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Wer wagt, gewinnt!

von Franziska Grunze

Unsere Reise nach Dornach mit dem Oberstufenchor und dem Orchester SchallMauer

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Die Proben des Orchesters SchallMauer im Schuljahr 2022/23 begannen ungewöhnlich früh. Bereits Anfang September trafen wir uns zu den ersten Proben, denn: Wir hatten viel vor. Dank Angela Schindlers Beziehungen zur pädagogischen Sektion des Goetheanums waren wir zu einem Auftritt ins Zentrum der Anthroposophie eingeladen worden. Im Rahmen des anthroposophischen WeltlehrerKongresses sollten wir in der Woche nach Ostern ein Konzert in Dornach spielen – eine großartige Chance und gewichtige Aufgabe, an der wir in den folgenden Monaten arbeiten und wachsen sollten.

Aber war es möglicherweise zu gewagt gewesen, dem zuzusagen? Nach coronabedingtem Schwund in allen Stimmgruppen des Orchesters waren wir vor allem bei den Geigen zu licht besetzt, und es war schwierig, genügend streichende Oberstimmen zu finden. Wie sollten wir so unserem Vorhaben gerecht werden? Nach und nach füllten sich jedoch dank der aktiven Recruiting-Maßnahmen des gesamten Orchesters und vor allem unseres Dirigenten Stefan Albrecht die Plätze. So standen wir mengenmäßig zwar auf etwas wackeligen Beinen, aber das Engagement jeder und jedes Einzelnen glich Vieles aus.

Das Programm war bereits von Stefan festgelegt worden: Als Hauptwerk sollten wir das Oratorium „Our World Is On Fire“ des in München lebenden Komponisten Rainer Bartesch spielen. Inspiriert von der „Fridays for Future“-Bewegung, schrieb dieser ein Stück, das uns die drängenden Fragestellungen unserer Zeit vor Augen führen soll: Klimaerwärmung und Turbokapitalismus versus Naturverbundenheit und Umweltökonomie.

Rainer Bartesch hatte sich bereit erklärt, sein Werk an unsere Besetzung anzupassen. Da sich während der Proben die Zusammenstellung des Orchesters auf Grund von Krankheiten oder anderer Ereignisse einige Male änderte, sind wir ihm sehr dankbar, dass er stets zuverlässig und schnell neues Notenmaterial lieferte.

Zusätzlich zum Hauptwerk standen das „Te deum“ in C-Dur von Joseph Haydn und der Walzer „Gold und Silber“ von

Franz Lehar auf dem Programm. Im „Te deum“ sollte dem Oberstufenchor die Möglichkeit geboten werden, sein Können auf hohem Niveau zu präsentieren. Der Walzer war als klangfarbenreiches „Gastgeschenk“ des Orchesters an unsere Gastgeber in der Schweiz gedacht und auch wegen unserer repräsentativen Rolle als Vertreter der österreichischen Waldorfschulen eine gelungene Wahl.

Die Werke waren also festgelegt, und die Proben begannen. Jede Woche trafen wir uns montags abends und übten an den anspruchsvollen Stücken. Jörg Dekan-Eixelsberger machte die Bläsergruppe fit, während Rubén Ramírez Yanes mit den Schlagwerkern probte. Ich bemühte mich, die Bassgruppe als Fundament des Orchesters auf sichere Beine zu stellen und wurde dabei dankenswerterweise von Miriam Bijkerk im Kontrabass unterstützt. Parallel zu alledem bereitete Stefan Albrecht mit Hilfe von Ursula Bosch, Angela Schindler, Thomas List, Ryan Langer und Jakob Pejcic den Oberstufenchor in intensiven Proben vor.

Zu Beginn des neuen Jahres fand ein Treffen aller an der Organisation beteiligten Personen statt. So waren als Vertreter der Steiner-Schule Mauer Engelbert Sperl, Gerhard Rumetshofer und Matthias Berke mit dabei. Die Reise nach Dornach wurde geplant und die zu erledigenden Aufgaben verteilt. Auf der schweizerischen Seite wurde ein großer Teil der Organisation unseres Aufenthaltes und Auftrittes in Dornach von Dorothee Prange, Mitarbeiterin der pädagogischen Sektion des Goetheanums, übernommen. Dieser haben wir zu verdanken, dass wir eingeladen wurden, und sie sorgte für die Unterkunft und alles, was mit unserem Tag am Goetheanum verbunden war.

Im Laufe des Jänners und Februars intensivierten sich die Proben, und es kamen noch einige Musiker als Verstärkung im Orchester dazu. Im März war es schließlich soweit: Der Tenor Gernot Heinrich, zwei Knabensolisten von den St. Florian Sängerknaben (Einstudierung: Markus Stumpner) und der Filmtechniker Moritz Reifner stießen mit zur Partie, und nach einem gelungenen Ostermontag-Probentag mit anschließender Generalprobe waren wir bereit, uns am nächsten Tag auf den Weg in die Schweiz zu machen.

