Vertriebswege der Zukunft

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Oliver W. Schwarzmann Komplettes Interview

Vertriebswege der Zukunft Fragen von Herrn Bijan Peymani (Magazin Pro Firma) an Oliver W. Schwarzmann (Zukunftspublizist)

ProFirma: Wie stellt sich eine KMU-Vertriebsorganisation a)B2B, b)B2C darauf ein, zukünftig heterogene Kundengruppen über unterschiedliche Absatzkanäle möglichst individuell zu bedienen? Schwarzmann: Grundsätzlich sollte man nicht in Vertriebskanälen, sondern in Kundenbeziehungen denken. Die Frage ist nicht: Wie komme ich zum Kunden, sondern: Wie kommt er zu mir? Und vor allem: Warum soll der Kunde überhaupt zu mir kommen? Will sagen: Der Erfolg eines Vertriebsweges wird bestimmt von der Attraktivität der Unternehmens- bzw. Produktmarke. Apple könnte sein iPhone sonst wo verkaufen, die Kunden würden überall hinkommen. Das ist auch der Trend für die Zukunft: Im Wirrwarr unzähliger Produkte und Einkaufsmöglichkeiten wird sich der Kunde zunehmend an dem, was sich abhebt, was hervorsticht, sich also am Außergewöhnlichen orientieren. Kurz: Wer im B2C-Markt nicht herausragt, wird nicht wahrgenommen, ergo: ist nicht vorhanden. Wer im B2B-Markt vergleichbar ist und keine besonderen Vorteile bieten kann, den erwürgt der Preiskampf. Heute werden Produkte ja nicht mehr als klassische Funktionswaren definiert, sondern als Life-StyleIdentifikationen (B2C) sowie als Spezialisierungs- und Innovationsperspektiven (B2B). So sind auch ihre Märkte und infolge ihre Absatzformen: Der B2C-Markt ist ein Wahrnehmungsmarkt; er ist imageund präsenzgetrieben. Heißt für B2C-Unternehmen: Ein starkes und omnipräsentes Markenprestige ist ein absolutes Muss, dazu gehört eine breite und schnelle Produktverfügbarkeit. Der Fall Schlecker hat gezeigt, was ein schlechtes Markenimage anrichtet, trotz günstiger Preise und flächendeckender Verfügbarkeit. Die Heterogenität von B2C-Kunden in der Individualisierung der Vertriebswege abzubilden, ist angesichts der Marktgröße, seiner Spontanität und Unberechenbarkeit viel zu teuer. Kundenindividualität wird in Consumerprodukten mittels Flexibilität per Funktionsfülle und vielseitigen Nutzungsoptionen beantwortet. Zudem sollte man die unterschiedlichen Kunden unter einer begeisternden Markenvision vereinen. Ziel: Machen Sie den Kunden zum Fan. Der B2B-Markt ist ein Beziehungsmarkt; er ist kosten-, aber auch spezialisierungs-, innovations- und persönlichkeitsgetrieben. Heißt für B2B-Unternehmen: Direkte Verbindungen sind ein Muss, dazu gehören heute im komplexen B2B-Umfeld hoch spezialisierte und innovative Leistungen. Die Individualisierung findet hier in der persönlichen Beziehung statt, aus der auf den Kunden speziell abgestimmte Ideen und Leistungen hervorgehen. Der B2B-Markt ist zwar sehr kostenfokussiert, doch mittels guter Bindungen und dem vermitteln von Zuverlässigkeit, Konstanz, Sicherheit und nicht zuletzt Orientierung können höhere Margen erzielt werden. ProFirma: Trotz Online-Boom werden traditionelle Vertriebswege nicht obsolet, sie feiern durch Nutzung moderner Technologien gar eine Renaissance. Wo ergeben sich Synergien? Schwarzmann: Im B2C-Markt stehen wir in einer Renaissance des Markenprodukts. Hinzu kommt

