4 minute read

Stadthotels sollten vermehrt Freizeit

Jürg Schmid, Präsident des Verwaltungsrates «The Living Circle», über die Zukunft der Stadthotellerie

Stadthotels sollten vermehrt Freizeitangebote haben

Das 2020 ist ein Jahr zum Vergessen – und das 2021 auch – aus Sicht der Stadthotellerie. Während die Schweizer und Schweizerinnen in die Berge, an die Seen und ins Tessin strömen, darbt die Stadthotellerie, geplagt von fehlenden internationalen Gästeströmen, von auferlegtem Homeoffice und durch Auflagen ausgebremste Kongresse und Events. Wo liegt da die Zukunft für die Stadthotellerie? Welche Positionierung bringt den Stadthotels Perspektiven zurück? Diese Fragen diskutiert wohl so ziemlich jeder Stadthotel-Verwaltungsrat. Sollte man zumindest. Denn Hoffnung, zu hoffen, dass es schon irgendwie wieder gut kommt, ist kein tauglicher Strategieersatz. «The Living Circle» ist eine kleine Boutique-Hotel-Gruppe mit den Hotels Alex, Storchen und Widder in Zürich und am Zürichsee. Während unser Castello del Sole in Ascona im Nachfragehoch jubelt, kämpfen die Zürcher Hotels um jeden Gast. Wir haben uns den Zukunftsfragen der Stadthotellerie gestellt und sie für uns beantwortet. Dazu brauchte es den Blick voraus.

Die einen Experten prophezeien die

Rückkehr zur Normalität. Nicht nur die bezweifelte Lernfähigkeit unserer Spezies, vor allem auch der ökonomische Druck sprechen für eine Rückkehr zum bisherigen Reiseverhalten der Menschheit. Die

Die Meinungen von Expertinnen und Experten über den Tourismus nach Überwindung oder zumindest Eindämmung der Pandemie lassen sich grob in zwei Denkgruppen einteilen:

Wer ist Jürg Schmid?

Jürg Schmid’s Passion gilt dem Tourismus – und zwar in all seinen Facetten. Als Direktor von Schweiz Tourismus positionierte er die Schweiz rund um den Globus als Ferien-, Reise- und Kongressland und erschloss als «oberster Verkäufer der Schweiz» von 2000 bis 2017 neue Märkte. Zuvor war Schmid bei Oracle Corporation als Sales & Marketing-Manager für die Märkte Nord-, Zentral- und Osteuropa, die CISStaaten, den Mittleren und Nahen Osten sowie Afrika verantwortlich. Vor seiner Tätigkeit bei Oracle erwarb Schmid wichtige Berufserfahrungen bei der Bank Vontobel sowie bei Hewlett Packard. Heute ist er Mitinhaber der Marketing- und Kommunikations-Agentur Schmid Pelli & Partner AG und sitzt in diversen Verwaltungsräten. Jürg Schmid ist verheiratet und lebt mit seinen drei erwachsenen Kindern in Zürich.

«Wir wandeln zu Freizeit- und Ferienhotels. Dazu haben wir unsere drei Hotels in Zürich zu einem «City & Lake Resort» unter einer Gesamtleitung geformt»

JÜRG SCHMID getätigten und laufenden Investitionen in touristische Infrastrukturen, von Flughäfen über Flugzeugflotten bis Beherbergungsinfrastrukturen, sind derart gross, dass der gesellschaftliche und politische Sachzwang Fundamentaländerungen verunmöglicht. Die Anbieter werden mit Dum pingpreisen die Konsumenten-Zurückhaltung bekämpfen.

Es gibt Momente, wo die Welt einen Richtungswechsel vollzieht. Das ist so einer,

sagen die anderen Experten. Die Verzichte haben uns massgeblich geprägt und den Blick auf die echten Werte freigegeben. Der Wandel erfasst den Tourismus, der seinen Peak eigentlich schon vor der Pandemie erlebt hat. Die Debatte über Klimawandel und Overtourism hat angefangen, das Reiseverhalten gewichtig zu verändern. Nach einer kurzen Phase einer PostShutdown-Reise-Euphorie wird der Massentourismus eine Verschlankung erfahren und zu einer neuen, nachhaltigeren Form finden.

