Programmheft »Guillaume Tell«

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GIOACHINO ROSSINI

GUILLAUME TELL


INHALT

S.

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DIE HANDLUNG S.

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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DER SPRUNG IN DIE ZUKUNFT BERTRAND DE BILLY IM GESPRÄCH S.

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S.

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WILHELM – GUILLAUME – GUGLIELMO WILLIAM WEAVER S.

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URSPRUNG, GESTALT & WIRKUNG DES MYTHOS VON TELL JEAN RUDOLF VON SALIS

EIN KOMPONIST IM RUHESTAND EDUARD HANSLICK

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WÜRDEN SIE HEUTE ABEND ETWAS WENIGER SCHREIEN ALS SONST? CHRISTIAN SPRINGER

S.

DER MANIPULIERTE HELD – DAS BEISPIEL WILHELM TELL FRANZ ZELGER

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S.

S.

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DIE INTERPRETINNEN & INTERPRETEN DES GUILLAUME TELL AN DER WIENER OPER MICHAEL JAHN

DIE GRAND OPÉRA, GUILLAUME TELL & DIE FOLGEN SUSANNE KAULICH

TEXTBUCH

S.

ZEITTAFEL S.

S.

S.

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IMPRESSUM


Liberté, redescends des cieux, et que ton règne recommence ! Freiheit, steig herab vom Himmel, auf dass deine Herrschaft neu beginne! GUILLAUME TELL, 4. Akt


GIOACHINO ROSSINI

GUILLAUME TELL OPER in vier Akten Text VICTOR-JOSEPH ETIENNE DE JOUY & HIPPOLYTE LOUIS FLORENT BIS

ORCHESTERBESETZUNG 3 Flöten (3. auch Piccolo) 2 Oboen (2. auch Englischhorn) 2 Klarinetten 2 Fagotte / 4 Hörner 4 Trompeten / 3 Posaunen Schlagwerk / Pauken 2 Harfen Violine I / Violine II Viola / Violoncello Kontrabass BÜHNENMUSIK 2 Harfen / 4 Hörner / 1 Glocke

AUTOGRAPH Bibliothèque Nationale, Paris URAUFFÜHRUNG 3. AUGUST 1829 Opéra, Salle de la rue Le Peletier, Paris ERSTAUFFÜHRUNG HAUS AM RING 27. JUNI 1869 Wiener Hofoper SPIELDAUER

4H

INKL. 2 PAUSEN




DIE HANDLUNG 1. AKT Eine Bergidylle im Dorf Bürglen, Kanton Uri. Man preist die Schönheit der Natur, der Fischer Ruodi singt ein Liebeslied, Hochzeitsvorbereitungen werden getroffen. Wilhelm Tell grübelt über das Schicksal seiner Heimat, die unter der Gewaltherrschaft der Habsburger steht. Der alte Melchthal und sein Sohn Arnold treten auf; während der Vater eine allseits respektierte Persönlichkeit ist, stand Arnold im Dienst der österreichischen Besatzer. Alleine, schwärmt er von seiner heimlichen Liebe zur Habsburgerprinzessin Mathilde, die er aus einer Lawine gerettet hat. Tell erkennt, dass der junge Mann bedrückt ist und versucht, ihn für die Sache der Schweizer zu gewinnen. Widerstrebend versichert Arnold, im Moment der Rebellion auf der Seite seiner Landsleute zu stehen. Von der folgenden Hochzeitszeremonie, bei der sein Vater die Paare segnet, stiehlt er sich fort. Das Eintreffen des gehetzten Leuthold unterbricht die Feierlichkeiten; er hat einen Soldaten des Landvogts umgebracht, um die Ehre seiner Tochter zu schützen. Tell bringt Leuthold in Sicherheit vor seinen Verfolgern, indem er ihn durch gefährliche Strömungen ans andere Ufer rudert. Die Schweizer jubeln, während Rudolf, der Anführer des eintreffenden österreichischen Kommandos, empört verlangt, man möge den Namen des Mannes preisgeben, der den »Mörder« gerettet hat. Als die Bauern sich weigern, wird der alte Melchthal umgebracht und das Dorf zerstört.

2. AKT Gesslers Jagdgesellschaft zieht über das Rütli. Mathilde sondert sich ab und vertraut ihre heimliche Liebe zu Arnold der Natur an. Ihr Geliebter erscheint und gelobt, sich durch militärische Erfolge in Diensten der Österreicher ihrer würdig zu erweisen. Beim Eintreffen von Tell und Walter flüchtet Mathilde das Stelldichein. Die Männer bringen Arnold erst dann dazu, sich ihrer Verschwörung anzuschließen, als sie ihm mitteilen, dass sein Vater von den Österreichern ermordet worden ist. Männer aus Vorherige Seiten SZENENBILD

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DIE HANDLUNG

den Kantonen Unterwalden, Schwyz und Uri erscheinen. Alle schwören feierlich, sich unter Tells Befehl dem Kampf zu stellen.

3. AKT Arnold und Mathilde treffen einander im Geheimen. Als der verzweifelte Arnold von der Ermordung seines Vaters berichtet, sieht Mathilde ein, dass ihre Liebe keine Zukunft hat. Geräusche vom Morgenappell der Gessler-Truppen dringen herein, die Liebenden nehmen voneinander Abschied. Auf dem Marktplatz von Altdorf beginnen von Gessler angeordnete Feierlichkeiten anlässlich der hundertjährigen österreichischen Herrschaft in der Schweiz. Dazu befiehlt Gessler allen Anwesenden, seinen Hut ehrfürchtig zu grüßen. Nur Tell verweigert die Verneigung. Tell wird festgenommen und entwaffnet, sein Sohn Jemmy, den er fortschicken will, damit dieser das Zeichen zur Erhebung gebe, wird von Gesslers Truppen ebenfalls zurückgehalten. Der Landvogt gibt Jemmys Leben in die Hand Tells: dieser soll einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen. Zum Jubel der Menge gelingt das Meisterstück. Als Tell gesteht, einen zweiten Pfeil für den Landvogt vorgesehen zu haben, wird er von dem wütenden Gessler in Ketten gelegt. Der herbeigeeilten Mathilde gelingt es, Tells Sohn unter ihren Schutz zu stellen. Gessler beabsichtigt, den wehrlosen Tell am Abend nach Küssnacht zu bringen; dort soll der Freiheitskämpfer den Tod finden.

4. AKT Arnold nimmt gerührt von seinem Vaterhaus Abschied. Eintreffende Kameraden, die ihm von Tells Verhaftung berichten, reißen ihn aus seiner Versunkenheit. Arnold stellt sich mit dem Schlachtruf »Sieg oder Tod« an ihre Spitze. Tells Gattin Hedwig beschließt, dem Landvogt gegenüberzutreten, um Mann und Sohn zu retten. Da trifft Mathilde mit Jemmy ein. Sie bietet sich als Pfand für die Rückkehr Tells an. Jemmy läuft alsbald davon, um das Signalfeuer für die Aufständischen zu entzünden. Im losbrechenden Unwetter nähert sich das von Tell gesteuerte Boot Gesslers. Tell gelingt es, an Land zu flüchten und seine Armbrust auf den Tyrannen abzuschießen. Der mit den Schweizer Truppen herbeieilende Arnold, der inzwischen Altdorf befreit hat, erfährt vom Tod Gesslers. Der Sturm legt sich und gibt den Blick auf eine prachtvolle Landschaft frei, zu deren Lobpreis sich die befreiten Schweizer versammeln.

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UBER DIESES PROGRAMM- BUCH In seinem letzten, seinem 40. Musiktheaterwerk bescherte der größte Komponist seiner Zeit, Gioachino Rossini, der Welt noch einmal einen Opernhit: Guillaume Tell, nach Schiller, erzählt mit den imposanten und verschwenderischen Mitteln der französischen Grand opéra die Legende des schweizerischen Freiheitshelden neu. Uraufgeführt wurde das Werk im August 1829 an der Pariser Opéra, dem damaligen Mittelpunkt des europäischen Musiktheaters. Über die Figur und den Mythos Wilhelm Tell schreiben in diesem Programmbuch Jean Rudolf von Salis (ab Seite 16) und Franz Zelger (ab Seite 18): Letzterer beschäftigt sich mit den zahlreichen, sehr unterschiedlichen Darstellungen und Interpretationen der Figur wie auch mit der Heranziehung dieser für verschiedenste Zwecke. Susanne Kaulich setzt sich mit Guil­ laume Tell und der Gattung der Grand

opéra auseinander (ab Seite 30), Christian Springer steuert ab Seite 44 einen detailreichen Beitrag über die Sängerinnen und Sänger der Uraufführung wie auch über Aspekte der Gesangstechnik rund um den Guillaume Tell bei. Und Michael Jahn bietet einen spannenden Einblick in die Wiener Aufführungsgeschichte (ab Seite 54). Bertrand de Billy, der Dirigent der Wiederaufnahme, erläutert ab Seite 10 musikalische Besonderheiten dieser Oper, Erinnerungen des Wiener »Kritikerpapstes« Eduard Hanslick an den gealterten Komponisten Rossini (ab Seite 40) runden die Auswahl an weiterführenden Texten ab. Um dem Publikum eine genaue »Nachlese« dieser an der Wiener Staatsoper seit längerem nicht mehr gespielten Oper möglich zu machen, wird dem Programmbuch das deutschsprachige Libretto beigefügt.

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FRANÇOIS-JOSEPH FÉTIS IN LA REVUE MUSICALE

»DIESE OPER ENTHÄLT GENUG IDEEN, UM ZEHN SEHR SCHÖNE OPERN DARAUS ZU MACHEN.«


GESCHICHTE & OPER

Seit 1032 gehörte die (spätere) Schweiz zum Deutschen Reich. Hintergrund der auf das Jahr 1307 zu datierenden, historisch jedoch nicht belegten Wilhelm-Tell-Sage sind die Bestrebungen der Schweizer Waldorte um »Reichsunmittelbarkeit«, d.h. direkt dem Deutschen Reich zu unterstehen und sich nicht der österreichischen Hausmacht der Habsburger einverleiben zu lassen. Die Oper verbindet (wie das Schillerʼsche Drama) drei ausein­ anderliegende Ereignisse zu einer an zwei Tagen spielenden Handlung: Das »Ewige Bündnis« der drei Waldorte Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 gegen Habsburg, die (unhistorischen) Begebenheiten um Wilhelm Tell und die Gewaltherrschaft eines Landvogtes Gessler, um Rütli-Schwur und Apfelschuss von – angeblich – 1307, sodann den ersten großen Sieg der drei »Urkantone« 1315 bei Morgarten gegen das Ritterheer des Herzogs Leopold I. von Österreich. Damit wurden die drei Orte wieder »reichsunmittelbar«, sie bildeten den Kern der späteren »Eidgenossenschaft«, deren förmliche Unabhängigkeit in ihrer Gesamtheit dann 1474 von Habsburg anerkannt werden musste. 1499 löste sich die Schweiz auch aus dem Deutschen Reich. Die historische Tatsache, dass der Schweizer Widerstand um 1300 den regionalen Besitzansprüchen der Habsburger galt, nicht jedoch dem Deutschen Reich (das 1307 von einem Habsburger, nämlich König Albrecht I. von Österreich, regiert wurde), wird in der Opernhandlung begrifflich verwischt – hier fungieren Gessler, das Reich und die Habsburger Truppen gemeinsam als Repräsentanten von Gewaltherrschaft und Unterdrückung, die abzuwerfen am Schluss gelingt. Die Figur der Prinzessin Mathilde von Habsburg entstand aus der Berta von Bruneck des Schiller-Dramas und gibt der Oper die unvermeidbare Liebeshandlung.

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KS THOMAS HAMPSON als GUILLAUME TELL



OLIVER LÁNG IM GESPRÄCH MIT DEM DIRIGENTEN DER WIEDERAUFNAHME BERTRAND DE BILLY

DER SPRUNG IN DIE ZUKUNFT ol

Sehr gerne würde ich dieses Gespräch mit einer allgemeinen Frage beginnen. Der britische Schriftsteller William Somerset Maugham sprach einmal davon, dass man im Schaffensprozess die erdachten Figuren ganz für sich hat, sie aber im Zuge einer Veröffentlichung an das Publikum verliert. Geht es Ihnen als Dirigent auch so? Im Studium gehört die Oper ganz Ihnen, bei der Aufführung auch den Zuhörerinnen und Zuhörern? bb Der große Unterschied zwischen dem Schriftsteller Somerset Maugham und dem Dirigenten de Billy besteht ja darin, dass Letzterer kein Schöpfer ist. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass ein Autor Figuren kreiert, Persönlichkeiten erfindet, sie »besitzt« – und dann an die Leserin und den Leser, die sich mit Figuren vielleicht identifizieren, gleichsam übergibt. Ich aber schaffe nichts gänzlich Neues. Wenn ich eine Partitur öffne, ist alles schon da! Meine Aufgabe ist zu verstehen, was die Autoren wollten, um das dann bestmöglich zum Leben zu erwecken. Durch meine Interpretation, und das ist das Persönliche an meiner Arbeit, betone ich Dinge, hebe Aspekte hervor, unterstreiche manches. Ich kann Schwerpunkte setzen, die mir im Sinne der Deutlichkeit dessen, was nach meiner Sicht die Autoren wollten,

wesentlich scheinen – eben interpretieren. Aber das Material, mit dem ich arbeite, hat ein anderer geschaffen. ol Weil Sie von Identifikation sprachen: Gibt es diese auch als Dirigent? Sind Sie womöglich zeitweise ganz Wilhelm Tell? Arnold? Oder alle Figuren gleichzeitig? bb Ich denke: nein. Ich identifiziere mich in meiner Arbeit nicht mit einzelnen Opernfiguren. Ich werde von ihnen berührt, oder genauer: Ich werde von Situationen und Emotionen berührt. Das betrifft jede Oper. Das Ungewöhnliche daran ist vielleicht, dass es Stellen in Werken gibt, die in mir seit der Kindheit immer dieselben Gefühle auslösen. Geradezu körperliche Zustände: Ich sehe Bilder, spüre Dinge – jedes Mal ein wenig stärker. Dass ich mich aber in eine Rolle verliebe oder mich in ihr wiederfinde, das ist mir noch nicht passiert und sollte mir in meinem Beruf auch nicht passieren, denn unsere Aufgabe ist es ja, in den Zuschauern die Emotionen auszulösen. Es kann schon sein, dass ich manchmal eine Person, die ich auf der Bühne sehe, sein möchte oder ich frage mich, wie ich mich wohl in einer entsprechenden Handlungssituation verhalten würde, aber das betrifft nicht nur das Musiktheater, sondern auch das Schauspiel, die Literatur, den Film. Oder auch das Leben an sich.

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DER SPRUNG IN DIE ZUKUNFT

ol

Sie sind gebürtiger Franzose, Schweizer Staatsbürger und dirigieren in Wien Guillaume Tell, eine Oper, die in Paris uraufgeführt wurde und in der die Habsburger vorkommen. bb Ja, ja – auf den ersten Blick eine interessante Situation. Nur was bedeutet das in der Realität? Natürlich kennt man sowohl als Franzose wie auch als Österreicher die Figur und die Legende von Wilhelm Tell. Für die Schweizer hat es noch eine andere Dimension. Dort ist er eine Persönlichkeit, die regelrecht verehrt wird. Eine Art Mythos. Er ist ein Idealbild, einer aus dem Volk, der für die Freiheit gekämpft hat. Als ich Schweizer wurde, musste ich eine Prüfung absolvieren – und eine der Fragen behandelte natürlich Wilhelm Tell. So wie es in jedem Dorf eine Tell-Statue gibt. Ich wohne in Lausanne, im Kanton Vaud, und der Wahlspruch dort lautet »Liberté et Patrie«. Genau auf der Linie von Tell! Und ich kenne etliche Leute, die darauf bestehen, dass Wilhelm Tell nicht nur ein Mythos ist, sondern tatsächlich gelebt hat. Ein idealisierter Held, fast eine Erlöserfigur. Wenn er in der Oper mit den Worten »Frauen, jagt die Männer aus den ehelichen Betten« zur Aktivität antreibt, dann ist er ja damit nicht weit von Christus entfernt, der seine Jünger anweist, alles hinter sich zu lassen. ol Wie attraktiv ist ein so purer Held für Sie? bb Ich finde Figuren, die nicht ganz perfekt sind, an sich immer interessanter. Im Falle von Tell kann man aber durchaus auch die Schattenseiten finden; er ist ja auch manipulativ, wenn er etwa Arnold, statt ihn nach dem Tod seines Vaters zu trösten, aufhetzt. Tell nützt also die Schwäche der Menschen. Auch die anderen Figuren haben ihre

Untiefen: Mathilde etwa ist sich des Standesunterschieds zu ihrem Geliebten Arnold durchaus bewusst. Es gibt also auch zutiefst Menschliches, und das finde ich wichtig zu betonen. Das sind übrigens Aspekte, die mir diesmal stärker auffallen als bei meinen bisherigen Guillaume Tell-Dirigaten. Wenn wir diese Oper, die dem Genre der Grand opéra angehört, nun mit dem deutlich später entstandenen Don Carlos von Verdi vergleichen, dann sehen wir, dass zwar beide Opern politisch sind, Verdi aber die unterschiedlichen Charakterfarben einer Figur stärker hervorhebt. Rossini arbeitete diesbezüglich noch weniger psychologisch. ol War für Rossini also das Politische an der Oper von Bedeutung? bb Natürlich war sich Rossini der Tragweite bewusst. Das merkt man schon an der Tatsache, dass er den Chor einmal die »Marseillaise« andeuten lässt. Das ist selbstverständlich kein Zufall, sondern hatte in Frankreich eine Signalwirkung. Ich würde zusätzlich sagen, dass es für einen so enorm erfolgreichen Komponisten wie Rossini anziehend war, sich mit einem politischen Stoff zu beschäftigen, mit einem Stoff nach Friedrich Schiller. Sie haben vorher Frankreich, die Schweiz und Österreich erwähnt. Aber nicht Deutschland. Schiller war Deutscher und Tell ist in wesentlichsten Teilen auch ein deutsches Stück, das 1804 uraufgeführt wurde – in einem anderen politischen Umfeld und in einer neuen Theatertradition: Weimar! Doch dann passierte etwas: Das Ganze hat sich irgendwie verselbstständigt, wie das bei großen Kunstwerken immer wieder der Fall ist. 25 Jahre später, bei der Uraufführung der Oper, gibt es in Paris ein

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IM GESPRÄCH MIT BERTRAND DE BILLY

anderes Theaterverständnis, abgesehen von den eigenen Bedürfnissen der Gattung Oper, und die Librettisten waren Franzosen, die ein Libretto für die Pariser Oper geschrieben haben, das ein Italiener vertonte. Das Ende der Oper, die letzten zehn Minuten, sind ein Sprung in die Zukunft, wie man ihn selten erlebt hat. Was wir hören, grenzt beinahe an Wagner und Debussy. Rossini ist da seiner Zeit plötzlich um Jahrzehnte voraus. Er schreibt also ein Finale, das wie eine Vision ist, und merkt, wie er nach diesem Opernende auch nicht mehr zurückkann. Es ist wie ein Endpunkt. Wahrscheinlich war er selbst erstaunt über das, was da passiert ist. Wir kennen das ja auch von anderen Künstlern, die letzten Bilder von Monet sind quasi moderne Kunst. Ich lese in dieser Oper also eine musikalische Entwicklung heraus, wie man sie sonst nur selten erlebt. Vergleichen wir die Situation mit Verdi und seinem Falstaff: auch ein Meister­ werk, aber bei Verdi sehen wir eine laufende Entwicklung. Bei Rossinis Guillaume Tell: ein radikaler Sprung! ol In der Oper werden mitunter originale schweizerische Melodien zitiert, Rossini setzt Echo-Effekte ein, die auf die schweizerische Berglandschaft hinweisen. Dienen diese Elemente als Farbtupfer oder sollen sie eine Atmosphäre erzeugen? bb Es ist Stimmungszauber, wie ein Duft. In Guillaume Tell kreiert Rossini bewusst eine »schweizerische« Atmosphäre. Es gibt zum Beispiel auch Stellen, an denen die Soprane im Chor ein bisschen jodeln sollen. Nicht viel! Nur eine Andeutung, aber es ist vorhanden. Die Naturschilderungen, die in dieser Oper vorkommen, können auch an schweizerische Landschaften erin-

nern, sie stehen aber auch einfach für Tells Verbundenheit mit der Natur. Ich habe mich diesmal auch entschlossen, Namen wie Melchthal nicht in französischer, sondern in schweizerischer Aussprache singen zu lassen. ol Und gibt Rossini den Schweizern und Habsburgern unterschiedliche Musiken? bb Nein – so weit geht er nicht. Manchmal singen die Schweizer und die österreichischen Soldaten sogar dieselbe Melodie, da muss man dann mit Farben arbeiten. Denn es ist klar, dass es nicht gleich klingen darf. Durch die Farbe muss der jeweilige Charakter verständlich werden. ol Wie klingt das in der Praxis? bb Ich habe dem Chor gesagt, dass die Österreicher klingen müssen wie die Hexen in Verdis Macbeth, die Schweizer hingegen weicher. Das muss deutlich zu hören sein! ol Das bedeutet aber auch, dass der Komponist wertete. Im Gegensatz etwa zu Verdi oder Mozart. bb Finden Sie wirklich, dass Mozart und Verdi nicht gewertet haben? Ich denke, es ist zumindest klar: Gesler ist böse. Tell der Freiheitsheld. Also, Rossinis Position ist schon klar verständlich. ol Die Gattung der Grand opéra, an deren Anfang Guillaume Tell stand, setzt gewisse formale Anforderungen voraus. Kann man diese als Korsett für Rossini sehen? bb Man muss festhalten, dass es Rossini ja nicht primär darum ging, eine Form zu erfüllen. Die Struktur der Grand opéra war so noch nicht ausdefiniert, sondern gerade im Entstehen und Tell hat ja für die Entwicklung einen wesentlichen Beitrag geliefert. Rossini nahm ein Thema und fragte

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DER SPRUNG IN DIE ZUKUNFT

sich, was er braucht, um das Projekt umsetzen zu können. Natürlich mit den enormen Mitteln und grandiosen Sängern, die die Opéra in Paris damals zu bieten hatte. Das Ballett etwa hat in Guillaume Tell eine dramaturgische Logik: Gesler befiehlt Tänze – und dann wird eben getanzt. Das ist kein Korsett, sondern fügt sich in die Handlung ein. Man darf aber auch nicht vergessen, was es damals für eine Herausforderung für einen Komponisten war, für die Pariser Oper zu schreiben. Paris war damals der Opernmittelpunkt der Welt und da wollte Rossini – wie auch bereits Bellini und später Verdi – reüssieren! ol Ist die Grand opéra mit ihren Regeln – es muss ein historisches Thema sein, es braucht zum Beispiel große Tableaux, Chöre, Ballett, Prunk und so weiter – heute überhaupt noch zeitgemäß? bb Es ist wie in jeder Opernform zeitgemäß, wenn die Musik und das Libretto gut sind. Oftmals sind Elemente wie das Ballett eine Herausforderung für die Inszenierung. Ich finde aber: Wenn man eine Grand opéra macht, dann auch mit Ballett. Es gehört einfach alles dazu. Aber Meisterwerke in egal welcher Form überdauern die Zeiten. ol Und inwiefern unterscheidet sich Guillaume Tell von anderen, sagen wir, heiteren Werken Rossinis? bb Guillaume Tell ist wie eine lange Reise. Schließlich geht es in der Oper um nicht mehr und nicht weniger als um die Gründung der Schweiz, und das braucht seine Zeit. Die Oper beginnt sehr lyrisch, baut sich langsam

und gemächlich auf. Der Chor singt über die Natur, preist Gott, das aber: sehr zurückgenommen, sotto voce, also gedämpft. Dann entfaltet sich schön langsam die Handlung: der erste Akt ist gewaltig! Rossini nimmt sich Zeit, bevor es so richtig losgeht. Das ist für ihn eher ungewöhnlich. Und wir finden keine Koloraturarien, sondern Arien mit Koloraturen – das ist ein Unterschied! Mich beeindruckt übrigens immer wieder, was Rossini den Sängerinnen und Sängern abverlangt: die Partie der Mathilde ist ungemein schwierig, wie eine Anna Bolena! Arnold muss große Höhen, aber auch eine gute Tiefe bieten können, dasselbe gilt für die Titelfigur. Dessen Rolle liegt anfangs, wenn er über die Situation seiner Heimat klagt, sehr tief, steigt dann aber stark an. Später, bei seiner großen Arie mit dem Solocello, wird es fast veristisch, am Ende der Oper singt er wiederum fantastische Linien in schönstem Belcanto. Eigentlich bräuchte man für jede Rolle gleich zwei Sänger. Aber auch jenseits der Hauptrollen: nehmen Sie zum Beispiel den Fischer gleich zu Beginn der Oper: sehr herausfordernd! ol Und für das Publikum? Ist Guillaume Tell ein »schwieriges« Stück? bb Nein, absolut nicht! Es gibt viel herausforderndere Werke der Pariser Operntradition, wie etwa Robert le dia­ ble. In Guillaume Tell kennt jede und jeder einige Melodien, wir haben ununterbrochen wunderbare Momente – oft zum Niederknien schön – und dann eben das Finale und der Schluss in CDur: Ich bin immer sehr bewegt, wenn ich das höre.

