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50 Jahre Frauenstimmrecht: Inter view mit Barbara König-Ziegler und Cloe Weber
«Du, ich glaube, du bist gewählt»
Barbara König-Ziegler war eine der zwei ersten Thuner Stadträtinnen. Cloe Weber ist aktuell das jüngste Mitglied im Parlament. Die beiden sind sich einig: Es gibt auch nach 50 Jahren Frauenstimmrecht noch einiges zu tun bis zur Gleichstellung.
Cloe Weber, auf die Frage, mit wem Sie einmal Riesenrad fahren möchten, nannten Sie Jean Ziegler. Jetzt sitzen Sie mit seiner Schwester hier zum Interview im Stadtratssaal. Ist das auch gut?
(beide lachen) Cloe Weber: Das ist auch gut – auf jeden Fall! Ich freue mich auf das Gespräch.
Ist Barbara König als eine der zwei ersten Stadträtinnen ein Vorbild für Sie?
C.W.: Diesbezüglich ja, politisch gesehen kann ich es nicht sagen, da kenne ich Barbara König und ihre Politik zu wenig. Barbara König: Das ist ja auch schon lange her. 50 Jahre! Damals dachte ich noch gar nicht, dass ich in 50 Jahren überhaupt noch leben werde.
Sahen Sie sich als Vorbild, Barbara Kö-
nig? B.K.: Ich weiss nicht, ob man von Vorbild reden kann. Ich bin schon vorangegangen, aber ich sah es damals auch als meine Pflicht, in die Politik einzusteigen. Das Wahl- und Stimmrecht für Frauen zu haben, ist eines, aber es braucht ja dann auch Frauen, die kandidieren.Ich stellte mich also nicht nur aus Freude, sondern auch aus Pflichtbewusstsein zur Wahl. Und ich hatte eine gute Ausgangslage.
Durch Ihre politisch geprägte Familie
meinen Sie? B.K.: Ja, vor allem durch meinen Vater, Hans Ziegler (Anm. d. Red.: Gerichtspräsident und Artillerieoberst). Mein Bruder Jean Ziegler war damals noch nicht so auf demTapet. Wir waren alle staatstragend, wie man so schön sagt.
Hatten Sie weibliche Vorbilder? B.K.: Ich hatte eine Sekundarlehrerin, Frau Grütter, die stark für das Frauenstimmrecht warb. Sie war mein Vorbild. Dank dem grossen Einsatz von Frauen wir ihr war unser Weg einfacher. Leid tat mir, dass sie selbst von ihrem Engagement nichts mehr ernten konnte.
Was führte Sie in die Politik, Cloe We-
ber? C.W.: Zum einen auch die Familie, mein Vater und mein älterer Bruder waren in der Politik aktiv. Zum anderen wollte ich die Möglichkeit wahrnehmen, mitzuwirken. Nur unzufrieden sein bringt nichts. Man muss sich auch für das einsetzen, was einem wichtig ist.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Urnengang? C.W.: Ja, es ging um das Winterdach im Strämu und ich kannte das Bedürfnis als Schwimmerin sehr gut.
«Die Frauen lagen mir am Herzen.»
Barbara König-Ziegler, erste Thuner Stadträtin
Heute sehe ich, dass ich damals aus Eigeninteressen abstimmte und gewisse Konsequenzen oder Aspekte nicht gleich gewichtete, wie ich das heute mache.
Was bedeutet Ihnen politische Mitbe-
stimmung? C.W.: Sie ist enorm wichtig. Lange sah ich sie als Selbstverständlichkeit, aber man muss nur über die Landesgrenzen hinausschauen oder in der Geschichte zurück, dann merkt man, welch ein Privileg sie ist.
