BI August 2018

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KOLUMNE

Endlager im Untergeschoss Was eine Kellerräumung alles so zu Tage fördert

Als Kind war für mich der Keller ein magischer Ort; eine Wunderwelt, die auf knapp drei Quadratmetern so manches Geheimnis versteckt hält. Der Raum dient als Zwischen- und Endlager für alle möglichen Dinge. An der Stirnwand glitzern die Weinflaschen im fahlen Lichtschein. Rotwein? Weisswein? Was sich in den zahlreichen Flaschen versteckt, ist auf den ersten Blick nicht auszumachen. Neben dem Eingang steht ein hoher Einbauschrank: Für Klein Irene das Paradies. Er ist von unten bis oben mit Gläschen, Flaschen und Töpfen gefüllt. Grosis Meertrübeligonfi, Holunderblütensirup, eingelegtes Gemüse aus dem eigenen Schrebergarten … Soviel zu meinen Kindheitserinnerungen. Und heute? Bereits als Teenie hatte der feuchtkalte, nasse Raum im Untergeschoss seinen Reiz verloren.

Irene Thali Interlaken

Spätestens als ich mit dem modrig riechenden Schlafsack, der lange Zeit in den Katakomben lagerte, in die Landschulwoche einrücken musste, habe ich dem Keller meine Liebe endgültig aufgekündigt und ihn aus meinen Gedanken gestrichen. Inzwischen war unser Platzbedarf aber soweit angewachsen, dass ich ernsthaft über eine Räumung nachdenken musste. Das Vorhaben benötigte mehr psy-

chische als physische Vorbereitung und wurde schlussendlich nach ein paar schlaflosen Nächten in die Tat umgesetzt. Ich will Sie nicht mit allen pikanten Details schockieren, aber: Es war alles noch da. Spätestens als ich zwei grosse Einmachgläser mit Peperoni aus dem Gewölbe getragen habe, Jahrgang 1983, war es mit der Nostalgie vorbei. Früher als köstliche Leckerei gedacht, erinnerten die eingelegten Nachtschattengewächse nach über 30 Jahren Lagerzeit mehr an konservierte Hirnhälften einer medizinischen Versuchsanordnung. Ich kann ihnen auch versichern, dass der Versuch, an mehreren uralten Gegenständen intelligentes Leben zu züchten, gescheitert ist. Trotz aller Widrigkeiten brachte die Räumung doch noch das eine oder andere Prunkstück an den Tag: das handbemalte

«Spätestens als ich mit dem modrig riechenden Schlafsack, der lange Zeit in den Katakomben lagerte, in die Landschulwoche einrücken musste, habe ich dem Keller meine Liebe endgültig aufgekündigt.»

Bödeli / BrienzInfo 74


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