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Folgende Seiten KS NANCY GUSTAFSON als MATHILDE




JEAN RUDOLF VON SALIS

URSPRUNG, GESTALT & WIRKUNG DES MYTHOS VON TELL Goethe hatte auf seinen Reisen in der Schweiz den Stoff kennengelernt; aber seinen Aufzeichnungen fehlte es am revolutionären Pathos, am dramatischen Schwung, am aktuellen Zeitgeist. Er tat gut daran, diesen Stoff Schiller abzutreten, dem er besser lag. Schiller war – wie Pestalozzi – vom französischen Nationalkonvent zum Ehrenbürger der Einen und Unteilbaren Republik ernannt worden – freilich nicht für seinen Wilhelm Tell, der erst 1804 entstand, sondern für die Räuber; aber es war beinahe zwangsläufig, dass Schillers in die Freiheit verliebte Feuerseele die Sage vom Meisterschützen und Volksbefreier zum Stoff eines erbaulichen, politisch lehrhaften, daher zitatenreichen und warmherzigen Stückes machte. (Beethovens Fidelio lag in der gleichen ideologischen Fahrrinne einer gegen Tyrannei, für Freiheit und Verbrüderung eingenommenen Zeitströmung.) Indessen gibt es zwei Schüsse in der Geschichte von Tell: den rühmlichen, auch rührenden, mit dem er, ohne sein Kind zu treffen, diesem einen Apfel vom Kopfe schießt, und den andern, den zwar jeder Aufrührer, aber nicht ganz ohne Vorbehalt ein ehrbarer Bürger feiern konnte, weil es ein Schuss aus dem Hinterhalt im Waldes­ dickicht auf einen – freilich abscheulichen – Volksbedrücker war. Dieser Sachverhalt hat auch Schiller zu

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URSPRUNG, GESTALT & WIRKUNG DES MYTHOS VON TELL

schaffen gemacht; seine Skrupel verleiteten ihn zu der schlechtesten Szene seines Stückes: zu der Begegnung von Tell mit Parricida, dem Mörder des Königs Al­ brecht. Der Dramatiker – und damit folgte er schweizerischen Vorlagen – fühlte sich bewogen, zwischen einem »guten« Attentat und einem »schlechten« Attentat und daher zwischen dem bieder-frommen Tell und dem meuchlerischen und habsüchtigen Herzog von Schwaben zu unterscheiden, der seinen königlichen Oheim getötet und nicht ganz zu Unrecht gehofft hatte, bei dem Mörder Gesslers gute Aufnahme zu finden. Er fand jedoch einen braven, innerschweizerischen Bauern und Familienvater, ohne jegliches Verständnis für die Mordtat bei Brugg … Die Verbreitung einer Geschichte, ihre literarische, künstlerische, politische und ideologische Wirkung sagen an sich noch nichts darüber aus, ob sie sich in der historischen Wirklichkeit zugetragen hat. »Ob sie geschehn? Das ist hier nicht zu fragen…«, sagt Gottfried Keller in Bezug auf die schweizerische Befreiungstradition. Es war ihm bekannt, dass die Geschichtsforschung seiner Zeit die Historizität der alten Chronikerzählungen von Tell und Gessler und von den drei Eidgenossen auf dem Rütli in Abrede stellte. Alle Geschichtsforschung beruht auf authentischen Quellentexten und auf Quellenkritik; auch archäologische Funde, auch volkstümliches Brauchtum, Waffen, Münzen, Gegenstände, bildliche Darstellungen, literarische Zeugnisse müssen auf ihren Quellenwert geprüft werden. Das ist von der schweizerischen Geschichtsforschung zur Erhellung des Ursprungs der ältesten eidgenössischen Bünde ausgiebig und mit größter Akribie getan worden. Indem man die Figur und die Taten Tells immer von Neuem feierte und mit dem Armbrustschützen einen Kult trieb, hat man ihn auch Anfechtungen ausgesetzt. Allein, die Anfechtung gehört zu Tell: Anfechtung seiner geschichtlichen Existenz, Anfechtung seiner Rolle innerhalb des sagenhaften Befreiungsgeschehens, Anfechtung seines ursprünglichen Charakters eines zornigen Rebellen, endlich Anfechtung seiner Tat in der Hohlen Gasse. Aber Tells Figur bleibt im Gedächtnis haften, weil sie schlicht und einfach zu einem einprägsamen Symbol von Volksfreiheit geworden ist.

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FRANZ ZELGER

DER MANIPULIERTE HELD – DAS BEISPIEL WILHELM TELL Wilhelm Tell als Bolschewik, Zwingli wehrt den Bilderstürmern in Zürich, Napoleons Humanität und beispielhafte Fürsorge, Spartakus als Identifikationsfigur der Mailänder Oberschicht. Solche Bildinhalte mögen uns befremden. Sie widersprechen dem weitverbreiteten Bild dieser Helden. Tell gilt doch als ein freiheitsliebender, rechtschaffener Bauer, der in Notwehr handelte; unter Zwinglis Führung wurden 1524 in Zürich die Fresken in den Kirchen übertüncht oder abgeschlagen, Altäre und Tafelbilder vernichtet und Skulpturen verbrannt; einen humanen Feldherrn wird man Napoleon wohl kaum nennen dürfen, und Spartakus war ein Führer der Sklaven und nicht der Herren. Diese Gestalten haben also ihre Rolle gewechselt oder sind in einen neuen Zusammenhang gebracht worden.

DER ZORNIGE UND DER REDLICHE TELL Mehr noch als historische Gestalten sind im Allgemeinen die Helden aus

Sagen und Legenden der Manipulation ausgesetzt, denn sie sind freier interpretierbar. Ein fast unerschöpfliches Beispiel ist Wilhelm Tell. Die Historizität Tells ist für die heutige Geschichtsforschung kein Thema mehr. Es steht fest, dass die Apfelschussgeschichte ungefähr im 10./11. Jahrhundert im Norden entstanden ist und von dort nach Süden gelangte, wahrscheinlich durch wandernde Erzähler, Spielleute, Predigermönche oder Rom-Pilger. In der Innerschweiz traf die Sage auf fruchtbaren Boden, nämlich auf denjenigen einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Habsburgern und einheimischen Bauern. Dabei wurde der Apfelschuss zum Kern der Befreiungsgeschichte, zur zentralen Befreiungstat, und sein Urheber zum ersten Schweizer überhaupt. In der Folge haben die Chronisten des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre zahllosen Nachfolger den Helden bis in die Gegenwart lebendig erhalten. Zweifler gab es allerdings schon im 16. Jahrhundert. Wohl der berühmteste aller Tell-Kritiker war Voltaire. Knapp und präzis bezog er

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DER MANIPULIERTE HELD – DAS BEISPIEL WILHELM TELL

Stellung: »Il faut convenir que lʼhistoire de la pomme est bien suspecte.« Und Daudets Tartarin spottete: »Man weiß ihn unhistorisch und errichtet ihm Standbilder.« In der Tat: Die Bildproduktion ist unübersehbar und von permanenter Ambivalenz. Tell ist auf der einen Seite Symbol der konservativen Eidgenossenschaft, dann wieder Leitbild des Aufstandes gegen jede Art von Unterdrückung. Schon im 16. und 17. Jahrhundert, als die Schweiz nicht nur von sozialen, sondern auch von religiösen Spannungen erschüttert war, finden wir ihn oft an der Front der Unzufriedenen. Noch 1712 kam es im Zweiten Villmerger Krieg zwischen Protestanten und Katholiken zu blutigen Auseinandersetzungen, wobei beide Lager mit Wilhelm Tell in den Kampf zogen. Für die Vertreter des Ancien régime war Tell kein Revoluzzer und die Eidgenossenschaft nicht durch Rebellion entstanden. Sie betrachteten sein Vorgehen als einen Akt der Notwehr auf dem Weg zur schweizerischen Staatsgründung. Dies propagierte schon Ägidius Tschudi in seinem Chronicum Helveticum aus den 1550er Jahren, das Johannes von Müller und Friedrich Schiller als Vorlage diente. Es erstaunt wohl kaum, dass Altdorf, wo sich der Hauptakt der TellGeschichte abgespielt haben soll, zu einem vaterländischen Wallfahrtsort wurde. Man sprach auch vom »schweizerischen Oberammergau«. Es waren nicht nur die lokalen TellSpiele, die auf das Jahr 1512 oder noch früher zurückgehen, sondern ebenso Richard Kisslings Denkmal von 1895, die Altdorfs Bedeutung als Fremdenverkehrsort begründeten. Der von Kiss-

ling geschaffene Typus des erhabenen, hoheitsvollen Helden hat nicht nur das Publikum erfreut, sondern auch die Tell-Ikonografie nachhaltig geprägt. Kopfhaltung, Gesichtsausdruck, Plastizität von Haar und Bart erinnern an die Darstellung eines anderen mythischen Volksführers: an Michelangelos Moses von 1516. Kisslings Heros ist der »mythische Führer des Schweizervolkes, das im vertrauensvoll aufblickenden Knaben personifiziert ist«. Gleichsam als nationale Altarfiguren sind der Held und der Knabe mit dem Turm im Fluchtpunkt der Straßenachse und dessen rundbogigem Bild verbunden. Eingemeißelt ist ein Vers von Schiller: »Erzählen wird man von dem Schützen Tell, so lang die Berge stehʼn auf ihrem Grund.« In diesen Worten verbindet sich der Tell-Mythos, worauf Hanspeter Rebsamen aufmerksam gemacht hat, zusätzlich mit dem Bergmythos, der damals besonders aktuell war. 1880 war nämlich unweit von Altdorf der Gotthard durch den Eisenbahntunnel bezwungen worden. Der Hauptförderer dieses Unternehmens, der Staatsmann Alfred Escher, hat 1889 in Zürich ebenfalls von Kissling ein Denkmal erhalten. Nur zwei Jahre nach der Enthüllung von Kisslings Altdorfer TellDenkmal schuf Ferdinand Hodler 1897 einen monumental gestalteten Wilhelm Tell, der zweifellos zu den populärsten und eindrücklichsten Darstellungen des Freiheitshelden überhaupt gehört. Der Heros steht über den von der Befreiungssage erzählten Geschehnissen, er gilt bis heute als Symbol des Unabhängigkeitswillens eines ganzen Volkes. Der Künstler hat sich im Helden, wenn auch stark stilisiert, selbst porträtiert. Er hatte damals Grund, sich

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FRANZ ZELGER

mit der legendären Gestalt zu identifizieren, stand er doch mitten im Kampf um die Realisierung der Landesmuseumsfresken in Zürich. Sein Gessler war der Direktor des Hauses, Heinrich Angst, der den Maler mit allen Mitteln zu diffamieren versuchte; ihn galt es zu bezwingen. Auffallend ist aber auch die typologische Ähnlichkeit von Hodlers Tell mit Darstellungen des Auferstandenen. Dazu kann man festhalten, dass Heldendarstellungen oft auf christliche Pathosformeln zurückzuführen sind.

TELL IM 20. JAHRHUNDERT Wie schon in früheren Epochen beriefen sich auch im 20. Jahrhundert politische Bewegungen und Parteien auf den Tyrannenmörder, zum Beispiel in der Schweiz die kommunistische Partei der Arbeit. So erschien 1922 in ihrem Organ folgender Aufruf Wilhelm Tells an das Schweizervolk: »Ich mache meinen hochwohllöblichen Eidgenossen bekannt, dass ich ab 1. August Bolschewik geworden bin! Schon die Protektion, die der Bundesrat den Habsburgern, die ich habe vertreiben helfen, hat angedeihen lassen, hat meine altbewährte Vaterlandsliebe stark erschüttert. Ebenso der Missbrauch meines Namens für die Fremdenindustrie, den ich gesetzlich geahndet hätte, wenn ich Geld gehabt, einen Advokaten zu nehmen. Im ferneren nützt mir meine Axt nichts mehr, da ich in meinem Vaterland nirgends mehr Arbeit finde. Außerdem werden alle schönern und größern Äpfeln exportiert, und auf die kleinen kann ich nicht mehr schießen, tät ich auch nicht mehr, seit ich weitsichtig geworden bin [...].« In formaler Anlehnung an Kisslings patriotisches Altdorfer Tell-Denk-

mal tauchte der Held auch auf einem Broschürenumschlag im Spanischen Bürgerkrieg auf, wobei der Sohn Walter, bei Kissling noch ganz Kind, in einen jungen Revolutionär umgewandelt ist. In eine andere Richtung zielt Salvador Dalís Rätsel von Wilhelm Tell (Moderna Museet, Stockholm). Der Surrealist thematisiert auf seine Weise das Vater-Sohn-Verhältnis und stellt dabei die väterliche Autorität infrage. »Das Rätsel von Wilhelm Tell zeigt einen der gefährlichsten Momente meines Lebens«, schreibt Dalí, »Wilhelm Tell ist mein Vater, das kleine Kind, das er in den Armen hält und das anstelle eines Apfels ein rohes Kotelett auf dem Kopf trägt, bin ich. Das heißt: Wilhelm Tell hat kannibalische Absichten. Sigmund Freud hat den Helden definiert als denjenigen, der sich gegen die väterliche Autorität auflehnt und den Vater schließlich besiegt.« So wurde der Schweizer Nationalheld von Dalí abermals mit einer neuen Rolle bedacht. Während des Zweiten Weltkriegs finden wir den Freiheitshelden naturgemäß in patriotischem Gewand. Damals haben sich die Schweizer weitgehend mit ihm identifiziert, ob sie an seine Identität glaubten oder nicht. Während Tell-Aufführungen erhoben sich die Zuschauer von den Sitzen und sprachen tief ergriffen den Rütlischwur mit. In den sechziger Jahren erschien der Held dann leibhaftig an fremdenfeindlichen Veranstaltungen als Repräsentant der inneren Ordnung des Staates. Es belegt Tells universelle Verfügbarkeit, dass sich auch palästinensische Araber nach einem Attentat auf ein israelisches Zivilflugzeug auf ihn beriefen. Daneben fand er auch Eingang in die Gegenwartsliteratur. 1971 erschien Max Frischs Wilhelm Tell für

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DER MANIPULIERTE HELD – DAS BEISPIEL WILHELM TELL

die Schule. Ironisch demontiert Frisch den nationalen Mythos, wobei er Konrad von Tillendorf, die traditionelle Figur des Gessler, ins Zentrum seiner Darstellung rückt. Mit offensichtlicher Unlust versieht hier der Landvogt sein Amt in der ihm völlig fremden Innerschweiz. Gleichzeitig erschien Otto Marchis Schweizer Geschichte für Ketzer, in der unterhaltsam und doch historisch fundiert die Entstehung der Eidgenossenschaft entmythologisiert wird. Tell schießt, wie wir gesehen haben, auf jeden Apfel, den man ihm zum Ziele bietet. Kein Wunder, dass er in neuerer Zeit auch im Dienst der Werbung steht: Er engagiert sich für die Atomschutzinitiative. Er preist ebenso Kakao wie Jeans an, er wirbt für alle nur denkbaren Konsumgüter und für Arbeitsplätze. Immer bürgt er für Qualität – wie sein Attribut, die Armbrust, für diejenige von Schweizer Produkten. Wäre Tell eine geschichtlich eindeutig belegbare Gestalt, mit einer bis ins De-

tail nachweisbaren Biografie, die Wirkung und die Identifikationsmöglichkeiten könnten nie so groß sein. Dann würden nämlich die Eigenschaften des Helden, seine Erfolge und Misserfolge, viel zu eindeutig hervortreten. Die Fixierung auf beinahe schablonenhaft typische, weder psychologisch noch biografisch differenzierte Züge ist ja gerade charakteristisch für mythische Helden. Und nach C. G. Jung verliert ein Mythos an Strahlungskraft, sobald er sich auf menschliche Maße reduzieren lässt. Indem Tell ins Mythische gesteigert wird, ist er viel mehr als nur eine Figur auf dem riesigen Feld der Geschichte. Er wird zum Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit, zur Verkörperung von staatsbürgerlichen Tugenden, kurz, zur Personifizierung des Guten – was immer darunter verstanden wird – und damit zu einem Vorbild, das ad libitum eingesetzt werden kann.

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ZEITTAFEL 1792 Gioachino Rossini wird am 29. Februar in Pesaro als Sohn eines Hornisten und einer Sängerin geboren.

1797 Aus politischen Gründen muss der Vater Pesaro verlassen. Die Eltern beginnen ein Leben als wandernde Musiker. Gioachino lebt bei der Großmutter.

1801 Nach einer Gefängnisstrafe des Vaters zieht die Familie nach Bologna um, wo Gioachino das Klavier- und Violaspiel erlernt.

1802/04 Erste Kompositionen entstehen. Auftritte als Sopransolist in Kirchen und am Theater.

1806 Eintritt ins Liceo Musicale von Bologna.

1808 Die erste Oper Demetrio e Polibio entsteht (UA 1812).

1810 Nach dem Studienabschluss arbeitet Rossini als Opernkomponist. Für das Teatro San Moisé in Venedig schreibt er La cambiale di matrimonio. Der Erfolg zieht weitere Aufträge nach sich.

1812 In diesem Jahr komponiert er fünf Opern, u.a. La pietra del pa­ ragone für die Mailänder Scala.

1813 Für Mailand und Venedig schreibt Rossini Il Signor Bruschino, Tancredi, Lʼitaliana in Algeri.

1814 Rossini schreibt Il turco in Italia.

1815 Der Impresario des Teatro San Carlo in Neapel, Domenico Barbaja, verpflichtet Rossini. Debüt in Neapel mit Elisa­ betta regina dʼInghilterra. Beginn der Zusammenarbeit mit der spanischen Primadonna Isabella Colbran.

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ZEITTAFEL

1816 Misserfolg mit der Oper Almaviva ossia Lʼinutile precauzione (später in Il barbiere di Siviglia umbenannt). Spätere Aufführungen werden umjubelt. Rossini wird im Ausland bekannt. Er reist nach Wien, London und Paris. Uraufführung von Otello.

1817 Rossini schreibt seine letzte große komische Oper La cene­ rentola. Für Mailand komponiert er La gazza ladra. Weitere Opere serie entstehen.

1822 Heirat mit Isabella Colbran. Reise nach Wien. In der Zeit vom 13. April bis Mitte Juli erlebt Rossini einen triumphalen Erfolg in Wien. Seine Werke erscheinen in unzähligen Bearbeitungen. Er hört u.a. den Freischütz, besucht Beethoven. Fürst Metternich bestellt bei Rossini einige Kantaten.

1823 Mit Semiramide schreibt Rossini seine letzte italienische Oper. Einladung nach London.

1824 Rossini übernimmt die Leitung des Théâtre-Italien in Paris.

1825 Zur Krönung König Charlesʼ X. wird Il viaggio a Reims aufgeführt.

1828/29 Arbeit an Guillaume Tell. Seine einzige komische französische Oper Le Comte Ory entsteht. Seine 40. Oper, Guillaume Tell (UA am 3. August 1829 in Paris), ist sein letztes Bühnenwerk. Rossini schließt einen neuen Vertrag ab, der ihn für die kommenden zehn Jahre verpflichtet, fünf Opern zu schreiben, der ihm aber vor allem eine lebenslange Pension zusichert. Rückkehr nach Bologna.

1830 Am 25. Juni (fragmentarische) Erstaufführung des Guillaume Tell am Wiener Kärntnertortheater.

1831 Rossini zieht wieder nach Paris.

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ZEITTAFEL

1832 Beginn der Komposition am Stabat Mater. Trennung von seiner Frau. Nervenzusammenbruch.

1836 Rückkehr nach Bologna.

1839 Vertrag als ständiger Berater des Liceo Musicale.

1842 Das Stabat Mater wird im Théâtre-Italien in Paris uraufgeführt.

1843 Zur ärztlichen Behandlung nach Paris.

1845 Rossini wird ehrenamtlicher Direktor des Liceo Musicale in Bologna. Heirat mit Olympe Pélissier.

1847 Verschiedene Kompositionen von geistlicher Musik trotz Krankheit.

1849 Manisch-depressive Störungen. Anhaltender schlechter physischer und psychischer Zustand. Rossini verlässt Italien und geht mit seiner Frau nach Paris.

1855/64 Nach Kuren verbessert sich sein Gesundheitszustand. Seine Villa in Passy wird zum Zentrum für künstlerische und gesellschaftliche Ereignisse. Besuche von Wagner, Hanslick und Liszt. Kleinere Kompositionen entstehen.

1864 Petite Messe Solennelle uraufgeführt.

1868 Am 7. Februar findet die 500. Aufführung von Guillaume Tell an der Pariser Oper statt. Am 13. November stirbt Rossini in seiner Villa. Er wird auf dem Père-Lachaise-Friedhof beigesetzt.

1887 Rossinis sterbliche Überreste werden nach Santa Croce in Florenz überführt. Sein Grabmonument wird am 23. Juni 1902 enthüllt.

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ARTHUR SCHOPENHAUER

»SAGEN SIE IHREM FREUND WAGNER IN MEINEM NAMEN DANK FÜR DIE ZUSENDUNG SEINER NIBELUNGEN, ALLEIN, ER SOLLTE DIE MUSIK AN DEN NAGEL HÄNGEN, ER HAT MEHR GENIE ZUM DICHTER! ICH, SCHOPENHAUER, BLEIBE ROSSINI UND MOZART TREU!« 27


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SUSANNE KAULICH

DIE GRAND OPÉRA, GUILLAUME TELL & DIE FOLGEN Mit der sensationellen Uraufführung von Daniel François Esprit Aubers Großer Oper Die Stumme von Portici am 29.(!) Februar 1828 an der Pariser Opéra begann der Siegeszug eines Operntypus, mit dem sich alle nachfolgenden Opernkomponisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in irgendeiner Form auseinanderzusetzen hatten. Richard Wagner beispielsweise, als Komponist der Großen, tragischen Oper Rienzi noch voll und ganz Meyerbeer und der Großen französischen Oper verpflichtet, wurde später zum vehementen Gegner der Grand opéra. Er verurteilte ihren ausgesprochenen Hang zu Effekten als »Wirkung ohne Ursache«. Musikgeschichtlich bildet die Grand opéra jedoch ohne jeden Zweifel die Wurzel einer facettenreichen Entwicklung der Oper hin zu Verdi und zu Wagners Musikdramen, aber auch zu Bizet und zu Puccinis Verismo. Historisch gesehen ist ihre Entstehung ganz eng mit den gesellschaftspolitischen und kulturgeschichtlichen Umwälzungen der Zeit verknüpft. Mit der vom oppositionellen liberalen Bürgertum herbeigeführten Juli-Revolution von 1830 beginnt unter dem »Bürgerkönig« Louis-Philippe der Aufstieg des Finanzbürgertums in Vorherige Seiten SZENENBILD

Paris. Die Form der Grand opéra wird zum Lieblingsgenre und damit zum Dokument einer Zeit, in der die Pariser Bourgeoisie Ausdruck in einer ihr adäquaten Kunstform sucht. Dieses luxus­verwöhnte Großstadtpublikum verlangt nach aufwendigem, effektvollem Spektakel im Theater. Die Grand opéra ist Zeugnis einer nach Monumentalität und technischer Perfektion strebenden Epoche, deren bürgerliche Gesellschaft geprägt und beseelt ist vom Geist der modernen Technik und vom industriell-kapitalistischen Unternehmertum. Dafür ist auch die künstlerische und administrative Umorganisation des Opernbetriebs charakteristisch. Sie vollzieht sich mit der Übergabe der Pariser Opéra in die Hände des Privatmanns Louis Véron im Jahr 1831. Véron wirtschaftet auf eigenes Risiko, wird dabei jedoch durch staatliche Subventionen abgesichert. Als nationales Prestigeunternehmen soll die Opéra entsprechend aufwendig betrieben und so zum Aushängeschild einer neuen Gesellschaft werden, die sich im Drang nach Großartigkeit und Pomp bestätigt sieht. Vérons Memoiren eines Bourgeois untermauern die politische Aufgabe der

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Grand opéra und spiegeln das Selbstverständnis einer aufstrebenden Gesellschaft wider: »Die Juli-Revolution ist der Triumph der Bourgeoisie; dieser Bourgeoisie wird daran gelegen sein, zu repräsentieren und zu amüsieren; die Opéra wird ihr Versailles werden, und sie wird in Scharen herbeieilen, um den Platz der grands seigneurs und des verbannten Hofes einzunehmen… Erstklassige Aufführungen musikalischer Meisterwerke müssen den Fremden nach Paris locken; er muss die Logen von einer eleganten und zur Ruhe gekommenen Gesellschaft besetzt finden… Die Erfolge und die Einnahmen der Opéra sollen ein Dementi der Unruhen sein.« Somit ist die Wandlung einer Kunststätte in einen kommerziellen, professionell durchorganisierten Industriebetrieb politisch-ideologisch sanktioniert. Durch geschickte Maßnahmen wie die Wiederbelebung des Opernballs als gesellschaftliches Ereignis und die Öffnung der Bühne für Abonnenten wird die Oper zum Ort der Selbstdarstellung des neuen Geldadels. Der gesellschaftliche Status der Neureichen definiert sich über die Häufigkeit des Besuchs und die Qualität der Plätze. Die Pariser Oper ist auf ständiger Jagd nach Superlativen, um das Publikum bei der Stange zu halten und die Kasse klingeln zu lassen. Die Grand opéra entwickelt sich im wahrsten Sinne des Wortes zur Materialschlacht. Mit jedem neuen Stück müssen neue Rekorde, neue Sensationen geboten werden: noch spannendere Handlungen, noch größere und farbigere Orchester, noch wildere Massenszenen, noch dröhnendere Chöre, noch sensationellere Bühneneffekte, noch längere Akte,

noch höhere Tenöre, noch tiefere Bässe, noch wahnwitzigere Koloraturen. Das Pariser Opernhaus nimmt die unangefochtene Führungsstellung in Europa ein. Die Komponisten der Grand opéra können mit sängerischen Spitzenkräften rechnen, mit einem voll ausgebildeten Gesangsensemble und mit hervorragenden Chören, die sich aus den Eleven des Conservatoire rekrutieren. Kein europäisches Orchester erreicht nur annähernd das Niveau der Pariser Oper; zudem wird die Möglichkeit zur ausgefeilten Probenarbeit geboten. Ergebnis ist ein Optimum an klanglicher Leistung und Virtuosität, das mit dem Bühnenspektakel von optischen Sensationen, Kulissenmonumentalität und dekorativem Aufwand einhergeht. Gerade die hohen musikalischen Anforderungen werden für die Zukunft der Oper allgemein richtungsweisend, denn nur der Leistungsstandard der in Paris gepflegten Grand opéra ermöglicht später die Aufführung der Werke eines Richard Wagner. Der Erfolg der Großen Oper hat auch allmählich die Kräfte kleinerer Theater mobilisiert und sie zur Professionalität gezwungen. Mit den enormen Vorteilen des Pariser Hauses ändert sich automatisch auch die Stoffwahl der Stücke. Die klanglichen und bühnentechnischen Möglichkeiten verlangen geradezu nach Stoffen, die großen Chor- und Ensembleszenen Raum bieten. Zugleich werden antikmythologische zugunsten romantischhistorisierender Themen aufgegeben. Damit kann oft ein kritischer Bezug zur aktuellen Gegenwart hergestellt werden. Gerade der Tell muss im Zusammenhang mit der Juli-Revolution und dem italienischen Risorgimento betrachtet werden. Nahm im 18. Jahrhun-

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SUSANNE KAULICH

dert das stoffliche Element aufgrund seiner Klischee- und Typenhaftigkeit nur einen untergeordneten Rang ein, so tritt es nun in der Grand opéra als wesentlicher Faktor zur Musik hinzu. Die Stereotypie der Personen weicht einer individuellen Charakterisierung. Abrupte Gegensätze und rasante Abwechslung im durchkomponierten Handlungsablauf werden zum Prinzip, überwältigende Massenszenen wechseln mit virtuosen Arien, Solo- und Ensemblepassagen; ein gigantischer, auf Effekte bedachter technischer Aufwand korres­ pondiert mit dekorativ-verschwenderischer Bühnenbild- und Kostümausstattung, die von nun an für jedes Stück extra hergestellt wird. Die Kunst, die Massen auf der Bühne zu organisieren und die optische Komponente des Bühnenbilds und der Kostüme in Einklang mit der Handlung zu bringen, fordert im Sinne einer Gesamtkonzeption ein neues Berufsbild: den »metteur-enscène«, den Regisseur. Die so grundlegenden Veränderungen vom Typisierenden zum Charakteristischen bringen sowohl im Musikalischen wie im Szenischen auch weitreichende Neuerungen im Detail mit sich. Man geht dazu über, die historische Wahrheit möglichst getreu auf die Bühne zu bringen. Das charakteristische Detail wird in allen Bereichen – Musik, Bühnenbild, Kostüm, Personenregie – zum wichtigen, konstituierenden Faktor der Grand opéra. Die sogenannte »Couleur locale« (Lokalkolorit), in der Literatur bereits wohlbekannt, hält als Mittel der Charakterisierungskunst Einzug auf der Opernbühne. Als Erster gebraucht Anton Reicha den Begriff in einer musiktheoretischen Abhandlung von 1835: »Unter

dem Ausdruck: die Localfarbe beobachten versteht man, dass die örtliche Lage, die Gebräuche, die Religion, die Gewohnheiten, die Kleidungsart des Landes, in welchem die Handlung des dramatischen Gedichtes vor sich geht, beobachtet und nachgeahmt werden: dieses ist die Sache des Dichters, des Dekorationsmahlers, der Schauspieler und des Costumiers.« Mit Rousseaus Aufruf »Zurück zur Natur!«, Albrecht von Hallers berühmtem Alpen-Gedicht und mit der literarischen Entdeckung der Alpen in den Natur- und Reisebeschreibungen wird im Laufe des 18. Jahrhunderts eine neue Phase in der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Natur und fremden Kulturen eingeleitet, die bald auch auf die musikalischen Gattungen übergeht. Beethovens 6. Sinfonie, die Pastorale (1807), Schuberts Liedvertonung des Müller-Gedichts Der Hirt auf dem Felsen (1829) und Liszts Klavierstück Chapelle de Guillaume Tell aus den Années de Pè­ lerinage (1835/36) seien hier stellvertretend genannt. Vor allem aber entdecken die Opernkomponisten das Alpenmilieu als neuartiges Sujet; es entwickelt sich ein regelrechtes Genre der Gebirgs- oder Alpenoper. Nicht nur Grétry und Rossini wählen mit ihren Tell-Opern einen Alpenstoff, sondern u.a. auch Joseph Weigl mit Das Dorf im Gebirge (1798) und Die Schweizerfami­ lie (1809), Conradin Kreutzer mit Die Alpenhütte (1815), Adolphe Adam mit Le Chalet (1834), Alfredo Catalani mit dem Geierwally-Stoff La Wally (1892), Eugen dʼAlbert mit Tiefland (1903) und Wilhelm Kienzl mit Der Kuhreigen (1911). Selbst Bizet bedient sich in der Schluchtszene der Carmen der couleur locale des Hochgebirges.

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Die Komponisten stehen angesichts ihrer Sujetwahl vor der Frage, welche musikalische Gestaltung der szenischen Darstellung entsprechen könnte. Reicha meint dazu in seiner Abhandlung: »Was den Tonsetzer betrifft, so macht er seine Musik ungefähr so, als ob sie für sein eigenes Land bestimmt wäre. Und in der That, soll er etwa für eine chinesische Handlung eine chinesische Musik componieren? Alles, was der Komponist versuchen kann, besteht darin, bisweilen eine Nationalmelodie einzuflechten, oder noch besser ein solches Lied, wenn es schon vorteilhaft bekannt ist und ein melodisches Interesse hat. In diesem Falle ist er auch Herr, diese Melodie nachzuahmen, zu verlängern und durchzuführen. Aber wenn er für ein Land componiert, in welchem ein Instrument besonders gebräuchlich ist, so wird er wohl tun, es anzuwenden und zu benützen. Er wird die Harfe anwenden, um ossianische Gesänge zu begleiten; er wird in Italien die Mandolinen, in Spanien die Guitarre, in der Schweiz das Alphorn anbringen…« Also begibt man sich auf die Suche nach typischen, dem jeweiligen Milieu entsprechenden Volksmelodien. Grétry berichtet, wie er sich auf seine Komposition des Guillaume Tell einstimmt: Er trifft Offiziere eines Schweizer Regiments und bittet sie, ihm »Gesänge aus jener Zeit und sonst noch Alpengesänge zu singen, die am meisten Charakteristisches hätten«. Richard Wagner kommentiert in Oper und Drama diese Vorgänge eher sarkastisch: »Nun ging die große Jagd auf Volksmelodien in fremder Herren Länder los. Bereits hatte Weber selbst, dem die heimische Blume welkte, in Forkels Schilderungen der arabischen

Musik fleißig geblättert und ihnen einen Marsch für Haremswächter entnommen. Unsere Franzosen waren flinker auf den Beinen; sie blätterten nur im Reisehandbuche für Touristen, und machten sich dabei selbst auf, ganz in der Nähe zu hören und zu sehen, wo irgend noch ein Stück Volksnaivität vorhanden wäre, wie es aussehe und wie es klänge. (…) Dort im schönen, vielbesudelten Lande Italien, dessen musikalisches Fett Rossini so vornehm behaglich für die vermagerte Kunstwelt abgeschöpft hatte, saß der sorglos üppige Meister und sah mit verwundertem Lächeln dem Herumkrabbeln der galanten Pariser Volksmelodien-Jäger zu. Einer von diesen war ein guter Reiter, und wenn er nach hastigem Ritte vom Pferde stieg, wusste man, dass er eine gute Melodie gefunden hatte, die ihm vieles Geld einbringen würde. (…) Hinaus nach Portici jagt der Pariser Reiter, zu den Barken und Netzen jener naiven Fischer, die da singen und Fische fangen (…) Meister Auber (…) stieg vom Ross, machte Rossini ein ungemein verbindliches Kompliment (…), nahm Extrapost nach Paris, und was er im Handumdrehen dort fertigte, war nichts anderes als die Stumme von Portici. (…) Rossini schaute dem prächtigen Spektakel aus der Ferne zu, und als er nach Paris reiste, hielt er es für gut, unter den schneeigen Alpen der Schweiz ein wenig zu rasten und wohl darauf hinzuhorchen, wie die gesunden, kecken Burschen dort mit ihren Bergen und Kühen sich musikalisch zu unterhalten pflegten. In Paris angelegt, machte er Auber sein verbindlichstes Kompliment (…), und stellte der Welt mit vieler Vaterfreude sein jüngstes Kind vor, das er mit glücklicher Eingebung Wilhelm Tell getauft hatte.

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Die Stumme von Portici und Wilhelm Tell wurden nun die beiden Achsen, um die sich fortan die ganze spekulative Opernmusikwelt bewegte. Ein neues Geheimnis, den halbverwesten Leib der Oper zu galvanisieren, war gefunden, und so lange konnte die Oper nun wieder leben, als man irgend noch nationale Besonderheiten zur Ausbeutung vorfand. Alle Länder der Kontinente wurden durchforscht, jede Provinz ausgeplündert, jeder Volksstamm bis auf den letzten Tropfen seines musikalischen Blutes ausgesogen, und der gewonnene Spiritus zum Gaudium der Herren und Schächer der großen Opernwelt in blitzenden Feuerwerken verprasst.« Wie auch immer man die Suche nach Folklore und Lokalkolorit beurteilt, es finden sich, jedenfalls in dem speziellen Operngenre, recht häufig für die Alpenwelt typische Melodiewendungen; zum Beispiel der »Appenzeller Kuhreigen«. In der melodischen Führung des Kuhreigens lassen sich Anklänge an die typischen Schweizer Alphornrufe erkennen, die durch die festgelegten Naturtöne im Quart-, Quint-, Sext- und Oktavschritt festgelegt sind. Diese Alphornweise erscheint als geeignetes Mittel zur Wiedergabe des Alpenmilieus. Charakteristisch für den Kuhreigen ist das Schwanken zwischen fisʼʼ und fʼʼ, das durch den elften Naturton des Alphorns bedingt ist. Hinzu kommt die schnelle Folge von großen Intervallschritten, nämlich von Quart, Quint und Sext, die der Naturtonreihe deutlich nachgebildet ist. Dieser der Alphornspielweise entsprechende schnelle Wechsel großer Intervallschritte findet sich tatsächlich in den Tell-Ouvertüren Grétrys und Rossinis, in Weigls Schweizerfamilie,

in der Introduktion und im Finale des zweiten Akts des Rossini-Tell. (Ganz besonders eindringlich erklingt übrigens diese typische Alphornspielweise, die in zeitgenössischen medizinischen Abhandlungen stets mit Heimweh und Sehnsucht in Zusammenhang gebracht wird, bei Wagners Tristan im Englischhorn-Solo zu Beginn des dritten Akts, im sogenannten »Hirtenreigen«!) Während Weigl mit dem Kuhreigen in der Schweizerfamilie jedoch die heilende Kraft der Alpen symbolisiert, verwendet ihn Rossini im Tell in einem etwas anderen Sinnzusammenhang: Er will damit die Heimatliebe der Schweizer darstellen. Außerdem steht die jeweils nur einzeln erklingende Alphornmelodie ohne jegliche Begleitung dem massiven Gruppenhörnerklang der Geslerʼschen Truppen gegenüber. Daneben erzielt das im ersten Akt von vier Hornisten einzeln auf der Szene geblasene Kuhreigenmotiv die klangräumliche Wirkung eines Echo-Effekts. Dadurch wird der großartige Klangraum des Hochgebirges stimmungshaft eingefangen. Das Echo leistet somit einen akustischen Beitrag zur Raumgestaltung. Der schon aus der Barockoper bekannte »Comeda-lontano-Effekt« wird wiederbelebt. Zusammen mit der szenischen Ausnutzung der Bühnentiefe ergibt sich die Gelegenheit eines simultanen Geschehens auf mehreren Ebenen. So ist es möglich, unterschiedliche Stimmungen musikalisch – etwa durch Leitmotivtechnik – und szenisch – durch geschickte Beleuchtungsregie – kontrastiv-simultan zu verbinden. Es sei hier nur an das kunstvolle Nebeneinander im zweiten Akt der Meister­ singer und an den berühmten CarmenSchluss erinnert: Während Carmen

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tödlich getroffen zusammenbricht und dazu in den Streichern jener wehmütig-schmerzliche Seufzer leitmotivisch erklingt, erschallt der Jubelchor des unsichtbaren Volks »come-da-lontano« aus der Stierkampfarena, der den tragischen Ausgang des Geschehens auf unheimliche Weise kontrastiert. Auch Rossini arbeitet im Guillaume Tell bereits mit ähnlichen Effekten. Während Chor und Fischer zu Anfang des ersten Akts ein heiteres Lied anstimmen, trägt Tell sich mitten unter ihnen bereits mit düsteren Gedanken, die den Fortgang der Handlung andeuten. Das Lokalkolorit vermittelt Rossini auch in folkloristischen Tänzen wie der »Tyrolienne«, einer Art Ländler, im dritten Akt. So kommt er der unnachgiebigen Forderung des Pariser Publikums nach Balletteinlagen in der Oper – dramaturgisch vertretbar – nach. Natürlich schafft er auch ganz im traditionellen Sinne Balletteinlagen wie den berühmten »Pas de six«. Die couleur locale wird in der Oper Guillaume Tell also musikalisch durch Verwendung nationaler Melodien wie Kuhreigen, Schützenmarsch und

Tyrolienne erreicht. Die Musik unterstützt damit Szene und Optik einer auf die Schweizer Alpenwelt festgelegten Handlung und Ausstattung. Die charakteristischen Details in der Grand opéra entsprechen übrigens einer allgemeinen Kunsttendenz der Zeit. Man verwirft in allen Künsten die makellose Attitüde und erstrebt die Kunst, in der sich die Natur im Schönen wie im Hässlichen widerspiegelt, in der menschliche Emotionen mit aller Natürlichkeit ausgedrückt werden. Die Grand opéra stellt optische »Tableaux« zur Schau, die eine naturgetreue Nachahmung bekannter Vorgänge darstellen, wie sie uns auch in der zeitgenössischen bildenden Kunst, in den Kunstwerken eines Eugène Delacroix beispielsweise, begegnen. Rossini hat mit dem Guillaume Tell, seiner letzten und reifsten Oper, eine neue Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Gattung eingeleitet. Er vereinigt in diesem Werk die Wurzeln verschiedenster Traditionslinien, die sich alle aus der Grand opéra heraus entwickeln werden.

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W I L L I A M W E AV E R

WILHELM – GUILLAUME – GUGLIELMO Die Geschichte des Wilhelm Tell, des schweizerischen Patrioten, scheint eine merkwürdige Stoffwahl für eine Oper, die unter dem Patronat des reaktionären alten Königs Charles X. (der ein Jahr nach der Premiere des Guil­ laume Tell aus Frankreich vertrieben und durch den eher demokratischen Louis-Philippe abgelöst wurde) entstehen sollte. Doch Rossini, der alles andere war denn ein Revolutionär, sah die Stoffwahl nicht als gefährlich an. Jedenfalls war das Thema nicht neu. Auf ein Libretto von Michel Jean Sedaine hatte André Grétry im Jahr 1791 eine Tell-Oper komponiert; das Drama Friedrich von Schillers war seit dem Jahr 1804 bekannt; zudem gab es ein volkstümliches, im Jahr 1825 uraufgeführtes Stück von Pixérécourt, das dem Publikum in Paris durchaus lebendig in Erinnerung war. Als Librettisten hatte Rossini zunächst den populären Eugène Scribe, der schon den Text für die entzückende Oper Le Comte Ory – auch im Jahr 1828 – besorgt hatte, gewinnen wollen. Scribe bot ihm Gustave III (später von Auber vertont und umgearbeitet zu Un ballo in maschera von Verdi) an, sodann La Juive (später von Halévy komponiert).

