w e i t ! neue musik weingarten

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HO SO KA WA WEINGARTEN 26. – 28.11. 2021


w e i t ! neue musik weingarten

Kooperationspartner

Unterstützt durch

Gefördert von Rose Ebner, Ursula und Gerold Kaiser, Regina Pilz

Medienpartner

Wir danken dem Verlag Schott Music, Mainz | Tokyo, für die freundliche Überlassung der Notenbeispiele sowie unseren Anzeigen-Partnern.


w e i t ! neue musik weingarten 2021

Die neue Musik ist nach Jahren des Verstummt-Seins zurück – Weingarten hat sein Festival wieder! Es trägt den Namen w e i t ! neue musik weingarten und folgt den »Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik«, die von 1986 bis 2015 die bedeutendsten Komponist:innen zu Gast hatten. Der Name unseres neu gegründeten Festivals wurde nicht zufällig gewählt und wir haben uns viel vorgenommen: es geht um ästhetische Weitung unseres Blicks bzw. unseres Hörens, zugleich aber auch darum, die erklingende Musik in den Kontexten ihrer ästhetischen, gesellschaftlichen und sozialen Entstehungsbedingungen erfahrbar und sie für die Reflexion unseres Verhältnisses zur Welt fruchtbar zu machen. Zum Neustart 2021 präsentiert das Festival die Musik des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa, eines Grenzgängers zwischen Ost und West. Wie kaum ein anderer reflektiert Hosokawa in seiner Musik die innere Natur des Menschen und sein Verhältnis zur äußeren Natur. Seine Klänge wehen herüber aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt – einer Welt, in der der Mensch sich als Teil der Natur begriffen und diese noch nicht zum Objekt seiner schrankenlosen Aneignung gemacht hatte. Hosokawa arbeitet mit subtilen Klangschattierungen, mit Atem, mit Stille. Er bezieht sich dabei in vielfältiger Weise auf die Tradition seiner Herkunftskultur, auf den Gesang der buddhistischen Mönche, die Kunst der Kalligrafie und auf die höfische Musik Gagaku mit seinen mehr als tausendjährigen Melodien und den spezifischen Instrumenten, unter denen die Mundorgel Shō eine besondere Rolle einnimmt. Dabei bedient er sich zugleich der avancierten Mittel einer westlichen Musiksprache, wie sie sich seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat. All dies ist in den Konzerten unseres diesjährigen Festivals zu erleben – in makellosen Interpretationen herausragender Solist:innen und Ensembles, in Vorträgen, Installationen und Performances. Möglich wurde dies durch die Unterstützung vieler – unserer Mitglieder, unserer Kooperationspartner, unserer Sponsoren und nicht zuletzt unserer Medienpartner. Ihnen allen und unseren Helfer:innen im Hintergrund danke ich und dankt das gesamte Team von w e i t ! neue musik weingarten an dieser Stelle herzlich für ihr Engagement. Ich wünsche Ihnen ein erlebnis- und begegnungsreiches Festival-Wochenende! Ihr Künstlerischer Leiter w e i t ! neue musik weingarten

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© Thomas Auerbach

Grußwort

MARKUS EWALD Oberbürgermeister von Weingarten

Sehr geehrte Damen und Herren, verehrtes Publikum, sie packt unmittelbar und wirkt nach, sie fasziniert und verstört zugleich. Sie ist rund und gleichzeitig voller Details, in denen man sich verlieren kann. Die Neue Musik ist eine der außergewöhnlichsten Ausdrucksformen unserer Zeit.

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Seit 1986 hat die Neue Musik ihren festen Platz in unserer Stadt. Bereits die »Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik« unter der Leitung von Rita Jans sind zu einer Visitenkarte für ein anspruchsvolles und hoch innovatives Kulturprogramm geworden. Ich freue mich sehr, dass das Festival w e i t ! neue musik weingarten in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Pädagogischen Hochschule an diese Errungenschaften anknüpfen wird. Die erste Auflage von w e i t ! wartet mit einem hochkarätigen Programm auf. Composer in residence ist Toshio Hosokawa, der als bedeutendster lebender japanischer Komponist gilt. Konzerte sowie Performances und Vorträge beleuchten Hosokawas Musik im kulturellen Kontext Japans und Europas. Damit öffnet sich das Festival und verknüpft die Musik mit gesellschaftlichen Fragen und anderen Künsten. Mit w e i t ! setzt Weingarten der Neuen Musik einmal mehr ein Zeichen. Ich danke dem Künstlerischen Leiter Rolf W. Stoll, der mit seinem Team ein außergewöhnliches Programm auf die Bühne gestellt hat. Den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern wünsche ich viel Erfolg und Ihnen meine Damen und Herren, ungeahnte und nachhaltige Hör- und Sinneserlebnisse. Ihr


Grußwort

PROF. DR. KARIN SCHWEIZER Rektorin der PH Weingarten

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, mit der Neuen Musik verbindet die Hochschule eine lange währende und intensive Beziehung. Das Festival, das heute den Namen w e i t ! neue

musik weingarten trägt, war einst gestartet als »Weingartener Tage für Neue Musik«, die rasch »international« wurden. Es war Rita Jans – über viele Jahre Klavierpädagogin an unserer Hochschule –, die die Initiative ergriffen und ihr Festival mit starker Passion und nie enden wollender Energie über dreißig Jahre hinweg geleitet hat. Das neu gegründete Festival, das auch in diesem Jahr in den Räumen unserer Hochschule stattfindet, ist also alles andere als ein Fremdkörper und wird von der Hochschulleitung ebenso unterstützt, wie dies bereits unter meinen Vorgängern im Rektorenamt der Fall war. Nach zwei Einzelkonzerten im vergangenen und in diesem Jahr setzen wir jetzt die Tradition der Begegnungen mit einem dreitägigen Festival der Musik des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa fort. Gerade an einer Hochschule, in der Menschen – auch im Fach Musik – zu Vermittlern ausgebildet werden, hat eine solche kulturvermittelnde Initiative auch weiterhin ihren Ort. Ich freue mich, dass es den Initiatoren gelungen ist, trotz der widrigen Umstände, die der Pandemie geschuldet sind, ein solch ambitioniertes Vorhaben umzusetzen und gratuliere herzlich dazu. Für den Verlauf des Festivalwochenendes wünsche ich uns allen ebenso interessante wie anregende Begegnungen mit der Musik Toshio Hosokawas. Ihre

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PRO G R A M M


GRUSSWO RTE

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ESSAY

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Rolf W. Stoll

DER »WEG DER MUSIK« Der japanische Komponist Toshio Hosokawa

KONZERT I Freitag, 26. November 2021, 18:00 Uhr Ev. Stadtkirche Weingarten

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»SAKURA« Shuho Hananofu, Ikebana-Meisterin | Film (UA) Mayumi Miyata, Shō | Irvine Arditti, Violine | Vanessa Porter, Percussion

KONZERT II Freitag, 26. November 2021, 20:30 Uhr PH Weingarten, Aula

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» F L O W E R S & R AV E N « Christina Daletska, Mezzosopran | Christine Chapman, Horn | Melvyn Poore, Tuba Ensemble Musikfabrik, Ltg.: Natalia Salinas Konzertmitschnitt

KONZERT III Samstag, 27. November 2021, 11:00 Uhr PH Weingarten, Aula

»DEEP SILENCE« Mayumi Miyata, Shō | Stefan Hussong, Akkordeon

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VO RTR AG – PERFORMANCE – LECTURE Samstag, 27. November 2021 | 14:30 Uhr PH Weingarten, Aula

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Vortrag Ingrid Fritsch: »Werden und Vergehen. Musikkonzeptionen im traditionellen Japan«

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Kalligrafie-Performance Shoko Hayashizaki, Kalligrafie-Meisterin Michael Hagemann, Clavichord

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Lecture Toshio Hosokawa:»Kalligrafie des Klangs«

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KO MPO N I STE N G E S P R ÄC H Samstag, 27. November 2021, 18:00 Uhr KUKO Weingarten, Staufersaal Rolf W. Stoll im Gespräch mit Toshio Hosokawa

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KONZERT IV Samstag, 27. November 2021, 19:00 Uhr KUKO Weingarten, Welfensaal

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» VOYA G E S I M A G I N A I R E S « Mayumi Miyata, Shō | Jeroen Berwaerts, Trompete | Xandi van Dijk, Viola | Münchener Kammerorchester, Ltg.: Gabriel Venzago Konzertmitschnitt

KONZERT V Sonntag, 28. November 2021, 11:00 Uhr PH Weingarten, Aula

»L ANDSCAPES« Arditti Quartet

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ESSAY

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Toshio Hosokawa

AUS DER TIEFE DER ERDE Musik und Natur (1995)

IN STA L L AT IO NE N 25. – 28. November 2021 PH Weingarten Do 14-17 Uhr | Fr 19-22 Uhr | Sa 10-13 Uhr | So 10-13 Uhr

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KÜNSTLER:INNEN

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FESTIVALRESTAURANTS

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© Rolf W. Stoll

DE R » WE G D ER M U S I K«


DER »WEG DER MUSIK« Der japanische Komponist Toshio Hosokawa Rolf W. Stoll

Die Töne sind Klang und Schweigen zugleich. Erklingend sind sie von einer tiefen Stille. Bashō, Mitte 17. Jh. Die Eismassen der Pole schmelzen in nie gesehener Geschwindigkeit, die extremen Wetterereignisse nehmen weltweit zu, Wasser, Luft und Erde sind zunehmend vergiftet, die Artenvielfalt schwindet Tag für Tag, die Regenwälder – die Lungen unserer Erde – werden in rasendem Tempo abgeholzt und die Menschen rund um den Globus werden durch ein pandemisch sich verbreitendes Virus und seine immer neu auftretenden Mutationen in Bann gehalten. Schon heute wird sichtbar, dass diese mit aller Wucht auf das »Raumschiff Erde« (Buckminster Fuller) aufschlagenden Veränderungen unserer Ökosphäre auch soziale Folgen zeitigt: die sich wandelnden klimatischen Bedingungen des globalen Südens, die zu Dürre- und Hungerkatastrophen und zu Verteilungskämpfen um die natürlichen Ressourcen Wasser, Nahrung, Rohstoffe und Land führen, lösen – neben instabilen politischen Verhältnissen, Krieg und Unterdrückung – gigantische Migrationsbewegungen aus; Impfstoffknappheit hat eine dramatische Unterversorgung der armen Länder zur Folge und der unstillbare Hunger der sogenannten Ersten Welt nach immer knapper werdenden Ressourcen sorgt für unmenschliche Arbeitsbedingungen und krasseste Formen ökonomischer Ausbeutung. Dass es unser eigenes Handeln ist, das nahezu sämtliche Subsysteme der Natur in Aufruhr gebracht hat und die Lebensverhältnisse auf unse-

