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Gespräch mit den Berkes

Holger Finke in einem Gespräch in 12 Akten mit Nadja und Matthias Berke sowie mit deren Söhnen Paul und Theo als special guests

Holger Finke (HF): Liebe Nadja, lieber Matthias, als Eltern seid Ihr mit der Schule seit 13 Jahren verbunden. 2010 wurde Euer älterer Sohn Paul in die 1. Klasse eingeschult. Ein Jahr später wurde Euer zweiter Sohn Theo in die wiederum neue 1. Klasse aufgenommen. Paul schloss seine Waldorfschulzeit vor einem Jahr ab und maturiert soeben. Theo ist jetzt in der 12. Klasse. Damit zeichnet sich das Ende Eurer Schulzugehörigkeit als Eltern ab. Es ist ein bisschen, als wenn Sand durch eine Sanduhr rieselt. Die Uhr ist fast leer, die Körner scheinen immer schneller zu rieseln. Nur kann man die Uhr am Ende nicht umdrehen, damit der Vorgang von vorne beginnt. Die Sache hat also etwas Finales.

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1. Wie geht es Euch mit der Situation? Könnt Ihr ein Stimmungsbild zeichnen, flüchtig und unverbindlich?

Matthias Berke (MB): Ja, es geht in schnellen Schritten auf das Ende der Schulzeit zu – fein, dass noch die Referate vor uns liegen, das 12.-Klass-Spiel und für die SchülerInnen die Klassenreise, aber auch noch das Sommerfest; mein liebstes Fest.

Stimmungsbild? Irgendwas zwischen Nachdenklichkeit und Zuversicht … oder: einerseits Aufatmen und andererseits ein zweites Zuhause verlieren. Und muss ich jetzt eigentlich den Schulschlussel abgeben?

Nadja Berke (NB): Von jetzt aus gesehen, scheint diese Zeit sehr schnell vergangen zu sein. Zur Sanduhr muss ich sagen, wir drehen sie schon um, denn unsere Nichte Luise besucht gerade die 1. Klasse. Somit können wir, aus der Tanten- und Onkel-Distanz und -Perspektive heraus, doch nochmal 12 Jahre miterleben. Das macht die „Finalität“ weicher und ganz gut erträglich.

HF: Ihr habt Euch im Laufe der Jahre immer intensiver in verschiedenen Bereichen der Schule engagiert: als Mitglieder im Elternrat, als PR-Vertretung im Waldorfbund, Matthias als Grafikdesigner in unzähligen PR-Projekten, und schließlich habt Ihr beide von Karl Hruza das MoMent geerbt, welches in diesen Tagen ein letztes Mal unter Eurer Regie entsteht. Daneben habt Ihr, wie viele andere Eltern auch, immer wieder bei unterschiedlichsten Schul- und Klassenaktivitäten mitgeholfen.

2. Wie seid Ihr in den Schulbetrieb hineingewachsen? War das ein langsamer oder schneller Prozess? Was waren Eure Motivationen?

NB: Die Motivation waren Paul und Theo. Mit ihnen sind wir hineingewachsen, und mit ihnen wachsen wir wieder heraus. Ich habe mich gleich in der ersten Klasse von Paul für den Elternrat gemeldet, weil ich damals im Kindergarten ein paar Kritikpunkte hatte, und ich wollte bei der Schule mitgestalten können. Berührungsängste hatte ich deshalb keine, weil ich selbst hier an der Schule war. Das ist zwar schon bei Pauls Einschulung sehr lange her gewesen, gab mir aber eine gewisse Sicherheit, obwohl die Rudolf Steiner-Schule WienMauer da schon eine ganz andere war als damals zu „meiner Zeit“ – so wie sie jetzt eine etwas andere ist als vor 13 Jahren. Das ist gut so, denn Weiterentwicklung ist notwendig und gut.

MB: Ich fühle mich im Machen wohl, und es dauerte ja nicht lang, bis die ersten Aufgaben und Notwendigkeiten an unserer Türe anklopften … so erlebt, war es ein schnelles Eintauchen ins gemeinsame Tun.

HF: Ihr habt den Schulorganismus von innen und aus verschiedenen Perspektiven heraus kennengelernt. Ihr habt gute und schlechte Zeiten erlebt.