Rossini lehnte beide Vorschläge ab und wandte sich an einen älteren, konservativeren Autor, den Akademie-Schreiber Victor-Joseph Etienne, der unter dem Namen Etienne de Jouy bekannt war und die Libretti für Spontinis La Vestale und Cherubinis Les Abencérages geschrieben hatte. Der Dichter, Autor verschiedener Tragödien, war umständlich; er präsentierte Rossini ein vieraktiges Libretto von siebenhundert Versen. Der Komponist war, verständlicherweise, verärgert. Folglich rief er einen zweiten Librettisten zu Hilfe: Hippolyte Louis Florent Bis, zwanzig Jahre jünger als Etienne de Jouy. Bis brachte den Text auf einen brauchbaren Umfang, schrieb vor allem den problematischen zweiten Akt um; doch Rossini war immer noch nicht zufrieden. Die dramatische Szene, da sich die Eidgenossen sammeln, schien ihm unpassend. Er diskutierte sie daraufhin mit dem siebenundzwanzigjährigen Armand Marrast, der die Kinder seines Freundes Aguado, eines Bankiers, unterrichtete. Im Gegensatz zu Jouy, dem Monarchisten, und Bis, einem Liberalen, war Marrast ein radikaler Republikaner. Als er die Szene umarbeitete, brachte er in sie

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WILHELM – GUILLAUME – GUGLIELMO

denn auch seine eigenen politischen Gefühle hinein – und durch Rossinis Musik widerfuhr ihnen volle Gerechtigkeit. Kurze Zeit nach der Uraufführung reiste der Komponist nach Italien, und seine Oper folgte ihm schon bald nach. Die italienische Premiere des Guglielmo Tell fand im Sommer 1831 in der toskanischen Stadt Lucca statt. Der Veranstalter war der regsame Impresario Alessandro Lanari, der später in seiner Karriere Verdis Macbeth in Auftrag gab. Den Text ließ Lanari von Calisto Bassi, dem offiziellen Hauspoeten der Mailänder Scala, übersetzen. Bassis Guglielmo Tell ist eine brauch­ bare, recht getreue Übertragung des französischen Originals. Trotz dessen revolutionärer Tendenz wurde das Libretto ohne Veränderung zugelassen, dank der liberalen Herrschaft des Großherzogs Leopold II. der Toskana. Der einzige größere Schnitt in Lanaris Produktion – Mathildes Arie »Selva opaca« (»Sombre forêt«) – wurde aus musikalischen, nicht aus politischen Gründen vorgenommen. Der Maestro am Cembalo war ein weiterer bekannter Musiker des Ortes, Massimiliano Quilici, der zum Glück ein Tagebuch geführt hat. Darin hat er Einzelheiten über die italienische Premiere von Guglielmo Tell am 17. September 1831 festgehalten: »Theater sehr voll. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Cosselli, Duprez, la Ferlotti und Porto [Gualtiero] unübertrefflich. Die ganze Oper gefiel, doch das Terzett war

die Nummer, die fanatische Begeisterung weckte.« Die Lucca-Truppe brachte das Werk alsbald nach Florenz ans Teatro della Pergola, wo sich der Erfolg wiederholte. Danach, im Jahr 1833, wurde die Oper an das Teatro San Carlo in Neapel gebracht, wo die Zensoren der bourbonischen Monarchie den Titel in Il governatore Gessler e Guglielmo Tell änderten, ohne allerdings Bassis Text anzutasten. Doch an der Scala und unter der Herrschaft der Österreicher war der Stoff zu heikel, sodass der Schauplatz nach Schottland verlegt und Wilhelm Tell in Guglielmo Vallace umbenannt wurde (aus Gualtiero wurde Kirkpatrick, aus Arnoldo Elvino). Am Teatro Apollo in Rom wurde diese schottische Fassung im Jahr 1840 noch einmal zensiert und der Titel in Rodolfo di Ster­ linga umgeändert. Rom erlebte ferner eine konzertante Version in einer biblischen Verkleidung: Giuda Maccabeo. Selbst im Ausland wurde das Libretto (zum Teil auch die Musik) verändert. In St. Petersburg wurde die Oper unter dem Titel Karl der Kühne gespielt; in London besorgte James Robinson Planché (der Librettist von Webers Oberon) eine Fassung unter dem Titel Hofer, or the Tell of Tyrol, dieweil Henry Bishop, Komponist von Home, sweet home, an Rossinis Musik herumdokterte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde Rossinis Tell in der französischen, noch öfter in der italienischen Version Bassis regelmäßig, wenn auch nur selten vollständig, gespielt.

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EDUARD HANSLICK

EIN KOMPONIST IM RUHESTAND Beschaulicher Besuch bei Gioachino Rossini. Rossini fand ich in seinem kleinen Arbeitszimmer im ersten Stockwerk seiner Villa zu Passy. Eben mit Notenschreiben beschäftigt, erhob er sich bei meinem Eintritt mit einiger Schwerfälligkeit, für welche das freundliche Wohlwollen der Züge und die herzlich entgegengestreckte Hand gleichsam um Entschuldigung baten. Rossinis Kopf, so wenig er jetzt den bekannten Bildnissen aus seiner Glanzperiode gleicht, macht noch immer den Eindruck des Bedeutenden und Anmutigen. Unter der philiströsen braunen Perücke wölbt sich noch immer eine heitere, klare Stirn; geistvoll und freundlich glänzen die braunen Augen; die etwas lange, aber schön modellierte Nase, der feine, sinnliche Mund, das runde Kinn sprechen noch von der einstigen Schönheit des alten Italieners. Man stellt sich Rossini nach dessen Porträts größer vor, als er ist, und allerdings ließe sein mächtiger Kopf einen höheren Körperbau vermuten. Durch Korpulenz und zunehmende Widerspenstigkeit der Füße etwas gehindert, ließ es sich Rossini trotzdem nicht nehmen, mich in seinen Salon hinabzuführen. Auf seinen Stock gestützt, ging er langsam die Treppe hinab und machte mit sichtlicher Freude an seinem Besitztum die Honneurs. »In fünfzehn Monaten«, sagte er, »ist die ganze Villa gebaut und eingerichtet worden; vor anderthalb Jahren noch war alles ein leerer Fleck.«

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EIN KOMPONIST IM RUHESTAND

Wände und Plafond des Salons sind mit hübschen Fresken geschmückt, deren durchwegs musikalische Sujets Rossini selbst angegeben und durch italienische Künstler hat ausführen lassen. Da zeigt uns ein Bild, wie Kaiser Joseph II. nach der Vorstellung von Figaros Hochzeit Mozart in die Hofloge kommen lässt; ein anderes beispielsweise bringt uns Palestrina im Kreise seiner Schüler. Zwischen den größeren Bildern ruht das Auge auf Porträtmedaillons von Haydn, Cimarosa, Paisiello, Weber und Boieldieu. Die Wandgemälde gaben Rossini den natürlichsten Anlass, seine Bewunderung der älteren großen Meister, insbesondere der deutschen, zu äußern. Seine begeisterte Verehrung für Mozart ist bekannt. Der Maestro war ungemein wohlgelaunt und gesprächig. Ich kam gar nicht in die hässliche Versuchung so mancher Reisenden, welche jeden berühmten Mann wie eine Zitrone für ihren Privatgebrauch auspressen. Die Erinnerung an Wien, das er seit 1822 nicht wiedergesehen hatte, schien den greisen Maestro freudig zu beleben. Ausnahmsweise erwähnte er eine eigene Oper, die Zelmira, die er damals für Wien geschrieben hatte. Selten hat ein berühmter Künstler so bald Feierabend gemacht wie Rossini. Mit 21 Jahren schrieb er den Tancred (1813) und war plötzlich der gefeiertste Opernkomponist in Europa; mit 37 Jahren (1829) schloss der gefeierte Mann für immer seine Tätigkeit ab. Er tat es mit einem Werk, das ihn auf dem Höhepunkt seiner Schöpferkraft und seiner Kunst darstellte, mit Wil­ helm Tell. Vielleicht hat man ihn allzu streng getadelt ob dieses schnellen Rückzugs vom Felde künstlerischer Taten. Die echt italienische Arbeitsscheu Rossinis hat gewiss teilweise diesen Entschluss herbeigeführt. Ganz und gar aber schwerlich. Der einsichtsvolle Mann, der sein Talent niemals überschätzte, mag gefühlt haben, dass er von der übermäßigen Produktivität früh erschöpft und nicht mehr im Stande sei, eine Reihe von Werken wie Tell zu schaffen, oder dies eine je zu übertreffen. Der Umschwung, der um das Jahr 1830 auch in den ästhetischen Anschauungen und Bedürfnissen eintrat, konnte Rossini

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EIN KOMPONIST IM RUHESTAND

nicht verborgen bleiben, das immer raschere Verwelken seiner älteren italienischen Opern ihm nicht entgangen sein. Hatte er so großes Unrecht, sich nach seinem besten Werke zu einer Zeit zurückzuziehen, wo dies Verstummen noch laut und allgemein beklagt wurde? Zehn Jahre später hätte man wahrscheinlich seine schwach gewordenen Selbstkopien lästig gefunden und den Meister mit seinen früheren Lorbeeren gezüchtigt. Vielleicht ist Rossinis frühzeitiger Rückzug nicht so ganz ohne inneren Kampf vor sich gegangen, als man annimmt, und von der heitern Stirne des Greises abzulesen glaubt. Seit den dreißig Jahren seiner behaglichen Ruhe ist er freilich dahin gekommen, sich wie einen längst Abgeschiedenen anzusehen, der aus Wolkenhöhen auf die vielen Musiker herablächelt, die noch große Mühe haben, zu streben und zu arbeiten. Der liebenswürdige Mann war so unermüdlich im Sprechen und Hören, dass ich selbst daran denken musste, ihn seiner ruhigen Beschäftigung zurückzugeben. So führte ich ihn denn wieder die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer, wo er im herzlichen Ton Abschied von mir nahm. Nicht unbewegten Herzens setzte ich meinen Weg fort, war doch der berühmte Meister mir als Mensch lieb und wert geworden. Die stattlichen Alleen entlang an schimmernden Landhäusern vorbei wanderte ich gegen St. Cloud. Aus einem geöffneten Fenster quollen wie Rosendüfte die süßesten Melodien aus Wilhelm Tell.

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ADOLF MUSCHG

»Die Schweiz ist keine Nation, und sie braucht keine zu werden: sie ist viel weniger, und viel mehr: ein ziviles Bündnis Verschiedener, geschaffen zum Schutz ihrer Verschiedenheit im Rahmen der Menschenrechte und der Menschenwürde. Sie ist als europäisches Land geboren und von europäischen Republikanern als Glücksfall begrüßt worden. Wenn sie glaubte, sich nur als Sonderfall gegen die Zumutungen der Geschichte und vor ihren eigenen Widersprüchen bewahren zu können: die Verhältnisse sind nicht mehr so. Die Schweiz kann werden, was sie ist: keine Nation, aber ein Bündnis mit historischer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft.«

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CHRISTIAN SPRINGER

WURDEN SIE HEUTE ABEND ETWAS WENIGER SCHREIEN ALS SONST? ODER DIE REVOLUTION DER GESANGSGESCHICHTE ANMERKUNGEN ZU DEN ERSTEN SÄNGERINNEN & SÄNGERN DES GUILLAUME TELL

Die Académie Royale de Musique in Paris, kurz Opéra genannt, pflegte zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch die Traditionen der »tragédie lyrique« des Ritters von Gluck und damit den Stil von Werken wie Orphée et Euridice, Al­ ceste, Iphigénie en Aulide, Armide und Iphigénie en Tauride. Allein letztere Oper hatte von ihrer Uraufführung (1779) bis zur Weltpremiere des Guil­ laume Tell (1829) hier über vierhundert Aufführungen erlebt. Die Opéra war nach wie vor ein weihevoller Tempel des Gesangs würdiger Damen und Herren, die sich zum Teil eigenartiger vokaler und stilistischer Methoden bedienten und italienischen Ziergesang verachteten. Virtuosismen wurden allenfalls Frauenstimmen zugestanden, aber auch diesen nur in eingeschränktem Maße. Italienische Komponisten hatten sich, wenn sie an der Opéra

Erfolg haben wollten, diesen Gepflogenheiten anzupassen. Als Rossini für die Opéra 1826 seinen Maometto II in Le Siège de Corinthe und 1827 den Mosè in Egitto zu Moïse et Pharaon, ou Le pas­ sage de la Mer Rouge umarbeitete, berücksichtigte er diese Vorgaben bei der Ausgestaltung der Gesangspartien, die weit weniger ausgeziert sind als in den jeweiligen italienischen Fassungen und dadurch den Gesetzen der Opéra besser entsprachen. Die beiden Umarbeitungen verursachten bei einigen französischen Kritikern unerwartete Begeisterungsausbrüche: »Endlich«, so der Tenor der Kritiken, »hat sich jemand [Rossini] gefunden, der die aboyements [Gekeife, Geschrei] der Gluck-Interpreten aus der Opéra verbannt und die Sänger zu stimmlichem Wohlverhalten erzieht«, jene Sänger, die der sogenannten école

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du cri [Schule des Schreiens] der GluckTradition angehörten. Nicht einmal Napoleon Bonaparte höchstderoselbst war es gelungen, den ihm verhassten cri der Gluckisten auszurotten, obwohl er einmal einige Sängerinnen ebenso direkt wie vergeblich aufgefordert hatte: »Meine Damen, würden Sie heute Abend etwas weniger schreien als sonst?« Dreißig Jahre später bestand das Problem aber offenbar nach wie vor, wie einem Brief Giuseppe Verdis an den Bariton Leone Giraldoni vom Frühjahr 1857 zu entnehmen ist: »[...] Die Künstler, die Damen ebenso wie die Herren, sollen singen und nicht schreien! Sie sollen nur daran denken: Vortragen heißt nicht brüllen! Wenn man in meiner Musik nicht allzu viele Vokalisen findet, so darf man dies nicht zum Anlass nehmen, um sich die Haare zu raufen, sich wie Besessene zu gebärden und zu schreien. [...]« Die Wende in Rossinis Wahl seiner musikdramatischen Mittel bei Guillaume Tell, die sich auch auf den Vokalstil auswirkte, wurde allerdings nicht nur durch die Zwänge der Opéra herbeigeführt, sondern auch von dem epischen Wilhelm Tell-Sujet und dem politischen Klima zu Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Letzteres hatte sich musikalisch spätestens in Aubers Oper La Muette de Portici (Opéra, 1828) niedergeschlagen, in deren Mittelpunkt der aufständische Fischer Masaniello steht und die ihrerseits Auslöser einer Volkserhebung wurde, die zur Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden führte. In gleicher Weise besaß der Tell – der wie Le Siège de Corinthe und Moïse et Pharaon als Glorifizierung des politischen Wider-

stands aufgefasst werden konnte – ein nicht unbedeutendes Provokationspotenzial: Am 29. Juli 1830 ging nach einer Tell-Vorstellung der Opéra eine große Anzahl der Besucher in Paris auf die Barrikaden.

DIE SÄNGERINNEN & SÄNGER DER HAUPTROLLEN IN DER URAUFFÜHRUNG DES GUILLAUME TELL Die Partie der Mathilde wurde von Laure Cinti-Damoreau (ursprünglich Laure Cinthie Montalant, 1801–1863) gesungen. Sie hatte in Paris bei der berühmten Sopranistin Angelica Catalani studiert und wurde 1819 am Théâtre-Italien durch ihre Interpretation von Mozarts Cherubino bekannt. An der Opéra debütierte sie 1825 in Spontinis Fernando Cortez und zählte bald zu den beliebtesten Sängerinnen dieses Hauses. Sie kann als Rossini-Spezialistin bezeichnet werden, sang sie doch unter der Aufsicht des Komponisten die Hauptrollen in den Uraufführungen von Le Siège de Corinthe (1826, Pamyra), Moïse et Pharaon (1827, Anaï) und Le Comte Ory (1828, Comtesse de Formoutiers). 1828 wirkte sie in der Uraufführung von Aubers La Muette de Portici mit, 1831 trat sie in den Premieren von Meyerbeers Robert le dia­ ble und Webers Euryanthe auf. In den folgenden Jahren sang sie zahlreiche Auber-Uraufführungen an der Pariser Opéra-Comique. Ihre Karriere führte sie nicht nur durch ganz Europa, sondern auch nach Nordamerika und Russland. Aus ihrem Repertoire ist abzulesen, dass die Sängerin als lyrischer Sopran mit Koloratur einzustufen ist. Sie war nicht nur wegen ihrer stimm-

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lichen Mittel, sondern vor allem wegen ihrer hervorragenden technischen und stilistischen Fähigkeiten eine der bedeutendsten Sängerinnen ihrer Zeit. Die als Romance bezeichnete, berühmte Arie der Mathilde »Sombre forêt« (Andantino, 3/8) im 2. Akt, die Hector Berlioz zu einem Begeisterungsausbruch hinriss, verlangt von der Interpretin ausgezeichnetes Legato: Erst im jeweils sechzehnten Takt beider Strophen setzt Rossini das erste Pausenzeichen. Um die idyllische Atmosphäre dieses Stücks darzustellen, hat Rossini die Verse seiner Librettisten in lange melodische Bögen gefasst, wodurch die Sängerin gezwungen ist, an textabhängig sinnvollen Stellen möglichst rasch und unmerklich Atem zu holen, ohne das Legato zu unterbrechen. In Musik-Italienisch heißt das: rubare i fiati – mit diesem unübersetzbaren Wortbild wird ›verstohlenes Atemholen‹ bezeichnet. Die Tessitura (das heißt: die durchschnittliche Lage, unabhängig von einzelnen Spitzentönen) der Arie ist in der Sopran-Mittellage angesiedelt. Die Arie geht nicht höher als bis zum aʼʼ, erst in der einfach gehaltenen Kadenz wird ein bʼʼ verlangt. In dem großen Duett mit Arnold im 2. Akt hat Mathilde Verzierungen zu singen, die allerdings nicht Selbstzweck sind, sondern der musikalischen Charakterisierung dienen. Während Arnold im Andantino- und AllegroTeil des Duetts die mehrmals auf das cʼʼ ansteigende Führungsstimme übernimmt, deren Tessitura sehr hoch ist und den Tenor viel am unangenehmen Übergang fʼ-fisʼ-gʼ singen lässt, bleibt der Sopran in zentralen Regionen. In ihrer Allegro agitato-Arie im 3. Akt »Pour notre amour plus dʼespérance« werden Mathilde dramatische Akzente

abverlangt; die Koloraturpassagen drücken ihre Erregung musikalisch aus. Die Gesangslinie steigt – wie auch im darauffolgenden kurzen Duett mit Arnold – mehrmals auf das hʼʼ, in der Kadenz auf das cʼʼʼ. Die Tessitura bleibt aber nach wie vor zentral, die Verzierungen sind wesentlich einfacher gehalten als in Rossinis italienischen Opern. Die zwei weiteren Frauenrollen der Oper sind Hedwige und Jemmy, Gattin und Sohn von Guillaume Tell. Mademoiselle Mori (1805–?, Vorname unbekannt) sang die Partie der Hedwige. Auch sie hatte einige Rossini-Rollen in den französischen Uraufführungen kreiert, darunter die Marie in Moïse et Pharaon und die Ragonde in Le Comte Ory. In späteren Jahren verließ sie Frankreich und setzte ihre Karriere in Italien fort. Die Hedwige ist ihrer Lage nach ein echter Alt. Sie hat keine exponierten Höhen zu singen (ihr höchster Ton ist ein asʼʼ), die Tessitura der Partie liegt ziemlich tief: Im Terzett mit Mathilde und Jemmy »Je rends à votre amour« im vierten Akt und im Gebet mit Mathilde »Toi, qui du faible es lʼespérance« wird die Gesangslinie mehrmals bis zum (tiefen) as bzw. gis geführt.) Die Rolle des Jemmy wurde von Louise-Zulme Léroux-Dabadie (1804– 1877) gesungen. Sie war die Gattin des Darstellers des Tell und neben der Cinti-Damoreau die erste Sopranistin der Opéra. Auch sie wirkte in der Uraufführung von Moïse et Pharaon (Sinaïde) mit. Zu ihrem Repertoire zählten Rollen in Opern von Gluck, Auber, Spontini, Chélard und in etlichen Werken Rossinis. Bei Jemmy handelt es sich um eine anspruchsvolle Hosenrolle, in welcher eine zum Teil

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zentrale, zum Teil recht hohe Tessitura zu bewältigen ist, die vom h bis zum cʼʼʼ – also über mehr als zwei Oktaven – reicht. Die im Klavierauszug der kritischen Ausgabe des Tell abgedruckte, zehn (!) Seiten lange Arie »Ah, que ton âme se rassure« (Andantino, 12/8), die Rossini dem Jemmy unmittelbar vor der Apfelschussszene zugedacht hat, hat der Komponist, vermutlich wegen der Ausgewogenheit der Proportionen des Aktes, schon bei den Proben im Juli 1829 selbst gestrichen. Ihr Gatte Henri-Bernard Dabadie (1797–1853) war der Interpret der Titelrolle. Er hatte 1819 an der Opéra debütiert und wirkte ebenfalls an zahlreichen denkwürdigen Uraufführungen mit, unter anderem in Aubers La Mu­ ette de Portici, in dessen Vertonung des Maskenball-Stoffs Gustave III ou Le bal masqué sowie in seiner LiebestrankVersion Le Philtre. Aufgrund seiner erfolgreichen Darstellung des Belcore in Aubers Oper wurde er für die gleiche Rolle in der Uraufführung von Donizettis Lʼelisir dʼamore nach Mailand verpflichtet, wo er aber nicht gefiel. Er hob den Ruggiero in Halévys La Juive aus der Taufe und stand bei einigen Rossini-Uraufführungen auf der Bühne: Er sang den Raimbaud in Le Comte Ory sowie den Pharao in Moïse et Pharaon. Dabadie war ein sogenannter concordant, worunter ein hoher Bariton verstanden wurde. Diese Klassifizierung ist jedoch nicht aus heutiger Sicht zu sehen, wo Baritone auf der Bühne das asʼ, aʼ und vereinzelt sogar das bʼ – eine fragwürdige athletische Leistung – erklimmen, sondern im Vergleich zum italienischen Bariton in den frühen Opern Bellinis, Donizettis und Mercadantes, der damals noch als

basso cantante (auch: basso cantabile) bezeichnet wurde. Der basso cantante war zwar schon fast ein moderner Bariton, aber noch nicht ganz. Die Vertreter dieser Stimmkategorie fühlten sich in der Bariton-Tessitura schon leidlich wohl, jedoch war ihr Stimmumfang zur Höhe hin noch eingeschränkt: Das barbarische Ansinnen, ein gʼ zu singen, wiesen sie entsetzt von sich. (Wegen der höheren Tessitura und vorgeschriebener Spitzentöne wurde Verdi später von manchen zeitgenössischen Kritikern stimmvernichtende Schreibweise für den Bariton vorgeworfen.) Die Partie des Tell liegt im Bereich der üblichen Tessitura des basso cantante, steigt jedoch mehrmals zum gʼ auf (im Duett mit Arnold im 1. Akt oder im Finale II). Rossini lässt sich auch in der breiten Deklamatorik der Rezitative Tells nicht zu einer höheren Tessitura verleiten, er achtet vielmehr darauf, dass trotz der Schärfe mancher Akzente Würde und Noblesse der Figur gewahrt bleiben. Auch in dem berühmten Andante »Sois immobile« vor der Apfelschussszene verlangt die Phrasierung morbidezza (Weichheit) und legato, erst in den Schlussphrasen »Jemmy, Jemmy, songe à ta mère!« steigt die Gesangslinie auf das fʼ an und verlangt von dem Sänger einen vehementen Ausbruch. Im Guillaume Tell gibt es mehrere Bassrollen, die allesamt keine Hauptrollen sind. Gesler war Alex Prévost (?–1897). Er war der Sohn von Ferdinand Prévost, der die Partie des Leuthold sang. Da Vater und Sohn, beide Bassisten, zur selben Zeit dem Ensemble der Opéra angehörten, herrscht über ihre Auftritte in den Archiven der Opéra bisweilen Verwirrung, die noch dadurch vergrößert wird, dass Alex

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Prévost manchmal unter dem Künstlernamen Ferdinand-Prévôt auftrat. Beide Sänger traten hauptsächlich in kleineren Partien auf und wirkten dabei ebenfalls bei zahlreichen Uraufführungen bereits erwähnter Opern mit. Gesler ist zwar ein tyrannischer Bösewicht, doch charakterisiert ihn Rossini musikalisch durchaus nicht eindimensional: Seine herrischen Wesenszüge werden durch deklamatorische Elemente dargestellt, die Figur besitzt aber auch würdevolle Züge. Tessitura und Umfang der Rolle weisen keine Besonderheiten auf. Die Rolle des Walter wurde von Nicholas-Prosper Levasseur (1791–1871) gesungen. Er debütierte 1813 an der Opéra in einer Oper von Grétry, sang von 1819 bis 1827 erste Partien am Pariser Théâtre-Italien und wechselte dann an die Opéra, der er bis 1853 an prominenter Stelle angehörte. Auch er wirkte in zahlreichen Uraufführungen wichtiger Werke mit: darunter Meyerbeers Robert le diable (1831, Bertram), Les Huguenots (1836, Marcel) und Le Prophète (1849, Zacharie), Aubers Gustave III ou Le bal masqué (1833, Ankarström), Donizettis La Favorite (1840, Balthazar) und Dom Sébastien (1843, Don Juan) sowie Halévys La Juive (1835, Kardinal Brogni). Natürlich stand auch er bei Rossini-Uraufführungen auf der Besetzungsliste: bei Il viaggio a Reims (Don Alvaro), Le Comte Ory (Le Gouverneur) und Moïse et Pharaon (Moïse). Die Besetzung der kleinen Rolle des Walter mit einem solchen ersten Bass ist als Luxusbesetzung anzusehen. Walter hat keine Arie, er tritt vor allem im Terzett im 3. Akt mit Arnold und Tell in Erscheinung, Tessitura und Stimmumfang der Rolle halten sich im üblichen Rahmen.