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rem Heimatplaneten zunehmend gefährdet, ist eine inzwischen nicht mehr zu bestreitende Tatsache. »Anthropozän« nannten Paul Crutzen und sein Kollege Eugene Stoermer folgerichtig das Zeitalter, in dem der Mensch die lokalen und globalen Ordnungssysteme nicht nur beeinflusst, sondern zunehmend destabilisiert. Und Wissenschaftler, die mit der Erforschung des »Systems Erde« befasst sind, sprechen, wenn sie von den beobachteten Veränderungen vor allem seit 1945 berichten, von einer »big acceleration«. Der britische Geologe Jan Zalasiewicz fasst die Situation zusammen: »Wenn irgendwann in der Zukunft Aliens auf die Erde kommen und sich durch die Sedimente graben, werden sie über unsere Zeit sagen: Hier geschah etwas, das die Erde radikal verändert hat.« Diese radikale Veränderung hat vor langer Zeit schon eingesetzt. Sie ist Folge eines Naturverhältnisses, das die biblische Anweisung »Macht Euch die Erde untertan« mit der wachsenden Gier nach Profit zusammenbrachte und die Beziehung zur Welt als eine zu einem außerhalb unserer selbst bestehenden Objekts definierte anstelle eines ganzheitlichen Verständnisses, in dem der Mensch sich als Teil der Natur betrachtet und einen verantwortlichen Umgang mit deren Ressourcen pflegt. Musik kann all dies nicht thematisieren, noch weniger kann sie in irgendeiner Weise Abhilfe schaffen. Wozu sie aber in der Lage ist: Sie kann – wenn wir zu hören verstehen – uns die Bedrohung unserer existenziellen Situation gewahr werden lassen. Die Musik des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa hat genau dieses ganzheitliche Begreifen der Natur-Mensch-Beziehung zum Subtext. Unter Berufung auf die reiche Tradition Japans begreift er sein Komponieren als ein Komponieren im Einklang mit der Natur. »Ideale Musik«, sagt er, »ist für mich wie Naturgeräusch. Für mich ist Natur sehr wichtig. Ich habe reiche Erinnerungen an meine Kindheit, als mein Vater mir oft die schöne Natur gezeigt hat. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie ich mit der Natur zusammenleben könne. Diese Erinnerung ist für mich zentral: Wasser, Meer, Wolken, dies sind meine Inspirationsquellen. Mit Natur eins zu werden, dies ist mein musikalisches Thema – auch, weil wir diese Kultur verloren haben. Die alte japanische Kultur – ihre Gedichte, ihre Musik, ihr Tanz – war bestrebt, eins zu sein mit der Natur.» Zu bedenken ist dabei, dass das europäische und das japanische Naturverständnis sich fundamental voneinander unterscheiden. Während die


© Kazu Ishikawa

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Menschen in Europa Natur als etwas Äußerliches, der Kultur Entgegengesetztes begreifen – das als solches der schrankenlosen Aneignung offen steht –, sieht das traditionelle Japan Natur als einen untrennbar mit dem Menschen verbundenen Aspekt einer ganzheitlichen Auffassung von Kosmos und Welt – in den Worten Toshio Hosokawas: »Wir, die Menschen, sind selbst ein Teil der Natur. Wenn ich also Natur sage, so meine ich nicht nur äußerliche Phänomene wie Wellen, Wind, Meer, sondern ich meine auch die innere Natur. Das japanische Wort für Natur, shizen, meint eigentlich ›von selbst, von Natur aus‹ sein. In der Natur zu leben, bedeutet spontan zu sein, zu werden, was man ist, selbst Natur zu sein und zu werden. Es gibt kein Draußen, keine Natur, die wir begreifen müssten.«

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So sehr er sich auf Traditionen Japans beruft, so sehr ist Toshio Hosokawa doch zugleich ein Komponist, der die avanciertesten Mittel zeitgenössischen Komponierens, wie sie sich in Nordamerika und Europa herausgebildet haben, beherrscht und in seinen Stücken virtuos zur Anwendung bringt. Am 23. Oktober 1955 in Hiroshima geboren und aufgewachsen in einer an traditionellen Werten orientierten japanischen Familie (seine Mutter spielte die japanische Wölbbrettzither Koto, sein Großvater war ein Meister der Blumenkunst Ikebana), erhielt Hosokawa bereits als Vierjähriger Klavierunterricht. Nach dem Klavier- und Kompositionsstudium in Tokio ging er 1976 nach Deutschland. In Berlin erhielt er Unterricht bei lsang Yun (Komposition), Witold Szalonek (Musiktheorie) und Rolf Kuhnert (Klavier). Hier begegnete er – ein japanisches Ensemble war zu Gast in der Stadt – zum ersten Mal der traditionellen japanischen Hofmusik Gagaku. Ihre Frische und der Reichtum ihrer Klänge ergriffen ihn unmittelbar. Als er seine Studien bei Klaus Huber (Komposition) und Brian Ferneyhough (Analyse) fortsetzte, empfahl Huber ihm, sich mit der musikalischen Tradition seines Heimatlandes auseinander zu setzen – ein entscheidender Impuls, der den Komponisten seine bis zum heutigen Tag anhaltende Orientierung finden ließ. 1980 nahm Hosokawa erstmals an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt teil. Seitdem ist er als Composer-in-residence und Dozent auf allen wichtigen nationalen und internationalen musikalischen Festivals vertreten. Zu den bedeutendsten Interpreten seiner


Musik zählen der Cellist Julius Berger, die Pianistin Kaya Han, der Akkordeonist Stefan Hussong, die Shō-Meisterin Mayumi Miyata, das Arditti Quartet, das Ensemble Musikfabrik u.v.a. Für viele seiner Werke erhielt er Preise. 1989 gründete Hosokawa gemeinsam mit anderen jüngeren Komponisten Japans das »Akiyoshidai International Contemporary Music Seminar and Festival« in Yamaguchi, dessen künstlerischer Leiter er bis 1998 war. Seit 1990 ist er Dozent der »Ferienkurse« des Internationalen Musikinstituts Darmstadt. Seit 2001 ist er musikalischer Leiter des »Takefu International Music Festival« in Fukuj. 2004 wurde er als ständiger Gastprofessor ans Tokyo College of Music berufen. Hosokawa lebt in Nagano, Japan, und in Mainz. Die Befreiung von Ichgefühl und Egoismus, die der Zen-Buddhismus anstrebt, sind zentrale Zielsetzungen des kompositorischen Handelns von Toshio Hosokawa. In diesem Zusammenhang rückt er den Begriff des »Weges« (sino-japanisch dō) in den Mittelpunkt seiner Arbeit als Komponist, der grundlegend für die übrigen japanischen Künste ist: die Teezeremonie (sadō), die Kalligrafie (shodō), die Duftzeremonie (kōdō), die Blumensteckkunst (kadō) und die Kampfkünste Bogenschießen (kyūdō) und Schwertfechten (kendō). Die Prinzipien seiner traditionell japanisch grundierten musikalischen Ästhetik finden sich in der Landschaftsmalerei Japans – dort in der Ästhetik des »leeren Raums« – wie in der höfischen Gagaku-Musik, in der der hörbare Klang stets in einer Beziehung zum Nicht-Klang steht und zu einem zwischen diesen angesiedelten Konzept des ma (Zwischenraum). Im Musikzusammenhang bezeichnet ma die Zeit, die man abwartet, bevor man einen Ton oder eine zusammengehörige Tongruppe erklingen lässt. Dieses ma, der »leere« Raum, bildet in japanischer Vorstellung den Hintergrund des Universums. »Musik«, sagt Toshio Hosokawa, «ist der Ort, an dem sich Töne und Schweigen begegnen.« Komponieren versteht er als »eine Haltung, die man ausführt, um die Intensität des Schweigens zu vertiefen und nicht die Intensität der Klänge.« Nicht weniger essenziell für Hosokawas Komponieren sind die Atemlehre des Zen-Buddhismus und die Orientierung an der japanischen Kalligrafie, die sein Verständnis von Klang maßgeblich prägt: »Musik ist wie eine Kalligrafie durch Klänge, die auf der Leinwand des Schweigens

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gemalt wird.« An anderer Stelle berichtet er über die Instruktion, die er von Kakichi Kadowaki, einem Zen-Meister erhielt: »Der Beginn aus der vollen Konzentration und Inspiration heraus mit dem ersten Pinselstrich – das ist schon Schöpfung für uns. Der Beginn kommt aus dem Chaos: Handeln als Ordnen des Chaos. In der Kalligrafie heißt dieses Anfangen, dieses Sich-Öffnen konton kaiki (die ursprünglich chaotische Energie öffnen): Der Meister bestimmt einen Punkt in der Luft und bewegt von diesem konton kaiki-Punkt ausgehend den Pinsel, berührt das Papier und kommt dann wieder auf genau diesen Punkt in der Luft zurück. Nur Spuren dieser linearen Bewegung sind auf dem Papier zu sehen – sie sind der sichtbare Teil der Bewegung und genauso wichtig wie der unsichtbare Teil. Das habe ich in meiner Musik interpretiert als Klang und Schweigen. Der Klang entsteht aus dem Schweigen und kehrt wieder zum Schweigen zurück.« Damit ist die Kalligrafie, damit ist aber auch die Musik Toshio Hosokawas nahe an den Dramen der kosmogonischen Mythen, dem spirituellen Erbe der Menschheit, wie sie in vielen Kulturen erzählt werden: der Schöpfung der Welt, einer Kalligrafie, eines Musikwerks aus dem Chaos des Nichts und der Rückkehr dahin – einer Vorstellung, die einer der im europäischen Denken verankerten linearhomogenen Zeitvorstellung diametral entgegengesetzt ist und als Konzept einer »kreisenden Zeit« verstanden werden kann. In ihren rhythmischen Proportionen orientieren sich Hosokawas Kompositionen an der Atemlehre der Zen-Meditation mit ihrem sehr langsamen Aus- und dem ebenso langsamen Einatmen, die beide jeweils den »toten Punkt« berühren sollen: »Jeder Atemzug beinhaltet Leben und Tod, Tod und Leben. Im Sinne dieser kreisenden Zeit muss jeder Spieler atmen.« An der Tradition orientieren sich auch die lang anhaltenden Klänge, die kennzeichnend für Hosokawas Musik sind – etwa an den überlieferten Kompositionen für die Mundorgel Shō, deren Akkorde keinerlei funktionsharmonischer Entwicklung folgen. Auf der Suche nach einer eigenständigen Musiksprache hat sich Hosokawa dem Studium des Zen-Buddhismus, den Techniken des buddhistischen Mönchsgesangs Shōmyō und dem Spiel der Bambusflöte Shakuhachi, die zen-buddhistischen Mönchen zur Meditation dient, sowie der Shō, die der höfischen und rituellen Sphäre entstammt, zugewandt. Intensiv hat er sich darüber hinaus mit Gagaku (wörtlich: »elegante Musik«) befasst. All diese Erfahrungen hat er mit den Kenntnissen, die


er im Studium der europäischen Musik erworben hat, zu einem eigenständigen musikalischen Idiom amalgamgiert. Er ist damit zu einem Grenzgänger zwischen Zeiten und Kulturen geworden: »Ich sehne mich stark nach Europa, aber gleichzeitig empfinde ich mich der japanischen Tradition zugehörig und schaffe meine Musik auf der Grundlage der langen kulturellen Tradition Japans. Hier liegen meine geistigen und psychischen Wurzeln«. »Als Komponist«, so Toshio Hosokawa, »möchte ich etwas ausdrücken, das wir bereits verloren haben.« In seiner Musik erinnert er uns an diese Welt des unwiederbringlich Verlorenen … an die verlorene Idylle – als künstlich bzw. künstlerisch vergegenwärtigte Vergangenheit. Und vielleicht haben wir seine Musik als eine Mahnung zu verstehen: nicht noch mehr aufs Spiel zu setzen. n

