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Kammermusik@ZKO: Träumerei

TRÄUMEREI

Mit seinem G-Dur-Streichquintett blickt Dvořák voller Mut in eine frische Zukunft. Auch in Schostakowitschs zwei Sätzen für Streichquartett von 1931 steckt noch die Hoffnung eines aufstrebenden Jungtalents.

TEXT ADRIENNE WALDER

Manchmal stellt das Leben heimlich Weichen, die man erst viel später als solche erkennt. Aus der komfortablen Gegenwart besinnt man sich dann zurück auf das letzte Stück Weg vor der Abzweigung, wo alles noch ganz anders kommen konnte, und fragt sich: Hätte man damals schon ahnen können, wie es weitergehen würde?

Für Antonín Dvořák war das Jahr 1875 ein solcher Wendepunkt. Ein Künstlerstipendium bescherte ihm zum ersten Mal finanzielle – und damit künstlerische – Unabhängigkeit. Eines der ersten Produkte dieser neugewonnenen Freiheit war sein Streichquintett in G-Dur: ein sprühendes Werk voller Elan und junger Hoffnung, gross dimensioniert und selbstbewusst in seinen Anklängen an die Musik von Dvořáks böhmischer Heimat.

«Diese Aufbruchstimmung, die Motivation, etwas Neues zu beginnen, wollen wir dem Publikum gerne vermitteln.»

Für Seon-Deok Baik verkörpert das Werk die Stimmung, die wir im Moment alle brauchen: «In schwierigen Zeiten wie der jetzigen zieht man sich gedanklich gern in eine andere Welt zurück. Das kann die Sehnsucht nach der Vergangenheit sein, aber auch die Vorstellung einer positiven Zukunft, in der wieder alles besser wird», sagt die Solo-Kontrabassistin des ZKO. «Diese Aufbruchstimmung, die Motivation, etwas Neues zu beginnen, wollen wir dem Publikum gerne vermitteln.» Für Dvořák bewahrheiteten sich die Hoffnungen allemal: Mit dem Quintett gewann er einen Wettbewerb; und bei seinem nächsten Stipendiumsantrag sass er in der Jury Johannes Brahms, der auf Dvořák aufmerksam wurde und seine Beziehungen für ihn spielen liess – der Rest ist Geschichte.

Auch Dmitri Schostakowitsch war im Herbst 1931 voller Elan, während er am Schwarzen Meer an seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk arbeitete. Als das ukrainische Vuillaume-Quartett auf Tournee im selben Hotel wie er abstieg, arrangierte Schostakowitsch dem Ensemble flugs zwei kurze eigene Stücke. Die Polka war vor Kurzem als Teil des Balletts Das goldene Zeitalter auf die Bühne gekommen, die Elegie stammte direkt aus der Komponierwerkstatt: Zu ihren Klängen beklagt Katerina, die russische Lady Macbeth, in der Oper ihre sexuelle Frustration.

Die Lady Macbeth lief zwei Jahre lang unter Beifallsstürmen, bis am 26. Januar 1936 Stalin eine Vorstellung in der Pause verliess und die nächste Ausgabe der Prawda «Chaos statt Musik» titelte. Es war der Beginn des jahrzehntelangen Katz-und-Maus-Spiels zwischen Partei und Komponist.

Musste es so kommen? Hätten die zwei Streichquartettsätze nicht auch eine ganz andere Zukunft versprechen können? Machen Sie sich am 18. September selbst ein Bild! Seon-Deok Baik und ihre Mitmusiker:innen laden Sie ein, mit einem positiven Blick nach vorne zu schauen – in die neue Saison und darüber hinaus.

KAMMERMUSIK@ZKO: TRÄUMEREI SO, 18. SEPT. 2022, 11.00 UHR ZKO-HAUS

Silviya Savova-Hartkamp Violine Piotr Baik Violine Ryszard Groblewski Violoncello Anna Tyka Nyffenegger Violoncello Seon-Deok Baik Kontrabass Dmitri Schostakowitsch Elegie und Polka für Streichquartett, op. 36a Antonín Dvořák Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 77

Erwachsene CHF 40