ARNOLD UND DIE FOLGEN ODER DIE RUMPELKAMMER DER GESANGSKUNST War bei den bisher erwähnten Interpreten der Tell-Uraufführung nichts auszumachen, was sie heute, nach beinahe 195 Jahren, von den modernen Vertretern ihrer Rollenfächer unterscheiden würde, so ändert sich das bei Betrachtung der Tenorpartie radikal. Der Arnold wurde von Adolphe Nourrit (1802–1839) verkörpert. Der Sohn von Louis Nourrit, des ersten Tenors der Opéra, wurde von dem bedeutenden Tenor Manuel García sen. (Vater der Mezzosopranistin Pauline Viardot, der Sopranistin Maria Malibran und des Baritons und Gesangspädagogen Manuel García jun.) ausgebildet und debütierte 1821 an der Opéra. Er wurde rasch zum Publikumsliebling und sang in den Uraufführungen zahlreicher Opern, von denen etliche für ihn komponiert wurden: Meyerbeer vertraute ihm die schwierigen Tenorrollen in Robert le diable (1831, Robert) und Les Huguenots (1836, Raoul) an, Auber in La Muette de Portici (Masaniello) und Gustave III ou Le bal masqué (Gustave), Halévy in La Juive (1835, Éléazar). 1831 war er der Adolar in Webers Euryanthe. Rossini war ein besonderer Bewunderer seiner Gesangskunst und setzte ihn in Le Siège de Corinthe (Néocles), Moïse et Pharaon (Aménophis) und Le Comte Ory (Titelpartie) ein. Nourrit war ein sogenannter haute-contre. Diese (unübersetzbare) Stimmkategorie wurde in Italien als tenore contraltino bezeichnet, was nichts mit dem heute modischen Countertenor (eine irreführende Bezeichnung, die besser durch den Terminus Falsettist ersetzt werden sollte) zu tun hat. Die Stimme Nourrits

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wurde von zeitgenössischen Kritikern als sehr heller und leicht gutturaler Tenor mit gutem Volumen und ausgezeichneter Tragfähigkeit beschrieben. Der angesprochene radikale Unterschied zu späteren Tenören bestand darin, dass Nourrit – wie seine französischen und italienischen Tenorkollegen – nur bis zum gʼ mit Bruststimme sang, dann ins sogenannte falsettone wechselte und weiter bis zum cisʼʼ (und höchstwahrscheinlich darüber hinaus) sang. Dasselbe gilt übrigens für die zweite Tenorrolle im Tell, den Fischer Ruodi, der von Alexis Dupont gesungen wurde. Die schwierige Szene im 1. Akt, die mehrmalige Aufstiege auf das cʼʼ verlangt, sang auch er im falsettone. Das falsettone – sprachlich eine Vergrößerungsform von falsetto – hat man sich als verstärktes Falsett mit großem rundem Ton vorzustellen, das ähnlich der voix mixte nie gefistelt oder gekreischt klang und Timbre, Volumen, Leuchtkraft, Süße und Modulationsmöglichkeiten besaß. Die Kunst dieser Tenöre bestand darin, den Übergang von der Bruststimme zum falsettone bruchlos und somit unhörbar zu gestalten und das Timbre der Bruststimme in das falsettone mitzunehmen. Diese Singart wurde in Italien von dem berühmtesten Tenor dieser Zeit, dem Bellini-, Donizetti- und Rossini-Interpreten Giovanni Battista Rubini (1794–1854) zur Perfektion geführt. Rubini sang Zeitzeugen zufolge bis zum hʼ mit Bruststimme und wechselte erst dann ins falsettone, in welchem er das gʼʼ (eine Quint über dem hohen C moderner Tenöre) erreichte. Die Brüder Escudier, Verdis Verleger in Frankreich, bezeugten die vollkommene Homogenität von Rubinis Stimme bis

in die extreme Höhe. Doch nicht nur die Tenöre des romantisch-elegischen Repertoires, sondern auch die dramatischen Sänger bedienten sich des falsettone. Ein gutes Beispiel dafür ist der erste Interpret des Pollione in Bellinis Norma und der erste Protagonist in Rossinis Otello, Domenico Donzelli (1790–1873). Sein Tenor (eigentlich: baritenore) war von baritonaler Färbung (heute würde er vermutlich Baritonpartien singen), und auch er bediente sich des falsettone. Das erklärt etliche heute als unsingbar verschrieene hohe Töne, wie zum Beispiel das vorgeschriebene cʼʼ in Bellinis Norma auf dem Vokal »i« (in Polliones Auftrittsarie »Meco allʼaltar di Venere«), das Donzelli in Anbetracht der angesprochenen amourösen Situation elegant im falsettone sang und nicht machohaft brüllte, oder ein fʼʼ (eine Quart über dem hohen Tenor-C) im dritten Akt von Bellinis I puritani, das der erste Arturo, G. B. Rubini, selbstredend ebenfalls im falsettone sang (und das auf modernen Aufnahmen, von manchem Tenor grotesk gefistelt, für ungewollte Heiterkeit sorgt). Die Technik des falsettone ist verlorengegangen und heute nahezu unbekannt. Einige Gesangstheoretiker des frühen 19. Jahrhunderts glaubten, dass diese Technik nur dann zur Vollendung geführt werden konnte, wenn sie ein Sänger vor dem Stimmbruch erlernt hatte. Rossini, der in seiner Jugend selbst ein baritonaler Tenor war und das falsettone, das er ausgezeichnet beherrschte, über alles liebte, hatte bei der Komposition der Partie des Arnold selbstverständlich an diese Technik und an einen Sänger, der sie beherrschte, gedacht. In seiner Begeisterung für das

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kultivierte falsettone hatte er Feuer an die Lunte einer Bombe gelegt, die einige Jahre später explodieren und die Opernwelt revolutionieren sollte: Mit dem Wissen um Nourrits Fähigkeiten zu Exkursionen in hohe und höchste Lagen hatte er die Tessitura der Partie des Arnold extrem hoch angelegt. Das gilt für das Duett mit Tell im 1. Akt, das Duett mit Mathilde im 2. Akt, das darauffolgende Terzett mit Tell und Walter und in besonderem Maße für das Andantino »Asile héréditaire« (von Berlioz als die schönste Arie der ganzen Oper bezeichnet) und das darauffolgende Allegro »Amis, amis, secondez ma vengeance« im 4. Akt. In diesen Stücken sind zahlreiche bʼ, hʼ, cʼʼ und sogar cisʼʼ vorgeschrieben. Dazu ist anzumerken, dass sich zu Rossinis Zeiten die Sänger bei Arien- oder Cabaletta-Schlüssen niemals – nicht notierte – gehaltene hohe Noten einlegten. Die Schlüsse wurden so gesungen, wie sie notiert waren, außer, der Komponist schrieb über eine Schlussnote eine Corona, was damals wie im 18. Jahrhundert noch bedeutete, dass der Vokalist an dieser Stelle eine freie (improvisierte) Kadenz einbauen konnte. (Später schrieb eine Corona – oder Fermate – das Aushalten einer Note ad libitum vor.) Stimmlich so anstrengend war die Rolle des Arnold, dass selbst ein falsettone-Sänger wie Nourrit die Arie im 4. Akt und die darauffolgende Cabaletta in einigen Vorstellungen an der Opéra streichen musste, weil sie seine Kräfte überstiegen. Dies und der Umstand, dass der Tell in den ersten Aufführungsjahren nicht gerade populär wurde, führte zu Besetzungsproblemen und in der Folge zu Strichen, Kürzungen und fragmentarischen Aufführungen der Oper. (Als Rossini einmal in Paris auf der Straße

Charles Duponchel, den Direktor der Opéra traf, der ihm freudestrahlend mitteilte, dass man am selben Abend den zweiten Akt des Tell – wahrscheinlich als Vorspiel für ein Ballett – geben würde, meinte der von Verstümmelungen seiner Oper geplagte Rossini: »Wirklich!? – Den ganzen zweiten Akt?« – Dieser zweite Akt wurde übrigens laut Donizetti nicht von Rossini, sondern vom lieben Gott selbst komponiert.) Für die Uraufführung der italienischen Fassung des Tell in Italien (Lucca, 1831) fand sich kein Tenor für den Arnold, worauf man überlegte, ihn als Hosenrolle einem Alt anzuvertrauen (eine damals durchaus nicht ungewöhnliche Lösung). Das Vorhaben scheiterte an der schlechten stimmlichen Verfassung der Benedetta Rosamunda Pisaroni, einer berühmten Rossini-Sängerin, die zu der Zeit kurz vor dem Ende ihrer Karriere stand. So verfiel man auf die Idee, einen unbekannten jungen Tenor, der sich zu Studien gerade in Italien aufhielt, für die Rolle zu engagieren: Gilbert-Louis Duprez (1806–1896). Er war ursprünglich ein tenorino di grazia, ein lyrischer Tenor mit Koloraturfähigkeit, der bis zum eʼʼ im falsettone sang. Er versuchte zu dieser Zeit, die italienischen Tenöre zu imitieren, die bis zum bʼ und hʼ mit Bruststimme sangen und con veemenza phrasierten. Beim Studium des Arnold entdeckte er, dass er bis zum cʼʼ mit Bruststimme singen konnte. Er gilt seit damals als der Erfinder des »do di petto«, des mit Bruststimme gesungenen hohen C, so wie es heute gesungen wird. Auch wenn dies nicht ganz der Realität entspricht (aus zeitgenössischen Quellen ist zu entnehmen, dass verschiedene Sänger, darunter Manuel García, Jahre vor ihm bei seltenen Gelegenheiten das cʼʼ mit

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Bruststimme genommen hatten), hat er das »do di petto« populär gemacht. In Lucca fand sein Gewaltakt wenig Beachtung, doch als er 1837 an der Opéra in der Rolle des Arnold debütierte und seine Höhen mit Vollstimme trompetete, verwandelte sich das Theater in ein Tollhaus. Duprez wurde daraufhin zum Star der Opéra und sang unter anderem in den Uraufführungen von Berliozʼ Benvenuto Cellini (1838), von Donizettis La Favorite und Les Martyrs (beide 1840) und von Verdis Jérusalem (1847). Duprezʼ Verdienst geht über die neue Art, exponierte Höhen zu singen, hinaus: Seitdem er das Publikum für den neuen Gesangsstil begeistert hatte, änderten sich die Interpretationen der Tenorrollen. Die Tenorkollegen imitierten Duprez, es wurde mit mehr dramatischem Impetus vorgetragen, die Akzente wurden heftiger, als Folge wurden die Tempi angezogen. Auf Rossinis hypersensibles Gehör wirkten diese hohen Töne wie der »Schrei eines Kapauns, dem die Gurgel durchgeschnitten wird«. Als der Tenor Enrico Tamberlick einmal zu Rossini auf Besuch kam, sagte dieser zu seinem Diener: »Er soll eintreten, aber sein Cis in der Garderobe lassen. Er kann es dann wieder mitnehmen, wenn er geht.« Erwähnenswert ist an dieser Stelle der damalige Kammerton. Dass die Komponisten, wie manchmal behauptet wird, derart exponierte hohe Töne angeblich nur deshalb vorschreiben konnten, weil die Stimmung wesentlich tiefer gewesen sei als heute, kann leicht widerlegt werden: Sie hätten dementsprechend auch für alle anderen Stimmlagen extreme Höhen vorschreiben müssen, was aber nicht der Fall war.

1823 lag die Stimmung in Paris bei 431 Hz, 1830 – zur Zeit des Tell – war sie bereits auf 439 Hz gestiegen, 1848 hatte sie 449 Hz erreicht. Die Pariser Académie de Musique legte daraufhin 1859 das A mit 435 Hz fest. Generell wurden um 1850 in den europäischen Konzertsälen und Opernhäusern 450 Hz erreicht oder überschritten. In Wien wurden 1859 456 (!) Hz erreicht. Erst 1939 wurden bei der Internationalen Stimmtonkonferenz in London 440 Hz standardmäßig für das A festgelegt, die heute jedoch wieder überschritten werden. Nourrit verließ nach dem raschen Berühmtwerden von Duprez die Opéra und ging nach Italien, wo er erfolglos versuchte, seine Technik auf den neuen Gesangsstil umzustellen. Nourrits Briefe an seine in Paris verbliebene Gattin geben tragisches Zeugnis von der durch die geänderten Verhältnisse hervorgerufenen, unlösbaren Berufsund Lebenskrise. Er beging 1839 in Neapel Selbstmord, als er die Titelpartie, die ihm Donizetti in Poliuto zugedacht hatte, nicht singen konnte, weil die Zensur der Bourbonen Aufführungen dieser Oper verboten hatte. Rossini musste wohl oder übel aus der Not eine Tugend machen und die neue Mode akzeptieren, denn Duprez machte den Guillaume Tell populär. Duprez übertrug seine Errungenschaft angesichts des Erfolgs auch auf sein übriges Repertoire. Das brachte ihm zwar Ruhm und Geld ein, aber auch raschen stimmlichen Verfall: 1849 musste er seine Karriere beenden. Die Folgen seines Tuns waren unabsehbar: Der romantische tenore di forza, der italienische dramatische Tenor war geboren und das falsettone kam in die Rumpelkammer der Gesangskunst.

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KO R EZ PE FN ZE SIO LE N IN LE GLOBE, NACH DER UR AUFF ÜHRUNG VON GUILLAUME TELL

»AN DIESEM ABEND BEGANN EIN NEUES ZEITALTER, NICHT NUR FÜR DIE FRANZÖSISCHE MUSIK, SONDERN AUCH FÜR DIE DRAMATISCHE MUSIK ALLER LÄNDER.« 52


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MICHAEL JAHN

DIE INTER- PRETINNEN & INTERPRETEN DES GUILLAUME TELL AN DER WIENER OPER Rossinis Opern in Wien, Rossini und Wien – dieses Kapitel der Musikgeschichte kann man mit Fug und Recht unter dem Titel »Erfolg« subsumieren. Die Werke des Pesareser Meisters beherrschten im frühen 19. Jahrhundert in einer fast unglaublichen Anzahl das Repertoire der Wiener Opernszene in den führenden Häusern: im Kärntnertortheater und im Theater an der Wien (dargeboten sowohl in italienischer als auch in deutscher Sprache): 1816 wurden Lʼinganno felice und Tancredi erstaufgeführt, 1817 Lʼitaliana in Algeri und Ciro in Babilonia, 1818 Elisabetta, 1819 La gazza ladra, Otello, Il barbiere di Si­ viglia und Ricciardo e Zoraide, 1820 Il turco in Italia und La cenerentola, 1821 Mosè in Egitto, La pietra del paragone (unter dem Titel Weiberproben), Tor­ valdo e Dorliska und Armida, 1822 La donna del lago; sechzehn Opern, eine erfolgreicher als die andere. Wien konnte als die Rossini-Hauptstadt schlechthin gelten, als die Wiener Vorherige Seite KS GIUSEPPE SABBATINI als ARNOLD & KS NANCY GUSTAFSON als MATHILDE

Zeitung am 27. März 1822 die Ankunft des berühmtesten italienischen Komponisten seiner Epoche meldete: Der Maestro war am 23. März, gemeinsam mit seiner Frau Isabella Colbran, in der Kaiserstadt eingetroffen und im Hotel Zum goldenen Ochsen abgestiegen. Er hatte zwar keine für Wien neu komponierte Oper im Gepäck, studierte jedoch zwei umjubelte Erstaufführungen ein: Zelmira, in welcher die für Wien eingefügte Arie »Ciel pietoso« im zweiten Akt zum ersten Mal gesungen wurde, und Matilde di Shabran (unter dem Titel Corradino ossia Bellezza e cuor di ferro) mit einer für den berühmten Tenor Giovanni David (neben der Colbran der Star der italienischen Stagione) eingelegten Arie aus La donna del lago. Auch in den Wiederaufnahmen von Elisabetta und Ricciardo e Zoraide (in einer einaktigen Fassung) zeichnete Rossini für musikalische Modifikationen verantwortlich. Am 22. Juli 1822 reiste der umjubelte Kom-

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DIE INTERPRETINNEN & INTERPRETEN DES GUILLAUME TELL AN DER WIENER OPER

ponist wieder ab, seine Werke blieben jedoch fest im Wiener Opernrepertoire verankert: Es folgten 1823 Maometto II. und Semiramide, 1824 Edoardo e Cris­ tina, 1825 Bianca e Falliero, 1829 Comte Ory, 1830 Guillaume Tell, 1831 Moïse et Pharaon und Le Siège de Corinthe (die letztgenannten vier französischen Opern in deutscher, später auch in italienischer Sprache, nie jedoch im Original), 1834 Lʼoccasione fa il ladro und La cambiale di matrimonio sowie 1854 Un viaggio a Vienna – insgesamt bis zur Jahrhundertmitte also neunundzwanzig Opern – mehr als zwei Drittel des gesamten musikdramatischen Schaffens des Maestro. Seit längerer Zeit pflegte auch ein drittes Wiener Theater das Rossini-Repertoire: In der Josefstadt spielte man Barbier (1825), Diebi­ sche Elster (1826), Italienerin in Algier, Tell (1833) und Otello (1844).