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» S A KU R A «


Freitag, 26. November 2021, 18:00 Uhr, Ev. Stadtkirche Weingarten

»SAKURA« Toshio Hosokawa Sen VI für Percussion Toshio Hosokawa Sakura für Otto Tomek für Shō solo Gagaku Chōshi für Shō solo John Cage One9 für Shō solo Toshio Hosokawa Birds Fragments II für Shō solo John Cage Two4 für Shō und Violine Shuho Hananofu, Ikebana-Meisterin Mayumi Miyata, Shō | Irvine Arditti, Violine Vanessa Porter, Percussion Ikebana – wörtlich: lebende Blumen (ike von ikeru = Leben; bana = Pflanzen) – ist neben den anderen Künsten, beispielsweise der Kalligrafie, dem Bogenschießen oder der Teezeremonie eine Kunstform, die sich ausschließlich in Japan entwickelt hat. Die Natur in den Lebensraum des Menschen zu bringen und die Verbundenheit des Menschen mit der kosmischen Ordnung zu zeigen, ist Aufgabe des kadō (Weg der Blumen), wie die die meditative Form des Ikebana genannt wird. Linearer Aufbau, Rhythmik und Farbe sind die wesentlichen Elemente eines solchen Arrangements. Die meisten Formen des kadō basieren auf den drei Linien shin, soe und tai, die Himmel, Erde und Menschheit symbolisieren. Eine Reihe von Werken Hosokawas trägt Titel, die auf Blumen verweisen, etwa die Streichquartette Blossoming, Floral Fairy und Silent Flowers, das Streichquintett Stunden Blumen oder das Horn-Stück Kleine Blume. »Ikebana«, so Toshio Hosokawa, dessen Großvater ein Meister dieser Kunstform war, »ist die Kunst, auf dem Feld wachsende und blühende Blumen abzuschneiden und im Haus aufzustellen – nicht als üppigen Strauß zur bloßen Dekoration, sondern in einem wohlüberlegten Arrangement vor einem ausgewählten Hintergrund als Symbol des Lebens. Die Blumen sind bereits geschnitten, so dass sie sich nicht lange halten. Im Hintergrund

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Toshio Hosokawa Birds Fragments II für Shō solo (1989) | Partitur, Seite 6 © Schott Music Co. Ltd., Tokyo


lauert also schon ihr Tod. Wir Japaner empfinden das kurze Leben einer Blume, die in dieser Flüchtigkeit in Würde blüht, als schön.« Toshio Hosokawas Sakura für Otto Tomek für Shō solo (2008) bezieht sich auf ein sehr altes japanisches Volkslied, mit dem die Kirschblüte, die in Japan im März beginnt und den Beginn des Frühlings markiert, besungen wird. Die Kirschblüte, die eines der wichtigsten Symbole der japanischen Kultur ist, steht für Schönheit und Vergänglichkeit. Gagaku Chōshi für Shō solo ist ein etwa 1200 Jahre altes Stück der höfischen Musik Gagaku. John Cages One9 für Shō solo stammt aus dem Jahr 1991. Es gehört zu Cages »Number Pieces« und wurde für Mayumi Miyata geschrieben. One9 (»one nine«) ist das neunte Stück für eine/n Spieler:in. Es hat zehn Sätze mit einer maximalen Gesamtdauer von 121 Minuten. Die/der Spieler:in ist frei, eine Auswahl aus diesen Sätzen zu treffen. Toshio Hosokawas Birds Fragments II für Shō solo (1989) ist eine Reihe von Werken, zu denen Hosokawa durch den Besuch in der TOM-Galerie, einem Museum für Sehbehinderte, inspiriert wurde. »Besonders beeindruckt haben mich Skulpturen, die aus der starken und geheimnisvollen Vorstellungskraft blinder Schüler einer japanischen Schule entstanden sind. Blinde Kinder haben noch nie Vögel gesehen. Sie drückten in Ton ihre eigenen ›Vögel‹ aus, wie sie sie sich vorgestellt hatten, indem sie echte Vögel berührten, oder aus Gedichten, Geschichten oder Liedern erinnerten. Ich dachte daran, wie sehbehinderte Kinder versuchen, musikalische Formen zu erfinden, indem sie die Klänge berühren.« John Cages Two4 für (Klavier) Shō und Violine (1991) nutzt ausschließlich flexible »time brackets« (Zeitklammern). Bezeichnet sind hier Zeiträume, innerhalb derer die Spieler:innen in eigener Entscheidung einen Klang beginnen und enden lassen. Die Violinstimme ist mikrotonal und besteht zum größten Teil aus langen Klängen. Das Stück ist dreisätzig. Die Klavier- bzw. Shō-Stimme enthält meist kurze Klänge und ist viersätzig. Da Shuho Hananofu aus Gründen der Pandemie nicht nach Weingarten reisen konnte, hat sie ihre Performance exklusiv für dieses Konzert des Festivals w e i t ! neue musik weingarten 2021 in Japan aufgezeichnet. Der Film wird im Rahmen des Festivals uraufgeführt.

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»FLOWERS & R AVEN«


Freitag, 26. November 2021 | 20:30 Uhr | PH Weingarten, Aula

»FLOWERS & RAVEN« Toshio Hosokawa Silent River für Viola, Klarinette, Horn, Posaune & Klavier Toshio Hosokawa Kleine Blume für Horn solo Toshio Hosokawa Lied für Flöte und Klavier Toshio Hosokawa Voyage VIII für Tuba und Ensemble Toshio Hosokawa The Raven – Monodrama für Mezzosopran und 12 Spieler nach Edgar Allan Poe Christina Daletska, Mezzosopran | Christine Chapman, Horn | Melvyn Poore, Tuba Ensemble Musikfabrik, Ltg.: Natalia Salinas Konzertmitschnitt

Silent River für Viola, Klarinette, Horn, Posaune & Klavier (2016) ist in seiner Besetzung eine Hommàge an Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps. Das Stück wurde für das Ensemble Musikfabrik geschrieben. »Ich möchte Musik erleben, indem ich fühle, dass sie wie ein Fluss ist … als würde ich an einem Fluss sitzen und seinem Fließen lauschen. In seinem Strömen wird in jeder Sekunde neues Leben geboren und vergeht. Etwas Neues beginnt und endet, es endet und beginnt wieder als etwas Neues. Ich möchte dieses Fließen im Klang der Musik ausdrücken. Indem wir feststellen, dass der Klang selbst die Quelle der Lebensenergie ist, und diese Energie spüren, können wir die kosmische Energie erfahren. Die Energie des Atems, der in jeder Sekunde erzeugt wird, erzeugt den Klangfluss und verwandelt ihn allmählich.« Kleine Blume für Horn solo wurde 2011 zum 50. Geburtstag des Freundes Michael Haefliger, Musikdirektor des Lucerne Festivals, komponiert und von Stefan Dohr im Guggenheim Museum Bilbao uraufgeführt. »Ich komponierte das kleine Stück auf der Grundlage musikalischer Hauptelemente des Hornsolos aus meinem Hornkonzert Moment of Blossoming.

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Toshio Hosokawa Silent River für Klarinette, Viola, Horn, Posaune & Klavier (2016) | Partitur, Seite 22 © Schott Music Co. Ltd., Tokyo


Ich wollte darin die Form des Lebens ausdrücken, das der der Lotusblume gleicht, die still aus der Knospe erblüht. Lied (2007) Die geforderten modernen Spieltechniken dieses sehr virtuosen Stückes erschließen dem Interpreten und dem Hörer eine farbige, differenzierte Klangwelt mit schnell wechselnden musikalischen Ereignissen. Sie spiegeln die Vorliebe fernöstlicher Musik für naturbezogene Bildhaftigkeit – die Flöte steht für den Menschen, das Klavier für das Universum – wider, die auch für das Werk Toshio Hosokawas charakteristisch ist. Voyage VIII für Tuba und Ensemble (2008) wurde angeregt durch den tiefen Gesang tibetischer Mönche. Für Toshio Hosokawa symbolisiert der Solist den Menschen, der sein Lied an das ihn umgebende Universum richtet, das ihm antwortet und seinen Gesang reflektiert. Diesen Wechselgesang bezeichnet Hosokawa als »Voyage«; Ziel der Reise ist die Einheit zwischen Mensch und Universum. Voyage VIII ist Melvyn Poore gewidmet. The Raven (2011-2012) handelt von einem Mann, der von der Erinnerung an seine verstorbene Geliebte und dem Auftauchen eines Raben besessen ist. Die ursprünglich männliche Hauptrolle wird von Hosokawa in eine weibliche verwandelt und mit einem Mezzosopran besetzt. Hosokawa versteht sie als Schamanin, die sich zwischen dem Diesseits und der jenseitigen Welt bewegt und mit den Seelen der Toten und den Geistern von Tieren kommuniziert. »Als ich The Raven von Edgar Allan Poe las, erinnerte es mich an japanische Nō-Theaterstücke. Deren Blick auf die Welt ist nicht anthropozentrisch; einige der Hauptcharaktere im Nō sind vielmehr Tiere und Pflanzen, andere sind übernatürliche Geister. Poe beschrieb den Prozess des Zusammenbruchs der modernen Welt als Konsequenz einer ›Invasion‹ dieser Welt durch ein seltsames Tier, das in einer anderen Dimension lebt – den Raben. Ich habe für die Vertonung dieses Gedichts die dem Nō-Theater nahe Form des Monodrams für Mezzosopran und Ensemble gewählt.«

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© Rolf W. Stoll

» D E E P S I LE NC E «


Samstag, 27. November 2021 | 11:00 Uhr | PH Weingarten, Aula

»DEEP SILENCE« Gagaku Banshikichō no chōshi Toshio Hosokawa Cloudscapes – Moon Night für Shō and Akkordeon Gagaku Oshikichō no chōshi Toshio Hosokawa Sen V für Akkordeon solo Gagaku Hyōjō no chōshi Toshio Hosokawa Wie ein Atmen im Lichte für Shō solo Gagaku Ichikotsuchō no chōshi Mayumi Miyata, Shō | Stefan Hussong, Akkordeon // 25 Die japanische Mundorgel Shō, die die chinesische Sheng zum Vorbild hat, ist seit dem 9. Jahrhundert nachweisbar. Ihr Klang – so die überlieferte Anschauung – imitiert den Schrei des Phönix, dessen Gestalt sie auch nachgebildet sein soll. Die Shō ist das Instrument der Dauer. Ihr Klang steht für den kontinuierlich-statischen Klang der Ewigkeit. In der japanischen Tradition bildet sie (ähnlich der Tanpura in Indien) den »goldenen Grund« der japanischen Hofmusik Gagaku, einer rituellen Musik, die seit 1200 Jahren unverändert geblieben ist. In einer Windkapsel, in der sich auch das Anblas-Mundstück befindet, stecken 13 Bambusrohre, die mit durchschlagenden Zungen ausgestattet sind. Das Schließen der Löcher bewirkt, dass diese Zungen durch den Luftstrom angeregt werden und der Klang entsteht. Zu einem Gagaku-Ensemble gehören in der Grundbesetzung mehr als zehn Instrumente: zwei oder drei Mundorgeln (Shō), Hichiriki (Doppelrohrblattinstrument) und Querflöten (Ryūteki). Dazu gesellen sich zwei Zithern (Gakusō/Koto) und Lauten (Gakubiwa). Eine Kakko (Zylindertrommel) und ein Bronzegong (Shōko) sowie ein Taiko (hängende Trommel) ergänzen das Ensemble. Je nach Stil werden verschiedene Instrumente ausgetauscht. In allen Formen der Vokalmusik kommen nur höl-


zerne Rhythmusstäbe (Shakubyōshi) zum Einsatz. Mayumi Miyata spielt den Shō-Part des jeweiligen Gagaku-Stücks. Die Klänge von Shō und Akkordeon, von dem Hosokawa sagt, es sei eine Art großer europäischer Shō*, verschmelzen im Konzert von Mayumi Miyata und Stefan Hussong auf einzigartige Weise – dies wird erreicht durch den Ausgleich der Lagendisposition zwischen beiden: die Klänge des Akkordeons wurden um eine Oktave nach oben transponiert. »Wenn die Shō zu spielen anfängt, breitet sich ihr Klang aus und füllt den ganzen Raum, und man weiß nicht, woher die Töne kommen.« Diese Ungerichtetheit des Klangs, die auch ein Freisein von jeglicher intentionaler Vorstellung meint, schätzt Hosokawa. Er komponiert den anhaltenden Klang, der sich stets entlang der Grenze zur Stille, zum Nicht-Klang bewegt. Die Absicht dabei: Das Zusammenspiel der beiden Ateminstrumente Shō und Akkordeon soll den Hörer »in einen würdevollen Zustand des Nichts« versetzen. 26 //

