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Neues aus der Forschung

7 Projekte, die es in sich haben

Weltweit arbeiten Wissenschaftler mit Hochdruck an einer Heilung von Querschnittslähmung. Manche Ansätze strotzen nur so vor Fachjargon – hier der Versuch, ein paar der von uns geförderten Projekte zu vereinfachen.

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Giftiges Glutamat

Sagol School of Neuroscience, Tel Aviv University, Israel

Das Wissenschaftler-Team an der Tel Aviv University unter der Leitung von Angela Ruban (ganz li.)

Glutamat ist der verbreitetste Botenstof im zentralen Nervensystem. Es ist ein entscheidender Faktor der Nervenerregung – eine hohe Konzentration davon kann Nervenzellen aber auch absterben lassen. Die Idee von Angela Ruban: die Konzentration von Glutamat nach einer Nervenverletzung senken und so die giftige Wirkung und den daraus folgenden Schaden reduzieren. Weniger Glutamat könnte sogar zu einer verbesserten Erholung und Regeneration führen. Diese Methode hat bereits im Experiment nach einem Schlaganfall oder nach einer traumatischen Hirnverletzung funktioniert. Die Gabe von bestimmten Enzymen, die Glutamat abbauen, führte dort zu einer verbesserten Motorfunktion. Diese Therapie könnte auch bald klinisch getestet werden.

Die Konzentration von Glutamat wird nach einer Nervenverletzung gesenkt und so die giftige Wirkung und der daraus folgende Schaden reduziert.

Haut unter Strom

Electrical & Computer Engineering, University of Washington, Seattle, USA

Das Team von Wissenschaftler Chet Moritz hat herausgefunden, dass eine elektrische Stimulation des Rückenmarks auf Höhe des Halses zu wichtigen und lang anhaltenden Verbesserungen der Handfunktion führt. Und zwar bei chronischer hoher Querschnittslähmung. Die Stimulation erfolgt oberfächlich über Klebeelektroden an der Haut im Nacken. Überraschenderweise wurde dabei sogar eine Verbesserung von Muskelkraft und Gefühlswahrnehmung an den Beinen festgestellt. Selbst

die Blasen und die Darmfunktion wurden positiv beeinfusst. Die Forscher wollen jetzt gezielt untersuchen, ob eine kombinierte Stimulation über die Haut im Nacken und gleichzeitig über der Lendenwirbelsäule, gepaart mit intensivem Rehatraining, die Wirkung noch verstärkt. Bei einer hohen Querschnittslähmung sollen das Gehen und die autonomen Funktionen positiv beeinfusst werden.

Chet Moritz von der University of Washington

Nervenfasern magnetisch in die Länge ziehen

Università di Pisa & National Research Council, Pisa, Italien

Wie kann man Nervenfasern nach einer Querschnittslähmung zum Wiederauswachsen bringen? Damit beschäftigen sich Wissenschaftler unter der Leitung von Vittoria Rafa und Marco Mainardi – und beschreiten einen neuen Weg: Die Forschergruppe zeigte, dass bereits geringe Zugkräfte das Längenwachstum von Nervenzellen anregen. Diese mechanischen Kräfte entstehen durch die Verwendung magnetischer Felder. Die hierfür notwendige Nanotechnologie ist hochkompliziert und wurde eigens von der Forschergruppe entwickelt. Denkbar wäre, dieses Konzept mit weiteren Verfahren zu kombinieren und auch auf die Stammzelltherapie oder den Ausbau von Nervennetzwerken auszudehnen – für eine Heilung des verletzten Rückenmarks.

Das Team um Vittoria Rafa (2. v. li.) und Marco Mainardi (ganz re.)

Es sollen Nervenverbindungen regeneriert und der Grundstein für eine Therapie für chronisch Querschnittsgelähmte gelegt werden.