ERSTAUFFÜHRUNG Die Wiener Erstaufführung des Tell fiel in die Zeit eines Interregnums zwischen der Entlassung Graf Gallenbergs aus seinem Pachtvertrag und der Übernahme des Theaters durch Louis Duport, welcher das Kärntnertortheater ab 1. September 1830 pachtete; die Oberregie wurde während dieser kurzen Episode dem Hoftheater-Ökonom Friedrich Treitschke überantwortet – in dieses Jahr 1830 fielen auch die Erstaufführungen von Aubers Erfolgsopern Die Stumme von Portici und Fra Diavolo. Die Inszenierung des Rossiniʼschen Meisterwerks sollte jedoch als eines der Kuriosa in die Geschichte der Wiener Oper eingehen, denn schon der Theaterzettel machte aufmerksam: »Um den geehrten Theaterfreunden den Ge-

nuss dieser Oper ohne Abkürzung zu verschaffen, wird sie, wie auf mehreren Bühnen Deutschlands, in zwey Abtheilungen ausgeführt.« Schon vor der Pariser Uraufführung (1829) machten dem Komponisten die sogar für die Verhältnisse der Grand opéra ungewöhnlichen Ausmaße dieses Werks zu schaffen: Im Laufe der Proben wurden etliche Nummern gestrichen oder gekürzt. Auch in Wien war an eine komplette Darstellung des Tell an einem Abend nicht zu denken; daher fand am 25. Juni 1830 die Aufführung der bereits bei der Uraufführung erfolgreicheren Akte 1 und 2 statt. Die deutsche Bearbeitung des Textes stammte von Theodor von Haupt, die Dekorationen von Karl Militz und Johann Schlögl, für die Inszenierung sorgte Friedrich Demmer, für die Choreographie war Jean Corally zuständig. Den Arnold sang Josef Sebastian Binder, wie auch in der Erstaufführung der Muette noch als Gast vom ständischen Theater in Prag, bald darauf jedoch geschätztes Ensemblemitglied in Wien. Er war einer der bestbezahlten Künstler seiner Zeit und bezog für jede Rolle zumindest hundert Gulden. Allerdings dürfte er das Honorar schnell wieder ausgegeben haben, da er in einem der teuersten Hotels der Stadt, eben jenem durch den Aufenthalt Rossinis bekannten Goldenen Ochsen, seine Unterkunft fand. Die Mathilde, welche in Wien zu Schillers neutralem »Fräulein von Bruneck« rückverwandelt wurde (es durfte kein Mitglied der Familie des Hauses Habsburg auf der Bühne erscheinen), sang Therese Grünbaum. Sie war die Tochter des Komponisten Wenzel Müller und wirkte an der Wiener Oper in der Ur-

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DIE INTERPRETINNEN & INTERPRETEN DES GUILLAUME TELL AN DER WIENER OPER

aufführung von Webers Euryanthe und der Erstaufführung von Rossinis Otello mit. Franz Siebert, ein berühmter Sarastro und Pietro in der Stummen und ein ebenso stadtbekannter Alkoholiker (daher seine eher kurze Karriere), war der Walter; Friedrich Fischer der Melcthal, seine Frau Caroline Fischer-Achten der Jemmy und Anna Bondra die Hedwige. Das Kuriosum der Erstaufführung stellte jedoch die Besetzung der Titelrolle dar: August Fischer, der Tell des ersten Abends (durch sein Repertoire, welches u.a. Rocco und Kaspar umfasste, eher Bass als Bariton), nahm bald nach dieser Vorstellung ein Engagement in Darmstadt an und wurde in der ersten Aufführung der Akte 3 und 4 (am 22. Juli) durch Franz Hauser ersetzt: Dieser wurde nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn Gesanglehrer, publizierte ein angesehenes Lehrwerk und erwarb sich große Verdienste als Bach-Forscher. In Leipzig traf Hauser auf den jungen Richard Wagner, welcher ihn in Mein Leben u.a. als bedeutenden Interpreten des Figaro im Bar­ bier schildert. Das musikbegeisterte Wien war von dem neuen Werk durchaus angetan, besonders die ersten beiden Aufzüge brachten ein positives Echo bei Publikum und Presse: Man lobte den »Reichtum an schönen Melodien« und hob besonders die Introduction, das Duett zwischen Arnold und Tell, die Preghiera (1. Akt), teilweise auch das erste Finale (ausgenommen die Stretta), im zweiten Akt den Jägerchor, das schon zu dieser Zeit berühmt gewordene Männerterzett und die gesamte Verschwörungsszene auf dem Rütli hervor. Als außerordentlich wirksam KS THOMAS HAMPSON als GUILLAUME TELL & DAWN KOTOSKI als JEMMY

schilderte man die öfter aus der Ferne erschallenden Hörner, die den Auftritt des Gesler erwarten lassen (welcher jedoch erst im dritten Akt erfolgen sollte). In diesem zweiten Abschnitt gefielen die Tänze, Mathildes Arie, die Szene mit dem Apfelschuss (besonders Tells Arioso mit den »ängstlich wogenden Wehmutstönen« des obligaten Violoncellos), die Preghiera der Hedwige mit Chor und das Terzett der drei Soprane. Weniger überzeugt waren die Kritiker von der großen Szene des Arnold zu Beginn des vierten Akts – eine Szene, mit welcher schon der große Nourrit bei der Uraufführung seine Schwierigkeiten gehabt hatte und welche erst Duprez in Paris im Jahr 1837 komplett sang (nachdem Rossini das Werk in eine dreiaktige Fassung umgearbeitet hatte). Nach der ersten kompletten Wiener Aufführung (2. August 1830, mit Hauser in der Titelrolle) vernahmen die Rezensenten »störend ermüdende Längen, welche sehnsüchtig der wohltätig beschneidenden Schere entgegen harren«. Darauf musste nicht lange gewartet werden, denn wie jedes andere Werk, das von der Pariser Opéra nach Wien kam, wurde auch der Tell allen möglichen und unmöglichen Kürzungen unterworfen; diese betrafen natürlich hauptsächlich diverse Ballette, Chöre und Wiederholungen in Cabaletten und Finali (die radikale Reduzierung von Arien in diesem Werk bemerkten schon die Besucher der Uraufführung); nebenbei wurden öfter einige für die diversen Interpreten betont schwierig zu interpretierenden Szenen des Arnold um einen Ganzton nach unten transponiert. Trotz dieser gekürzten Fassung wurde das Werk

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MICHAEL JAHN

nach neunzehn kompletten Vorstellungen (eine für Rossiniʼsche Verhältnisse geringe Anzahl) 1831 abgesetzt. Allerdings erschien es auf dem Spielplan einer zweiten Wiener Bühne: Das Theater in der Josefstadt brachte eine wahre Glanzvorstellung am 19. November 1833 heraus. Besonders hervorgehoben wurde die Leistung von Karl Josef Pöck (Tell), ein Sänger, für welchen Conradin Kreutzer (damals an diesem Theater tätig) die Rolle des Prinzregenten der Uraufführung des Nachtlagers von Granada (1834) schrieb. Zur selben Zeit wurde auch ein »pantomimisches Ballett in fünf Akten« auf die Musik des Tell geschrieben; es hatte am 7. Juni 1833 am Kärntnertortheater Premiere und wurde bis 13. Oktober 1833 in neunzehn Aufführungen gegeben: Die Musik stammte unter Benützung der originalen Partitur Rossinis von Cesare Pugny, dem Komponisten von über dreihundert Balletten.

SPÄTERE AUFFÜHRUNGEN Das Kärntnertortheater war auch der Schauplatz einer neuen Einstudierung des Tell am 12. September 1837 in der neuen dreiaktigen Bearbeitung, allerdings wurden in dieser Inszenierung die großen Soloszenen der Mathilde (3. Akt) und des Arnold (gesungen von Franz Wild) völlig weggelassen, ebenso die Rolle des Jägers – trotzdem gebührte der Aufführung (mit Franz Schober als Tell, Josef Staudigl als Walter, Josef Draxler als Gesler und Jenny Lutzer als Mathilde) volles Lob. Nach 84 Aufführungen wurden am 26. Juni 1848 im Rahmen einer Neueinstudierung die meisten Striche beseitigt und der Tell wieder annähernd in Originalgestalt gespielt, wie bereits in den Jour-

nalen angekündigt: »Im k. k. Operntheater wird mit Nächstem Rossiniʼs Wilhelm Tell nach der Originalpartitur, nämlich ohne Hinweglassung im 2. und 3. Finale gegeben werden.« Der Arnold dieser Aufführung war Josef Erl, einer der berühmtesten Vertreter dieser Partie. Er hatte seine Karriere im Chor begonnen und wurde auf Anregung von Kapellmeister Kreutzer Solist des Kärntnertortheaters, wo er u.a. in der Uraufführung von Flotows Martha und den Erstaufführungen von Meyerbeers Hugenotten oder Donizettis Favorita mitwirkte. Seine Partner waren Maria Anna von Hasselt-Barth (Mathilde), Eduard Leithner (Tell), Josef Draxler (diesmal als Walter) und Gustav Hölzel (Gesler), es dirigierte Wilhelm Reuling. In späteren Aufführungen bejubelten die Wiener Opernfreunde Staudigl in der Titelrolle und Alois Ander als Arnold, einen erklärten Liebling des Publikums. Er sollte leider dadurch traurige Berühmtheit in der Musikgeschichte erlangen, als die geplante Wiener Uraufführung von Wagners Tristan und Isolde durch seine sich anbahnende Stimmkrise vereitelt wurde. Im Rahmen der Stagione des Jahres 1853 kam der Tell am 9. April in italienischer Sprache auf die Bühne des Kärntnertortheaters und »fiel total durch«. In dieser dreiaktigen Aufführung sang Albina Marray die Mathilde und Giovanni Mitrovich den Gesler; neben Achille de Bassini, welcher den Charakter der Titelpartie »nicht richtig aufzufassen vermochte«, gab Carlo Guasco den Arnold. Der Tenor, welcher in Wien immerhin die Rolle des Riccardo in Donizettis Maria di Rohan erfolgreich kreiert hatte, sang so miserabel, »dass man sich erzählt, er werde

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DIE INTERPRETINNEN & INTERPRETEN DES GUILLAUME TELL AN DER WIENER OPER

hier nicht mehr auftreten«. Es blieb bei dieser einzigen Vorstellung. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die tragenden Männerrollen von Theodor Wachtel (Arnold), dessen Erstauftreten in dieser Partie als Sensation gewertet wurde, Johann Nepomuk Beck (Tell) und Carl Schmid (Walter) interpretiert: ein Terzett, wie es in Wien in dieser Vollkommenheit selten zu hören war; die Darstellung von Rossinis Meisterwerk an der Wiener Oper galt damals als eine der bestbesetzten und wirksamsten Leistungen dieser Bühne. Am 27. Juni 1869, kurz nach der Eröffnung der neuen Hofoper, kam Tell an diese Bühne, am 17. April 1870 wurde das Werk jedoch noch einmal statt Meyerbeers Robert le diable im alten Haus gegeben. Diese sollte die überhaupt letzte Vorstellung des alten Kärntnertortheaters bleiben, denn bald danach wurde mit der Demolierung des Gebäudes begonnen. Einmal noch soll der alternde Josef Erl die leere Bühne betreten und die Szene des Arnold »Ah! Mathilde« aus dem ersten Akt in den schon verwahrlosten Zuschauerraum geschmettert haben. Von 1882 bis 1884 wurde Schillers Sprechstück in fünf Vorstellungen des Hofburgtheaters in der Oper gegeben – die Sprechbühne musste wegen der Installierung von Brandschutzmaßnahmen in jenen Jahren geschlossen bleiben. Im neuen Haus ohne Unterbrechung bis 1904 (in drei Aufführungen des Jahres 1884 auch in italienischer

Sprache) gegeben, war der Tell neben dem Barbier das einzige Überbleibsel des einstigen Rossini-Taumels an der Wiener Oper. Am 11. Mai 1905 (also in der Ära Mahler, jedoch unter der musikalischen Leitung von Francesco Spetrino) folgte die letzte Neuinszenierung. An der Dauer der Aufführung von 19 bis 22 Uhr allein ist schon zu ermessen, in welch umfangreichem Ausmaß gekürzt wurde. Die Besetzungsliste liest sich wie eine Aufzählung der prominentesten Sängerinnen und Sänger der damaligen Zeit: Leopold Demuth, ein angesehener Bayreuther Sachs und Gunther, sang die Titelpartie, der berühmte Richard Mayr den Walter, und Grete Forst (eine der ersten Darstellerinnen der Butterfly an der Wiener Oper) war die Mathilde, während ein unvergessener Tenor als Arnold Triumphe feierte: Leo Slezak, welcher auch in der letzten Vorstellung des Tell am 19. Jänner 1907 an der Wiener Hofoper neben Demuth und Elise Elizza (Mathilde) mitwirken sollte. Einmal noch wurde der Tell nach den beiden Weltkriegen in Wien inszeniert: an der Volksoper am 19. November 1958 unter der musikalischen Leitung von Argeo Quadri. Die Hauptrollen sangen Alexander Sved (Tell), Karl Terkal (Arnold) und Gerda Scheyrer (Mathilde). Die Premiere der aktuellen Produktion der Staatsoper brachte 1998 schließlich die Wiener Erstaufführung des Guillaume Tell in französischer Sprache.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ERSTER AKT CHOR Welch heiteren Tag verheißt der Himmel! Feiern wir ihn mit unseren Gesängen und der Widerhall von diesen Ufern möge unsere Lieder in die Lüfte tragen! Durch unsere Arbeit huldigen wir dem Schöpfer des Universums. FISCHER Eile in mein Boot, scheues Mädchen, hier wartet das Vergnügen, das dich herbeiruft. Ich verlasse dieses Ufer; Lisbeth, komm’ mit mir, oh! Komm, der wolkenlose Himmel verspricht uns einen schönen Tag. TELL Trunken singt er vom Vergnügen, von seinem Liebchen; Die Sorge, die mich bedrückt, quält ihn nicht. Welche Bürde ist das Leben für uns Heimatlose! Er singt, und Helvetia weint, weint um ihre Freiheit. FISCHER Blumen bekränzen ihren Kopf, deren heimliche Macht Das Unwetter fernhält und wohlbehaltene Rückkehr verheißt. Und du, einsamer See, Zeuge des süßen Mysteriums, verrate nicht dem Lande das Geheimnis der Liebe! JEMMY, HEDWIG Seine Tollkühnheit beschwört den Schiffbruch herbei, und dem Sturme trotzend, denkt er nur an die Rückkehr. Wenn er seinen Kurs auf die gefürchtete

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ERSTER AKT

Klippe nimmt, wird eine Totenklage wohl den Liebesliedern folgen! TELL Welche Bürde ist das Leben für uns Heimatlose! Er singt, und Helvetia beweint das Ende ihrer Tage! CHOR Von den Bergen hören wir das Zeichen, dass das Fest beginnt und unsere Arbeit beendet ist. Das ländliche Fest, unbeobachtet von den Herren, lässt uns die Freuden des süßen Heimatlandes genießen. JEMMY, HEDWIG, FISCHER, TELL, CHOR Gruß und Preis dem tapferen Melchthal! HEDWIG Das Hirtenfest macht, nach altem Brauch, aus drei jungen Liebenden drei glückliche Gatten. ARNOLD Liebende, Gatten ... Ah! Welche Gedanken überfallen mich! HEDWIG Segnet sie. MELCHTHAL Ich? HEWDIG ... und uns alle mit ihnen. TELL Es ist das heilige Vorrecht des Alters und der Tugend und ein Vorgeschmack auf die süßen Freuden des Himmels. MELCHTHAL Ihr Hirten, eure Stimmen mögen sich vereinen und eure Hörner weithin

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

schallen! Feiert alle an diesem schönen Tag die Arbeit, die Ehe und die Liebe! FRAUENCHOR Lasst den Freudenliedern, die ertönen auch unsere sanfteren Töne beigesellen! Feiern wir im Wechselsang die Arbeit, die Ehe und die Liebe! ARNOLD, FISCHER, TELL, MELCHTHAL, JEMMY, HEDWIG, CHOR Feiern wir alle diesen schönen Tag, die Arbeit, die Ehe und die Liebe! CHOR Bei den brausenden Sturzbächen mögen die Hörner einander antworten! Und das Echo dieser Berge gibt unsere süßen Lieder an die Wälder und Täler weiter! Feiern wir durch unser Spiel die süßen Bande der liebenden Hirten und eilen wir zu ihnen! TELL Gegen des Tages Hitze bietet ihnen meine einsame Hütte Schutz. Hier lebten schon meine Ahnen, hierher flüchte ich vor den Tyrannen und verberge vor ihnen mein Glück, Gatte und Vater zu sein. MELCHTHAL Das Glück Vater zu sein! Hörst du, mein Sohn, das ist das höchste Gut. Willst du den Wunsch meines Alters stets enttäuschen? Das Hirtenfest schließt an diesem Tage der Fröhlichkeit drei Ehen – und nicht die deine? ARNOLD Die meine, sagt er ... Niemals die meine! Dass ich mir selbst nicht mehr verschweigen kann,

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ERSTER AKT

welch unheilvolle Liebe alle meine Sinne beherrscht! Dich, deren Haupt die Krone tragen wird, o Mathilde, ich liebe dich! Ich liebe dich und verrate damit die Pflicht, die Ehre, meinen Vater und mein Land! Vor der mörderischen Lawine hat dich meine Kraft bewahrt, ich rettete dich, die Tochter der Könige, dich, die eine heimtückische Macht bestimmt, uns zu beherrschen! Trunken von verrückter Hoffnung hat meine Jugend ihr Blut gegeben für die elenden Herren. Unter ihnen habe ich Kampfesruhm kennengelernt, das ist meine Schmach! Jedoch meine Tränen haben sie getilgt Sie soll nicht neu erstehen durch schicksalhafte Liebe. Was ist das für ein Lärm? Das Horn der Tyrannen, die Deutschland ausgespien hat, ertönt von den Bergen. Gessler ist da, Mathilde begleitet ihn. Ich muss sie nochmals sehen, nochmals ihre Stimme hören. Seien wir glücklich und schuldbeladen zugleich! TELL Wohin eilst du? Was erregt dich so? Hältst du nicht ein, wenn dir der Freund begegnet? ARNOLD Nein, nein, nein! TELL Warum zitterst du? ARNOLD Habe ich die Kraft zu heucheln? Welches große Herz wäre nicht bedrückt vom Joch der Knechtschaft? TELL Ich verstünde die Leiden, die ich teile: Doch Arnold hat mir nicht geantwortet.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ARNOLD Könnte ich unglücklicher sein? TELL Unglücklich? Er verbirgt ein Geheimnis. (Zu Arnold) Warum länger schweigen? ARNOLD Was hoffst du? TELL Deinem Herzen Kraft und Mut wiederzugeben ... Arnold! ARNOLD Ah! Über alles geliebte Mathilde! Muss ich denn meine Leidenschaft besiegen? TELL Ich kann in seinem Herzen lesen. ARNOLD O Vaterland, mein Herz opfert dir meine Liebe und mein Glück! TELL Sein Irrtum lässt ihn erröten. Hat er auch sein Vaterland verraten, als er den Tyrannen diente, so büßt er nun zumindest durch Gewissensbisse den Augenblick der Ehrlosigkeit. TELL Fort von uns die Angst der Sklaven, seien wir Männer, und wir werden siegen! ARNOLD Und wie die Beleidigungen rächen? TELL Alle ungerechte Macht ist zerbrechlich. ARNOLD Wer unterstützt uns gegen die fremden Herren?

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ERSTER AKT

TELL Die Gefahren, für uns gibt es nur eine, für sie deren Tausend. ARNOLD Denk daran, was du verlierst! TELL Und wenn schon! ARNOLD Welchen Ruhm soll man erhoffen? TELL Ich weiß nicht recht, was Ruhm ist, aber ich kenne die Last der Ketten. ARNOLD Du hoffst – TELL – auf den Sieg. Und ich muss daran glauben, dass du mit mir hoffst. ARNOLD Wir werden frei sein? TELL Das schwöre ich ... ARNOLD Aber wo kämpfen? TELL Genau hier. ARNOLD Welche Zuflucht gibt es, wenn wir unterliegen? TELL Das Grab. ARNOLD Und wer ist unser Rächer?

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

TELL Gott! ARNOLD Ah! Über alles geliebte Mathilde! So muss ich denn meine Leidenschaft besiegen! O Vaterland, mein Herz opfert dir meine Liebe und mein Glück! TELL Ich kann in seinem Herzen lesen. Sein Irrtum lässt ihn erröten. Hat er auch sein Vaterland verraten, als er den Tyrannen diente, so büßt er nun zumindest durch Gewissensbisse den Augenblick der Ehrlosigkeit. ARNOLD Wenn die Stunde der Gefahr schlägt, Freund, werde ich bereit sein. TELL Bleibe hier! ARNOLD O Missgeschick! TELL Melchthal! Melchthal! Was höre ich? Das ist Gessler! Wie! Er fordert uns zum Kampfe und du willst wie ein williger Sklave, nach der Gnade eines verachtungsvollen Blickes streben? ARNOLD Welch harte Worte! Eine Beleidigung für mich. Ich werde ihm entgegengehen und dem hochmütigen Unterdrücker trotzen. TELL Keine unbedachten Taten! Denk an deinen Vater; du musst ihn schützen. Denk an deine Heimat; du musst sie rächen.

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ERSTER AKT

ARNOLD Mein Vater! TELL Er zögert. ARNOLD Meine Heimat! TELL Er erbleicht! ARNOLD Meine Liebste! Was tun? TELL Was ist nur sein Geheimnis? ARNOLD O Himmel, du weißt, wie ich Mathilde liebe! Doch mein Herz fügt sich der Tugend. Hass und Untergang den Tyrannen! TELL Höre die fernen Hochzeitsgesänge! Trüben wir nicht das Fest der Hirten. Mischen wir nicht Tränen in ihre Freuden, an diesem Tag zumindest soll das Volk seiner Betrübnis entkommen. ARNOLD Die Tränen will ich seinem Blick verbergen. O Himmel, du weißt, wie ich Mathilde liebe! Doch ich füge mich der Tugend, Hass und Untergang den Tyrannen! TELL In unsern Reihen wird er kämpfen, Hass und Untergang den Tyrannen! HEDWIG Die Sonne glänzt über unseren Häuptern und scheint in ihrem Laufe stillzustehen, um das Familienfest zu betrachten.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

Verehrungswürdiger Melchthal, um eurer ruhmreichen Vergangenheit willen, segnet die Liebenden! ALLE Himmel, Zierde der Welt, lächle ihrem Glück! Denn ihre Liebe ist ebenso rein wie dein Licht an einem heileren Tag! ARNOLD Sie schließen den Bund! Welcher Schmerz! Keine Hoffnung mehr für mich! Was muss ich erdulden, unheilvolle Liebe! MELCHTHAL Ihr gebt uns ein Beispiel alter Tugenden. Denkt daran, junge Hirten, dass die Schweiz auf euch blickt. Sie erwartet von eurem Bunde Helfer, Rächer. Eure Kinder, treue Gefährten! Lehrt eure Söhne, wie ihre Ahnen zu sein groß und frei, der Stolz unserer Berge! TELL Schon wieder Gessler! ARNOLD Ich wage es! TELL Gessler ächtet unsere Gelübde! Hört, was der Tyrann lauthals verkündet: Wir haben kein Vaterland mehr, die Quelle unsres tapferen Blutes, das in den Herzen unsrer Ahnen kochte, ist für immer versiegt! Ein Volk ohne Tugend, das keine Helden mehr hervorbringt! Was hinterlasst ihr euren Söhnen? Die Ketten, in denen ihr liegt! Frauen, jagt die Männer aus den ehelichen Betten, es gibt schon genug der Sklaven!