* Am 23. Mai 1829 erhielt der Wiener Klavier- und Orgelbauer Cyrill Demian ein Patent »auf die Erfindung eines neuen Instrumentes, Accordion genannt«. Das Prinzip der Klangerzeugung, das der Erfindung Demians zueigen ist, ist allerdings eines, dessen Gebrauch zuvor schon in ganz Südostasien, namentlich in China, verbreitet war, wo die Shō seit den Zeiten der ersten Kaiser erklungen sein soll.


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Toshio Hosokawa Cloudscapes – Moon Night für Shō und Akkordeon (1998), Partitur, Seite 4 © Schott Music Ltd., Tokyo


© Rolf W. Stoll

VO RT R AG PERFOMANCE LE CT U R E


Samstag, 27. November 2021 | 14:30 Uhr | PH Weingarten, Festsaal

VORTRAG – PERFORMANCE – LECTURE Vortrag Ingrid Fritsch: »Werden und Vergehen. Musikkonzeptionen im traditionellen Japan« Albert Einstein hat einmal gesagt, »Raum und Zeit sind Denkweisen, die wir benutzen. Raum und Zeit sind nicht Zustände, unter denen wir leben«. Beide Kategorien sind demnach nicht etwas an sich Existentes, sondern funktionieren in unterschiedlichsten Vorstellungen. Wenn wir mit einer Zeit- oder Raum-Kunst (Musik, Malerei etc.) konfrontiert werden, erfassen wir sie erst einmal innerhalb des konventionellen CodeSystems unserer eigenen Kultur. Zum adäquaten Verständnis jedes Kulturguts ist jedoch die Kenntnis der relevanten Vorstellungswelt notwendig – der Einblick in die ›kognitiven‹ Prozesse und Strukturen, die die Erscheinungsformen der betreffenden Kunst geprägt haben. Im Vortrag werden ästhetische Konzeptionen des traditionellen Japans vorgestellt, die auch für viele Vertreter der heutigen Avantgarde von Bedeutung sind.

Kalligrafie-Performance Shoko Hayashizaki | Michael Hagemann, Clavichord »Kalligrafie«, so der Religionswissenschaftler Michael von Brück, »ist ein schöpferischer Vorgang, bei dem mehrere Resonanzräume wechselseitig in Schwingung geraten: zum einen der vom Atem bewegte Körper des Künstlers, der seine Bewegung in die dynamischen Formen der Kalligrafie überträgt, zum anderen die Resonanz in der aufmerksamen Haltung des Betrachters, indem er sich von den kalligrafischen Formen in eine Bewegung des Geistes versetzen lässt …«

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Im Dialog von Pinsel und Clavichord werden verschiedene Phasen von der Vorbereitung bis zur Ausführung eines shō (= Schriftzeichen) akustisch und visuell wahrnehmbar. Linien, Leere, Formen, Brüche, Räume und die Faktur des Pinselstrichs sind Ausdruck und Ergebnis des aus der Kraft der Anspannung senkrecht von oben auf das Papier treffenden Pinsels. Der Moment des Schreibens hebt die semantische Bedeutung des shō durch die künstlerische Aktion auf eine meditative Ebene. Mit dynamischem Schwung, variablem Druck und bis zum Endpunkt gegen den Widerstand der Papieroberfläche reibenden Borsten entsteht ein gelebter Augenblick. Die Konzentration auf die zarten Klänge des Clavichords befreit das Publikum aus der Rolle des reinen Beobachters. Das wache Hören korrespondiert mit der mentalen und emotionalen Vorbereitung der Künstlerin auf ihrem Weg des Schreibens (shodō).

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Michael Frank Hagemann 0751*/512172431 für Pinsel und Clavichord (*variabler Titelbestandteil)

Lecture Toshio Hosokawa:»Kalligrafie des Klangs« Hosokawas Lehrer und Mentor in Deutschland Isang Yun hat über östliche Musik gesagt: »In der europäischen Musik wird ein Klang zum ersten Mal lebendig, indem er eine Reihe bildet; jede Note ist relativ abstrakt. In der östlichen Musik hat der Ton bereits ein Leben in sich selbst. Unser Klang kann als ein Pinselstrich der Kalligrafie beschrieben werden, und das ist er auch – im Gegensatz zu einer Linie, die mit einem Zeichenstift gezeichnet wurde. Jeder Ton entwickelt sich ab dem Zeitpunkt, an dem er zu erklingen beginnt und bis er aufhört. Jede Note hat ein Ornament, eine Anmut, ein Knurren, ein Glissando und eine Veränderung der Dynamik. Alles in allem wurde jede natürliche Klangbewegung als Formungsmethode bewusst.« Toshio Hosokawa fügt hinzu: »Was Yun sagen wollte, war – mit anderen Worten – ein Klang in der östlichen Musik stellt, sobald er geboren ist, eine kalligrafische Linie dar und verändert in seiner weiteren Entwicklung sein individuelles Leben. Yun schuf seine einzigartigen Werke,


indem er von starken, kühnen Linien und der Anmut der traditionellen koreanischen Vokalmusik ausging. Meine Musik ist eine Erweiterung dieses musikalischen Gedankens von Isang Yun.« Die Gesangstradition der traditionellen japanischen Musik – beispielsweise des buddhistischen Gesangs Shōmyō – orientiert sich ebenfalls an der Kalligrafie; die Gesangslinie wird wie mit einem Pinselstrich in den Raum gezeichnet. Auch die Linien der »Drachenflöte« Ryuteki und des Doppelrohrblattinstruments Hichiriki, die die Hauptmelodie im japanischen Gagaku übernehmen, orientieren sich an dieser Art Pinselstrich.

Samstag, 27. November 2021 | 18:00 Uhr | KUKO Weingarten | Staufersaal

KOMPONISTENGESPRÄCH Rolf W. Stoll im Gespräch mit Toshio Hosokawa // 31


© Rolf W. Stoll

» VOYAGE S IMAG I NA I R E S «


Samstag, 27. November 2021 | 19:00 Uhr | KUKO Weingarten, Welfensaal

»VOYAGES IMAGINAIRES« George Benjamin: Canon and Fugue aus Johann Sebastian Bachs »Die Kunst der Fuge« BWV 1080 Toshio Hosokawa Ceremonial dance für Streichorchester Toshio Hosokawa Voyage VI für Viola und Streichorchester Toshio Hosokawa Landscape V für Shō und Streichorchester Toshio Hosokawa Voyage VII für Trompete und Streichorchester Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 59 »Feuer« Mayumi Miyata, Shō | Jeroen Berwaerts, Trompete | Xandi van Dijk, Viola Münchener Kammerorchester, Ltg.: Gabriel Venzago Das Konzert mit Gabriel Venzago wird im Rahmen der Künstlerliste MAESTROS VON MORGEN – eine Initiative des DIRIGENTENFORUMs des Deutschen Musikrates – aus Fördermitteln der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL) unterstützt. Konzertmitschnitt

Canon and Fugue aus Johann Sebastian Bachs »Die Kunst der Fuge« BWV 1080 (um 1748) Fassung für Kammerorchester von George Benjamin (2007) Die Kunst der Fuge ist eine Sammlung von Kompositionen – 14 »Contrapunctus« genannte drei- und vierstimmige Fugen und vier zweistimmige Kanons – über ein Thema, dessen Möglichkeiten im Verlauf des Werks systematisch erforscht werden. Im Zusammenhang von Bachs Mitgliedschaft in der Mizler’schen Sozietät erweist sich die »Kunst der Fuge« als ein vollkommen auf der pythagoräischen Philosophie gegründetes Werk. Bachs Kanons spielen auf die Harmonie der Sphären des Pythagoras an; sein Begriff von der »Fuge« folgt der Plotin’schen Symbolik, die die Fuge als »Rückkehr der Seele zu Gott» bzw. »Loslösung der Seele von der Materie« betrachtet. George Benjamins Instrumentierung, »Canon and Fugue« übertitelt, sind Bearbeitungen des »Canon in

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Hypodiapason« und des »Contrapunctus VII« aus der Kunst der Fuge BWV 1080 für Flöte, zwei Hörner, drei Violinen, zwei Violen und Violoncello. Ceremonial dance für Streichorchester (2000), so Toshio Hosokawa, »knüpft an die langsame, bewusste Bewegung in Tanz und Musik des Gagaku an. Im Gegensatz zum westlichen Tanz, der auf den Himmel zielt, indem er der Schwerkraft widersteht und auf geometrischen Bewegungen basiert, pflanzt der alte japanische Tanz, anstatt der Schwerkraft entgegenzuwirken, die untere Körperhälfte fest auf die Erde und hat die Fähigkeit, sich im Einklang mit der langsamen Bewegung der Erde und des Universums zu bewegen. Die Bewegung des Körpers vereint sich mit der Kraft, die zum Zentrum des Universums fließt.«

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Voyage VI für Viola und Streichorchester (2002) Voyage VII für Trompete und Streichorchester (2005) Seit 1997 arbeitet Toshio Hosokawa an seiner Werkreihe Voyages, die inzwischen zehn Stücke umfasst. In jedem dieser Stücke tritt ein anderes Soloinstrument in einen Dialog mit einem Ensemble. Der Solist (Mensch), tritt mit dem Ensemble (Universum) in Zwiesprache. Gemeinsam begeben sich auf eine Reise zu sich selbst und in das Innere des Klangs. Ziel ihrer Reise ist das Einswerden von Mensch und Universum. Landscape V für Shō und Streichorchester (ursprüngliche Fassung: Shō und Streichquartett, 1993) ist eine der ruhigsten Kompositionen Hosokawas. Das Stück zeigt sich beeinflusst von der monochromen Farbfeldmalerei Mark Rothkos: »Als ich Landscape V komponierte, habe ich an diese Rothko-Bilder gedacht – zwei ähnliche Farben für das Soloinstrument und die Streicher, die zusammenkommen, die verschmelzen. Angestrebt ist eine Monochromie aus »Klangwolken, die sich aus dem Dunst entwickeln, einander begegnen, zusammenfließen und sich durchdringen.« Joseph Haydns Sinfonie Nr. 59 »Feuer« besitzt einen dramatisch-extrovertierten Charakter. Früh schon wurde darüber gemutmaßt, ob das Werk als Bühnenmusik entworfen wurde. Die Bezeichnung »Feuer« findet sich lediglich als ein eher unscheinbarer Vermerk auf einer Dublette von Violino I in einer Wiener Stimmenabschrift. Die ursprüngliche Besetzung des Werks lautet: zwei Oboen, zwei Hörner, zwei Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass, wobei zur Verstärkung der Bassstimme damals – ohne eigens notiert zu werden – Fagott und Cembalo-Continuo eingesetzt wurden.


