blue - Inseln

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„Und zwar nicht zum Guten“, meinen Johannes und Hubert Thürke übereinstimmend. Die Rechnung der beiden Fischer ist schnell gemacht. In der DDR bekamen sie verbilligten Diesel für den Fischkutter, und die Abnahmepreise für den Fisch waren garantiert. Der Liter Sprit kostete die Fischer lumpige 13 Pfennig, heute müssen sie 80 oder 90 Cents bezahlen, manchmal gar einen Euro. Die Preise für den Fisch entwickelten sich genau umgekehrt. In der DDR waren die Preise stabil und verhältnismässig hoch. Vater Johannes Thürke (79) nennt Beträge bis zu einer Mark für das Kilo Fisch. Heute bekommt sein 54-jähriger Sohn noch 20 bis 30 Cents für das Kilo Hering, wenn er ihn an den Handel verkauft. Ein schlechtes Geschäft. Kein Wunder, dass Hubert Thürke heute in Kloster der letzte Berufsfischer ist. In Neuendorf und Vitte gibt es noch ein paar weitere, darunter auch Hubert Thürkes jüngeren Bruder Michael (52). Insgesamt zählt Hiddensee gegenwärtig noch ein gutes Dutzend Berufsfischer. Vor drei Jahren waren es noch 20. Und vor 1989, erinnern sich die Thürkes, habe es in den besten Jahren an die 120 Berufsfischer auf der Insel gegeben. Damals war die Fischerei noch ein Wirtschaftszweig mit Gewicht. Die Wertschöpfungskette wurde auf der Insel mit Nebenbetrieben wie Salzerei, Räucherei, Gaststätte, Verkaufsstelle, Transport- und Instandhaltungsbetrieben ergänzt, was weiteren Personen Arbeit brachte. Doch das ist definitiv vorbei. Widerstand und Anpassung Die Fischerei wurde auf Hiddensee im 18. und 19. Jahrhundert meistens gemeinschaftlich betrieben. Im Hiddenseer Dialekt hiess das: „Tohoop fischen“, zu Hauf fischen. Das hatte zwei Gründe: Ein einzelner Fischer hätte die Investition für Boot, Netze und Reusen kaum aufbringen können. Zudem benötigten viele Fangtechniken die Zusammenarbeit von mehreren Männern. Es gab Bootsgemeinschaften von drei bis vier Fischern und bei der Garnfischerei mit Zugnetzen solche von acht bis zwölf Personen. Sehr aufwendig war die Fangtechnik mit bis zu 500 Meter langen Kammerreusen. Diese wurden nicht draussen in der Ostsee gesetzt, sondern im Bodden, dem flachen Gewässer zwischen Hiddensee und Rügen. Die schlauchartigen Reusen wurden an schweren Pfählen von der Länge einer Telefonstange befestigt. Dies benötigte den Einsatz von mehreren körperlich sehr kräftigen Fischern. In den DDR-Jahren versuchten die staatlichen Behörden mit grossem Druck, die althergebrachten Fischereikommünen gleichzuschalten und in Produktionsgenossenschaften überzuführen. Doch gegen die harten Köpfe der Fischer von Hiddensee hatte die Staatsmacht ihre liebe Mühe. Diese verteidigten ihre Autonomie mit einer unglaublichen Zähigkeit. Es gelang deshalb dem sozialistischen Staat nur sehr langsam, die Herrschaft über die Produktionsmittel zu erlangen und die Fischer in sogenannte FPGs zu drängen. Die Absatz- und Preisgarantie trug sicherlich dazu bei, den Widerstand der Fischer nach und nach aufzuweichen. Und als die Fischer die Möglichkeit erhielten, den Fang, der über dem Ablieferungssoll lag, auf dem freien Markt zu verkaufen, er8 blue Thema

langten sie eine relativ krisenfreie Stellung – möglicherweise erstmals in ihrer ganzen Geschichte. Es ist wohl dieser wirtschaftlichen Absicherung zu verdanken, die bei vielen Fischern das Urteil über die DDR so milde ausfallen lässt. Bei Johannes Thürke gibt es einen weiteren Grund. Seine Augen beginnen heute noch zu leuchten, wenn er erzählt, dass es ihm gelungen ist, über all die DDR-Jahre das Eigentum an seinem Motorschiff zu verteidigen. Nach der Wende sind viele Fischereigemeinschaften zerbrochen. Mag sein, dass es dank zunehmender Motorisierung und Technisierung auf dem Schiff weniger Hände braucht als früher. Mag sein, dass der Trend zur Individualisierung auch vor den Fischern nicht haltmacht. Jedenfalls fährt auch Hubert Thürke seit Jahren allein hinaus. Fischer sind Frühaufsteher. Um fünf Uhr ist Tagwache oder noch früher. Mit seinem Fischkutter „Vit009“ will Hubert Thürke draussen sein, bevor es hell wird. Auf dem Libben wird er das Stellnetz setzen. 200 Meter lang ist es und fünf Meter tief. Das Netz bleibt dann 24 Stunden draussen. Wie gross wird der Fang sein? Der gross gewachsene, kräftige Mann kratzt sich am Kopf, denkt eine Weile nach und sagt dann: „20 Kisten zu 25 Kilo vielleicht.“ Dann feilt er auf seiner Werkbank vor dem Schuppen am Hafen weiter an einer Dichtung herum und schweigt. Ein paar Minuten später brummt er: „Vielleicht auch nur zehn Kisten. Kann man nie voraussagen. Es kommt immer darauf an, wohin es den Fisch zieht.“ Seit die Preise dermassen gefallen sind, vermarktet Hubert Thürke den Fisch selber. Direkt an die Endkunden. Vor einigen Jahren hat er in Ueckermünde am Stettiner Haff eine heruntergekommene Barkasse erworben und nach Kloster schleppen lassen. Das Beiboot mit Jahrgang 1930 hiess ursprünglich „Cremon VIII“ und beherbergte auch schon Hans Albers, den berühmten Schauspieler. Thürke richtete das Schiff wieder her, vertäute es fest an seinem Steg im Hafen von Kloster, taufte es auf „Willi“ um und verkauft dort seither seinen Fang als Räucher- wie als Frischfisch. In den Sommermonaten, wenn die Touristen da sind, ist das Angebot gross: Heringssalat, Rollmops, Brathering, Fischbrötchen, Buletten, Kartoffelsalat, Räucherfische und auch Kaffee und Kuchen. In der ersten Zeit bewirtete seine Schwester die Gäste und half, den Laden richtig in Schwung zu bringen. Seit sie nach Berlin geheiratet hat, macht der Fischer alles selber. Einsam wird es ihm auf der Barkasse auch im Winter nicht. Ständig schauen Leute vorbei: „Gibt’s frischen Hering?“ – „Hast du Dorsche gefangen?“ – Wie steht’s mit grünem Aal?“ – „Wie viel brauchste denn“, fragt der Fischer zurück. „Bis wann soll ich sie dir herrichten?“ – „Ja, morgen Nachmittag, kannst du den Fisch abholen.“ Das Wunder von Hiddensee Als die Leute wieder weggegangen sind, kramt Hubert Thürke ein Fotoalbum hervor. Zu jedem Bild nennt er die Namen und weiss die passende Geschichte dazu. So blättert er Seite um Seite um, bis wir beim Wunder von Hiddensee angelangt sind. Eine wahre Geschichte, wie die Fotografien beweisen. Es


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