Wien Museum Katalog „Ballgasse 6“

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Wien Museum

Ballgasse 6 Galerie Pakesch und die Kunstszene Der 80er

Verlag der Buchhandlung Walther Kรถnig


Wien Museum

Ballgasse 6 Galerie Pakesch und die Kunstszene Der 80er

Verlag der Buchhandlung Walther Kรถnig


Wien Museum Ballgasse 6 Galerie Pakesch und die Kunstszene der 80er


Ballgasse 6


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Wolfgang Kos [Hg.]

Ballgasse 6 Galerie Pakesch und die Kunstszene Der 80er

verlag Der Buchhandlung Walther Kรถnig

Wien Museum


Ballgasse 6. Galerie Pakesch und die Kunstszene der 80er 404. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum Karlsplatz 24. September 2015 bis 14. Februar 2016

Ausstellung

Katalog

Leihgeberinnen und Leihgeber

Kurator

Herausgeber

Wolfgang Kos

Wolfgang Kos

Kuratorische Mitarbeit

Autorinnen und Autoren

Wir danken den Künstlerinnen und Künstlern sowie folgenden öffentlichen und privaten Sammlungen für die großzügige Unterstützung des Ausstellungsprojektes.

Evi Scheller

Eva Badura-Triska Wolfgang Kos Thomas Mießgang Lisa Wögenstein Denys Zacharopoulos

Kuratorische Assistenz

Živa Vavpoticˇ Wissenschaftliche Mitarbeit (Musik)

Thomas Mießgang

Übersetzung Griechisch

ALL LANGUAGES Alice Rabl GmbH Beratung

Peter Pakesch

Grafische Gestaltung

Haller & Haller Inventarisierung Archiv GPP

Michaela Leutzendorff-Pakesch Frauke Kreutler Evi Scheller Lisa Wögenstein

Lektorat

Lisa Wögenstein Fotos Wien Museum

Birgit und Peter Kainz Ausstellungstitel

Heimo Zobernig Architektur

Checo Sterneck

Coverabbildung

Herbert Brandl, Heimo Zobernig, Peter Pakesch und Franz West (v. l. n. r.), 1987 Foto: Didi Sattmann Didi Sattmann Privatarchiv

Ausstellungsgrafik

Haller & Haller

Druck

Lösch MedienManufaktur GmbH & Co. KG Produktion

Bärbl Schrems Registrar

Laura Tomicek Übersetzung Englisch

Nick Somers Restaurierung

Nora Gasser, Elisabeth Graff, Andrea Hanzal, Andraes Gruber, Regula Künzli, Karin Maierhofer, Caroline Montibeller, Sabine Reinisch

Copyright © 2015 Wien Museum, Wien und Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln © der abgebildeten Werke bei den KünstlerInnen und FotografInnen © 2015 der Werke von Franz West: Verein Archiv Franz West oder Franz West Privatstiftung © 2015 der Werke von Martin Kippenberger: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne © Bildrecht, Wien, 2015: S. 17, 40, 45, 54, 103, 109, 119, 130, 137, 142–145, 158–161, 167–168, 186, 189, 190–193, 205, 207, 215, 217, 221, 225.

Aufbau

museom, museum standards, Werkstätten Wien Museum Medientechnik

On Screen, Patrick Spanbauer, Günther Schiebeck, Stefan Tunea

Die Quellen aller Abbildungen wurden sorgfältig recherchiert. Sollte uns ein Nachweis entgangen sein, bitten wir Sie, Kontakt mit dem Wien Museum aufzunehmen. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks oder der Reproduktion einer Abbildung, sind vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-86335-832-7

Hauptsponsor des Wien Museums

www.wienmuseum.at

Kaffee Alt Wien gilbert bretterbauer Gunter Damisch Loys Egg Privatsammlung Eisenköck ewa und mathis esterhazy Falter Verlag Sigmund Freud Museum Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien Sammlung Geyer GRAF + ZYX Walter Gröbchen, Verleger/Journalist Clarisse Grumbach-Palme Sammlung Wolfgang Kos Karl Kowanz Courtesy Galerie Krobath Sammlung Krobath, Wien Thomas Mießgang Multimediales Archiv des ORF museum moderner kunst stiftung ludwig wien Sammlung der Kulturabteilung der Stadt Wien – MUSA Sammlung Pakesch Sammlung Werner Reiterer, Wien Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Innsbruck/Wien Didi Sattmann Privatarchiv ManfreDu Schu Beatrix Sunkovsky Eveline Tilley-Tietze Trash Rock Archives Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv Wolfgang Woessner Otto Zitko Heimo Zobernig Und weitere private Leihgeberinnen und Leihgeber, die nicht namentlich genannt werden möchten.

Die Angabe „Wien Museum, Archiv GPP“ bezieht sich auf die Schenkung des Archivs der Galerie Peter Pakesch an das Wien Museum.


Inhalt

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Wolfgang Kos

Vor wort

25

Wolfgang Kos

Frischer Wind. Zur Wiener Kunstszene der 80er-Jahre

35

Denys Zacharopoulos

Die Gasse der Zeit

41

Lisa Wögenstein

„Time Takes a Cigarette“. Chronologie eines Tisches

49

Eva Badura-Triska

Sprache und Sprachkritik im Pakesch-Kreis

63

Thomas Mießgang

Trips und Träume. oder: „Hier riecht’s ja so nach Leichen“

Kapitel der Ausstellung

Gespräche von Wolfgang Kos

78 Das Kunst-Wunder von Wien

102 Die Anfänge / Die neuen Künstler

86 Wien bekommt eine Szene 120 Hinter den Kulissen 128 Ausstellungen 1981–1985 166 Ausstellungen 1986–1993 214 Kunst in der Stadt 218 Künstler als Musiker, Musiker als Künstler

Gespräche mit Peter Pakesch, Herbert Brandl, Gilbert Bretterbauer, Josef Danner, Otto Zitko

110 Graz – New York – Graz – Wien Gespräche mit Peter Pakesch

116 Galerie-Arbeit Gespräche mit Peter Pakesch

162 Deutsch-österreichische Freundschaft Gespräche mit Peter Pakesch, Max Hetzler

198 Über Franz West Gespräche mit Peter Pakesch, Martin Prinzhorn, Mathis Esterhazy

208 Kalifornien & SOWJETUNION Gespräche mit Paul Schimmel, Martin Prinzhorn, Peter Pakesch

232 Objektregister

224 Rückblick Gespräche mit Peter Pakesch, Beatrix Sunkovsky

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19 81

Bruno Kreisky ist Bundeskanzler, Fred Sinowatz Bundesminister für Unterricht und Kunst; Gründung der Wahlgemeinschaft »Das Grüne Forum«.

In Wien regiert eine SPÖ-Alleinregierung; Leopold Gratz ist Bürgermeister, Helmut Zilk Stadtrat für Kultur und Bürgerdienst.

Mörderischer Terroranschlag auf die Synagoge in der Wiener Innenstadt; Ermordung von Stadtrat Heinz Nittel durch palästinensische Extremisten.

Die U1 wird bis zum Praterstern verlängert, die U4-Strecke von Meidling bis Hütteldorf geht in Betrieb. Mit einem großen Fest wird die Donauinsel als Erholungsgebiet eröffnet; Beginn des AKH-Korruptionsprozesses.

Besetzung des WUK, das zu einem unabhängigen Kulturzentrum wird; Eröffnung des autonomen Kultur- und Kommunikationszentrums Gassergasse (GAGA) am 1. Mai. Oswald Oberhuber wird zum zweiten Mal Rektor der Hochschule für angewandte Kunst. Am 12. Dezember erscheint die Single „Der Kommissar“ von Falco und erreicht am 1. Jänner 1982 Platz 1 der österreichischen Charts; Start des Labels Schallter mit dem Neue-Welle-Sampler „WienmusikK“. Die Kunstpreise der Stadt Wien gehen an Anna-Lülja Praun, Gerhardt Moswitzer und Wolfgang Herzig.

Weltnachrichten: Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana; Wahl von Ronald Reagan als US-Präsident; MTV geht auf Sendung; erster und noch kaum wahrgenommener Bericht über AIDS; große Friedenskundgebungen in Deutschland und Westeuropa.

Am 6. Mai wird die erste Ausstellung der Galerie Peter Pakesch eröffnet.


Vorwort

Die frühen 1980er-Jahre waren eine entscheidende Aufbruchszeit für Wien. Eine ermüdete, abgewohnte Stadt, die sich mit ihrer Randlage im äußersten Osten des Westens abgefunden zu haben schien und die sich in längst vergangener Glorie eingeigelt hatte, begann sich zu öffnen. Wien wurde schneller, urbaner und weltläufiger. Man traf sich in neuen In-Lokalen, die Sperrstunde verschob sich in die Nacht und man sprach von „Wiener Szene“ und „Zeitgeist“. Vor allem als vitaler Kunstort wurde das bislang periphere Wien international entdeckt: „Das Kunst-Wunder von Wien“ stand 1986 auf dem Cover der deutschen Kunstzeitschrift art. Das Wort „Wunder“ lässt spüren, wie erstaunt man war, dass nach langer Kunstflaute aus Wien wieder translokale Impulse kamen. Just Wien wurde als „quirliges Künstler-Revier“ beschrieben, in dem die Kunst „explodiert“. Mit der Galerie, die der 26-jährige Grazer Peter Pakesch 1981 im Hinterhof des Hauses Ballgasse 6 startete, verwandelte sich ein winkeliges Alt-Wiener Gässchen nahe des Stephansplatzes, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein schien, in einen ‚heißen Ort‘. Er werde in Wien für „frischen Wind“ sorgen, teilte Pakesch selbstbewusst der Presse mit. Das ist ihm gelungen.

Wolfgang Kos

BRANDL, KIPPENBERGER, ZOBERNIG, WEST, KELLEY U. V. A. In den loftartigen Ausstellungsräumen in der Ballgasse wurde eine neue und bald erfolgreiche Generation von Künstlern wie Herbert Brandl, Otto Zitko oder Heimo Zobernig erstmals sichtbar. Die jungen, post-wilden Brachialmaler, deren Hauptquartier die Galerie Pakesch wurde, waren Anfang 20 und zum Teil noch an der „Angewandten“ inskribiert, als sie erste Ausstellungen hatten und professionelle Karrie-

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ren beginnen konnten. Ab 1985 war auch Franz West bei Pakesch. Damit bekam ein notorisch unterschätzter Außenseiter, der von Kleinverkäufen in Cafés und Bars gelebt hatte, erstmals einen festen Vertrag und konnte sich konsequent entwickeln. Wenige Jahre später fand West weit über Wien hinaus Beachtung. Ein wesentlicher Faktor für die Aufwertung des Kunststandorts Wien war, dass sich in der ersten Hälfte der 80er-Jahre führende Galerien wie die Galerie nächst St. Stephan, die von Rosemarie Schwarzwälder übernommen und neu positioniert worden war, Grita Insam oder Pakesch als internationale Player verstanden. Dieser ging die Sache besonders offensiv und engagiert an und war von Anfang an in Richtung Deutschland, Italien und Amerika bestens vernetzt. So und durch Messeteilnahmen ließ sich das Fehlen von lokalen Sammlern zeitgenössischer Kunst einigermaßen ausgleichen. Die Adresse „Ballgasse 6“, die Teil des nüchtern-coolen Schriftlogos war, kannte zwar kaum jemand in Wien, dafür wurde sie im internationalen Kunstbetrieb aber schnell zu einer Marke, die für Neuentdeckungen stand. Pakesch, der ursprünglich selbst Künstler werden wollte, bezeichnete sich im Gegensatz zum Selbstverständnis traditioneller Kunsthändler als „Coach“ seiner Künstler, deren Produktion er eng begleitete und die er gezielt „aufbaute“. Neu für Wien war, wie konsequent Peter Pakesch versuchte, auch „emerging artists“ oder „rising stars“ aus Deutschland, Italien, den USA und um 1990 auch aus Osteuropa in Wien auszustellen und eng mit ihnen zusammenzuarbeiten. So waren schon ab 1983 die Kölner Kunstrabauken und ,Trash-Könige‘ Martin Kippenberger und Albert Oehlen regelmäßig zu Gast, die phasenweise auch in Wien lebten und dabei die

Vorwort


örtliche Szene aufmischten. Später hatten bei Pakesch (der ab 1986 auch einen zweiten Space in der Ungargasse betrieb) künftige WestcoastStars wie Mike Kelley oder Stephen Prina ihre Europa-Premieren und es gelang ihm, mit Sol LeWitt oder Michelangelo Pistoletto auch Künstler aus der Weltliga nach Wien zu lotsen. EINE WICHTIGE SCHENKUNG Grundlage der Ausstellung ist das Archiv der Galerie*, das Peter Pakesch dem Wien Museum schenkte. 1993 schloss er seine Galerie, um sich fortan ganz auf die Rolle des Kuratierens zu konzentrieren. 1996 übernahm er die Leitung der Kunsthalle Basel, von 2003 bis 2015 war er Intendant des Joanneums in Graz. Das Archiv, das zum Glück nie zerteilt wurde, enthält neben der Künstler- und Werkkartei und mehr als tausend Fotos auch die Plakate der Galerie – durchwegs Künstlerentwürfe von hohem Rang – sowie Ausstellungsskizzen und Materialien wie Künstlerkorrespondenzen oder Preislisten.

* Exponate, die zum Archiv der Galerie Peter Pakesch gehören, werden mit „Wien Museum, Archiv GPP“ bezeichnet.

Künstler- und Werkkartei, Kiste mit Kollaborationen von Franz West, 1980er-Jahre Wien Museum, Archiv GPP

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Damit ist es möglich, auch hinter die Kulissen des Kunstbetriebs zu blicken, und das in einer Phase, in der die Globalisierung der Branche einsetzte. Für die Ausstellung besonders wertvoll sind die zumeist von Pakeschs ‚Hausfotografen‘ Wolfgang Woessner stammenden Ausstellungsansichten. Wir haben versucht, etliche Schlüsselwerke von Brandl, Zobernig, West, Geiger, LeWitt, Kelley oder Kippenberger, die auf den Fotodokumentationen zu sehen sind, auch real auftreten zu lassen. Neben zahlreichen Privatsammlern verdanken wir das vor allem der Großzügigkeit des Museums moderner Kunst Stiftung Ludwig sowie den Künstlern und Künstlerinnen. Speziell für ein kultur- und stadtgeschichtliches Museum wie das Wien Museum ist es von eminenter Bedeutung, Kunst in größere Zusammenhänge zu stellen und die Geschichte einer Galerie kontextualisiert erzählen zu können. Als Beispiel sei das Objektensemble zu Sol LeWitts Ausstellungen genannt. Zu sehen sind: Eine


Ansichtskarte mit der knappen Zusage des Künstlers, erstmals in Wien seine Wandmalereien zu zeigen. Eine Skizze auf einem Kalenderblatt, die als Grundlage für die von seinem Assistenten auszuführenden geometrischen Wandbilder diente. Eine Ausstellungsansicht mit der realisierten Arbeit. Und ein Film, der zeigt, wie sie nachher von jungen Wiener Künstlern wieder übermalt wird. Außerdem: Eine Wandskulptur, die in LeWitts dritter Schau bei Pakesch zu sehen war. Zu den Highlights der Ausstellung gehören bisher unbekannte Filme von Gerhard Fischer (einer zeigt das Publikum bei einer West-Eröffnung), Berichte der Fernseh-Kulturredaktion sowie Fotografien von Didi Sattmann, dem bedeutendsten Bildchronisten der Wiener Kulturszene der 80er-Jahre. Von ihm stammen auch die Bildberichte der legendären Kunst­ aktionen von Kippenberger und Oehlen im Jahr 1984, der „Ansprache an die Hirnlosen“, des Fiaker­ rennens auf der Prater Hauptallee und des deutsch-österreichischen Wettsaufens, das unter dem Titel „Offizierscasino“ zelebriert wurde.

5.3

Postkarte von Sol LeWitt mit Zusage einer Ausstellung an Peter Pakesch, 1985 Wien Museum, Archiv GPP

KUNST-ZEITGESCHICHTE Die Schau Ballgasse 6 zeigt zwar Kunstwerke und dokumentiert künstlerische Events, dennoch handelt es sich um keine Kunstausstellung im üblichen Sinn. Unbescheiden könnte man sogar sagen: Sie ist mehr als eine Kunstausstellung, weil eben ein dichter und mehrschichtiger Mix von heterogenen Exponaten gezeigt werden kann, wie er in einem ‚reinen‘ Kunstmuseum selten zur Verfügung steht. Da der ‚große‘ Ausstellungsraum des Wien Museums nur 370 m2 klein ist, bitte ich um Verständnis, dass grandiose Werke in die Erzählung eingewoben werden mussten, weil ihnen der Raum, den sie von Kunsthallen und Museen gewohnt sind, nicht geboten werden kann. Zum Beispiel muss Heimo Zobernigs für seine Entwicklung so wichtige frühe Kartonskulptur ohne Fernwirkung auskommen. Aber sie ist mit einer Ausstellungsansicht kombiniert, die zeigt, wie sie 1984 im Zentrum der Galerie platziert war, deren spiegelnder Asphaltboden zur Präsenz im Raum wesentlich beitrug.

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Die Galerie Pakesch und die dort gezeigten Künstler stehen zwar im Fokus der Ausstellung, doch es war uns ein Anliegen, den Gesamtzusammenhang der Wiener Szene der 80er-Jahre zumindest anzudeuten. Ein Exkurs gilt beispielsweise der Hochschule für angewandte Kunst, deren Bedeutung für die Erneuerung der Wiener Kunst enorm war. Ein anderer führt ins Kaffee Alt Wien, dem ‚Wohnzimmer‘ und Börsenplatz der Szene. Für die Dauer der Ausstellung durfte Helmut Qualtingers Stammtisch inklusive Bilderwand ins Wien Museum übersiedeln. Der Titel Ballgasse 6, den Heimo Zobernig vorschlug, lässt durchblicken, welche Bedeutung Orte – Galerien ebenso wie neue, trendige Lokale – für die Transformation einer Stadt haben. Die Ausstellung verknüpft Wiener Kunstgeschichte mit Stadtgeschichte. Vielleicht handelt es sich sogar um einen neuen Typus von Ausstellung: Versuchshalber bringe ich den Begriff „Kunst-Zeitgeschichte“ in Stellung. DER ZEITZEUGE ALS KURATOR Haben Sie diese Ausstellung bewusst ans Ende ihrer Direktionszeit gesetzt? Das wurde ich häufig gefragt. Ja, lautet die Antwort. Denn es ist riskant, eine Ausstellung zu konzipieren, die mit der eigenen Lebensgeschichte verbandelt ist. Als Radiojournalist habe ich die Neuigkeiten der Wiener 80er-Jahre begleitet, zuerst in der Musicbox, dann in Ö1. Spezialisiert war ich damals auf avancierte Rockmusik, gemeinsam mit Edek Bartz durfte ich für die Wiener Festwochen die Musikausstellung Töne und Gegentöne in der Secession kuratieren, die auch die Bezüge zwischen experimenteller Musik und Kunst auslotete. Besuche in der Ballgasse und in anderen Galerien waren für mich Augenöffner und trugen entscheidend dazu bei, dass ich mich fortan intensiv mit aktueller und aktuellster Kunst beschäftigen sollte. Mit Peter Pakesch und mit zahlreichen Künstlern und Künstlerinnen, die bei ihm oder bei Insam, Schwarzwälder oder Krinzinger ausstellten, ent­standen Freundschaften. Natürlich konnten ­Peter und ich nicht ahnen, dass wir mehr als 20 Jahre später zeitparallel bedeutende öster­ reichische Museen leiten sollten.

Vorwort


Ist es eine Gemeinschaftsausstellung von Wolfgang Kos und Peter Pakesch? Auch das wurde ich gefragt. Hier lautet die Antwort klipp und klar: Nein. Es handelt sich ja um keine Autobiografie des ehemaligen Galeristen. Die Konzeption und damit die Entscheidung, was wie und in welchem Kontext gezeigt werden soll, lag ausschließlich beim Kurator. Aber ohne die Beratung von Peter Pakesch wäre es natürlich nicht möglich gewesen, die Materialien aus dem Archiv zu befragen, Hintergründe kennenzulernen oder zu erfahren, in welchen Sammlungen sich einst von ihm verkaufte Werke befinden. Durch diesen Katalog ziehen sich Gespräche, die ich mit Peter Pakesch und zahlreichen Künstlern (und mit Beatrix Sunkovsky auch mit einer der wenigen Künstlerinnen, die von der Galerie vertreten wurde) und Weggefährten im Lauf der letzten Monate geführt habe. MOLTO BRUTTO So hieß die wichtigste Wiener Band im experimentellen Zwischenraum zwischen neu-wilder Musik und vehementer Malerei. Den Protagonisten gemeinsam ist, dass für sie Punkrock, Noise oder Elektropop künstlerischer Bezugsrahmen und die prägende Generationserfahrung war. Neben ‚richtigen‘ Musikern wirkten bei Molto Brutto, die es trotz wüstem Sound und experimentellen Texten zu einer LP auf einem kommerziellen Label schafften, unter anderen Gunter Damisch, Josef Danner, Fritz Grohs (alias Blihal) und Gerwald Rockenschaub mit. Ihr Name war Programm. Ähnlich genial wie Sehr häßlich waren die Bandnamen Wirr und Dumpf, zwei andere Querfeldein-Ensembles, die sich aus dem Freundeskreis der Pakesch-Boys rekrutierten. Weitere wichtige und unter ihrem Wert erinnerte Avantgarde-Ensembles aus dem kunststudentischen Milieu waren Pas Paravant (mit Karl Kowanz, Hans Weigand und vielen anderen), Halofern (mit Heimo Zobernig und Marcus Geiger), Graf + ZYX, Monoton alias Konrad Becker, die Projekte um Gary Danner (ab 1987 Station Rose) oder Rosachrom. Sogar eine Kunstlehrer-Kapelle gab es, das Hotel Morphila Orchester mit Peter Weibel und Loys Egg. Ein wichtiges Kapitel der Ausstellung heißt somit „Künstler als Musiker, Musiker als Künstler“.

8.8

Konzertplakat Molto Brutto, 1981 Gestaltung: Gunter Damisch Gunter Damisch

Wolfgang Kos

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Denn ohne Musik wäre dieser Kunstreport unvollständig. Es sind Raritäten zu sehen und zu hören, einerseits künstlerisch gestaltete Plattencovers, Musikkassetten und Plakate, andererseits Musikstücke aus den 80er-Jahren in einem speziellen Hörraum. Es werden vier 10-MinutenProgramme angeboten, zwei mit Audiomaterial, zwei mit Videos. Da die Ausstellung in eine Zeit zurückführt, in der Videokameras noch teuer, exklusiv und selten waren und das neue Medium Videoclip erst in den Anfängen war, gibt es nur ganz wenige Videodokumente. Dafür sind auch Probenmitschnitte dabei. Viele Künstler haben für diese Schau in ihrem bereits historischen Audio- und Videomaterial gewühlt. Parallel zur Ausstellung und zum Katalog hat Thomas Mießgang, der Kurator des Musikkapitels, auch eine CD (Ballgasse 6 – Wiener Avantgarde der 80er) für die „Edition Wien Museum“ kompiliert, die auf dem von Walter Gröbchen reanimierten Label Schallter erschienen ist. MEIN LETZTES VORWORT / DANK Somit geht mein letztes Vorwort für einen Katalog des Wien Museums zu Ende. Vorworte sind hybride Texte – und für Menschen, zu deren Pflichten es gehört, sie rechtzeitig vor Drucklegung zu liefern, eine eher belastende. Man erwartet Vorworte, aber man liest sie nur manchmal. Da in Wien geraunt wird, dass es Kunsthallen- und Museumsdirektoren gab und gebe, die nicht nur diverse Texte ghostwriten ließen, sondern sogar eine so persönliche Textsorte wie das Vorwort nicht eigenhändig verfassten, gebe ich somit bekannt, dass ich alle Vorworte für das Wien Museum mit eigenem Kopf und eigenen Fingern produziert habe – natürlich unter Verwendung von Bausteinen, für deren Zureichen ich danke. Als jemand, der gerne über Gott und die Welt schreibt, war es für mich eine merkwürdige Erfahrung, in zwölfeinhalb Jahren nur sehr selten Journalistisches oder Wissenschaftliches verfasst zu haben, sondern ‚nur‘ über 100 Vorworte. Ich habe zumindest versucht, über das Intro-Ritual hinaus, auch Grundsätzliches zum thematischen Kontext, zu Selbstverständnis und Arbeitsweise oder zu den Zielen und Motiven des Museums


unterzubringen und zu begründen, warum die jeweilige Ausstellung die allerwichtigste ist. In diesem Fall könnte ich schreiben: weil für ein Museum, dessen Statik auf einer weit zurückreichenden Sammlung ruht, die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst die notwendige Frischluft bringt, um im Heute mitspielen zu können. In all den Jahren musste ich erfahren, dass die Schlusspassage mit den Danksagungen die mühevollste ist, unter anderem, weil die deutsche Sprache bei den Worten „Dank“ und „bedanken“ nur wenige Synonyme kennt. Die radikalste und gerechteste Art des Dankens könnte sein: ein Doppelpunkt und dann die ­Namen und Rollen. Gewagt habe ich diese ­zeilenschonende Variante aber fast nie, auch ­wegen der durchwegs sinnvollen Differenzierungen (manchen dankt man mehr als anderen, über deren Umständlichkeit man sich vielleicht geärgert hat). Aber diesmal kommt sie, die Variante, in der nur einmal „danken“ vorkommt: Für das Erarbeiten von Ausstellung und Katalog und für deren wissenschaftliche, künstlerische und organisatorische Umsetzung danken möchte ich: Evi Scheller, Checo Sterneck, Hannelore und Andreas Haller, Thomas Mießgang, Bärbl Schrems, Živa Vavpotič, den Aufsatzautoren und -autorinnen Eva Badura-Triska, Lisa Wögenstein und Denys Zacharopoulos, Birgit und Peter Kainz, Nick Somers, dem restauratorischen Team des Museums, für die Aufarbeitung des Archivs Michaela Leutzendorff-Pakesch, dem Verlag der Buchhandlung Walther König und vielen anderen, vor allem den zahlreichen Leihgebern und Beratern, allen voran Peter Pakesch. IN MEMORIAM Eine Ausstellung über eine Zeit, die erst rund 30 Jahre zurückliegt – und dennoch sind verfrüht Gestorbene zu beklagen, die eng mit der Galerie Pakesch verbunden waren: Schon 1997 starb – in Wien – Martin Kippenberger. In jüngster Zeit gingen weitere Todesmeldungen um die Kunstwelt: 2012 starben Franz West und Mike Kelley, 2013 Günther Förg. Diese Todesnachrichten wurden aufgrund der Prominenz der Künstler breit wahrgenommen. Ganz anders war es, als 2000 Fritz Grohs starb.

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Er ist der große Vergessene der Kunst- und Musikszene der 80er-Jahre, wohl auch, weil er radikal interdisziplinär unterwegs war (manchmal in zu hohen Gängen) und als Mehrfachbegabter zwischen die Stühle geriet: als Sprachkünstler, der Songtexte schrieb (unter anderem für Molto Brutto), als Künstler fast ohne Werk, der zumindest am Rand zum Kreis der Galerie Pakesch zählte oder als Organisator, der unter anderem ein Badminton-Turnier in der Wiener Secession veranstaltete. Erinnern möchte ich auch an Cathrin Pichler und Markus Brüderlin, zwei engagierte und kompromisslose Vermittler, die als Schreibende und Kuratierende der Wiener Kunstszene entscheidende Impulse gaben. Pichler war 1992 die erste Bundeskuratorin, die von Kulturminister Rudolf Scholten eingesetzt wurde, Brüderlin erfüllte diese Aufgabe von 1994 bis 1996. Beiden verdankt die Wiener Kunstszene die damals dringend benötigte theoretische Anreicherung. Pichler gehörte zum intellektuellen Umfeld der Galerie Pakesch, als Mitwirkende einer Performance von Marcus Geiger hat sie in unserer Ausstellung einen überraschenden Auftritt. Cathrin Pichler konzipierte legendäre Ausstellungen wie Wunderblock, Engel oder Antonin Artaud. 1995 wurde sie Chefkuratorin der Kunsthalle Wien, zwei Jahre später warf sie das Handtuch, weil sie die Arbeitsweise des neuen Direktors Gerald Matt allzu sehr belastete. Markus Brüderlin, ein Schweizer, der ungefähr ein Jahrzehnt lang in Wien lebte, war Kunstkritiker beim Falter und bei internationalen Fachmedien. Als Fan der Neo-Geo-Bewegung der mittleren 80er-Jahre begleitete er diese als analytischer Publizist. 1987 war Brüderlin Herausgeber jener legendären Ausgabe des Kunstforum, die unter dem Titel „Insel Austria“ nicht weniger als eine Neuvermessung der österreichischen Kunst versuchte (und die in dieser Ausstellung natürlich nicht fehlen darf). Von 1996 bis 2005 war er leitender Kurator der Fondation Beyeler in Basel, danach Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Cathrin Pichler starb 2012, Markus Brüderlin 2014.

Vorwort


Ballgasse 6. Galerie Pakesch und die Kunstszene der 80er Wien Museum Karlsplatz 24. September 2015 bis 14. Februar 2016 Fotos: Klaus Pichler

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Herbert Brandl, Heimo Zobernig, Peter Pakesch und Franz West (v. l. n. r.), 1987 Foto: Didi Sattmann Didi Sattmann Privatarchiv

Wolfgang Kos

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Frischer Wind. Zur Wiener Kunstszene der 80er-Jahre

Jung und erfolgreich Wolfgang Kos

„Alt, aber frisch!“ soll Kunstscout Harald Szeemann 1984 gesagt haben, als in Wien wieder einmal über die von der Kunstwelt allzu lange übersehenen Qualitäten des Kunst-Biotops Wien diskutiert wurde. Überliefert hat das Kurzgutachten Markus Brüderlin im Vorwort der 1987 von ihm herausgegebenen Spezialnummer der Zeitschrift Kunstforum zum Thema „Insel Austria – Österreichische Kunst heute“.1 Nachdem „diese östliche Kunstregion“ im „transatlantischen Ping-Pong zwischen New York und (West-)Europa bisher ausgeklammert“ worden war, wurde speziell Wien nun entdeckt. Schon im Februar 1986 hatte man auf dem Umschlag des Kunstmagazins art lesen können: „Das Kunst-Wunder von Wien – Die Szene explodiert, Künstler verändern die Stadt“. Während der Wien-Report der Publikumszeitschrift art durchgehend von Euphorie und affirmativem Wien-Marketing getragen war, legte Brüderlin die Österreich-Befunde der Fachzeitschrift Kunstforum differenzierter an. Einerseits nutzte er die Chance, gleich 70 Porträts von zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen bei dutzenden Autoren und Autorinnen zu bestellen. Mindestens 80 Prozent der Vorgestellten waren unter 40, in der Rubrik „Ausblicke – Zeitschnitt ’87“ fanden sich unter anderen Kurzmonografien von Hans Kupelwieser, Johanna Kandl, Heimo Zobernig, Eva Schlegel, Romana Scheffknecht oder Walter Obholzer – also Vertretern ganz divergenter Richtungen. Andererseits war Brüderlins Landesvermessung auch von Skepsis geprägt. Dafür stand schon das breite Spektrum von in Österreich bereits etablierten Autoren wie Paul Kruntorad oder Oswald Oberhuber und zahlreichen jüngeren und ganz jungen Kunstpublizisten und -publizistinnen wie Helmut Draxler, Heidi Grundmann, Robert Fleck oder Goschka Gawlik. Bereits im Vorwort versucht Markus Brüderlin, die Kirche im Dorf zu lassen. Er stellt die Frage, ob die gestiegene internationale Beachtung der Wiener Szene auf real vorhandener Qualität beruhe oder sich aus der „Suche nach neuen, künstlerisch durchgegorenen Ressourcen“ erklären lasse, die anderswo „durch den Kunstmarkt schon ausgedünnt wurden“. Denn die „österreichische Postmoderne“ drohe nach Jahrzehnten der Dürre „dem Verwertungs-Karussell mit seinem nimmersatten Hunger nach noch nicht entdeckten, exotischen Kulturrefugien anheimzufallen“.2 Nicht nur für Brüderlin war für „Wien-Fieber“ und „Wiener Frühling“ entscheidend, dass es ab 1980 zu einer Renaissance und Reaktualisierung der Wiener Moderne gekommen war, also des Komplexes „Wien um 1900“. Dieser gipfelte im Megaerfolg der Ausstellung Traum und Wirklichkeit (Künstlerhaus 1985, produziert von Wiener Festwochen und Historischem Museum, gestaltet von Hans Hollein), der ähnliche Starparaden in Westeuropa, Nordamerika und Japan ­folgten. Auch Szeemanns Diktum „Alt, aber frisch“ bezog sich auf die historische und die gegenwärtige Zeitebene. Es gab kaum einen Jubelbericht über das Aufblühen der eben noch peripheren Kunststadt Wien und kaum eine Ausstellung, in der um 1985 aktuelle österreichische Kunst vorgestellt ­wurde, in deren Katalog nicht Freud, Wittgenstein, Loos oder Klimt als historische Zeugen für Wiens k­ ulturelle Bedeutung ins Treffen geführt wurden.3 Die tiefste und bitterste Ablehnung der jungen Kunstszene der 80er-Jahre kam von Otto Breicha. Ihrem 1987 geführten Gespräch mit dem „Monument der österreichischen Kunstszene“ gab Liesbeth Waechter-Böhm den Titel „Der Mißtrauische“.4 Breicha, der sich als Publizist und Ausstellungsmacher speziell für Arnulf Rainer und die seit den 1950er- und 60er-Jahren aktive 25

Frischer Wind. Zur Wiener Kunstszene der 80er-Jahre


Künstlergeneration eingesetzt hatte, bezeichnete die jungen Künstler als „Turnschuhmaler“ und warf ihnen „äußerste Beliebigkeit“ und „Oberflächlichkeit“ vor. Der langjährige Leiter des Grazer Kulturhauses und des Salzburger Rupertinums räumte ein, dass er von einer anderen Phase der Kunstentwicklung geprägt worden sei und dass seine fundamentale Polemik aus der Erfahrung oft vergeblicher Kämpfe für die Durchsetzung moderner Kunst im konservativen Nachkriegsösterreich gespeist sei. Breichas Hauptvorwurf galt dem schnellen Erfolg der Twentysomethings, der für ihn nur das Ergebnis von Substanzmangel sein konnte: „Gerade bei Rainer kann man doch wirklich auch von einem intensiven Bemühen um gewisse Inhalte reden, seine Werke lassen sich keinesfalls auf diese falsche Lockerheit reduzieren, die bei den Jungen eine so große Rolle spielt.“ Deshalb brauche es Jahrzehnte, bis in einem ernsthaften Künstlerleben Erfolg gerechtfertigt sei. Das Gespräch mit Otto Breicha, stellt ein bemerkenswertes Zeugnis eines Generationskonflikts dar – auch deshalb, weil Liesbeth Waechter-Böhm spüren lässt, wie perplex sie das Abblocken Breichas machte: „Ich bin ganz erstaunt von so viel Ablehnung. Dabei wissen Sie sicher, dass noch nie in der Geschichte der österreichischen Nachkriegskunst junge Künstler im internationalen Kontext derartig erfolgreich gewesen sind.“ Doch genau das machte den ehemaligen Pionier so misstrauisch: „Die heutigen Maler, die finden einen Kunsthandel vor. Und der Kunsthandel, der braucht immer Material. Und an dem, was heute so erfolgreich ist, hat der Handel viel profitiert, wie ich meine.“ Damals, als Arnulf Rainer, Gerhard Rühm oder Hans Christian Attersee um Anerkennung gekämpft haben, hätte „kein Hahn nach ihnen gekräht“ und das Materielle sei bedeutungslos gewesen, „denn es gab keine Zeitschriften, keinen Kunsthandel, es war ja nichts da“. Dieser Befund macht deutlich, warum um 1980 ein Wechsel im Selbstverständnis der Kunstschaffenden überfällig war. Nachdem es allzu lange zur Wiener Märtyrerlegende gehört hatte, aus Fremdverschulden und somit heroisch gescheitert zu sein, was wiederum zu Selbstmitleid führte (und letztlich zu einer Selbstabschottung des Kunstorts Wien), übte die neue Generation ihre Profession entkrampfter aus. Schmalix, Damisch, Brandl oder Zobernig hatten nicht das Ziel, zu Wiener Lokalkaisern und/oder Epigonen zu werden. Nachdem es in den Nachkriegsjahrzehnten nur ganz wenigen gelungen war, über Wien und Umgebung hinaus wahrgenommen zu werden, war nun selbstverständliches Ziel, sich an den neuesten internationalen Entwicklungen zu messen. Trotzige, geradezu pubertäre Marktverweigerung passte für farbenschleudernde Jungkünstler mit Pop-Image nicht mehr in eine Zeit, die auch als „Ego-Epoche“ oder „solipsistisches Jahrzehnt der Karrieristen“ (Peter Weibel) bezeichnet werden sollte.5 Damit ergab sich auch eine markante Zäsur zu den avantgardistischen Medien- und Konzeptkünstlern (darunter auch einige Frauen) der späten 70er-Jahre. Otto Breichas Rückschau auf die miserablen Bedingungen, die avancierte Kunstschaffende in Österreich vorgefunden hatten, zeigt über die mutlosen Wehklagen hinaus, wie wichtig auch geeignete Rahmenbedingungen sind: Die Malergeneration der 60er-Jahre, so Liesbeth Waechter-Böhm über den „verdörrten Boden“ Wiens, „fand den Apparat einfach noch nicht vor, der Voraussetzung dafür ist, damit die Arbeit des bildenden Künstlers sichtbar wird.“6 Noch in den 70er-Jahren fehlten Galerien, die systematischen Kunstexport betrieben. Für die frühen 80er-Jahre ist eine paradoxe Situation zu konstatieren: Der professionelle, kommerziell betriebene Kunsthandel wirkte als fortschrittlicher Faktor und brachte neuen Schwung in die Kunstszene. Dazu stand – wie die Rekrutierung der Pakesch-Künstler zeigt – keinesfalls im Widerspruch, dass die Türen speziell für Kunst aus dem Geist der Subkultur weit offen standen. Als der junge Grazer 1981 mit seiner neuen Galerie in Wien für Unruhe sorgte, grenzte er sich mit der Ansage, seine Galerie nach wirtschaftlichen Grundsätzen führen zu wollen, nicht nur von den teilsubventionierten „Informationsgalerien“ wie Insam oder nächst St. Stephan ab, sondern auch von vielen älteren Künstlern und Künstlerinnen, die „marktfern“ arbeiteten, sich als „kritisch“ verstanden und den Kunsthandel grundsätzlich ablehnten.7 Für die meisten Jungen war professioneller Karrierereaufbau wichtiger als ideologi­sche Fundamentalkritik am System Kunst. Eine Gegenstimme war jene von Wolfgang Zinggl, der 1993 (also zehn Jahre später, als einige der „Neuen“ bereits zu Premiumkünstlern aufgestiegen waren) Wolfgang Kos