Nervennetzwerke spinnen und stärken

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, Österreich

Die Neurowissenschaftler Frank Edenhofer und Sébastien CouillardDesprés entwerfen gerade eine neuartige Kombinationstherapie. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung von Nervenverbindungen durch sogenannte induzierte neurale Stammzellen.

Zusätzlich wollen sie der Narbenbildung entgegenwirken, da eine Narbe die Regeneration erschwert. Dazu nutzen sie spezielle Bläschen, sogenannte extrazelluläre Vesikel, die normalerweise zur Kommunikation zwischen den Zellen dienen. Diese sollen ihre Wirkung an der Verletzungsstelle und der Blutbahn entfalten. So sollen Nervenverbindungen regeneriert und der Grundstein einer Therapie für chronisch Querschnittsgelähmte gelegt werden.

Sébastien CouillardDesprés von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg Camila Marques de Freria von der University of California

Den genetischen Codes auf der Spur

Neuroscience, University of California, San Diego, USA

Die wichtigste motorische Nervenbahn beim Menschen ist das sogenannte kortikospinale System, eine Verbindung von der Hirnrinde zum Rückenmark. Diese leitet Befehlssignale vom Gehirn zum Rückenmark, was zur Ansteuerung von Muskeln und somit zu Bewegung führt. Sie ist aber auch jene Bahn, die am geringsten zur Erholung fähig ist. Es benötigt also einen Reiz von außen. Eine Gruppe Neurowissenschaftler unter der Leitung von Camila Marques de Freria entwickelt dafür eine Kombinationstherapie: eine Stammzelltransplantation an der Verletzungsstelle samt intensivem RehaTraining. Im ersten Schritt wollen sie herausfnden, welche Gene während dieser Therapie im menschlichen Körper aktiv sind. Nachdem der genetische Code entschlüsselt wurde, soll er mit pharmakologischen Wirkstofen verglichen werden, die ein ähnliches genetisches Profl aufweisen. Die besten Wirkstofe sollen dann für eine neue Medikamententherapie für Querschnittsgelähmte zum Einsatz kommen.

Martin Oudega vom Shirley Ryan AbilityLab in Chicago

Ausgefuchste Transplantation

Shirley Ryan AbilityLab, Chicago, USA

Martin Oudega und seine Arbeitsgruppe haben sich auf sogenannte SchwannZellen und deren Transplantation in geschädigtes Rückenmark spezialisiert. Ziel ist es, Nervengewebe wiederherzustellen. Ein Problem bei der Zelltransplantation ist, dass die neuen Zellen an der Verletzungsstelle rasch absterben. Den Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, ein spezielles Biomaterial einzubringen. Dieses soll dabei helfen, die feindlichen Bedingungen in der Wunde zu verringern. Auf diese Weise soll die Überlebensfähigkeit der neu eingebrachten SchwannZellen gesteigert werden. Diese neuartige zweistufge Strategie könnte die Zelltransplantation grundlegend verändern, um eine Querschnittsverletzung zu heilen.

Wozu frühes und intensives Bewegungstraining?

Faculty of Medicine and Health, University of Sydney, Australien

Frühzeitiges und intensives Bewegungstraining ist die derzeit vielversprechendste Therapie bei Querschnittslähmung. Vor allem, weil das Training die Plastizität des Rückenmarks – also dessen Fähigkeit, neue Verbindungen zu bilden – anregt. Eine Studie australischer Neurowissenschaftler unter der Leitung von Lisa Harvey untersucht die Wirksamkeit eines frühen und intensivierten motorischen Trainings auf die Erholung und die einzelnen Körperfunktionen. Frisch verletzte Betrofene werden dazu an mehreren Zentren weltweit untersucht, um die gewonnenen Erkenntnisse schnell in die Praxis umzusetzen. Diese Studie hat das Potenzial, die Rehabilitation von Querschnittspatienten weltweit zu verändern.

Lisa Harvey von der University of Sydney

Frühzeitiges Bewegungstraining ist die derzeit vielversprechendste Therapie bei Querschnittslähmung.