Morgens um 6.30 Uhr begann die Reise in drei Bussen mit zwei Anhängern, und schließlich – 14 Stunden später – waren wir, 156 Personen, in unserer Unterkunft angekommen.

Am ersten Tag unseres Aufenthaltes fand ein Museumsprogramm statt, das von Alfred Kohlhofer und den begleitenden Lehrerinnen Ursula Kaufmann, Angelika Kellner und Maria Stern in logistischer Meisterleistung ausgetüftelt worden war. So fuhren die drei Busse jeweils zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Zusammenstellung in das Vitra Design Museum, in die Fondation Beyeler und ins Museum Tinguely. Alle drei Museen hinterließen nicht nur wegen ihrer bedeutenden Ausstellungsstücke einen bleibenden Eindruck, sondern boten auch mittels ihrer Architektur interessante Perspektiven. An diesem Tag hatte jede Gruppe auch Zeit, einen Stadtspaziergang durch Basel zu machen.

Der Tag unserer Aufführung war gekommen. Nach einem Frühstück in der Jugendherberge machten wir uns auf den Weg nach Dornach. Am Goetheanum wurden wir herzlich von Dorothee empfangen, die uns zunächst zu einer Stärkung einlud, um anschließend gemeinsam mit uns in den Konzertsaal zu gehen. Der Saal ist in ansteigenden Reihen für etwa 1000 Zuhörerinnen und Zuhörer ausgelegt und besticht in seiner Farbigkeit, die nicht nur in den Fenstern, sondern vor allem im Deckengewölbe prominent zur Geltung kommt. Jeweils sieben Säulen mit anthroposophischer Symbolik säumen die Seiten des Saales und führen den Blick auf die große Bühne, auf die man als ZuschauerIn herabsieht. Die Akustik ist für das Sprechtheater ausgelegt – recht trocken, aber wie sich am Abend zeigen sollte, nicht unangenehm zu bespielen.

Im Saal wurden wir in Gruppen aufgeteilt, um anschließend in Führungen das Goetheanum zu besichtigen. Wir erhielten nicht nur Erklärungen zur Deutung des KonzertsaalDeckengemäldes und des „Roten Fensters“ im Westtreppenhaus, sondern besichtigten auch in der Schreinerei ein Holzmodell des ersten Goetheanums, welches vor dem Bau des jetzigen Gebäudes seinerzeit abgebrannt war. Auch wurde uns die Holzskulptur „Der Menschheitsrepräsentant“ erläutert. Ich selbst habe die Führung als sehr bereichernd empfunden, da sie für mich Möglichkeiten eröffnete, zu dieser Art des ästhetischen Ausdrucks der anthroposophischen Geisteshaltung einen Zugang zu finden. Vieles, was für mich vorher unverständlich und in seiner künstlerischen Form befremdlich war, konnte durch die Erklärung unseres Führers besser nachvollzogen werden.

Nach einem köstlichen Mittagessen folgte unsere Einspielund Akustikprobe im Saal. Danach war Zeit zum Ausruhen oder auch für einen Spaziergang in den Gärten. Schließlich kam der Moment, auf den wir alle so lange hingearbeitet hatten. Ein vollbesetzter Saal empfing uns, und voller Konzentration gab jeder musizierend sein Bestes. Das Engagement einer jeden und jedes Einzelnen ließ den Funken der Begeisterung auf das Publikum überspringen, und so endete das Konzert mit viel Applaus und standing ovations.

Die Rückfahrt zu unserer Unterkunft war von dem erhebenden Gefühl getragen, gemeinsam etwas Besonderes auf die Beine gestellt zu haben, dem Publikum ein in Erinnerung bleibendes Geschenk gemacht zu haben und von der Erleichterung, dass sich der Mut zu diesem Programm auf dieser Bühne ausgezahlt hatte. Vor allem war es schön zu sehen, dass die Jugendlichen erleben durften, dass, weil sie Verantwortung für ihr eigenes Handeln und besonders für die Gruppe getragen hatten, viel erreicht worden war und sie sich selbst somit beflügelt hatten.

Am folgenden Tag folgte die lange Rückfahrt. Nach einem Tag Pause spielten wir zwei Konzerte vor ausverkauftem Saal des MuTh in Wien. Auch hier vor heimisches Publikum waren die Auftritte gelungen und begeisterten die ZuhörerInnen.

Die Reise und die Wiener Konzerte werden uns noch lange in Erinnerung bleiben, und es bleibt eigentlich nur noch, unserem Dirigenten Stefan Albrecht zu danken, der sich unermüdlich für die Musikbildung an der Steiner-Schule und für die Belange des Orchesters SchallMauer einsetzt und – wie ich finde, ganz zu Recht – oft nach dem Motto wirkt: „Wer wagt, gewinnt!“. ¶

Franziska Grunze ist Cellolehrerin an der Freien Musikschule und Teil des SchallMauer-Teams.

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