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DR. MED. FRANK GENSKE
Facharzt für Innere Medizin/Nephrologie, Hypertensiologe DHL®/Lipidologe DGFF® sowie Vorsitzender der Kreisärzteschaft Göppingen
DIE „MEDIZINISCHE LANDSCHAFT“ IN DEUTSCHLAND ERFÄHRT SEIT EIN
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PAAR JAHREN DRASTISCHE VERÄNDERUNGEN, DIE ALLERDINGS VON GROSSEN TEILEN DER BEVÖLKERUNG NOCH GAR NICHT WIRKLICH WAHRGENOMMEN WERDEN.
VITALIS HAT MIT DR. FRANK GENSKE, DEM VORSITZENDEN DER KREISÄRZTESCHAFT, ÜBER DIESES THEMA GESPROCHEN.
HERR DR. GENSKE, WIE SEHEN SIE DIE ZUKUNFT DER HAUSÄRZTLICHEN UND FACHÄRZTLICHEN VERSORGUNG?
Ehrlich gesagt: katastrophal. Über 30 % der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind älter als 60 Jahre und gehen altershalber in den Ruhestand. Beim verbleibenden Rest sind mehr als 50 % über 50 Jahre alt. Nachfolge zu finden, ist extrem schwer. Das ist unverständlich und traurig, denn der Arztberuf ist nach wie vor einer der schönsten, verantwortungsvollsten und erfülltesten Berufe überhaupt.
Nein. Die heutige Generation sucht sich ihren Arbeitsplatz mit einer definierten Arbeitszeit und einem guten Gehalt. Teilzeit wird zunehmend wichtiger. Ich werde z.B sehr oft mit dem Wunsch nach einer 3 ½ Tage Woche konfrontiert.
DAS BEDEUTET ABER DOCH - WENN DIE ZAHL DER PRAXEN ERHALTEN BLEIBEN SOLL - DASS DANN MEHR MEDIZINER AUSGEBILDET WERDEN MÜSSEN. IST DER NUMERUS-CLAUSUS IN DER ANGEWANDTEN FORM NOCH ZUKUNFTSGEEIGNET?
Einer der ausschlaggebendsten Gründe hierfür ist, dass junge Ärzte und Ärztinnen nicht mehr alleine arbeiten und praktisch eine 24-stündige Bereitschaft ableisten wollen. Auch möchten sie nicht, zusätzlich zur medizinischen Versorgung, komplett das unternehmerische Risiko, die Mehrarbeit an Bürokratie, Personal, Vertragswesen und eine nicht mehr zu durchschauende Abrechnungspolitik tragen. Daher ist das Führen einer ärztlichen Praxis für die meisten der jüngeren Kolleginnen und Kollegen keine Option mehr. Das ist Fakt. Dem müssen wir uns stellen.
DAS MOMENTUM WORK – LIFE – BALANCE STAND FRÜHER SELTEN IM VORDERGRUND. BEI DER JÜNGEREN GENERATION HAT ES ABER EINEN HOHEN STELLENWERT. IST DAS ERKANNT WORDEN?
Natürlich muss hier dringend eine Änderung erfolgen. Die Vergabe der Studienplätze allein aufgrund der Abiturnote war noch nie gut und ist mittlerweile antiquiert und kontraproduktiv. Die Politik hat es über viele Jahre versäumt, dies zu ändern und eine sinnvolle Vergabe der Studienplätze auch unter Berücksichtigung der sozialen Kompetenzen der Bewerber zu gestalten. Daraus resultierend geht studierwilliger Nachwuchs ins Ausland. Die junge Generation ist offen, mobil und ohne Berührungsängste. Viele bleiben nach einem Studium und dem Aufbau von privaten sozialen Strukturen im Ausland. Sie kehren als ausgebildete Mediziner nicht unbedingt nach Deutschland zurück und sind damit für unsere medizinische Versorgung verloren.
ODER SIE GEHEN NACH DEM STUDIUM UND DEN ERSTEN BERUFSERFAHRUNGEN INS AUSLAND. HIER FINDEN SIE DEUTLICH BESSERE RAHMENBEDINGUNGEN VOR. DIE BEWERBER UND BEWERBERINNEN FÜR
ASSISTENTENSTELLEN IN DEN KLINIKEN KOMMEN INZWISCHEN GRÖSSTENTEILS NICHT MEHR AUS DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH ODER DER SCHWEIZ.
