Prolog Jänner 2017 | Wiener Staatsoper

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OPER

EIN VERBRECHEN IM ALPTRAUM Anmerkungen zu Korngolds Welterfolg Die Tote Stadt

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alt Paris bis 1850 unbestritten als die Welt­ hauptstadt der Musik, so begann Wien diesen Rang gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer deutlicher für sich zu beanspruchen: Einerseits zog eine beträchtliche Zahl an wesentlichen Musikern und Komponisten in die Donaumetropole, andererseits sorgten die Eröffnungen von Hofoper und Musikverein für ideale Aufführungsbedingungen. In dieser künstlerisch fruchtbaren Atmosphäre verbrachte der 1897 in Brünn geborene Erich Wolfgang Korngold die erste Hälfte seines Lebens. Mit Unterstützung seines Vaters Julius Korngold, des wohl wichtigsten deutschsprachigen Musikkritikers der damaligen Zeit, konnte die Öffentlichkeit sehr bald die ersten Kompositionen des hochtalentierten Wunderkindes kennen und schätzen lernen – Größen wie Gustav Mahler oder Richard Strauss beispielsweise zählten zu den ehrlichen Bewunderern des noch nicht 13-Jährigen. Entsprechend rasch öffneten sich für ihn auch die Pforten der Hofoper: Mit Hilfe seines Lehrers Alexander von Zemlinsky brachte Erich Wolfgang Korngold 1910 das pantomimische Ballett Der Schneemann im Haus am Ring zur Uraufführung – Dirigent war übrigens der spätere Direktor des Hauses Franz Schalk. Sechs Jahre darauf, mitten im Ersten Weltkrieg, folgten die zuvor in München gezeigten Operneinakter Der Ring des Polykrates und Violanta und bescherten dem aufstrebenden jungen Komponisten einen unbeschreiblichen Erfolg – und der Umstand, dass sich namhafte Sängerinnen und Sänger wie Maria Jeritza, Alfred Piccaver, Lotte Lehmann und Selma Kurz um Auftritte in diesen Werken bemühten, unterstrich zusätzlich den Stellenwert, den Korngold in der Kunstwelt einnahm. (Nur ganz nebenbei: Selbst am Wiener Burgtheater wurde eine Produktion von Shakes­

peares Viel Lärm um nichts, für die Korngold die Schauspielmusik geschrieben hatte, rund 80 Mal aufgeführt.) Den vermutlich größten Erfolg errang Korngold im Musiktheater jedoch mit seiner abendfüllenden Oper Die Tote Stadt. An diesem Stück, das seit einigen Jahrzehnten wieder die Spielpläne der internationalen Bühnen ziert, arbeitete der junge Komponist für seine Verhältnisse überdurchschnittlich lang: Vier Jahre vergingen zwischen dem Entstehen der ersten Skizzen und der Uraufführung. In dieser Zeit änderte sich der Titel des Werkes, das grundlegende Handlungskonzept und der Librettist. Als ursprüngliche literarische Basis fungierte der populäre Fin de Siècle Roman und das daraus entstandene Schauspiel Bruges la Morte (Das tote Brügge) des belgischen Symbolisten Georges Rodenbach. Der junge Korngold lernte das Schauspiel in der deutschen Fassung des Bernard-Shaw-Übersetzers Siegfried Trebitsch kennen – und lieben. Vom ersten Moment an fühlte er sich hingezogen zur dunklen Atmosphäre dieses „Venedig des Nordens“, wie Brügge gerne bezeichnet wird, zu den seelischen Konflikten der männlichen Hauptfigur, zur „Grundidee des Kampfes zwischen Leben und Tod, zum Kampf der erotischen Macht der lebenden Frau gegen die nachwirkende seelische Macht der Toten“, sodass Korngold – ohnehin auf der Suche nach einem neuen Opernsujet – beschloss Bruges la Morte zu vertonen. Zunächst entwarf er das komplettes Szenario für eine einaktige Oper, wurde dann aber vom Schriftsteller Hans Müller, dem vorgesehenen Librettisten, überredet, das Projekt auf drei Akte auszuweiten. Müller, der schon das Textbuch zur Violanta www.wiener-staatsoper.at

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Die Tote Stadt 9., 12., 15., 20. Jänner 2017


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