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ERSTER AKT

HEDWIG Welch heftige Gefühle! Ist der Tag gekommen, ihnen freien Lauf zu lassen? TELL Vielleicht! Doch ich sehe Arnold nicht mehr. JEMMY Er verlässt uns. TELL Er flüchtet mich. Umsonst versucht er, mir sein Leiden zu verbergen. Ich gehe, ihn zu befragen. Und du, lass die Feiern wieder beginnen! HEDWIG Du lässt mich vor Furcht erstarren und sprichst vom Feiern! TELL ... damit die Tyrannen das Unwetter nicht hören! Verborgen von euren fröhlichen Gesängen soll es erst losbrüllen, wenn es auf ihre Häupter niedergeht! CHOR Hymen, dein glücklicher Tag bricht für uns an. Diese Gatten eifern nach den Kronen, die du gibst, ihre Jugend schmückt sich mit Heiterkeit und Zärtlichkeit, die Unwetter über unseren Köpfen verstummen. Alles sagt uns: Hymen, dein glücklicher Tag ... Ruhm und Ehre dem Sohn des Tell, preist seine Geschicklichkeit! JEMMY O meine Mutter! HEDWIG Welch freudiger Augenblick!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

CHOR Preist seine Geschicklichkeit, sie ist ein väterliches Erbe. Ruhm, Ruhm! Anstatt der Rüstung, die den Krieger schützt, dient uns Kindern der Natur ein wollenes Wams, doch unser Pfeil trifft sein Ziel und lässt unsere Hoffnung neu erstehen. JEMMY Mutter! Bleich und zitternd läuft ein Hirte auf uns zu, der sich kaum auf den Beinen hält! FISCHER Das ist der tapfere Leuthold; welch Unglück führt ihn her? LEUTHOLD Rettet mich! HEDWIG Was fürchtest du? LEUTHOLD Ihren Zorn! HEDWIG Leuthold, wer bedroht dich? LEUTHOLD Der einzige, der keine Gnade kennt, der Grausamste, Furchtbarste von allen! O meine Freunde! Rettet mich vor seinen Schlägen! MELCHTHAL Was hast du getan? LEUTHOLD Meine Pflicht! Von meiner ganzen Familie ließ mir der Himmel nur ein Kind, eine Tochter. Ein ruchloser Gefolgsmann des Landvogts schleppte sie fort – sie, mein letztes Gut! Hedwig, ich bin ein Vater,

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ERSTER AKT

und ich wusste sie zu verteidigen. Meine Axt traf seine Stirne. Siehst du dies Blut? Es ist seines. MELCHTHAL Er hatte den Mut eines Vaters, doch fürchten wir für ihn den Zorn des Tyrannen. LEUTHOLD Eine sichere Zuflucht wartet am anderen Ufer – führ mich hinüber. FISCHER Dieser Strudel, dieser Felsen erlauben nicht, dass man sich dem Ufer nähert. Wer diese Klippe ansteuert, läuft seinem sicheren Tod entgegen. LEUTHOLD Ah! Mögst du, Grausamer, in deiner letzten Stunde Gott ebenso taub für deine Reue finden, wie du es gegenüber meinem Flehen bist! TELL Arnold ist verschwunden, ich konnte ihn nicht einholen. SOLDATEN Leuthold, wehe dir! LEUTHOLD Großer Gott! SOLDATEN Wehe! LEUTHOLD Ich flehe um deinen Schutz! TELL Ich höre Drohen und Klagen!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

LEUTHOLD Wilhelm, das Schicksal überwältigt mich, man verfolgt mich, und ich bin ohne Schuld. Ich werde sterben, wenn ich nicht sofort flüchte. Für mein Heil gibt es nur einen Weg. TELL Hier ist dein Boot, Fischer, du hast ihn gehört. LEUTHOLD Umsonst; er ist so mitleidlos wie der Landvogt. TELL Er missachtet Gottes Gesetz und stößt dich zurück. Nun gut, so folge mir! SOLDATEN Der Mord verlangt dein Blut! Wehe, Leuthold! TELL Eilen wir, da sind sie. Lebe wohl. HEDWIG Du wirst umkommen! TELL Fürchte nichts, Hedwig. Die Gefahren sind groß, doch Gott wird uns schützen!

CHOR DER DORFBEWOHNER Gott der Güte, allmächtiger Gott, vereitle die Rache der Unterdrücker, schütze die Verteidiger der Unschuld vor dem Schiffbruch, schütze ihren Mut! RUDOLF Die Stunde der Gerechtigkeit ist da!

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ERSTER AKT

SOLDATEN Die Stunde der Gerechtigkeit ist da! RUDOLF Wehe dem Mörder – SOLDATEN Wehe dem Mörder – RUDOLF Er sterbe! SOLDATEN Er sterbe! JEMMY, HEDWIG Er ist gerettet! RUDOLF Was sehe ich? Verdammt! SOLDATEN Er hat die Überfahrt geschafft. HEDWIG, JEMMY, MELCHTHAL Das war Gottes Werk. RUDOLF Ihr Jubeln ist eine neue Beleidigung, Sklaven, wehe euch allen! JEMMY, MELCHTHAL Welche Anmaßung! Warum hindert mein Alter meinen Zorn? DORFBEWOHNER Über unseren Köpfen braut sich ein Unwetter zusammen. Entfernen wir uns! RUDOLF Bleibt! Es gibt mehr als einen Schuldigen: Wer lieh dem Mörder seine Hilfe? Nennt den Verräter, es geht um euer Leben.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

JEMMY, HEDWIG Sie werden reden ... die Furcht überwältigt sie. RUDOLF Gehorcht! RUDOLF UND SOLDATEN Es geht um euer Leben! JEMMY, HEDWIG, DORFBEWOHNER Jungfrau, zu der wir Christen beten, hör unsere Stimmen, die dich anrufen, entreiße dem Schwert der Bösen unsere/ihre Männer und unsere/ihre Kinder! FISCHER Es geht um unser Leben! Fürchten wir unsere Tyrannen! MELCHTHAL Es geht um unser Leben! Ich sehe alle zittern! DORFBEWOHNER Es geht um unser Leben! Fürchten wir unsere Tyrannen! SOLDATEN Siehst du sie zittern? Es geht um euer Leben! RUDOLF Ich sehe sie zittern. Gehorcht! Es geht um euer Leben! MELCHTHAL Wir sollten uns verhalten wie er. Freunde, beruhigt eure Angst! Er wagt zu handeln, ihr wagt zu schweigen! DORFBEWOHNER Er wagt zu handeln, wagen wir zu schweigen!

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ERSTER AKT

RUDOLF Erzittert! Nennt mir den Verräter! MELCHTHAL Sag deinem Tyrannen, dass diese Erde keine Denunzianten trägt. RUDOLF Greift diesen Tollkühnen, der sich gegen uns und gegen den Landvogt auflehnt! Plünderung und Verwüstung mögen diese Ufer mit Schrecken überziehen! Schande und Elend sind der Lohn meiner Wut! JEMMY Wenn Plünderung und Verwüstung diese Ufer mit Schrecken überziehen, feiger Söldner, wird uns der Bogen meines Vaters vor deinem Wüten schützen! JEMMY, HEDWIG, FISCHER, MELCHTHAL, DORFBEWOHNER Wenn Plünderung und Verwüstung diese Ufer mit Schrecken überziehen, feiger Söldner, wird uns der Bogen meines/seines Vaters vor deinem Wüten schützen! Wir trotzen deiner Wut! RUDOLF Plünderung und Verwüstung mögen diese Ufer mit Schrecken überziehen! Fürchtet meine Wut! SOLDATEN Plünderung und Verwüstung mögen diese Ufer mit Schrecken überziehen, Schande und Elend sind der Lohn unsrer Wut!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ZWEITER AKT CHOR DER JÄGER Welch wilde Harmonie vereinigt sich dem Klang der Hörner! Mit dem Tosen des Wasserfalls mischt sich der Schrei der sterbenden Gämse. Was gibt es Schöneres, als sie ihr Leben aushauchen zu hören? Und was ist berauschender als das Wüten des Sturmes! EIN JÄGER Was ist das für ein Geräusch? CHOR DER HIRTEN Das Glockenläuten befiehlt uns die Rückkehr. Die Nacht ist da. EIN JÄGER Der eintönige Gesang der Hirten verfolgt uns wieder. Das Horn des Landvogts erschallt. EIN JÄGER UND CHOR DER JÄGER Es befiehlt uns die Rückkehr. Die Nacht ist da! Das Horn erschallt. MATHILDE Endlich entfernen sie sich. Ich glaubte ihn zu erkennen. Mein Herz hat meine Augen nicht getäuscht. Er ist mir gefolgt, ist hier in der Nähe. Ich zittere ... Wenn er erschiene! Was ist dies tiefe, geheimnisvolle Gefühl, dessen Flamme ich nähre, an dem ich sogar hänge? ARNOLD Bist es wirklich du, schlichter Bewohner dieses Landes, die Hoffnung und der Stolz dieser Berge,

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ZWEITER AKT

der meine Gedanken beherrscht und meine Angst erweckt? Ach! Könnte ich es mir selber eingestehen! Melchthal, du bist es, den ich liebe. Du hast mein Leben gerettet. Und Dankbarkeit entschuldigt meine Liebe. Düsterer Wald, traurige wüste Heide, euch ziehe ich den prachtvollen Palästen vor. Aus diesen Bergen, wo das Unwetter haust, finde ich den Frieden meines Herzens wieder. Doch nur das Echo soll mein Geheimnis wissen, du, sanfter Stern der Hirten, dessen Strahlen mich begleiten, sei auch mein Stern und führe mich! Wie er, so sind auch deine Strahlen verschwiegen, und nur das Echo wird mein Geheimnis verraten. ARNOLD Ist es Euch unangenehm, dass ich hier bin? Mathilde, mein unvorsichtiger Schritt hat sich bis zu Euch hierher gewagt. MATHILDE Man verzeiht leicht die Fehler, die man auch selbst begeht. Arnold, ich habe Euch erwartet. ARNOLD Diese gütigen Worte hat Euch, ich fühl es wohl,das Mitleid eingegeben. Ihr bemitleidet meine Verirrung. Meine Liebe beleidigt Euch. Oh, grausames Schicksal! MATHILDE Ist meines denn glücklicher? ARNOLD Ich muss sprechen in diesem grausamen, süßen Augenblick, der vielleicht auch so gefahrvoll ist, damit die Tochter der Könige mich kennenlerne. Ich wage es mit Stolz zu sagen: der Himmel hat mich für Euch gemacht. Ich kann die Klippe des Vorurteils ermessen, die sich zwischen uns mit aller Macht erhebt, und ich kann sie ertragen, doch nur,

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

wenn Ihr nicht bei mir seid. Mathilde, gebietet mir, weit weg von Euch zu fliehen, meine Heimat und meinen Vater zu verlassen, in fremdem Land zu sterben, mein Grab zu suchen in unbewohnter Erde verkündet mein Schicksal, sagt ein Wort! MATHILDE Bleibt! Ja, ihr entreißt meiner Seele das Geheimnis, das meine Augen schon verraten haben. Ich kann die Flamme nicht besiegen, sollte sie auch uns beide verzehren! ARNOLD So ist das Geheimnis ihrer Seele offenbar, das schon ihre Augen verraten haben! Ihre Flamme antwortet der meinen, sollte sie auch uns beide verzehren! Doch wie weit sind wir voneinander entfernt, welche Hindernisse türmen sich zwischen uns auf! MATHILDE Verliert die Hoffnung nicht! Es ist mein Blick, der Euch erhebt. ARNOLD Süßes Geständnis! Diese zärtlichen Worte erfüllen mein Herz mit Wonne! MATHILDE Ich kann ihn lieben, alles verheißt mir Glück an seiner Seite. Ich liebe ihn, alles verheißt mir Glück an seiner Seite. ARNOLD Süßes Geständnis! Diese zärtlichen Worte erfüllen mein Herz mit Wonne! Alles verheißt mir Glück. Welche Wonnen für mein Herz!

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ZWEITER AKT

MATHILDE Kehrt zurück aufs Feld der Ehre, fliegt zu neuen Taten. Der Sieg wird Euch adeln und die Welt wird meine Wahl gutheißen. ARNOLD Auf dem Feld der Ehre will ich den Preis verdienen, der bei der Rückkehr meiner harrt. Kann ich am Sieg zweifeln, wenn ich der Liebe gehorche? MATHILDE Der Sieg wird Euch adeln. ARNOLD Kann ich am Sieg zweifeln, wenn ich der Liebe gehorche? MATHILDE Er ist meiner Liebe würdig. Jene, die dich liebt, ist von Ehre erfüllt. Mathilde wird treu sein und die Deine werden. ARNOLD Jene, die ich liebe, ist von Ehre erfüllt. Mathilde wird treu sein und die Meine werden. Ich kehre zurück auf das Feld der Ehre. TELL Du warst nicht alleine hier? ARNOLD Ja und? TELL Wir fürchten, eine süße Unterhaltung zu stören. ARNOLD Ich kümmere mich nicht um eure Absichten.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

WALTER Mehr als jeder andere solltest du sie kennen. TELL Nein ... was kümmert’s Melchthal, wenn er unsre Reihen verlässt und heimlich den Tyrannen dienen will? ARNOLD Wer sagt das? TELL Deine Verstörung und Mathildes Flucht! ARNOLD Du spionierst mir nach? TELL Ja, ich selbst. Dein gestriges Benehmen hat mich Verdacht schöpfen lassen. ARNOLD Aber ich liebe sie... WALTER Großer Gott! ARNOLD Und wenn ich wiedergeliebt werde? Deine Vermutungen ... TELL ... sind also wahr. ARNOLD Meine Liebe ... WALTER ... ist ein Frevel. ARNOLD Mathilde? TELL Sie ist unsere Feindin.

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ZWEITER AKT

WALTER Sie ist vom Geschlecht unserer Unterdrücker. TELL Und der feige Melchthal liegt ihr zu Füßen! ARNOLD Wer gibt euch das Recht zu solchem blinden Zorn? TELL Unser Recht? Ein Wort wird dir alles sagen: Weißt du wohl, was es heißt, das Vaterland zu lieben? ARNOLD Ihr sprecht vom Vaterland – wir haben keines mehr. Ich werde dieses Land verlassen, wo Zwietracht und Angst herrschen, die würdigen Töchter der Sklaverei! Ich eile in den Kampf, um meine Ehre wiederzugewinnen. TELL Wenn die Schweiz ein Schlachtfeld ist, wo man ihre Kinder mäht, lass deine Waffen Gessler dienen; kämpfe und stirb für die Tyrannen! ARNOLD In den Heerlagern erneuert sich mein Mut; dort herrscht Pflichttreue. Mit Ruhm habe ich mich dort bedeckt, und er wird mir die Freiheit ersetzen. WALTER Als Vorgeschmack auf die Schlacht hat Gessler einen alten Mann getötet. Das Opfer wartet auf sein Begräbnis und hat ein Recht auf deinen Beistand. Geh! Laufe! ARNOLD Welch furchtbares Rätsel! Ein alter Mann, sagst du?

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

WALTER Den die Schweiz verehrt. ARNOLD Sein Name? WALTER Ich muss ihn verschweigen. TELL Ihn nennen heißt dein Herz zerreißen. ARNOLD Mein Vater! WALTER Ja, dein Vater! Melchthal, die Zierde unsrer Dörfer, dein Vater, abgeschlachtet von den Henkern! ARNOLD Was höre ich! O Verbrechen! O weh, ich sterbe! Sein Leben wagten sie zu nehmen, und ich habe es nicht verteidigt! Mein Vater, du musstest mich verfluchen! Das Schuldgefühl zerreißt mir das Herz! O Himmel, nie werde ich dich wiedersehen! TELL Ihn schaudert. WALTER Er wankt. TELL, WALTER ... er atmet kaum. ARNOLD Ich sterbe! TELL, WALTER Er erbleicht, das Schuldgefühl zerreißt ihn, alle Bande der Liebe sind zerrissen. Sein Entsetzen lässt seinen Wahn weichen, sein Unglück gibt ihm die Tugend wieder.

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ZWEITER AKT

Das Schuldgefühl zerreißt ihn, das Schicksal des Vaters bewegt ihn, sein Herz ist für immer getroffen, das Unglück gibt ihm, hoffe ich, die Tugend wieder. ARNOLD Mein Vater, du musstest mich verfluchen! Das Schuldgefühl zerreißt mir das Herz! O Himmel, nie werde ich dich wiedersehen! So ist es wahr! WALTER Ich habe die Untat gesehen. ARNOLD Du? WALTER Ich sah ihn, wie er sich wehrte und fiel. ARNOLD Großer Gott! Was soll ich tun? TELL Deine Pflicht. ARNOLD So muss ich sterben? TELL Leben musst du! ARNOLD Nun denn! Meine Verzweiflung wird mir gegen Gessler nützen. Folgt ihr mir nach Altdorf? TELL Mäßige die Aufwallungen deiner Seele! WALTER Bleibe und räche deinen Vater und das Vaterland zugleich.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ARNOLD Sprecht weiter! TELL Die Nacht, die unsren Plan begünstigt, umgibt uns schon mit schützendem Schatten. Du wirst sehen, wie in diesen Ländern, die Gessler unterworfen glaubt, sich allerorten tapfere Freunde erheben. Sie werden deine Klagen hören. Aus Pflugscharen werden sie Waffen schmieden, um für ein würdiges Los zu kämpfen: Unabhängigkeit oder Tod! TELL, ARNOLD, WALTER Ja, Unabhängigkeit oder Tod! Wir glühen von heiligem Eifer! Die Freiheit ist mit uns verschworen, dein/mein Vater gibt uns Kraft. Rächen wir ihn, statt zu weinen. Für seine Heimat ist er gestorben. Sein Geschick scheint uns zu sagen, dass ihm die Krone des Märtyrers für so viel Tugend verdient! TELL Aus den Tiefen des riesigen Waldes dringt ein wirrer Lärm. Hört! ARNOLD Hört! TELL Still! WALTER Der Wald hallt wider vom Lärm vieler Schritte. ARNOLD Der Lärm kommt näher. TELL Wer ist das?

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ZWEITER AKT

MÄNNER AUS UNTERWALDEN Freunde des Vaterlandes! TELL O Glück! ARNOLD O Rache! TELL, ARNOLD, WALTER Gepriesen sei ihr Kommen! MÄNNER AUS UNTERWALDEN Wir haben Entfernung und Gefahren überwunden, die Wälder und die Flüsse konnten uns nicht aufhalten. Unter dem Schutz der Vorsicht hat unser Mut uns auf das Rütli hergebracht. TELL Edle Söhne des Kanton Unterwalden, euer hochherziger Eifer überrascht uns nicht. WALTER Man folgt eurem Beispiel, ich höre das Horn unserer Brüder aus Schwyz. Sei stolz auf deine Söhne, mein Heimatland! MÄNNER AUS SCHWYZ In diesen unheilvollen Zeiten zwingen uns fremde Herren, die unsern Schmerz belauschen, zur Heimlichkeit. Nur diesem einsamen Wald können wir unsere Tränen anvertraun! TELL Verzeihen wir die Mutlosigkeit der Elenden. Doch glaubt an meine Hoffnung, ihre Herzen werden den unseren antworten. WALTER Das Fernbleiben des Kantons Uri allein bedauern wir.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

TELL Um die Spur ihrer Schritte zu verwischen, um besser unsre heilige Verschwörung zu verbergen, bahnen sich die Brüder übers Wasser einen Weg, der sie nicht verrät. WALTER Dieses Versprechen erfüllt sich schon, hörst du? TELL Wer da? MÄNNER AUS URI Freunde des Vaterlands! MÄNNER AUS SCHWYZ, URI UND UNTERWALDEN Wilhelm, du siehst, auf deinen Ruf werden drei Stämme ihr Recht stolz erkämpfen und das schändliche Joch abschütteln. Sprich zu uns! Und die edlen Worte, die aus deiner Seele strömen, werden alsbald unsere Sinne entflammen! Sprich! TELL Die Lawine, die vom Gipfel unsrer Berge hinunterrollt und Tod in die Ebene trägt, birgt weniger Unheil, als jeder Schritt unsrer Tyrannen sät. An uns, an unsrem Mute liegt es jetzt, diese Ufer von den verhassten Herren zu säubern! WALTER Freunde, gegen das schändliche Joch lehnt sich Menschlichkeit vergebens auf. TELL Unsere Unterdrücker sind siegreich. Ein Sklave hat keine Gattin, keine Kinder mehr! DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Ein Sklave hat keine Gattin, keine Kinder mehr! Das ist zuviel des Leids, was sollen wir tun?

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ZWEITER AKT

ARNOLD Rächt den Tod meines Vaters! DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Melchthal! Was war sein Verbrechen? ARNOLD Sein Verbrechen? Er liebte die Heimat! DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Verabscheuenswürdiger Mord! TELL Erweisen wir uns des Blutes unsrer Väter würdig. Im Schatten und in Stille bewaffnet mit Schwert und Lanze die drei Kantone! DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Im Schatten und in Stille bewaffnet die drei Kantone mit Schwertern und Lanzen! TELL Morgen wird der Tag der Rache dämmern. Steht ihr uns bei? DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Zweifelt nicht, ja, wir alle. TELL Bereit zum Sieg? DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Ja, alle! TELL Bereit zu sterben? DEPUTIERTE DER DREI KANTONE Ja, alle! TELL Unser treuer Händedruck soll den Schwur bekräftigen. Schwören wir bei den Gefahren.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ALLE ANDEREN Schwören wir bei den Gefahren. TELL Bei unsrem Unglück, bei unsren Ahnen. ALLE ANDEREN Bei unsrem Unglück, bei unsren Ahnen. TELL Dem Gott der Könige und Hirten. ALLE ANDEREN Dem Gott der Könige und Hirten. TELL Die ungerechten Herren niederzuwerfen. ALLE ANDEREN Die ungerechten Herren niederzuwerfen. Wenn ein Verräter unter uns ist, so mag die Sonne ihm das Licht versagen, der Himmel sein Gebet zurückweisen und die Erde ihm das Grab verweigern. Schwören wir bei den Gefahren ... Wir alle schwören es! ARNOLD Der Tag bricht an! WALTER Das Signal, zu den Waffen zu greifen! TELL Zum Sieg! WALTER Was ist unsre Losung? ALLE Zu den Waffen, zu den Waffen!

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DRITTER AKT MATHILDE Arnold, woher diese Verzweiflung? Ist das der zärtliche Abschied, den ich mir erhoffte? Du gehst, doch sehn wir uns nicht bald wieder? ARNOLD Nein, ich bleibe, wo mich eine schreckliche Pflicht hält. Ich bleibe, um meinen Vater zu rächen. MATHILDE Was erhoffst du? ARNOLD Blut ist es, was ich erhoffe. Ich weise das gütige Schicksal und alles, was ich liebe, zurück den Ruhm, selbst dich. MATHILDE Mich? Melchthal! ARNOLD Mein Vater ist tot. Er fiel unter mörderischem Schwert. MATHILDE Gott! ARNOLD Weißt du, wer die Waffe führte? MATHILDE Mich schaudert! Wer? ARNOLD Dein Entsetzen hat ihn genannt: Gessler! MATHILDE Gessler! Keine Hoffnung für unsere Liebe, da mein Leben eben erst begann. Für immer verliere ich mein Glück. Ja, Melchthal, ein grausames Verbrechen

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Folgende Seiten EGILS SILIŅŠ als GESLER & KS THOMAS HAMPSON als GUILLAUME TELL



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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

trennt uns, mein verwirrter Sinn versteht deinen Schmerz. Umsonst habe ich dem Schicksal getrotzt und dir mein Jawort gegeben – welche Einsamkeit steht mir bevor! Du wirst nicht mehr bei mir sein. Und um mein Unglück vollständig zu machen, raubt dir eine Untat den Vater, und ich kann ihn nicht mit dir beweinen! Schicksal, trotz deines Zorns wird dies traurige Herz das Bild meines Retters für immer bewahren. ARNOLD Welcher Lärm dringt an mein Ohr? MATHILDE Gessler ist erwacht. ARNOLD Zu neuen Verbrechen macht er sich auf. MATHILDE Weh! Diese Gesänge kündigen ein kriegerisches Fest an. Flieh den Palast des Landvogts. Seine Freude ist stets tödlich. Flieh, wenn ich dir jemals teuer war! ARNOLD Fliehen ... ich! MATHILDE Wenn ich dir an fremdem Strande meinen Trost nicht mehr spenden kann, so folgt doch meine ganze Seele und steht dir in deinem Unglück zur Seite. Und denke an – ARNOLD Ich denke an meinen Vater! MATHILDE Durch den Verzicht auf unsre Liebe geben wir ihm mehr als unser Leben.