Nun, die Zukunft zu prophezeien ist be kanntlich unmöglich. Interessant ist je doch, dass beide Denkgruppen gewisse Veränderungen identisch erwarten. Beide gehen sie von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, dass nachhaltige, verantwortungsvolle Reisen zunehmen, Gruppenreisen an Popularität verlieren, der Trend zu Individual- und Kleingruppenreisen verstärkt wird, die Qualitätsansprüche von Reisen grundlegend steigen, gerade an die Schweiz. Ein ansehnlicher Anteil von Ge schäftsreisen und Meetings werden sich dauerhaft auf Videokonferenzen verlagern. Wir haben einen Digitalisierungsschub erfahren. Die Befragung von 500 Firmen und Business Travellers durch das «Center for Aviation Competence» der Universität St.Gallen bestätigt diese Einschätzung: 31 Prozent weniger Kurzstreckenflüge und 20 Prozent weniger Langstreckenflüge, ist die erwartete Realität. Freizeit- und Ferienhotels. Deshalb haben wir unsere drei Hotels in Zürich zu einem «City & Lake Resort» unter einer Gesamtleitung geformt. Der Gast soll die Betriebe als ein Gesamterlebnis wahrnehmen. Was sich so einfach sagt, hat aber weitreichende Folgen. Damit der Widder-Gast seinen Lunch im Alex auf die Rechnung setzen kann, galt es die Informatiksysteme auf Multi-Property-Fähigkeit aufzurüsten. Serviceketten, Prozesse, Schulungen, Marketing – der Wandel erfasste so ziemlich alles. Und Angebote, die das Resort erlebbar machen, mussten hin. Stündlich bringt nun unser Boot-Shuttle unsere Gäste zum und vom Alex Lake Zürich an den Storchen-Steg an der Limmat. Ein bisschen wie Venedig, nur «Swiss made». Die Eiscreme stammt vom eigenen Bauernhof Schlattgut am Zürichsee, den unsere Gäste auch besuchen und sich ihr Frühstücksei gleich aussuchen können.

Unsere Investitionen haben wir konsequent auf die Steigerung des Freizeit-

werts ausgerichtet. Auf dem StorchenDach ist die Rooftop Bar entstanden, der Widder-Innenhof wurde neugestaltet und das Gastronomieerlebnis auf ReisemotivNiveau gehievt.

Die Entwicklung der Gästeanfragen be stätigt uns in unserem neuen Weg. Die Zukunft des Schweizer Städtetourismus liegt vermehrt im Freizeittourismus, davon sind wir überzeugt. Zur erfolgreichen Umsetzung braucht’s aber auch viel Hilfe von aussen. Stadtbehörden müssen gastfreundlich bleiben. Die Nutzungserweiterung der Aussenflächen muss dauerhaft werden und unsere Gäste erwarten offene Läden in städtischen Tourismuszonen auch an Sonntagen. Städtische Tourismusorganisationen müssen Leisure-Marketing zelebrieren – das braucht (mehr) finanzielle Mittel – und sie sollen neue Kooperationswege einschlagen, ge rade auch mit Kunst & Kultur-Anbietern.

Wir stellen unsere Stadthotels darauf ein und haben uns einen Strategiewech-

sel verordnet. Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft möglichst viele Ge schäftsreisende beherbergen. Die Zahlen aus dem Jahr 2019 werden wir jedoch lange, sehr lange, nicht mehr sehen. Kompensieren soll der Leisure-Gast. Wir wandeln zu Kein Marketing der Welt kann die Auswirkungen einer solch epochalen Krise ungeschehen machen. Es führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit der eigenen Positionierung vorbei. Dann kommt’s gut. 

This article is from: