Wien Museum Ausstellungskatalog „Madness & Modernity - Kunst und Wahn in Wien um 1900“

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Im Wien des Fin de siècle stießen Geisteskrankheit und Psychiatrie auf große Resonanz. Schon seit Jahrhunderten hatten sich bildende Kunst und Literatur mit dem »Wahnsinn« auseinandergesetzt. In Wien jedoch fand auch die im 19. Jahrhundert als wissenschaftliche Disziplin etablierte Psychiatrie mit ihrer medizinischen Sicht der Geisteskrankheit und deren Behandlung großen Widerhall bei Künstlern, die nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und gesellschaftlicher Relevanz suchten. Die Ergebnisse dieser interdisziplinären Begegnungen sind so zahlreich wie mannigfaltig und reichen in der bildenden Kunst von avantgardistischen Selbstporträts über Entwürfe für psychiatrische Anstalten und Sanatorien bis zu allegorischen Skulpturen und Ausstellungen künstlerischer Werke von Anstaltsinsassen. Der vorliegende Beitrag spürt der Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln nach und soll die Verflechtungen zwischen bildender Kunst, Geisteskrankheit und Psychiatrie im Wien der Jahrhundertwende freilegen und verständlich machen. Psychiatrie und bildende Kunst teilten eine wechselseitige Faszination füreinander, da sich beide Felder mit den Beziehungen zwischen Körper und Seele auseinandersetzten. Und beide waren von der Vorstellung überzeugt, dass die moderne, urbane Gesellschaft zwar Anzeichen des Niedergangs zeige, aber gleichzeitig auch über die Heilmittel gegen ihre eigenen Leiden verfüge. Anhand der jeweils relevanten Ideen und Praktiken wird hier ein erster Überblick über die beiden Felder gegeben. Ebenfalls sichtbar gemacht wird die Skala jener Momente, in denen Psychiatrie und bildende Kunst zusammenwirkten, wobei die beiden Enden der Skala völlig unterschiedlich, die Überschneidungen eher ambivalent sind. Am Ende des Kapitels wird ein neuer Denkansatz vorgeschlagen, um auch Sigmund Freud in diesen Kontext einzubetten.

008 [2.18] Karl Henning Porträtbüste 1897 – 98

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009 Fotografie eines unbekannten Patienten

010 Porträtfotografie von Jean Martin Charcot

wahrscheinlich aus einer von Dr. Heinrich Schlöss in der Niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt KierlingGugging angelegten Sammlung Wien, Otto-Wagner-Spital

ein Exemplar aus Sigmund Freuds Besitz trägt die Widmung des Dargestellten

Madness & Modernity / Erforschungen des Körpers und Utopien des Irrsinns


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