Einleitung Wien um 1900 – diese Verknüpfung eines räumlichen mit einem zeitlichen Begriff steht seit langem synonym für die Geburt der Moderne. Als Heimat von wahren »Giganten« , wie Sigmund Freud, Gustav Klimt, Arthur Schnitzler oder Otto Wagner, erweckt das Wien des Fin de siècle, der Epoche von etwa 1890 bis 1910, weiterhin das Interesse von Wissenschaft und Forschung, Museen und Galerien wie auch eines aufgeschlossenen Publikums, wenn es darum geht, einen kulturellen »Nährboden« des 20. Jahrhunderts zu erkunden.1 Nie zuvor ist die städtische Intelligentsia in intensiverem Austausch miteinander gestanden als damals im Kaffeehaus, im Kabarett, im Sanatorium oder im Gebäude der Secession, sodass sich auch verschiedene Sphären der kulturellen Produktion vermischen konnten. Die Verbindungen zwischen Literatur, Psychoanalyse und Malerei haben es leicht gemacht, Themenkomplexe zu entwickeln, die immer wieder in Ausstellungen über das Wien der Jahrhundertwende auftauchen: Eros und Tod, Traum und Wirklichkeit, Konservatismus und Revolte.2 Die gegenseitige Befruchtung der Ideen, die das kulturelle Leben Wiens bestimmte und – in Hinblick auf die bildende Kunst – für die Gruppenausstellungen der Secession charakteristisch war, versetzt zudem heutige Kuratoren und Kuratorinnen in die glückliche Lage, aus einem beachtlichen Grundbestand unzählige Objekte und Personen zu versammeln. Die Ausstellung und das Buch Madness & Modernity. Kunst und Wahn in Wien um 1900, die 2009 für die Wellcome Collection in London entwickelt wurden, führen einerseits dieses Erbe fort, schlagen andererseits aber einen neuen Denkansatz vor.
002 Erwin Pendl Vogelschau des Landessanatoriums Steinhof 1907
11