3. Was waren dunkle, was waren helle Momente für Euch?

MB: Dunkle und helle Momente? Ich denke eher an die vielen hellen Köpfe und Talente, die ich in den vergangenen Jahren in der Schule sah …

NB: Die hellen Momente sind „Sternstunden“ der Jungs und ihrer KlassenkollegInnen für mich gewesen – wo sie z.B. plötzlich einen Entwicklungsschritt gemacht haben. Diese waren eigentlich immer dann am stärksten für mich erlebbar, wenn sie nicht mit kognitiven Fähigkeiten zusammenhingen, sondern mit sozialen Kompetenzen, die plötzlich spürbar wurden.

Helle Momente waren natürlich all die Praktika, Reisen, Aufführungen, für mich vor allem jene, die mit Musik verbunden waren, und in Form von diversen nachhause gebrachten Werkstücken, entstandenen Texten, allen voran die Jahresarbeiten, die eben tatsächlich dem Wort Reife-Prüfung gerecht werden.

Schwierige Situationen gab es in beiden Klassen hin und wieder. Einer unserer Söhne hatte es eine kurze Zeit recht schwer mit Klassenkollegen – das war ein dunkler Moment. Mal war ein Teil der Elternschaft gegenüber der Klassenlehrerin unsicher, mal war ein Teil der Elternschaft bemüht, einige Kinder, die als „schwierig“ benannt wurden, aus einer Klasse zu bekommen.

In beiden Fällen war ich sehr froh, Teil des Elternrates zu sein und damit einen Blick zu haben, der nicht nur auf eine Klasse beschränkt ist. Dadurch ließen sich Situationen vernünftig relativieren und erkennen, dass die Aufregungen um Ereignisse, Umstände oder Unsicherheiten im Ganzen gesehen, nebensächlich waren. Da half ein grundsätzliches Vertrauen in die Pädagogik, die eigenen Kinder und die LehrerInnen. Und die Corona-Zeit würde ich durchaus auch als eher „dunkel“ beschreiben. Wobei das weniger bis gar nichts mit unseren beiden Söhnen zu tun hatte – die sind damit gut zurechtgekommen – als vielmehr mit dem Umgang Einzelner innerhalb der Schulgemeinschaft mit dem Thema. Aber da muss man sagen, dass die Gesellschaft eben nicht vor den Toren unserer Schule Halt gemacht hat – auch die Waldorfschule ist keine Insel der Seligen.

HF: Zwischen den Höhen und Tiefen liegen die Normalwettertage. Durchlebt man solche, weiß man nie genau, wann das nächste Gewitter kommt. Nehmen wir an, es herrscht, bedingt wodurch auch immer, gerade einmal eine schwierige Zeit.

4. Wie habt Ihr den Umgang der Schule, also der Eltern, der SchülerInnen und LehrerInnen, mit einer solchen Krisensituation erlebt? Was habt Ihr als erschwerend oder fördernd erlebt?

MB: Ich nehme unsere Schule als eine von uns freiwillig gewählte Gemeinschaft in Selbstverwaltung wahr, in der jede und jeder gesehen wird – sei er oder sie laut oder leise, fordernd oder verhalten. Dergestalt schauen wir hin und nicht weg – und das würde ich mir von allen wünschen.

NB: Fördernd und bereichernd war und ist immer das gemeinsame Tun, offen über Dinge reden können und sich einbringen oder auch mal zurückzunehmen, wenn man merkt, anderen sind Dinge so wichtig, dass es da eine Lösung oder Bearbeitung braucht.

Prinzipiell muss ich sagen, dass „die Schule“ – und das sind ja wir alle gemeinsam – mit Krisensituationen immer ganz gut umgegangen ist. Manches Mal könnte es für mich da durchaus ein bissl mehr Entscheidungswille geben und ein bissl weniger basis-demokratisches Vereinsgebaren – klarere Entscheidungsträger-Aufteilungen – aber das ist jetzt sehr subjektiv.

Was mir sehr positiv aufgefallen ist, ist, dass mit „Wege zur Qualität“ ein Leitfaden an unserer Schule vorhanden ist, auf den man gut und gerne öfter und bewusster zurückgreifen kann. Dieses Qualitätsmanagementverfahren birgt viele Lösungsmöglichkeiten für schwierige Situationen (nur ein Stichwort: Dynamische Delegation). Da müssen wir alle dranbleiben, das bewusster wahrzunehmen und daraus zu schöpfen. Vor allem bei den Eltern würde ich mir in Zukunft da mehr Interesse wünschen. Schließlich unterschreiben wir ja alle bei der Aufnahme unserer Kinder in die Schule den Eltern-Schule-Vertrag, der auf den 12 Gestaltungsfeldern von WzQ aufbaut.

HF: Viele Krisen können nicht ohne Vertrauen zueinander bewältigt werden.

