oder Cahnce.

Immer wieder stehen wir vor Veränderungen, ob durch innere oder äußere Gegebenheiten veranlasst, und es stellt sich die Frage, wie gehen wir damit um? Bringen uns diese Ereignisse zu Fall oder bleiben wir stehen, und sollten wir fallen, gelingt uns das Aufstehen? Resiliente Menschen fragen sich nicht ständig: „Warum ist das ausgerechnet mir passiert?“ oder „Was habe ich nun wieder falsch gemacht?“

Ihr Augenmerk liegt vielmehr auf der Frage: „Was kann ich jetzt tun, damit es mir besser geht?“ Glückt es uns, Krisen zu meistern, so ist dies mit einem lohnenden Gewinn, nämlich der Zunahme an innerer Stabilität und dem Wachsen eines guten Selbstkonzepts verbunden. Damit nimmt unsere Unabhängigkeit von äußeren Faktoren zu, wir gewinnen mehr innere Ruhe und Gelassenheit. Schon Goethe wusste: „Unsere förderlichen Eigenschaften müssen wir kultivieren und entwickeln, nicht unsere Eigenheiten“. Das geht nicht immer schnell, kann anstrengend und manchmal sogar schmerzlich sein, führt aber zu mehr Zufriedenheit und Lebensqualität.

Aber wie lassen sich Selbstwirksamkeit und Resilienz gewinnen oder gezielt erweitern? Heute weiß man, dass es nicht nur die Gene sind, die einen Menschen psychisch widerstandsfähig und robust machen. Bereits im Säuglingsund Kindesalter wird ein wesentliches Fundament für eine stabile Persönlichkeit gelegt. So sind sichere Bindungen und verlässliche Bezugspersonen sowie altersgemäße Herausforderungen ein wichtiger Bestandteil der Identitätsfindung. Ein weiterer begünstigender Faktor ist die Zugehörigkeit zu einer sinnstiftenden Gemeinschaft. Was für manche vielleicht erschreckend klingen mag, Unterforderung, Bemutterung und Verwöhnung behindern die Entwicklung von Ich-Stärke. Nicht zuletzt ist auch eine gesunde Ernährung eine weitere Voraussetzung für die Entwicklung und Stabilität einer Persönlichkeit.

Aber nun die gute Nachricht für alle Erwachsenen: Die Kindheit ist nicht alles! Resilienz ist ein Leben lang erlernbar, darin stimmen die Wissenschaftler überein. Denn auch im fortschreitenden Leben kann die seelische Stärke noch zunehmen. Wer es will, kann sich auch im Erwachsenenalter noch ändern! Eine ehrliche Bestandsaufnahme über die eigenen Stärken und Schwächen ist ein erster Schritt hierzu. In erkannte Mangelbereiche dürfen wir investieren, mit manchen scheinbar nicht behebbaren Mängeln ist es möglicher Weise notwendig, sich auszusöhnen und diese zu akzeptieren. Mit Fähigund Fertigkeiten der eigenen Persönlichkeit darf man „wuchern“ und dieselben weiterentwickeln. Und vielleicht tut es hin und wieder einfach auch gut sich einzugestehen, dass man nicht in jeder Situation stark sein muss.

Für alle, die daran arbeiten wollen, wurde unter anderem von der American Psychological Association ein ZehnPunkte-Plan zur Erlangung von mehr seelischer Widerstandskraft im Internet veröffentlicht. Gekürzt wiedergegeben lauten die Empfehlungen:

Zur Person

A Soziale Kontakte aufbauen, gute Beziehungen zu Familie und Freunden oder anderen Personen sind hilfreich und wertvoll.

A Krisen nicht als unlösbare Probleme sehen, selbst wenn man im Moment nichts daran ändern kann. Versuchen Sie herauszufinden, was in einer ähnlichen Situation das nächste Mal besser laufen könnte.

A Veränderungen als zum Leben gehörend akzeptieren; versuchen Sie nicht ändern zu wollen, was nicht zu ändern ist, richten Sie Ihr Augenmerk auf das, was Sie ändern können

A Realistische Ziele setzen und versuchen diese zu erreichen, auch wenn die Annäherung nur in kleinen Schritten möglich ist.

A Entschlossen handeln, selbst die Initiative ergreifen und nicht den Kopf in den Sand stecken.

A Zu sich selbst finden, versuchen Sie dazu zu lernen und an der schwierigen Situation zu wachsen.

A Positive Sicht auf sich selbst entwickeln, vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeiten und Instinkte.

A Die Zukunft im Auge behalten, entwickeln Sie eine Langzeitperspektive und versuche Sie, die Situation in einem breiteren Kontext zu sehen.

A Das Beste erwarten, versuchen Sie, optimistisch zu sein und eine positi- ve Erwartungshaltung zu gewinnen. A Sorgen Sie gut für sich selbst, indem Sie Dinge tun, die Ihnen Spaß machen und bei denen Sie entspannen können. Außerdem ist es gut, auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu achten und diese auch zu äußern. (Dies kann durch die Erlernung und Anwendung der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg gelingen.)

Ursula Dehner ist Einrichtungsleiterin im Johanneshaus Bad Liebenzell-Monakam. 1961 in Esslingen geboren, lebt sie mit ihrer Familie seit 1987 in Monakam. Sie ist verheiratet und stolze Mutter vier erwachsener Söhne. Nach ihrer Banklehre 1978 arbeitete sie zunächst in der Bank, bevor sie sich von 1985 bis 1999 ganz den Aufgaben der Familie widmete. Seit 1999 ist sie mit ständig wachsenden Aufgaben in der Verwaltung des Johanneshauses tätig, absolvierte von 2004 bis 2006 die berufsbegleitende Weiterbildung zum Staatlich geprüften Fachwirt für Organisation und Führung im Sozial- und Gesundheitswesen und hat mit dem Trägerwechsel unter der Verantwortung der MHT am 01.07.2012 die Leitung der Einrichtung übernommen.

Möglicherweise beherrschen Sie die eine oder andere dieser Empfehlungen schon sehr gut! Für die anderen gilt wie so oft, weniger ist manchmal mehr! Überfordern Sie sich nicht. Um ans Ziel zu gelangen dürfen Sie selbst entscheiden, mit welchem oder welchen der Punkte Sie beginnen möchten. Entscheiden Sie selbst, was Ihnen gut tut! Und vergessen Sie nicht, „Auf den Böden der Krisen wachsen oft regelrechte Riesen.“, das sagte Michael Marie Jung schon vor Jahren und das erlebten viele Menschen in der Weltgeschichte. Vielleicht können Sie dann nach einer durchlebten Krise in die Worte von Albert Camus einstimmen: „Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.“

Ursula Dehner

This article is from: