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Manfred Mettler «Ich mag die Menschen und halte gerne einen Schwatz»

Manfred Mettler am Steuer des Postautos nach Aeschiried: «Es ist für mich selbstverständlich, alle gleich freundlich zu behandeln.» Fotos: Jürg Alder

Postauto-Chauffeur Manfred Mettler fährt gerne, wartet Busse und hält auf Alpenpässen Haltestellen in Schuss. Am liebsten aber sind ihm Kontakte zu Menschen.

Der Wegweiser zur Hausnummer 8 am Dürrenbühlweg ist so ungewohnt gross, dass ich ihn beinahe übersehe. Nahe an den Bahngeleisen Richtung Thun stehen zwei Mehrfamilienhäuser. Gleich dahinter werden in diesen Monaten neue Wohnblöcke hochgezogen. Gutgelaunt öffnet mir Manfred Mettler die Wohnungstür im Parterre und heisst mich willkommen. Das grosse Wohnzimmer mit dem hellen Steinboden und die direkt angrenzende Küche geben ein Gefühl von Raum und Luft, nur wenige Möbel und ein Schwedenofen stehen an den Wänden. Wir setzen uns an den Esstisch. Er habe zunächst etwas gezweifelt, sagt er, ob er ein Interview geben solle. Aber sein Chef habe dann gesagt: «Du bist der Richtige dafür.» Wir lachen. Auch seine ebenfalls anwesende Frau Marlise schmunzelt.

Manfred Mettler, wie ist es eigentlich, einen Bus zu fahren, im Vergleich zu einem PW?

Vor allem die Dimensionen sind anders – Länge, Breite, Gewicht. Alles ist grösser. Aber dank moderner Technik ist das Fahren eindeutig einfacher geworden. Heutzutage gibt es deshalb immer mehr Quereinsteiger. Als ich beim Tiefbauamt der Stadt Thun Lastwagenfahren lernte, war alles noch ein wenig schwieriger. Zum Beispiel musste man mit Zwischengas und Doppelkupplung schalten, um den Gang einzulegen. Heute kannst du es einfach rauschen lassen.

«Ohne Geduld und manchmal viel Verständnis kommst du nicht weit. Humor hilft auch.»

Hat das Fahren dadurch nicht an Reiz eingebüsst?

Es ist schon etwas Chauffeur-Stolz verloren gegangen. Aber wir freuen uns zugleich an der neuen Unterstützung durch die Technik. Das ist gewaltig! Zum Beispiel die Anti-Schlupf-Regelung, welche verhindert, dass die Räder beim Beschleunigen durchdrehen. Auch die Pneus der neusten Generation, die auf Schnee viel besser greifen. An engen oder steilen Stellen, beispielsweise auf der Strecke Aeschi–Aeschiried, ist man aber mit Ketten auf der sichereren Seite.

Früher gab es noch das Schild: «Es ist verboten, mit dem Fahrer zu sprechen.» Gilt dies noch?

Da müsste ich mich, ehrlich gesagt, erkundigen. Ich vermeide es so oder so, während des Fahrens mit Passagieren zu sprechen. Das lenkt zu sehr ab und gefährdet die Sicherheit. Insgesamt ist unser Job viel unpersönlicher geworden, seit die Selbstkontrolle eingeführt wurde und die Leute ihr Billett nicht mehr zeigen müssen. Du bist nur noch für das Fahren verantwortlich. Glücklicherweise gibt es aber heute noch Passagiere, die einen guten Morgen oder einen schönen Tag wünschen. Als ich 1997 anfing, durften die Leute nur vorne einsteigen. Früher mussten wir jedes Detail zu Abos und Billetten auswendig wissen. Es gab «Knipser-Abi» und diese Almex-Münzzähler, aus denen wir das Rückgeld zählten. Als «Frischling», der noch nicht alle Leute kannte, musste ich jeweils den Einheimischenausweis verlangen. Manche Passagiere waren darüber gar nicht erfreut. Damals hattest du viel mehr Gespräche, obwohl uns weniger Zeit zur Verfügung stand. Ich frage mich manchmal, wie wir das bewerkstelligt haben.

