70 Jahre TT
Hallo, Siebziger! Wählscheibe statt Touchscreen – Telefonalltag im Jahr 1968. Foto: Sorapera
70 Jahre Tiroler TageszeiTung
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Samstag, 20. Juni 2015 70. Jahrgang | Nummer 169-BG
Aus einer Zeit vor der digitalen Welt Die Zeitungswelt hat sich total verändert – in drei Jahrzehnten blieb kein (Blei-)Stein auf dem anderen, starke Berufsbilder sind vergessen, dabei schien das Zeitungsgewerbe unverrückbar wie der Mount Everest. Von Fred Steinacher Innsbruck – Ein Kollege aus dieser „Bleizeit“ definierte damals schon den Journalistenberuf sehr treffend: „Wer je die Geruchsmischung aus Druckerschwärze, Papier und Schweiß als Parfüm in der Nase empfunden hat, den lässt das Zeitungsmachen nie mehr los.“ Aber wie war denn das wirklich, damals? Fast zwangsläufig ergeben sich jetzt, sieben Jahrzehnte später – in dieser voll-digitalisierten Medien-Gegenwart – viele Fragen getreu dem Motto: „Weißt du noch?“ Wie „Zeitung-Machen“ überhaupt funktionieren konnte, Geschichten aufreißen, Bilder, Bleisatz, die Andruckzeiten, Auslieferung? Es hat funktioniert! Drehen wir in unserer Zeitreise das Rad zurück in den Herbst des Jahres 1968. An den Stammtischen wurde intensiv der Truppen-Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die damalige Tschechoslowakei diskutiert, der FC Wacker Innsbruck und die WSG Wattens verzückten fast 10.000 Fans im Wattener Alpenstadion beim dramatischen 3:3-Remis im Tiroler NL-Derby. Mittendrin statt nur irgendwie dabei – der Autor dieser Zeilen. Als freier Mitarbeiter noch, im kleinen Sportteam des legendären Toni Thiel, ehe dann wenige Monate später die Anstellung zum Redaktions-Aspiranten folgte … als Verwirklichung eines Bubentraumes. Ach, was waren das für aufregende Tage, Wochen, Jahre – Handsatz, Maschinensatz, Lochstreifen! Bleisatz bedeutete flüssiges Blei und trockene Luft, Fehler konnten nicht „radiert“, sondern Lettern mussten neu gegossen werden. Und Berufsgruppen, die man heute kaum noch kennt. Setzer, Korrektor, Metteure – da die Zulieferer aus der Chemigraphie mit den zinkgeätzten Fotoklischees, dort die starken Männer aus der Stereotypie wie z. B. der Willi Schmid. Ein Besuch bei ihm glich dem Abstecher in die Hölle; KumpelTypen „herrschten“ da, aber kein Kuschelkurs; raues La-
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(1) Walter Schilcher an der Lynotype-Setzmaschine in der Erlerstraße, mit der rund 6000 Zeichen in der Stunde produziert wurden; (2) Kurt Mair, Ende der Siebziger, vor den Druckzylindern in der Rotation; (3) ein Fernschreiber mit Lochstreifenstanzer aus den frühen Sechzigerjahren; (4) Kontrollmonitor für die pünktliche Seitenausgabe in den Neunzigerjahren; (5) Adalbert Fotos: TT-Archiv (2), privat, Parigger, Bernd Sorapera Arnold an einem Lichttisch in der Repro-Abteilung. chen, Hitze, Bierkisten, der funkenstiebende Brenner, in dem die bleiernen Druckplatten geformt wurden, der letzte Schritt vor dem Start der von Helli Pötscher und Co. betreuten Rotationsmaschine. Die Steinzeit der Zeitungsproduktion. Natürlich wäre es einfach, diese Zeit als die „gute alte“ zu verherrlichen; jene Jahre, in denen noch sechs Arbeitsvorgänge notwendig waren, ehe aus dem vom Redakteur der Sekretärin in die Schreibmaschine diktierten oder von ihm selbst (mit dem ZweiFinger-System) in die „Kappel“ gehämmerten Bericht eine druckfähige Story wurde. Die Erinnerung hat jeden Tag der damaligen Zeit als ein besonderes Erlebnis gespeichert; nicht zuletzt, weil man als Journalist in diesen Jahren – ohne „Rund-um-die-UhrNachrichtenflut“ aus dem Radio oder den noch raren TVGeräten das Privileg genießen durfte, am Abend schon zu wissen, was am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde. Exklusivgeschichten inklusive! Erlerstraße 5-7, eine Ad-
Ein Bildfunkgerät, ein wahres „Zauberkastl“, das die Welt in Bildern in die Foto: Helmut Fohringer Erlerstraße lieferte.