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Toshio Hosokawa Voyage VII für Trompete, Streicher und Percussion (2005) | Partitur, Seiten 24f. © Schott Music Co. Ltd., Tokyo


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»L ANDSCAPES«


Sonntag, 28. November 2021 | 11:00 Uhr | PH Weingarten, Aula

»LANDSCAPES« Toshio Hosokawa Landscape I für Streichquartett Toshio Hosokawa Threnody for the victims of Tsunami für Viola solo Toshio Hosokawa Blossoming für Streichquartett Toshio Hosokawa Small chant für Violoncello solo Toshio Hosokawa Silent Flowers für Streichquartett Toshio Hosokawa Extasis für Violine solo Toshio Hosokawa Passage für Streichquartett Arditti Quartet Die Werkreihe der Landscapes wird 1992 mit Landscape I, Hosokawas zweitem Streichquartett, eröffnet. Landscape I erinnert in seiner Faktur an Luigi Nonos Fragmente – Stille, An Diotima. Das Stück – eine zerklüftete Klanglandschaft – zeigt vertikal akzentuierte Sinneinheiten, die sich von diffusen Hintergründen abheben und immer wieder in langen Fermaten ausklingen. Die Uraufführung 1992 in Tokyo spielte das Arditti Quartet. Threnody for the victims of Tsunami für Viola (2012) lehnt sich im Titel an Krzysztof Pendereckis Threnody für die Opfer von Hiroshima an. Diese Trauermusik nimmt Bezug auf die Verheerungen des Atombombenabwurfs auf Hosokawas Heimatstadt. Die Vortragsanweisung zu Beginn des Stücks lautet: »With deepest regret«. Das Stück entwickelt sich in immer neuen, immer heftigeren Schüben vom sprachlos-stillen Beginn schließlich zu einem Aufschrei des Schmerzes in einer sul ponticello gespielten Kadenz. Über Blossoming für Streichquartett (2007), in dem er kompositorische Zwiesprache mit der Natur hält, sagt Hosokawa: »Die Wurzeln der Lotospflanze liegen unter der Oberfläche des Sees tief im Erdreich; von dort wachsen die Stengel durch das Wasser zur Oberfläche hin. Die

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Knospe erblüht in der Morgensonne. Der Ton B, mit dem das Stück beginnt, steht für die sanfte Bewegung der Wasseroberfläche. Die tiefen Register symbolisieren die Vorgänge unter Wasser, die noch tieferen stehen für den Grund des Teichs. Sobald die Knospe die Oberfläche des Teichs, das B, erreicht hat, wärmt sie der Schein der Morgensonne und sie singt von ihrer Sehnsucht nach dem Erblühen. Die Blume und ich, wir sind eins; das Erblühen steht auch für meine innere Entwicklung.» Small chant für Violoncello solo (2012) bezieht seine Anregungen aus dem buddhistischen Mönchsgesang Shōmyō, der in Japan seit 1200 Jahren praktiziert wird. Diese Gesangstechnik, so Hosokawa, »moduliert die Melodielinie so behutsam wie der Strich des Pinsels (die Linie) in der Kalligrafie«. Mikrotonal dahinfließende Bewegung trifft hier auf fast konsonant geschichtete vertikale Klänge. Das Stück erscheint wie eine Synthese europäischer und asiatischer Klangvorstellungen.

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Silent Flowers für Streichquartett (1998) ist von der Kunst des Ikebana inspiriert, die Hosokawas Großvater beherrschte. Der japanische Philosoph Nishitani Keiji schreibt darüber: »Die Blumen für Ikebana werden von lebenden Blumen geschnitten. Im Hintergrund steht der Tod bereit. Dadurch erscheint die Kostbarkeit des Lebens noch schöner und zerbrechlicher. Das Leben dauert nicht ewig; es ist flüchtig und vergeht, doch gerade deshalb ist es schön. Solche Gedanken über die Zeit gibt es in allen traditionellen Künsten Japans. […] Die Bildung eines Klangs kann keine Ewigkeit schaffen, denn der Klang entsteht aus der Stille und muss in die Stille zurückkehren, aus der er kam.« Extasis für Solovioline wurde 2015/2016 für die Geigerin Sayaka Shoji komponiert. »Für mich liegt die ursprüngliche Form der Musik im Schamanismus. Schamanen singen um zu beten, um mit einer anderen Welt zu kommunizieren. Die Solovioline ist für mich eine Miko – eine Schamanin des Shinto-Schreins. Sie benutzt die Geige als Erweiterung ihrer Stimme, ihres Singens. Indem sie singt, versucht sie sich mit der immensen Energie des Universums zu vereinen, die in ihr und außerhalb ihrer selbst fließt. Exstase bedeutet, über sich selbst hinauszugehen. Es ist der Wunsch, die Ordnung des gewöhnlichen Lebens zu verlassen; es bedeutet, das Ego zu verlassen. Vom Spieler (Miko) zum Raum und zur Leere hat der Klang der Geige Formen, die denen des Pinselstrichs einer Kalligrafie ähnlich sind.« Das Stück wurde 2020 vom Komponisten überarbeitet.


Passage für Streichquartett wurde 2019 für das Arditti Quartet geschrieben. Obwohl Hosokawa ähnlichen Mustern wie in seinen vorherigen Werken folgt, scheint sich seine Sprache weiterentwickelt zu haben. Mit seinen lyrischen Abschnitten ähnelt es dem früheren Blossoming – erweitert um mikrotonale Klangbildungen.

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Toshio Hosokawa Landscape I für Streichquartett (1992) | Partitur, Seiten 5 © Schott Music Co. Ltd., Tokyo


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» AU S DE R T I E FE D E R E R DE … «


AUS DER TIEFE DER ERDE Musik und Natur (1995) – Auszug Toshio Hosokawa

Ein Komponist braucht Töne, er verwendet das Tonmaterial zum Komponieren. Wenn man jedoch »Töne« sagt, denkt man sich die Töne, die bereits als musikalische Töne vorbereitet sind, in erster Linie die Töne der Musikinstrumente wie Violine, Flöte, Klarinette, Klavier. Wenn ich diese Instrumente auch für meine Musik verwende, erprobe ich viele neue Spielweisen und suche nach neuen Klängen, die es bisher nicht gegeben hat. Dabei verwende ich oft Klänge, die bisher als Geräusche eher vermieden wurden. Trotzdem hatte ich über die Klänge der Natur und meine eigene Musik noch nicht tiefer nachgedacht. Häufig wendete ich neue Spieltechniken an, weil ich Interesse an der Bedeutung hatte, die ihnen in den Kreisen der zeitgenössischen Musik zukommt, an der Verfremdung von Tönen und an der Entdeckung neuer Instrumentalklänge, die es bisher nicht gegeben hatte. Auch die Spielweise mit Atemgeräuschen, die beispielsweise oft in meinen Flötenkompositionen vorkommt, stand unter dem Einfluss der japanischen ShakuhachiMusik. Ich denke, dass ich diese Technik der Atemgeräusche wie viele japanische Komponisten in den gleichen Kontext eingesetzt habe, mit dem Unterschied, dass sie nicht darüber nachdenken, was für eine Bedeutung die Atemgeräusche in der Shakuhachi-Musik haben, sondern nur Musik in japanischem Stil schreiben wollten. Einfach die Klänge, so wie sie sind, aus der Natur zu nehmen und daraus eigene Musikwerke zu schaffen, ein solches Gefühl hat es bei mir bisher nicht gegeben und gibt es bis jetzt nicht. Mein Interesse ist: Wie höre ich die Klänge der Natur? Die Frage weist auf meine Beziehung zur Natur hin. Sie scheint eine andere zu sein als zum Beispiel die Haltung, mit der Beethoven, ergriffen von der Natur, seine »Pastorale« schrieb oder Messiaen Vogelstimmen in Noten setzte und die Musik zur Vollendung brachte.

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Wie man Töne hört, weist sehr deutlich auf das Leitbild der Kultur eines Volkes hin und weiter auf die Art und Weise der Beziehung dieses Volkes zur Natur, denke ich. Selbst wenn es die gleichen Töne sind, werden sie von jedem Volk anders rezipiert. Ich frage, wie diese Rezeption beschaffen ist. Und wie kann ich sie weiterentwickeln? Ich finde, dass es die Rolle des Komponisten ist, in einer engen Beziehung zur Natur über Konventionen hinaus eine Entwicklung dieser Rezeption zu bewirken. Bisher habe ich in einigen Vorträgen über meine Musikanschauung, über die Art und Weise, wie ich Klänge höre und wie ich die Musik begreife im Zusammenhang mit Haikus von Bashō gesprochen. Auch diesmal möchte ich wieder als Beispiel ein Gedicht bringen, in dem Bashō über den Klang gesprochen hat: Shizukasa ya iwa ni shimiiru semi no koe 42 //

Stille – tief in den Felsen dringt das Sirren der Zikaden

In diesem berühmten Gedicht werden die Laute der Zikaden als »Stille« bezeichnet. Bekanntlich ist das Sirren der Zikaden etwas sehr Lautes und eigentlich kein Klang, den man als äußerste Stille empfindet. Jedes Jahr veranstalte ich in Akiyoshidai in der Präfektur Yamaguchi das Internationale Akiyoshidai-Seminar mit Musik des zwanzigsten Jahrhunderts. So gibt es jeden Sommer Ende August in dem von Natur umgebenen Ort Akiyoshidai das Seminar und Konzerte im Austausch mit vielen Gästen aus dem Ausland. Was die Gäste aus Übersee aber jedesmal zuallererst bemerken, wenn sie Akiyoshidai betreten, ist die Klangfülle von verschiedenen Zikadenarten draußen in der Natur. Bei einer besonders seltenen japanischen Zikadenart wie der Tsukutsukubôshi fragte ein Teilnehmer aus Frankreich, der diesen Sommer gekommen war: »Was ist das für ein Vogel?« und sagte weiter: »Das würde ich gern Messiaen im Himmel hören lassen!« In diesem Bashō-Gedicht steht, dass sich die Stimmen der Zikaden tief in den Felsen bohren. Es ist ein Klang, der tief in den Erdboden, das heißt in den Felsen, eindringt. Und die Stimmen der Zikaden erschallen über die ganze Erde und füllen das gesamte Universum. Bashō nannte in seinem Gedicht diesen Klang der Welt »Stille«, um ihn aus einer anderen Dimension zu betrachten. Der Klang der Welt, der über die Erde schallt, befindet sich im Innern der großen Stille.