Stehst du als Chauffeur auch heute noch manchmal unter Zeitdruck?

Ja, etwa auf der Strecke Aeschi–Aeschiried. Gerade an nebligen Tagen, wenn in Aeschiried die Sonne scheint und die Pistenverhältnisse gut sind, strömten schon damals die Langläufer, Schlittler und Wanderer in Massen daher. Die Strecke von Aeschi nach Aeschiried mit ihren fünf Haltestellen legten wir in fünf Minuten zurück – wir waren richtige «Rennfahrer» (zwinkert). Dass wir Ski in den Träger stellten und Schlitten in den Kofferraum legten, gehörte zu unseren Dienstleistungen.

Schätzen die Fahrgäste eigentlich eure Arbeit?

Die meisten schon. Gegen Weihnachten und Neujahr gibt es hin und wieder ein Schöggeli, einen Fünfliber oder sonstige kleine Gesten. Früher wurde man sogar gelegentlich zu einem Kaffee und Gipfeli am Bahnhof eingeladen. Vereinzelt gibt es das noch, aber eher selten. Dennoch mag ich die Menschen, ich halte gerne einen Schwatz. Und das Fahren ist eben auch etwas Schönes!

Welcher ist dein oberster Grundsatz im Beruf?

(denkt nach) Egal welcher Hautfarbe mein Gegenüber ist: Es ist für mich selbstverständlich, alle gleich freundlich zu behandeln. Älteren Fahrgästen lasse ich genügend Zeit, um sich hinzusetzen, bevor ich weiterfahre. Diese Zeit nehme ich mir. Aber auch meine Geduld hat ihre Grenzen – etwa wenn Fahrgäste drei-, viermal dasselbe fragen, obwohl du ihnen alles gut erklärt hast. Zugegeben, es ist für Ortsunkundige auch nicht immer einfach: Wenn wir zum Beispiel Bahnersatz-Busse nach Interlaken anbieten, musst du dich als Fahrgast selbst auf den Perrons orientieren. Früher war mehr Personal da, das du fragen konntest. Da gibt es sicherlich noch Verbesserungspotenzial.

Als Chauffeur brauchst du viel Geduld und Verständnis für alles Mögliche …

Das ist so. Ohne Geduld und manchmal viel Verständnis kommst du nicht weit. Humor hilft auch. Diese Kompetenzen sind das A und O in meinem Beruf.

Zu Hause ist für «Mänu» Mettler Entspannung angesagt, auch mit seinem Kater Leo.

Von Frühling bis Herbst unterhält Manfred Mettler auf Alpenpässen Haltestellen, Briefkästen und Wegweiser – hier mit Kari Steiner, seinem früheren Chef, auf dem Sustenpass. Foto: zvg

Sicher kennst du dank deiner Chauffeurtätigkeit viele Leute in Spiez!

Ja, aber nicht nur durch meine Chauffeurtätigkeit, sondern auch durch den FC Spiez. Als Kind und Jugendlicher war ich leidenschaftlicher «Schütteler» und «Eishockeyler». «Das het gfägt», wir waren ein guter Jahrgang. Aber bereits mit 36 Jahren musste ich wegen starker Arthrose in den Hüftgelenken als Fussballer aufhören. Mittlerweile habe ich in beiden Hüften künstliche Gelenke. Später machte ich eine TrainerAusbildung. Aber allmählich wurde es mir zu viel, da ich beruflich stark gefordert war. Durch meine unregelmässigen Arbeitszeiten wurde die Organisation meiner Einsätze in der Freizeit zur Herausforderung.

So viele Operationen, das ist belastend …

Das war und ist mühsam. Wegen dieser Operationen musste ich immer wieder «hinten anstehen». Oft fragte ich mich: Weshalb hat es nun wieder mich getroffen? Wenn ich dann wieder «in ein Loch fiel», redete mir Marlise stets gut zu. Ihr habe ich viel zu verdanken. Ein Stück weit gewöhnte ich mich aber auch an all diese Eingriffe. Nun hoffe ich auf eine Phase, in der ich nichts mehr habe!