resse der Begierden in den Sechzigern, als sich – meist Freitag bzw. Sonntagabend – von der Gilmstraße her eine Menschenschlange bildete, um gegen 23 Uhr nur ja eine der ersten TT-Ausgaben – Druckerschwärze inbegriffen – beim Portier zu ergattern; am Freitag wegen des ausführlichen Anzeigenteiles mit freien Wohnungen, Jobs, am Sonntagabend wegen der Sportergebnisse. Genau in diesen Herbst ’68 also fiel mein erster „Arbeitstag“. Treffpunkt im großen Sekretariat im 2. Stock, vis-a-vis vom Fernschreib-Kammerl, in dem auch die Bildfunk-Geräte untergebracht waren. Im Vorzimmer der (Sport-)Macht sozusagen, Herzklopfen bis in die Haarspitzen, feuchte Hände, mit wackeligen Knien dem großen Augenblick entgegenfiebernd. Die Mädels, routinierte Sekretärinnen für Sport (Ilse) und Lokal (Lisl), versuchten zu beruhigen, auch weil das Warten auf den zukünftigen Boss kein Ende zu nehmen schien – gegen 17 Uhr die Erlösung. T. Th. gab sich die Ehre und ich tauchte ein in eine faszinierende Welt, die fortan die nächsten Jahrzehnte meines Lebens bestimmen sollte. Auch wenn dieses erste Rendezvous kein romantisches war – für mich war es dennoch so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Ich fühlte mich sofort hingezogen zu diesen Menschen, die permanent lautstark diskutierten, telefonierten, Manuskripte studierten und zerrissen, gestenreich diktierten und die eher spartanisch eingerichteten Büros mit hektischem Leben erfüllten; blitzschnell
hatte ich mich an das stakkatoartige Tak-Tak-Tak, ausgelöst von flinken Fingern auf den schwarzen, klobigen Schreibmaschinen, gewöhnt, sog begierig Tag für Tag den überall präsenten Geruch von Druckerschwärze in mich auf und fühlte mich von Beginn an als zwar winzig kleiner, aber nicht unwichtiger Teil des großen Ganzen, das für die Tiroler damals schon „unsere TT“ war. Zwölf Jahre lang durfte ich quasi hautnah miterleben, wie Zeitung im Bleisatz hergestellt wurde – die letzte Hochphase dieser Produktionstechnik sozusagen; ein Prozedere, für das aus der heutigen Zeit, retroperspektiv betrachtet, nur noch ein müdes Lächeln übrig bleibt. Dabei sind es gerade einmal 35 Jahre, die zwischen den finalen Stunden der Setzkästen, Bürstenabzüge, den letzten Lettern aus Blei, schweren Druckplatten und der nunmehr aktuellen Technologie liegen. Damals klapperten rund um die Uhr Schreibmaschinen und Setzmaschinen, Texte wurde von Hand korrigiert, Manuskripte überklebt. Da mussten die in den Dunkelkammern entwickelten Fotos zu Klischees graviert werden, ehe ein Metteur wie Robert Ullmann die Seite endlich am Satzschiff fixierte. Es herrschte Flexibilität bis zur letzten Sekunde vor dem Andruck. Apropos flexibel – dafür lieferten Mitarbeiter der TT immer wieder Musterbeispiele. Wie etwa 1980 – in den letzten beiden Dezembertagen. Die Silvesterausgabe für den 31. Dezember wurde – völlig unaufgeregt – in der Erler-
straße letztmals in Blei produziert und gedruckt, ehe am Neujahrstag 1981 der große Umzug erfolgte. Mit Sack und Pack, aber ohne Blei. In der Ing.-Etzel-Straße wartete ein neues Großraumbüro auf die Redakteure, und erstmals Computer; die erste Zeitung des Jahres 1981 war im Fotosatz produziert worden. So, als ob wir nie etwas anderes gemacht hätten ... Dabei war es schon irgendwie unheimlich in der neuen Umgebung. Stadtrand statt Zentrum, Computer am Arbeitsplatz, die Seiten wurden nach eigenen Layouts geplant, einstige Metteure und Setzer klebten Texte aus Papierfahnen, saßen vor Tastaturen mit Bildschirmen, saubere Produktionsräume, verdächtige Ruhe; und doch war es nur ein Zwischenschritt der technischen Revolution auf dem Weg in die Zukunft. Jetzt, also 2015, dreieinhalb Jahrzehnte nach der letzten in Blei produzierten TT, ist die Zeitungswelt eine rundum digitale geworden, dominieren Touchscreens, Scans und die Enter-Taste am Computer
den Workflow. Um es salopp zu formulieren – der Weg in die Halle der Rotationsmaschine hat sich dramatisch verändert. Damals? Manuskript via Schreibmaschine oder gar handgeschrieben, Setzer, Bürstenabzug an Korrektor und Redakteur, Bleisatz an den Metteur, der die Seite „baute“ und ab in die Stereotypie, wo Matern gepresst wurden. Die letzte Station vor dem Guss der Druckplatten für die Rotation. Heute? Können von jedem Ort der Welt in Sekundenbruchteilen Bilder und Texte übermittelt werden, korrigiert ein Redakteur in Paris oder Wien via Laptop bzw. Handy im letzten Augenblick entdeckte Fehler, kontrolliert noch einmal das Seitenlayout, sendet das aktuellste Interview als Video an die Online-Redaktion. Salopp formuliert – wir düsen, dank Internet und digitaler Rasanz, mit Warp-Geschwindigkeit in die Zeitungs-Zukunft und sind natürlich fest überzeugt, dass Print jeden Zeitsprung überleben wird.
Die Fernschreiber – Vorläufer von Fax und Mail –, eine verlässliche Verbindung zwischen Agenturen, Ämtern und Redaktion. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum