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Diese eine Welle

Vor zwei Jahren fällt Moritz beim Surfen vom Brett und ist seitdem querschnittsgelähmt. Wir trefen den Studenten und sprechen mit ihm über Veränderung, Sex und Dankbarkeit.

Moritz, du bist vor zwei Jahren nach Chile gereist – nach nur einer Woche war das Abenteuer vorbei. Was ist passiert?

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Es war meine erste große Reise überhaupt – mit einer Jugendgruppe. Wir waren in der Atacamawüste und haben Geysire gesehen. Unglaublich schöne Erlebnisse. Dann kam der 8. März. Wir haben uns Neoprenanzüge geliehen und sind zum Surfen. Das hatte ich zwar noch nie vorher gemacht, aber es lag mir, und ich bin schnell auf dem Board gestanden. Das Wasser war eiskalt. Und dann kam diese eine Welle. Ich bin gesurft – wie zwei Stunden zuvor auch schon. Die Welle wurde schwächer, und ich fiel vom Brett. Dieses Mal ganz unglücklich mit dem Kopf auf den Sandboden. Ich erinnere mich an einen dumpfen Schlag auf den Kopf …

Die Narbe am Rücken ist ab jetzt für immer Teil des jungen Buxheimers.

Die Narbe am Rücken ist ab jetzt für immer Teil des jungen Buxheimers.

Foto: Phil Pham

Was ist dann passiert?

Meine Augen waren geschlossen wegen des Salzwassers, und ich wollte auftauchen. Nur ging das nicht. Ich konnte meine Arme nicht richtig bewegen, musste aber mit dem Kopf aus dem Wasser, um Luft zu holen und um Hilfe zu rufen. Unmöglich. Alles war schwarz, und ich habe – den Kopf unter Wasser – einfach gewartet.

Was bestimmt nicht lange möglich war …

Ich war wahrscheinlich zehn Sekunden vorm Ertrinken, als ich gehört habe, wie jemand durchs Wasser auf mich zuläuft. Ein Freund hat mich rausgezogen und an den Strand gebracht. Sofort sind einige Leute zusammengelaufen, einer davon hat meine Beine abgetastet und etwas von einer Quetschung geredet. Dann kam der Krankenwagen, ich wurde auf eine Liege gepackt, fixiert und ins Krankenhaus gebracht.

Hast du denn verstanden, was man dir dort gesagt hat?

Nein, kein Wort. Ich wurde geröntgt und operiert. Danach bin ich einen halben Tag im Krankenhaus gelegen und durfte mich nicht bewegen. Ich lag nur da und starrte. Irgendwie war da Angst, aber ich hatte auch keine Ahnung, was abging. Ein Arzt erklärte mir dann auf Englisch, dass ich mir den fünften Halswirbel gebrochen habe und mein Rückenmark auf Höhe des siebten Halswirbels verletzt ist. Er hat ziemlich herumgedruckst, bis er mir sagte, dass ich jetzt querschnittsgelähmt bin.

Das muss ein Schock gewesen sein …

Es war schlimm, aber ich dachte, ich müsste eigentlich betroffener sein. Später habe ich erfahren, dass mir direkt Antidepressiva verabreicht wurden. Vielleicht haben die mir geholfen – oder auch mein Plan, schnell wieder selbständig zu sein.

Das klingt beeindruckend. Hat deine Stärke auch deiner Familie geholfen?

Meine Eltern zu Hause haben nur von Freunden gehört, was passiert war. Ich habe nach der Operation mit meinem Papa telefoniert – meine Mama zu hören, hätten sie und ich nicht gepackt. Sie weinen zu hören hätte mir viel zu weh getan. Nach zwei Wochen bekamen meine Eltern und mein Bruder ihr Visum und durften kommen. Sie waren mir eine große Stütze.

Wann durftest du nach Hause?

Nach drei Wochen im Krankenhaus in Chile wurde ich in einem Passagierflugzeug in 14 Stunden liegend zurück nach Deutschland gebracht. Dabei bekam ich eine Druckstelle vom falschen Liegen. Ich kam direkt in eine Reha-Einrichtung und musste erst einmal zwei Wochen auf der Seite liegen, bis meine Haut wieder heil war.

In der Reha muss man vieles wieder neu lernen. Wie ging es dir damit?