5. Wie schätzt Ihr die Vertrauenskultur an unserer Schule ein? Was können wir tun, um diese immer wieder zu beleben und zu pflegen?

MB: … Holger, einen Moment bitte, ich schaue kurz in meinem kleinen Ratgeber „Wenn Krisen kriseln“ nach …

NB: Vertrauen und Offenheit – also im Sinne der Unvoreingenommenheit – empfinde ich als eines der wichtigsten Dinge überhaupt. Ich versuche immer, jedem Menschen unvoreingenommen entgegenzutreten (behaupte allerdings nicht, dass mir das immer gelingt!). Auch wenn ich schon über jemanden das eine oder andere gehört habe, möchte ich dem Menschen begegnen, als hätte ich das eben nicht, um mir selbst einen Eindruck zu verschaffen.

Vertrauensvorschuss braucht es in einer Waldorfschule halt besonders, weil wir ja unsere Kinder in die Obhut einer Klassenlehrerin, eines Klassenlehrers geben, der sie dann für so lange Zeit begleitet. Als ehemalige Waldorfschülerin weiß ich sehr genau, wovon ich da spreche. Ein grundsätzliches Vertrauen in die Waldorfpädagogik selbst muss man auch haben, weil es sonst wirklich anstrengend ist. Ich weiß das, weil meine Mutter ursprünglich dieses Vertrauen nicht hatte. Mein Vater schon. Die Unsicherheiten, die sich aus diesem Nicht-Vertrauen entwickeln können, sind nicht gut – weder für die Kinder noch für die Eltern noch für die Schule. Das heißt jetzt aber nicht, dass „blindes Vertrauen“ angesagt ist. Nein. Aber ein wenig Grundwissen von Waldorfpädagogik und eine grundsätzlich positive Einstellung dieser gegenüber sollten schon da sein. Was wir tun können, um die Vertrauenskultur zu beleben und zu pflegen? Mitgestalten. Informiert sein. Machen.

HF: Blicken wir auf die sonnigen Tage. Ich wage die These, dass wir Menschen diese weniger intensiv registrieren als die schlechten Tage. Schnell ist das gute Wetter, das Glück, in dem wir leben, selbstverständlich, und wir versäumen es, uns daran zu freuen und Kraft daraus zu schöpfen, die wir einsetzen könnten, um uns und andere weiterzubringen.

6. Seht Ihr Maßnahmen, wie wir unsere Stärken und das, was uns gelingt, bewusster wahrnehmen und erleben können?

NB: Bewusst Rückmeldungen geben!

MB: Indem wir mehr darüber reden, loben und auch feiern. Richten wir diese Frage doch beherzt an alle!

HF: Ihr habt, wie ich oben schon umrissen habe, wirklich einen großen Teil Eurer Zeit und Kraft der Schule zur Verfügung gestellt.

7. Was sind wesentliche Erfahrungen, Lernschritte oder Einsichten, die Ihr für Euch aus dieser Phase Eures Lebens mitnehmt?

MB: Freunde, gute Erinnerungen, Optimismus und ja, zwei junge Erwachsene (bin eh gespannt auf deren Antworten).

HF: Leben bedeutet Veränderung, natürlich nicht zu 100 % in jedem Augenblick. Lebenskunst besteht vielleicht darin, in jedem Moment die richtige Mischung aus Bewahren und Verwandeln zu finden.

8. Was sind wesentliche Dinge, die Ihr der Schule für ihre weitere Entwicklung wünscht? Was soll sie momentan bewahren, wo darf/sollte sich etwas ändern?

MB: Schule ist per se ein Ort des Wachstums. So braucht es Sonne und Wasser, also Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, sondern mitgehen …

NB: Was mir wichtig wäre, dass in der Schule bewahrt wird, ist unser freies Finanzmodell. Dass Eltern mit Eltern über die Finanzbeiträge sprechen, Notwendigkeiten erläutern, PädagogInnen nicht wissen, wer wieviel zahlt, und dass dadurch diese Schule nicht nur konfessionell und ethnisch, sondern auch aus finanzieller Sicht für ALLE offen ist, ist eines der für mich besten Dinge dieser Maurer Waldorfschule. Was ich mir für die KlassenlehrerInnen und SchülerInnen wünsche, ist ein selbstverständlicher, ehrlicher und offener Umgang mit dem Thema KlassenlehrerInnen-Zeit: Jede/r sollte die Möglichkeit haben, für sich und die „eigene“ Klasse entscheiden zu dürfen, ob sie/er ab der 6. Klasse Epochen abgibt oder die Klasse lieber nur bis zum 6. Schuljahr führen will.