Thun führte das Wahl- und Stimmrecht für Frauen auf Gemeindeebene 1968 ein. Sie wurden am 6. Dezember 1970 in den Stadtrat gewählt. Wie haben Sie
diesen Moment erlebt? B.K.: Daran kann ich mich noch gut erinnern. Eine Freundin kam zu mir und sagte:«Du,ich glaube, du bist gewählt.» Das war ein spezieller Moment. Es wurden ja damals nur zwei Frauen gewählt, Käthi Hänni-Loder von der SP und ich von den jungen Freisinnigen.
Waren Sie überrascht? B.K.: Ja, ich hatte nicht mit der Wahl gerechnet. Wobei wir schon eine sehr aktive Gruppe waren bei den Jungfreisinnigen. Wir probierten, frischen Wind hineinzubringen, in unserem Auftreten zum Beispiel, etwa in den Wahlprospekten. Wir dachten, die Gewöhnlichen seien alt und wir eben jung.
Wie wurden Sie im Rat aufgenommen?
B.K.: Alles in allem gut. Es gab schon Männer, die fanden: «Was sollen die Frauen da?»Aber grundsätzlich waren wir akzeptiert.Ich persönlich hatte auch das Glück, dass ich in Thun aufgewachsen bin und gut vernetzt war. Das half natürlich. C.W.: Das ist auch heute wichtig. Man muss möglichst breit vernetzt sein und offen für ganz verschiedene Anliegen.
Bild linke Seite: Barbara König und Cloe Weber finden beide: Die Gleichstellung von Mann und Frau in der Schweiz ist noch nicht erreicht. Bild rechts: Die Wahl zur ersten Stadtratspräsidentin 1980 war für Barbara König die Krönung ihrer Amtszeit. Bilder nächste Seite: Andere für die Politik zu begeistern, ist sowohl Cloe Weber wie auch Barbara König ein Anliegen. B.K.: Zwischenzeitlich machte ich nachmittags eine Sprechstunde in der Confiserie. Da kamen Menschen ganz unterschiedlicher Parteien. Das war wertvoll. C.W.: Dieser Austausch fehlt im Moment wegen Corona enorm. Bei persönlichen Gesprächen über die Parteigrenzen hinweg stellt man Gemeinsamkeiten fest, die man vielleicht gar nicht vermutet hätte.
Wofür setzten Sie sich ein? B.K.: Die Frauen lagen mir am Herzen. Ich wollte ihnen die Politik näherbringen. Damals sagten mir viele Frauen: «Das könnte ich nie!» Sie trauten es sich nicht zu. Darum war mir die Kommunikation mit den Frauen so wichtig. Ich versuchte auch, die Themen herunterzubrechen und zu zeigen, dass Politik alle etwas angeht, nicht nur Männer. Sie reicht von den Schulproblemen der eigenen Kinder über Strassen und Parkplätze zu Sanitäranlagen. Ich wollte zeigen, dass Politik nichts Abgehobenes ist.
Wie schätzen Sie das heute ein? C.W.: Einerseits denke ich, dass Politik nahbarer ist und klar, dass auch Frauen mitwirken, andererseits ist es heute auch schwierig, Leute zu finden für politische Ämter. Auch heute besteht noch ein Respekt vor den politischen Ämtern. Manchmal sagen mir Leute,sie seien froh,dass ich das mache, sie könnten es nicht.
Frau und Mann haben in der Schweiz die gleichen politischen Rechte. Sind
sie gleichgestellt? C.W.: Nein, da gibt es noch einiges nachzuholen. In vielen Gremien dominieren die Männer noch. Da wäre es gut, ein Gleichgewicht zu haben.Auch die Lohngleichheit ist nicht erreicht. Aber wenn ich 50 Jahre zurückschaue und sehe, was sich alles verändert hat, dann habe ich schon das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind. B.K.: Was mich traurig macht, ist, dass man nach 50 Jahren immer noch über Quotenfrauen und Lohngleichheit diskutiert.Bei Personalentscheiden müsste es doch längst lediglich ausschlaggebend sein, welche Person für den betreffenden Posten die beste Qualifikation mitbringt und nicht, welchem Geschlecht sie angehört.
