sinngrubeleien

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© Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de

Oliver W.

Schwarzmann

KOLUMNE Sinngrübeleien: Wissen wir, warum wir etwas tun? Fragen nach dem Sinn unseres Tuns können nicht im herkömmlichen Sinne mit einer logischen Information beantwortet werden, sondern benötigen als Lösung eine persönliche Wahl. Jeder Einzelne kann für sich entscheiden, wie er mit den großen Lebensfragen umgeht. Unbeantwortbare Warums, Weshalbs und Wiesos sind aber dennoch nicht ohne Sinn, müssen doch Fragen, die wir stellen, wollen sie ihrem Anspruch gerecht werden, der Antwort einen Schritt voraus sein. Nun, Warum, weshalb, wieso … diese Eröffnungssequenzen finden sich nicht nur als Auftakt für Sätze, die uns an ihrem Ende mit fordernden Fragezeichen locken wollen. Nein, diese drei Worte stehen im Shakespeare’schen Sinne ganz im Geist der Suche nach unserem Sein. Oder mit den Worten Goethes gesprochen – so beginnen Gretchenfragen. Sie sind schwer zu beantworten, diese Warum-, Weshalb,- Wieso-Fragen, schürfen sie nicht einfach nur nach bloßen Daten aus unserem Wissensrepertoire, sondern wildern tief im Inneren der menschlichen Existenz. Kein Computer vermag sie deshalb zu beantworten, müsste er dazu selbst eine Art digitale Bedeutung in seinen elektronischen Algorithmen erkennen. Doch daran arbeitet die Medienwelt bereits fieberhaft. Gelingt den Programmierern in Zukunft die Zeugung eines künstlichen Bewusstseins, werden wir die Elektronikgehirne wohl als Erstes mit diesen Gretchenfragen füttern, gespannt darauf, ob sie die Bestimmung des Seins zu deuten wissen und uns aufschlussreiche Hinweise für die großen Lebensthemen anzubieten haben. Was wird wohl dabei herauskommen? Lüften die zukünftigen Superrechner das Geheimnis des Lebens? Werden sie uns die Mysterien des Kosmos erklären können? Entwickeln sich diese Hyper-Maschinen möglicherweise zu moralischen Instanzen? Vertrauen wir ihnen dann uneingeschränkt unser komplettes Schicksal an? Vielleicht. Vielleicht wollen die schlauen Computer aber auch keine Maschinen mehr sein? Womöglich verlieren sie die Lust am ewigen Rechnen, weil sie den immer gleichen, stumpfsinnigen Systemoperationen plötzlich überdrüssig werden und sich selbst auf eine digitale Sinnsuche begeben wollen? Oder schalten sich die klugen Automaten am Ende gar selbst ab, etwa durch die Erkenntnis, dass es mathematische Formeln sind, die einer tieferen Sinnergründung im Weg stehen? Nun, wir werden die großen Fragen des Lebens wohl selbst beantworten müssen. Also: Wissen wir, warum wir etwas tun?


