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Folgen der neuen Weltordnung Stefan Enders
Die neue Weltordnung und ihre Folgen für Unternehmen
Text: Stefan Enders
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Stefan Enders
Leiter des Geschäftsbereiches International
IHK Mittlerer Niederrhein
Friedrichstraße 40 41460 Neuss
T +49 2131 9268 562 stefan.enders@mittlererniederrhein.ihk.de www.mittlerer-niederrhein. ihk.de


© Gerd Altmann/Pixabay
Die Zunahme an geopolitischen Ereignissen wie der Russland-Ukraine-Krieg ist auch Konsequenz einer neuen Weltordnung. Auf was müssen sich international aktive Unternehmen einstellen und welche Maßnahmen sollten sie ergreifen, um politische Entwicklungen strategisch klug managen zu können?
Schaut man sich mit dem Online-Dienst Google Trends an, wie oft der Suchbegriff „geopolitics“ weltweit in Google eingegeben wurde, so stellt man fest, dass ab Ende 2012 die Eingabehäufigkeit im Schnitt stetig steigt. Rund fünf Jahre später berichtet die Financial Times, dass Management-Fakultäten verstärkt das Thema Geopolitik in ihre Lehrpläne aufnehmen, um einem steigenden Bedürfnis von Unternehmen an entsprechend ausgebildetem Personal nachzukommen.* Tatsächlich ist das vergangene Jahrzehnt geprägt von (geo-)politischen Einschnitten: Eurokrise, Krim-Annektion, Brexit-Referendum, Katalonien-Krise, Handelskonflikt zwischen den USA und China – nur um einige der aus europäischer Sicht wichtigsten Ereignisse zu nennen.
Multipolare Weltordnung fördert Unberechenbarkeit
Sucht man nach Gründen für diese Volatilität, wird in Fachkreisen vor allem auf die Erosion einer seit dem Ende des Kalten Krieges zunächst dominierenden „liberalen Weltordnung“
verwiesen. Dieses Regime, das insbesondere auf Prinzipien wie die Unantastbarkeit staatlicher Souveränität, die Anwendung militärischer Gewalt nur per UN-Mandat und den freien Marktzugang fußt, wurde maßgeblich durch die USA gestützt. Seit den 2000er Jahren jedoch ziehen sich die Vereinigten Staaten schrittweise aus ihrer internationalen Führungsrolle zurück, verlieren, relativ gesehen, an ökonomischen Gewicht, und kalibrieren ihre Außenpolitik neu. Gleichzeitig entwickelt sich ein multipolares System aus alten und neuen Akteuren, die in Abwesenheit einer globalen Ordnungsmacht ihre Interessen in unterschiedlichen und auch wechselnden Bündnissen verfolgen. Ein wichtiger neuer Spieler ist die Volksrepublik China, die mit einer interventionistischen Vorgehensweise zudem zunehmend zur Politisierung von Wirtschaftsbeziehungen beiträgt.
Für international aktive Unternehmen bedeuten diese Entwicklungen vor allem:
• Politische Ereignisse und ihre Folgen sind angesichts einer ausgehöhlten, geschwächten regelgestützten Weltordnung schwerer vorauszusagen. • Geopolitische Schocks lassen sich aufgrund der schwindenden Funktionstüchtigkeit multilateraler Organisationen wie Welthandelsorganisation, Weltbank oder Vereinte Nationen schwieriger verhindern bzw. managen. • Die zunehmende Verschmelzung ökonomischer mit politischen Interessen macht das internationale Geschäft insgesamt politischer.
Ganzheitliches Risikomanagement geopolitischer Ereignisse
Angesichts einer fehlenden weltumspannenden Ordnung ist davon auszugehen, dass die Zahl geopolitischer Ereignisse weiter zunehmen wird. Unternehmensbefragungen zeigen, dass die steigende Relevanz dieser Vorkommnisse für das Geschäft erkannt wird. Sie zeigen aber auch, dass eine umfassende strategische Auseinandersetzung nur eingeschränkt stattfindet.** Was können Unternehmen tun, um das Thema Geopolitik systematisch anzugehen? Zwar kann es eine „one-fits-all“-Antwort angesichts unterschiedlicher Ausgangslagen nicht geben. Es lassen sich aber zumindest die folgenden Hinweise vor die Klammer ziehen:
• Geopolitische Entwicklungen und ihre Folgen gehörten in Zeiten nahezu uneingeschränkter Globalisierung nicht zu den für das Geschäft relevanten Faktoren. Entsprechendes Know-how fehlt daher vor allem in kleineren
Unternehmen. Angesichts der wachsenden Bedeutung und Dynamik des facettenreichen Themas ist es ratsam, diese Expertise unternehmensintern auf- bzw. auszubauen, und nicht nur auf externes Wissen zu setzen. • Ob es eines „Chief Geopolitical Officer“ bedarf, hängt sicher von Unternehmensgröße und Unternehmenskultur ab. Um aber eine breitere Risiko- bzw. Strategiebeurteilung zu ermöglichen, sollte Geopolitik fest in den Tagesordnungen der Führungs- und Kontrollgremien verankert werden. Eine reine Erweiterung des Aufgabengebiets der Public Affairs- oder CSR-Funktion ist aufgrund der Komplexität des Themas nicht ausreichend.
Besser ist die Gründung einer internen Arbeitsgruppe, die alle betroffenen Unternehmensbereiche abbildet und in die unbedingt auch das lokale Wissen ausländischer
Niederlassungen integriert wird. Diese Gruppe berichtet regelmäßig an die Geschäftsführung. • Die für das Geschäftsmodell bzw. Unternehmensfunktionen wichtigsten politischen Entwicklungen sollten regelmäßig identifiziert, beobachtet und auf ihre (möglichen)
Wirkungen untersucht werden (siehe Informationsbox „geopolitische Top-Themen“). Dabei sind geopolitische
Ereignisse als potenzielle Risiken, aber auch als mögliche strategische Gelegenheiten zu begreifen. Wichtig ist daher ein Ansatz, der das Thema Geopolitik in ein ganzheitliches und unternehmensweites Risikomanagement einbettet. ◀
* “Why geopolitics is finding a place on the business school map”, 3.12.2017, Financial Times ** So z.B. „Geostrategy in practice” (2021), EY, und “Geostrategic risks on the rise” (2016), McKinsey & Company.
Geopolitische Top-Themen
Potenzielle Russland-NATO-Eskalation infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Technologisches Decoupling im strategischen Wettbewerb zwischen den USA und China.
Steigende Cyberattacken von Staaten auf kritische Infrastruktur bzw. zwecks Technologiespionage.
Zunehmende Spannungen in Nahost vor dem Hintergrund eines gescheiterten Atomdeals mit dem Iran.
Mögliche Einnahme Taiwans durch China mit den zu erwartenden politischen, militärischen und wirtschaftlichen Verwerfungen für die Weltgemeinschaft.
Schwächung der Einheit Europas durch zunehmenden Populismus im Zuge steigender Inflation und anhaltender Pandemie.
Strauchelnde Schwellenländer, die mit den Folgen der Pandemie sowie steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen zu kämpfen haben.