© Kazu Ishikawa

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Ich kann mich von meiner Jugendzeit her an den weithin schallenden Klang der Zikaden erinnern. Unter blauem Himmel, wenn die Sonne im Hochsommer fast schmerzhaft brennt, ertönen die Zikadenstimmen. Ich selbst, klein, mit einem Strohhut als Kopfbedeckung, werde von der hochsommerlichen Sonne beschienen und werfe einen dunklen Schatten auf den Erdboden. Wenn ich eine solche Landschaft in das Wort »Stille« hineinzulegen versuche, lassen die Stimmen der Zikaden den mythischen, tiefen Klang noch stärker empfinden. Vermutlich komponiere ich, indem ich nach einem solchen »Tongedächtnis« suche und nach »Tönen, die sich tief in den Körper eingemeißelt haben«. Als Beispiel gebe ich noch ein weiteres Gedicht von Bashō: Yagate shinu keshiki wa mienu semi no koe 44 //

Bald werden sie sterben ohne die Landschaft zu sehen Stimmen der Zikaden

Hier wird durch die Zikadenstimmen auf die Welt nach dem Tod, die Welt der Dunkelheit angespielt. Es wird eine Welt angedeutet, die das Sehvermögen übersteigt, das heißt, die Landschaft ist nicht zu sehen, eine Welt am Ende der Zeit, das heißt, baldiges Sterben. Nicht diese Welt wird durch den Klang, das heißt, das Sirren der Zikaden, angedeutet, sondern die jenseitige Welt, eine Welt, in der die Grenzlinie von Diesseits und Jenseits verschwindet. Natürlich sind meine Kenntnisse der japanischen Literatur nicht vollkommen, und zu meiner eigenwilligen Interpretation gibt es sicher Einwände von Seiten der Spezialisten. Nur lese ich die Gedichte von Bashō auf diese Weise. In Bashōs Werk gibt es viele Gedichte, die ich durch mein Komponieren in der Musik verwirklichen möchte. In meiner Musik möchte ich in erster Linie gehaltvolle, das heißt tiefe, gute Töne hören. Wenn ich »tiefe, gute Töne« sage, ist das eine ganz undeutliche Redewendung, aber beim Erleben dieser Töne können wir akustische Erfahrungen machen, wie sie nicht alle Tage möglich sind. Diese Töne von universeller Tiefe besitzen einen Klang, der das Alltägliche übersteigt und noch weiter reicht. Solche Klänge möchte ich hören. Ich wünsche mir, dass ich das Zeiterlebnis einer Musik, die solche Töne besessen hat, für mich gewinnen kann.


Bashō hat den Klang der Zikaden durch das Wort »Stille« aufgenommen, das vielleicht wie ein Gegenpol zu den wirklichen Stimmen der Zikaden existiert. Und dann dringt dieser Klang tief in den Erdboden ein. Die Stimmen der Zikaden als Muster der Welt dringen in den Erdboden als Hintergrund, als Gewebe der Welt ein. Dann ertönt das ganze Universum. Mit den Zikadenstimmen, die hier als ein Muster der Welt vorgebracht werden, und durch den Ausdruck »sie dringen tief in den Fels ein«, als Hintergrund und als Gewebe der Welt, verlöscht die Grenzlinie zwischen Muster und Gewebe. In einem weiteren Gedicht weist uns Bashō noch auf ein anderes Land als Ziel einer entfernteren Welt hin, wobei er den Klang der Natur, die Zikadenstimmen, für diese andere Welt sprechen lässt. In Bashōs Welt werden die Töne als etwas äußerst vieldeutig Existierendes aufgefasst. Sie sind Klang und Schweigen. Erklingend sind sie von einer tiefen Stille. Sie sind das Muster der Welt, aber auch das Gewebe. Wie es heißt, sind Töne der Klang dieser Welt und außerdem auch der Klang der jenseitigen Welt. Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, dass Bashōs Kunst über das einfache Gedichtemachen hinausgeht. Nur weil er gute Worte gewählt hat, entsteht noch kein interessantes Gedicht. Ich sagte vorhin, dass ich mir tiefe, gute Töne wünsche, aber das bedeutet nicht, dass sich sofort interessante Musik und gute Klänge hervorbringen lassen, wenn man interessante Töne als Material benutzt. Hierbei gibt es eine bestimmte Art der Zusammensetzung, etwas wie einen Mechanismus, an den Bashō dachte. Weil neuerdings der Klang einer rein japanischen Musik interessant ist, gibt es Leute, die meinen, dass sofort eine interessante Musik entsteht, wenn man ausgefallene japanische Musikinstrumente verwendet. Das ist nichts anderes als bloßer Exotismus. Eine solche Haltung bringt keine gehaltvollen, gute Musik hervor. Das Problem liegt darin, auf welche Weise man die Töne zusammenfügt, damit durch ihre Zusammensetzung gehaltvolle Klänge erzeugt werden. In der Herstellungsweise dieser Zusammensetzung spiegelt sich wiederum die Beziehung des Komponisten zur Natur wider. Die Welt der Klänge, die Bashō erschafft, ist für mich – auch abgesehen von den Zikadenklängen – sehr interessant. Zum Beispiel Umi kurete kamo no koe honoka ni shiroshi

Es dunkelt das Meer die Schreie der Wildenten nebelhaft weiß

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Hier wird der Schrei der Wildgänse, der im Meer der Abenddämmerung widerhallt, vom Himmel im Hintergrund gefärbt. Es besteht völlige Übereinstimmung zwischen dem Sehvermögen und dem Gehör. Neulich sah ich in London in der Tate Gallery viele Seestücke von Turner. Besonders berührte mich eine Reihe von Werken, auf denen er das Meer und den Himmel von Venedig gemalt hat. Die konkreten Formen von Schiffen und Gebäuden verschwinden darauf völlig, bloß Meer, Himmel und Wolken, ohne Konturen, verwischen die Grenzlinien und sind nur mit wechselnder Farbgebung gemalt. Von dieser Landschaft, die über Realismus weit hinausgeht, wurde ich tief berührt. Sie erinnerte mich an ein Gedicht von Bashō, in dem er diese Abenddämmerung beschreibt. Ich gebe ein weiteres Gedicht als Beispiel: Tsuki izuko kane wa shizumite umi no soko 46 //

Wo ist der Mond? Die Tempelglocke versinkt in Meerestiefe

Dies ist ein Gedicht über eine Meereslandschaft am Abend, aber der Klang der Tempelglocke im Schweigen, der aus der Tiefe des Meeres heraus nicht zu hören ist, scheint in der ganzen Welt zu ertönen. Ich denke, von diesem Gedicht werden auch Assoziationen an Debussys Klavierstück La cathédrale engloutie geweckt. Nur lebte Bashō um die Mitte des 17. Jahrhunderts, und deshalb kann man sagen, dass er ein ausgesprochen moderner Schriftsteller war. Eine solche Hör- und Auffassungsweise von Klängen bei Bashō empfinde ich als sehr frisch und neu. In den Stimmen der Zikaden, die Klänge der Natur sind, macht er diesen Klang lebendig, so, wie er ist, ohne ein menschliches Gefühl als »Ich« zu empfinden, und schiebt den Klang der Zikaden in eine höhere Dimension, indem er ihn mit »Stille« bezeichnet. Das war für Bashō, was man »Schöpfung« nennt. Wie in der Gegenwart die Umweltzerstörung weiter fortschreitet und unregelmäßige atmosphärische Erscheinungen im Entstehen begriffen sind, in einer solchen Welt empfinde ich, dass die Natur im menschlichen Inneren ebenfalls im Begriff ist, zerstört zu werden. Ich liebe die Musik von Schubert sehr, aber besonders in der Musik aus seinen letzten Jahren, in seinen Streichquartetten und Klaviersonaten,


in der Winterreise empfinde ich seine Musik als Urworte eines Menschen, der in tiefer Beziehung zur Natur steht, zu einem ursprünglichen, menschlichen Gesang. Seine Musik ist dadurch, dass ihm der Tod nahe bevorstand, von eigentümlichem Schmerz, von einer transparenten, hellen Trauer angefüllt. Ich denke, dass auch die Fähigkeit, die Welt als Vorzeichen des Todes anzunehmen, eine Kraft der Natur ist, die der Mensch besitzt. Ob der Mensch dadurch, dass er im Begriff ist, sowohl seine innere als auch seine äußere Natur zu verlieren, nicht auch gerade dabei ist, die Qualität eines solchen menschlichen Gesangs zu verlien ren? Übersetzung aus dem Japanischen: Ilse Reuter Erstdruck in: Musiktexte 60/August 1995

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© Rolf W. Stoll

INSTALL AT I O NE N


25.– 28. November | PH Weingarten

INSTALLATIONEN Öffnungszeiten: Do 14-17 Uhr | Fr 19-22 Uhr | Sa 10-13 Uhr | So 10-13 Uhr

Studierende verschiedener Seminare »Handgemacht« Installation für tanzende Hände und eine Kamera Musik lässt sich über Bewegung besonders gut verstehen. Wir sind dann mit einer Vielzahl von Sinnen, mit unserem ganzen Körper in die Musik »verwickelt«. Unter den Bedingungen der Pandemie aber konnten die Bewegungen nur in Distanz der Seminarteilnehmer zueinander stattfinden, per Video. Notwendigerweise ließen sich ausschließlich die Hände in die Entwicklung musikbezogener Bewegungen einbeziehen. Nicht unbedingt ein Makel, verfügen doch die Hände über ein großes Repertoire an Gesten, über das hinaus man sie kneten, reiben, falten, streicheln, waschen, desinfizieren kann. Sie können geben und nehmen, lassen sich öffnen, schließen, drehen, schütteln, und das alles in ganz verschiedenen Qualitäten: sanft, hart, kraftvoll, fließend, stockend ... in schnellen oder langsamen, großen oder kleinen Bewegungen. Lassen Sie Ihre eigenen Handbewegungen Teil der von den Studierenden entwickelten Choreografie zu Toshio Hosokawas Sakura für Otto Tomek für die japanische Mundorgel Shō werden, mit synchronen oder asynchronen Bewegungen, kontrapunktischen oder mitvollziehenden Bewegungen. Wie verhalten sich die Choreografie der Studierenden und die Musik zueinander? Wie ändert sich der musikalische Eindruck durch die eigenen Bewegungen?

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Saskia Biehler/Niklas Müller »Lotus« – Interaktive Installation für Launchpad und Kopfhörer

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In dem Streichquartett Blossoming erzählt Hosokawa von der schönen und zugleich widerstandsfähigen Lotusblume – im Buddhismus eine Pflanze mit viel Symbolkraft. Über ein Launchpad können die Besucher und Besucherinnen einzelne Sequenzen des Werks ansteuern und so die Geschichte der Blume nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Durch diesen interaktiven Prozess sollen verschiedene Facetten von Hosokawas Komposition erfahrbar gemacht werden.

Magdalena Jutz/Natalie Kiekopf »Klang + Stille« – Interaktive Installation für begehbare Klangmatte »In Sen VI habe ich versucht, einen neuen Klangraum einen Spalt weit zu öffnen [...]«, sagt Toshio Hosokawa über sein Werk für Schlagzeug solo. Unser Projekt »Klang + Stille« möchte auf innovative Art einen individuellen Zugang zu diesem Klangraum schaffen. Die Besuche:innen werden dabei selbst zu Komponist:innen und begegnen Ausschnitten aus


Sen VI. Stille spielt dabei eine besondere Rolle: Genauso wie ein Pinselstrich durch den hinter ihm frei gelassenen Raum verstärkt wird, wird auch ein Klang durch einen darauffolgenden Moment der Stille verstärkt. Werden Sie mit diesem Projekt selbst aktiv und lassen Sie sich von der Stille berühren!