Ich war sechs Monate lang dort und habe einige Jugendliche kennengelernt, die auch frisch verletzt waren. Das hat mir sehr geholfen, und wir hatten auch wirklich Spaß miteinander. Ich kann meinen Körper von den Schulterblättern abwärts zum Großteil nicht mehr bewegen – und spüre ihn auch nicht mehr. Wenn man plötzlich querschnittsgelähmt ist, geht ein Kapitel zu Ende – für immer. Ich musste alles neu lernen. Essen, Trinken, Zähneputzen, Schlafen, Rollstuhlfahren. Die Art, sich fortzubewegen, und auch, wie man sich selbst wahrnimmt und mit anderen in Kontakt tritt. Auch, ob man sich hübsch fndet. Ich hatte davor ein gutes Selbstbewusstsein, das war auf einmal komplett weg.

Moritz zeigt uns auf seinem Smartphone ein Röntgenbild seiner gebrochenen Wirbelsäule.

Moritz zeigt uns auf seinem Smartphone ein Röntgenbild seiner gebrochenen Wirbelsäule.

Foto: Phil Pham

Was war das Härteste für dich?

Das Abführen – also aufs Klo zu gehen – war das Härteste. Es dauert plötzlich viel länger. Vor dem Unfall waren es vielleicht fünf Minuten, plötzlich waren es anderthalb bis zwei Stunden, in denen jemand mit dir Marionette spielt. Wenn man dann auch noch junge Pfegerinnen und Pfeger hat, ist das anfangs echt unangenehm, es ist ja etwas sehr Intimes. Aber: Sie haben einen sehr guten Job gemacht. Meine Tage in der Reha waren voll durchgetaktet mit Sport, Physio, Ergo. Meinen ersten richtigen Dämpfer hatte ich dann, als ich wieder nach Hause kam. Ich hatte plötzlich keinen Plan mehr. Keine

„Wenn man einmal gemerkt hat, dass alles vorbei sein kann, weiß man, dass man jeden Tag genießen muss.“

Therapie, keine Freunde im Rollstuhl, keine Aufgabe. Es wurde ruhig, ich war allein. Da wurde es schwierig. Ich habe mich dem aber nicht hingegeben – sondern habe angefangen zu trainieren, Dinge zu planen und zu organisieren.

Und du hast dich ja ziemlich schnell nach dem Unfall verliebt …

Das stimmt. Wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber ich habe meiner damaligen Freundin sehr viel zu verdanken. Sie hat sich informiert, war geduldig, und wir haben viel miteinander ausprobiert. Wie positioniert man sich zum Beispiel am besten, um sich zu küssen. Welche Stellungen gehen noch und welche nicht mehr. Miteinander zu schlafen funktioniert, aber es ist auf keinen Fall mehr so wie früher.

„Ich bin für alles, was ich tun kann, dankbar – denn es kann immer das letzte Mal sein.“

Inwiefern?

Na ja, es gibt vieles, was ich nach dem Unfall wieder kann. Auch wenn es mehr Zeit oder Hilfe von jemandem braucht – irgendwie funktioniert es halbwegs. Aber etwas wie einen Orgasmus werde ich nie wieder spüren! Ich fühle nichts mehr da unten. Für mich ist meine Partnerin vielleicht visuell ansprechend, der Blutdruck steigt, mir wird heiß – aber ich spüre es nicht mehr. Hilfsmittel wie Viagra muss man früh genug nehmen und dann abwarten, ob es überhaupt wirkt. Da ist nichts mehr spontan. Und es gibt Nebenwirkungen – in meinem Fall ganz böse Kopfschmerzen.

Erinnerungen an früher: Moritz und eine Freundin aus Deutschland in Chile

Erinnerungen an früher: Moritz und eine Freundin aus Deutschland in Chile

Foto: Privat

Wünschst du dir, dass das wieder funktioniert?

Ja – und die Kontrolle über Blase und Darm. Da ist immer dieses Risiko, es könnte etwas passieren. Ich bin dauernd auf das Schlimmste vorbereitet.

Und trotzdem wirkst du grundoptimistisch …

Ja, natürlich! Ich studiere mittlerweile Social Media, halte Vorträge und lebe sehr selbständig. Ich glaube, dass man aus jeder Situation das Beste herausholen kann, und ich will alles aufsaugen, was mir das Leben bietet. Wenn man einmal gemerkt hat, dass alles vorbei sein kann, weiß man, dass man jeden Tag genießen muss. Damals wusste ich nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich durchs Gras laufe oder tanze. Ich bin für alles, was ich tun kann, dankbar – denn es kann immer das letzte Mal sein.

Wings for Life

fördert RESET, eine Studie in den USA, bei der ein Protein in die Rückenmarksflüssigkeit gespritzt wird, um die Nervenfasern zum Auswachsen zu bringen. So sollen Funktionen von chronisch Verletzten wiederhergestellt werden, um Menschen wie Moritz das Leben zu erleichtern. Mehr dazu ab Seite 24.