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eine ungebrochene Nachfrage nach physischer Produktpräsentation, die attraktiv, ergo: unterhaltsam ist. Parallel dazu bietet das Internet fantastische Kommunikationsmöglichkeiten, um mit dem Kunden in einen aktiven Austausch zu treten und ihn in eine Fan-Community einzubinden. Hier muss man allerdings aufpassen: Das Internet ist in erster Linie ein Kommunikations- und Beziehungsforum, erst in zweiter Linie fungiert das Web als Absatzkanal (außer: Onlineversandhändler, Downloaddienstleister). Im B2B-Markt stehen wir in der Renaissance des Außendienstes, nun in der Erscheinung des kreativen Informanten. B2B-Kunden suchen aufgrund ihres differenzierten Umfelds spezialisierte Beratung und fundierte Orientierung. Das läuft am besten auf der persönlichen Ebene. Das Internet dient hier zur vereinfachten Abwicklung standardisierter Prozesse. Wenngleich auch für den B2BMarkt das Thema onlinebasierte Kommunikation und Communitybildung immer wichtiger werden wird. ProFirma: Dennoch lösen Web-Kataloge und Apps, Online-Verkauf oder Hausmessen klassische Pendants ab. Haben letztere ob der Markt- und Budgetzwänge noch eine Zukunft? Schwarzmann: Das Web bietet immer mehr und vor allem immer mehr kostengünstige Tools für Kommunikation, Inszenierung und Präsentation. Das nutzen Unternehmen freilich und deshalb kommt es zu einer Verlagerung von physischen Absatzwegen zu virtuellen Verkaufsplattformen. Entscheidend ist aber nicht die Anzahl der Absatztools, sondern die Nähe zum Kunden – entweder über eine starke Marke oder persönliche Beziehungen. Im Idealfall durch die Kombination von beidem. Trotz Budgetzwängen werden Unternehmen also verstärkt in Marken, Kommunikation und Beziehungen investieren müssen. ProFirma: Viele Firmen-Websites bieten Besuchern 3D-Animationen oder Konfiguratoren. Sind diese Tools eher marketinggetrieben oder heute tatsächlich absatzrelevant? Schwarzmann: Im B2C-Markt, der ja image- und modegetrieben und zudem stark internetaffin ist, wollen Unternehmen keinen Trend verpassen. Diese Tools sind also wettbewerbsgetrieben. Die B2C-Onlinetrends treiben zudem auch das B2B-Internetangebot. Kommunikationsstarke Internettools sind im B2C-Markt notwendig. Im B2B-Markt steht vor allem noch die Vereinfachung der Abwicklung von Geschäftsprozessen im Vordergrund. Aber auch dort werden die B2C-gängigen Internetttools immer wichtiger. Das Web besitzt noch einen anderen, wichtigen Aspekt: Das Internet schafft Transparenz; Kunden können dort das Image eines Unternehmens durch veröffentlichte Kommentare stark beeinflussen. Online-Bewertungen von Firmen werden immer beliebter, weshalb Unternehmen das Thema „Web-Hygiene“ auf ihre Agenda setzen müssen. ProFirma: KMU erhoffen sich von ihrem Auftritt in Social Communities nicht selten mittelbare Absatzerfolge. Ist dies vermessen/überhaupt sinnvoll oder tatsächlich machbar? Schwarzmann: Social Communities sind keine klassischen Märkte und daher kein Absatzforum.