Magdalena Jutz »Linie« – Interaktive Installation für Papier und Pinsel Wann ist ein Pinselstrich zu Ende? Wann ist ein Klang zu Ende? Erst der Leerraum nach einem Pinselstrich oder die Pause nach einem Klang definieren das Vorhergehende. So wie einzelne Pinselbewegungen auf dem Papier Linien erzeugen und das Innehalten mit dem Pinsel das Ende einer Bewegung definiert, ergibt sich aus einzelnen, unterschiedlichen Klängen und den darauf folgenden Pausen die Komposition Sen VI für Schlagzeug solo von Toshio Hosokawa, wobei sen im Japanischen für »Linie« steht. Fühlen Sie sich eingeladen, den Linien des japanischen Schriftzeichens für sen und seiner Verbindung zu Hosokawas Komposition nachzugehen!

Die Installationen wurden im Sommersemester 2021 im Fachbereich Musik der Pädagogischen Hochschule Weingarten unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Stange erarbeitet.

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© Rolf W. Stoll

K Ü NST LE R : I NNE N


KÜNSTLER:INNEN

Irvine Arditti gilt seit mehreren Jahrzehnten als einer der wichtigsten Interpreten der neuen Musikwelt. Neben seiner legendären Karriere als erster Geiger des Arditti Quartets hat er auch eine Vielzahl von Solowerken zur Uraufführung gebracht. Arditti wurde 1953 in London geboren und begann sein Studium an der Royal Academy of Music im Alter von 16 Jahren. 1976 trat er dem London Symphony Orchestra bei und wurde nach zwei Jahren im Alter von 25 Jahren dessen Co-Konzertmeister. Er verließ das Orchester 1980, um mehr Zeit dem Arditti-Quartet zu widmen, das er bereits als Student gegründet hatte. Er trat mit zahllosen angesehenen Orchestern und Ensembles auf. Seine Einspielungen von Werken Carters, Estradas, Ferneyhoughs und Donatonis für Violine solo sowie seine Aufnahme von Nonos La Lontananza (Montaigne Auvidis) wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seine Aufnahme von Cages Freeman Etudes für Solovioline als Teil seiner kompletten Cage Violinmusik-Serie für das amerikanische Label Mode hat Musikgeschichte geschrieben. Im Juli 2013 kam sein Buch The Techniques of Violin Playing (zusammen mit Robert HP Platz) heraus. 2022 wird sein Buch Collaborations bei Schott Music erscheinen.

© Tsuyoshi-Tachibana

Jeroen Berwaerts studierte in Karlsruhe bei Reinhold Friedrich. Seit 2008 ist er Professor für Trompete an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Er ist zudem Professor in residence an der Royal Academy of Music in London. Berwaerts’ außerordentliches Engagement für die zeitgenössische Musik drückt sich in zahlreichen Uraufführungen aus, darunter auch Toshio Hosokawas 2. Trompetenkonzert.

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© Yuri-Helytovych

Christina Daletska, Mezzosopran, ist eine der vielseitigsten jungen Sängerinnen ihrer Generation und zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Begeisterung für die Werke des 20. und 21. Jahrhunderts aus. 2013 debütierte sie mit dem Ensemble intercontemporain unter Pierre Boulez mit Phillipe Manourys Gesänge-Gedanken. Sie arbeitete u.a. mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Mozarteum-Orchester Salzburg, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Swedish Radio Symphony Orchestra Stockholm sowie mit Dirigenten wie Daniel Harding, Ivor Bolton, Riccardo Muti, Thomas Hengelbrock, Jun Märkl, Teodor Currentzis und Stefan Soltesz. Christina Daletska spricht sieben Sprachen fließend und ist offizielle Botschafterin für Amnesty International Schweiz.

© Irène Zandel

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Xandi van Dijk, 1978 in Kapstadt geboren, wuchs in einer Musikerfamilie auf. Seinen ersten Geigenunterricht erhielt er im Alter von vier Jahren. Seit 1990 spielt er Bratsche. Er ist Mitglied des international renommierten Signum Quartetts, mit dem er zahlreiche Preise gewann. Zudem ist er ein gefragter Gastdirigent. Er konzertiert regelmäßig u.a. mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Orchestre de chambre de Paris und dem Estnischen Festivalorchester. Um seine künstlerische Entwicklung sowohl als Kammermusiker als auch als Solist zu fördern, hatte van Dijk Unterricht u.a. bei Wolfram Christ, Lawrence Dutton und Yo-Yo Ma und arbeitete eng mit dem Alban Berg Quartett, dem Artemis Quartett und dem St. Lawrence Streichquartett zusammen. Seit der Saison 2017/2018 ist Xandi van Dijk Solobratscher des Münchener Kammerorchesters.


Shoko Hayashizaki und Michael Hagemann studierten in der Klavierklasse von RobertAlexander Bohnke an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau. Als Klavierduo präsentieren sie viele innovative Programmkonzeptionen. Sie sind Mitglieder des Huber Quartetts (Violine, Violoncello und Klavier zu vier Händen) , das sich der Literatur für diese extravagante Besetzung widmet. Shoko Hayashizaki unterrichtet an der Hochschule für Kirchenmusik Rottenburg. Sie ist darüber hinaus eine Kalligrafie-Meisterin. Bei ihrer Shodō-Performance wird sie vom Clavichordspiel ihres Partners begleitet. Michael Hagemann ist auch als künstlerischer Leiter der musica nova Reutlingen tätig.

© Fritsch

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© Hayashizaki/Hagemann

Ingrid Fritsch studierte nach Abschluss eines Klavierstudiums Musikwissenschaft, Völkerkunde, Vergleichende Religionswissenschaft und Japanologie an den Universitäten Köln und Bonn. Promotion im Fach Musikwissenschaft/Musikethnologie über die japanische Bambusflöte Shakuhachi. Habilitation im Fach Japanologie (Universität Köln). 2003 Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin. Mehrfach Lehraufträge an den Universitäten von Köln, Marburg, Frankfurt, Würzburg und Wien. Verschiedene Dozenturen führten sie ans Musikwissenschaftliche Institut der Universität Frankfurt/Main (Außereuropäische Musikgeschichte sowie Vertretung des Lehrstuhls für Japanologie), an das Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien und an das Seminar für Japanologie an der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte: Kulturwissenschaft, Musik- und darstellende geinōKünste, Konstruktionen kollektiver Identität und ihre mediale Vermittlung.


© Minjoo Kim

Stefan Hussong ist Professor für Akkordeon und Kammermusik an der Musikhochschule Würzburg und seit 1993 Dozent bei den Internationalen Sommerakademien des Mozarteums Salzburg. Hussong konzertiert in ganz Europa, den USA und Asien. Er arbeitete eng zusammen mit Komponist:innen zeitgenössischer Musik: Sofia Gubaidulina, Keiko Harada, Adriana Hölszky, Toshi Ichiyanagi, Toshio Hosokawa, Uroš Rojko und Klaus Huber.1999 erhielt er den ECHO Klassik der Deutschen Phonoakademie in der Kategorie »Bester Interpret des Jahres«; seine Solo-CD mit Werken von John Cage wurde im selben Jahr als »Best Record of the Year« ausgezeichnet. Er brachte mehr als 150 ihm gewidmete Werke zur Uraufführung und nahm über 40 mehrfach prämierte CDs auf.

© Miyata

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Mayumi Miyata ist eine der ersten Künstler:innen, die das asiatische Instrument Shō weltweit bekannt gemacht hat und seine bedeutendste Interpretin. Nach ihrem Klavierstudium am Kunitachi College of Music studierte sie Gagaku (japanische Hofmusik) und trat 1979 dem GagakuEnsemble am National Theatre of Japan bei. Seit ihrem Debüt in Tokyo 1983 ist sie als Solistin tätig und begeistert ihr Publikum in Europa und Nordamerika, in Konzerthäusern wie dem Teatro alla Scala in Mailand, dem Wiener Konzerthaus und bei Festivals wie Milano Musica, Festival d’Automne à Paris, Donaueschinger Musiktage, Wien Modern, Festival Octobre en Normandie, musica viva in München, Orléans International Music Week, Pacific Music Festival in Sapporo und dem Takefu International Music Festival. Mayumi Miyata arbeitete besonders eng mit John Cage zusammen sowie u.a. mit Toru Takemitsu, Toshio Hosokawa, Helmut Lachenmann, Paul Méfano, Klaus Huber und Pierre-Yves Artaud.


Vanessa Porter zählt international zu einer der vielseitigsten Perkussionist:innen und wird für verschiedenste Projekte, Konzertformate und Programme angefragt. Als Solistin verbindet sie aktuelle Werke mit Improvisation, Elektronik und darstellender Kunst und arbeitet mit namhaften Komponist:innen wie Georges Aperghis, Zeynep Gedizlioğlu oder Jennifer Walshe zusammen. Vanessa Porter ist 1. Preisträgerin des August-Everding Musikwettbewerbs München, des International Percussion Competition Luxembourg, des Music Creative Award Lindau und des Percussive Art Contest Italy, erhielt das Deutschlandstipendium und war Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg und des Deutschen Musikwettbewerbs. Im Laufe der Saison 2021/2022 konzertiert sie u.a. an der Kölner Philharmonie, am Barbican Centre London und bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik und interpretiert eine Uraufführung von Jennifer Walshe am Funkhaus Köln. Für die Konzertsaison 2022/2023 wird sie als Solistin der ECHO-Rising Stars in den renommiertesten europäischen Konzertsälen zu hören sein.

© Janet Sinica

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© Arne Morgnar

Melvyn Poore Begonnen hatte er einst mit dem Euphonium. Mit sieben Jahren hatte er seinen ersten Auftritt, später wandte er sich dem Klavier zu, und mit zwölf entschied er sich schließlich für die Tuba. Als »Music Director« des Birmingham Arts Laboratory machte er erste Experimente mit Tonbändern und Elektronik. Seitdem widmet er sich verstärkt der experimentellen Interaktion von akustischen Instrumenten und Technik. Seine Erfahrungen gibt Poore als Interpret, Komponist und auch als Dozent weiter: Er war von 19891891 Research Assistant am Salford College of Technology, 1992-1994 Gast am ZKM Karlsruhe (wo er sein Konzept »METAinstrument« entwickelte) und 1993-1995 Visiting Professor for Electro-Acoustic Music am Royal College of Music in London. Seit 1995 ist er festes Mitglied des Ensemble Musikfabrik.


© Salinas

Natalia Salinas ist eine der am stärksten positionierten Vertreter:innen des Dirigentennachwuchses in Argentinien. Sie führt eine sehr aktive und sich ständig erweiternde Karriere und arbeitet mit den wichtigsten Orchestern in Argentinien und Lateinamerika. In den letzten Jahren begann sie ihre internationale Tätigkeit in Europa auszuweiten und erhielt Einladungen als Gastdirigentin bei Festivals in Frankreich und Deutschland. Ausgebildet als Pianistin am Conservatorio de Música de Santa Cruz und Lizentiatin in Orchesterdirigieren an der Universidad Nacional de La Plata, absolvierte sie ihren Master in Orchesterdirigieren mit Schwerpunkt Musik des 20. Jahrhunderts an der Haute École des Arts du Rhin in Strasbourg, Frankreich.