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im Falter polemischen Spott gegen Franz West vom Stapel ließ. Anlass war, dass West mit dem Skulpturenpreis der EA-Generali Foundation ausgezeichnet worden „und nun um öS 300.000 reicher“ war.8 Warum gab West sein Preisgeld nicht an Bedürftigere ab? Die Jury sei dafür zu kritisieren, „Altstars zu veredeln“. Zinggls Vorwurf, sich auf das Spiel der „Kunstmafia“ einzulassen, traf auch andere mit hohen Preisen Ausgezeichnete wie die Hochschulprofessoren Bruno Gironcoli und Peter Weibel. Wien wurde metropolischer Der Boom der Kunstszene war natürlich kein isoliertes Phänomen. Ganz allgemein lässt sich von einer Öffnung und Beschleunigung Wiens auf dem Weg zu einer modernen Großstadt sprechen. Da es sich vor allem um eine Belebung des heruntergekommenen Stadtzentrums handelte, muss als eine wichtige Voraussetzung der Bau der U1 genannt werden, die Wiens Mitte in wenigen Minuten von den Außenbezirken Favoriten und Donaustadt erreichbar machte. Es kam zu einem Phänomen, das Dietmar Steiner einmal als „innerstädtischen Tourismus“ bezeichnete. Für unterschiedliche Zielgruppen wurden die neuen Fußgängerzonen Kärntnerstraße und Graben und ihre Nebengassen zu einem Parkour des Bummelns, Einkaufens oder abendlichen Ausgehens. Die neue Kunst- und Lokalszene konzentrierte sich auf ein relativ kleines Grätzel um Bäckerstraße und Grünangergasse. Mit der Galerie Pakesch kam die versteckte Ballgasse dazu. Auch die Cafés und Bars, die ab 1975 entstanden, waren alles andere als geräumig. Sie boten avancierten Architekten wie Hermann Czech, die wenig Chancen vorfanden, größere Aufträge zu bekommen, die Möglichkeit, mit Umbauten im Kleinformat zu brillieren.9 Czech gestaltete neben dem Kleinen Café unter anderem die Wunderbar, das von einer Kunsthistorikerin und einem Kunsthändler eröffnete Restaurant Oswald & Kalb, das zu einem Stammquartier der Kunstszene werden sollte, und das Salzamt. Mit Rückbezügen auf Loos und Frank, mit Spiegeltricks und subtilem Materialeinsatz kam es zu Neuinterpretationen des Wienerischen aus dem Geist der Moderne. Denkt man die Reiss Bar und den Roten Engel von Coop Himmelblau, das Kix von Adolf Krischanitz, das kleine Chinalokal Kiang von Helmut Richter oder das Café Stein von Eichinger oder Knechtl (ein Meisterwerk zeitgeistiger Zeitlosigkeit) sowie die neonkühlen New-Wave-Lokale dazu, so sieht man, wie variantenreich in Wien um 1980 Urbanität neu gedacht wurde. So eng sie auch sind: Wiens neue In-Lokale waren Statements für die geistige und atmosphärische Öffnung Wiens. Zudem etablierte sich mit der Stehbar mit Sperrstunde nach Mitternacht, ein neuer, kommunikativer Lokaltypus: Man zog von Bar zu Bar, traf sich immer wieder und erfuhr Neuigkeiten. So entstanden aktive, progressive Milieus mit unterschiedlichen Lebensstilen und Treffpunkten, wobei die Übergänge zwischen linken 68ern, alternativen Fortschrittsverweigerern, Punks, Kulturavantgardisten und Kunststudenten fließend waren. Alle waren Teil einer Gegenöffentlichkeit, die sich mit dem traditionellen Angebot nicht mehr zufrieden gab. Für einige der Künstler, die ab 1982 bei Peter Pakesch ausstellten, war auch das Anarcho-Kulturzentrum in den von Hausbesetzern okkupierten Gebäuden in der Gassergasse ein fixer Anlaufpunkt, denn hier fand die Band Molto Brutto ihr zwar grindiges, aber kostenloses Probelokal. Der Aufschwung der bildenden Kunst war auch eine Folge größerer öffentlicher Aufmerksamkeit, die sich in Subventionen für „Informationsgalerien“, die auch Vorträge, Diskussionen oder Konzerte anboten, ebenso manifestierte wie in Förderungen neuer Kunstformen wie Videooder Medienkunst. Was fehlte, waren größere Museumsausstellungen mit internationaler Perspektive (auch die städtische Kunsthalle existierte noch nicht). Zumindest teilweise konnte das durch Großausstellungen der Wiener Festwochen (u. a. Wien Fluss. 1986., De Sculptura) ausgeglichen werden, aber auch durch Galerien wie Pakesch, nächst St. Stephan, Insam oder Krinzinger, die immer wieder Ausstellungen auf Museumsniveau anboten. So stellte Peter Pakesch wegweisende Künstler wie John Baldessari, Michelangelo Pistoletto oder Joseph Kosuth zum ersten Mal in Wien vor. Speziell Helmut Zilk als aktionistischer Kulturstadtrat und Ursula Pasterk als Festwochenleiterin schufen Rahmenbedingungen, die auch Kulturaktivitäten außerhalb der Hochkultur größere Wirkung verschafften. 27