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Soziale Kontakte kommerzialisieren zu wollen, verrät ja gerade den Kerngedanken sozialer Gemeinschaften. Übrigens ein deutsches Phänomen: Etwas an Freunde und Bekannte verkaufen zu wollen, ist verpönt (im Gegensatz bspw. zu den USA). Daran hat sich seit der großen Zeit der Strukturvertriebe hierzulande nichts geändert. Eine virtuelle Gefolgschaft ist allerdings äußerst bedeutend für die Marken-Reputation. Man hat in Social Communities die Chance auf Präsenz, kann neue Kontakte machen, ist im Gespräch und wird, attraktive Botschaften vorausgesetzt, sogar von der digitalen Clique weiterempfohlen. Es gibt mittlerweile sogar einen „Value-of-Fans“, heißt: Je größer die virtuelle Entourage, desto mächtiger die Referenz für das Firmenimage. Wer in Social Communities Erfolg haben will, muss sich verkaufspassiv verhalten, dort ehrliches Interesse an einem aktiven Austausch mit der Gemeinschaft haben. Ein wirtschaftlicher Erfolg ergibt sich daraus also nur indirekt. Wer in Social Communities ausschließlich über seine Produktvorteile parliert, verliert. Im Netz gilt generell: Echte Kommunikation statt Schleichwerbung. ProFirma: Customer Energy, Emotional Boosting. Augmented Reality: Immer neue MarketingBuzzwords prägen den Vertriebsalltag. Brauchen KMU all das für den Vertriebserfolg? Schwarzmann: Ich beschäftige mich nunmehr seit über 17 Jahren ausschließlich mit ökonomischer Zukunftsforschung. Dabei ist die Beobachtung von Marketing- und Absatztrends eines meiner Steckenpferde. Ich habe in dieser Zeit sehr viele tolle Begriffe kommen und gehen sehen. Als Publizist liebe ich natürlich neue Wortkreationen, doch glaube ich sagen zu können, dass es so etwas wie einige wenige Kernwahrheiten für den Vertrieb gibt. Freilich, Kunden und Märkte verändern sich. Wie gesagt: Produkte sind heute keine Funktionswaren mehr, sondern Life-Style-Identifikationen oder Spezialisierungs- und Innovationsperspektiven. Darauf muss ich mich als Unternehmen einstellen. Dennoch geht es nach wie vor darum, den Kunden zu faszinieren, Anziehungskraft zu entwickeln, gute Beziehungen und Bindungen zu schaffen. Im Kern suchen wir Menschen nach Orientierung, Zugehörigkeit und außergewöhnlichen Erlebnissen. Und am erfolgreichsten sind die Unternehmen, die nicht irgendwelchen Trends nachlaufen, sondern eigene Maßstäbe setzen. ProFirma: Wie stellt sich ein erfolgsversprechender Vertriebsmix für KMU im B2B-respektive B2C-Geschäft heute dar? Worauf kommt es zwingend an, was ist warum verzichtbar? Schwarzmann: Im B2B-Markt sind persönliche Beziehungen und eine auf den Kunden abgestimmte Beratung und Begleitung ein Basis-Muss. Entscheidend ist, Produkte und Leistungen anzubieten, die nicht vergleichbar sind. Vergleichbarkeit führt immer in eine Preisspirale nach unten. Über das Internet sollten bequeme Abwicklungsoptionen zur Verfügung stehen. Im B2C-Markt geht es um das Identifikationspotenzial des Images von Unternehmens- bzw. Produktmarken. Hinzu kommt eine attraktive Präsenz und Verfügbarkeit. Im Web spielen die aktive Kommunikation mit attraktiven Botschaften und eine intensive Communitybildung mittlerweile eine herausragende Rolle in der Markenreputation. Pure Absatzabsichten sind im Internet allerdings fehl am Platz (ausgenommen Onlineversandhändler und Downloaddienstleister). Vertriebseffekte ergeben sich dort indirekt.

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ProFirma: Wie sind Unternehmen angesichts steigender Kundenansprüche sowie eines veränderten Auswahl- und Einkaufsverhaltens Ihrer Zielgruppen im Vertrieb zukünftig optimal aufgestellt? Oliver W. Schwarzmann: B2B: Persönliche Beziehungen, spezialisierte Beratung und Betreuung, einzigartige Produkte und Leistungen, einfache Online-Abwicklungsmöglichkeiten B2C: Starkes Markenimage, attraktive Präsenz und Verfügbarkeit (physisch wie virtuell), aktive Kommunikation und Communitybildung im Web

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