Libelle März 2017

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IM PORTRÄT

Tarik el Scheich Kraftverschenker und Mutmacher

STECKBRIEF Name: el Scheich Vorname: Tarik geboren: 3.12.1980 Beruf: Kinderarzt Verheiratet: mit Schauspielerin Kristina Karst-el Scheich Kinder: Tochter Luam (3,5 Jahre) und Sohn Moses (3 Monate) Kindheitserinnerung: Früher als der Milchmann aufstehen, damit ich auf seinem Esel reiten kann.

Mein Auftrag: den coolen Kinderarzt Dr. el Scheich interviewen – hat sich zur Geburt seines Sohnes die Haare abrasiert, um ihm daraus ein Kissen zu machen, weiß die Redaktion. Hm. Als verbrieft uncoole Person bin ich skeptisch, aber schon nach dem ersten Telefonat voller Vorfreude. Der Mann outet sich gleich als glühender Libelle-Fan – „Liegt bei uns immer auf dem Küchentisch und hat uns schon manches Wochenende mit den tollen Tipps gerettet!“ – und klingt weniger cool als zugewandt und freundlich. Wir verabreden uns spontan im Kunst- und Kulturtreff „Das Büdchen“ in Oberbilk, ganz in der Nähe ist el Scheich aufgewachsen. Allerdings erst, nachdem er als Zehnjähriger aus dem Sudan nach Deutschland gekommen war, ohne nennenswerte Sprachkenntnisse. Die Vorgeschichte: Seine Düsseldorfer Mutter lernte in London seinen Vater kennen, der gerade die letzten Prüfungen seines Veterinärmedizinstudiums ablegte. Die beiden gingen gemeinsam in die Heimat des Vaters, den Sudan, wo die Familie mehr als 30 Jahre in der Hauptstadt Khartum lebte. Sie bekamen einen Sohn – nicht den kleinen Tarik, sondern seinen zehn Jahre älteren Bruder. Tarik el Scheich wurde kurz nach der Geburt aus einem Waisenhaus adoptiert. 1990, als Tarik zehn war, hatte sich die politische Situation unter der islamistischen Regierung im Sudan derart zugespitzt, dass die Mutter beschloss, mit der Familie nach Düsseldorf zurückzukehren. Und ihren Sohn, der bis dahin vor allem Arabisch und Englisch gesprochen hatte, ohne nennenswerte Deutschkenntnisse am Lessinggymnasium anzumelden. „Sie meinte, es gäbe doch die Orientierungsphase. Und versprach: Nach zwei Jahren hat er’s drauf.“ Und wie kam er in so kurzer Zeit auf Gymnasiumsniveau? „In erster Linie durch meine Mutter.“ Das kann nicht einfach gewesen sein, oder? Dr. el Scheich lacht sein freundliches, offenes Lachen: „Nein, das war schon hart!“ Anschließend studierte er Medizin: „Aus Idealismus, und weil ich Leuten helfen wollte. Mein Vater hätte mich übrigens gern als Tierarzt gesehen.“ Er bekam aber durch seine fröhliche, wenig autoritäre Art und sein Aussehen

in den Kliniken nur schwer einen Fuß auf den Boden, was ihm sehr zu schaffen machte. Als die Kinderklinik dran war, war el Scheich zunächst skeptisch, merkte aber bald, dass ihm gerade die Arbeit mit Kindern lag. „Mit ihrer Unvoreingenommenheit gaben sie mir das Gefühl, genau am richtigen Platz zu sein.“ Dieses Gefühl hält an. Als derzeit einziger Arabisch sprechender niedergelassener Kinderarzt Düsseldorfs arbeitet Dr. el Scheich nun bereits im dritten Jahr in einer Praxis – ein Segen für die Flüchtlingskinder, die zu ihm kommen. „Ich kann ihnen auf mehreren Ebenen helfen. Erst mal, indem ich ihre Sprache spreche. Sie willkommen heiße. Aber ihnen vor allem zeige: Man kann es schaffen, hier Fuß zu fassen. Mir ging es wie euch. Und ich versuche ihnen zu vermitteln: Am wichtigsten ist es, Deutsch zu lernen. Nur so gelingt Integration.“ Er selbst hatte eine lange Durststrecke zu überwinden, bis er sich in Düsseldorf heimisch fühlte. „Die Zeit im Sudan hatte mich schon sehr geprägt, und es dauerte, bis ich hier Anschluss fand. Das gelang nur über die Sprache.“ Und was war das für eine Geschichte mit den Haaren? „Eine Tradition aus dem Sudan, das samsonische Prinzip. Samsons Kraft steckte ja in seinen Haaren, und ich möchte auch mit meinen Haaren meine Kraft an meine Kinder weiterschenken.“ Das heißt, man kann sich, solange die Familienplanung nicht abgeschlossen ist, die Haare nicht schneiden? „Genau. Ab der Hochzeit dürfen die Haare wachsen. Erst wenn man keine Kinder mehr will, entscheidet man, ob man ein Langhaarmensch oder ein Kurzhaarmensch sein will.“ Dass er ein Mensch sein will, der sich für andere einsetzt, scheint hingegen schon lange klar.

Text: Pia Arras-Pretzler Bild: Andreas Endermann

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