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DRITTER AKT

Leb wohl, Melchthal! Leb wohl für immer! Denke an – ARNOLD Ich denke an meinen Vater! Durch den Verzicht auf unsre Liebe... Leb wohl, Mathilde! Leb wohl für immer! CHOR DER SCHWEIZER Ruhm der höchsten Macht! Ruhm! Wehe Gessler, der ihr Recht bricht! Wehe! Ja, der Kaiser selbst flucht ihm mit schrecklicher Stimme! GESSLER Heute möge das Deutsche Reich eures Gehorsams Tribut erhalten! Seit einem Jahrhundert gewährt es eurer Schwachheit Unterstützung. An jenem Tag gaben wir euren Vorfahren unser Recht, besiegelt durch unseren Sieg. Feiert das Andenken an jenen ruhmreichen Tag mit Tänzen und Spielen, ich will es so! SCHWEIZERINNEN Du, dem der Vogel nicht folgt, tanze zu unseren Akkorden! Auf unsren Fluren werden die Söhne der Berge ihre Gefährten deine Schritte lehren. Du, der nicht in diesen Breiten aufgewachsen, wirst zu unsrem Frost zurückkehren. SCHWEIZER Richte deine Schritte nach unseren Gesängen! Leichtfertiger Fremder, willst du gefallen? Lauf nicht davon! Die frische Blume verliert ihren Reiz, wenn sich deine Schritte ihr nähern. Auf unsern Fluren... Richte deine Schritte...

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

GESSLER Umsonst trotzt das aufsässige Volk meiner Rache, meinem Gesetz muss es sich unterwerfen. Vor diesem Zeichen der Macht beuge sich jeder schweigend, wie er sich vor mir verneigt! RUDOLF Tollkühner, verbeuge dich! TELL Du kannst die Schwäche des Volkes ausnützen und es erniedrigen, aber ich erkenne kein Gesetz an, das mir Demütigungen auferlegt. RUDOLF Elender! SCHWEIZER Entsetzlicher Moment! Wir müssen um ihn fürchten! RUDOLF Landvogt, man missachtet dein Gesetz! GESSLER Welcher Verblendete wagt, es zu übertreten? RUDOLF Er steht hier vor dir. TELL Aufrecht ehre ich die Macht, wenn sie uns von schmachvoller Knechtschaft befreit, mein unabhängiges Haupt beuge ich nur vor Gott. GESSLER Verräter, gehorche oder erzittere! Höre meine Stimme, sieh die Gefahr: die Waffen, die Soldaten. TELL Ich höre dich, ich sehe es, doch ich verstehe dich nicht.

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DRITTER AKT

GESSLER Der Sklave lehnt sich gegen seinen Herren auf und zittert nicht, wenn er sein Los erkennt? TELL Stünde ich hier vor dir, wenn ich den Tod fürchtete? RUDOLF Ich erkenne diesen Mut wieder, mein Herr. Das ist Wilhelm Tell, der Verräter, der den Mörder Leuthold vor unsren Streichen hat bewahrt. GESSLER Ergreift ihn! SOLDATEN Das ist der furchtgebietende Bogenschütze, der unerschrockene Schiffer! GESSLER Keine Gnade mit dem Verbrecher; er ist mein Gefangener. TELL Könnte es der letzte sein! GESSLER So viel Stolz macht mich überdrüssig. Der Donner nähert sich, und du wirst dich ihm beugen! RUDOLF Welch maßlose Kühnheit! Er trotzt und droht, keine Gnade mit ihm, er sei entwaffnet. GESSLER So viel Stolz macht mich überdrüssig. Keine Gnade mit ihm, er sei entwaffnet. TELL Tödliches Geschick! Du, meine Hoffnung, die ich an meine Brust drücke, lauf weit weg!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

GESSLER Seht, wie die Angst ihn versteinert, er fürchtet um sein Leben! JEMMY Hab keine Angst, mein Platz ist hier, lass mich in deinen Armen sterben! RUDOLF Keine Gnade mit ihm, er sterbe! GESSLER So viel Stolz macht mich überdrüssig. Der Donner nähert sich... TELL Du, meine Hoffnung ... RUDOLF Welch maßlose Kühnheit ... SOLDATEN Welch maßlose Kühnheit! Er sei entwaffnet ... TELL Lauf zu deiner Mutter, ich befehle es dir, entzündet das Feuer auf den Gipfeln unserer Berge, das drei Kantonen das Signal zum Kampfe gebe! GESSLER Halt! Ihre Zärtlichkeit weist meiner Rache den Weg. Sprich, der du mich herausgefordert: Ist dies dein Kind? TELL Mein einziges. GESSLER Und möchtest du es retten? TELL Retten? Ihn? Was ist sein Verbrechen?

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DRITTER AKT

GESSLER Dass er geboren wurde; deine Reden, deine Pläne, deine Auflehnung. TELL Ich habe dich herausgefordert, ich allein soll büßen. GESSLER Seine Rettung ist in deiner Hand, du kannst sie erwirken. Als einen tüchtigen Bogenschützen bezeichnet man dich. Man lege diesen Apfel auf des Sohnes Kopf! (zu Tell) Mit einem sichern Schuss wirst du den Apfel treffen, oder ihr sterbt alle beide. TELL Was sagst du? GESSLER Ich will es so. TELL Welch schrecklicher Befehl! Mein Sohn! Was tue ich – das dürftest du gebieten? Nein, die Untat ist zu groß. GESSLER Gehorche! TELL Du hast kein Kind! Gessler, es gibt einen Gott! GESSLER Und einen Herrn. TELL Er hört uns! GESSLER Du zauderst zu lange, gehorche augenblicklich!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

TELL Ich kann nicht. GESSLER Sein Sohn sterbe! TELL Halt ein! Abscheulicher Befehl! Du hast über meine Schwäche gesiegt. Jemmys Gefährdung lässt mich die Erniedrigung erdulden, Gessler; ich beuge das Knie vor dir. GESSLER Da habt ihr euren furchtgebietenden Bogenschützen und unerschrockenen Schiffer. Die Angst übermannt ihn, ein Wort zerquetscht ihn. TELL Diese Züchtigung ist wenigstens gerecht. Du strafst mich, weil ich mich vergaß! JEMMY Mein Vater, denk an deine Geschicklichkeit. TELL Ich fürchte meine allzu große Liebe. JEMMY Fühl mein Herz; vor deinem Pfeil bleibt es furchtlos. TELL Ich segne dich unter Tränen, in deinen Armen schöpfe ich neue Kraft. Die Ruhe deines Herzens hat meine Hand wieder gestärkt. Keine Schwäche mehr und keine Tränen. Gebt mir meine Waffe: Denn ich bin Wilhelm Tell! GESSLER Bindet das Kind! JEMMY Mich binden? Welche Beleidigung! Nein, wenigstens sterben möchte ich in Freiheit.

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DRITTER AKT

Ohne Murren biete ich dem Schuss die Stirne und erwarte ihn, ohne zu erbleichen. CHOR DER SCHWEIZER Was! Die Worte des Unschuldigen entwaffnen seine Rache nicht? JEMMY Nur Mut, mein Vater! TELL Beim Klang seiner Stimme entgleitet mir die Waffe und meine Augen verdunkeln sich mit Tränen. Lass mich meinen Sohn zum letzten Mal umarmen! Bleib unbeweglich und senke ein Knie wie betend zur Erde. Flehe zu Gott! Er allein, mein Kind, kann durch den Sohn den Vater retten. Bleib so, doch blicke zum Himmel. Die Stahlspitze, die deinen teuren Kopf bedroht, könnte deine Augen erschrecken. Beweg dich nicht, Jemmy, und denk an deine Mutter! Sie erwartet uns beide! Jemmy, denk an deine Mutter ... CHOR DER SCHWEIZER Sieg! Sieg! JEMMY Mein Vater! CHOR DER SCHWEIZER Sein Leben ist gerettet! TELL Himmel! GESSLER Was! Er traf den Apfel! CHOR DER SCHWEIZER Der Apfel ist getroffen! Tell ist Sieger!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

GESSLER O Wut! CHOR DER SCHWEIZER O Glück! Sieg! JEMMY Mein Leben ist gerettet; hätte mein Vater sein Kind opfern können? TELL Ich kann nichts mehr erkennen, mich kaum auf den Beinen halten. Bist das du, mein Sohn? Die Freude übermannt mich. JEMMY Helfen wir meinem Vater! GESSLER Er entzieht sich meinem Hass. Was sehe ich? TELL Ah! Ich habe meinen teuersten Schatz gerettet! GESSLER Für wen war dieser zweite Pfeil bestimmt? TELL Für dich, Gessler! GESSLER Erzittere! TELL Ich fürchte nichts mehr. GESSLER Rudolf, man lege ihn in Ketten! MATHILDE Was hörte ich? Welch grauenvolle Opferung!

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DRITTER AKT

CHOR DER SCHWEIZER Muss man um sie noch zittern? CHOR DER SOLDATEN Sie werden alle beide sterben. GESSLER Ich werde ihnen nicht das Leben nehmen, so hab ich es versprochen; doch beide sind sie schuldig und werden ihren Tod in Ketten erwarten. MATHILDE Was! Sein Sohn? Ein Kind! Mein Herr, hört mich an. GESSLER Der Befehl ist ausgesprochen, nichts ändert ihn. Auch der Sohn! MATHILDE Ihr sollt ihn nicht haben, nein! Im Namen des Souveräns nehme ich ihn unter meinen Schutz. Wagt, ihn mir zu entreißen, während ein ganzes zornerfülltes Volk Euch zusieht. RUDOLF Gebt nach, uns bleibt immerhin der Tell. SCHWEIZERINNEN Glückliche Rettung, himmlische Güte! SOLDATEN Geben wir nach, uns bleibt immerhin der Vater. CHOR DER SCHWEIZER Teurer Tell, grausames Schicksal! Ketten bestrafen deine Tugend. RUDOLF Sie murren, hörst du es?

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

GESSLER Des Gefangenen Mut hat sie mit Hass erfüllt. In dieser Nacht bringe ich ihn übers Wasser eilends nach Küssnacht. RUDOLF Übers Wasser! Aber die Winde, der Sturm ...? GESSLER Unnütze Sorge! Ist nicht der tüchtige Bootsmann mit mir? In der Festung inmitten des Sees erwartet ihn neue Marter. CHOR DER SCHWEIZER Gnade! GESSLER Erfahrt, wie Gessler Gnade übt. Ich überlasse ihn den Schlangen, deren Hunger ihm das Grab bereite! JEMMY O mein Vater! TELL Jemmy! CHOR DER SCHWEIZER Gnade! GESSLER Nein, niemals! MATHILDE Grausamer! GESSLER Hochmut hat sie verleitet. Wenn ich mit ihrem Blut sparte, wäre das Verrat an meinen Zorn! RUDOLF, SOLDATEN Hochmut hat sie verleitet. Wenn du mit ihrem Blut sparst, entehrst du dich und uns!

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DRITTER AKT

MATHILDE Er bereitet Tell den Tod. Ich nehme seinen Sohn mit mir, dass er entkomme! JEMMY Wenn das grausame Gesetz mich aus des Vaters Armen reißt, hoffe ich nur auf Euch! TELL Wenn man mir den Tod bereitet, möge mein Sohn, Grausamer, deinen Schlägen entkommen! CHOR DER SCHWEIZER Er bereitet Tell den Tod. Der Tugendhafteste wird unter seinen Schlägen fallen! GESSLER Zurück, ihr Leute, oder der Schuldige stirbt! Dies Schwert ist mein Zeuge! RUDOLF, SOLDATEN Sie bleiben still. CHOR DER SCHWEIZER Erwarten wir still ... GESSLER, SOLDATEN Sie fürchten meine/seine Rache. CHOR DER SCHWEIZER ... die Schläge seiner Rache. TELL Verflucht sei Gessler! RUDOLF Tod und Hölle! Solche Frechheit! JEMMY UND DER CHOR DER SCHWEIZER Hört den Spruch: Verflucht sei Gessler!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

GESSLER Wenn sich einer nähert, fällt Tell unter dem Schwert. MATHILDE Flüchten wir! SOLDATEN Vivat Gessler! TELL, CHOR DER SCHWEIZER Verflucht sei Gessler! MATHILDE, JEMMY, TELL, CHOR DER SCHWEIZER Dieser Gewalt werden Waffen antworten! Verflucht sei Gessler! RUDOLF Tod und Hölle ... GESSLER Sie werden Gessler kennenlernen! SOLDATEN Vivat Gessler! CHOR DER SCHWEIZER Verflucht sei Gessler!

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VIERTER AKT ARNOLD Verlass mich nicht, Hoffnung auf Rache! Wilhelm liegt in Ketten, und meine Ungeduld sehnt den Moment des Kampfs herbei. Wie still es hier ist! Ich lausche und höre nichts als meinen eignen Schritt. Fort mit der unerklärlichen Angst! Ich trete ein! Wider meinen Willen halte ich vor der Schwelle an; mein Vater ist tot, ich kehre nicht in dieses Haus zurück. Haus meiner Ahnen, wo meine Augen sich dem Tage öffneten, noch gestern barg dein Dach den geliebten Vater. Jetzt ruf ich ihn umsonst, o herber Schmerz! Ich rufe, und er hört meine Stimme nicht mehr! Teure Mauern, wo mein Vater wohnte, ich besuche euch zum allerletzten Mal! Haus meiner Ahnen. CHOR DER SCHWEIZER Rache! Rache! ARNOLD Welche Hoffnung! Ich höre Kampfesrufe. Das sind meine Gefährten, ich will zu ihnen eilen. SCHWEIZER Tell ist gefangen, und wir sind waffenlos! Wir wollen ihn befreien. Waffen her, und wir werden zu sterben wissen. ARNOLD Seit Langem schon haben Tell und mein Vater die Stunde des Kampfs vorausgesehen. Unter dem Felsen, hinter der einsamen Hütte, lauft hin und rüstet euch aus! SCHWEIZER Laufen wir und bewaffnen wir uns!

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ARNOLD Vorbei die Zeit der Tränen und der unnützen Sorge: Gessler, du wirst untergehen! Du rissest mich aus den Armen meines Vaters und meiner Liebsten, bist du mit dem Tod genug bestraft? SCHWEIZER Melchthal, fasse wieder Hoffnung! Endlich bewaffnen Schwerter unsre Hand! ARNOLD Freunde, steht meiner Rache bei. Ist unser Anführer in Ketten, liegt es an uns, ihn zu befreien! Die Straße nach Altdorf steht uns offen! Folgt mir! SCHWEIZER Die Straße nach Altdorf steht uns offen! Folgen wir ihm! ARNOLD Folgt mir! SCHWEIZER Folgen wir ihm! ARNOLD Durchkreuzen wir die Pläne des heimtückischen Monsters, entreißen wir Tell seiner Gewalt! Zu den Waffen! SCHWEIZER Durchkreuzen wir die Pläne eines grausamen und heimtückischen Tyrannen. Diese Aufgabe ist unser würdig! ARNOLD Mir nach!

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VIERTER AKT

SCHWEIZER Ihm nach! ARNOLD In den Kampf! SCHWEIZER In den Kampf! ARNOLD Zum Sieg. SCHWEIZER Zum Sieg. ARNOLD Oder in den Tod! SCHWEIZER Oder in den Tod! ARNOLD Durchkreuzen wir ... Entreißen wir Tell seiner Gewalt! SCHWEIZER Durchkreuzen wir ... Diese Aufgabe ist unser würdig! SCHWEIZERINNEN Wo willst du hin? Der Schmerz führt dich in die Irre. Hörst du nicht unsre Feinde? HEDWIG Ich will zu Gessler. Ich folge ihnen! SCHWEIZERINNEN Und was wird dir der Barbar gewähren? Den Tod! HEDWIG Ich wünsche ihn. Wozu leben, wenn der Tyrann triumphiert, mir den Gatten und den Sohn genommen hat?

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

JEMMY Meine Mutter! HEDWIG Wer spricht da? Diese süße, sanfte Stimme... JEMMY Meine Mutter! HEDWIG Ich glaube ihn zu hören! Er ist’s! Mein Kind! O Glück! JEMMY O Glück! HEDWIG Aber, ach! Dein Vater folgt dir nicht. JEMMY Den unwürdigen Ketten wird er bald entfliehn! (auf Mathilde zeigend) Vertraue unserem Schutz! HEDWIG O erhabene, teure Schützerin, Ihr werdet über meinen Mann wachen! Also teilt Ihr unsere Not und bleibt an diesem traurigen Ufer, Ihr, die Zierde, der Stolz des Hofes? MATHILDE Ich will die Geisel sein für den gefangenen Tell, meine Anwesenheit sichert seine Rückkehr. HEDWIG Seine Rückkehr! So ist es keine eitle Hoffnung? Befreien wir ihn mit Gewalt aus Altdorf? JEMMY Er ist nicht mehr in Altdorf!

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VIERTER AKT

MATHILDE Man bringt ihn eben über den See. HEDWIG Über den See? JEMMY Welche Erinnerung! Holen wir ein Versäumnis nach – das Zeichen der Freiheit möge endlich erstrahlen! HEDWIG Was hast du vor? JEMMY Meinen Vater zu retten. (Jemmy läuft davon) MATHILDE Welch Lärm bricht über unsren Köpfen los? HEDWIG Mit der Stimme des Unwetters nähert sich der Tod! Wilhelm wird untergehen! Vorsehung, Hoffnung der Schwachen, rette Wilhelm! Vernichte unsere Feinde mit ihren Tücken und ihrer Rachsucht. Zerbrich das Joch, das uns bedrückt. Strafe mit dem Übeltäter das Verbrechen. Rette Wilhelm, dass er nicht aus Heimatliebe sterbe! MATHILDE, DIE SCHWEIZER Rette Wilhelm, dass er nicht aus Heimatliebe sterbe! LEUTHOLD Folgt mir! Wilhelm wird durch den Sturm auf dieses Ufer hingetrieben. Seine Arme sind nicht länger gebunden, das Ruder gehorcht seinem Willen. HEDWIG Ja, Wilhelm wird trotz des Sturms anlegen. Ich weiß es, bald ist er frei.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

MATHILDE, HEDWIG, LEUTHOLD Laufen wir zu ihm! HEDWIG Da ist er! JEMMY Mein Vater! HEDWIG O wunderbare Rückkehr! TELL Welcher Feuerschein blendet mich? JEMMY Ich brauchte einen Scheiterhaufen, um das Alarmsignal zu geben. So entflammte ich das väterliche Haus. Aber zumindest habe ich deine Waffen gerettet! TELL Gessler, du kannst kommen! SOLDATEN Umsonst will er uns fliehen. Folgen wir der Spur! GESSLER Er findet Gnade erst durch den Todesstoß! GESSLER UND SOLDATEN Er findet Gnade erst durch den Todesstoß! HEDWIG, JEMMY, SCHWEIZERINNEN Da ist er! TELL Zurück mit euch! Die Schweiz soll wieder atmen können! Für dich, Gessler! GESSLER Ich sterbe!

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VIERTER AKT

SOLDATEN Das ist der Pfeil des Tell! HEDWIG O Tag der Befreiung! Sein Tod beendet unser Leid! JEMMY Sein Tod beendet unser Leid! TELL Dankt Gott für seine Hilfe. JEMMY Nichts konnte ihn vor dem Pfeil der Rache schützen. Nicht seine Reichtümer noch seine Macht, nicht seine Folterwerkzeuge noch Schergen. WALTER Beim Flammenzeichen schwindet unsre Furcht. Allein das Blut des Unterdrückers kann es löschen. Doch was sehe ich? Tell ist frei, o Glück! Werfen wir uns auf den Tyrannen. TELL Was willst du? WALTER Gesslers Tod! TELL Suche sein Grab auf dem Grunde des Sees! JEMMY, HEDWIG Ruhm dem Befreier! ALLE Ruhm dem Befreier! TELL Keine vorschnelle Hoffnung! Erst müssen die stolzen Zinnen von Altdorf unserem Befehl gehorchen.

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GUILLAUME TELL: LIBRET TO

ARNOLD Das musst du nicht länger wünschen, Altdorf ist in unsrer Hand! ALLE Sieg! Sieg! Altdorf ist in unsrer Hand! ARNOLD Warum fehlst du, mein Vater, wenn die Schweiz triumphiert? TELL Die ganze Landschaft hat sich verschönert! Welch reine Luft! HEDWIG Welch strahlender Tag! JEMMY Der endlose Horizont in der Ferne! ARNOLD Vor unsren Augen bietet die Natur ihre gesamte Pracht dar! TELL Während wir frommen Dank sagen, komm Freiheit, steig herab vom Himmel, auf dass deine Herrschaft beginne! ALLE Auf dass deine Herrschaft neu beginne, Freiheit, steig herab vom Himmel!

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KS GIUSEPPE SABBATINI als ARNOLD


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IMPRESSUM GIOACHINO ROSSINI

GUILLAUME TELL SPIELZEIT 2023/24 WIEDERAUFNAHME AM 8. MÄRZ 2024 (PR EMIER E DER PRODU KTION A M 24. OKTOBER 1998) Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, ANDREAS LÁNG & OLIVER LÁNG Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz IRENE NEUBERT Lektorat MARTINA PAUL Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE Alle Texte wurden dem Guillaume Tell-Premierenprogrammheft der Wiener Staatsoper (24. Oktober 1998) entnommen. Konzept und Redaktion des Premierenprogrammhefts: Angelika Niederberger und Christoph Wagner-Trenkwitz. Die Beiträge von Christian Springer und Michael Jahn waren Originalbeiträge für das Premierenprogrammheft. Übernahmen: Geschichte & Oper aus Wilhelm Tell, Programmheft der Frankfurter Oper, 1974/75 – J. R. von Salis, gekürzt aus: Lilly Stunzi: Tell. Werden und Wandern eines Mythos, Bern 1973 – Franz Zelger, gekürzt aus: Neue Zürcher Zeitung, 30./31. Juli 1988 – Adolf Muschg, O mein Heimatland!, Frankfurt a. M., 1998 – Susanne Kaulich aus: Wilhelm Tell, Programmheft des Nationaltheaters Mannheim, 1987/88 – William Weaver aus: Booklet zur Wilhelm Tell-Aufnahme (Decca/London 1980) – Eduard Hanslick, Aus meinem Leben, Berlin 1894 BILDNACHWEISE Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin – Coverbild: Can Sun: Perfect Lover I, 2023 / S. 2-3, 9, 14-15, 22-23, 28-29, 36-37, 53, 56, 60-61, 80-81, 94-95, 117: Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.



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