Woran liegt es? B.K.: Ein Grund ist sicher, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch nicht gelöst ist.Dadurch haben Männer und Frauen nicht die gleiche Ausgangslage. (zu Cloe Weber) Es gibt also schon noch etwas zu tun für euch Jungen. C.W.: (schmunzelt) Definitiv. Wichtig scheint mir auch, dass sich die klassischen Rollenbilder, also was Mädchen und wasJungs machen,früh aufweichen



oder sie gar nicht entstehen.Da besteht ganz früh schon Handlungsbedarf.
Bis zu Ihrer Demission Ende 1980 waren im Stadtrat gut eine Handvoll Frauen. Waren Sie in gewisser Weise Verbündete, auch wenn Sie in unterschiedlichen Parteien politisierten? B.K.: Ja, obwohl wir unterschiedliche Meinungen vertraten, standen wir gerade für gewisse Frauenanliegen zusammen ein und tauschten uns oft aus.
Zu den Personen
Barbara König-Ziegler wurde 1936 in Thun geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Sekundarlehrerin arbeitete sie drei Jahre als Journalistin bei der Schweizerischen Depeschenagentur. Am 6. Dezember 1970 wurde sie für die Jungfreisinnigen in den Thuner Stadtrat gewählt und 1980 zur ersten Stadtratspräsidentin. Sie war ausserdem sozial engagiert und zum Beispiel bei Stiftungen aktiv.
Cloe Weber wurde 1995 in Thun geboren. Die Drogistin und Betriebsökonomin ist seit 2019 für die Jungen Grünen im Thuner Stadtrat. Als passionierte Rettungsschwimmerin kennt sie die Stadt am Wasser bestens.
«Wichtig ist, dass sich die klassischen Rollenbilder früh aufweichen.»
Cloe Weber, Stadträtin Junge Grüne
Wir waren aber schon Greenhorns. Das ist heute ganz anders. Was die jungen Politikerinnen heute schon alles gesehen, gehört und gemacht haben!
Sie sind das jüngste Mitglied im Stadtrat, Cloe Weber. Herausforderung oder
Chance? C.W.: Ich sehe es als Chance. Aber es ist schon eine Herausforderung, mit den Erfahrenen mitzuhalten,gerade bei komplexen Geschäften, die viel Vorwissen erfordern. B.K.: Früher war die Erfahrung das, was zählte. Heute aber verändert sich die Welt so schnell, dass es Erfahrenen gar schwerfällt,mitzuhalten.Erfahrung allein zählt nicht mehr so stark wie früher. C.W.: Umso wichtiger finde ich den Austausch zwischen Generationen, so dass man voneinander profitieren kann. Das bedingt allerdings gegenseitige Offenheit.
Wofür setzen Sie sich ein, Cloe Weber?
C.W.: Ein wichtiges Anliegen ist mir die Umwelt, die Nachhaltigkeit. Ich will dazu beitragen, dass unsere Welt auch für zukünftige Generationen lebenswert ist. Auch für die Attraktivierung unserer Stadt setze ich mich ein – für die jungen Menschen, damit sie nicht wegziehen, aber auch für die ältere Bevölkerung.
Barbara König, was geben Sie Cloe Weber und überhaupt «den Jungen»
mit auf den Weg? B.K.: Aktiv zu sein und dranzubleiben. Zweifel habe ich, ob so viel Politik auf der Strasse passieren sollte wie heute.Auf der einen Seite ist es gut, weil es zeigt, dass das Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen geweckt ist und sich die Menschen einsetzen. Auf der anderen Seite ist es eine gefährliche Entwicklung, die mit Gewalt verbunden ist. Das beschäftigt mich. C.W.: Ich finde es schon wichtig, dass man sich auch auf diesem Weg einsetzt, aber es muss friedlich passieren, sonst geht die eigentliche Botschaft verloren. B.K.: Ich habe grosses Vertrauen in die junge Generation.
Interview: Cilia Julen Bilder: Patric Spahni, zvg