© Nicolaj Lund

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Gabriel Venzago studierte in München und Stuttgart Dirigat. Seit 2017 ist er Stipendiat des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats und ab der Spielzeit 2020/2021 »Maestro von Morgen«. Engagements führten ihn ans Stadttheater Luzern, die Hamburgische Staatsoper, zu den Osterfestspielen Baden-Baden sowie zum Staatsorchester Darmstadt, zur Jenaer Philharmonie und zur Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Er war von 2015 bis 2017 als Assistant Conductor bei den Münchner Symphonikern und in der Spielzeit 2017/2018 als Korrepetitor und Dirigent am Theater für Niedersachsen Hildesheim tätig. Noch in der gleichen Spielzeit wurde er Kapellmeister am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Seit der Spielzeit 2019/2020 ist Gabriel Venzago 1. Kapellmeister am Salzburger Landestheater.


© Alexandre-Delmar

Arditti Quartet: Irvine Arditti, Violine/ Ashot Sarkissjan, Violine/Ralf Ehlers, Viola/Lucas Fels, Violoncello. Seine präzise Artikulation und die rhythmische Prägnanz seines Spiels machen das Arditti Quartet zu einer der bedeutendsten Formationen der Interpretation der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Seit seiner Gründung 1974 durch den Geiger Irvine Arditti wurden dem Quartett mehrere hundert Streichquartette gewidmet. Durch ihre enge Zusammenarbeit und den kreativen Dialog mit den Komponist:innen aber auch durch ihr Engagement als Dozenten bei den Darmstädter Ferienkursen, in zahllosen Meisterkursen sowie Workshops für Interpret:innen und Komponist:nnen auf der ganzen Welt wurde »Arditti« selbst zu einer musikgeschichtlich wirkmächtigen Kraft. Das Quartet ist weltweit bei allen bedeutenden Festivals der neuen Musik zu Gast. Die Komponist:innen, deren Werke das Quartett uraufgeführt hat, sind Legion, unter ihnen Adès, Andriessen und Aperghis, Cage, Carter, Denisov und Dusapin, Ferneyhough, Francesconi und Gubaidulina, Hosokawa, Kagel, Kurtág und Lachenmann, Ligeti, Maderna, Manoury und Nancarrow, Rihm, Scelsi, Sciarrino, Stockhausen und Xenakis. Die inzwischen mehr als 200 CD-Einspielungen des Quartetts erhielten zahlreiche Preise. Außerdem erhielt das Quartett für seinen Beitrag zur Verbreitung der Musik unserer Zeit den »Coup de Coeur« der Académie Charles Cros und schließlich für sein »musikalisches Lebenswerk« 1999 den begehrten Ernst von Siemens Musikpreis.

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© Katharina Dubno

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Das Ensemble Musikfabrik zählt seit seiner Gründung 1990 zu den führenden Klangkörpern der zeitgenössischen Musik. Dem Anspruch des eigenen Namens folgend, ist das Ensemble Musikfabrik in besonderem Maße der künstlerischen Innovation verpflichtet. Neue, unbekannte, in ihrer medialen Form ungewöhnliche und oft erst eigens in Auftrag gegebene Werke sind sein eigentliches Produktionsfeld. Alle wesentlichen Entscheidungen des Ensembles werden von den Musikern in Eigenverantwortung getroffen. Die Auseinandersetzung mit modernen Kommunikationsformen und experimentellen Ausdrucksmöglichkeiten im Musik- und Performance-Bereich ist ihnen ein zentrales Anliegen. Interdisziplinäre Projekte unter Einbeziehung von LiveElektronik, Tanz, Theater, Film, Literatur und bildender Kunst erweitern die herkömmliche Form des dirigierten Ensemblekonzerts ebenso wie Kammermusik und die immer wieder gesuchte Konfrontation mit formal offenen Werken und Improvisationen. Dazu gehören auch Gesprächskonzerte und das Experimentieren mit Konzertformaten, die das Publikum stärker integrieren. Dank seines außergewöhnlichen inhaltlichen Profils und seiner überragenden künstlerischen Qualität ist das Ensemble Musikfabrik ein weltweit gefragter und verlässlicher Partner bedeutender Dirigenten:innen und Komponist:innen. Die Ergebnisse dieser häufig in enger Kooperation mit den Komponist:innen geleisteten Arbeit präsentiert das in Köln beheimatete internationale Solistenensemble in jährlich etwa 80 Konzerten auf Festivals im In- und Ausland. Bei WERGO erscheint die eigene CD-Reihe »Edition Musikfabrik«. Das Ensemble wird vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützt. Die Reihe »Musikfabrik im WDR« wird von der Kunststiftung NRW gefördert.



© Sammy Hart

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Das Münchener Kammerorchester ist weltweit für seine aufregenden und vielseitigen Programme, die Werke früherer Jahrhunderte assoziativ und spannungsreich mit Musik der Gegenwart kontrastieren, bekannt. Großen Wert legt das MKO auf die dramaturgische Konzeption seiner Programme. Als Kernaufgabe sieht das MKO das Engagement in der Musikvermittlung, das Kooperationen mit Kindergärten und Schulen, Orchesterpatenschaften sowie Angebote in der Erwachsenenbildung umfasst. Der Entdeckergeist und das unermüdliche Engagement des MKO für die zeitgenössische Musik zeigen sich an den zahlreiche Werken, die das Orchester in den letzten Jahrzehnten uraufgeführt hat. Komponisten wie Iannis Xenakis, Wolfgang Rihm, Tan Dun, Chaya Czernowin, Georg Friedrich Haas, Pascal Dusapin, Salvatore Sciarrino und Jörg Widmann haben für das MKO geschrieben. Den Kern des Ensembles bilden die 28 fest angestellten Streicher, die aus 13 verschiedenen Ländern stammen. Flexibel erweitert das MKO seine Besetzung im Zusammenwirken mit einem Stamm erstklassiger musikalischer Gäste aus europäischen Spitzenorchestern. Rund sechzig Konzerte pro Jahr führen das Orchester auf renommierte Konzertpodien in aller Welt. In den vergangenen Spielzeiten standen u.a. Tourneen nach Asien, Spanien, Skandinavien, Russland und Südamerika auf dem Plan. Bei ECM Records sind Aufnahmen des Orchesters mit Werken von Karl Amadeus Hartmann, Sofia Gubaidulina, Giacinto Scelsi, Thomas Larcher, Valentin Silvestrov, Isang Yun und Joseph Haydn, Toshio Hosokawa und zuletzt Tigran Mansurian erschienen.



HOTEL ALTDORFER HOF Warme Küche Montag–Samstag 17.30 – 21:30 Uhr

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Sonntag & Feiertag 11.30 – 14.00Uhr Burachstraße 12 | 88250 Weingarten Telefon 0751 50090 hotel@altdorfer-hof.de www.altdorfer-hof.de Frühstücksbuffet: Montag–Freitag 06.30 – 10.00 Uhr Wochenende/Feiertage 07.00- 10.00 Uhr

HOTEL SONNE Warme Küche bis 21.00 Uhr (So bis 20.30 Uhr)

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Liebfrauenstraße 26 | 88250 Weingarten Telefon 0751 560790 info@sonnehotel.de www.sonnehotel.de

Öffnungszeiten Mo/Mi/Do/Fr/Sa/So ab 11.30 Uhr geöffnet Dienstag Ruhetag

BEST WESTERN WEINGARTEN Warme Küche bis 21.00 Uhr Abt-Hyller-Straße 37–39 | 88250 Weingarten Telefon 0751 5040 info@hotel-weingarten.bestwestern.de Mittagessen 11.30 - 14.00 Uhr Kaffee & Kuchen 14.30 - 17.30 Uhr Abendessen 18.00 - 21.00 Uhr

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FESTIVAL RESTAURANTS Spielstätten: A Ev. Stadtkirche | B PH Weingarten | C KUKO

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CAFÉ MUSEUM Warme Küche bis 21.30 Uhr Karlstraße 28 | 88250 Weingarten Telefon 0751 58588 info@cafemuseum.de | www.cafemuseum.de Öffnungszeiten Mo/Di/Do/Fr/Sa ab 9 .00 Uhr geöffnet Mi ab 8.00 Uhr geöffnet

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Foto:Rolf W. Stoll

FR EU ND : I N WE R DE N … KULTUR FÖRDERN! Wir suchen Freundinnen und Freunde, die sich kulturell engagieren und das Festival w e i t ! neue musik weingarten durch ihre Mitarbeit im Verein und/oder finanziell unterstützen möchten.

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Was Sie bewirken können Durch Ihre Mitgliedschaft unterstützen Sie die Arbeit von w e i t ! weingarten e.V.: • Sie ermöglichen die Begegnung mit den bedeutendsten Komponist:innen der zeitgenössischen Musik und herausragenden Interpret:innen ihrer Werke. • Sie ermöglichen informative Einführungsvorträge, Gespräche und Programmhefte, die diese Werke in einen politischen, sozialen und kulturellen Kontext stellen. • Sie fördern die Arbeit mit Studierenden, Kindern und Jugendlichen und schaffen die Voraussetzung dafür, dass neue Musik den Weg in junge Ohren findet. Was wir Ihnen als Mitglied bieten • Als Begrüßungsgeschenk erhalten Sie den Band Begegnungen. 30 Jahre Weingartener Tage für Neue Musik oder freien Eintritt bei einem w e i t !-Konzert Ihrer Wahl. • Als Förderer (Mindestbeitrag 200 Einzelperson/300 Euro Ehepaare) erhalten Sie freien Eintritt in alle Veranstaltungen von w e i t ! neue musik weingarten. • Als Mitglied bei w e i t ! weingarten e.V. haben Sie die Möglichkeit, an der Gestaltung der Festivals aktiv mitzuwirken. Sie können etwas bewegen! Bitte füllen Sie die Beitrittserklärung aus und werden Sie jetzt Freund:in, Mitglied und/oder Förderer anspruchsvoller Kultur. Wir freuen uns auf Sie. Den Aufnahme-/Förderantrag finden Sie auf www.weit-weingarten.de Wenn Sie w e i t ! weingarten e.V. unterstützen möchten, ohne eine Mitgliedschaft einzugehen, sprechen Sie uns bitte an: kontakt@weit-weingarten.de



IMPRESSUM w e i t ! neue musik weingarten Festival Künstlerische Leitung: Rolf W. Stoll Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit: Dr. Elisabeth Schwind Organisation und Logistik: Elisabeth Häußler | Daniel Schreiner Dokumentation: Rudolf Kalthoff Programmheft Redaktion: Rolf W. Stoll Grafik: Engler & Schödel, Atelier für Gestaltung, Mainz Layout: Rolf W. Stoll Technische Ausstattung Licht & Ton: AudioConcept, Bad Schussenried Coverfoto: Rolf W. Stoll Alle Rechte vorbehalten © 2021 weit! weingarten e.V. und die Autor:innen weit! weingarten e.V. Dornachweg 11 88273 Fronreute kontakt@weit-weingarten.de www.weit-weingarten.de



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