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post-wild Dass es eine gemeinsame Haltung der Freundesgruppe gab, für die ab 1982 die Galerie Peter Pakesch zur Homebase wurde, war von Anfang an spürbar. Diese hatte etwas mit Unverfrorenheit, Antipathos, Spaß und Sau-Rauslassen zu tun. Aber Neue Wilde wollten Brandl, Damisch, Zitko oder Danner keineswegs sein. Im Sog dieses aus Deutschland importierten und mit riesigen Leinwänden und Namen wie Fetting, Dokoupil oder Dahn verbundenen Begriffes hatte bereits einige Jahre vorher die etwas ältere Malergeneration um Siegfried Anzinger oder Hubert Schmalix ihre steile Karriere begonnen. Erst in den Gesprächen mit Peter Pakesch und ‚seinen‘ Künstlern wurde mir bewusst, wie wichtig diese Grenzziehung war. Fast reflexartig hörte ich die Feststellung, dass man nicht neu-wild war, ja sogar dessen Gegenteil: „Wir waren die Antwort darauf“, so Otto Zitko. Zugleich ging es, speziell in den frühen Gruppenausstellungen, um eine unüberhörbare Ansage, die sich so zusammenfassen lässt: „Jetzt kommen wir“. Abgrenzung ist wichtig, wenn man sich als „neu“ in Position bringen möchte. Ganz wenige Jahre machen da große Unterschiede. The Clash oder The Damned von 1977 spielten Punkrock, nur ein oder zwei Jahre später erschienene Platten von Gruppen wie Gang of Four oder The Pop Group waren bereits Post-Punk: Zwar von der Selbstermächtigungsenergie von Punk bestimmt, aber bereits um Differenzierung und reflexiven Umgang mit Lärm und Aggression bemüht. Die Situation der Maler, die zwischen 1981 und 1983 auftauchten, entsprach jener der britischen Post-Punk-Musiker. Punk war ein Befreiungssignal, von dem man mit 18 oder 20 aufgerüttelt ­worden war. Doch inzwischen hatte man ein paar Jahre auf der Hochschule für angewandte Kunst verbracht, wo Methoden- und Stilfreiheit angesagt waren und man von den theoretischen Tiraden des Lehrbeauftragten Peter Weibel animiert und verwirrt zugleich wurde. Das Studium an der „Angewandten“ machte den Unterschied, so Peter Pakesch, denn die vom Stubenring seien „lockerer und unbekümmerter“ gewesen und unbelastet von der Vorstellung einer hehren Kunst, in der sich ein authentisches Ich ausdrücke.10 Die Maler um Herbert Brandl hätten im Malen einen konzeptuellen Prozess gesehen, Malen sei weniger Selbstzweck als Mittel gewesen. Statt figurativ abstrakt und gestisch, statt schnellem Malen langsames Aufschichten von ‚Farbgebirgen‘. „Uns ging es um Verdichtung“, sagt Josef Danner.11 Allen Abgrenzungsversuchen zum Trotz lautete eine Zeitungsüberschrift zur ersten Gruppenausstellung von 1982: „Die Wilden sind eingezogen“.12 Bemerkenswert ist der Text, den Wolfgang Drechsler, damals Kurator am Museum moderner Kunst, 1983 für den Katalog der Gemeinschaftsausstellung Woher sind wir wieso gekommen in Köln geschrieben hat, an der Brandl, Bretterbauer, Damisch, Danner, Pichler, Rockenschaub und Zitko teilnahmen. Drechsler berichtet von seinen anfänglichen Zweifeln an der Eigenständigkeit ihrer Malerei, doch sein „unterschwellig sicher vorhandener Vorwurf des Mitschwimmenwollens“ kehrte sich am Ende ins Gegenteil: „Keiner der sieben Künstler kann oder will seinen Hunger nach Bildern mittels der Quick-Food-Methode stillen.“13 Auch hier zeigt sich die Absicht, nicht mit den wilden Schnellmalern (Hunger nach Bildern war zudem Titel eines Buches von 1982 über die Neuen Wilden in Deutschland) verwechselt zu werden. Ein scheinbarer Widerspruch bestand zwischen der wilden Attitüde, der Freude an der Regellosigkeit (vor allem im Querfeldeinkrawall und der emphatischen Musik von Bands wie Wirr und Molto Brutto) und der Rebellion gegen die akademische Stilkunst auf der einen Seite und der Tatsache, dass die meisten der knapp über 20-jährigen Radikalmaler ein akademisches Studium hinter sich hatten, wenn auch ein abgebrochenes. Nur Gunter Damisch hielt bis zum Diplom durch. Doch die Hochschule für angewandte Kunst war, nachdem Oswald Oberhuber als Rektor den Lehrplan liberalisiert hatte, de facto eine Anti-Ausbildungsstätte, die den Studierenden große Freiheiten ließ: „Wir konnten machen, was wir wollten“, erinnert sich Otto Zitko an seine Zeit an der Hochschule. „Die Revolution der Jungen Wilden“, so der Kunsthistoriker Walter Grasskamp im Katalog der Ausstellung Die 80er. Figurative Malerei in der BRD im Frankfurter Städel 2015, „kam Wolfgang Kos

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4.27

Herbert Brandl Ohne Titel, 1982 Öl auf Molino Privatsammlung Eisenköck

doch aus den Akademien, was aber nicht heißt, dass sie dort malen gelernt hätten.“14 Dazu passt, dass sich post-wilde Ideenkünstler wie Martin Kippenberger oder Markus Oehlen, die Peter Pakesch auch in Wien zeigte, genial-dilettantisch inszenierten. Das entsprach ihrer subversiven Verwirrungsstrategie. Für Wiens Post-Wilde wie Brandl und Zitko war Malen zwar ein Abenteuertrip mit offenem Ausgang und einer Dosis Spaß und Tollerei, aber es war immer klar, dass es sich um eine ernste, existentielle Sache handelte. Der Galerist als Coach und Kurator Beide Galerieräume, die Peter Pakesch in Wien betrieb, entsprachen einem neuen ‚amerikanischen‘ Typus. Sowohl im Haus Ballgasse 6 als auch in der Ungargasse 27 befanden sich die Ausstellungsräume im Hof oder in einem Hintergebäude. Wie in New York bezogen ab den späten 70er-Jahren auch in den westeuropäischen Großstädten neue Avantgarde-Galerien zumeist leer gewordene Räume ehemaliger Gewerbebetriebe oder kleiner Fabriken. Im Haus Ungargasse 27 befand sich eine Klavierfabrik und möglicherweise auch eine Färberei. Die Kunst profitierte vom Strukturwandel der postindustriellen „inner cities“, aus denen produzierende Betriebe nach und nach verschwanden. Damals wurde der Begriff „Loft“ auch in Europa bekannt und stand für ein antigemütliches Großstadt-Feeling. Eröffnungen im Hinterhof hatten den Charakter von Verabredungen von Eingeweihten. Zudem musste man dreckige Einfahrten und heruntergekommene Höfe durchqueren, was sich auf die Kunst wiederum als „street credibility“ übertrug. Die mit wenig Kapital, aber kultureller Ambition gestarteten Galerien der 80er-Jahre (von denen einige ein Jahrzehnt später zu internationalen Playern mit Millionenumsätzen werden sollten), dienten verschworenen Gruppen wie der 29

Frischer Wind. Zur Wiener Kunstszene der 80er-Jahre


4.1

xx

Galerieräume bei der Übernahme, 1981

Peter Pakesch, Max Hetzler und eine amerikanische Sammlerin (v. r. n. l.) auf der Messe in Chicago, im Vordergrund eine Skulptur von Franz West, 1988