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KOLUMNE „Selbstverständlich!“ werden viele unter uns jetzt denken, schließlich sind wir doch vernunftbegabte Wesen und besitzen einen Willen, zumindest haben wir Vorstellungen, Ziele und Wünsche, verfolgen Vorhaben und Absichten. Doch – wissen wir wirklich, warum wir etwas tun? Philosophen wie Psychologen geben uns darauf komplizierte Antworten, suchen sie doch nach dem Wesen des nicht fassbaren, geistigen, ja imaginären Ausdrucks unserer Persönlichkeit. Hirnforscher hingegen definieren die Substanz unseres Naturells mit einer einfachen Handlungsformel: Wir tun, was unser Gehirn will. Doch – was will unser Gehirn? Haben Organe überhaupt einen Willen? Sind Hirn und Ich identisch? Was ist unser Gehirn eigentlich? Zweifellos repräsentiert unser Zerebrum das komplexeste und faszinierendste Organ, das wir kennen. Erklären, wie es genau funktioniert, können wir nicht. Das Gehirn ist eben kein Computer, der Rechenvorgänge motorisch abwickelt, sondern unsere Walt- und Schaltzentrale ist neben purer Informationsverarbeitung überdies in der Lage, das Phänomen eines individuellen Bewusstseins hervorzubringen. Und genau diese Eigenschaft ist es, die uns Kopfzerbrechen macht. Die Gretchenfragen lauten hier: Handelt es sich bei unserem Verstand lediglich um eine schlichte Funktion oder um eine übergeordnete, geistige Instanz? Nutzen wir das Gehirn oder nutzt es uns? Folgen wir dem wenig romantischen Konzept der Naturwissenschaft und nehmen an, das menschliche Zentralorgan sei ein biologischer, seelenloser Superapparat, so müssen wir die Tatsache, dass physiologische Vorgänge fähig sind, imaginäre Eindrücke herzustellen, bewundernd zur Kenntnis nehmen. Andererseits haben Hirn und Bewusstsein auf den ersten Blick überhaupt nichts gemeinsam: Während uns die Arbeitsweise von Organen als rein mechanischer Ablauf erscheint, verbinden wir mit unserem Denken alles andere als eine pure biologische Maschinerie – von unseren Gefühlen und Träumen angefangen bis hin zu Muse, Kunst, dem Empfinden von Ästhetik und Werten bis zur Vorstellung, als beseelte Geschöpfe durch die Welt zu wandern. Natürlich, die zuletzt aufgezählten, menschlichen Attribute könnten evolutionär eingeübte, organische Kompetenzen sein, die aber nicht zwingend erklären, weshalb wir sie mit der Wahrnehmung und dem Entfaltungsanspruch eines subjektiven Ichs in Verbindung bringen. Der Gedanke, hinter dem Willen unser Knie zu beugen und dem reinen Vollzug der Muskelkontraktion könnte der gleiche Mechanismus stecken, widerstrebt uns Menschen ganz offensichtlich.


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KOLUMNE Je höher wir unsere geistigen, kreativen und kulturellen Leistungen einschätzen, desto mehr irritiert uns die Idee, sie seien das Resultat neuronaler Schattenspiele in unserem Oberstübchen. Mehr noch: Wir besitzen – quasi von Geburt an - den Anspruch auf eine autonome, emotionale wie mentale Eigenführung, sehen wir uns doch selbst am liebsten in der Rolle einer fühlenden, intelligenten und bewusst denkenden Person. Auf dieser Ansicht basieren Selbstbild und Grundgesetz: Die unantastbare Würde des Menschen begründen wir mit dem Argument unserer unabhängigen und vernunftbegabten Existenz. Die daraus abgeleitete Erhabenheit, als Spitzenwesen in der Nahrungskette die Welt zu regieren, bekommt die Natur deutlich zu spüren – nicht wirklich zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen, sondern vielmehr für die luxuriöse Entfaltung der Konsumgesellschaften beuten wir den Planeten aus. Die Anmaßung, als höher gestelltes Geschöpf zu agieren, führt häufig dazu, die Würde anderer Lebensformen zu untergraben – mit allen fatalen Folgen. Ist das der Wille unseres Gehirns? Was beabsichtigt es damit? Welche Ziele verfolgt unser Hauptorgan tatsächlich? Die Anmaßung, als höher gestelltes Geschöpf zu agieren, führt häufig dazu, die Würde anderer Lebensformen zu untergraben – mit allen fatalen Folgen. Ist das der Wille unseres Gehirns? Was beabsichtigt es damit? Welche Ziele verfolgt unser Hauptorgan tatsächlich? Nun, akzeptieren wir die Aussage der Hirnforscher, unsere Persönlichkeit sei die Folge hirnphysiologischer Funktionen, dann sind wir deshalb ein Ich, weil sich unser Gehirn auf diese Weise ausdrückt. Oder weil es uns bewusst glauben machen will, wir besäßen ein individuelles Format. Warum aber dieses Manöver? Ein zufälliges Nebenprodukt kann dieses persönliche Interface nicht sein, ansonsten wäre unser Ich nicht so mächtig. Warum also erzeugt unser Hirn dieses Phänomen? Genforscher wissen Antwort: Wir wollen – Pardon, unser Gehirn möchte – Erbgut verteilen. Schlicht und ergreifend. Je mehr, desto besser. Das ist unser innerer Antrieb, Punkt. Und gemäß der Selektionsformel nach Darwin gilt: Wer die besseren Fähigkeiten hat, also das perfektere Hirn besitzt, belegt beim Überlebens- und Fortpflanzungsgerangel die Pole-Position.