Aktiv Sport treiben ist wohl schwierig geworden?

Wandern ist und bleibt eine Leidenschaft. Im Winter fahre ich natürlich gerne Ski. Für diesen Winter habe ich aber noch kein Abo gekauft, man weiss ja nicht recht, wie es mit Corona weiter geht. Am liebsten gehe ich im März Ski fahren, wenn es schön warm ist und doch ab und zu etwas Neuschnee hat. Ich interessiere mich aber auch passiv extrem für Sport, natürlich besonders für Fussball und Eishockey. Ich schaue fern oder gehe ab und zu an einen Match.

Du bist im Sommerhalbjahr auch in den Zentralalpen tätig. Was tust du da genau?

Mit einem Kollegen montiere und pflege ich die Postauto-Haltestellen und Briefkästen auf den Alpenpässen, gelegentlich auch Wanderweg- und Bike-Schilder. Ab Frühling, wenn der Schnee nicht mehr allzu hoch liegt, können wir diese Arbeiten ausführen – auf dem Grimsel, dem Susten, dem Nufenen, der Furka, dem Gotthard und auch auf der Engstlenalp. Oftmals sind wir die Ersten, die nach der Schneeräumung dort sind (zeigt ein privates Fotobuch mit Impressionen dieser Arbeiten). Wenn eine Lawine im Winter eine solche HaltestelleFahne zerstört hat, müssen wir einen neuen Sockel einmauern. Ich geniesse diese fantastischen Naturerlebnisse, wir sehen Murmeltiere, Steinböcke, Gämsen … ein schöner Ausgleich zum Busfahren!

Du warst früher in einem Baugeschäft tätig und schon damals ein «Allrounder», später auch bei der ASKA. Noch heute bist du bei PostAuto nicht ausschliesslich Fahrer.

Ich habe es einfach gern, wenn nicht jeder Tag genau gleich abläuft. Darum geniesse ich die Abwechslung, welche mir mein Beruf bietet. Ich bin ein Organisations-

«Den Verkauf des alten Saurer-Busses bereue ich heute ein wenig, wir hätten einen Verein gründen und ihn übernehmen sollen. Für Familienfeste wäre er sehr begehrt!»

talent, das darf ich wohl so sagen. Wenn zum Beispiel ein Fahrzeug ausfällt und man Ersatz organisieren muss, bin ich zur Stelle.

Seit 2008 gibt es die frühere Firma, die ASKA, nicht mehr – der Betrieb wurde durch die PostAuto AG übernommen. Was hat sich da geändert?

2008 waren wir bei der ASKA 13 Chauffeure mit einem Chef und zwei Sekretärinnen, heute aber sind wir 45 Leute mit zwei Teamleitern. Das ist natürlich weniger familiär als früher bei der ASKA. Weggefallen sind auch die Fernfahrten wie «Veloferien für jedermann», die ich gerne gemacht habe, auch als Bike-Guide. Die Veränderungen passierten manchmal sehr schnell. Kaum hatte ich das Gefühl, etwas Neues begriffen zu haben, wurde es schon wieder geändert. Reizvoll finde ich, dass das Liniennetz der PostAuto AG grösser ist als das frühere ASKA-Netz. So kamen die Griesalp, Ramslauenen im Kiental, Frutigen und Interlaken neu dazu.

Welches Fahrzeug bist du bisher am liebsten gefahren?

Das war der Saurer L4C von 1954, der «Schnauzer», der heute bei Gafner Transporte für Nostalgiefahrten eingesetzt wird. Ich war einer der Fahrer, die ihn chauffieren durften – das empfand ich als Privileg. Den Verkauf bereue ich heute ein wenig, wir hätten einen Verein gründen und ihn übernehmen sollen. Für Familienfeste, Geburtstage und Hochzeiten wäre er natürlich sehr begehrt!

Apropos Nostalgie: Wolltest du nie weg von Spiez, wo du ja aufgewachsen bist?