Foto: Eveline Tilley-Tietze Wien Museum, Archiv GPP

Wien Museum, Archiv GPP

‚Bubenbande‘, die sich ab 1982 in der Ballgasse einnistete, als Hauptquartier.15 Damit veränderte sich auch die Rolle und das Selbstverständnis der Galeristinnen und Galeristen. Peter Pakesch war einerseits Scout, der sich unter Gleichaltrigen umsah und nicht darauf wartete, bis mehrmals von anderen Galerien abgewiesene Künstler und Künstlerinnen ihm ihre Mappen vorlegten. Als Neustarter, der sich ausschließlich mit noch Unbekannten auf den Weg machte, befand er sich selbst im Sog jener von ihm mitforcierten Aufbruchsenergie, die die Kunstszene nachhaltig verändern sollte. Es fällt auf, dass in den ersten Jahren zahlreiche Gruppenausstellungen stattfanden, bis sich schließlich stabile Solokarrieren entwickelten. Auch die häufigen Kollaborationen zwischen Pakesch-Künstlern wie Herbert Brandl oder Franz West verringerten sich in den späten 80er-Jahren, als klar wurde, dass im Kunstgeschäft multiple Autorenschaft im Widerspruch zum Künstler als Marke stand. 1989 beschrieb Pakesch im Interview mit Alexander Pühringer von der Zeitschrift Noema den zeitgemäßen Galeristen, der sich vom „normalen Kunsthändler“ unterscheide: „Er ist sehr dicht und sehr nah am Künstler dran und daher auch in einem Spannungsverhältnis mit dem Künstler. […] Er ist auch Coach eines Künstlers, der des Künstlers [sic] und sein eigenes Leben über den Markt ermöglicht und insofern auch wichtig ist für das Fortkommen und für die ökonomische Grundstruktur der künstlerischen Arbeit.“16 Das klappe vor allem mit „sehr intelligenten Künstlern“. In den für diese Publikation geführten Gesprächen betonte Pakesch, der ursprünglich selbst eine Künstlerkarriere angestrebt hatte, dass er als Galerist und Gesprächspartner ein wichtiger Filter auf dem Weg zum fertigen Werk gewesen sei, in manchen Fällen fast ein Co-Autor. Auf der anderen Seite verlangte er strikte Galeriedisziplin. Es waren die schlampigen Wiener Verhältnisse, zu denen auch gehörte, dass Künstler trotz Bindung an eine Galerie ihre Werke direkt verkauften, die dazu beitrugen, dass die lokalen Galerien im internationalen Geschäft nicht Fuß fassen konnten.17 Der Aufstieg von Franz West, der sich damit schwer tat, sich berechenbar zu verhalten, konnte erst einsetzen, nachdem er mit Eigengeschäften aufhörte und dafür 1985 einen Exklusivvertrag mit Pakesch abschloss. Dieser beinhaltete eine Art Fixgehalt, das dann mit Verkäufen gegengerechnet wurde, ein Modell, das bei Künstlern mit Erfolgspotenzial in den 80er-Jahren usuell wurde. Wolfgang Kos

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Speziell bei Pakesch, der vor und nach seiner Galeriezeit als Ausstellungsmacher für öffentliche Institutionen tätig war, war die Tätigkeit des Händlers eng mit einer kuratorischen Haltung verbunden.18 Speziell Ausstellungen mit internationalen Künstlern waren solchen in Kunstvereinen vergleichbar. Immer wieder wurde in den 80er-Jahren beklagt, dass es in Museen nur wenig Interesse für komplexere Werkpräsentationen gab. Mit dem im Kunstbetrieb neuen Begriff „Kurator“ wurden in den 80er-Jahren vor allem unabhängig arbeitende Ausstellungsmacher wie Kasper König, Harald Szeemann oder Jan Hoet bezeichnet, die mit ihrer Künstlerauswahl großen Einfluss auf Karrieren hatten. Für Galeristen war der Aufbau von tragfähigen Beziehungen zu den Starkuratoren ebenso wichtig wie das persönliche Kennenlernen von potenten Sammlern in aller Welt. In vielerlei Hinsicht änderte sich also das Umfeld der Kunst und das System des Westeuropa und Nordamerika umfassenden Kunstbetriebs. Durch die unverzichtbaren Teilnahmen an Messen in Basel oder Chicago erlebten sich die Händler, egal wo sie zu Hause waren, als Nachbarn in einem globalen Dorf. Es entstand ein bis heute übliches System, in dem erfolgreiche Künstler wie etwa auch Franz West oder Heimo Zobernig zwar an eine Hauptgalerie gebunden waren, aber auch in anderen Kunstmetropolen Fixgalerien hatten. Für Verkäufe wurden der Hauptgalerie, die den Künstler ‚aufgebaut‘ hatte, fest ausgehandelte Provisionen weitergegeben. Parallel zu den realen Kunstorten in der Ballgasse und in der Ungargasse war somit ein weit über Wien hinaus reichender Aktionsraum entstanden. 1 Kunstforum International („Insel Austria“), Bd. 89, Mai/Juni 1987, S. 72. 2 Ebd. 3 Einige Beispiele von Öster-

reich- und Wienanthologien mit aktueller Kunst und Bezügen zu „Wien um 1900“ in den Katalogen: Arte Austriaca 1969–1984, 1984 in Bologna (Kurator: Peter Weiermair); Weltpunkt Wien, 1985 in Straßburg (Kurator: Robert Fleck); Hacken im Eis, 1986 in Bern (Kurator: Ulrich Loock). 4 Kunstforum International, 1987, S. 169–173. Die folgenden Zitate stammen aus diesem Gespräch. 5 Peter Weibel, Einleitung zu: Martin W. Drexler, Markus Eiblmayr, Franziska Maderthaner (Hg.): Idealzone Wien. Die schnellen Jahre (1978–1985), Wien 1998, S. 10. 6 Liesbeth Waechter-Böhm: Wien – eine Metropole?, in: Kunstforum International, 1987, S. 255. 7 Vgl. Gespräch mit Peter Pakesch, S. 103 8 Wolfgang Zinggl: „Wabbelig anmutende Leute“, in: Der Falter, 42/1993, S. 53. 9 Vgl. Wolfgang Kos: Hohe Drehzahl auf engem Raum, in: Otto Kapfinger, Franz E. Kneissl (Hg.): Dichte Packung – Architektur aus Wien, Salzburg/Wien 1989, S. 155–169. 10 Vgl. Gespräch mit Peter Pakesch, S. 102 11 Vgl. Gespräche mit Josef Danner und Otto Zitko, S. 108. 12 Wie sehr mit dem Begriff „wild“ weiterhin unterschiedliche Malhaltungen österreichischer Künstler von 1978 bis 1985 zusammengefasst werden, zeigte die Ausstellung Die wilden Jahre (Essl Museum, Klosterneuburg, 2015), in der Werke von Erwin Bohatsch und Siegfried Anzinger ebenso zu sehen waren wie Arbeiten von Otto Zitko oder Herbert Brandl. In einem Werbetext des Museums heißt es: „Sie griffen nach ihren Pinseln und schufen farbenfrohe, großformatige Bilder, die Gegenständliches wieder zuließen. Frech und expressiv malten sie aus dem Bauch heraus.“ (Entgeltliche Beilage im Kurier, 08.05.2015) 13 Wolfgang Drechsler: Sieben auf einen Streich, in: Woher sind wir wieso gekommen (Ausstellungskatalog), Köln 1983. 14 Zitiert nach Julia Voss: Nicht einfach „Mali, Mali“ machen, in: FAZ, 22.07.2015, S. 9. 15 Der amerikanische Kulturhistoriker Steven Watson hat in seiner Buchreihe Circles of the Twentieth Century, für die er unter anderem die „Harlem Renaissance“ der 1920er-Jahre und den Aufstieg der Beat-Dichter beschrieb, auf die grundlegende Bedeutung von freundschaftlich verbundenen „cultural circles“ für die Entwicklung der Avantgarde hingewiesen. Zum Beispiel konnten sich durch den kreativen Austausch in der sicheren Innenzone innovative Positionen entwickeln. 16 Interview mit Peter Pakesch, in: Noema, 1989 (evtl. 1990). Da dem Zitat nur eine Einzelseite aus dem Kunstmagazin zugrunde liegt, kann auf das Erscheinungsjahr nur geschlossen werden. 17 Wie unprofessionell die Verhältnisse waren, erkennt man auch daran, dass in der Regel auch bei öffentlichen Ankäufen die Galerie nicht einbezogen wurde. 18 Zu seiner Rolle als Galerist vgl. insbesondere die Gespräche mit Peter Pakesch im Kapitel „Galerie-Arbeit“.

Wolfgang Kos, geb. 1949 in Mödling, Historiker, Publizist, Ausstellungskurator. Von 1969–2003 Radiojournalist im ORF; von 1988–2003 Lehrbeauftragter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien; von 2003–2015 Direktor der Museen der Stadt Wien (Wien Museum).

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