Was ich mir für die SchülerInnen wünsche, ist eine flexiblere Oberstufe mit mehr Möglichkeiten, die individuellen Interessen der SchülerInnen zu fördern und zu stärken. Vielleicht in Form von klassenübergreifenden Angeboten.

Und ja, mir ist sehr bewusst, dass diese Wünsche organisatorisch und finanziell erst einmal stemmbar gemacht werden müssen.

Für die SchülerInnen der Oberstufe wünsche ich mir auch noch, dass von LehrerInnenseite aus genauer hingeschaut wird auf die einzelnen Lebensumstände der jungen Menschen und deren Entwicklung – gerade in der 11. und 12. Klasse kann es passieren, dass zu selbstverständlich zu viel Übernahme von Eigenverantwortung vorausgesetzt wird. Für und von den Eltern wünsche ich mir viel Zusammenhalt und ein gewisses Selbstverständnis, aus dem heraus Aufgaben innerhalb der Schulgemeinschaft übernommen werden, den Begabungen, Professionen und Talenten entsprechend.

Ganz konkretes Beispiel dafür: Der „Mauer Waldorf Lauf“ sollte wieder möglich gemacht werden!

9. Gibt es etwas, das durch meine Fragen noch nicht angesprochen wurde, das Euch aber bewegt und Ihr mitteilen möchtet?

NB: Ich wünsche mir von Herzen, dass es endlich irgendwann gelingen möge, dass die Waldorfschulen eine finanzielle Gleichstellung mit konfessionellen Privatschulen erreichen. Das wäre so erleichternd und hilfreich und würde so viele Ressourcen freisetzen, die seit über 50 Jahren in der Aus- einandersetzung mit finanziellen Schwierigkeiten gebunden sind. Ich hoffe, die Zeit ist bald reif dafür!

HF: Vor Euch liegt eine Zeit ohne Schulelternschaft.

10. Womit werdet Ihr die neue freie Zeit zukünftig füllen?

MB: …sicherlich auch mit fortgesetzter Elternschaft…

NB: …denn die hört ja nicht nach 12 Jahren Schulzeit auf…

MB: …und dem einen oder anderen Gastauftritt als Onkel…

NB: …und Tante.

Und fad wird uns sicher nicht.

HF: Unsere Schule ist Euch und allen Eltern sehr dankbar, die sich wie Ihr so aktiv, umsichtig und feinfühlig in die Gemeinschaft eingebracht haben und einbringen. Dadurch erfüllt sich erst der Waldorfschulgedanke, der ohne die Initiative und Gestaltungsfreude aller Beteiligten ins Leere laufen würde.

Zum Abschluss dieses Interviews sollen die angekündigten „special guests“ zu Wort kommen.

11. Lieber Paul (PB), lieber Theo (TB), wie habt Ihr als Schüler es erlebt, so engagierte Eltern zu haben? War Euch das zeitweilig zu viel Elternpräsenz in Eurer Schule?

PB: Naja, die Elternpräsenz war im Schulalltag nicht spürbar. Nur bei Veranstaltungen und der Organisation war etwas von dieser mitzubekommen.

TB: Hin und wieder war ich etwas genervt, aber im Endeffekt brachte ihr Engagement Positives für mich und vor allem für die Schule mit sich.

12. Könnt Ihr drei Kriterien nennen, die eine Schule der Zukunft erfüllen müsste, damit Ihr Eure Kinder dorthin geben würdet? Wollt Ihr abschließend etwas aussprechen, was Euch in Bezug auf Eure Schulzeit besonders wichtig scheint?

PB: Schwierig… Wahrscheinlich das Fördern von individuellen Stärken, kompetenten Umgang mit Konfliktsituationen zwischen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern, viel Bewegungsmöglichkeiten für die SchülerInnen, vor allem in der Unter- und Mittelstufe.

TB: Wahlfächer, viel Sport und ein gutes SchülerInnen-LehrerInnen-Verhältnis. Aber eigentlich ist die Frage falsch gestellt – denn es gibt nicht wirklich Alternativen. Was ich von

Freunden mitbekomme, lässt mich glauben, dass das öffentliche Schulsystem veraltet ist. Man lernt statt fürs Leben nur „für die Matura“, für „ein Zeugnis“, und das bringt nix.

HF: Liebe Familie Berke, vielen herzlichen Dank, dass Ihr der Einladung zu diesem Gespräch gefolgt seid. Alles Gute auf Euren weiteren Wegen! ¶

Holger Finke ist Oberstufenlehrer und war Tutor von Paul.