Wir müssen unser System überdenken. Grundlegend. Wir leisten uns in Deutschland eine überbordende, lähmende Bürokratie. Diese muss von Pflegekräften und Medizinern gestemmt werden. Es ist keine Motivation für Menschen, deren Berufsziel es ist zu pflegen, zu helfen oder zu heilen, am Ende des Tages frustriert nach zu Hause gehen, weil sie mehr als 50 % ihrer Zeit mit bürokratischen Aufgaben verbracht haben. Dazu kommt noch das schlechte Gefühl, dass ihre Patienten zu kurz gekommen sind.
Die Menschen müssen das umsetzen dürfen, was sie gelernt haben. Hierin haben sie ihre Profession, ihre Kompetenz und ihre Stärken. Diese Fähigkeiten dürfen nicht durch fachfremde Aufgaben vergeudet werden. Abgesehen davon, dass dies wirtschaftlicher Nonsens ist. Der überwiegende Anteil der Dokumentationen und der bürokratischen Verwaltungsaufgaben sollte durch nicht medizinisches Personal erfolgen.
ES IST KEINE MOTIVATION FÜR MENSCHEN, DEREN
BERUFSZIEL ES IST ZU PFLEGEN, ZU HELFEN ODER
ZU HEILEN, AM ENDE DES TAGES FRUSTIERT NACH
HAUSE ZU GEHEN, WEIL SIE MEHR ALS 50% IHRER
ZEIT MIT BÜROKRATISCHEN AUFGABEN VERBRACHT HABEN.
WAS IST IHRE MEINUNG ZUR MEDIZINISCHEN VERSORGUNG DER ZUKUNFT?
Wir brauchen dringend Reformen, d.h. weg von der Politik, dass Leistungserbringer, Ärztinnen und Ärzte, Praxen und Kliniken als Kostenverursacher gesehen werden. Die Krankenversicherung ist von Bismarck eingeführt worden, um existentielle Risiken abzudecken. Heute bieten die Krankenkassen eine Menge Dinge an, die medizinisch nicht evidenzbasiert sind und eher eine Korrektur der oftmals ungesunden Wohlstandsgesellschaft darstellen. Hier ist die Eigenverantwortung der Menschen gefordert, die ja auch in vielen anderen Dingen auf ihre Selbstbestimmung pochen. Der Krankenkassenbeitrag wird als „Flatrate“ verstanden, mit der ich 24/7 alle Leistungen abrufen kann. Wir brauchen ein Mehr an Eigenverantwortlichkeit und an Eigenbeteiligung, wenn wir auf Dauer die wirklich notwendigen medizinischen Leistungen auf hohem Niveau anbieten wollen. Die Medizin der Zukunft wird teurer, neue Krebstherapien werden entwickelt. Denken Sie an die Zunahme der Notwendigkeit künstlicher Gelenke oder die Kosten für die Pandemie. Die Menschen werden älter und bedürfen mehr an Leistungen. Pflegefälle werden deutlich zunehmen. Wenn wir aber immer nur an den Menschen sparen, die dieses Gesundheits-System aufrechterhalten, dann muss man sich nicht wundern, wenn immer weniger Menschen im ärztlichen oder pflegerischen Bereich arbeiten wollen. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern. Die medizinischen Berufe müssen wieder attraktiv gestaltet werden. Das ist nicht nur eine monetäre Verdienstfrage, sondern auch eine Frage der Anerkennung und des Respektes der geleisteten Arbeit – aber nicht mit politisch motivierten Wordhülsen, wie es aktuell praktiziert wird.
Leider hat hier die Politik noch kein Rückgrat gezeigt, um Veränderungen, die vielleicht unpopulär, aber notwendig sind, auch durchzusetzen.
DA HABEN SIE RECHT, BEDAUERLICHERWEISE IST DAS SO. WAS NICHT POPULÄR IST, WIRD UNTER DEN TISCH GEKEHRT. DASS DIESER ABER ZWISCHENZEITLICH ZU KLEIN IST, WILL NIEMAND FESTSTELLEN. WARUM DAS SO IST, WESHALB ES EINEN PFLEGENOTSTAND GIBT, WODURCH EIN EKLATANTER MANGEL AN ÄRZTEN UND ÄRZTINNEN BESTEHT - DIESE FRAGEN WERDEN VON DER POLITIK NICHT GESTELLT.
Nach über 30 Jahren als praktizierender Facharzt tritt Dr. Andreas Bickelhaupt seit 2017 etwas kürzer. Durch den neu gewonnenen zeitlichen Freiraum widmet er sich verstärkt seiner journalistischen Leidenschaften und ist für das PIG Stadtmagazin und das Vitalis tätig.
VIELEN DANK HERR DR. GENSKE, DASS SIE SICH DIE ZEIT GENOMMEN HABEN, MIT UNS ZU SPRECHEN.