Nein, ich bin eine «Heim-Kuh». Mir gefällt es hier! Wir hatten eine schöne Kindheit. Gemeinsam mit meinen zwei älteren Brüdern und meiner Schwester bin ich im Oberen Ghei, ganz nahe am See, aufgewachsen.

Da kommen wir ja gleich zu unserer ersten Standardfrage: Was ist es, was dir besonders gefällt an Spiez?

Wir haben hier einfach alles: schöne Landschaften, die zum Skifahren, Wandern, Baden und vielem mehr einladen, regelmässige Zugverbindungen nach Bern oder ins Wallis, gute Einkaufsmöglichkeiten. Früher war ich eine richtige Wasserratte, wir gingen oft im Kani – oder Weidli – baden. Die Gegend gefällt mir sehr, insbesondere die schöne Bucht. Das alljährliche Seaside–Festival finde ich eine super Sache, für Jung und Alt.

Und die zweite: Was würdest du ändern in Spiez, wenn du wünschen dürftest?

Als Postautochauffeur darf ich es kaum sagen: Aber ich würde gerne das Spiezer Trämli, das vom Bahnhof Spiez in die Bucht hinunter fuhr, wieder in Betrieb nehmen! Das Tram selbst habe ich leider nicht mehr erlebt, aber die Geleise waren noch da. Ich fände es eine schöne Attraktion für Spiez. Mein zweiter Wunsch wäre eine Begegnungszone im Dorf. Nicht gerade so gross wie das Bälliz in Thun, aber in diesem Stil. Ein Einbahnregime durch die Oberlandstrasse fände ich gar nicht so schlecht.

Interview: Jürg Alder

Nahe am See aufgewachsen

Postautochauffeur Manfred Mettler, Jahrgang 1966, hat immer in Spiez gelebt. Er wuchs als jüngster von drei Knaben und einem Mädchen in einem Zweifamilienhaus im Oberen Ghei auf, nahe am See. Der Vater war gelernter Schlosser, arbeitete aber nach einer Weiterbildung als Laborant im ABC-Zentrum Spiez. Die Mutter besorgte den Haushalt. Sie hatten kein Auto, der Vater ging per Velo zur Arbeit. Einer von Manfreds Brüdern kam als junger Erwachsener bei einem tragischen Arbeitsunfall auf einer Baustelle ums Leben. Der Vater starb vor einigen Jahren, die Mutter Ende 2019. Manfred absolvierte beim Tiefbauamt der Stadt Thun eine Lehre als Lastwagenführer. Danach arbeitete er während zehn Jahren «als Allrounder» im damaligen Baugeschäft M. Frey in Steffisburg. 1997 wechselte «Mänu» zur Autoverkehr Spiez–Krattigen–Aeschi (ASKA), wo er sowohl als Fahrer wie auch in der Fahrzeugwartung beschäftigt war und auch internationale Carreisen durchführte. Die ASKA wurde Ende 2008 aufgelöst, die PostAuto AG übernahm deren Strecken. Manfreds Frau Marlise stammt aus Schönried; Manfred lernte sie 1993 kennen, als sie in Einigen arbeitete. Sie heirateten 1996. Marlise arbeitet als Teilzeitangestellte im Verkauf. 1997 kam Tochter Fabienne zur Welt. Sie ist Fachfrau Betreuung Kind und arbeitet in einer Kita in Bern. Manfred Mettler ist seit 2008 Chauffeur der PostAuto AG und als Fahrzeugverantwortlicher des Betriebs Spiez in der Werkstatt in Aeschi für einen Teil der Wartung zuständig. Das Streckennetz reicht bis Interlaken, Griesalp, Frutigen, Krattigen und Aeschi. Im Sommer hält Manfred auf Alpenpässen Postauto-Haltestellen in Schuss. In seiner Freizeit geniesst er das Skifahren, wandert gerne, besucht Eishockey- und Fussballspiele, verfolgt das Sportgeschehen im Fernsehen, badet gerne im See und geniesst die Umgebung von Spiez.

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