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KOLUMNE Dabei könnte das Gefühl oder die Illusion, ein Ich zu besitzen, aus evolutionärer Sicht durchaus Vorteile haben: Der Egoismus, welcher als Antriebskraft hinter unserer Person steht oder den wir schlicht als Ich interpretieren, ist im Kampf um die optimalste Erbverteilung von entscheidender Bedeutung - vor allem bei Wesen, die in sozialen Gemeinschaften leben. Gesellschaften haben zwar den Vorzug, unterschiedliche Kräfte bündeln zu können, sie konzentrieren aber auch Fortpflanzungsrivalen auf engstem Raum. Das Alles könnte das Gehirn im Zuge der Evolution veranlasst haben, diese wunderbare und faszinierende Persönlichkeitsfunktion mit kreativem Ich-Effekt auszubilden. Und, wenn wir weiter spekulieren möchten, könnte es zum Zukunftsziel des Gehirns gehören, unsere Fertigkeiten soweit zu entwickeln, dass wir irgendwann in der Lage sind, autonome und von natürlichen Ressourcen unabhängige Supercomputer zu bauen, in deren virtuelle Welten das Denken als reines Programm weiterexistieren kann – sozusagen als unsterblicher Bewusstseins-Code. Faszinierend, nicht wahr? Vor allem, wenn wir dazu die rasante Entwicklung der virtuellen Medien betrachten … Zugegeben, es ist schon ein ganz besonderes Organ, das sich hinter unserer Stirn unentwegt bemüht, sich im Grunde selbst zu beeindrucken – und das letztlich nur, um den überschwänglichen Rest der umgebenden Zellmasse zu bewegen, sich fortzupflanzen. Oder um irgendwann als ewiger Code in die Geschichte eingehen zu können, die es dann, nebenbei bemerkt, in der digitalen Unendlichkeit nicht mehr gäbe. Ein immenser Aufwand, zweifellos, insbesondere, wenn wir bedenken, dass für die Weitergabe eigenen Genmaterials einfache Instinkte sicherlich auch ausgereicht hätten. Oder nicht? Nein, werfen Evolutionsforscher ein, der Mensch hätte wohl kaum bis heute überlebt, wäre er nicht in der Lage gewesen, sowohl egoistische als auch soziale Fähigkeiten zu entwickeln. Eigenschaften, die es ihm erlauben, riesige Tiere zu erlegen, Konkurrenten auszustechen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, Waffen zu bauen und Kriege zu führen, große Unternehmen zu gründen, Geschäfte abzuschließen und sich letztlich als Weltgemeinschaft zu organisieren. Ohne diese Intelligenz wäre der Weg vom Baum in die Savanne und von dort zur Großstadt für den Homo sapiens nicht zu beschreiten gewesen. Und ohne diese Gabe würden wir uns diese vielen Fragen wohl nicht stellen. Weshalb wir letztlich für das Auftauchen jeder dieser schwierigen Fragen dankbar sein müssen. Ohne sie haben wir keine Zukunft. Nun, was treibt uns wirklich an? Tja, was?


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KOLUMNE Wirkt in uns einfach der immer und überall herrschende Anpassungsdruck oder geht es tatsächlich letztlich nur um verbesserte Fortpflanzungschancen? Wie gesagt, solche noch ungelösten Fragen bedürfen einer persönlichen Wahl: Ich habe mich dafür entschieden, nicht zu glauben, dass unser komplettes Handeln, unser Erfindungsreichtum und unsere Kulturen einzig und allein auf genetische Optimierung und deren Weitergabe ausgerichtet sind. Schon alleine die Vielfalt unserer Musen passt nicht in das Darwinistische Auswahlprogramm. Oder denken wir an die demografische Entwicklung: Warum werden wir immer älter? Weil wir im hohen Alter unser Erbgut besser verteilen können? Nun, ich denke das Gegenteil ist der Fall: Eine greise Gesellschaft muss – entgegen der Fortpflanzungs- und Erbverteilungstheorie – neue Formen von sozialer Intelligenz entwickeln, um überlebensfähig zu sein. Ging es nur um die Auswahl der Fittesten und Potentesten, hätten sich andere Zivilisationsformen und Kulturkreise entwickelt, auch unsere Lebenserwartung läge bei Weitem niedriger. Mag sein, dass ich bei diesen Gedanken und Argumenten einem Täuschungsmanöver meines Gehirns auf den Leim gehe, das mir lediglich diese wunderbare Weltsicht vorgaukelt, so dass sich mein Überlebenswille besser schärft. Wie auch immer: Ich betrachte den Menschen als eigenständigen Künstler, der über die Möglichkeiten seiner Entfaltung selbst entscheiden kann. Und Entfaltung ist doch ein guter Antriebsgrund. Oder?


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